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Am 2. Juni um fünf Uhr nachmittags verließen wir Misda, legten aber bis zum Abend nur noch zwei Stunden zurück und lagerten, in einer reichlich mit Kamelfutter bestandenen Gegend, mitten im Flußbett des Sufedjin. Ich mußte nachts im Freien schlafen, denn der Lehmboden war, obschon bewachsen, von der Sonnenhitze so hart gebrannt, daß die eisernen Pfosten meines Zeltes sich nicht tief genug hineintreiben ließen.
Früh um fünf Uhr zogen wir weiter. Schon um neun Uhr vormittags nötigte uns die furchtbare Hitze, Rast zu machen; weder die Kamele noch die Treiber konnten der Sonnenglut länger widerstehen. Meinem weißen Araberhund, einem Spitz, mußten wegen des brennend heißen Erdbodens Sandalen angelegt werden: eine ebenso schwierige wie gefahrvolle Operation, da er äußerst bissig war und sich von niemand berühren ließ; nur mit List gelang es endlich, ihm das Maul zuzubinden, worauf die Sandalen an seinen Beinen befestigt wurden. Später brachte ich ihn dahin, daß er während des Marsches auf dem Rücken eines Kamels Platz nahm. Er war außerordentlich wachsam, sowohl bei Tag wie bei Nacht, und deshalb unentbehrlich für unsere Karawane.
Bis halb drei Uhr »gielten« wir – ich bediene mich dieses undeutschen Ausdrucks und werde ihn noch öfters brauchen müssen, weil es für das arabische »geila«, d. h. während der heißesten Tageszeit lagern, kein Wort in unserer Sprache gibt –, dann wurde der Tagesmarsch in Richtung 200 Grad fortgesetzt. Beim Austritt aus dem Uadi Fessano gelangt man auf ein ausgedehntes Plateau mit derselben Vegetation wie in den Tälern. Hier wohnen die Uled Mschaschia, welche Schaf- und Kamelzucht treiben. Die Gegend ist reich an Gazellen, Hasen, Kaninchen, auch Schakalen und Hyänen, und im Gebirge Kaf-Masusa, das wir südöstlich in etwa fünfzehn Kilometer Entfernung erblickten, sollen noch viele Antilopen hausen. Wir kamen an einem großen Duar (Zeltdorf) der Uled Mschaschia vorbei und wurden von den Bewohnern gastfreundlich mit einem Trunk Kamelmilch gelabt. Ihre Zelte sind geräumiger und besser als die der anderen in Tripolitanien wohnenden Araber. Nun kreuzten wir die von Sintan im Norden nach Ghorian in Fesan führende Straße und betraten nach einer Stunde die Landschaft Brega, in der um halb sieben Uhr das Nachtlager aufgeschlagen wurde. Da hier im Gebiet der Mschaschia kein Raubüberfall zu befürchten war, hielt ich es nicht für nötig, des Nachts Wachen aufzustellen, auch wurden unseren Kamelen nicht die Fußeisen angelegt. Überhaupt ist das Reisen in Tripolis, ausgenommen an der tunesischen Grenze, von wo bisweilen räuberische Stämme auf tripolitanisches Gebiet herüberstreifen, im allgemeinen sicher. Leute wie Bu-Cheil, dessen Bekanntschaft ich in Misda gemacht habe, und seine Bande gehen mehr auf den Raub von Viehherden aus, als daß sie sich an Karawanen vergreifen, zumal letztere ihnen doch meist durch ihre Stärke und gute Bewaffnung imponieren.
5. Juni, Aufbruch um fünf Uhr morgens in Richtung 195 Grad. Über einen niedrigen, nach Westen und Nordwesten streichenden Höhenzug führt der Paß Chorm er-Reschade. Dicht vor demselben machten wir um dreiviertelelf halt, um zu ›gielen‹. Der Boden ringsum ist wie übersät mit fossilen Überresten, doch entdeckte ich wenig nur einigermaßen gut erhaltene Stücke; allerdings machte die erdrückende Sommermittagshitze am Rande der Sahara das Suchen und Einsammeln fast unmöglich. Um halb drei Uhr nachmittags passierten wir den Chorm er-Reschade und gelangten nach einstündiger Wanderung in die sandige, aber gut bewachsene Landschaft Areg-el-Leba. Einer der Kameltreiber hatte hier das Glück, eine Gazelle zu schießen, eine sehr erwünschte Zugabe zu unserer mehr als einförmigen Kost, die des Morgens aus Brot, Butter und Datteln, des Abends aus Basina (Weizenpolenta mit Ölsoße) bestand, welchen Gerichten ich durch Zusatz von Fleischextrakt etwas Geschmack und Kraft zu geben versuchte. Aus der Areg-el-Leba kamen wir an die mehr hammadaartige, doch von vielen kleinen kräuterreichen Oasen, Gra genannt, unterbrochene Gegend Gra-es-Ssoauin. In einer dieser kleinen Oasen wurde um halb sieben Uhr Rast gemacht, und bald waren meine Diener und Kameltreiber zu einem homerischen Mahl versammelt, indem sie neben einem großen Topf voll Basina die halbe Gazelle verzehrten. Endlich waren sie gesättigt, was bei diesen Leuten viel sagen will; denn es blieb noch ein Rest von der Basina übrig, der aber schon am anderen Morgen um zwei Uhr auch noch vertilgt wurde.
Am 6. Juni befanden wir uns bereits morgens um drei Uhr wieder auf dem Marsch in derselben Richtung wie am Tag vorher. Um neun Uhr schlugen wir, um zu ›gielen‹, beim Aghadir-el-Cheil (Pferdewasserplatz) unsere Zelte auf. Mit Futter für die Tiere war unser Zug genügend versehen, aber der Wasservorrat reichte nur noch für zwei Tage, während wir bis Derdj wenigstens noch fünf Tagesmärsche zurückzulegen hatten. Ich beschloß daher, einen des Landes genau kundigen Kameltreiber mit einigen meiner Diener, mit den übrigen Treibern und sämtlichen Kamelen nach dem Bir (Brunnen) el-Klab, der gerade nördlich vor uns liegen sollte, abzusenden, damit dort die Tiere getränkt und unsere Wasserschläuche frisch gefüllt würden. Die Expedition ging nachmittags ab und hatte Weisung, am folgenden Tag wieder auf dem Lagerplatz einzutreffen.
Wir Zurückbleibenden konnten zwar unterdes ruhen, doch war unser Lager in einer völlig baumlosen Ebene bei der glühenden Sonnenhitze kein beneidenswertes. Das Thermometer zeigte jetzt beständig nachmittags fünfunddreißig bis vierzig Grad im Schatten und sank selbst kurz vor Sonnenaufgang nie unter +18 Grad. Dazu traten nun auch schon jene heftigen Windstöße, wie sie in der Sahara so häufig ganz plötzlich entstehen und ebenso plötzlich wieder verschwunden sind.
Bereits vormittags um halb zehn Uhr kehrte anderntags die Expedition zurück. Sie hatte genau mit Sonnenaufgang den Rückmarsch angetreten. In der Nähe des Bir el-Klab war man an einem Duar von Sintanleuten vorübergekommen; die Gegend ist also noch sporadisch bewohnt.
Es war Abend geworden, als wir unseren Halteplatz verließen. Wir zogen in der Richtung von 225 Grad den Uadi el-Cheil entlang aufwärts und drangen mit ihm in das steinige Gebirge ein, in dem er entspringt und durch zahlreiche Täler und Schluchten aus Süden und Norden Zuflüsse erhält. Die Wände dieser Täler, aus Sandstein und Kalk bestehend, erheben sich senkrecht zur durchschnittlichen Höhe von hundert bis einhundertfünfzig Fuß. In einer natürlichen Höhle am linken Felsenufer fand ich Figuren in die Wände gehauen, ziemlich roh ausgeführt, doch immerhin von einer gewissen Stufe der Kultur zeugend, welche die Menschen zu jener Zeit erreicht haben mußten. Die Figuren stellten Elefanten, Kamele, Antilopen und andere Tiere dar, aber auch eine weibliche Menschengestalt mit ausgeprägter Negerphysiognomie in sehr indezenter Stellung. Schriftzeichen konnte ich allerdings nicht entdecken; die eingegrabenen neuarabischen Namen wie Mohammed, Abdallah und die kurzen Koranverse stammen offenbar aus viel späterer Zeit.
Um halb acht Uhr abends berührten wir den Rand der Hammada (mit scharfkantigen Steinen bedeckte Hochebene). Ehe wir sie überschritten, veranlaßten mich meine Kameltreiber, weil ich zum ersten Mal des Weges ziehe, einen kleinen Steinhügel, Bu-sfor oder Bu-saffar (Reisevater), zu errichten. Der Ursprung und die Bedeutung dieser Sitte konnten sie mir nicht erklären, oder ich verstand ihre Erklärung nicht. Erst später erfuhr ich, daß die Bu-sfor Fetische sind, welche den Reisenden, der das erste Mal solche hervorragenden Punkte berührt, vor Ungemach schützen sollen, und daß mit der Aufrichtung eines Bu-sfor zugleich die Verpflichtung verbunden ist, den Reisegefährten ein Mahl zu geben. Man kann sich denken, wie viele dergleichen Hügel an den betreffenden Stellen aufgehäuft sind.
Nachts um halb zwölf Uhr erst wurde zum Kampieren halt gemacht. Auf früheren Reisen hatte ich immer von meinen Begleitern gehört, es sei am besten, die Wasserschläuche beim Lagern aufzuhängen, da die Erde »das Wasser trinke« oder in sich einsauge. Und bei der außerordentlichen Dürre des Bodens mag wohl etwas Wahres daran sein. Ich hatte deshalb nach Sitte der reichen marokkanischen Reisenden Dreifüße zu dem Zweck mitgenommen. Hier nun sah ich, wie meine Kameltreiber die Schläuche der Reihe nach auf eine Matte legten und mit einer anderen Matte sorgfältig bedeckten. »Warum hängt ihr die Schläuche nicht auf?« frage ich. »Weil wir sie dann nicht so gut zudecken können«, war die Antwort. »Und warum müssen sie zugedeckt sein?« »Weil der Mond sonst das Wasser trinkt.« Es würde vergeblich gewesen sein, ihnen den Aberglauben benehmen zu wollen, und so ließ ich sie gewähren. Meine städtischen Diener, die sich weit klüger und aufgeklärter dünkten als die Bewohner der Hammada, protestierten zwar erst dagegen; als aber einer der Kameltreiber mit einem Schwur beteuerte, der Mond trinke das Wasser und die Schläuche müßten dann zerplatzen, schienen auch sie bekehrt und überzeugt. Sie ließen die Schläuche auf den Matten liegen und ruhten selbst auf der bloßen Erde.
Unterwegs bemerkte ich, daß die Kameltreiber einer kleinen Eidechse mit plattem Kopf, Bu-Bris genannt, einer Gekko-Art, eifrig nachstellten und jede, derer sie habhaft wurden, töteten. Sie meinten, das Tierchen vergifte durch seinen Hauch die Speisen, es könne dem Menschen einen Ausschlag anspritzen, und schwangere Frauen, die von ihm angeblickt würden (Basiliskenblick), kämen mit gefleckten Kindern nieder. Das unschuldige Tierchen ist in diesem Teil der Vorwüste überaus häufig. Um die Leute von der Torheit ihres Wahns zu überzeugen, nahm ich eine Bu-Bris in die Hand, setzte sie auf meinen Fuß und ließ sie über meinen Teeteller laufen – aber vergebens, sie blieben bei ihrem abergläubischen Vorurteil und sagten, ich sei gegen das böse Wesen gefeit.
Am 10. Juni durfte ich hoffen, endlich unser nächstes Ziel, die Oase Derdj, zu erreichen. Es war höchste Zeit: Infolge der großen Hitze waren die Kamele von dem achttägigen Marsch durch die Hammada erschöpft, meine Diener ertrugen zum Teil nur schwer die ungewohnten Strapazen, und zwei von ihnen sowie ich selbst litten an Diarrhöe, die trotz starker Opiumgaben nicht weichen wollte. Mich hatte der kurze Wüstenmarsch bereits so abgemagert, daß ich meine Geldkatze, die mir früher zu eng gewesen war, jetzt noch um fünf Zoll einnähen mußte, ja, ich fühlte an den abnehmenden Kräften, daß eine ernstliche Krankheit im Anzug war.
Wir zogen noch an einigen Gra vorüber, erblickten im Norden von uns auf etwa acht Kilometer Entfernung den Djebel el-Chaschm-el-Dub und durchschritten um halb neun Uhr den Chorm Tuil-el-Nailat (Langer Paß der Sandalen). Um zehn Uhr ›gielten‹ wir. Ich sandte zwei Diener mit meinem Bu-Djeruldi voraus, damit sie mich bei den Bewohnern Derdjs anmeldeten und einen guten Lagerplatz für uns aussuchten. Der Zug folgte ihnen erst um vier Uhr nachmittags.
Abends erreichten wir endlich den Ort Derdj, nachdem schon lange vorher Spuren von Menschen und Tieren uns dessen Nähe verkündet hatten. Die Einwohner bereiteten mir einen recht freundlichen Empfang, der Bu-Djeruldi schien seine Wirkung auf sie nicht verfehlt zu haben. Für unser Lager hatten sie einen reizenden Platz, unter Palmen und hinlänglich mit Wasser versehen, bestimmt, allein ich zog es vor, auf der luftigeren Hammada zu kampieren, wo ich mir von den frischen Winden einen heilsamen Einfluß auf meine stark angegriffene Gesundheit versprach.
Außer dem Hauptort Derdj hat die Oase Derdj (Stufe), so genannt, weil sie am steilen Abhang oder Rand der Hammada liegt, noch drei kleinere Ortschaften: Tugutta, Tefelfelt und Matres. Die Bewohner von Derdj, Tugutta und Tefelfelt sind nicht arabischen, sondern berberischen Ursprungs; nur Matres ist von Arabern bewohnt. Erstere werden von den umwohnenden Stämmen auch mit dem gemeinsamen Namen Mammeluki belegt, was wohl auf ihre frühere Verbindung mit der Regierung von Tripolis hindeuten soll. Aber weder die Berber noch die Araber der Oase Derdj zeigen im Äußeren die charakteristischen Merkmale dieser Völkerrassen, sie sind so stark mit Negerblut durchsetzt, daß man sie eher wohlgestaltete Schwarze mit kaukasischer Gesichtsbildung nennen als zu den Weißen rechnen möchte. Ihre Gemütsart anlangend, fand ich sie gastfrei, gutmütig, aber etwas apathisch. Mit der Reinlichkeit schienen sie in beständigem Kampf zu leben, dagegen mit dem Schmutz auf vertrautestem Fuß zu stehen. Die Häuser, aus Stein erbaut, gleichen ganz den in den übrigen Ksors dieser tripolitanischen Gegend. Ihr Inneres ist unsauber und dient Ziegen wie Menschen zum gemeinsamen Aufenthalt. In den meisten gibt es jedoch einen abgesonderten Raum, ein Staatszimmer, in dem die Mitgift der Frau oder der Frauen, in einer großen Zahl messingener Schüsseln bestehend, aufbewahrt wird. Alle die blanken Schüsseln prangen hier an den Wänden und werden nie benutzt, scheinen also keinen anderen Zweck zu haben, als den Reichtum der Familie zur Schau zu stellen, da Kupfer hierzulande ein seltenes und kostbares Metall ist.
Der Boden um Derdj wird hauptsächlich durch das Uadi Tinaout bewässert. Außer dem oberirdisch fließenden Wasser fördert man jedoch auch Wasser durch Fogarat (unterirdische Galerien, Brunnen) sowie durch Ziehbrunnen zutage. Die vorhandenen Palmengärten würden zur Ernährung der Einwohnerschaft mehr als ausreichen, wenn nicht zwei Drittel der Gärten und Bäume an Rhadameser oder an Djebeli verkauft wären. Es zeugt für die Indolenz der Bewohner, daß sie einen Teil ihres Grund und Bodens und ihrer kostbaren Habe, der Dattelbäume, infolge schlechter Wirtschaft in fremden Besitz kommen ließen. Wie überall in den Oasen werden auch hier Bäume und der Boden, auf dem sie stehen, getrennt voneinander verkauft, ein Gebrauch, der natürlich oft zu heftigen Streitigkeiten Anlaß gibt; so klagt z. B. der Besitzer einer Palme gegen den Grundeigentümer, der Baum sei eingegangen, weil er nicht genügend bewässert worden sei usw. Das Areal, selbst das von Gärten, ist in Derdj, wenn man die Fruchtbarkeit des Bodens und den Wasserreichtum in Betracht zieht, billig zu haben. Felder mit fließendem Wasser werden natürlich teurer bezahlt. Hingegen stehen die Bäume, den Wert des Geldes in Anschlag gebracht, verhältnismäßig hoch im Preis. Für eine Palme der edleren Gattung, zumal eine solche, die alljährlich eine Kamelladung Datteln liefert, zahlt man bis zu über hundert Mahbub, für eine Kamelladung Datteln der besten Sorte sieben bis acht Mahbub. Die Zahl der Dattelpalmen in den vier Orten zusammen dürfte sich auf ungefähr dreihunderttausend Stück belaufen. Was die sonstige Produktion betrifft, so unterscheidet sich die Oase Derdj nicht von den anderen Oasen der Hammada. Sie hat außer dem Zehnten von allen Früchten 1182 Mahbub an Abgaben zu entrichten.
Mein Unwohlsein steigerte sich in bedenklicher Weise. Der Mudir des Ortes riet mir, Lakbi dagegen zu nehmen, und ich nahm in der Tat einen Topf voll dieses abscheulichen Getränks zu mir. Anfangs verschlimmerte sich die Diarrhöe danach, aber gegen Abend des zweiten Tags spürte ich Besserung, so daß ich mich imstande fühlte, den kurzen Marsch nach Rhadames zurückzulegen, wo ich auf bessere Verpflegung und längere Ruhe hoffen durfte. Da meine Kameltreiber aus Misda dorthin zurückgekehrt waren, mietete ich in Matres andere, und nachdem ich noch, soweit ich es vermochte, alle Bettler in Derdj befriedigt hatte, brachen wir am 15. Juni morgens um halb acht Uhr auf.
In Richtung 275 Grad längs dem Uadi Milha hinziehend, erreichten wir nach drei Stunden Matres und ›gielten‹ daselbst im Schatten einiger Palmen. Der kleine Ort hat nur zirka hundert Einwohner, die sich hauptsächlich vom Vermieten ihrer Kamele ernähren, denn Palmen gibt es dort nicht viele, und die meisten davon sind Eigentum der Rhadameser.
Der Weg von hier nach Rhadames soll nicht allzu sicher sein. Mehrere Leute von Derdj, von Matres und einige vom Stamm der Uled Mahmud baten daher, sich mir anschließen zu dürfen, und da sie alle mit Flinten bewaffnet waren, sah ich diese Verstärkung meiner Karawane nicht ungern, obschon ich neue Angriffe auf meine Mundvorräte von ihnen gewärtigen mußte, eine Voraussicht, die sich dann auch in vollem Maße bestätigte.
Um fünf Uhr nachmittags zogen wir in Richtung 265 Grad weiter. Ich hatte die Absicht, den Marsch bis Mitternacht fortzusetzen, um von der Kühle der Nacht zu profitieren. Aber kaum war eine halbe Stunde im langsamen und gleichmäßigen Kamelschritt zurückgelegt, als an der Spitze der Karawane sich ein großer Lärm erhob, in dem ich sofort das klagende Gebrüll eines Kamels unterschied. Ich ritt in der Regel am Ende des Zuges, um etwaige Unordnungen leichter wahrnehmen und abstellen, auch die Leute besser überwachen zu können. Schnell trieb ich mein Kamel an; die ganze Karawane machte inzwischen halt, und so ließ sich mit einem Blick das angerichtete Unglück überschauen. Mein Neger Cheir hatte aus Versehen mit seinem Stock dem Tier das rechte Auge aus dem Kopf geschlagen, das nun blutig am Boden lag. Bekanntlich haben die Kamele sehr stark hervortretende Augen. Während das verletzte Tier noch immer sein klägliches Gebrüll ausstieß, lärmte und tobte der Eigentümer desselben, ein Bewohner von Matres, und drohte sogar handgreiflich zu werden. Was war zu tun? Er sprach vom Kadhi, von Schadenersatz oder Umtausch gegen eines meiner Kamele, und ich selbst konnte ihm nicht unrecht geben, denn sein Kamel war ein junges und starkes Tier. Am liebsten hätte er es gesehen, wenn die ganze Karawane nach Derdj zurückgekehrt und der Fall dem dortigen Kadhi zur Entscheidung übergeben worden wäre. Darauf ging ich jedoch nicht ein, sondern sagte ihm, falls er die Sache vor den Richter bringen wolle, könne er dies in Rhadames ebensogut tun. Indessen hoffte ich, bis dahin mich gütlich mit ihm zu einigen. Nachdem er noch eine kurze Strecke parlamentierend neben mir hergegangen, erbot er sich schließlich, ein anderes Kamel aus Matres zu holen und mir dann zum Kadhi von Rhadames zu folgen. Er machte sich auf den Weg, und wir lagerten um sechs Uhr, um seine Rückkunft zu erwarten. Wirklich erschien er nach einigen Stunden wieder, aber statt eines Kamels seinen Bruder mitbringend. Auch dieser verlangte, daß ich mit ihnen umkehren oder wenigstens den Täter, meinen Neger Cheir, an den Kadhi von Derdj zur Aburteilung entsenden solle. Als sie aber sahen, daß ich fest auf dem Weitermarsch beharrte, schlugen sie zuletzt vor, ich möge selbst als Bei (sowohl in meinem Firman wie in dem Bu-Djeruldi war mir der Titel Bei verliehen) das Urteil in der Sache fällen – ein sehr schlauer Vorschlag, denn sie appellierten damit zugleich an meine Gerechtigkeit und an meine Großmut. Ich gestand ihnen denn auch, wie von Anfang an, bereitwilligst zu, daß sie Anspruch auf Schadenersatz hätten, gab ihnen aber zu bedenken, wie ungerechtfertigt ihre Forderung wäre, den vollen Wert des verletzten Tieres bezahlt zu erhalten, da ein Kamel doch kein Luxustier sei und der Verlust eines Auges seine Tragfähigkeit nicht beeinträchtige; selbst der fünfte Teil des Wertes würde daher ein noch viel zu hoher Ersatz sein. Sodann fragte ich sie, ob nach dortigem Gebrauch der Herr für jeden Schaden, den sein Diener angerichtet, unbedingt aufkommen müsse. »Cheir«, lautete die Antwort, »ist kein Diener, sondern dein Sklave.« Wäre dies richtig gewesen, so hätte ich allerdings die Verpflichtung gehabt, vollen Ersatz zu leisten, denn wie alles, was der Sklave verdient, nach mohammedanischem Recht seinem Herrn gehört, ist auch der Schaden, der durch einen Sklaven angerichtet wird, von seinem Herrn zu tragen. Ich schwor, daß Cheir nicht mein Sklave, sondern ein gemieteter Diener sei, und meine übrigen Diener beschworen dasselbe mit den kräftigsten Eiden. Der Mohammedaner liebt es bekanntlich, bei jeder Gelegenheit zu schwören, und erwartet auch von anderen die Beteuerung der geringfügigsten Aussage durch einen feierlichen Schwur. Daß von Cheir selbst, der seit kurzem erst in meinen Diensten stand, folglich keine Schätze besaß, nichts zu erpressen war, leuchtete den beiden Brüdern ein. So fügten sie sich denn vorläufig in ihr Mißgeschick, zumal sie keinen Augenblick zweifelten, die Medizin, Charpie mit Wachssalbe bestrichen, die ich dem armen Tier zur Linderung der Schmerzen in die leere Augenhöhle gedrückt, werde demselben ein neues Auge verschaffen, und als am anderen Morgen die Karawane aufbrach, waren wir vollkommen gute Freunde.
Endlich, am 17. Juni, sollte der letzte Tagesmarsch zurückgelegt werden. Um vier Uhr morgens verließen wir unseren Lagerplatz und erreichten, westlich vorrückend, um sechs Uhr den Fuß des relativ etwa fünfhundert Fuß hohen Berges Krab; nach zehn Minuten war die Höhe erstiegen, und ohne Aufenthalt ging es den weniger steilen westlichen Abhang hinunter. Westlich von Djebel Krab hört alle Vegetation auf; in der Umgebung von Rhadames ist kein Strauch, kein Halm mehr zu erblicken. Ich ließ um neun Uhr morgens ›gielen‹ und sandte meinen Burschen Hammed in Begleitung einiger anderer meiner Leute mit dem Bu-Djeruldi voraus. Kurz vor Sonnenuntergang langte die ganze Karawane vor Rhadames an.
Die Stadt hat an der Nordwestseite drei Tore. Beim ersten, glaubte ich, würde uns Hammed erwarten; er war aber nicht dort, auch beim zweiten und dritten trafen wir ihn nicht an. Wir kehrten daher zum ersten, dem Haupttor, zurück und hielten durch dieses unseren Einzug, gefolgt von einem Schwarm Kinder der Tuareg, welche außerhalb der westlichen Ringmauer der Stadt zu lagern pflegen. Auch eine Menge Rhadameser hatte sich mittlerweile dem Zug angeschlossen, doch schien die allgemeine Aufmerksamkeit weniger auf mich und mein Gefolge als auf meinen Hund Mursuk gerichtet zu sein. Wohl noch nie zuvor war den meisten Bewohnern von Rhadames ein Hund zu Gesicht gekommen, denn die Slugi (Windhunde), die die Tuareg mit sich führen, werden von den Rhadamesern nicht zum Hundegeschlecht gerechnet.
Es war bereits das zweite Mal, daß ich in Rhadames einzog; ein Jahr vorher hatte ich auf dem Weg von Rharb (Marokko), für einen frommen Mohammedaner geltend, die Stadt betreten. Im Vorüberziehen hörte ich, wie die einen behaupteten, ich sei Christ, wogegen andere schworen, ich sei Türke, und noch andere mir »Willkommen, Konsul!« zuriefen. Vor der Wohnung des Kaimmakam, des türkischen Gouverneurs von Rhadames, ließ ich den Zug halten.
Ehe ich aber in der Erzählung meiner Reiseerlebnisse fortfahre, will ich versuchen, den Leser etwas näher mit dieser merkwürdigen Stadt bekannt zu machen.