Gerhard Rohlfs
Quer durch Afrika
Gerhard Rohlfs

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

Ins Königreich Nyfe (Nupe) und durch die Jorubaländer an den Golf von Guinea

Das schönste Wetter begünstigte unsere Abfahrt. Am Tag vorher gefallener Regen und ein frischer Seewind hatten die Atmosphäre gereinigt, nur einzelne weiße Haufenwolken schwammen in dem klaren Himmelsblau. Taktmäßig und eigentümlich mit der Zunge dazu schnalzend, stießen die sechs Ruderer ihre Schaufeln in den Strom, und zwar absichtlich so, daß bei jedem Stoß ihr nackter Körper von oben bis unten mit dem kühlenden Naß bespritzt wurde.

Gegen sechs Uhr abends legten wir in der Nähe eines kleinen Uferdorfes an. Hier wurde zum Nachtmahl aus dem mitgenommenen Proviant eine Ziege geschlachtet und das Fleisch über Kohlenfeuer geröstet. Aber noch waren die Stücke nicht gar, da begann dichter Regen herabzuströmen, der die Flamme unseres unbedecktem Kochherdes auslöschte. Doch genug – ich will die Leser nicht mit den täglichen Vorkommnissen einer volle vierzehn Tage währenden langsamen Flußfahrt ermüden, zumal in Bezug auf Szenerie und Staffage dieser Teil des Niger von der Strecke, die ich auf dem Benue befuhr, sich im ganzen wenig unterscheidet. Nur fand ich die Fahrt selbst um vieles unangenehmer. Mit Sonnenaufgang stellte sich stets eine Gattung mikroskopischer Fliegen ein, von den Engländern »sandfly« genannt, deren Stich eine schmerzhafte Geschwulst verursacht; gegen elf Uhr vormittags zogen sich diese fast unsichtbaren Plagegeister zurück, aber dann quälte uns die drückende Hitze, da wir, um der starken Gegenströmung in der Mitte des Flusses auszuweichen, immer dicht am Ufer hinrudern mußten, wo kein Luftzug uns Kühlung zuwehte. Sobald die Hitze etwas nachließ, waren auch die giftigen kleinen Fliegen wieder da, und wenn sie nach Sonnenuntergang endlich verschwanden, übernahmen es Myriaden von Moskitos, die Menschen nicht zur Ruhe kommen zu lassen.

Nach fünf Tagen erreichte das Boot die Stadt Egga am rechten Nigerufer. Ich begab mich sogleich zu dem Vorsteher der dortigen englischen Filial-Faktorei, an den ich Briefe von Mr. Fell zu überbringen hatte. Es war ein noch ziemlich junger Mann, ein aus Sierra Leone gebürtiger Neger namens James, der einzige Christ in Egga. Durch ihn ward ich dem Sserki des Distrikts vorgestellt, und dieser verschaffte mir nicht nur ein Regierungsboot bis Rabba, sondern schiffte sich auch selbst mit ein, um mich persönlich zum König zu führen. Er teilte mir mit, der König residiere gegenwärtig nicht in Rabba, auch nicht in seiner eigentlichen, im südlichen Teil des Reiches gelegenen Hauptstadt Bidda, er sei im Krieg gegen eine Rebellenschar begriffen und verweile im Heerlager, etwa sechs Stunden von Rabba, am Fluß Eku.

Je näher wir Rabba kamen, desto mehr durch den Krieg zerstörte Dörfer zeigten sich zu beiden Seiten des Flusses. Am 16. April abends um sieben Uhr passierten wir eine Gruppe von Inseln, die jetzt als Hafen für die Kriegsflotte und als Lagerplatz für ihre Mannschaft diente. Wohl an die fünfhundert Kanus lagen hier beisammen, von denen die kleinsten für etwa dreißig, die größten für hundert Mann Raum bieten mochten. Die Kanus der verschiedenen Stämme hatten verschiedene Formen; die der Kakanda z. B., eines an der rechten Seite des Niger nordwestlich von Lokoja wohnenden Stammes, zeichneten sich durch ihre Breite aus, wogegen die der Schaba, eines Inselvolkes, besonders lang und schmal gebaut waren. So hat auch jeder Stamm, wie man mir sagte, seine eigene Kampfweise. Die Kakanda, die mit Flinten bewaffnet sind, lassen ihre Kinder die Ruderschaufeln führen und schießen, im Mittelraum des Bootes postiert, über deren Köpfe hinweg; die Schaba handhaben selbst abwechselnd das Ruder und ihre Waffe, den Wurfspieß. Die vom aufgehenden Mond beleuchteten Inseln mit den Tausenden zwischen Bäumen, Zelthütten, Waffenpyramiden, Lagerfeuern umherlaufenden schwarzen Gestalten boten ein höchst phantastisches Bild.

Noch eine halbe Stunde, und wir landeten am linken Ufer im Hafen von Rabba. Statt einer großen volkreichen Stadt, wie ich erwartet hatte, fand ich jedoch nur durch Brand geschwärzte, dachlose, meist von ihren Bewohnern verlassene Hütten. Kaum fünfhundert Menschen waren darin zurückgeblieben. Wir wurden in einer halbzerstörten Hütte aufs kümmerlichste untergebracht, und da wir hier nicht lange bleiben konnten, schickte ich sofort einen Boten an König Massaban, durch den ich ihm meine Ankunft in Rabba melden und ihn ersuchen ließ, mir schleunigst ein Pferd zum Ritt ins Lager zu senden. Trotzdem vergingen vier volle Tage, vergebens harrte ich von Stunde zu Stunde auf die Rückkehr des Boten.

Rabba liegt am letzten Ausläufer der Admiralitätsberge, auf dem südlichen Abhang eines Felsrückens, der unmittelbar ans Ufer des Flusses herantritt. Zur Zeit, als der Sklavenhandel an der afrikanischen Westküste noch schwunghaft betrieben wurde und die Karawanen aus dem Inneren hier durchzogen, gehörte Rabba zu den bedeutendsten Städten im Westen. Jetzt zeugen nur die stehengebliebenen Umfassungsmauern von der ehemaligen Größe der Stadt, und auch das früher meilenweit angebaute Land ist bis auf eine paar Getreidefelder zu beiden Seiten des Gingi wieder verödet und mit wildwucherndem Unterholz bewachsen.

Am vierten Tag mittags kam endlich der ersehnte Bote zurück. Ohne sich wegen der langen Verzögerung entschuldigen zu lassen, sandte mir König Massaban ein Pferd und einen Korb mit Kola-(Goro-)Nüssen. Nachmittags um fünf machte ich mich mit meiner ganzen Begleitung auf, um noch in der Nacht das Lager zu erreichen; ich allein war zu Pferd, alle anderen, auch der Sserki, mußten zu Fuß folgen. Es dauerte über eine halbe Stunde, ehe wir das alte Stadtgebiet in nordwestlicher Richtung durchmessen und die Mauern hinter uns hatten. Dann führte der Weg drei Stunden lang durch einen hochstämmigen Baumwald zu dem malerisch gelegenen Ort Moo; von da marschierten wir noch drei Stunden bei Mondschein über großwelliges Terrain, das von dem Flüßchen Edda und vielen kleinen Rinnsalen durchschnitten ist, und langten erst kurz vor Mitternacht am linken Ufer des Eku an, wo eine Abteilung des königlichen Heeres, meist aus Reiterei bestehend, gelagert war.

Morgens brachte uns ein Fährboot hinüber ans rechte Ufer, und nach einigen hundert Schritten betrat ich das Lager der großen Armee. Im Lauf des Vormittags fand die Empfangsaudienz beim König statt. Er saß unter einer von allen Seiten offenen, nur vorn durch seidene Vorhänge verschließbaren Hütte etwas erhöht auf einer Giraffenhaut; ihm gegenüber kauerte auf dem bloßen Sandboden in fünf Reihen hintereinander eine Versammlung von etwa hundert Männern, alle so wie er selbst dürftig und unsauber gekleidet. Mich hieß er auf einer zierlich geflochtenen Matte dicht zu seinen Füßen Platz nehmen. König Massaban schätzte sein Alter, wie man mir gesagt, auf fünfzig Jahre; ich hätte ihn dem Aussehen nach für jünger gehalten, obgleich er schon Vater von sechzig Söhnen und einer gleichen Anzahl Töchter war. Von dunkelschwarzer Hautfarbe, verriet er doch in der regelmäßigen Gesichtsbildung seine Abstammung aus Fellata-Geblüt. Sobald die üblichen Begrüßungsformeln gewechselt waren, teilte er eine Kola-Nuß mit mir, was als Friedens- und Freundschaftszeichen gilt und aus der Hand eines Fürsten als besonderer Gunstbeweis angesehen wird. Hierauf brachten die Diener eine Schüssel Milch, Lammfleisch und einen Topf voll Honig. Unsere Unterhaltung bezog sich meist auf meine bisherige Reisetour, namentlich schien den König alles, was ich von Bornu erzählte, zu interessieren. Von der Faktorei in Lokoja sprach er mit freundlichen Worten, doch dürfte seine Freundschaft wohl eine erheuchelte sein und lediglich auf Eigennutz beruhen, indem er sich durch Vermittlung der Engländer Flinten und Pulver zur Bekämpfung seiner rebellischen Untertanen verschafft; daß er als Muselman die Ausbreitung einer christlichen Gemeinde auf die Dauer gleichgültig mitansehen werde, möchte ich wenigstens stark in Zweifel ziehen.

Als ich mich wieder empfahl, wurde mir die Matte, auf der ich gesessen hatte, eine wirklich vorzügliche einheimische Arbeit, nachgetragen, ferner ein Topf Palmöl, ein Gefäß mit Butter und ein Gebund Zwiebeln. Auch zwanzigtausend Muscheln ließ mir der König aushändigen; sie reichten freilich kaum hin, um davon die nötigen Trinkgelder an seine Diener zu bestreiten. Die enge, dumpfe und feuchte, keinen Schutz gegen die häufigen Gewitterregen bietende Strohhütte, welche man uns zur Wohnung anwies, entsprach, selbst in Berücksichtigung, daß wir uns im Lager befanden, nicht meinen bescheidensten Erwartungen. Dabei stand sie mitten im ärgsten Getümmel, wo das Trommeln und Pfeifen, das Ausschreien von Lebensmitteln und das Toben der oft berauschten Soldaten bis tief in die Nacht hinein währte und mich keinen Augenblick Ruhe finden ließ.

Anderen Tags stieg ich zu Pferd, um das Lager in seiner ganzen Ausdehnung zu durchreiten. Es hatte in der Tat einen imposanten Umfang, denn ich taxierte die Zahl der Hütten auf annähernd zwanzigtausend und glaube, daß mit Einschluß der Weiber, Kinder und Sklaven nicht weniger als hunderttausend Menschen hier beisammen waren. überall aber lagen Kadaver gefallener Tiere oder Haufen die Luft verpestenden Unrats, von ekelhaften Insekten umschwärmt. Bei der Rückkehr begegnete mir der König in militärischem Paradezug. Voran schritt das Musikkorps, mit großen und kleinen Trommeln, hölzernen Trompeten, dudelsackähnlichen Pfeifen und eisernen Klappern; hinter ihm marschierte eine Kolonne von zwei- bis dreihundert mit Flinten bewaffneter Fußsoldaten; dann kamen die königlichen Vorreiter, der königliche Schwertträger, und nach letzterem König Massaban selbst zu Pferd, diesmal in reicher Kleidung: Sie bestand aus einem im Land gefertigten blauen Hemd, einem weißen, mit Gold und bunter Seide gestickten Tuchburnus, rot und weiß gestreiften seidenen Hosen, roten Saffianstiefeln und einem Fes. Unmittelbar hinter ihm ritten zwei Leibgardisten mit einem Schild aus Hippopotamusleder, so groß, daß er Mann und Roß bedeckte, und an sie schloß sich in gemessener Entfernung die Suite der Generale an, jeder von einer Anzahl Sklaven gefolgt.

Nachmittags um drei Uhr überreichte ich in feierlicher Audienz die aus Lokoja mitgebrachten Geschenke, welche Sr. Majestät allerhöchsten Beifall fanden. Als Gegengeschenk erhielt ich zwei kunstvoll gestickte Toben und jeder von meinen Dienern zwanzigtausend Muscheln. Dieser Audienz wohnte der gesamte Hofstaat des Königs bei.

Am dritten Tag begab ich mich, den Dolmetscher mitnehmend, unangemeldet zum König, der mich auch sogleich empfing und seine Dolmetscher rufen ließ. Jetzt verhehlte ich ihm nicht, daß ich als Fremder, als Christ und als Beauftragter der Engländer in Lokoja, von denen er so großen Vorteil ziehe, eine bessere und achtungsvollere Aufnahme erwartet hätte, indem ich namentlich seine Rücksichtslosigkeit, mich vier Tage in Rabba ohne Bescheid auf meine Botschaft zu lassen, und das elende Quartier im Lager, wo ich viel geräumigere und wohnlichere Hütten gesehen hatte, mit scharfen Worten hervorhob. Schließlich zeigte ich ihm an, ich sei entschlossen, den nächsten Tag abzureisen. Seine Antwort lautete nach des Dolmetschs Übersetzung, wenn ich abreisen wolle, werde er mir ein Pferd, einen Führer und einen Gepäckträger bis Ilori mitgeben.

Somit schien mir alles in bester Ordnung und meine Abreise durch nichts behindert zu sein. Nachdem die Sachen gepackt waren, brachen wir auf und gelangten gegen vier Uhr nachmittags ans Ufer des Eku. Hier aber weigerten sich die Fährleute, uns überzusetzen, und während ich noch mit ihnen verhandelte, kam ein Bote des Königs mit der Aufforderung, ich solle ins Lager zurückkehren. Ich erwiderte, dazu hätte ich keinen Grund und wenn man mir nicht binnen einer Stunde die Fähre zur Verfügung stelle, würde ich mit meinem Schwimmgürtel über den Fluß schwimmen. Darauf kam der Sserki, der mich von Egga aus begleitet hatte, gefolgt vom Dolmetsch und zwei königlichen Dienern, und meldete mir: Sein Herr sei höchst ungehalten, daß ich mich heimlich entfernt habe; er wolle mich zwar nicht länger halten, breche aber alle Freundschaft mit mir ab und sende zum Zeichen dessen meine Geschenke zurück. Nun klärte sich das Mißverständnis auf. Der Dolmetsch hatte aus Furcht vor dem Zorn des Despoten demselben weder meine vorwurfsvolle Rede noch die Anzeige von meiner nahen Abreise verdolmetscht. Als nun dem König hinterbracht wurde, daß ich das Lager ohne Abschied zu verlassen im Begriff stehe, gab er in seinem ersten Ärger Befehl, mir die Überfahrt über den Fluß nicht zu gestatten. Unter diesen Umständen und eingedenk meiner von den englischen Freunden in Lokoja übernommenen Mission hielt ich es doch nicht für schicklich, in Unfrieden von Massaban zu scheiden. Ich kehrte daher mit dem Sserki zurück und ließ den König um Wiederannahme der Geschenke bitten, der mir denn auch noch abends als Pfand der Versöhnung und des wiederhergestellten Friedens einen großen Napf Milch in meine Wohnung schickte.

Am 26. April verabschiedete ich mich in öffentlicher Versammlung. Der König erwähnte des Zwischenfalls mit keiner Silbe; er wünschte mir Glück zur Reise und ließ uns einen Vorrat von Kola-Nüssen, getrocknetem Fleisch und mit Honig vermengten Reiskügelchen zustellen. Ohne Störung wurde nun der Rückweg nach Rabba angetreten, wo wir denselben Abend wohlbehalten wieder eintrafen.

In Rabba erhandelte ich ein Pferd zur Weiterreise um den Preis von achtzigtausend Muscheln, der mir für die dortige Gegend und in Anbetracht des derzeitigen Kriegsbedarfs nicht zu hoch erschien. Am 2. Mai brachen wir auf. Die Überfahrt über den Niger nahm eine gute halbe Stunde in Anspruch, da die Fährleute das Boot erst eine Strecke weit am linken Ufer hinaufrudern mußten, um es dann durch die starke Strömung zu bugsieren. Anderthalb Stunden südlich vom jenseitigen Ufer gelangten wir an tote Hinterwässer des Niger, welche sich hier zur Zeit des Hochwassers ins Land hinein verbreiten. Nahe bei denselben auf einem weiten, Fanago genannten Platz lagerte eine kleinere Abteilung des königlichen Heeres, etwa sechstausend Mann; mit Inbegriff der Weiber, Kinder und Sklaven mochten aber wohl zwanzigtausend Menschen hier versammelt sein. Kurz vor uns war der Damraki, der erste Ratgeber oder Minister am Hofe Massabans, in Fanago eingetroffen, welcher dem Sultan von Ilori, der mit dem König verbündet war, einen prächtigen Rappenhengst als Geschenk von diesem zu überbringen hatte und gleich mir im Lager über Nacht blieb. Ich wurde in eine Hütte zwischen der seinigen und der des Oberbefehlshabers einquartiert. Frühmorgens weckte mich ein betäubender Lärm aus dem Schlaf; fünfzig Trommler brachten dem Damraki ein Ständchen, und kaum damit fertig, rückten sie auch vor meine Tür, den Spektakel von neuem beginnend. Rasch schickte ich ihnen einige hundert Muscheln heraus, mit dem Bedeuten, aufzuhören oder weiterzuziehen; allein sie schlugen nur umso unbarmherziger auf ihre Pauken los, und nichts von dem Ohrenzwang sollte mir erspart bleiben.

Anderentags hatten wir nur noch einen Weg von zwei Stunden südwärts zurückzulegen und hielten dann vor dem Tor der Stadt Saraki. Man verlangte einen Zoll von uns, der von den Karawanen aus Haussa hier erhoben wird; da aber mein Dolmetscher erklärte, wir kämen aus dem Lager des Königs Massaban und gingen nach Ilori, ließ man uns zollfrei passieren. Wir zogen durch eine Anzahl Straßen zum Haus des Ortsvorstehers, der mich freundlich empfing und für unsere Unterkunft sorgte.

Saraki, eine Stadt von vierzigtausend Einwohnern, ist auf mehreren Hügeln erbaut, auch die hohen Ringmauern, von denen sie umschlossen ist, folgen auf und ab dem Zug der Hügel. Der Ort wurde früher bei den Sklaven-Razzien gewissermaßen als neutrales Gebiet zwischen Nyfe und Joruba betrachtet, und den Charakter einer Grenzstadt trägt er heute noch, denn die Bevölkerung besteht teils aus Nyfe-, teils aus Joruba-Negern; letztere sind jedoch in der Mehrzahl. Die Eingeborenen Jorubas unterscheiden sich von denen Nyfes durch hellere Hautfarbe und regelmäßigere, mehr der kaukasischen sich nähernden Gesichtsbildung. Abgesehen von anderen, nicht bekannten Ursachen, mag wohl zur Zeit, als die Portugiesen lebhaften Handel am Golf von Guinea betrieben, Vermischung von Europäern, die bis ins Joruba-Gebiet vordrangen, mit den Negerinnen stattgefunden haben.

Wie in den Rassenmerkmalen die Bewohner Jorubas Abweichungen von den entfernter von der Küste wohnenden Stämmen erkennen lassen, so zeigen sich auch wesentliche Unterschiede in der Tracht und in der Bauart der Wohnungen. Die Kleidung der Männer besteht in einem kurzen engen Hemd ohne Ärmel und in anschließenden, nur bis an die Knie reichenden Hosen – eine zum Arbeiten wie zum Gehen durch verwachsenen Urwald sehr zweckmäßige Tracht. Die Häuser sind nicht runde, nur von einer Familie bewohnte Hütten, sondern bilden ein langgestrecktes Oblongum, in dem viele Familien, allerdings meist untereinander verwandt, wie in Kasernen unter einem Dach beisammen wohnen. Sie umschließen in der Regel einen viereckigen Hof, und auch in diesem stehen, wenn er groß genug ist, noch lange schmale Gebäude. An der Vorderseite des Hauses sind die aus Lehm errichteten Wände geschlossen, an der Rückseite laufen sie in eine offene Galerie aus. Zwischen den Wänden und dem Strohdach bleibt freier Raum für den Durchzug der Luft.

In den Straßen Sarakis stößt man überall auf Pfützen und Rinnen voll fauligen Wassers, und daß die Eingeborenen diese ekelhafte Jauche trinken, mag der Grund sein, weshalb viele mit dem Guineawurm behaftet sind. Zur Vermehrung des Schmutzes trägt noch bei, daß hier wie an anderen Orten Jorubas starke Schweinezucht betrieben wird. Das zahme Schwein wurde von Europa eingeführt, es findet aber keine zusagende Nahrung, bleibt daher klein und mager und erreicht selten ein Gewicht von hundertfünfzig Pfund. Außer Schweinen trieben auch Hühner und Enten sich auf den Straßen umher. Mit Industrie und Handel scheint man sich wenig zu beschäftigen; ich sah nur eine Färberei und einige Ölsiedereien in der Stadt.

Alle Jorubaner sind eifrige Götzendiener, und so gab es auch in Saraki eine Unmasse von Fetischen aus Holz und Ton und von verschiedenster sowohl männlicher als weiblicher Gestalt. Unter anderen fiel mir ein aus Holz geschnitztes Götzenbild mit europäischen Gesichtszügen auf, langem Bart und einer Bischofsmütze auf dem Kopf; es mochte wohl einem portugiesischen Heiligen nachgebildet sein.

Wir verließen Saraki am 6. Mai und gingen drei Stunden in südsüdwestlicher Richtung durch eine gebirgige Gegend. Oft führte der Weg steil abfallende, mit wilden Bananen und Plantanen bewachsene Schluchten hinab. Das zu Tage tretende Gestein ist größtenteils Granit; sonst war der Boden mit fettem Humus bedeckt, auf dem sich ein üppiger Pflanzenwuchs entfaltete; bunte Schmetterlinge umschwärmten die aufs mannigfachste geformten Blüten und Blumen. Ehe wir aber das Dorf Apoto erreichten, wurden wir von zwei tüchtigen Regenschauern durchnäßt. Dort angekommen legten die gemieteten Träger ihre Bürde ab und erklärten, sie wollten nicht weitergehen. Mit vieler Mühe gelang es mir durch Vermittlung des Ortsvorstehers, drei Weiber zu dingen, welche das Gepäck bis zu dem nächsten, noch eineinhalb Stunden entfernten Dorf trugen.

Von da brachen wir den anderen Morgen auf. Das Terrain ist hier nur leicht wellig, und die ganze reich angebaute Landschaft glich einem Garten. Am Weg saßen hie und da Leute, die Eßwaren, darunter auch geröstete Raupen, feilboten. Die zum Essen beliebteste Raupenart ist eine Bärenraupe mit langen Haaren, welche natürlich beim Rösten abgesengt werden. Erst eine Stunde westwärts, dann westsüdwestwärts gehend, gelangten wir an den rasch von Süden nach Norden strömenden Fluß Oschi. Wir setzten in einem Kanu über und befanden uns nun im Königreich Ilori, womit das eigentliche Jorubaland beginnt. In dem am Ufer des Flusses gelegenen Ort Oschi waren keine Träger zu haben; ein Teil des Gepäcks mußte daher meinem Pferd aufgeladen, das übrige von uns selbst getragen werden. Die Gegend gestaltete sich von Oschi an zu einer fruchtbaren, sorgfältig kultivierten Hochebene. Ein anderthalbstündiger Marsch auf ihr brachte uns bei Sonnenuntergang zu dem lebhaften Marktort Okiossu, der letzten Station vor der großen Stadt Ilori, die man schon mit bloßem Auge am Fuß eines einzelnen Bergkegels liegen sieht. Einer von den freundlichen Einwohnern Okiossus gewährte uns nicht nur Wohnung in seinem Haus, sondern bestellte auch unentgeltlich die nötige Anzahl Träger für den folgenden Tag.

Als ich morgens um halb sieben Uhr von unserem gastlichen Wirt Abschied nahm, gab er mir noch sein vierzehnjähriges Töchterchen zum Tragen meiner Doppelflinte mit. Ich schickte meinen Dolmetscher voraus, damit er mich bei dem Magadji, dem ersten Minister des Königs, anmelde, und folgte mit den anderen langsameren Schritts durch die reichgeschmückte, menschenbelebte Landschaft.

Schon in Kuka und seitdem allerwärts auf dem Weg vom Tschad-See hierher hatte ich so viel von der berühmten Handelsstadt Ilori reden gehört, daß meine Neugier nicht wenig erregt war und mir das Bild eines europäisch zivilisierten Emporiums vorschwebte. Mit umso größerem Entsetzen traf mich der Anblick, der sich uns gleich am Stadttor darbot. Gerade vor dem Eingang, gleichsam als Torwächter, hingen die blutigen Leichname dreier Gepfählter; der spitze Pfahl, mit dem sie durchbohrt worden, ragte noch aus den scheußlich verzerrten Gesichtern heraus. Ganz erfüllt von dem grauenhaften Eindruck ritt ich durch die Straßen bis zu dem großen Platz vor der königlichen Residenz. Hier wurden wir von dem Magadji an der Spitze einer Anzahl anderer Würdenträger empfangen und in sein an demselben Platz gelegenes Haus geführt.


 << zurück weiter >>