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Es war, wenn ich nicht irre, Madame von Sevigné, welche sagte: »daß der Kaffee und Racine zusammen vergessen sein würden«. Dieser Anspruch würde dem Prophetenblick dieser Dame sehr viel Ehre machen, wenn ihm nicht leider jener andere entgegenstände: »daß er seine Verse für die Champmêlé schreibe, nicht für die Zukunft«.
Der Kaffee und Racine kamen fast gleichzeitig auf die Welt, so viel ist wahr. Racine ward im Jahre 1639 geboren und fünf Jahre später brachte Larogue den ersten Kaffee nach Marseille. Sein Empfang in Frankreich war kein enthusiastischer. Soliman-Aga, türkischer Gesandter am Hofe Ludwig's XIV. (zwischen welchem und dem Großherrn bekanntlich eine entente cordiale bestand), lud einmal, Anno 1669, die großen Herren von Paris ein, in seinen prächtigen Gemächern Kaffee mit ihm zu nehmen. Die französische Noblesse kam und gerieth außer sich vor Entzücken über seine famosen – Pantoffeln; aber sie verzog das Gesicht über sein »bitteres und schwarzes« Getränk. Vielleicht hätte der Kaffee ihnen geschmeckt, sagt ein witziger Franzose, wenn er himmelblau oder wenigstens perlgrau gewesen wäre.
Trotz dieser nicht sehr ermunternden Erfahrung eröffnet der Diener des Gesandten, ein Armenier, den ich in den französischen Büchern Pasqual genannt finde, 1670 das erste Kaffeehaus in Paris, auf dem Markte St.-Germain. Jedoch ein geneigtes Publikum fand kein größeres Wohlgefallen an dem neuen Getränk als ein hoher Adel; und eines Tags daher schloß er seine Butike und wanderte nach London.
Wir dürfen uns dem beruhigenden Glauben hingeben, daß es dem strebsamen Armenier hier bester erging als in Paris. Wenn auch immerhin noch eine Neuigkeit, so lag ihm doch das gefährliche Geschäft nicht ob, überhaupt der erste zu sein, der den Kaffee einführte. Schon 20 Jahre vor seiner Ankunft, während der Republik unter Cromwell, hatte ein jüdischer Mann, Namens Jacobs, ein Kaffeehaus zu Oxford etablirt, und der » Mercurius Politicus« vom 30. September 1656 nennt »The Sultanes' Copheehouse« in Sweeting's-Lane zu London. Zwischen diesen beiden Daten, gleichfalls in den fünfziger Jahren, entweder 1652 oder 1657 (die Quellenangaben differiren) hatte ein östlicher Landsmann und Namensvetter unsers Armeniers, ein gewisser Pasqua Rosee aus Ragusa, in Gemeinschaft mit einem londoner Kutscher, ein drittes Kaffeehaus zu London, nicht weit von der Börse, begründet, und dieses Compagniegeschäft war es, welches, dank dem Eifer seines Chefs, zu einer großen Notorietät gelangte und daher für eine Geschichte der Kaffeehäuser in London immer den Ausgangspunkt bilden wird.
Pasqua Rosee, der Ragusaner, war nach London gekommen, wie Pasqual, der Armenier, nach Paris, als Bedienter eines großen Herrn, der ihn zu einer gewissen Zeit entließ, um seinen Landsleuten die morgenländische Kunst der Kaffeebereitung zu lehren. Als Geschäftszeichen der Kaffeehäuser scheint in einer etwas spätern Zeit, »der Kopf des Sultans Amurath« ziemlich allgemein gewesen zu sein, mit der Unterschrift:
Morat ye Great men did me call;
Where eare I came, I conquered all.
(Morat, Amurath, der Große, nannten mich die Leute,
Wohin immer ich kam, ich besiegte alle.)
Unser Ragusaner jedoch nahm seinen eigenen Kopf, versteht sich in effigie. Daß ihn das Glück und die Umstände begünstigten, ist schon angedeutet worden; er ließ es aber auch nicht an ehrlicher Mühe fehlen, seinen Artikel gebührend herauszustreichen. Es gab schon damals Zeitungen, und die Zeitungen brachten auch Ankündigungen. Alle Blätter aus jener Zeit bringen Ankündigungen; die » London Gazette« hatte eine eigene Rubrik für » Advertisements«, welche freilich, mit unsern Mitteln der Publicität verglichen, noch ein sehr kindliches Aussehen haben. Eine Nummer der » Gazette« z. B. (aus dem Jahre 1689), welche ich in einer londoner Trödlerbude erstand, hat acht Annoncen, von denen drei sich auf gestohlene und zwei auf verlorene Sachen beziehen. In einer sechsten wird ein entlaufener Sohn gesucht, Nr. 7 kündigt eine »Geschichte der Krönung Jakob's II.« und Nr. 8 ein Erbauungsbuch unter dem Titel an: »Ernsthafte Betrachtungen über Zeit und Ewigkeit, nebst einer Einleitung über die Art, wie die Juden ihr Neujahr feiern.« Die Insertionsgebühr war nach unserm Begriff ziemlich hoch, und scheint sich anfänglich nicht nach der Zahl der Zeilen, sondern nach dem Werthe des Gegenstands gerichtet zu haben. Der » Jockey Intelligencer« von 1683 berechnete für ein Pferd oder eine Kutsche einen Schilling, und sechs Pence bei der Wiederholung; der » Observator reformed« inserirte acht Zeilen für einen Schilling; aber der » Country Gentleman's Courant« ging schon wieder in die Höhe, da er sah, »daß die Beförderung des Handels eine Sache sei, die man ermuthigen müsse«, und nahm demgemäß zwei Pence für die Zeile. Bücheranzeigen finden sich, wie oben ersichtlich, schon früh. Die erste Theateranzeige (und zwar vom Lincoln's Inn Theater) brachte die » English Post« von 1701, und das erste große Annoncenblatt nach Art der heutigen Zeitungen war der » General Advertiser« von 1745. Indessen hielten es, bei der wahrscheinlich noch mäßigen Abonnentenzahl der damaligen Blätter und den Zwischenräumen von mindestens einer halben Woche, in denen die meisten erschienen, die Geschäftsleute jener Zeit für ebenso gut, sogenannte » hand-bills« auszugeben, Billets, die, den Vorübergehenden an den Straßenecken, wie ihr Name sagt, »eingehändigt« wurden – eine Mode, noch heute in Uebung für gewisse Mittheilungen medicinischen und naturwissenschaftlichen Inhalts, denen sich sogar die sonst so liberalen Annoncenspalten der englischen Blätter verschließen – ganz so, wie sie es auch schon zu Hogarth's Zeiten gewesen. (Vgl. » A Harlot's Progress«, Platte 5.)
Eins von diesen Pasqua'schen Laden- und Handbillets ist auf die Nachwelt gekommen. Es trägt die Überschrift: »Die Tugend des Kaffeegetränks.« Dieser Tugenden sind mehr, als man sich heute, alle wohlthätigen Wirkungen einer guten Taffe Kaffee zugegeben, einbilden könnte. »Es ist ein einfaches, unschuldiges Ding«, heißt es; »es macht das Herz fröhlich. Es ist gut gegen schlimme Augen, und um so besser, wenn man seinen Kopf darüber hält und den Dampf einathmet. Es ist gut gegen den Husten. Es ist ein vortreffliches Mittel, um zu verhüten und zu heilen die Wassersucht, die Gicht und den Scharbock; ebenso gegen das Königsübel, den Spleen, die hypochondrischen Winde u. dgl. Auch erhält es die Haut rein und weiß.« Als ein besonderer Vortheil wurde noch angeführt, daß man den Kaffee so heiß, als man wolle, trinken könne, »ohne daß man Blasen auf die Zunge bekäme«.
Die Unterschrift des Zettels besagt, daß dieses Getränk einzig gemacht und verkauft werde in St.-Michaels Alley in Cornhill, von Pasqua Rosee, »unter dem Zeichen seines eigenen Kopfes«.
Unter vielem andern enthält dieser Zettel auch noch eine Art von Recept über die Zubereitung des Kaffees, in welchem es heißt, daß »die Beere zuerst in einem Ofen getrocknet, dann zu Pulver gemahlen und mit Quellwasser aufgekocht werde«. Diese primitive Vorschrift, welche sich in der That sehr harmlos ausnimmt gegen die feinen Meditationen Brillat-Savarin's über »die verschiedenen Manieren, den Kaffee zu machen«, bezeichnet noch den heutigen Standpunkt der Engländer. Weit entfernt von jener erhabenen, man könnte wol sagen idealen Auffassung des berühmten Physiologen des Geschmacks, ist der Kaffee in England durchschnittlich das Schlechteste, was man trinken kann; und dies, verbunden mit einigen andern Gründen klimatischer Natur, mag wol der Grund sein, weswegen man im allgemeinen in dem Lande, in welchem man ihm am frühesten huldigte, dem Kaffee wieder ungetreu geworden und zu dem nationalen Thee zurückgekehrt ist.
Zu der angedeuteten Zeit jedoch war der Kaffee sehr en vogue, und das Kaffeehaus wurde bald für den Engländer, namentlich Londoner, eine Stätte bisher ungekannten Vergnügens und neuer Geselligkeit.
Es fehlte natürlich nicht an jener Opposition, welche jede Neuerung, wie es scheint, betreffe sie nun die Wissenschaft, die Mode oder die Küche, zu bestehen hat. Das Wenigste, was man sagen konnte, war: daß man sich trotz der Versicherung von Pasqua's Handbillets die Zunge verbrenne, wenn man den Kaffee zu heiß trinke. Es regnete Satiren und Pamphlets gegen »das neue Getränk, genannt Kaffee« ( a sort of liquor, called coffee), von denen uns einige bewahrt sind in der köstlichen Curiositätensammlung Isaak D'Israeli's ( Curiosities of literature, II, 322 fg.). In einer dieser Schriften: »Eine Tasse Kaffee oder Kaffee in all seinen Farben«, aus dem Jahre 1663, klagt der anonyme Verfasser über den Verfall seiner Generation, die er »englische Affen« nennt; er beschwört die Schatten ihrer Vorfahren und ruft den männlichen Geist Ben Jonson's, die nobeln Erscheinungen Beaumont's und Fletcher's auf, welche reinen Nektar tranken, mit reichem Canariensect veredelt – während diese »Kaffeemänner«, diese »Söhne des Nichts«, des Weines reines Blut aufgeben für ein ekelhaftes Getränk, »Sirup von Ruß, Essenz aus alten Schuhen«.
Noch weiter in seinem Zorn ging der Autor einer »Petition der Frauen gegen Kaffee«, 1674, welcher seine schönen Beschwerdeführerinnen klagen läßt, daß der Kaffee »die Männer so unfruchtbar mache als die Wüsten seien, aus welchen, dem Vernehmen nach, jene unglückselige Beere gebracht wird, und daß die Abkommenschaft unserer mächtigen Vorfahren in eine Nachfolge von Affen und Pygmäen zusammenschrumpfen werde«.
Wenn diese Petition gegen den Kaffee eine fingirte war, so sollte doch eine sehr ernsthaft gemeinte bald folgen. Es erschien nämlich unter dem 21. December 1657 eine Anzahl von Bürgern der City vor dem Magistrat, um eine Beschwerdeschrift gegen einen gewissen Farr einzureichen, welcher, wie daraus hervorgeht, Barbier war, bevor er »Kaffeemann« geworden. Dieser Mann, James Farr, Gründer des nachmals sehr berühmt gewordenen »Regenbogen«, wird beschuldigt: »zu machen und zu verkaufen einen Trank, genannt Kaffee, wodurch er, indem er denselben macht, seine Nachbarn mit übeln Gerüchen Es ist überhaupt merkwürdig, daß der Geruch des Kaffees den biedern Briten so sehr unangenehm gewesen zu sein scheint; jener oben citirte Pamphletist nennt ihn geradezu einen »Gestank« und gebraucht für die Kaffeetrinker das nicht eben elegante Bild von »Pferden an der Tränke«. belästigt, und zu halten Feuer während des größten Theils des Tags und der Nacht, wodurch sein Schornstein und seine Wohnung in Brand gesetzt worden ist, zur großen Gefahr und zum Schreck seiner Nachbarn«.
Allein diese Vorurtheile und Verfolgungen, zu welchen demnächst, wie wir sehen werden, noch ganz andere und aus ganz andern Regionen hinzukamen, waren nicht im Stande, der rasch wachsenden Popularität der neuen Institution Einhalt zu thun.
Noch vor Ablauf des (17.) Jahrhunderts bildeten die Kaffeehäuser eine Sehenswürdigkeit von London. Als solche sind sie notirt in den » Mémoires et observations faites par un voyager en Angleterre« (Haag 1698), einem jener kleinen, aber hübsch mit Karten und Bildern ausgestatteten Bande, wie sie damals zahlreich aus den Pressen von Holland hervorgingen, um im Sinne Wilhelm's III. auf dem Continent Propaganda zu machen für die protestantische Succession und gegen die Jakobiten. In diesem Buch und in dem angegebenen Jahre heißt es unter » Caffez«: »Diese Sorte von Häusern (auf englisch Coffee-houses), deren Zahl in London sehr groß ist, sind außerordentlich bequem. Man hat dort die Neuigkeiten; man wärmt sich dort soviel man will; man trinkt dort eine Tasse Kaffee oder etwas anderes; man trifft sich dort, um Geschäfte zu machen, und alles dies für einen Sou, wenn man nicht mehr ausgeben will.«
Dies Entrée von einem »Sou«, oder richtiger, »Penny«, nach welchem die Kaffeehäuser in jener Zeit bald »Pfenniguniversitäten« genannt wurden, scheint nach unsern Begriffen seltsam; doch existirt es noch heute in dem einen oder andern londoner Lesecabinet, wo man für diesen oder je nach dem Range höhern Preis »die Zeitung und eine Tasse Kaffee«, hier und da sogar noch eine Cigarre dazu bekommt (z. B. in Wylde's Coffee-house, Leicester-Square, und Simson's Cigar Divan, Strand). Doch war dies nicht die einzige Verpflichtung für denjenigen, der damals ein Kaffeehaus besuchte. Sogleich beim Eintritt in dasselbe belehrte ihn ein großes an der Wand hängendes Reglement in Versen, was er hier thun und nicht thun dürfe. John Timbs, in seiner Compilation: » Club life of London« John Timbs, F.S.A., Club life of London, with anecdotes of the clubs, coffee-houses and taverns of the metropolis during the 17th, 18th and 19th centuries (2 Bde., London, Bentley, 1866). Nur als Nachschlagebuch zu gebrauchen; eine stellenweise sogar ziemlich ungenaue, aber im ganzen doch reichhaltige Zusammenstellung des fast unerschöpflichen Materials, von dem Timbs freilich das Beste (ohne es jedesmal anerkannt zu haben) dem trefflichen » Handbook of London« von Peter Cunningham verdankt. Man sehe die Recension im » Athenaeum« (3. März 1866, Nr. 2001, S. 294)., deren wir uns im Verlauf unserer Untersuchung zuweilen bedienen werden, hat eine von diesen » civil orders« mitgetheilt. Wir lernen daraus zuerst, daß jeder, von welchem Stand immer, hier willkommen war; einen Vorrang der Sitze gab es nicht (wahrscheinlich hatten die continentalen Congresse daß Beispiel gegeben, welches man nicht befolgen sollte); niemand brauchte aufzustehen, wenn eine »feinere Person« nach ihm hereinkam; wer sich so weit vergaß, zu fluchen oder gar Streit anzufangen, mußte zur Strafe im ersten Falle 12 Pence, im andern für jeden anwesenden Gast eine Tasse Kaffee zahlen. Man sollte heiter sein und plaudern, aber nicht zu laut; gänzlich verboten war es, über Religion und Politik zu sprechen. Karten und Würfel waren nicht erlaubt; Wetten nur bis zum Betrage von 5 Shilling. Die letzte Vorschrift an die Gäste war: ihre Rechnungen zu bezahlen.
Das Verbot politischer Gespräche im Kaffeehause bezieht sich auf einen Vorfall während Danby's Ministerium (1673-78). Von dem Augenblick, wo Kaffeehäuser in London entstanden und in die Mode kamen, nahmen sie auch einen politischen Charakter an. Dies war nur zu natürlich unter den damaligen Umständen, wo seit Jahren kein Parlament berufen, wo der Magistrat nicht mehr im Sinne der Bürger sprach, wo mit Einem Wort die verfassungsmäßigen Stimmen der Stände corrumpirt oder zum Schweigen gebracht, und die Stimme des neuen vierten Standes, der Presse, noch nicht mächtig genug geworden, um überall gehört zu werden; es blieb daher nichts übrig als die Kaffeehäuser, welche, wie Macaulay sagt ( History of England, Kap. 3) »die Hauptorgane wurden, durch welche die öffentliche Meinung der Metropolis sich Luft machte«.
Dem Hofe war das Entstehen »dieser neuen Macht im Staate« lange schon unbehaglich gewesen, und zu der angegebenen Zeit machte man den Versuch, die Kaffeehäuser von London zu schließen.
Unter den zahlreichen Acten tyrannischer und unweiser Politik, welche zuletzt den Sturz der Stuarts herbeiführten, ist vielleicht einer der tyrannischsten und unweisesten die Proclamation »betreffend die Unterdrückung der Kaffeehäuser« vom 20. December 1675. In der Motivirung dieses Erlasses (mitgetheilt bei D'Israeli, Royal Proclamations III, 379); heißt es, daß er gegeben sei, weil »die Menge von Kaffeehäusern, neuerlich errichtet und gehalten innerhalb dieses Königreichs, und der große Andrang müßiger und nichtsnutziger Personen zu ihnen, sehr böse und gefährliche Wirkungen hervorgebracht habe«, indem sie besonders dazu dienten, Gerüchte zu verbreiten und Handelsleute zu verführen, ihr Geschäft zu vernachlässigen, und daß durch diese müßige Verschwendung von Zeit und Geld dem Gemeinwesen ein Schaden erwachse. Es wird daher für alle Kaffeehausbesitzer verordnet, »daß sie oder irgendeiner von ihnen sich nicht unterfange ( do not presume) vor oder nach dem künftigen 10. Januar zu halten ein öffentliches Kaffeehaus oder zu verkaufen und verzehren zu lassen in seinem, ihrem oder ihren Haus oder Häusern Kaffee, Chocolade, Sorbet oder Thee, da sie mit ihrer äußersten Gefahr dafür verantwortlich sein sollen«.
Aber es ist das Schicksal, wie man weiß, dieser ministeriellen Verbote stets gewesen, derartigen Versammlungen und Zusammenkünften, die ohne dieselben wahrscheinlich harmlos geblieben sein würden, einen Charakter zu verleihen, und dadurch genau das zu bewirken, was man vermeiden wollte. Schon ein sehr vernünftiger von den Kronjuristen jener Zeit, Kennet, urtheilte misfällig über die Maßregel; er sagt, daß die Unzufriedenen existirt hätten, bevor sie sich in den Kaffeehäusern getroffen hätten, und daß die Proclamation ein Uebel unterdrücken wollte, welches nicht zu unterdrücken sei. Hören wir, was Macaulay (a. a. O.) sagt: »Männer von allen Parteien vermißten ihre gewöhnlichen Plätze der Erholung so sehr, daß ein allgemeiner Schrei der Entrüstung gehört ward, und die Regierung wagte nicht, in Opposition mit einem so starken und gleichmäßig verbreiteten Gefühl, eine Maßregel zu erzwingen, deren Legalität wol in Frage gestellt werden konnte.«
Das Resultat war, daß die Proclamation zurückgenommen und die Kaffeehäuser wieder geöffnet wurden, aber unter folgenden Restriktionen: »es sollte strafbar sein, und zwar sowol für die Sprecher als die Zuhörer, falsche Nachrichten zu verbreiten und unvorsichtige ( licentious) Gespräche über Staat und Regierung zu führen.«
Jedermann weiß, daß diese Strafandrohungen Danby's Sturz und das Exil der Stuarts nicht verhinderten, ja nicht einmal verzögerten; und es dürfte nicht sehr gewagt sein, zu behaupten, daß diejenigen, welche durch königlichen Erlaß gezwungen waren, in den Kaffeehäusern zu schweigen, den Befreier und zweiten Eroberer, Wilhelm von Oranien, um so stürmischer begrüßten, als er am 18. December 1688 seinen Einzug in London hielt.
Seit jenem Tage sind die Kaffeehäuser eine feststehende Institution nicht nur des londoner, sondern des britischen Städtelebens im vorigen Jahrhundert überhaupt geworden; und sie hatten fortan bis in das letzte Drittel des genannten Jahrhunderts in socialer und politischer Hinsicht den Platz und die Bedeutung, welche seitdem bis auf die Gegenwart die Clubs haben. Wenn sich auch so spät wie 1708 noch eine Stimme hören läßt, welche klagend ausruft (Hatton, New view of London): »Wer hätte gedacht, daß London jemals dreitausend solcher Plagen ( nuisances) haben, und daß Kaffee (wie nun der Fall) so viel von den besten Ständen und Aerzten getrunken werden würde?« – so geht doch daraus nur so viel hervor, daß im Verlauf von nicht viel mehr als 50 Jahren sich in London 3000 Kaffeehäuser etablirt hatten, und daß dieselben von allen besucht wurden, welche Anspruch auf Rang, Bildung und Einfluß machten. Mit Recht sagt daher D'Israeli, daß die Geschichte der Kaffeehäuser vor der Einführung der Clubs diejenige der Sitten, der Moral und Politik seines Volkes sei; und von diesem Gesichtspunkt allein haben wir uns für berechtigt gehalten, den Leser zu einer so eingehenden Betrachtung derselben einzuladen.
Obgleich jede Klasse der englischen Gesellschaft und jede Seite des englischen Lebens, der Handel, die Wissenschaft, die Literatur, die Kunst, das Theater, die Mode, ja sogar all jene Sonderbarkeiten und Excentricitäten, welche man vorzugsweise als »englische« bezeichnet, in den Kaffeehäusern wie später in den Clubs ihren Ausdruck gefunden: so war der erste und entscheidende Grundzug bei beiden doch die Politik. Dem Beobachter kann die bemerkenswerthe Thatsache nicht entgehen, daß bereits dreißig Jahre vor den ersten Kaffeehäusern die Zeitungen zu existiren begannen, und daß diese sich bis zu einem gewissen Grade schon das Bürgerrecht erworben hatten, als jene sich eben öffneten. Dem Kaffeehaus und dem Club würde ohne die Zeitung einer seiner größten Reize fehlen; und so wenig konnte man sich das eine denken ohne das andere, selbst als beide noch in ihrer ersten Kindheit waren, daß der Satiriker, welchen wir oben angeführt haben, den »Sirup von Ruß«, und die »Essenz aus alten Schuhen«, wie er den Kaffee sehr wohllautend umschreibt, zusammenquirlen läßt mit »Journalen und Neuigkeitsbüchern«.
Syrop of soot, or essence of old shoes,
Dasht with diurnals and the books of news.
Die erste und ursprüngliche Form der Zeitungen war die eines kleinen Buchs ( book of news, news-book), welches in wöchentlicher Ausgabe erschien, durchaus entsprechend der Weise, zu welcher später die raffinirten pariser Zeitungsschreiber gegen Ende des zweiten Empire zurückgekehrt sind. Man glaubt einen zeitgenössischen Bericht über Rochefort's »Laterne« zu lesen, wenn man liest, was Ben Jonson, ein großer Widersacher der erwachenden öffentlichen Meinung, über diese Neuigkeitsbücher (1622) sagt: »Es kann in der Natur keine größere Krankheit oder für die Zeit keinen schmählichern Hohn geben, als dieser Hunger des Publikums nach den Pamphleten, welche an jedem Sonnabend herauskommen.« Das Jahr 1622 kann als das der Geburt der englischen Zeitungspresse bezeichnet werden. Der fürchterliche Krieg in Deutschland, nachmals als der Dreißigjährige bekannt, hatte begonnen und das Verlangen in England, Nachrichten über denselben zu erhalten, war um so größer, als eine englische Prinzessin, Elisabeth, Tochter Jakob's I. und Gemahlin des unglücklichen »Königs von Böhmen«, an dem Schicksale desselben, wenigstens in jener ersten Zeit noch, sehr nahe betheiligt war. Ein unternehmender Irländer, Namens Nathaniel Butter, war der erste, welcher diese Wißbegierde des britischen Publikums geschäftsmäßig ausbeutete, indem er nach Muster der venetianischen Gazetten »Wöchentliche Relationen von Neuigkeiten« herausgab, die er, nach mehrern gelungenen Versuchen, als » The Certain News of this Present Week« (die zuverlässigen Neuigkeiten der gegenwärtigen Woche), und geziert mit dem Wappen des Königs von Böhmen in regelmäßiger Reihenfolge fortsetzte. Wie es mit der »Zuverlässigkeit« seiner Neuigkeiten aussah, geht aus den Angaben seiner Quellen hervor, nach welchen er sie bald von einem »eminenten jüdischen Kaufmann in Deutschland« bezogen, bald in Gestalt »der lieblichen Meermaid, die an die Küste von Greenwich geworfen« direct empfangen haben wollte. Doch blieb er jahrelang der einzige, welcher England mit Nachrichten vom Continent versah; »wer Kenntniß von den Plätzen und Personen in Deutschland haben und den Krieg verstehen will, der möge meine Couranten (ein holländischer noch jetzt gebräuchlicher Titel für Zeitungen) nicht verachten.« Allein, mit dem Tode Gustav Adolfs ließ die öffentliche Neugier nach uns das Geschäft stockte; so sehr, daß zwischen dem Eintreffen einer und der andern »zuverlässigen« Nachricht Zeit genug verstrich, um die Neuigkeitsbücher unterdessen aus Mangel an anderm Stoff mit den ganzen Psalmen David's und der Hälfte des Neuen Testaments zu füllen. Early English Newspapers. Cornhill Magazine, July 1868.
Neue Nahrung und eine dauerndere Gestalt erhielt der englische Journalismus erst, als unter Karl I. die bürgerlichen Unruhen begannen. Am 1. Januar 1642 erschien zu Oxford, wohin der König sich in Winterquartiere begeben hatte, die erste Nummer des » Mercurius Aulicus«, des Hof- und Royalistenblattes, welchem nach der Niederlage dieser Partei, 1647, als der König schon in der Gefangenschaft zu Hampton-Court saß, der » Mercurius Pragmaticus« folgte. Das Oppositionsblatt hieß der » Mercurius Britannicus«, ward im August 1643 begründet und von Marchmont Reedham redigirt. Dieses war die Zeit der »Merkure«, unter welchem Namen nun Blätter von jeder Parteischattirung auf beiden Seiten in die Hohe schossen, und von Verkäuferinnen, den sogenannten »Merkurweibern«, auf den Straßen feilgeboten wurden. Die Straße selbst ward oft der Schauplatz der erbitterten Kämpfe dieser Damen, welche sich nicht damit begnügten, ihre Zeitungen zu verkaufen, sondern auch für die Meinungen derselben mit solcher Energie zu Felde zogen, daß sie, nachdem sie einander mit den Fäusten bearbeitet, zu Schnupftaback und gestoßenem Pfeffer griffen, um ihn für den König oder das Parlament der Gegnerin ins Auge zu werfen. Literature of the People; Athenaeum, Jan. 1870, S. 11. Auch den Redacteur des Presbyterianerblattes, Marchmont Reedham, sollte sein Schicksal ereilen. Lange Zeit Abgott des londoner Pöbels, überwarf er sich mit seinen bisherigen Gönnern, der herrschenden presbyterianischen Partei, die sowenig als die Stuarts eine freie Meinungsäußerung duldeten, und ging in seinem Degout zu Karl I. über, für welchen er den bereits erwähnten » Mercurius Pragmaticus« schrieb. Nach der Hinrichtung Karl's I. gerieth er in die Hände der Presbyterianer, die ihn in das Gefängniß von Newgate warfen und zum Tode verurtheilten; aber gerade noch früh genug für seinen Hals wurden die Presbyterianer selber gestürzt. Cromwell schenkte ihm das Leben und machte ihn zum Redacteur des » Mercurius Politicus«, welcher das Blatt des Protektorats ward. Bisher war es den Mitgliedern der ecclesia militans der Presse nicht zum besten ergangen; mit Kerker, Pranger, Verstümmelung des Körpers, Nasenabschneiden, Handabhauen, wenn nicht noch Schlimmerem, hatte man ihnen unbarmherzig zugesetzt. Der erste, wenn auch nur vorübergehende Strahl einer bessern Zeit sollte jetzt dämmern. Auch hier tritt Cromwell als der eminent moderne Charakter ein, der er – der lang Verkannte – in der That ist. »Unter seinem Protectorat wußten die Zeitungen was es heißt, den Luxus der Freiheit zu genießen«, sagt der neueste Geschichtschreiber der englischen Presse. James Grant, The Newspaper Press, its origin, etc. (2 vols., London, Tinsley Brothers, 1872.) Umsonst hatte Milton von den Presbyterianern die Preßfreiheit gefordert; Cromwell gewährte sie. Das wahre Bild dieses großen Mannes – eines der größesten, den die Geschichte kennt – ist erst in unserer Zeit uns wieder enthüllt worden; allein so sehr hat blinde Parteiwuth es nicht anschwärzen können, daß nicht aus ihren Entstellungen hier und da die Wahrheit hervorbrechen sollte. Der ältere D'Israeli, bekanntlich ein starrer Royalist und durchaus noch befangen in dem cavaliermäßigen Abscheu vor Cromwell, muß es in seiner Abhandlung über Censoren eingestehen, daß dieses Amt unter dem Protectorat aufgehoben, aber sogleich bei der Restauration Karl's II. wieder eingeführt ward.
Der Censor dieser Regierung, Roger L'Estrange, war auch zugleich ihr Journalist par excellence. Die Cumulation beider Aemter war, wie die Sachen lagen, jedenfalls das Bequemste. Denn im übrigen dauerte die Verfolgung der Presse fort, mit Leibes-, Freiheits- und Ehrenstrafen ging man gegen die Uebelthäter vor, man verurtheilte sie zur Deportation und Zwangsarbeit, wie die schweren Verbrecher. Roger L'Estrange, welcher als ein treuer Anhänger der Stuarts um ihretwillen so viel und so tapfer geduldet hatte, daß er selbst Cromwell's Bewunderung erregt haben soll, dachte darüber nach, wie er die Leiden seiner Kameraden von der Presse mildern könne, und schlug als eine gelindere Form der Bestrafung allerlei Schandzeichen vor, welche die Schuldigen tragen sollten, z. B.: »einen Strick statt eines Hutbandes; oder einen Strumpf blau und den andern roth; oder eine blaue Mütze mit einem rothen T. oder S. daran, um je nach den Umständen treason (Hochverrat) oder sedition (Empörung) zu bezeichnen«. Wir hören nichts darüber, ob er mit dieser humanen Erfindung durchgedrungen; aber er sollte, so früh schon, die Lehre von der »Zweiseelen-Theorie« durchmachen, indem in seiner Brust der Censor beständig mit dem Redacteur kämpfte. Zur Belohnung für seine der Dynastie geleisteten Dienste ward ihm das Monopol einer Zeitung ertheilt, welche unter dem Namen » The Public Intelligencer« in dem ersten Jahre der Restauration florirte. Seine »Spione« ( spies) gingen nach allen Theilen des Landes – Spione waren damals, was wir gegenwärtig mit dem etwas weniger zweifelhaften Namen der »Special-Correspondenten« bezeichnen – sie frequentirten den Gang von St.-Paul's ( St.-Paul's Walk), welcher erst wenige Jahre später durch das große Feuer zerstört ward, und suchten Neuigkeiten in den Tavernen und den eben erstandenen Kaffeehäusern. Sogar einige »respectable Personen« gaben ihm gelegentliche Mittheilungen unter der Bedingung, daß er ihre Namen geheim halten wolle, wofür er als »Honorar« ihnen – Portofreiheit für ihre Zeitungen gewährte. Doch während die Merkurweiber sein Blatt auf den Straßen verkauften und den Abonnenten in die Häuser trugen, zitterte er beständig, daß sie zugleich verbotene Waare colportiren könnten, und um sie vor solchen verbrecherischen Versuchungen zu schützen, gab er ihnen außer 40 Schillingen und einigen Freiexemplaren jährlich noch ein großes – Diner zu Hornsey, »mit Kutschen hin und her«. Das Pestjahr 1665 fand ihn furchtlos auf seinem Posten; allein in diesem Jahre, wo der Hof vor der fürchterlichen Krankheit nach Oxford emigrirte, ward ihm sein schwerverdientes Privileg genommen und die (noch heute unter dem Titel » The London Gazette« bestehende) officielle Zeitung » The Oxford Gazette« gegründet. Nun sollte auch er, der treue Diener der Stuarts, die sprichwörtliche Undankbarkeit dieses Geschlechts erfahren; und wie Stafford einst ausrief, als man ihm mittheilte, daß Karl I. sein Todesurtheil unterschrieben: » Nolite confidere in princibus«, so schrieb jetzt Roger L'Estrange: »Ich bin ausersehen zum Bettlerthum, zur Schande, kurz zum Schlimmsten, was einen ehrbaren Mann befallen kann; aber Gottes und Seiner Majestät Wille geschehe!« Spät noch einmal, gegen das Ende der Regierung Karl's II., gab der vielgeprüfte Journalist ein Wochenblatt heraus, in der curiosen Form von Frage und Antwort, den » Observator«; allein im Hinblick auf die Maßregel, welche ihm, dem Officiellsten der Officiellen, sein Privileg entzog, mochte man wol sagen: wenn das am grünen Holz geschah, was sollte mit dem trockenen werden! In der That begann nun für die Journalistik eine Aera der vollständigsten Desolation, Unfruchtbarkeit und Dürre. Doch in dem Moment, wo die Presse, dieses öffentliche Gewissen, zum Schweigen verurtheilt war, trat das Kaffeehaus gewissermaßen an seine Stelle, gab es sich zum ersten mal in seiner ganzen Bedeutung für das politische Leben zu erkennen. »Dorthin«, sagt Macaulay (I, 383), »strömten die Londoner wie die alten Athener nach dem Marktplatz, um zu hören, ob es irgendwelche Neuigkeiten gebe.« Aber über London hinaus reichte diese Wirksamkeit der Kaffeehäuser: der Gesprächsstoff, der sich dort angesammelt, ward von Leuten, die eine eigene Profession daraus machten, in sogenannten »Neuigkeitsberichten« ( news-letters) handschriftlich fixirt, und diese geschriebenen Zeitungen, welche wöchentlich in die Provinzen verschickt wurden, unterrichteten die Bewohner derselben über alles, was in den gedruckten nicht stand. So blieb es während der Regierungszeit Jakob's II., bis zur Vertreibung der Stuarts; am Tage nach seiner »Abdankung« erschienen sogleich drei neue Zeitungen, unter Wilhelm III. erhob sich die fast erdrückte Zeitungspresse rasch wieder, und im Jahre 1694 schaffte er die Censur ab. Mannichfach, im folgenden Jahrhundert noch, waren die Kämpfe der englischen Presse, bis sie mit der vollkommenen Freiheit auch die Höhe erreichte, welche wir sie heutigentags einnehmen sehen; doch können wir nicht beabsichtigen, sie auf diesem langen und glorreichen Wege zu begleiten, da es für unsern Zweck genug war, den eigenthümlichen Zusammenhang zwischen dem Kaffeehaus und der Zeitung nachzuweisen, zu zeigen, wie sie zusammen erwuchsen und in dem frühesten Stadium ihrer Entwickelung einander ergänzten und oftmals stützten, bis zu den glücklichen Tagen, wo der classische » Tatler« erschien und das Gesicht des » Mr. Spectator« gesehen wurde. Da, in der ersten Blütezeit der englischen periodischen Literatur, mit ihren Sternen Addison und Steele, stand auch das londoner Kaffeehausleben in seinem Zenith, und an diesem Punkte angelangt, dürfen wir daher in unser eigentliches Thema zurücklenken.
Eine jede Partei, ja jede Schattirung einer Partei, hatte ihr besonderes Kaffeehaus, in welchem die Genossen derselben sich trafen. Es gab Whig- und Torykaffeehäuser, Kaffeehäuser für die Hochkirchenmänner, die Latitudinarier, die Papisten (denn bekanntlich fiel und fällt zum Theil noch in England der religiöse Glaube unter den Begriff des politischen) – es gab Kaffeehäuser, in welchen die Schotten für oder gegen die Union mit England debattirten, und Kaffeehäuser, in welchen die Jakobiten auf den »schwarzen Gentleman« anstießen, worunter sie den Maulwurf verstanden, an dessen Hügel das Pferd König Wilhelms gestrauchelt und dieser sich den Hals gebrochen hatte.
In Daniel Defoe's für die Culturgeschichte seiner Zeit unschätzbaren »Reise durch England« ( A journay through England, 1714) findet sich eine Stelle, in welcher der berühmte Verfasser von »Robinson Crusoe« das fashionable Leben in London zu Anfang des 18. Jahrhunderts schildert und welche daher zur Illustration der obigen allgemeinen Bemerkung dienen wird. »Wenn ihr unsere Lebensweise kennen lernen wollt«, sagt der Tourist, »so ist sie folgendermaßen: wir stehen um 9 Uhr auf und diejenigen, welche die Levees großer Leute besuchen, finden daselbst Unterhaltung bis 11, oder gehen wie in Holland zu den Theetischen; gegen 12 Uhr versammelt sich die beau monde in verschiedenen Kaffee- oder Chocoladehäusern, von denen die besten so nahe beieinander sind, daß man in weniger als einer Stunde die Gesellschaft von allen sehen kann. Wir werden nach diesen Plätzen in Portechaisen (oder Sänften) geführt, welche hier sehr billig sind, eine Guinee die Woche oder einen Shilling per Stunde, und die Sänftenträger dienen zugleich als Ausläufer, um Botengänge zu verrichten, wie die Gondoliers zu Venedig ... Ich darf nicht vergessen, zu erwähnen, daß die verschiedenen Parteien ihre verschiedenen Plätze haben, wo jedoch ein Fremder wohl ausgenommen ist; aber ein Whig würde so wenig nach dem Cacaobaume oder Ozindas gehen, als ein Tory sich sehen ließe in dem Kaffeehaus von St.-James. Die Schotten gehen gewöhnlich nach dem British Kaffeehaus und eine Mischung aller Arten nach dem Smyrna. Es gibt noch andere kleine Kaffeehäuser in dieser Nachbarschaft, welche viel besucht werden (der Tourist meint die Gegend von Pall Mall, damals nicht minder fashionable für die Kaffeehäuser als heute für die Clubs), der Junge Mann für Offiziere, der Alte Mann für Stockjobbers, Zahlmeister und Courtiers, der Kleine Mann für falsche Spieler.«
Der Alte, Junge und Kleine Mann waren drei Etablissements, nicht weit von Charing-Croß und Whitehall, an der Themse. Der Alte Mann oder das königliche Kaffeehaus war das älteste von den dreien, und schon unter Karl II. angelegt von Alexander Man, nach welchem es später genannt wurde. Der Junge Mann entstand erst unter der Regierung Wilhelm's III.; aber das erstere behielt immer den Vorrang, und wir besitzen eine Schilderung desselben von Ned Ward, einem der abenteuerlichsten und verrufensten Charaktere jener Zeit, einem boshaften Pamphletisten, wegen verleumderischer Libelle mehrfach mit dem Pranger bestraft, und zuletzt, da es mit der Schriftstellerei nicht mehr gehen wollte, Wirth einer Punschkneipe in Holborn, in welcher Eigenschaft er 1731 starb. Aber alles das verringert den Werth seiner Schriften, in welcher Misachtung sie auch bei den Zeitgenossen gestanden haben mögen, für uns nicht, und die Leser von Macaulay's »Geschichte« werden sich gewiß seines »Spions von London« ( The London spy) erinnern, einer Art von raisonnirender Beschreibung Londons, deren sich gelegentlich bei seinen bewunderungswürdigen Details zu bedienen der große Historiker nicht verschmäht hat. Ned Ward's Schriften sind äußerst selten, und nur einem glücklichen Zufall verdankt der Schreiber dieser Zeilen seine »Geheime Geschichte der Clubs« The secret history of Clubs. With their origin and the characters of the most noted members thereof (London, printed and sold by the booksellers, 1709). mit dem bezeichnenden Motto: » Poeta qui pavide cantat, rarissime placet«: ein Buch, schmuzig gebunden, schlecht gedruckt und voll der plumpsten Gemeinheiten; aber für den Gegenstand, den wir hier in Betracht ziehen, eine Quelle der reichsten Belehrung. Von den Buchhändlern verachtet, von den Schriftstellern entweder ignorirt oder verdientermaßen gegeiselt (so z. B. in Pope's satirischem Gedicht »Die Dunciade«), von der guten Gesellschaft gänzlich ausgeschlossen und perhorrescirt, war Ned Ward gerade der Mann, um dasjenige zu bemerken, was dem Mitlebenden zu entgehen pflegt und nur dem Auge des Außenstehenden ausfällt, besonders wenn Malice seinen Blick geschärft: nämlich das Eigenthümliche, Charakteristische, das Lächerliche. Dieses in der That macht die Summe seines Buches aus, welches in der Dedicationsepistel nicht, wie die meisten andern seiner Zeit, irgendeinem großen Herrn, sondern »dem erhabenen Nachtwandler, dem Kaiser des Mondes, dem Beherrscher der Fluten, dem Corrector weiblicher Constitutionen und gehörnten Metropolitan der im Wandel begriffenen Städte« gewidmet ist. Es sind nur die Irregularitäten des Kaffee- und Wirthshauslebens jener Zeit, die hier zum Theil unter höchst unanständigen und fingirten Namen behandelt werden, zuerst jedesmal in einer Art von prosaischer Entstehungsgeschichte, dem sich dann eine poetische Ergießung anschließt, beide voll von Schmähungen und Anzüglichkeiten, die uns kaum zur Hälfte noch verständlich sind. Indessen bleibt nach Abzug alles dessen, was wir angeführt, noch ein Rest übrig, welcher, wenn wir uns über den Ton hinwegsetzen, sehr lehrreich ist und mehr als einen Zug dem Bilde hinzufügen wird, welches wir hier zu entwerfen im Begriff sind, wenn wir nur nicht vergessen, daß wir es hier mit einem Menschen zu thun haben, der sich in guter Gesellschaft niemals wohl fühlen kann.
Nach Ned Ward's Schilderung muß der Alte Mann eins der feinsten Kaffeehäuser Londons gewesen sein. »Wir stiegen nun«, sagt er, »ein paar Treppen hinauf, welche uns in einen altmodischen Raum brachten, wo ein geputzter Haufen wohlriechender Tom-Düftler rück- und vorwärts gingen mit ihren Hüten in ihren Händen, nicht wagend, dieselben zu ihrem beabsichtigten Gebrauch anzuwenden, aus Furcht, die Vorderspitzen ihrer Perrüken dadurch in Unordnung zu bringen. Wir drängten uns, bis wir an das Ende des Zimmers gelangten, wo wir an einem kleinen Tisch uns niedersetzten und bemerkten, daß es eine ebenso große Seltenheit war, wenn irgendjemand nach einem Getränk verlangte, als es für einen Stutzer ist, eine Pfeife Taback zu fordern. Ihre ganze Unterhaltung bestand darin, ihre Nasen zu füllen und zu leeren und die Locken ihrer Perrüken in der gehörigen Ordnung zu halten. Der Deckel ihrer Schnupftabakdosen machte beim Auf- und Zuklappen mehr Lärm als ihre Zungen. Verbeugungen und Kratzfüße nach der neuesten Mode wurden hier ausgetauscht zwischen Freund und Freund mit wundervoller Genauigkeit. Sie machten ein Gesumme gleich so vielen Hornissen in einem Dorfschornstein, nicht mit ihren Reden, sondern mit ihrem Geflüster über ihre neuen Menuets und Bories (wahrscheinlich sind die » bourrées« gemeint, ein spanisch-französischer Modetanz, vgl. Czerwinski, »Geschichte der Tanzkunst«, S. 90), mit ihren Händen in den Taschen, wenn sie gerade keine Schnupftabakdose darin hatten.«
Was den »Spion von London« am meisten verdrossen zu haben scheint, war, daß er hier nicht ungenirt rauchen konnte. Als er nach Feuerzeug und Pfeife ruft, bringt man ihm zwar das Gewünschte; aber so unwillig, »als ob ihnen das Liebste gewesen wäre, uns los zu werden; denn ihre Tische waren so reinlich und blank vom Reiben wie das Oberleder von eines Alderman Schuhen, und so braun, wie die Oberfläche von einer Hausfrau Seitenbort auf dem Lande. Der Fußboden war so weiß gefegt wie eines Sir Höflich Speisesaal, was uns veranlaßte, rundum zu blicken, ob wir nicht irgendwo eine Ordre hängen sähen, mit einer Strafandrohung von so und so viel für jegliche Person, welche aus dem Kaminwinkel herausspeien sollte.«
Wir sehen, Ned Ward ist hier in eine Gesellschaft gerathen, aus der er sich je eher je bester wieder entfernen würde. Die Modeherren jener Zeit schnupften wol, aber sie verabscheuten das Rauchen, und in den Kaffeehäusern, welche sie besuchten, wurde daher nicht geraucht. Hier war, wie Macaulay sagt und unser »Spion« bestätigt, »die Atmosphäre wie im Laden eines Parfümeurs, und wenn irgendein Tölpel, unbekannt mit der Sitte des Hauses, eine Pfeife verlangte, so überzeugten ihn die spöttischen Bemerkungen der ganzen Versammlung und die kurzen Antworten der Aufwärter bald, daß er besser thäte, irgendwo anders hinzugehen«. Dies war ganz der Fall Ned Ward's, welcher seinen drastischen Bericht mit der Bemerkung abschließt, »daß sein Betragen im Alten Mann nicht weniger verwunderte Gesichter hervorgerufen habe als die Maskerade jenes Gentlemann, welcher mit einem Austernfaß und Rübenkorb in das Bowstreet Kaffeehaus gekommen wäre, um die Stutzer lächerlich zu machen«.
In den meisten Kaffeehäusern jedoch bildete das Rauchen ein Hauptmittel der Unterhaltung. Wir haben dafür, außer zahlreichen andern Zeugnissen, auch das des » Spectator«, welcher unter dem Datum des 16. Juli 1714 (Nr. 568) schreibt: »Ich war gestern in einem Kaffeehause nicht weit von der königlichen Börse, wo ich drei Personen in lebhafter Conferenz bei einer Pfeife Taback bemerkte, worauf ich, nachdem ich mir eine für meinen eigenen Gebrauch gefüllt hatte, dieselbe an der kleinen Wachskerze anzündete, welche vor ihnen stand, und nachdem ich zwei oder drei Züge zwischen sie geblasen hatte, saß ich nieder und machte einen von der Gesellschaft. Ich brauche meinen Lesern nicht zu sagen, daß seine Pfeife an demselben Licht anzuzünden unter Rauchern als eine Eröffnung für Conversation und Freundschaft gilt.«
Der » Spectator« sowol als sein Vorgänger, der » Tatler«, und sein Nachfolger, der » Guardian«, diese weltberühmten moralischen Zeitschriften, welche, einige der interessantesten Jahre vom Anfang des vorigen Jahrhunderts umfassend (1709-14) und von den geistvollsten Männern desselben geschrieben, ein mit unvergleichlicher Feinheit und dem liebenswürdigsten Humor gezeichnetes Bild der damaligen Gesellschaft entwerfen, enthalten natürlicherweise auch unschätzbares Material für unser Thema. Denn ihre Verfasser waren Männer von Welt, die sich ausschließlich auf den Höhen der Gesellschaft bewegten, Addison, Gemahl einer Gräfin und zeitweilig Staatssecretär, Sir Richard Steele, Parlamentsmitglied, Jonathan Swift, Dekan von St.-Patrick, und viele andere, die zu den bevorzugtesten der damaligen » wits« gehörten. »Addison's Beiträge zum Zuschauer und Plauderer« gibt in deutscher Uebersetzung Adolf Stern's »Volksbibliothek der Literatur des 18. Jahrhunderts, mit einem Vorwort von H. Hettner« (Berlin 1866). In derselben Sammlung findet sich auch »Swift's Tagebuch an Stella«. Sie alle waren Freunde der Geselligkeit, Bonvivants bis zu einem gewissen Grade, und von Dick Steele ist es nur zu bekannt, daß er die Unterhaltung der Kaffeehäuser und den Rothwein der Tavernen mehr liebte als für seinen häuslichen Frieden und für sein bürgerliches Auskommen zuträglich war. Allein um so größer wird das Vertrauen sein, mit welchem wir uns der Führung solcher Hände überlassen dürfen, und um so getreuer das Bild, zusammengesetzt aus jenen mannichfachen Andeutungen und Zügen der Wirklichkeit, mit welchen sie die classische Eleganz ihrer Schriften zu beleben verstanden.
In jener oft citirten Stelle des » Tatler«, in welcher die Herausgeber desselben die verschiedenen Gegenstände, die sich ihrer Betrachtung im Verlauf ihres Unternehmens bieten werden, auf die verschiedenen Kaffeehäuser vertheilen, so zwar, daß eine bestimmte Topik immer unter dem Namen eines bestimmten Kaffeehauses zu erwarten sei, fällt die Politik dem Kaffeehause von St.-James's zu. »Die Neuigkeiten von Aus- und Inland werdet ihr bekommen aus St.-James's Kaffeehaus«, heißt es daselbst.
Als standhafte Whigs wählten Addison und Steele natürlich dieses Kaffeehaus, das Hauptquartier der Whigs in St.-James's Street, nicht zehn Schritte von dem Palast gleichen Namens, in welchem von der Königin Anna bis zu Georg IV. die Monarchen von Großbritannien residirten. Hier war bis in das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts die Partei durch ihre hervorragendsten Mitglieder vertreten; hierher, solange er noch ein Whig war, ließ Jonathan Swift (unter der Adresse von Addison) die Briefe von Stella gehen, und hier, 60 Jahre später, bevor in ihm, »der große Umschwung« stattgefunden, sah man den jugendlichen Burke. Damals allerdings hatte das Kaffeehaus sich bereits in ein Restaurant verwandelt – der gewöhnliche Weg der Kaffeehäuser vor ihrem gänzlichen Verschwinden bei der Entstehung der Clubs. Das St.-James's Kaffeehaus ward im Jahre 1806 geschlossen, und an der Stelle, wo es ehemals gestanden, steht jetzt eine Reihe stattlicher Gebäude, welche nach Pall-Mall hinausschaut.
Eine Schilderung der vornehmsten politischen Kaffeehäuser zur Zeit, wo das Kaffeehausleben den höchsten Grad seiner Ausbildung erreicht hatte, gibt der » Spectator«, und zwar aus der Feder Addison's. Es scheint, daß sich im März 1712 in London das Gerücht verbreitet hatte, Ludwig XIV. sei gestorben. »Da ich voraussah«, sagt der » Spectator« (Nr. 403), »daß dieses Ereigniß den Dingen in Europa ein neues Aussehen geben und viele merkwürdige Betrachtungen in unsern britischen Kaffeehäusern hervorrufen würde, so war ich begierig, die Gedanken unserer eminentesten Politiker über diesen Fall zu hören.« Denn, sagt der » Spectator«, da jede Gegend der Stadt ihr Kaffeehaus und »jedes Kaffeehaus seinen besondern Staatsmann hat, der zu ihm gehört und der Mund der Straße ist, in welcher er lebt«, so ist dieses das sicherste Mittel, um die Meinung der Stadt zu erfahren.
Um der Hauptquelle aller Neuigkeiten so nahe als möglich anzufangen, beginnt der »Spectator« seine Wanderung mit dem Kaffeehaus von St.-James's. »Hier fand ich das ganze vordere Zimmer in einem Gesumme von Politik. Das Gespräch in der Nähe der Thür war nur von sehr allgemeiner Natur, aber seine Bedeutung wuchs, indem man sich dem obern Ende des Zimmers nahte, und nahm in einer Gruppe von Theoretikern, welche in dem innern Zimmer, innerhalb der Dämpfe des Kaffeetopfes saß, einen so positiven Charakter an, daß dort, vor meinen Ohren, die ganze spanische Monarchie vertheilt und das Haus Bourbon besorgt ward in weniger als einer Viertelstunde.«
In einem Kaffeehause von St.-Giles's – heute, wie man weiß, eins von den verrufensten, wie es damals eins von den aristokratischsten Quartieren der Stadt war, und seit der Aufhebung des Edicts von Nantes hauptsächlich bewohnt von den vornehmern französischen Réfugiés – fand der » Spectator« einen Tisch voll französischer Gentlemen, welche über Leben und Tod ihres » Grand monarque« zu Gericht saßen; und in dem schon erwähnten Kleinen Mann, dem Sanctuarium der » Sharpers« oder falschen Spieler (dieses muß Addison gemeint haben, obgleich er es » Jenny Man's« nennt), sah er einen flinken jungen Burschen, welcher seinen dreieckigen Hut einem Freund aufsetzte, der zu gleicher Zeit mit dem »Zuschauer« eintrat und ihn in der folgenden Weise anredete: »Nun, Jack, der alte Knabe ist todt. Scharf ist die Losung! ( Sharp, falsches Spiel.) Jetzt oder niemals, Kamerad. Auf nach den Mauern von Paris!«
Zwischen Charing-Croß und Coventgarden war kein großer Unterschied in den Ansichten der Politiker, und in einem von den Tempelkaffeehäusern hörte er den Fall vom juristischen Gesichtspunkt aus erörtern. Aber in dem innern Theil der City ward die Sache anders. Hier begab er sich nach einem Kaffeehause in Fish-Street. Der Hauptpolitiker jener Gegend, als er die Neuigkeit vernommen (worauf er sich zuerst eine Pfeife Taback stopfte und dann einige Zeit nachdachte), sagte – »wenn«, sagte er, »der König von Frankreich wirklich todt ist, so werden wir in diesem Sommer viele Makrelen haben; unsere Fischerei wird nicht durch Kaperschiffe gestört werden, wie es in den letzten zehn Jahren immer der Fall gewesen«. In dem kleinen Kaffeehause eines benachbarten Gäßchens belauscht er hierauf das Gespräch eines theologischen Ultra und Hochkirchenmanns ( non-juror) mit einem Spitzenhändler – wahrscheinlich ein Hugenotte aus Spitalsfield und jedenfalls ein starrer Protestant. »Das Thema der Debatte war, ob der französische König mehr Ähnlichkeit mit Augustus oder mit Nero gehabt habe?« Der Streit ward sehr hitzig von beiden Seiten geführt, und »da ich fürchtete, sie möchten an mich appelliren, so legte ich meinen Penny an der Barre nieder und machte mich eilig auf den Weg nach Cheapside«. In dieser und den benachbarten Straßen der City, durch welche heute nur noch in den Geschäftsstunden der Strom des Weltverkehrs flutet, während sie nach Schluß derselben fast verödet liegen, lebten damals alle die großen Handelsherren, deren Wohnhäuser, fern von ihren Geschäftshäusern, heute in einer ganz andern Region der Metropolis stehen. Hier gab es daher in jener Zeit eine größere Menge von Kaffeehäusern als in irgendeinem andern Theile von London, und es wird dem » Spectator« nicht leicht, aus den zahlreichen »Zeichen«, die ihn von allen Seiten einzuladen scheinen, das rechte zu finden. Die Politiker dieser Kaffeehäuser sind Geschäftsleute, und die Motive, welche sie für oder wider geltend machen, kaufmännische. Bei der Schwerfälligkeit, mit welcher damals die Nachrichten sich verbreiteten, konnte dasjenige, was wir jetzt ein »Börsengerücht« nennen würden, weder so allgemein noch so rasch wirken als heute. Wie aus dem vorliegenden Zeugniß des » Spectator« hervorgeht, dauert es acht Tage, bevor man in London weiß, ob der König von Frankreich todt sei oder nicht; und als endlich der Widerruf eintrifft, da ist diese wichtige politische Neuigkeit doch noch sehr weit davon entfernt, sogleich in den Händen aller derjenigen zu sein, welche sie am meisten interessirt. Bei seinem Eintritt in das Kaffeezimmer ist das erste, was der » Spectator« bemerkt, ein Mann, welcher sich sehr bekümmert über den Tod des Königs ausspricht; aber bei näherer Erklärung stellt sich heraus, daß sein Gram nicht sowol im Verlust des Monarchen seinen Grund habe, als vielmehr darin, daß er vor drei Tagen verkauft habe, anstatt zu kaufen, da, wenn die Nachricht sich bestätige, die Papiere unfehlbar steigen müßten, »worauf ein Bandhändler, welcher das Orakel des Kaffeehauses war und seinen Cirkel von Bewunderern um sich hatte, verschiedene als Zeugen aufrief, daß er schon vor einer Woche seine Meinung dahin abgegeben habe, der französische König sei todt; hinzufügend, daß es in Anbetracht der letzten Nachrichten, die wir von Frankreich empfangen hätten, gar nicht anders sein könne«. Indem er noch damit beschäftigt ist, seine Gründe zusammenzuzählen und seinen Zuhörern mit großer Autorität vorzudictiren, öffnet sich die Thür und ein Herr von Garaway's Kaffeehaus tritt herein, welcher erzählt, daß soeben verschiedene Briefe aus Frankreich angekommen seien, mit der Nachricht, daß der König auf die Jagd gegangen sei, an demselben Morgen, wo die Post expedirt worden, worauf der Bandhändler seinen Hut von dem hölzernen Nagel nahm und sich in großer Bestürzung in seinen Laden zurückzog, während der Stockjobber – obgleich wir es nicht ausdrücklich erfahren – sich wahrscheinlich vergnügt die Hände gerieben haben wird.
Hier bricht der » Spectator« ab; ihn hat es, wie er sagt, nicht wenig amusirt, gehört zu haben, wie verschiedenartig die Menschen über eine und dieselbe Nachricht je nach ihren verschiedenen Interessen urtheilen, und uns, so hoffe ich, auf sehr plausible Weise gezeigt, daß es in dieser Beziehung heute nicht viel anders ist als damals, wo politische Nachrichten, welche Existenzfragen betrafen, ihren Weg ins Publikum fanden, indem sie langsam von einem Kaffeehaus der Residenz ins andere wanderten.
Daraus aber wird sich, bei der mangelhaften Beschaffenheit aller Correspondenzmittel, die wir heute in solch hoher Vollkommenheit besitzen, wieder rückwärts ein Schluß machen lassen auf die Wichtigkeit und Bedeutung der Kaffeehäuser für das ganze politische Leben der Nation.
Einen nicht minder interessanten und für die Entwickelung einer andern Seite des öffentlichen Lebens entscheidenden Zug bieten die literarischen Kaffeehäuser, welche das einleiteten, was die Clubs vollendeten und was uns in Deutschland bisher aus vielen Gründen immer noch gefehlt hat: nämlich die Bildung eines Schriftsteller standes und die Solidarität der schriftstellerischen Interessen.
Das älteste und ehrwürdigste von den der Literatur geheiligten Kaffeehäusern – » sacred to polite letters« sagt Macaulay – war dasjenige von Will's (also genannt nach seinem Besitzer William Urwin), an der Ecke von Bow- und Russell-Street, Coventgarden, in einer Gegend, welche noch heute einige von den Haupttheatern Londons schmücken, dazumal aber ganz besonders fashionable.
Macaulay's Beschreibung von Will's Kaffeehaus ist oft citirt worden – sie ist in ihrer Art so classisch wie der classische Aufenthalt selber. »Da war die Unterhaltung«, heißt es, »über poetische Gerechtigkeit und die Einheiten des Orts und der Zeit. Da war eine Partei für Perrault und die Neuern, eine Partei für Boileau und die Alten. Eine Gruppe debattirte, ob das »Verlorene Paradies« nicht hätte sollen in Reimen sein. Einer andern bewies ein neidischer Poetaster, daß das »Gerettete Venedig« hätte sollen von der Bühne heruntergezischt werden. Unter keinem Dach war eine größere Verschiedenheit von Figuren zu sehen, Grafen mit Stern und Hosenband, Geistliche mit Priesterrock und Schärpe, geschickte Juristen vom Tempel, blöde Jungen von der Universität, Uebersetzer und Indexmacher in lumpigen Friesröcken. Das große Gedränge war, in die Nähe des Stuhls zu gelangen, auf welchem John Dryden saß. Im Winter war dieser Stuhl immer im wärmsten Winkel bei dem Feuer; im Sommer stand er auf dem Balkon. Ihm eine Verbeugung zu machen und seine Meinung zu hören über Racine's letzte Tragödie oder Bossu's Abhandlung über epische Poesie, ward als ein Privileg erachtet. Eine Prise aus seiner Schnupftabakdose war eine Ehre, welche hinreichte, den Kopf eines jungen Enthusiasten zu verdrehen.«
Diesen letztern höchst bezeichnenden Zug entlehnte der große Geschichtschreiber dem »Londoner Spion«, welcher wahrscheinlich nur eine sehr unglückliche Figur machte unter den Aristokraten der Literatur in Will's Kaffeehaus (» the Wit's Coffeehouse«, nennt er es), aber dennoch einmal dahin vordrang und seinen Besuch folgendermaßen schildert: »Wir stiegen ein paar Treppen hinan und fanden viel Gesellschaft, aber wenig Unterhaltung. Wir schritten durch diesen wogenden Haufen stummer Philosophen nach dem andern Ende des Gemachs, wo drei oder vier Schöngeister der bessern Klasse sich ein Stelldichein an einem Tische gegeben und die Asche der großen Dichter aufstörten, indem sie ihren Sinn verdrehten ... An einem andern Tische saß ein Pack von jungen, reichen Stutzern und Schöngeistern zweiten Ranges, welche den Schwindel bekamen, wenn sie nur die Ehre hatten, mit einem Finger und Daumen in Herrn Dryden's Schnupftabacksdose zu tippen.«
Es ist wahr, Dryden war der große Hausgott von Will; der Ruhm beider, des Dichters und des Kaffeehauses, war ungefähr von gleichem Alter und sollte zusammen in die Literaturgeschichte übergehen. Schon Samuel Pepys, der Diarist der Restauration und ersten Regierungsjahre Karl's, sah ihn, »Dryden, den Poeten (den ich zu Cambridge kannte) und alle die Schöngeister der Stadt und Harris den Schauspieler und Herrn Hoole, von unserm Colleg« hier sitzen, »in dem großen Kaffeehause, in welchem ich nie zuvor gewesen«, als er eines Abends (3. Februar 1663) nach Coventgarden ging, um seine Gemahlin abzuholen, wahrscheinlich aus der Komödie, welche dieses Ehepaar sehr liebte. Die Gesellschaft jener Zeit wird wol noch nicht an späte Stunden gewöhnt gewesen sein, denn man war eben im Begriff aufzubrechen, als Pepys eintrat. Doch muß es dem würdigen Herrn sehr wohl gefallen haben, »denn daselbst ist, wie ich sehe, sehr geistreiche und angenehme Unterhaltung«, sagt er, »und es wird gut sein, zu einer andern Zeit wieder hierher zu kommen«. Doch scheint er seinen Entschluß nicht ausgeführt zu haben; denn in seinem mit minutiöser Genauigkeit geführten Tagebuch, in welchem sich jedes Schauspiel, das er gesehen, jeder Mann, den er gesprochen, und jedes Buch, das er gelesen, bemerkt findet, ist diese die einzige Notiz über Will's Kaffeehaus.
Als etwa hundert Jahre später (es muß in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gewesen sein) ein anderer, nicht minder berühmter Samuel der englischen Literatur, der Doctor Johnson, »der große Lexikograph«, damals ein noch unberühmter Mann, kam, um Materialien zu einem Leben Dryden's zu sammeln, da lebten nur noch zwei alte Leute, die sich der Glorie von Will's erinnern konnten, Mr. Swinney, nacheinander Director von Drurylane und Haymarket (gest. 1754) und Colley Cibber, Komödiant und Schauspieldichter (gest. 1757). Was er von beiden erfuhr, reducirt sich auf zwei Zeilen: »Cibber konnte nicht mehr erzählen, als daß er sich Dryden's erinnere als eines decenten alten Mannes, der den Schiedsrichter kritischer Streitigkeiten bei Will's gemacht«; und »Swinney's Information beschränkte sich darauf, daß Dryden in Will's Kaffeehaus einen besonderen Stuhl für sich hatte, welcher an das Feuer gesetzt ward im Winter und dann sein Winterstuhl hieß, und für ihn hinausgetragen ward auf den Balkon im Sommer und dann sein Sommerstuhl genannt ward«. Boswell's Life of Johnson. Routledge Edition (London 1863), III, 45.
Diesen Stuhl, welcher seit Dryden's Tode, im Jahre 1700, verwaist gestanden, nahm noch einmal im Jahre 1709 eine Person von Ruf ein: kein Geringerer als Isaak Bickerstaff, Esq., »ein alter Mann, ein Philosoph, ein Humorist, ein Sterndeuter und Censor«. Man weiß, daß diese die mannichfaltigen Eigenschaften waren, unter welchen Jonathan Swift den Wetter- und Kalendermacher Partridge dem Gelächter seiner Zeitgenossen überlieferte; und wir erfahren aus dem »Plauderer« ( The preface), daß der Witz des Rectors von Laracor »in der Stadt eine Neigung für alles hervorgerufen hatte, was unter derselben Verkleidung erscheinen konnte«. Der Figur dieses Unglücklichen, »berühmt in allen Gegenden Europas«, bediente sich daher Steele, um ihn dem Publikum als Herausgeber der neuen Zeitschrift »Tatler« vorzustellen; und »dem Vortheil seiner Autorität« schrieb er später (in der Dedication des vierten Bandes) den plötzlichen Erfolg zu, welchen seine Arbeiten in der Welt errangen.
In der ersten Nummer des »Plauderer« (welcher in den Sammlungen des vorigen Jahrhunderts ebenso häufig unter dem Titel »The Lucubrations of Isaak Bickerstaff, Esq.« erschienen ist) heißt es: »Alle Mittheilungen über Galanterie, Vergnügen und Unterhaltung werden stehen unter der Ueberschrift von White's Chocoladehaus; Dichtkunst unter der von Will's Kaffeehaus; Gelehrsamkeit unter dem Titel des Griechen; aus- und inländische Neuigkeiten werdet ihr haben von St.-James's Kaffeehaus, und was ich sonst über irgendeinen andern Gegenstand zu bieten habe, soll datirt sein aus meiner eigenen Wohnung.«
Es ist anzunehmen, daß nur ein Gefühl der Pietät, der Courtoisie, wenn man will, die Herausgeber des »Plauderer« veranlaßten, den Sitz der Dichtkunst nach Will's zu verlegen: das war einmal der Fall, aber der eigenthümliche Glanz dieses Kaffeehauses war doch, nachdem er, 40 Jahre gedauert, mit Dryden dahingegangen. Denn Obgleich Addison noch so höflich gegen den Schatten dieses Dichters ist, um in jenem Blatte des »Zuschauer«, in welchem er die politischen Meinungen der verschiedenen Kaffeehäuser über den Tod Ludwig's XIV. registrirt, zu sagen: »Als ich zu Will's ging, fand ich, daß ihr Gespräch von dem Tode des französischen Königs auf den der Herren Boileau, Racine, Corneille und einiger andern Dichter übergegangen war, die sie bei dieser Gelegenheit bedauerten als Personen, welche die Welt verpflichtet haben würden mit sehr würdigen Elegien auf den Tod eines so großen Fürsten und so erhabenen Beschützers der Wissenschaft«; trotz dieser graziösen Verbeugung vor den Gräbern der Berühmten ist doch wahrscheinlich Steele aufrichtiger gewesen, wenn er sogleich in der ersten Nummer des »Plauderer« bekennt: »Dieser Ort hat sich sehr verändert, seitdem Herr Dryden ihn frequentirte; wo man gewohnt war, Gesänge, Epigramme und Satiren in der Hand eines jeden Mannes zu sehen, dem man begegnete, da hat man nun ein Packet Karten; und anstatt der Spitzfindigkeiten über die Wahl des Ausdrucks, die Eleganz des Stils u. dgl., disputiren die Gelehrten jetzt nur noch über die Regeln des Spiels.« Und in Nr. 16: »In alten Zeiten pflegten wir hier zu Gericht zu sitzen über ein Schauspiel, nachdem es aufgeführt worden war; aber nun hat die Unterhaltung eine andere Richtung eingeschlagen.« Die Wahrheit ist, daß das Kaffeehaus nicht seiner Gesellschaft, sondern daß die Gesellschaft dem Kaffeehause untreu geworden war.
Als die Fortsetzung des »Plauderer« die Maske des »Sensors von Großbritannien«, die ihm lästig geworden war, »da jedermann wußte«, wer darunter stecke, hatte fallen lassen, um fortan in dem neuen Charakter des »Herrn Zuschauer« ( Mr. Spectator) seine Aufwartung zu machen: da war Button's Kaffeehaus an die Stelle von Will's Kaffeehaus getreten. Die neue Generation der Schöngeister sammelte sich hier um einen neuen Mittelpunkt: Addison. Als dieser nach dem Sturz des Whigministeriums und Marlborough's von seinem Posten in Dublin zurückkehrte, hatte Daniel Button, ein Bedienter der Gräfin Warwick, die später Addison heirathete, das neue Kaffeehaus dem alten in derselben Straße gerade gegenüber eröffnet, und Addison wurde der große Patron desselben. Dies ward Addison's Kaffeehaus, wie jenes Dryden's Kaffeehaus gewesen. Hier feierte der Dichter die Triumphe seines »Cato«; aber hierher auch kam er, nach seiner Verheiratung mit der Gräfin Warwick, um in der Mitte seiner guten Freunde von ehedem zu vergessen, »daß er Uneinigkeit im adelichen Leben erheiratet« und die noble Gräfin ihm, wie Lady Howard einst Dryden, »die Heraldik der Hand, nicht des Herzens« gegeben habe. Oft saß er hier bis tief in die Nacht hinein – länger als Dryden einst in seinem Kaffeehause gesessen; die Rothweinflasche stand auf dem Tisch und wir können uns denken, wie der wackere Steele, honest Dick, ihr und ihm zusprach, dem alten Freunde, der unglücklich war, obgleich er eine Gräfin zur Frau, den Palast von Holland-House zum Wohnsitz und keine Schulden hatte – weit unglücklicher als er, der Verfasser des »christlichen Helden«, der seiner Frau die zärtlichsten Briefe schrieb – aus dem Schuldgefängniß. Nach Button's Kaffeehaus pflegte auch Pope zu kommen, bis er eines Tages von dem Idyllendichter Ambrosius Philips mit einem Birkenstock durchgeprügelt worden war wegen einer schlechten Kritik irgendeiner seiner Idyllen. Und hierher endlich kam Swift, »der verrückte Doctor«, wie sie ihn nannten. Eines Abends, als Addison und die übrige Gesellschaft hier waren, hatte sich auch ein Mann in großen Stiefeln eingefunden, der offenbar frisch vom Lande hereingekommen. Swift sah ihn lange an, zuletzt näherte er sich ihm und ohne weitere Einleitung fragte er ihn: »Um Vergebung, mein Herr, haben Sie jemals so etwas wie gutes Wetter in der Welt gesehen?« Nachdem der also Angeredete sich zuerst ein wenig über die Seltsamkeit von Swift's Manier und seine Frage gewundert hatte, gab er zur Antwort: »Ja mein Herr, ich habe Gott sei Dank schon manchen guten Tag erlebt.« »Das ist mehr, als ich sagen kann«, versetzte Swift; »ich erinnere mich keines Wetters, das nicht zu heiß oder zu kalt, zu naß oder zu trocken war; aber Gott der Allmächtige weiß es freilich so einzurichten, daß am Ende des Jahres alles auf eins herauskommt.«
Button's Kaffeehaus wird im »Zuschauer« nur gelegentlich erwähnt; erst »Der Wächter« ( The Guardian, die dritte und letzte der von Addison und Steele gemeinsam herausgegebenen Zeitschriften) stellte vor diesem Versammlungsort der Schöngeister jenen Briefkasten in Form eines Löwenkopfes mit offenem Rachen auf, welcher nicht geringes Aufsehen gemacht zu haben scheint im damaligen London. »Dieser Kopf, eine Nachahmung desjenigen am Dogenpalast von Venedig, durch welchen alle geheimen Nachrichten jener Republik gegangen sein sollen, wird einen sehr weiten und gefräßigen Rachen öffnen, um diejenigen Briefe und Aufsätze in sich aufzunehmen, welche meine Correspondenten für mich bestimmen« (Nr. 88). Dieser Löwenkopf, entworfen von Hogarth, von Steele (Nr. 114) als eine ausgezeichnete Arbeit beschrieben und im Juli 1713 an der westlichen Seite des Kaffeehauses ausgestellt, ist das Einzige, was von Button's übriggeblieben: er ist, nachdem die Zeitschrift schon mit der Nummer vom 1. October 1713 schloß, durch viele Hände zuletzt in den Besitz des Herzogs von Bedford übergegangen, auf dessen Landschloß Woburn er aufbewahrt wird. Das Kaffeehaus aber ist im Jahre 1865 niedergerissen worden. Ich erinnere mich, dasselbe noch gesehen zu haben. Oftmals bin ich in diese Gegend gekommen, um zwischen beiden Häusern, in der verhältnißmäßig stillen Straße stehend, an die vergangenen Zeiten und Menschen zu denken. Rechts war Coventgarden, deren einst hochfashionable beide Piazzen, die große und die kleine Piazza, nach Zeichnungen von Inigo Jones gebaut, von Häusern aus rothen Backsteinen und mit Balkonen umgeben, sich seit lange schon in den berühmten Gemüsemarkt verwandelt haben; links war Drurylane, die alte Straße und das Theater, von Rauch und Ruß geschwärzt, wenn nicht von Alter; in einer kleinen Seitenstraße, Maidenlane, einst in Königin Anna's Zeit von den feinsten Putzmacherinnen bewohnt, lebte in dem Hause »Zur weißen Perrüke« Voltaire (1728-30), als er seine » Lettres de Londres sur les Anglais« schrieb, und vor mir über den Bögen von Adelphi erhob sich die Terrasse, auf welcher der Bazar der »Neuen Börse« seine verlockenden Schätze »Handschuhe, Bänder und Auswahl feiner Essenzen« für die schöne Welt in Reifrock und Perrüken ausgebreitet hatte. Will's Kaffeehaus allein steht noch aus jener Zeit, aber es wohnt jetzt ein ehrsamer Metzger darin.
Sic transit in gloria mundi.
Unser Gegenstand ist noch bei weitem nicht erschöpft; wie könnte man auch an Vollständigkeit denken, wo das Namensverzeichniß der Kaffeehäuser in London mehr Blätter füllen würde als wir uns hier für die Geschichte derselben vorgesetzt haben? Die eigenthümliche Erscheinung einer gewissen Zeit charakterisirt, die Brennpunkte des öffentlichen Lebens nebst einigen der Personen gezeichnet zu haben, welche der Zeit die Signatur ihres Geistes aufgedrückt: das war vielmehr unsere selbstgestellte Aufgabe, nicht eine Nomenclatur. Wir wollten an einigen Beispielen nachweisen, wie frühe schon, auch auf diesem Gebiete, wir in England die Erscheinungen eines geregelten Kampfes gegen die Willkür, einer weisen Benutzung des Sieges und einer unerschütterlichen Tendenz zur Association der Interessen erblicken. Wir hatten damals in Deutschland kaum ein nationales Leben und in unsern Städten gewiß nichts, was wir um dieselbe Zeit den londoner und auch den pariser Kaffeehäusern, wie wir sie aus »Rameau's Neffen«, um ein Beispiel statt vieler anzuführen, kennen – diesen Sammelplätzen politischer Anregung und geistigen Verkehrs, deren Radien und Strahlen nach allen Richtungen hin auslaufen, – diesen Lehrstätten eines gewählten Gesprächs und einer feinen Geselligkeit, in welchen die Wissenschaft und das Leben sich begegneten, an die Seite hätten setzen können.
Und doch sind, wie gesagt, die politischen und die literarischen Kaffeehäuser nur ein kleiner Theil aus der Zahl der übrigen, in welchen jeder Stand und jeder Beruf seine Vertretung fand. Denn dieses Princip der gemeinsamen Interessen ist es, unter welchem die verschiedenartigen Formen derselben Erscheinung, weit über das Anekdotische hinaus, einen wahrhaft historischen Ausdruck gewinnen; indem es uns abermals nachdrücklich auf jene sogenannte praktische Seite der Engländer hinweist, welche sie zu allen Zeiten und überall so glücklich vor der Pedanterie bewahrt hat. Was hat es auch der Unsterblichkeit Sir Isaak Newton's geschadet, daß er sich nach den Sitzungen der Royal-Society, deren Präsident, wie man weiß, er war, in »den Griechen« ( the Grecian) begab, um hier in Gesellschaft mit seinen beiden Secretären Dr. Halley und Keil und andern Professoren von Oxford den Abend zu verbringen, an einem Tisch vielleicht mit dem »Herrn Zuschauer«, dessen Gesicht, wie er uns in Nr. 1 berichtet, sehr wohl bekannt ist in diesem Kaffeehause – während an einem andern Tisch »Untersuchungen über das Alterthum« angestellt und »die Heldenthaten von Homer's Iliade« besprochen wurden? ( Tatler, Nr. 6.) Ebenso wie die Theologen hatten die Doctoren der Gottesgelahrtheit ihr Kaffeehaus, Child's Coffee-house, in St.-Paul's Churchyard, hinter der Hauptkathedrale von London. Die Prälaten sind immer liberale Patrone der Gastwirthe gewesen, von jenem Walther Mapes an, welcher das herrliche Trinklied gedichtet: » Mihi est propositum in taberna mori!« (von Bürger übersetzt: »Ich will einst bei Ja und Nein vor dem Zapfen sterben«, u. s. w.), bis zu Laurence Sterne, dem »empfindsamen Reisenden Yorick«, welcher einst den Text ausgab: »Es ist besser in das Haus der Trauer als in das Haus des Zechens zu gehen«, und seine Predigt mit den Worten begann: »Ich bestreite das!« Ein gewisses Kaffeehaus in Cheapside, » the Chapter« genannt, war berühmt wegen der sogenannten »Drei Penny-Curaten«, geistliche Tagelöhner, welche für zwei Pence und eine Tasse Kaffee gemiethet wurden, um irgendwo innerhalb des Weichbildes Gottesdienst zu halten. Die Doctoren der Medicin waren bei Garaway's; die Juristen in der Nähe der drei großen Innungen, Lincoln's Inn, Gray's Inn, vorzüglich aber bei dem Temple in Fleetstreet. Das Kaffeehaus der Maler ( Old Slaughter's) war in St.-Martin's-Lane, in der Nähe der heutigen Nationalgalerie, und das der Buchhändler ( the Chapter Coffeehouse) war natürlich in Paternoster-Row, der Heimat des englischen Buchhandels, jener schmalen, düstern Straße, unter dem Schatten von St.-Paul's, in welcher, während ringsumher das mächtige Gebrüll von London gleich dem Tosen eines ungesehenen Oceans ist, kein Wagen fährt, kein Lärm gehört wird, damit nichts das Nachdenken »der Väter der Reihe« ( the fathers of the Row) oder die feierliche Stille der ungeheuern Magazine stört, in welchen die Bücherballen Haus an Haus, und Wand an Wand, hinter verstaubten Fenstern bis hoch unter das rußige Dach lagern. Das Chapter-Kaffeehaus stand, obgleich von feinem alten Geist verlassen, leer und unbewohnt noch im Jahre 1848, wo Mrs. Gaskell es besuchte. Es hatte das Ansehen eines Wohnhauses, 200 Jahre alt, so wie man es zuweilen in alten Landstädten sieht, – klein, niedrige Zimmer mit schweren Balken quer über die Decke – brusthoch getäfelte Wände, flache, breite und dunkle Treppen. Dieses war das Kaffeehaus, in welchem sich vor 100 Jahren alle Buchhändler und Verleger trafen und wohin die literarischen Miethschreiber, die Kritiker und sogar die Schöngeister zu gehen pflegten, um Ideen oder Beschäftigung zu suchen. Daß aber, wie die ehrsame Zunft sich auch geändert haben mag, ihre Ansichten über gewisse Vorzüge der Literatur die nämlichen geblieben sind, mag uns folgende Stelle aus der ersten Nummer des » Connoisseur« (einer Zeitschrift aus dem Jahre 1754) beweisen, wo es heißt: »Wenn sie (die Buchhändler) sagen, ein gutes Buch, so beabsichtigen sie nicht den Stil oder die Gesinnung zu loben, sondern den raschen und ausgedehnten Verkauf desselben. Das Buch ist das beste, welches sich am meisten verkauft.«
Von den Kaffeehäusern jener Periode sind es namentlich diejenigen der Kaufleute in der Nachbarschaft der Börse und Change-Alley, welche sich in ihrem Namen, in ihrer Bestimmung, ja mehrentheils in denselben Räumen am längsten erhalten haben, zum Theil noch heute fortbestehen. Garaway's ist erst am 11. August 1866 geschlossen worden. »Empfindsamkeit ist kein Artikel im Cityleben«, sagt die » Illustrated London News« in dem Abschiedswort, das sie dem ehrwürdigen Etablissement widmet; »das Grundstück ist in diesen baulustigen Tagen für eine beträchtliche Summe verkauft worden«. Garaway's war eins der ältesten Kaffeehäuser von London, sein erster Besitzer Thomas Garaway, »Tabackshändler und Kaffeemann«. Zweimal, in den großen Feuern von 1666 und 1748, brannte das Haus ab, zweimal ward es wieder aufgebaut. Seit seiner Gründung im 17. Jahrhundert war es ein Platz für Auctionen: zuerst von Wein, dann von Thee, zuletzt von Mahagoni- und Farbehölzern. Während des Südseejahres gingen die Wogen der Speculation und des Schwindels nirgends höher als hier. In einem Gedicht über diesen Gegenstand meint Swift: Change-Alley sei ein Golf, tief wie die Hölle, in welchem Tausende scheiterten, und Garaway's die Klippe, auf welcher das wilde Geschlecht der Beutegierigen lauere, um die Gestrandeten zu plündern. Der große Auctionssaal war im ersten Stock; hier fanden die Versteigerungen »nach der Kerze« statt, d. h. der Auctionator zündete beim Beginn ein Stückchen Wachslicht, gewöhnlich von einem Zoll an, und ertheilte demjenigen den Zuschlag, welcher in dem Augenblick, wo das Licht ausging, das höchste Gebot gethan hatte. Zwanzig oder dreißig Verkäufe wurden hier durchschnittlich an jedem Tage vorgenommen. Die Erfrischungsräume waren zu ebener Erde, und der große Verkehr, von früh 10 bis abends 9 Uhr, war an der Barre: die »Sandwiches« (eine Art belegter Butterbrote) von Garaway waren berühmt. Bis zuletzt waren die Wände des Locals mit Auctionsaffichen bedeckt: Zeichen der Wandelbarkeit des Besitzes, welcher dieses Haus endlich selber unterliegen mußte.
Jonathan's Kaffeehaus ist einem ähnlichen Schicksal bisjetzt noch entgangen; es war ein Platz für Stockjobbers so frühe schon als zu der Zeit des » Mr. Spectator«, welcher in jener Versammlung oft für einen Juden gehalten wurde (Nr. 1); und Lloyd's, von weltweitem Ruf, so weit Schiffe segeln und Maaren unter Assecuranz über die Meere gehen, ist sogar gegenwärtig größer und blühender als es je vordem gewesen, obwol es, was das Alter anbetrifft, mit den ältesten Häusern dieser Art wetteifern kann: Lloyd's Kaffeehaus ist eins von den ältesten in London; man findet den Namen schon im Jahre 1700, dann im » Tatler« und » Spectator« erwähnt. Doch ist es in der That nur dieser Name, den es conservirt hat; denn aus dem ursprünglichen Gebäude, welches so hieß, ward es schon im Jahre 1774 in die Börse selbst verlegt und dort in der nordwestlichen Ecke, nachdem die Börse 1838 abgebrannt und 1841 wieder neu errichtet ist, befindet es sich heute noch. Eine stattliche Treppenflucht führt aus dem großen Quadrangel der königlichen Börse zu dem schönen Vestibüle hinauf, wo zur Erinnerung an die Grundsteinlegung eine Statue des Prinzen Albert steht und eine in die Wand eingesenkte Marmortafel, das sogenannte » Times-testimonial«, die Geschichte jenes großen und weitverzweigten Betrugs erzählt, welcher die Existenz der Banken aller europäischen Handelsstädte bedrohte, aber glücklicherweise früh genug durch die » Times« ans Licht gebracht wurde. Da der Eigentümer jede Geldentschädigung ausschlug, so setzte die dankbare City dem großen Blatte dies Denkmal und stiftete obendrein – aere perennius – zwei Timesstipendien. Lloyd's ist der große Mittelpunkt des Cityorganismus und all seiner Interessen, die über weite und stürmische Seen vertheilt bis an ferne Küsten reichen und deren ungeheuere Fäden, man könnte sagen das Nervensystem der Welt, welches sie umzweigt und jeden kleinsten Punkt darin berührt, hier auf einem Raum zusammenlaufen, der nicht größer ist als irgendein anderes Zimmer, in welchem Kaffee getrunken und Cigarren geraucht werden. Es ist sehr schwer, eine Vorstellung davon zu geben. Ein jeder, der in diesem Zimmer ist, hat zu jeder Zeit und in den letzten Nachrichten den Zustand des Erdballs vor seinen Augen: Handel und Politik, Wind und Wetter; er hört das Brausen des Sturmes, der den Indischen Ocean aufwühlt, und er sieht den Eisberg, welcher an der Küste von Canada das liverpooler Packetschiff gefährdet. Ein Instrument, das sogenannte Anemometer, ist hier aufgestellt, mit einer sehr feinen Maschinerie, welche jeden Wechsel des Windes, seine Richtung und Stärke sowie die Quantität des gefallenen Regens anzeigt. Zwei große Folianten in Leder gebunden, zur Rechten und Linken des Eingangs auf hohen Gestellen, enthalten, das erstere die Nachrichten aller in allen Häfen der Welt eingelaufenen Schiffe, das andere die Unglücksfälle zur See. Nach einem Sturme drängen sich große Haufen um die beiden Bücher, deren Inhalt an jedem Abend als Lloyd's Liste gedruckt ausgegeben wird. Hier sieht man die Gesichter und Trachten aller Zonen. Hierher kommen die Kapitäne, um in ihrem Zimmer, The Captains' Room, Contracte für neue Reisen abzuschließen; hierher die Schiffseigenthümer und die Assecuradeure, um in dem Underwriters' Room die Versicherungsgeschäfte zu machen. Hier werden die Körper der Schiffe gewogen, wie man eine Hand voll Getreide wiegt; die Namen, die Nummern, die Tonnenzahl, die Bemannung, die Schäden und Vortheile jedes einzelnen Schiffs in der britischen Handelsmarine sind hier genau bekannt. Kein englischer Kauffahrer darf aus einem englischen Hafen auslaufen, ohne daß er zuvor für seetüchtig erklärt und dann in Lloyd's Register eingetragen worden wäre Dieses Register » Lloyd's Register of British and Foreign Shipping« wird in Nr. 2, White Lion Court, Cornhill geführt und ward im Jahre 1834 begründet.; jedes Schiff führt sein Certificat, und danach bestimmt sich die Versicherungssumme. Das dritte Zimmer von Lloyd's ist das Kaufmannszimmer, the Merchants' Room, ein Lesecabinet mit einem Vorrath von Zeitungen, von welchem man sich schwerlich auch nur einen annähernden Begriff wird machen können. Die großen Kosten dieses Etablissements werden theils aus dem Ertrag von Lloyd's Liste, Abonnements und Inseraten, theils aus den Beiträgen der Mitglieder (circa 2000) bestritten. Denn obwol Lloyd's noch den Namen eines Kaffeehauses hat, so ist es seinem Wesen nach doch ein ganz moderner Club, mit Ballotement und Eintrittsgeld neuer Mitglieder und regelmäßigen Beiträgen der alten. Diesen Charakter hatte Lloyd's, seitdem es 1774 in die Börse übersiedelte; jenes Jahr bezeichnete ungefähr den Zeitpunkt, wo die alten Kaffeehäuser von London sich durchgängig in die modernen Clubs zu verwandeln begannen.
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Es ist schwer zu sagen, wann dieser Umwandlungproceß sich vollendete. Solche Termine lassen sich ganz genau nicht bestimmen. So viel ist gewiß, daß es keine Kaffeehäuser mehr in London gibt und daß der Name, wo er sich noch findet, etwas ganz anderes bezeichnet. Ein Coffeehouse im heutigen London ist ein Speisehaus dritten Ranges; in den Hotels zweiten Ranges bezeichnet das Coffeeroom das Speisezimmer, und in einem Hotel ersten Ranges das Zimmer für Frühstück und Souper. Das Coffeeroom vertritt für die Fremden in dem Hotel, wo sie nur Betten haben, auch die Stelle des Wohnzimmers, in dem sie sich versammeln (zuweilen mit Pantoffeln), die Zeitungen lesen, ihre Briefe schreiben und auf Sofas oder in Sesseln ihr Nachmittagsschläfchen halten. Das sogenannte Kaffeezimmer ist in den großen Hotels ein höchst eleganter Salon, ausgestattet mit englischem Comfort und französischer Eleganz, wo man auf Teppichen wandelt und jedes Wort, das man sagt, nur flüstert; in den mittlern Hotels aber ist es wirklich noch eine Reminiscenz der alten Kaffeehäuser, eine Erbschaft der Tavernen, welche den Uebergang vom Kaffeehause zum Club vermitteln. Auch die Zahl der Tavernen in London ist im Abnehmen begriffen. »Unter diesem geheiligten Wort«, sagt ein Schriftsteller in » London Society« (März 1866), »verstehen wir das reguläre, altmodische, dunkelgetäfelte Zimmer, mit grünen oder rothen Gardinen, in welchem unsere Großväter, Urgroßväter und deren Urgroßväter vor ihnen ihre Abendmahlzeit aßen, Portwein und Punsch tranken, Pfeifen rauchten und über Politik und Literatur sprachen.« Es gibt nur noch wenige dieser ehrwürdigen Häuser in London, aber es gibt ihrer doch noch in Drurylane und der Nachbarschaft vom Tempel; und wer, mit einer Vorliebe für das alte London, würde nicht einmal eins derselben besucht haben, den Hahn, oder den Cheshire Käse, oder die Mitra, um aus dem reichgebräunten Kaffeezimmer auf einen ruhigen Hof des Tempels hinauszublicken, mit einer Reihe von Bäumen in der Mitte, um welche die träumerische Nachmittagssonne schimmert, während Erinnerung die Decke »sozusagen mit einer Guirlande von Tatler- und Spectatorblättern kränzt?«
»Sir«, sagte Dr. Johnson zu seinem Eckermann, Boswell, »es gibt keinen andern Platz in der Welt, wo Ihr, je mehr Lärm Ihr macht, um so willkommener seid.«
Der Doctor war der große Patron, der » vates sacer« der Tavernen, obwol er auch zur Ausbildung des Clublebens, wie man es jetzt versteht, das Seinige beigetragen.
Das Wort Klub oder Club ist ebenso wol deutsch als englisch; die angelsächsische Wurzel clypian oder clypan, englisch cleave, deutsch kleiben, davon Kluppe, Klubb, Club (etwas Gespaltenes und somit klemmend Festhaltendes; die Bedeutung in unserm abgeleiteten Sinne die einer geschlossenen Gesellschaft und ihres Locals: Sanders, »Wörterbuch der deutschen Sprache«, S. 944 und 946). Der Club ist eine Vereinigung, die auf Theilung beruht: d. h. der Zeche, der Kosten, der Rechnung; und deren erster natürlicher Mittelpunkt war: der gedeckte Tisch. »Unsere neuern berühmten Clubs«, heißt es in Nr. 9 des »Zuschauer«, »gründen sich auf Essen und Trinken, zwei Dinge, in welchen die meisten Menschen übereinstimmen und an welchen der Gelehrte und der Ungelehrte, der Kopfhänger und der Muntere, der Philosoph und der Hanswurst theilnehmen kann.« Clubs dieser Art haben wir auch in Deutschland gehabt und haben sie noch heute; und historische Namen, wie der Jakobinerclub und die Clubisten von Mainz, denen die verschiedenen frankfurter Clubs aus den Jahren der deutschen Reichsversammlung hinzugefügt werden können, zeigen, daß der Begriff sich in politisch bewegter Zeit auch auf andern, höhern Gebieten geltend machte. Doch ist England der Boden, auf welchem der Club seine eigenthümliche Entwickelung nahm, und die einzige Heimat des modernen Clubs, den wir als ein populäres Element im öffentlichen Leben sonst nirgends finden.
Zwar bildeten sich und bestanden »diese kleinen nächtlichen Versammlungen, welche gemeiniglich bekannt sind unter den Namen der Clubs«, neben den Kaffeehäusern und zur Zeit ihrer höchsten Blüte; doch war ihr ausgesprochener Zweck allein jenes erste und natürlichste Bindemittel der geselligen Thiere ( sociable animals) – das Essen! In den Kaffeehäusern suchte man die geistige, in den Tavernen und Clubs die materielle Nahrung; die Taverne war der Ort, in welchem der Club gehalten wurde. Wie noch heute in manchen Gegenden Deutschlands man sich zur gemeinsamen Martinsgans vereinigt, so in London damals zu den mannichfachsten Gelegenheiten, nur regelmäßig und häufiger. »Gründe sind so wohlfeil wie Brombeeren«; und die guten Londoner jener Zeit bedienten sich jeder Veranlassung »zu löblichem Thun«, Staatsmänner, schlichte Bürger, Literaten, » histriones, balatrones et hoc genus omne«: zuletzt hatte jede Straße ihre besondern Clubs, die sogenannten Street-Clubs. Dabei war von Anfang an das Merkmal, welches den Club vom Kaffeehaus unterschied und welches auch die Grundlage des modernen Clubsystems geblieben ist: Zutritt halten nur Mitglieder, welche statutengemäß aufgenommen waren und ihre Beiträge zahlten. Vielleicht ist es diese Continuität in der Entwickelung einer gesellschaftlichen Institution, die sich dadurch als historisch darstellt, welche den Forscher am meisten anzieht, wie sie für den Leser die lehrreichste Seite unsers Themas bieten mag.
In der angegebenen Bedeutung finden wir das Wort »Club« schon vor dem Bürgerkrieg gebraucht, z. B. in einem Gedichte von Sir William Davenant » The long vacation in London« in welchem der Dichter schildert, wie zur Zeit der großen Ferien die Straßen Londons veröden, indem alles sich auf das Land begibt – »unsere Maulesel sind gekommen! Löst den Club auf! Bis zum Wiederbeginn der Gerichtssitzungen wird die Welt gescheuert, gescheuert« –
Our mules are come!
dissolve the club!
The world till term is rub, O rub!
Es leidet keinen Zweifel, daß dieses Poem des ehemaligen »Generalintendanten der königlichen Schauspiele« unter Karl II., geschrieben worden ist, als Davenant noch » poeta laureatus« Karl's I. war, denn es ist darin vom Globetheater die Rede, welches 1647 niedergerissen ward, und vom Bulltheater, welches zur Zeit der Restauration so verlassen stand, daß Davenant in seinem » Playhouse to be let« (1663) selbst sagt: »es habe keine Bewohner mehr, außer den Spinnen«. Payne Collier, The history of the English dramatic poetry, III, 302, 328.
Während der Republik und unter dem Protectorat existirte der für die Geschichte jener Zeit nicht unwichtige Rotaclub, eine zum Zweck politischer Discussion von Harrington, dem Verfasser der » Oceana«, gestiftete gesellige Vereinigung, welcher unter andern auch Milton's Schüler und Freund, Cyriac Skinner, angehörte. Die Versammlungen fanden in dem »Türkenkopf« ( Turk's Head) einem Kaffeehaus in New-Palace-Yard, in der Nähe von Westminster-Hall statt. Man saß an einer Rundtafel – der Tafel alten Ritterthums und moderner Gleichheit – mit einem Durchgang, um den Kaffee warm zu bekommen, ohne Unterbrechung der Debatten. Die Beschlüsse wurden durch Ballotement mittels einer Stimmurne ( balloting-box) gefaßt und Harrington sagt von dieser Urne, daß in ihr nicht falsch gespielt werde – » a box, in which there is no cogging«. Man discutirte hier ganz öffentlich über Fragen der politischen Organisation, in einem dem Gouvernement Cromwell's wenig freundlichen Sinne, sodaß die militärische Macht sich nicht selten versucht fühlte, die Sitzungen zu schließen. Allein Cromwell begnügte sich damit, diese philosophische Coterie zu überwachen, ohne sie zu verfolgen. Guizot, Histoire de la révolution d'Angleterre, IV, 104, 105; D'Israeli, Amenities of Literature, S. 699.
Ebenso wird von einem ähnlichen Verein unter Karl II., dem » Green Ribbon Club« berichtet, welcher seinen Sitz »unter dem Hauszeichen König Heinrich's VIII., gegenüber dem Tempel« hielt, und unter dessen Mitgliedern Andrew Marvel war, der Dichter und Assistent Milton's während der letzten Jahre des Protectorats.
Doch erst in der geistig freiern und gesellig mehr bewegten Zeit der Königin Anna beginnen jene Clubs, von deren Geschichte wir etwas genauer unterrichtet sind. Der älteste und ehrwürdigste derselben war der Kit-Kat-Club, welcher, wie der »
Spectator« sagt, seinen Ursprung einer Hammelpastete verdankt. Dies will so viel sagen, daß der Club sich zuerst versammelte in dem Hause eines Pastetenbäckers, Namens Christoph Katt, oder wie andere wollen Namens Christoph, während das Schild seines Hauses eine jener unbegreiflichen, aber echt englischen Combinationen zeigte, nämlich die Katze und die Fiedel (
the cat and fiddle), sodaß Kit (Abkürzung von Christoph) und Kat auf die eine oder andere Weise erklärt wäre. Jedenfalls scheint die Hammelpastete (
mutton-pie) das große Medium gewesen zu sein, um welches die Mitglieder dieses Clubs zur Zeit der guten Königin Anna sich brüderlich zusammenthaten. Der Kit-Kat bestand aus 40 Mitgliedern, Edelleuten, Männern von Stand, Rang und Einfluß, Schriftstellern von Distinction; alle vierzig nicht minder aufrichtige Liebhaber von Pasteten als ergebene Freunde des Hauses Hannover und eifrige Stützen der protestantischen Thronfolge in Parlament und Presse. Sechs Herzoge (darunter der große Marlborough, deutscher Reichsfürst von Mindelheim) und fünf Grafen, – die Celebritäten der Whigs aus König Wilhelm's Zeit: Sunderland, Halifax und Somers und der leitende Minister der kommenden Aera, Sir Robert Walpole, saßen, aßen und tranken hier einträchtiglich mit den beiden fashionabeln Lustspieldichtern Vanbrugh und Congreve, mit Addison und Steele, diesen
Dioskuren, deren Namen niemals fehlte in den geselligen Listen jener Zeit, nebst einer ganzen Reihe von andern witzigen Berühmtheiten, unter welchen Sir Samuel Garth, nachmals Leibarzt des Königs, nicht den geringsten Platz einnahm. Eines Abends kam er in den Club mit einem Verzeichniß von 15 Patienten, die er noch zu besuchen hatte. »Hol sie der Henker!« rief er, als Steele ihn boshafterweise darin erinnerte; »neun von ihnen sind so krank, daß kein Arzt ihnen helfen, und sechs so gesund, daß kein Arzt ihnen schaden kann.« Auch Sir Gottfried Kneller, der Hofmaler zweier Majestäten und Verewiger zahlloser Schönheiten, die ohne ihn wahrscheinlich vergessen wären
... for two ages having snatch'd from fate
Whate'er was beauteous or whate'er was great.
(Epitaph auf Sir Godfrey Kneller in Westminster-Abtei, von Pope.), ein geborener Lübecker, war von der Partie; und er porträtirte den ganzen Club in einer Reihe von Bildern, den sogenannten Kit-Kat-Porträts, die noch heute in einer Hand beisammen auf den beiden Ausstellungen von Manchester (1857) und Kensington (1862) zu sehen waren: in der That keine kleine Sehenswürdigkeit, die ersten Berühmtheiten einer historisch ausgezeichneten Zeit, und gemalt von dem ersten Maler derselben, welcher übrigens so wenig galant und dabei so geizig war, daß er von den großen Damen, die in sein Atelier kamen, nur das Gesicht skizzirte, um hernach die Figur und Hände seines Dienstmädchens hinzuzufügen. Vielleicht zu ihrem Vortheil, denn man weiß, wie sehr Kneller's Damenporträts sich namentlich durch die wundervollen Arme und Hände auszeichnen. Andererseits, wenn man ihn wegen seiner hastigen und
nachlässigen Arbeit tadelte, rief er aus: »Pah, man wird nicht glauben, daß das Bild von mir sei! Kein Mensch wird glauben, daß derselbe Mann dieses Bild und den Chinesen zu Windsor gemalt habe!« Zu den Curiositäten des Clubs gehörten auch die sogenannten
toasting glasses, eine Anzahl von Gläsern, jedes einzelne davon mit einem Vers oder Toast auf eine der herrschenden Schönheiten der Zeit beschrieben. Unter diesen waren allein vier Töchter des in jeglicher Hinsicht gesegneten Herzogs von Marlborough; ferner eine Nichte von Sir Isaak Newton. Die Sitte des Toasttrinkens war damals noch neu; und jedes Glas hieß nach der Dame, der man den ersten Toast daraus getrunken, die Herzogin oder Gräfin etc. So-und-So. Das Glas »Lady Mary Churchill« (nach der jüngsten von Marlborough's schönen Töchtern genannt) hatte folgende Inschrift:
Des lieblichen Geschlechtes schönstes, spätes Licht
Du, mit der Mutter Geist und holdem Angesicht:
Zu William's Zeiten wardst du uns geschenkt
Mit unsrer Freiheit, die – dein Auge nur beschränkt!
Der Verfasser dieser eleganten Poesien auf Glas war Lord Halifax; und der Secretär des Clubs der große Verlagsbuchhändler jener Zeit, Jakob Tonson, der unsterbliche Bocai (Anagramm von Jakob) in den Satiren des Ned Ward, welcher wol mehr als einen Grund hatte, dem vornehmen Verleger zu zürnen. Dieser Mann, Bocai, war im besten Falle nicht besser als Gott die Verleger nun einmal gemacht zu haben scheint; mußte doch selbst Dryden ihn einmal durch ein sehr boshaftes Epigramm mit dem Postscriptum: »Sage dem Hund, daß derjenige, der diese drei Zeilen geschrieben hat, mehr schreiben kann«, zwingen, ihm ein verabredetes Honorar zu zahlen. (Dryden, Poetical Works: Description of old Jacob Tonson.) Indessen geht doch Ned Ward vielleicht ein wenig zu hart mit ihm ins Gericht, wenn er ihn den »Oberkaufmann der Musen« nennt und von ihm behauptet, er habe einen seiner unglücklichen Autoren gezwungen, die Poesie aufzugeben und dafür einen Pastetenladen anzulegen, in welchem er, Bocai, wöchentlich einmal als »Chairman« des neuen Puddingetablissements präsidire. Hierher habe er darauf alle seine Autoren entboten, und da er weislich bemerkt, daß Pasteten den Dichtern wären, was einst Ambrosia den Göttern gewesen, so habe er fortan die Früchte ihrer Begeisterung mit Pasteten bezahlt, sich des doppelten Vortheils dabei bedienend, daß ihm sein Protégé, der Pastetenbäcker, was auf dem Wege des Buchhandels davon nicht verkauft worden, als Einwickelpapier abnahm. Auf diese Weise machte Bocai ein besseres Geschäft mit seinem Buchhandel als seine Autoren mit ihrem Witz; und obgleich er unter Edelleuten immer nur wie ein Buchhändler aussah, so betrug er sich doch, vice versa, wie ein Edelmann, wenn er unter Buchhändler kam.
Bei weitem glimpflicher urtheilt unser Biedermann über den Beefsteakclub, dieses »neue Rumpfparlament«, wie er es nennt, dessen Mitglieder in seinen Augen den doppelten Vorzug haben, weder Buchhändler noch Schriftsteller zu sein. »Gleich echten Briten«, sagt er, »und um ihre Verachtung für Kit-Kat-Pasteten zu zeigen, gaben sie einem Rumpsteak den Vorzug, indem sie weislich erwogen, daß das Wort Beef von einem männlichern Charakter sei und in dem Titel eines englischen Clubs besser klänge als Pasteten oder Kit-Kat.« Obwol dieser Club gleich dem vorigen gestiftet worden war, um eine Anzahl von Freunden an mehrern bestimmten Tagen zu den Freuden der Tafel zu versammeln, nicht zu politischen Zwecken: so nahm er doch sehr natürlich in diesem Lande, wo die Parteiunterschiede auch der Gesellschaft ihren Ausdruck geben und wie ein neuerer Schriftsteller (D'Israeli) bemerkt, »das öffentliche Leben vielleicht die einzige Grundlage wahrer Freundschaft ist«, eine politische und zwar toryistische Färbung an, und lange blieben die Geistlichkeit und Beefsteak die treuesten Stützen der Opposition, während die herrschende Partei sich hinwiederum in ihren höchsten Stellen aus dem Kit-Kat rekrutirte. Der Präsident dieser Beefeaters, welche nach Ned Ward den substantiellen Kern der Nation so wacker repräsentirten, trug einen Bratrost von Gold an einem grünseidenen Band um den Hals und war, in den Worten unserer Autorität, auf dieses Zeichen seiner Würde so stolz, wie (man merke auf die Jahreszahl: 1709!) »ein deutscher Hansnarr auf den Orden eines Fürsten«.
Das Beefsteak und der Club sind zwei so nationale Institutionen, daß man sie, einzeln und zusammen, im englischen Leben niemals wird aussterben lassen. Es gab zu verschiedenen Zeiten und gibt noch heute verschiedene Beefsteakclubs; der Beefsteakclub aber, welcher unter dem Namen der »Erhabenen Beefsteakgesellschaft« ( the sublime society of beefsteaks) der berühmteste von allen war, hat im April 1869 aufgehört zu existiren, nachdem er das glorreiche Alter von 134 Jahren erreicht hatte. Von einem Coulissenmaler Mr. Lambert, dem Gropius seiner Zeit (1735) und in dem Malerraum eines Theaters gegründet, versammelte sich diese erhabene Gesellschaft, treu ihrem ursprünglichen Boden, solange sie bestand, unveränderlich auf den »Bretern, die die Welt bedeuten« zuerst im Coventgarden-Theater, dann, als dieses Haus abbrannte, im Lyceum-Theater, wo sie bis zuletzt in den Monaten von November bis Juni sich an jedem Sonnabend Nachmittag um 5 Uhr zu einem Beefsteakdiner einfand, hinter den Coulissen, in einem Zimmer, welches nach der Beschreibung von Mr. Cunningham »ein kleines Escurial war, die Thüren, das Getäfel und die Decke von gutem alten englischen Eichenholz, verziert mit den Stäben des Bratrostes, so dicht wie die Kapelle Heinrich's VII. mit den Fallgattern des Gründers«. Die Heimlichkeiten, Gebräuche und Zeichen einer Loge umkleideten die nächtlichen Sitzungen der Steaks; und was dem Freimaurer die Kelle, das war ihnen der Bratrost. Die Damastgedecke, die Trinkgläser und das Silberzeug trugen eingewebt, eingeschliffen und eingegraben das Zeichen des Bratrostes. Durch das Eisengitter eines großen Bratrostes sah man den Koch bei seiner Arbeit, und der Originalbratrost (dieses Emblem, welches aus den beiden großen Theaterbränden gerettet wurde) hatte seinen Ehrenplatz an – der Decke. Das Urkundenbuch dieses Clubs umfaßte die ersten Namen der britischen Aristokratie; hier konnte man Grafen und Herzoge sehen, die den Koch bedienten, Cabinetsmitglieder und Magistratspersonen der guten City, und hier sah man in der Blüte seiner Jugend und seines beginnenden Ruhms Brougham, den Arm mit Flaschen bepackt, die er aus dem Keller herauftrug. Die Zahl der Steaks war auf 24 beschränkt, nur einmal wurde sie überschritten, als nämlich der Prinz von Wales, nachmals König Georg IV., aufgenommen zu sein wünschte. Dieses denkwürdige Ereigniß fand statt im Jahre 1785, und das » Annual Register« hielt es für wichtig genug, um ihm folgenden Paragraphen zu widmen: »Sonnabend, 14. Mai, ward der Prinz von Wales als Mitglied des Beefsteaksclubs aufgenommen. Da keine Vacanz war, so ward vorgeschlagen, ihn zum Ehrenmitglied zu machen; als der Prinz dies ablehnte, so kam man überein, die Zahl von 24 auf 25 zu erhöhen und hierauf ward Se. königliche Hoheit einstimmig erwählt.« Beefsteaks mit Zwiebeln und Portwein bildeten das Menu, und der erste Toast war: »Success to ten Acres«, worunter die zehn Morgen Landes gemeint waren, auf welchen Coventgarden, umgeben von dem Kirchspiel von St.-Martin's, stand. Am 7. April 1869 aber kam die ganze Herrlichkeit unter den Hammer, Möbel, Silberzeug, Porträts und sonstiges Eigenthum der » Sublime Society of Steaks« gingen eins nach dem andern hin, und das Hauptstück der Auction, – der alte Bratrost, das Palladium der Gesellschaft – ward für 5 Pfund Sterling und 15 Schillinge den großen Restaurateuren Spiers and Pond zugeschlagen.
Entsprechend den zahlreichen Absonderlichkeiten und Excentricitäten des englischen Nationalcharakters hat eine Menge von allerlei wunderlichen, einem continentalen Verstand zuweilen gar unbegreiflichen Gesellschaften das Clubleben von seinem Anfang an begleitet. Bände könnten geschrieben werden über die merkwürdigen Einfälle, die sich auf diese Weise verkörperten, bis sie verschwanden, um vielleicht nur noch merkwürdigern Platz zu machen. Schon Ned Ward, der früheste Chronist der Clubs, hat eine ganz hübsche Summe des »blühenden Unsinns« zusammengebracht, wie wir es nennen würden, oder des »höhern Blödsinns«, um in der allermodernsten Sprache zu reden. Er spricht von dem Club der Hellerspalter ( Split-farthing), der falschen Helden, der Quacksalber, der Vögelliebhaber, der Atheisten, der Bettler, der Diebe; er spricht von dem Club der Nasenlosen und er spricht außerdem von einem oder zwei andern Clubs, deren Namen und Beschreibung man nicht wohl in anständiger Gesellschaft wiederholen kann.
Es gab einen Club von nächtlichen Ruhestörern, der sogenannte Mohocks, eine Reunion von jungen, meist den besten Ständen angehörigen Leuten, deren Clubfreuden damit begannen, daß sie sich betranken, und damit endeten, daß sie sich in die Straßen stürzten, Fenster zerschlugen, Nachtwächter prügelten, harmlose Wanderer anfielen und alte Frauen in Fässer packten, um sie Snow- oder Ludgate-Hill hinabzurollen. Die Plage wurde zuletzt so groß, und die Furcht, wenn es dunkel geworden, sich auf die Straße zu wagen, so allgemein, daß unter dem 18. März 1712 eine königliche Proclamation erlassen ward, welche jedoch dem Unwesen nur unvollkommen steuerte; denn erst zu Ende von König Georg's I. Regierung starb dieser noble Club aus. Ein anderer Club, der sogenannte Höllenfeuerclub, bestehend aus den Sprößlingen der ersten Adelsgeschlechter des Landes und berüchtigt durch seine Blasphemien und wilden Excesse, ist durch Beschluß des Oberhauses unterdrückt worden. Der Präsident dieses Clubs war der junge Herzog von Wharton, Sohn des Ministers unter Königin Anna, und der Geist desselben spiegelt sich in folgender Unterhaltung zwischen zwei ehemaligen Clubgenossen, Lord Sandwich und dem berühmten Wilkes. Als Lord Sandwich – so erzählt Horace Walpole – die Frage an ihn richtete, was er wol glaube, ob er durch den Strang oder an einer gewissen Krankheit sterben werde, erwiderte er: »Das hängt davon ab, ob ich mir die Maitresse oder die Grundsätze Ew. Herrlichkeit aneigne.«
Ein wenig harmloser wird wol der Je ne sçai quoi-Club (im Star und Garter, Pall-Mall) gewesen sein, obwol der Name des Herzogs von Orleans, nachmals Philipp Egalité, der sich unter den Mitgliedern findet, darauf zu deuten scheint, daß Tugend und Sittsamkeit nicht die Devise desselben gewesen sei.
Ist aber Häßlichkeit eine nothwendige Eigenschaft für die Männer der Freiheit? Fast scheint es so. Honoré Gabriel Riquetti, Graf von Mirabeau, ward bei seinem Besuch in England einstimmig erwählt zum Ehrenmitglied des Clubs der häßlichen Gesichter, nachdem bereits früher dem großen Revolutionär von England, Jack Wilkes, Dieselbe Auszeichnung zutheil geworden. Dieser Club verdankte seinen Ursprung einem unübertrefflich häßlichen Mann, Namens Hatchet, mit einer Nase von solch ungeheuerm Umfang, daß eines Tages ein Metzgerbursch schrie, er habe ihm das Bret mit Fleisch von der Schulter gestoßen, als sein Kopf noch wenigstens einen Fuß davon entfernt war. Der natürliche Gegensatz des häßlichen Clubs war der schöne Club, welcher ausschließlich aus Männern bestand, die in Cambridge studirt hatten und welche sich, bevor sie in den Club gingen, Grübchen auf die Wangen malten, wenn sie nicht von Natur damit gesegnet waren. Dieser Club stellte die goldene Regel auf, welche hernach Brummel, der König der Dandies, adoptirte: daß das Halstuch den Mann mache; und einer von ihnen sprach die ganze Wahrheit, als er eines Tages äußerte, daß es ein Vorgeschmack des Himmels sei, wenn er sich des Abends entkleide; daß ein Mann jedoch leiden müsse, um unwiderstehlich zu sein. Freilich, man wandelt nicht ungestraft unter Palmen!
Der Club der Unglücklichen recipirte kein Mitglied, welches nicht mindestens schon einmal bankrott gemacht oder sonst irgendwie mit dem Gesetz in Collision gekommen war; und der Lügenclub verordnete in einem Paragraphen seiner Statuten, daß der Präsident eine blaue Kappe und rothe Feder tragen und diese Zeichen seiner Würde nebst »dem Stuhl« demjenigen abtreten müsse, welcher im Laufe des Abends eine größere und unverschämtere Lüge zu Stande gebracht, als ihm möglich gewesen. Zwischen 9 und 11 Uhr durfte, bei strenger Strafe, kein wahres Wort gesprochen werden, außer wenn eingeleitet durch die Worte: »Mit Euerer Erlaubniß, Sir Harry« – da Sir Harry Gulliver, der Münchhausen von England, der Schutzpatron dieser auserlesenen Gesellschaft war. Es gab auch einen Club der Könige, bestehend aus den ungekrönten Häuptern, welche nicht die Würde, sondern nur den Familiennamen König hatten (King-Club); ferner einen Adamclub aus Mitgliedern bestehend, welche mit dem Gemahl Eva's den Vornamen theilten und sich demgemäß auch in Adam's Kaffeehaus, in Paul's Alley, versammelten. Von dem entgegengesetzten Gesichtspunkt des ersten Mannes ging der Club des letzten Mannes welcher von Anfang an sogleich auf den Aussterbeetat gesetzt worden war, indem er aus einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern bestand, welche durch Zulassung neuer unter keiner Bedingung vermehrt werden durfte. Eine Flasche Portwein ward in dem Zimmer versiegelt, in welchem der Club sich versammelte, und wenn nur noch ein Mitglied von allen geblieben, so sollte der letzte Mann in diesem Zimmer sitzen und diese Flasche entsiegeln und auf das Gedächtniß der Todten trinken. Doch ward, so heißt es, dies Statut nicht buchstäblich erfüllt; als die Zahl bis auf zwei zusammengeschmolzen war, sollen sich diese in dem Zimmer getroffen, die Flasche geleert und den Club für geschlossen erklärt haben, ( Athenaeum, Nr. 2001.)
Man könnte die Liste dieser excentrischen Clubs noch beträchtlich verlängern; aber es wird nun Zeit, daß wir uns demjenigen Manns nähern, welcher sich den Ehrennamen des most clubbable man gesichert hat und der in der That, wie er die Spuren seiner Eigentümlichkeit sehr tief in der englischen Literatur und dem englischen Leben überhaupt zurückgelassen, sie auch dem englischen Clubwesen aufgeprägt hat. Es kann kein Zweifel sein, daß wir Samuel Johnson meinen, den Doctor, wie er noch immer mit Vorliebe genannt wird.
Die Eigentümlichkeit dieses Mannes bestand darin, daß er viel bedeutender war in seiner Persönlichkeit als in seinen Werken; und daß er weit nachhaltiger wirkte durch das, was er sprach, als durch das, was er schrieb. Starr in seinen politischen, beschränkt in seinen religiösen und durchaus veraltet in seinen ästhetischen Ansichten, ist er doch und wird er vermuthlich noch lange sein der populärste Charakter der englischen Literatur, von den Geschichtschreibern beider Parteien mit gleicher Zuneigung behandelt und den Herzen aller näher stehend als irgendein anderer englischer Classiker.
Jemand, der England nicht kennt, vermag sich schwerlich einen Begriff zu machen von dem Zauber, welchen der Name dieses Mannes noch immer auf jeden Engländer ausübt. Von der Schule, die der Knabe besucht, nimmt er unter seinen ersten Eindrücken diesen mit nach Cambridge oder Oxford, wo er wahrscheinlich nicht verfehlen wird, das Zimmer zu besuchen, in welchem Johnson als Student die Classiker gelesen, oder das Kaffeehaus, wo er fast 50 Jahre später, nachdem die Universität ihn zum Doctor honoris causa gemacht, seine Meinung über den Ossian des Macpherson aussprach. Das Bild Johnson's wird den Reisenden begleiten, der die fernen Hebriden aufsucht, und wiewol die Zerstörung alter und die Errichtung neuer Bauten so viel gethan hat, um die Ufer der Themse und das Innere der City zu verändern, so taucht doch immer noch aus den alten Höfen, welche zu beiden Seiten von Fleet-Street liegen, die Figur des Doctors als ihr genius loci vor dem Geiste desjenigen auf, welcher diese Straße hinabgeht. Seine zur Corpulenz neigende Gestalt, sein unbeholfener Gang, sein aufgedunsenes Gesicht, sein dreieckiger Hut, sein brauner Frack und sein Rohrstock sind vor den Augen von Tausenden, welche vielleicht außer seinem »Wörterbuch der englischen Sprache« und seinen »Lebensbeschreibungen der englischen Dichter« kein Buch von ihm je gesehen haben; und viele, die sein Trauerspiel »Irene« langweilig und seinen abyssinischen Roman »Raffelas« ungenießbar finden, sind entzückt von den Gesprächen, die er bei Tische geführt, von den schönen und erhebenden Betrachtungen, die ein Morgenspaziergang durch den Park in ihm angeregt, von den Belehrungen, die er in einer Postkutsche seinen Reisegefährten gab, oder von den glücklichen Bemerkungen, die er am Abend in der behaglichen Ruhe eines ländlichen Wirthshauses machte. Die kleinsten Umstände seines nicht sehr bewegten, aber an Beispielen der Tugend, der Menschenliebe, der Charakterstärke sehr reichen Lebens sind bekannt, man wird nicht müde, sie zu citiren, sich an ihnen zu erfreuen, dank der köstlichen Biographie Johnson's von Boswell, diesem Buch, welches in jedem englischen Hause ist, wo die Bibel und Shakspeare sind.
Wenn Johnson schrieb, so war er stattlich, pedantisch, und strebte nach einer Grandeur, welche sehr oft zu einer pompösen, weitschweifigen und unenglischen Diction verführte; wenn er sprach, so war er einfach, kurz, gedrängt, natürlich und durchaus englisch: er traf den Nagel auf den Kopf. Er war kein Dichter, sondern ein Philosoph, ein Lehrer der Menschen; und wiewol die gedrückte Lage seiner Jugend und die Melancholie seiner spätern Jahre, verbunden mit einem sehr großen Stolz, ihn von demjenigen fern hielt, was man gemeiniglich die Gesellschaft nennt, so war er doch ein Meister der Geselligkeit in ihrem höhern und höchsten Sinne. Niemals sind inhaltvollere, tiefere Worte gewechselt und umfassendere Meinungen ausgetauscht worden, als in den kleinen Kreisen, in welchen man Johnson verehrte. Ein ganzer Schatz von Lebensweisheit liegt in den Unterhaltungen, welche, reich ausgestattet mit Anekdoten und glücklich gewählten Citaten aus den Dichtern, die bescheidenen Symposien verschönten, denen Johnson präsidirte, sei es in dem Hause seines Buchhändlers Osborne, oder in der Villa seiner Freundin Thrale, oder in seinem eigenen Club.
Dieser, zuerst der Club par excellence, dann der Literarische Club genannt, besteht noch heute unter dem Namen von Johnson's Club. Er hat seit seiner mehr als hundertjährigen Existenz Quartier und Namen verschiedentlich gewechselt, aber seine Substanz sozusagen ist dieselbe geblieben. Als Johnson diesen Club im Jahre 1764 stiftete, da waren es nur seine nächsten Freunde, zusammen, ihn einbegriffen, nicht mehr als neun, welche sich an jedem Montag zu einem gemeinsamen Abendessen in einer Taverne versammelten. Hier sah man neben dem ehrwürdigen Dictator der englischen Sprache und Literatur einen jungen Mann, in jedem Betracht das Gegenstück zu dieser massiven Persönlichkeit, welche überall zu herrschen gewohnt war: einen schüchternen Dreißiger, des Wortes wenig mächtig, in den Gesellschaften von allen übersehen und von vielen übertroffen, die weit geringer waren als er, meistens stumm, und wenn er sprach, verworren, unklar, unbedeutend und des treffenden Ausdrucks ermangelnd, aber voll Leben und Lieblichkeit, wenn er schrieb, ein feiner Kenner, ein milder Beurtheiler des menschlichen Herzens und in seinen Schilderungen von dem ganzen Heimatszauber der englischen Landschaft gleichsam umstrahlt: Oliver Goldsmith, der Sänger des »Verlassenen Dorfes« und der Verfasser des »Landpredigers von Wakefield«, unsterblichen Andenkens. Im fehlte die Gabe der Unterhaltung in einem solchen Maße, daß er oft Absurditäten sprach, wenn er überhaupt sprach. In aller Gutmüthigkeit ward er daher zur Zielscheibe des Witzes seiner Freunde gemacht, und besonders von Garrick. Um sich dafür zu rächen, schrieb Goldsmith sein berühmtes Gedicht »Die Wiedervergeltung« ( The retaliation), in welchem er seinen Genossen Grabschriften widmet, und von Garrick, auf dessen kleine Figur anspielend, sagt, er sei eine »Abkürzung« von allem, was in einem Menschen angenehm sei:
»
– describe him, who can,
An abridgement of all that was pleasant in man.«
»Sir«, sagte Dr. Johnson, »kein Mann war ein solcher Narr, wenn er keine Feder in seiner Hand hatte.« Aber er hat ihn doch sehr geliebt, und in der lateinischen Grabschrift, die er dem Denkmal des Dahingeschiedenen in Westminster-Abtei widmete, gesagt: daß er fast keine Gattung der Literatur unberührt, keine, die er berührt, ungeschmückt gelassen, (» qui nullum fere scribendi genus non tetigit, nullum, quod tetigit, non ornavit«), und daß die Liebe der Genossen, die Treue der Freunde, die Verehrung der Leser (» sodalium amor, amicorum fides, lectorum veneratio«) durch dieses Monument sein Andenken geehrt habe. Ferner war da ein Herr mit einer Brille auf der Nase, einer Trompete am Ohr und einer Schnupftabacksdose in der Hand: Sir Joshua Reynolds, der Nachfolger Kneller's und erste Präsident der königlichen Akademie der Künste, welcher die Wände der herrschaftlichen Schlösser und baronialen Hallen von England mit allem geschmückt hat, was während zweier Menschenalter vornehm, adelich und berühmt gewesen oder geworden, denn bekanntlich sind seine Kinderporträts das Ausgezeichnetste, was er geliefert. Einer von den Neunen war auch Burke, dessen feurige Beredsamkeit vielleicht nur vor der Superiorität Johnson's sich einen Zwang auferlegte. »Ich bin zufrieden, ihm die Glocke geläutet zu haben«, sagte er. Auch ein junger Mann noch in den Zwanzigen, von nobelm und imposantem Aeußern, war hier, kürzlich zurückgekehrt aus Italien und in seinem Innern immer mit einem Gedanken, einem Bilde beschäftigt: wie er zu Rom, unter den Trümmern des Capitols sitzend, Barfüßermönche die Vesper singen gehört im Tempel des Jupiter. Dreiundzwanzig Jahre vergingen, bis er in einer Juninacht zwischen 11 und 12, in einem Sommerhause am Genfersee die letzten Zeilen der letzten Seite des Werkes schrieb, dessen erste Idee jener Abend in Rom in ihm hervorgerufen. Der Name dieses Werkes, eines der größten in der historischen Literatur, ist »Geschichte des Sinkens und Falls des römischen Reichs«, und der Name des Verfassers, damals noch jung und unberühmt und in seiner werdenden Größe nur vorausgesehen von der kleinen Schar erlesener Geister, war Edward Gibbon. Vielen berühmten Männern war der Eintritt in den Club verwehrt; »zum Mitglied desselben gewählt zu werden, ist keine geringere Ehre, als der Vertreter von Westminster oder Surrey zu sein«, sagte einer von den Bischöfen jener Zeit, der so glücklich war, dieser Ehre theilhaftig zu werden. Dem Director des Drurylane-Theaters, David Garrick, ward es nicht so leicht gemacht. Obwol ein Schüler Johnson's, in der That einer von den dreien, welche der arme Pädagog in den Jahren seines Elends überhaupt zu unterrichten hatte, der einzige, welcher, dieses Elend treulich mit seinem Meister theilend, ihn nach London begleitete und später seine »Irene« auf die Bühne brachte: so war doch Johnson jetzt gegen die Ausnahme des modernen Roscius, dessen Stirn die Lorbern von ganz England krönten und der nicht blos ein großer, sondern auch ein reicher Mann, auf persischen Teppichen wandelte und von silbernen Tellern speiste. »Sir«, sagte Johnson, »ich liebe meinen kleinen David herzlich – mehr als alle oder viele von seinen Schmeichlern thun; aber sicherlich in einer Gesellschaft, wie der unserigen, sollte man sitzen »geelnbogt nicht von Spielern, Kupplern, Mimen.«
Zuletzt jedoch gab Johnson den Argumenten seiner übrigen Freunde und wahrscheinlich auch seines eigenen Herzens nach; Garrick ward Mitglied, und war bis an sein Ende nicht die geringste Zierde eines Clubs, der, nach und nach alle Celebritäten des Tages umschließend, eine Macht in den literarischen und künstlerischen Dingen geworden war, von dessen Verdict das Schicksal eines neuen Buchs oder eines neuen Stücks abhing. Erst mit Garrick's Tode, 1779, nahm der Club, der damals über 30 Mitglieder zählte, den Namen des Literarischen an, und fünf Jahre später speiste Johnson zum letzten mal in dem traulichen Freundesbund. »Er sah krank aus«, bemerkt Boswell an dem Tage (es war der 22. Juni 1784), »aber er bewies eine solch männliche Stärke, daß er die Gesellschaft nicht mit melancholischen Klagen belästigte. Sie alle gaben ihm sichtbare Beweise freundlicher Theilnahme, worüber er sich sehr freute, und er bemühte sich, so unterhaltend zu sein, als sein Unwohlsein ihm erlaubte.«
Am 13. Dec. desselben Jahres starb er. Weinend in der Thür stand Frances Burney, die Verfasserin von »Evelina«, deren junger Ruhm die Seele des alten Mannes mit einer fast väterlichen Freude erfüllt hatte, und seine Hand wurde kalt in der Hand eines Freundes aus dem Club, des milden, enthusiastischen Bennet Langton, welcher einst, in seinem achtzehnten Jahre, entzückt von den Schriften Johnson's, nach London gekommen, um ihn kennen zu lernen, und seitdem nicht aufgehört hatte, in bescheidener Weise denselben zu bewundern. Acht Tage später fand Johnson seine wohlverdiente Stätte in der Abtei, wo Englands große Todten ruhen, fast der letzte einer Generation von Schriftstellern, die vielleicht bedeutender sind für die Culturgeschichte als für die Literaturgeschichte ihrer Nation.
Unter den Mitgliedern des Literarischen Clubs sind die großen Männer Englands auf jedem Gebiete, der Literatur, der Kunst, der Wissenschaft, der Politik und Kirche. Bemerkenswerth ist es, daß ihm die großen Geschichtschreiber fast vollzählig angehörten, unter ihnen auch die beiden, welche dem Club in ihren Werken ein Blatt liebevollen Andenkens gewidmet: Lord Macaulay, welcher bei keinem seiner Diners während der Parlamentssaison fehlte, und Earl Stanhope (Lord Mahon), welcher unter den Gästen war, als die Gesellschaft 1864 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte und dem Stifter zu Ehren den Namen Johnson's Club annahm.
Außer diesem Club, welcher sich erhalten hat, gab es eine Menge von ähnlichen Vereinen, welche ihren Tag hatten und dann verschwanden. Man könnte sie kaum Clubs in dem neuern und vervollkommnten Sinne nennen, denn sie waren nur auf gelegentliche Zusammenkünfte berechnet; doch befriedigten sie das Bedürfniß geselliger Vereinigung nach dieser Seite. Denn die vorherrschenden Neigungen jener Zeit, wir meinen das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts, waren Trinken und Spielen. Zwischen diesen beiden Leidenschaften theilten, wo sie sich nicht etwa vereinigen ließen, die nobeln Spitzen der Gesellschaft ihre Muße treulich, und ihre regelmäßigen Versammlungslocale waren vorzugsweise der letztern gewidmet: die ersten wirklichen Clubs waren Spielclubs. Einige von diesen gingen aus den ehemaligen Kaffeehäusern hervor; nachdem das Augusteische Zeitalter vorüber war, wo jene »kleinen kreisförmigen Zuhörerschaften«, von denen der »Spectator« gesprochen, sich um den Stuhl eines hervorragenden Politikers oder Aesthetikers gruppirten, nachdem der Geschmack an diesen »eleganten« Unterhaltungen überhaupt einem andern substantiellern Geschmacke gewichen war, wurden die Säle verändert, in welchen fortan die Würfelbecher klirrten und die Goldstücke roulirten, und statt wie sonst einem jeden offen zu stehen, der sein Entree bezahlte, hatten nur noch Mitglieder Zutritt. So verwandelte sich der »Cacaobaum«, ein Torykaffeehaus zur Zeit der Königin Anna und zur Zeit des Prätendenten, 1746, ein Kaffeehaus der Jakobiten, um 1780 in den Spielclub, wo man in spätern Jahren auch Lord Byron sehen konnte. Ebenso ward, nur noch früher, aus White's Chocoladehaus ein Spielclub, und erst viel später, in unserm Jahrhundert, ein regulärer Club, der aber noch, zur Erinnerung an seine ehemalige Bestimmung, sein von Horace Walpole gezeichnetes Wappen, einen Würfelbecher mit der Devise » Cogit Amor Nummi«, führt und in welchem noch heute ein Buch zur Eintragung von Wetten aufliegt.
Das Wetten und Hazardiren erreichte seinen Gipfel in jenen unnatürlich aufgeregten Zeitläufen, welche sich in der ostindischen Speculation und durch die Reichthümer der heimkehrenden Nabobs zu Fieberhitze steigerten, um endlich in dem Ereigniß der Französischen Revolution den allgemeinen Ausbruch zu erleben und im nachfolgenden Kriege die Stahl- und Eisencur zu finden, deren die Welt so sehr bedurfte. Man wettete bei White's um 100 Guineen, ob ein gewisses Mitglied des Clubs, welches ein Witwer war, sich früher eine zweite Frau nehmen würde als ein anderes Mitglied, welches gleichfalls ein Witwer; schwere Summen waren in der Schwebe, ob ein bestimmter Minister zu einer bestimmten Zeit noch im Amte sein und eine junge Dame von Rang, welche sich eben vermählt, eher ein Kind bekommen werde als die Gräfin N. N., welche bereits seit vier oder fünf Monaten verheirathet war. Ein Mann stürzte vor der Thür von White's nieder und ward in das Haus getragen. Sogleich wurden hohe Wetten eingegangen, ob er todt sei oder nicht, und als man vorschlug, ihm zur Ader zu lassen, protestirten diejenigen, welche darauf pointirt hatten, daß er todt sei, gegen ein solches Verfahren, weil es ihre Chancen vermindern würde. »Einer von den jungen Leuten bei White's«, schreibt Walpole, »hat einen Mord begangen und beabsichtigt ihn zu wiederholen. Er wettete 1500 Pfd. St., daß ein Mann zwölf Stunden unter Wasser leben könnte; miethete einen verzweifelten Burschen, versenkte ihn versuchsweise in einem Schiff, und weder Mann noch Schiff sind wieder zum Vorschein gekommen. Ein anderer Mann und ein anderes Schiff sollen den Versuch noch einmal machen.« Lord Mountford wettete, daß der dreiundachtzigjährige Nash den vierundachtzigjährigen Cibber überleben werde. Der Lord würde die Wette gewonnen haben, denn Cibber starb (1757) vier Jahre früher als Nash (1761). Allein beide sollten das Ende des Lords überleben. Er hatte stupende Summen bei White's verloren und setzte seine letzte Hoffnung auf einen Regierungsposten. Als diese Hoffnung fehlschlug, lud er seine Freunde zu einem Diner bei White's. Es war an einem Sylvesterabend, und sie spielten hernach noch tief bis in den Neujahrsmorgen. Man trank sich »ein glückliches Neujahr« zu und der Lord ging nach Hause. Hierher ließ er einen Advocaten und drei Zeugen kommen, machte sein Testament, fragte den Juristen, ob das Testament auch gelten würde, wenn der Testator sich erschieße? und sagte, nachdem diese Frage bejaht: »Bitte, warten Sie einen Augenblick, bis ich in das andere Zimmer gehe«, ging in das andere Zimmer und erschoß sich. In dem Cacaobaum wurden in einer einzigen Nacht 180 000 Pfd. St. gewonnen und verloren; zwei Brüder, die Söhne von Lord Foley, hatten hier so viel verspielt, daß sie ihre Schuld mit jährlich 18 000 Pfd. St. verzinsen mußten; der nachmals so berühmte Admiral Harvey, einer der Helden von Trafalgar, verlor in seiner Jugend als Seecadet auf einen Satz sein ganzes Vermögen im Werthe von 100 000 Pfd. St. an einen irländischen Spieler von Profession, Namens O'Byrne, und gewann es wieder, als er auf einen zweiten Point sein eben von seinem Bruder ererbtes Gut setzte. Das Uebel wuchs, indem es sich, wie immer in den Fällen moralischer Verderbniß, rasch von oben nach unten verbreitete. Die E-O-Tische (» Even« und » Odds«, Paar und Unpaar, eine Art von Roulette) standen bald in jeder Kneipe; bei einer Parlamentsverhandlung (1782) ward von einem Mitglied gesagt, daß sich in zwei Kirchspielen von Westminster allein 296 davon befänden, und ein anderer fügte hinzu, daß in ganz London nicht weniger als 500 seien. Dienstboten und Lehrlinge wurden verlockt, indem man ihnen Nummerkarten in die Küchen und Keller warf, und selbst an Sonntagen standen Spielhöllen der niedrigsten Art in ganz London auf.
Einige von den fashionabeln Spielclubs haben sich bis in den Anfang unsers Jahrhunderts erhalten, unter ihnen, der allgemein bekannte Almack's, in welchem Pitt und Wilberforce hazardirten; denn weder Hochtoryismus noch Humanität schützten vor der allgemeinen Leidenschaft, noch machte die Opposition irgendeinen Unterschied darin. Zu den häufigsten Gästen von Almack's zählte Pitt's genialer Gegner, Fox. In der Debatte über die »Neununddreißig Artikel« am 6. Februar 1772 hatte er eine ziemlich matte Rede gehalten, und Walpole sagte, daß dieß unter den Umständen nicht zu verwundern gewesen. »Er hatte beim Hazardspiel in Almack's, von Dienstag Abend, den 4., bis 5 Uhr nachmittags am 5. gesessen. Eine Stunde früher hatte er 12 000 Pfund Sterling wiedergewonnen, die er verloren hatte, und beim Mittagessen um fünf hörte er mit einem Verlust von 11 000 Pfd. Sterling auf. Am Dienstag sprach er in der obenbezeichneten Debatte, ging um ½12 Uhr nachts zum Diner, von dort zu White's, wo er bis 7 Uhr am folgenden Morgen trank, von da zu Almack's, wo er 6000 Pfd. Sterling gewann, und zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags begab er sich nach Newmarket (berühmter Platz für Wettrennen). Sein Bruder Stephan verlor zwei Abende später 11 000 Pfd. Sterling und Charles weitere 10 000 am 13., sodaß in drei Nächten die drei Brüder, von denen der älteste noch nicht 25 Jahre alt war, 32 000 Pfd. Sterling verloren hatten.« – Lord Robert Spencer und General Fitzpatrick hielten bei Brookes's eine Farobank, welche dem erstern in kurzer Zeit 100 000 Pfd. Sterling eintrug, worauf er sich »vom Geschäft« zurückzog. Dasselbe that der große Bankier George Harley Drummond, als er in einer Nacht an den Beau Brummel sein Vermögen verspielt hatte. Einer von den berühmtesten Spielclubs, Watier's, ward erst 1819 geschlossen, als die Zierde dieses und aller andern Clubs, Beau Brummel, längst schon in das Exil und die Kümmerniß des Konsulats von Caen gewandert war und längst schon zu Calais den vergeblichen Versuch gemacht hatte, die Gunst seines königlichen Freundes, »des feinsten Gentleman« durch ein Packet Schnupftaback, die famose Mischung Prinz-Regent, wiederzugewinnen. Obwol hier gelegentlich Summen im Betrag von 30 000 und 40 000 Pfd. Sterling in » Quitte ou double« verloren wurden, so war Watier's doch der große Club für Whist. »Mit keinem Packet ward zweimal gespielt, und wenn ein Spiel vorüber, wurden die Karten auf den Boden geworfen, sodaß, wenn das Spiel am Morgen aufhörte, die Spieler, um des Beau's eigene Worte zu gebrauchen, knietief in den Karten saßen.« (» Personal reminiscences of Beau Brummel« in » Chamber's Journal«, 21. April 1866.)
Daß Männer von einer contemplativern Beschaffenheit des Geistes und einer Neigung für die ruhigern Genüsse des Lebens eine Lücke in dem gesellschaftlichen Verkehr empfinden mußten, ist sehr erklärlich. Der ältere D'Israeli sagt vom Jahre 1790 ( Curiosities of literature), daß der Besuch der Kaffeehäuser, solange er zurückdenken könne, immer mehr abgenommen habe, daß es damals eigentliche Clubs so gut wie nicht gegeben habe, literarische überhaupt nicht und politische sehr beschränkt und exclusiv. Die Freunde der Literatur hätten sich daher, fügt der jüngere D'Israeli in der Biographie seines Vaters hinzu, in den Buchhändlerläden getroffen, die Whigs bei Debrett, die Tories bei Hatchard.
Einer von den wenigen Clubs, die, sich aus den alten Kaffeehäusern entpuppend, nicht ausschließlich dem Würfelbecher und Kartentisch huldigten, war Tom's, ein ehemaliger Nachbar von Will's und Button's in Russell-Street. Hier trafen sich allerdings zu Ende des Jahrhunderts einige von den vornehmsten Leuten aus allen Zweigen des öffentlichen Lebens mit einigen von den geistreichsten Leuten; doch ward auch dieser Club schon 1814 geschlossen und das Haus, in welchem zuerst das Kaffeehaus und dann der Club fast ein Jahrhundert geblüht, ward kürzlich abgerissen. Denn inzwischen war ein anderer Geist erwacht, eine neue Mode war aufgekommen, das Westend war in seiner ganzen Glorie erstanden und man hatte angefangen, jene Paläste zu errichten, in welchen das moderne Clubwesen die Annehmlichkeiten und Vortheile einer feinen und einflußreichen Geselligkeit mit jenem soliden Luxus und jenem höchsten Comfort vereinigte, welche der reichsten Stadt im reichsten Lande der Welt entsprechen und heutzutage den wahren und wohlberechtigten Stolz des londoner Lebens bilden.
Der Club ist eine so tiefgreifende und nationale Institution von echt britischem Geist und Gepräge geworden, daß man ihn als einen Factor nicht blos der Gesellschaft im allgemeinen, sondern ebenso sehr aller jener Interessen betrachten darf, welche die Menschen binden und trennen, und daß man von ihm wol sagen kann, er habe mehr als irgendeine andere Einrichtung socialer Natur auf das ganze Kulturleben des heutigen Englands zurückgewirkt. Die zahlreichen Clubs von London und England bilden ebenso viele Centren, durch welche die Politik, die Wissenschaft und Literatur, diese die Bildung eines Volks bestimmenden Mächte, in stetem Zusammenhang untereinander und mit den verschiedenen Gesellschaftskreisen erhalten bleiben und welche, indem sie die Gruppirung nach Standes- und Berufsinteressen begünstigen, doch zugleich auch vor Isolirung schützen. Es ist das Princip der mittelalterlichen Corporationen im Geist der Gegenwart ausgebildet und angewandt; das echt germanische Genossenschaftswesen in seiner modernsten Erscheinungsform. Es sind Umstände hinzugetreten, welche der Entwickelung des Clubwesens in London ganz besonders günstig sein mußten. Wie der englische Sonntag in Verbindung mit der regelmäßigen Einförmigkeit und Stille des englischen Abends dazu beigetragen hat, daß in England mehr gelesen wird als bei uns, so hat auch eine gewisse eigentümliche Einseitigkeit des englischen Lebens auf den Club als auf eine Ergänzung desselben hingedrängt. Der londoner Geschäftsmann ist im wesentlichen auf die City bei Tag, auf das Haus am Abend beschränkt. Jene mannichfachen Schattirungen, welche dem deutschen, dem continentalen Leben überhaupt einen großen Reiz verleihen, fehlen dem englischen, speciell dem londoner. Von jenen zahlreichen Vergnügungen »außer dem Hause«, wie man sie in unsern großen Städten kennt, hat man dort nur einen unvollkommenen Begriff. Der Besuch der Theater als solcher hat in London längst aufgehört fashionabel zu sein; die Saison für Oper und Concerte ist kurz. Nicht wie bei uns bieten die Foyers ihren Habitués den Ort allabendlicher Begegnung. Wir haben daher bisher das Bedürfniß des Clubs nicht gehabt, aber wir fangen gegenwärtig doch an, wie z. B. in Berlin, zu fühlen, daß einige von den notwendigen Voraussetzungen seiner Existenz inzwischen eingetreten sind: ein starkes Nationalgefühl, gemeinsame nationale Interessen, eine große reiche Hauptstadt und ein ernster parlamentarischer Verkehr. Auch auf andern, den literarischen und künstlerischen Gebieten, führt inmitten der mächtiger gewordenen Strömung die Gemeinsamkeit der Interessen zu einem Zusammenschließen, das mehr oder weniger der clubartigen Form sich nähert. Allein trotzdem wir den Namen haben und den Inhalt den Verhältnissen assimiliren werden, darf man doch billig zweifeln, ob der deutsche, der berliner Club je die allgemeine Bedeutung des englischen, des londoner Clubs gewinnen wird, weil die Sphäre des unserigen nur eine engere sein kann.
In England, wo es bisher außer dem Geschäft und der Familie, dem Haus und der Öffentlichkeit kaum ein Drittes gab, ist der Club als ein vermittelndes Element hinzugetreten. Er steht zwischen beiden und hat etwas von beiden; er verbindet die Leichtigkeit des geselligen Austausches, wie sie in den altlondoner Kaffeehäusern herrschte, mit den solidern Genüssen der guten Tavernenzeit. Er ersetzt das continentale Wirthshaus, die Restauration, den Boulevard, den Foyer und die Conditorei; dies alles ist er dem Londoner und noch etwas mehr. Die Association der Standes- und Berufsinteressen war das erste und die Association der materiellen Interessen folgte nach. Mitglied eines Clubs zu sein, heißt das Recht haben, eins der schönsten Gebäude in einer der vornehmsten Gegenden der Stadt als sein Haus und Diener in Plüschhosen als seine Diener zu betrachten; in einem Saale mit vergoldetem Plafond und schweren Teppichen die Zeitung und in einer Bibliothek mit eichengeschnitzten Schränken das » Magazine« oder die » Review« zu lesen; in einem Salon, durch dessen halbherabgeschobene Fenster der Sommerwind aus dem Park heraufweht, von Silber und Wedgewood zu speisen und in einem behaglichen Rauchzimmer, in dessen antikem Kamin zur Winterszeit ein gutes Feuer brennt, nach dem Diner den Cavendish oder die Havana zu rauchen, Punsch zu trinken und zu schlummern, wenn man will. Es heißt, außer dem Hause und in dem Kreise einer selbsterwählten Gesellschaft über alle jene Bequemlichkeiten und Genüsse zu verfügen, wie sie nur das Haus der Reichen und Feingebildeten zu gewähren vermöchte, und dies alles zu einem Preise, der fast mehr durch seine Billigkeit Staunen erregen könnte, als das, was dafür geboten wird, durch seine Vollendung bis ins Kleinste. Es war, wenn ich mich recht besinne, der Herzog von Wellington, welchem eines Tags in seinem Club für ein Mittagessen 15 Pence (12 ½ Sgr.) berechnet wurden, statt eines Shilling (10 Sgr.). Der Herzog weigerte sich, den willkürlichen Mehrbetrag zu zahlen, und beruhigte sich nicht eher, als bis derselbe gestrichen war. »Es ist nicht wegen der drei Pence«, sagte er, »sondern wegen der Clubdisciplin.« Diese wird mit äußerster, Strenge gewahrt. Nichts geregelter, nichts besser verwaltet als das innere Leben des Clubs. Man hört kein lautes Wort, alles geht in musterhafter Ordnung. Jeder Diener hat seinen Posten, jedes Ding seinen Platz, und ein geräuschloser, ruhiger, »gentlemanliker« Ton, obwol frei von Zwang, herrscht überall. Die Rückwirkung ist augenfällig. Das Clubleben hat die Sitten der englischen Gesellschaft geradezu umgestaltet, verglichen mit dem Zustande, welcher noch vor 40 und 50 Jahren herrschte. Damals und in der That fast so lange, als »der feinste Gentleman«, den Ton angab, war die Zeit wüster Gelage; »betrunken zu sein wie ein Lord« ( as drunk as a lord) war ein Sprichwort, welches, weit entfernt, einen Schatten auf den Charakter eines der »oberen Zehntausend« zu werfen, ihn vielmehr als einen besonders männlichen und tüchtigen Vertreter derselben erscheinen ließ. Wenn man sich versammelte, so war es, um sich zu betrinken, und wenn man aufbrach, konnte man manch einen großen Lord und manch ein ehrenwerthes Mitglied des Parlaments, von einem guten Genossen mitleidig am Arme geführt, unsicher über die Straße schwanken sehen, um von Schlimmerm nicht zu reden. Heute würde ein betrunkener Mann in einem Club nur Verachtung erregen. Man hat inzwischen wieder jene feinern Genüsse schätzen gelernt, welche dem englischen Leben, den englischen Sitten und der englischen Literatur etwas wahrhaft Urbanes gegeben haben, ohne ihr einen glücklichen, überaus ansprechenden Zug von Realismus zu nehmen.
Aber die Veränderung, welche die Clubs in der Verfassung der britischen Gesellschaft hervorbrachten, ist kaum größer als diejenige, welche sie in der Architektur der Straßen von London hervorgebracht haben. Früher und genau bis zu dem Augenblick, wo die Clubs mit einem neuen Beispiel vorangingen, war das specifisch englische, in seinem Aeußern, wie behaglich sein Inneres auch beschaffen sein mochte, monotone, düstere, nüchterne Haus, eins wie das andere, das einzige in London. Die Clubs waren fast die ersten, continentale Muster nachzuahmen, und die Gegend von Pall-Mall, St.-James's und Westminster mit Bauwerken zu schmücken, deren klassische Vorbilder in Venedig und Florenz standen. Welch eine Reihe prächtiger Fronten! Welch stattliche Façaden, aufgeführt aus dem schönen rothen oder grauen Marmor, in dem edelsten Geist der Baukunst! Glänzende Säulen tragen die herrlich gemeißelten Friese; mitten in Londons Nebel ein Sonnenstrahl von Korinth oder Athen und über dem tausendräderigen Verkehr der modernen Metropolis eine Vision des Parthenon!
Obwol in seiner Totalwirkung immer noch unübertroffen, hat doch der weite, mächtige und imposante Bogen, welchen Regent-Street beschreibt, längst aufgehört, das architektonische Wunder von London zu sein. Ueberall machen die engen und finstern Straßen Raum, und neue herrliche Gebäude in Tudor- und Renaissancestil springen aus dem Boden, Parlaments- und Regierungsbauten im Stile der Westminsterabtei, gothische Kirchen, prachtvolle Schulen, Asyle, Wohlthätigkeitsanstalten, Banken und Hotels; aus einer Ziegel- und Mörtelstadt verwandelt sich London langsam, aber von Jahr zu Jahr mehr, in Stein und Marmor.
Die edle und stilvolle Behandlung der Clubgebäude, welche zu dieser großartigen Wandlung den Anstoß gaben, wetteifert mit der luxuriösen und behaglichen Einrichtung des Innern in allen seinen Theilen. Kein Wunder, daß bei den Verführungen, welche das Clubleben bietet, kaum ein Londoner von einigen Ansprüchen ist, der nicht Mitglied eines Clubs wäre. Nicht ganz mit Unrecht haben moderne Satiriker im londoner Clubleben ein neues Hinderniß für die Ehe gesehen und gesagt, daß der Club eine Institution »zur Ermunterung des Junggesellenthums«, ein Aufenthalt irdischer Wonne sei, an den nur die Frauen nicht glauben wollten. Zum Glück jedoch ist häuslicher Comfort nicht der einzige Zweck, weswegen man heirathet; denn allerdings einen Comfort, wie der Club ihn bietet, könnte selbst dem reichsten Mann sein eigenes Haus nicht bieten. Dort hat er auch Diener in Plüschhosen, aber er hat zugleich die Mühe, sie zu regieren, und die Kosten, sie zu bezahlen; hier ist er Herr, ohne jede Last und Verantwortlichkeit. Er kann kommen, wann er will, und gehen, wann er will. Sein Ausbleiben ruft keine Unordnung hervor. Die kleinen Leiden des häuslichen Lebens erwarten ihn hier nicht. Man begegnet ihm immer mit der gleichen Höflichkeit. Wenn er nach mühevollem Tagewerk aus seiner dunkeln Office in der City oder seinem dumpfigen Amtsraum im Tempel in den Club geht, so ist er auf einmal in einer Welt, wo alles Ruhe und Behagen athmet, kühl und schattig im Sommer, brillant erleuchtet und wohldurchwärmt im Winter. Hier ist er immer sicher, einige von seinen Freunden, Erholung und ein vorzügliches Diner zu finden. Kleine Tische mit schneeweißem Linnen, funkelnden Krystallen und polirtem Silber und Stahl bedeckt, stehen überall fertig für die Gäste. Auf einem Mahagonipult in der Mitte liegt die Carte du jour, und kleine Formulare daneben, welche man nach Belieben ausfüllt; Randbemerkungen geben an, wie viele Minuten die Zubereitung eines Gerichts erfordert. Man weiß nun genau, über wie viel Zeit man noch zu verfügen hat, und kann den Zwischenraum benutzen, um in das Toilettezimmer zu gehen, wo alles bereit ist, was eines Menschen Herz erfreuen kann: duftende Windsorseife, Wasser so viel man will, frisches Leinen und türkische Handtücher in Fülle, und jene tiefen, prächtigen Schalen, in denen Gesicht und Hände zu baden eine Lust für sich ist. »Ein anderer und ein besserer Mensch«, geht man nun hinab in das Lesezimmer, blickt über eins von den Abendblättern, welche auf hohen Gerüsten überall ausgehängt sind, sucht sich einen Freund, um das Diner zu theilen, verabredet mit einem andern eine Cigarre oder einen Rubber für den Abend, und begibt sich in den Speisesaal, nachdem der kleine Page in blauer Jacke mit Silberknöpfen gemeldet hat, daß »die Suppe auf dem Tisch, Sir«! Für 3 Shillings 6 Pence (1 Thlr. 5 Sgr.) hat man ein Diner, so gediegen und luxuriös wie in dem Haushalt eines Herzogs: Suppe, Fisch, Braten, Brot, Käse und Bier ad libitum, oder eine Flasche Rothwein, Burgunder und Bordeaux. Eine solche Bewirthung und Bedienung, mit einem Frack und weißer Cravatte hinter jedem Stuhl, läßt sich nur aus der vortrefflichen Oekonomie des Clubs erklären. Zwar beträgt das Eintrittsgeld nur zwischen 20 und 30 Pfund Sterling, und der jährliche Beitrag von 5 zu 10 Pfund Sterling; aber bei einer Mitgliederzahl bis zu 1200 kann ein Club mit einem Einkommen von 5-15 000 Pfund Sterling des Jahres schon einen guten Koch, einen guten Keller und einen Stab guter Bedienten halten. An der Spitze des Clubs steht ein statutenmäßig erwähltes Verwaltungscomité, welchem besoldet und stufenmäßig untergeordnet sind: ein Secretär, ein Bibliothekar, ein Hofmeister, ein Haushälter, ein Portier, ein Kellermeister, ein Unterkellermeister, ein Zimmeraufseher, ein Küchenschreiber, ein Oberkoch als chef de cuisine, verschiedene Unterköche, Küchenmädchen, Hausmädchen, Aufwärter, Pagen und Bediente. Dies in der That ist der Haushalt eines Fürsten, und wer weiß, ob mancher Fürst in Deutschland halb so gut bedient ist wie das erste beste Mitglied eines Clubs in London. Hier zeigen sich die unberechenbaren Vortheile der Cooperation oder des Genossenschaftswesens nach zwei Seiten: erstens hat für die Ausgabe von wenigen Pfunden jährlich jedes Clubmitglied Bequemlichkeiten, welche kaum die größten Reichthümer in solcher Vollendung ihm zu verschaffen im Stande wären, und zweitens reichen 40 oder 50 Personen hin, um die Bedürfnisse von 1000-1200 Mitgliedern zu befriedigen, von denen ein jeder fünf bis sechs Personen gebrauchen würde, wenn er alles das in seinem Hause haben wollte, was er im Club hat.
Zu einem der großen Clubs von London zu gehören, gilt für ein Zeichen der Respectabilität und thut in manchen Fällen sogar den Dienst einer Empfehlung; daher kein Mitglied versäumt, auf seiner Visitenkarte neben seiner Wohnung auch seinen Club zu bemerken und zuweilen (namentlich thun dies unverheirathete Herren, die vielleicht nicht besonders elegant wohnen) nur diesen als Adresse zu geben. Der Club ist seinem Mitglied alles in allem, er kann dort seine Besuche und seine Briefe empfangen; er hat zu seiner Verfügung ein Drawing-room oder Empfangszimmer, ein Schreibzimmer, Schreibtisch, Briefpapier und Enveloppes mit dem Clubstempel, ein Spielzimmer, ein Billardzimmer, ein Badezimmer und in einigen politischen, namentlich den Toryclubs, auch ein Schlafzimmer, zur Bequemlichkeit für die » country gentlemen«, welche von ihren Landsitzen in den Zeiten der Wahlbewegung häufig nach London entboten werden.
Von den beiden Toryclubs steht der eine, der Conservative, in St.-James's Street, auf altem Toryboden, wo der Schatten Swift's noch den Ort der alten Thatched-House-Taverne bezeichnet, in welcher er einst, nach seinem politischen Uebertritt, mit den Torymagnaten dinirte, conferirte und conspirirte; ein imposanter Bau, am obern Stock mit korinthischen Säulen und Pilastern, in deren Friesschmuck die Krone und das Eichenblatt erscheinen, mit römisch-dorischen Säulen am untern Stock, aus welchem das massive Portal hervortritt und ein mächtiges Bogenfenster im Morgenzimmer die architektonischen Schönheiten von Pall-Mall, St.-James's Street und der alten Palastpforte wie in ein Bild zusammenfaßt. Hier, in einen modernen Rahmen gesetzt, ist ein Stück Geschichte für jeden Engländer; auf diesem Fleck Erde, welchen sein Blick überschaut, haben sich Englands Geschicke zum Guten wie zum Bösen seit 200 Jahren abgespielt, die Aera der Stuarts und die Aera der George haben ihre Fußspuren hier zurückgelassen, hier standen oder stehen noch die Häuser, in welchen ihre glänzenden Männer, Redner und Schriftsteller, ihre berühmten Frauen gelebt, und hier sind die Straßen, in denen sie gewandelt. Ein vornehmes Schweigen, ein träumerisches Nachsinnen ruht auf dem Clublande von London, und ringsum duften die Blumen und Rasenflächen, schimmern die Seen des Parks, rauschen und flüstern die Bäume der Squares, und den Horizont begrenzt, aus Grün auftauchend, das ehrwürdige Gemäuer der Abtei von Westminster und der neue Thurm des Parlaments, dessen goldstrahlende Spitze hoch emporragt über alle Thürme von London.
Als das eigentliche Hauptquartier und Centrum der conservativen Partei von England ist der Carlton Club anerkannt. In der politischen Welt sind Carlton und Tory zwei Schlagworte von ungefähr derselben Bedeutung. Unter allen Clubhäusern, welche die Reihe von Pall-Mall zieren, ist dieses ohne Zweifel das prachtvollste, von einer entzückenden, fast üppigen Fülle der Formen, mit seinen Marmorbalustraden, polirten Säulen aus rothem Granit und kostbar ausgeführten Decorationen ein Werk, welches in hohem Grade malerisch wirkt, eine Copie von Sansovino's Bibliothek von San-Marco, und aus der Nachbarschaft von Venedigs Piazzetta und bläulichem Lagunenmeer unter Londons feuchten Himmel gesetzt, ein Bild der Opulenz, die alles kann. Es ist der schwere Grundbesitz von England, der beispiellose Reichthum seiner fürstlichen Domänen und der mit dem Boden gleichsam verwachsene Einfluß seiner weitverzweigten Familien, welche den Vorübergehenden aus den tiefen Fenstern, den dorischen und ionischen Säulen dieses Palastes anblicken. Das Innere desselben bleibt nicht hinter dem Aeußern zurück. Die Zimmer, unter denen das Frühstückszimmer ( Coffee-room) 92 Fuß lang, 37 Fuß breit und 21 Fuß 6 Zoll hoch ist, zeugen von der ausgesuchtesten Pracht. Hier versammeln sich Mitglieder beider Häuser, Männer fast ohne Ausnahme von der höchsten gesellschaftlichen Stellung, die kleinen Könige, welche den Grund und Boden von England zwischen sich getheilt und den andern nichts gelassen haben als die beweglichen Güter, den Dampf, das Papier, die Schiffe und das Meer; die geborenen Vertreter der conservativen Interessen, von jenem altmodischen Landjunker, dessen Vorfahren noch vor hundert Jahren ihren Rothwein für den König »über dem Wasser« tranken und die jetzt regierende Dynastie »ein Pack von hannoverischen Ratten« nannten, bis zu jener modernsten Schattirung der Partei, deren Politik eine Färbung feudaler Romantik hat, dem »jungen England« D'Israeli's. Der »Conservative« ist jünger (1840) als der »Carlton Club« (1832) und gewissermaßen die Filiale desselben für diejenigen Tories, welche in diesem keine Aufnahme finden konnten. Er zählt 1200 Mitglieder. Diese und die folgenden Zahlenangaben nach Whitaker's » Almanack« für 1871. Der Stifter des Carlton Clubs ist »der eiserne Herzog«, Wellington, und die Zahl seiner Mitglieder beträgt gegenwärtig, mit Ausnahme der Peers und M. P. s (Mitglieder des Parlaments) 950. Obwol diese, wie gesagt, der reichsten Klasse von England angehören, so beträgt das Eintrittsgeld in den Club doch nur 20 Pfd. Sterling, der jährliche Beitrag nur 10 Pfd. Sterling und 10 Schilling, ersteres nicht mehr und letzteres weniger in der That als bei der Mehrzahl der andern Clubs, deren Stärke nicht gerade die Güter dieser Welt sind. Aber es bedarf nur einer Gelegenheit, um zu zeigen, was diese »Herren von England« vermögen. Wenn es den Sturz eines Whigministeriums gilt, dann kann man es wahrnehmen, daß die Triebräder dieser politischen Werkstatt von Gold sind. Wenn es darauf ankommt, neue Stimmen zu gewinnen oder alte zu sichern, und bei einer Wahlbewegung ganze Dörfer und Marktflecken in stattlichen Kutschen nach der Wahlurne transportirt und ganze Grafschaften betrunken gemacht werden müssen, so werden in diesem Club an einem Abend an 40-50 000 Pfd. Sterling gezeichnet, und bei einer der letzten Krisen, welche das herrschende Gouvernement bedrohten, soll er eine Summe von nicht weniger als einer halben Million zu seiner Verfügung gehabt haben.
Ein rechter Whig wird an einem rechten Tory niemals viel zu loben haben, und es versteht sich von selbst, daß ihm auch sein Clubhaus nur wenig gefällt. »Der Carlton ist ein auf die Sinne berechnetes Gebäude«, sagt der Whig, »mit seinen pomphaften bunten Säulen und überladenem Zierath, wie ein Mann mit Ringen an allen Fingern, dicken goldenen Ketten und schwerem Petschaft, oder schlimmer noch, wie ein geputztes Frauenzimmer; seine Höhe stimmt nicht zu seiner Länge, seine Pracht nicht zu seinen Proportionen und alles zusammen nicht zu dem Klima von London, in welchem sein rother Granit bald genug verwittert sein wird.« Diese letztere Behauptung hat sich nun zwar nicht bestätigt, denn der Glanz der Säulen hat sich seit 1832 um nichts vermindert; doch ist so viel allerdings wahr, daß der Reformclub, der Hauptclub der Whigs, in einem viel ernstern Stil erbaut, fast schmucklos neben seinem prunkenden Nachbar erscheint. Im Jahre 1834 gegründet, zählt er 1400 Mitglieder. Beide Clubs stehen Seite an Seite, in Pall-Mall, nur durch einen schmalen Gang getrennt, welcher nach Carlton-Garden führt, und sie bilden in politischer Beziehung kaum einen stärkern Gegensatz als in architektonischer. Das Clubhaus der Whigs macht durchaus den Eindruck der Einfachheit, der planvollen Harmonie und einer gewissen nüchternen Grandeur; es sieht aus wie ein römischer Republikaner neben einem üppigen venetianischen Nobile, und es hat nichts in seinem Aeußern, was die Sinne anregt, nichts für die Phantasie, sondern allein etwas Strenges, was an die Pflichten des Lebens mehr erinnert als an dessen Genuß. Der Stil dieses Gebäudes ist der rein italienische des 16. Jahrhunderts, in welchem »jener mehr poetische Hauch, jene lebensvollere Phantasie der Werke des 15. Jahrhunderts schon etwas verringert erscheint« (Kugler), und in der That schwebte das Muster des Palazzo Farnese in Rom, von Sangallo begonnen und von Michel Angelo vollendet, dem londoner Architekten (Barry) vor, welcher namentlich die von Säulentabernakeln eingefaßten Fenster seinem Vorbild entlehnte.
Es ist keine Frage, daß von den beiden Clubs der beiden großen politischen Parteien derjenige der Whigs treuer dem englischen Nationalcharakter ist, welcher die Entfaltung nach außen, das Zurschautragen wenig liebt. Je maßvoller daher die Wirkung ihres Clubhauses ist, wenn man es von der Straße betrachtet, um so mehr überrascht den Eintretenden der wahrhaft fürstliche Luxus, der im Innern herrscht. Eine große Halle, von der ganzen Höhe, des Gebäudes, empfängt ihn und ein Aufgang von wenigen Stufen führt ihn zu dem Salon, welcher von einer künstlerisch entworfenen Colonnade umgeben ist, deren Säulen von reichem Scagliolia-Marmor auf Basen von dunkelrothem Porphyr ruhen. Die Colonnade trägt eine Galerie, von welcher sich graziös die korinthischen Säulen erheben, und darüber wölbt sich wie eine schimmernde Kuppel das Krystalldach. Die Wände sind von farbigem Marmor, in welchen hinter der Colonnade lebensgroße Porträts der berühmtesten Reformer und über der Galerie Frescogemälde, die Poesie, die Musik, die Malerei und die Sculptur darstellend, eingesenkt sind. Der Fußboden ist Mosaik, und das Ganze bildet einen Anblick von fast überwältigendem Glanz. Wie in einem italienischen Palast führt eine Treppe aus dieser Halle zu der obern Galerie, auf welche sich ringsum die verschiedenen Gemächer des Gebäudes öffnen, die Speisezimmer, die Karten- und Billardzimmer, die Gesellschaftszimmer u. s. w. Vielleicht das anziehendste von allen ist das Bibliothekzimmer, ein imposanter Raum, ein ganzes Stockwerk hoch, voll von Ruhe, Behaglichkeit und Büchern. Schöne Säulen tragen die Wölbungen der Decken, reiche Portieren verhüllen die Thüren, schwere Teppiche bedecken den Boden, kostbare Bücherreihen schmücken die Wände, weiche Sessel laden zum Nachdenken ein, und durch ein großes Fenster blickt und athmet die ganze Frische, der Schimmer des Grüns und der Resedageruch von Carlton-Gardens. Ein solches Zimmer und eine solche Bibliothek könnten wol den stillen Neid des Mannes erregen, welcher die Bücher liebt. Vielleicht gibt es kein schöneres Studirzimmer in der Welt. Eine wunderbar gute Luft, welche die Brust mit Behagen füllt, und eine den Augen und dem Geist wohlthätige Mischung von Licht und Schatten ist hier immer. Das tiefe Grau der Marmorwände, gehoben durch einen geringen, aber hinreichenden Schmuck goldener Ornamentik, scheint berechnet für jene Ruhe des Gemüths, welche dem Nachdenkenden so nothwendig, und das scharlachene Roth der Damastvorhänge, Saffiansessel und Ledereinfassungen der Bücherschränke bringt eben jenen Anhauch eines warmen Tons in die Temperatur des Zimmers, welcher sich unvermerkt der Temperatur der Seele mittheilt. Eine Sammlung von 10 000 Bänden ist in den Fächern enthalten, prächtig gebunden, sorgfältig gewählt und übersichtlich geordnet nach dem System Panizzi's, des großen Reformers vom British Museum, und außer dem Theil, welcher die schönwissenschaftliche und Reiseliteratur begreift, soll hier die reichhaltigste politische Bibliothek des ganzen Königreichs aufgestellt sein.
Aber das wahre Wunder des Reformclubs ist seine Küche. Denn auch ein Mann von liberalen Grundsätzen kann die Freuden der Tafel lieben, wie ja bekanntlich noch kurz vor dem Hinscheiden Lord Palmerston's, » old Pam's«, ein Mitglied der Diplomatie zur Entschuldigung für alles, was er sonst an dem alten Whig auszusetzen hatte, seinem österreichischen Collegen gesagt haben soll: » Mais on dîne fort bien chez lui.« Nun, der Reformclub war glücklich genug, sich die Dienste eines solchen Künstlers zu sichern, wie Soyer, von unsterblichem Ruhm in den Annalen der Gastrosophie. Manche seiner gelungensten Erfindungen haben ihren Ursprung bei den Diners, welche dieser Club hervorragenden Gästen gab; denn es war der Ehrgeiz dieses seltenen Mannes, die Tafel bei solchen Gelegenheiten nicht nur mit guten, sondern auch mit neuen und zuweilen sogar mit witzigen Gerichten zu schmücken, und unter seinen größten Erfolgen waren die »Windbeutel à la Clontarf« zu Ehren O'Connell's und das »Eis à l'Ibrahim-Pascha« zu Ehren des Pascha von Aegypten, 1846. Das Atelier, in welchem dieser Meister arbeitete, mit andern Worten: die Küche des Reformclubs, soll eine von den größten Sehenswürdigkeiten Londons sein, nur mit dem Unterschiede, daß man sie nicht zu sehen bekommt. Doch war eine Dame, die Vicomtesse de Mallville, so begünstigt, in dieses Sanctuarium einzudringen, dessen Geheimnisse von ihr im » Courier de l'Europe« folgendermaßen geschildert werden:
»Diese Küche ist geräumig wie ein Ballsaal, und weiß wie eine junge Braut. Der allmächtige Dampf, dessen Lärm das Ohr begrüßt, wenn man eintritt, verrichtet hier alle möglichen Dienste; er vertheilt eine gleichmäßige Hitze auf eine lange Reihe von Gerichten, wärmt die Metallschüsseln, in welche die verlangten Gerichte gelegt werden, dreht die Spieße, schöpft das Wasser, bringt die Kohlen herauf und das gebrauchte Geschirr hinunter, wie ein geschickter und unermüdlicher Diener. Hier sind wir vor einem achteckigen Apparat, welcher den Mittelpunkt des Etablissements einnimmt. Ringsum siedet das Wasser, brodeln die Schmorpfannen, und ein wenig weiter ist ein beweglicher Ofen, von welchem die Fleischstücke in saftigen Braten verwandelt werden. Hier sind Saucen und Brühen, Suppen und Bouillons. In der Entfernung sieht man holländische Oefen, Marmormörser, Kamine mit Holzfeuer, Eisplatten für Fische und verschiedene Abtheilungen für Vegetabilien, Früchte, Kraut und Gewürze. Man sollte nach dieser Aufzählung sich einen Zustand allgemeiner Confusion vorstellen. Doch würde man sich irren. Die Ordnung ist so vollständig, ihre Vertheilung als Ganzes und ihre Beziehungen zueinander im Einzelnen so durchdacht, daß man wenig sieht und gar nichts hört von allen den obenbeschriebenen Dingen, daß man eines Führers bedarf, um sie zu entdecken, und ein gut Theil Zeit und Nachdenken, um alle diese Entdeckungen im Geiste zu klassificiren.«
Die übrigen Clubs von Pall-Mall und den benachbarten Squares, deren Specialität meistens durch ihren Namen angedeutet wird, sind: der Armee- und Flottenclub ( The Army and Navy Club), mit 2250 Mitgliedern, der Club der Garden, 1813 gegründet, mit 357, des Vereinigten Dienstes ( United Services), 1815 gegründet, mit 1550, der Oxford und Cambridge Club, 1830 gegründet, mit 1170, der Union Club, eine Vereinigung von Kaufleuten, Juristen, Parlamentsmitgliedern und Gentlemen im allgemeinen, auf Trafalgar-Square, 1822 gegründet, mit 1000, der Club der Reisenden ( The Travellers), 1619 gegründet, mit 725 Mitgliedern, untere deren Zahl statutenmäßig niemand ausgenommen werden kann, »welcher nicht gereist ist aus den britischen Inseln auf eine Entfernung von wenigstens 500 (englischen) Meilen, in directer Linie von London«.
Der Club der Literatur und Kunst ist das Athenäum, gegründet im Jahre 1824 von einer Anzahl von Notabilitäten, unter denen Walter Scott und Thomas Moore waren. Das gegenwärtige Clubhaus, 1829 gebaut und 1830 eröffnet, in griechischem Stil und mit einem säulengetragenen Fries, auf welchem in schöner Nachahmung die athenischen Jünglinge und herrlichen Rosse der panathenäischen Procession vom Parthenongiebel erscheinen, ist eins der bemerkenswerthesten Gebäude von Pall-Mall und bedeckt zum Theil denkwürdigen Boden, die Stelle, wo bis zum Jahre 1826 Carlton-House, der Palast des Prinz-Regenten, gestanden. Weisheit und Tugend, der Ruhm der Schriftsteller, Maler und Bildhauer, in ehrlicher Arbeit gewonnen und makellos bewahrt, folgten hier auf dem Fuße jenen Irrthümern des Herzens, jenem Leben ohne Ernst und Weihe, jener Indifferenz gegen die öffentliche Meinung, welche sich immer rächen wird, so oft man den Namen Georg's IV. ausspricht. Eine Kolossalfigur der Minerva über der römisch-dorischen Eingangspforte hat das Wächteramt übernommen, welches einst, in den Blütetagen der Regentschaft, Big Ben, der kolossale Thürhüter des Prinzen, versah, und wo sich einst die Genossen seiner Feste trafen, da haben sich seitdem in der hohen Halle, unter den Säulen des Lysikrates, bessere Männer und zu bessern Zwecken versammelt. Keusche Statuen schmücken den Raum und eine vortreffliche Bibliothek, dem besondern Charakter dieses Clubs angemessen, ist auch hier. Der Club zählt 1200 Mitglieder, und es ist gewiß nicht zu viel gesagt, wenn man sagt, daß alle Berühmtheiten der Gegenwart in dieser Zahl einbegriffen sind und daß nirgends sich so wie hier mit den eigentlichen Vertretern der Literatur und Kunst die Patrone derselben, geistliche und weltliche Peers, Bischöfe, Nobelmänner und Angehörige jeden Standes in freiem Verkehr bewegt hätten. Das Athenäum war lange der Mittelpunkt der schriftstellerischen Kreise von London; hier pflegte man immer die Fremden von Distinction zuerst einzuführen, und den Eintritt zu erhalten ward für die Einheimischen immer mehr ein Ziel des Ehrgeizes. Vielleicht zu sehr für die ursprünglichen Tendenzen desselben; denn wenn wir dem Blatte glauben dürfen, welches man wol das Blatt dieses Clubs nennen kann, weil es aus der Mitte desselben hervorgegangen ist und unter Englands kritischen Journalen immer den Rang eingenommen hat, wie in Englands Gesellschaft der literarische Club, dessen Namen und Bild es trägt – wir meinen das »Athenäum« –, so hätte sich in letzter Zeit durch das Ueberwiegen jenes fremden Elements die Bedeutung desselben in etwas verringert. »Ein hervorragender Geistlicher«, heißt es in dem genannten Blatt (Nr. 2001, S. 295), »dessen Namen zwei oder drei Jahre lang auf der Candidatenliste war, fragte neulich den Secretär, wann denn endlich für ihn eine Chance sei, Mitglied zu werden? »Werden Sie nur ein Bischof, Sir«, war die Antwort, »und die Sache macht sich von selbst.«
Mit bemerkenswerther Kühnheit wagt das »Athenäum« die Behauptung, daß es auch unter den Bischöfen der Kirche und den Richtern der hohen Höfe von England einige sehr langweilige, ungenießbare und ungesellige ( unclubable) Leute gebe, und daß diese, vereint mit dem reichen Kaufmannselement von London, das meiste dazu beigetragen hätten, die Natur eines Clubs zu verändern, welcher ursprünglich gegründet worden sei für die Mitglieder des Gelehrtenstandes, Künstler, Autoren und Männer mit verwandten Neigungen, und welcher, obwol die »Ritter vom Geiste« ( the brotherhood of intellect) noch zahlreich genug vertreten und die Crême des Athenäum noch immer an der alten Stätte gefunden werden, doch aufgehört habe, das zu sein, was er einst gewesen.
Dies mag der Grund sein, weswegen man im Jahre 1864 einen Neuen Athenäum-Club » Junior Athenaeum« gegründet, welchem es so wohl ward, in dem prachtvollen Hause des amsterdamer Millionärs, Van der Hope, Piccadilly, ein Unterkommen zu finden, und der gegenwärtig schon 600 Mitglieder zählt. Ueberhaupt scheint es, als ob jeder größere Club seinen » Junior« erhalten solle, so der » Junior United Service« seit 1827 mit 2000, der » Junior Carlton«, seinem ehrwürdigen Ahnen gegenüber, seit 1864 gleichfalls mit 2000, und der » Junior Garrick-Club«, seil 1867, allerdings nur mit 350 Mitgliedern. Vor diesem »Jungen« indessen behauptet der alte und eigentliche Garrick-Club, seit 1831 mit 650 Mitgliedern, immer noch den Vorrang. Dieser Club, zunächst für die Mitglieder und Freunde der Kunst, in welcher der Mann, dessen Namen er angenommen, so sehr geleuchtet hat, dann aber ein beliebtes Rendezvous für Schriftsteller und Künstler im allgemeinen, hat den alten Boden heilig gehalten, aus welchem zur Zeit des »kleinen David« noch Rang, Reichthum, Gesellschaft und Mode sich bewegten, die Gegend von Coventgarden.
In diesem Club sah man bis vor wenigen Jahren täglich einen Mann mit greisen Haaren, obwol seine Figur noch kräftig und sein Gesicht keine Spur außer der des gereiften Urtheils, des feinen Geistes und des Wohlwollens zeigte. Täglich aus den glänzenden Umgebungen des Westends kam er hierher, um diesen Fleck Erde zu betreten, den er liebte und kannte wie kein zweiter in London, und um sich an die großen englischen Humoristen, seine Vorbilder zu erinnern, er, der größte von Englands neuern Humoristen, Thackeray. Einen langen Zeitraum hatte er zu durchpilgern von jenen kleinen und räucherigen Stuben, »wo sich gewöhnlich die beste Gesellschaft nach dem Theater versammelte, um Piquet zu spielen und sich zu unterhalten, wo man blaue und grüne Bänder mit Sternen sah und nicht blos englische Blätter mit den auswärtigen Ereignissen, sondern auch moralische Zeitschriften hatte« (Defoe); weit war der Weg von jenen Tavernen, in denen »der jedesmalige Präsident immer den Wein mitbringen mußte« (Swift), bis zu den hohen Hallen und silberschimmernden Speisesälen der verschiedenen Clubs, denen der Dichter von » Vanity Fair« angehörte. Von allen diesen Clubs war der Garrick sein liebster Aufenthalt. Hier, umgeben von den letzten Erinnerungen an die Königin Anna und die vier George, war seine Welt. »Die beiden großen Nationaltheater auf der einen Seite, ein Kirchhof voll moderiger, aber nicht sterbender Berühmtheiten auf der andern; ein Saum von Häusern, in jedem Theil besetzt mit Anekdote und Geschichte; eine Arcade, oft düsterer und einsamer als ein Kathedralenflügel; ein reicher Haufe von alten braunen Tavernen, eine von ihnen gefüllt mit der bildlichen Darstellung vieler Schauspieler, lange schon schweigsam, welche noch einmal schmollen oder lächeln auf die Enkel ihrer todten Bewunderer; ein Etwas in der Luft, welches nach alten Büchern, alten Bildern, alten Malern und alten Schriftstellern riecht; ein Platz, den man vor allen wählen würde, die Glocken um Mitternacht zu hören; ein Krystallpalast, der Repräsentant der Gegenwart, welcher schüchtern aus einem Winkel auf viele Dinge der Vergangenheit hereinblickt; eine verwelkte Bank, welche von einem betrügerischen Beamten trocken gesogen worden ist; ein plattes Gebäude, mit hundert Säulen und kapellenartigen Fronten, welche beständig knietief in Körben, Blumen und herumgestreuten Vegetabilien stehen; ein gemeinsamer Mittelpunkt, in welchen die Natur ihre gewähltesten Gaben ausschüttet und wo die freundlichen Früchte der Erde oftmals die schmalen Durchgänge verstopfen; eine Bevölkerung, welche niemals zu schlafen scheint und alles, was in ihrer Macht ist, thut, um andere am Schlafen zu verhindern; ein Platz, wo die spätesten Soupers und die frühesten Frühstücke einander auf den Fußwegen begegnen«, das ist Coventgarden, »mit einigen seiner umgebenden Züge«, wie Thackeray ihn oft gesehen und zum letzten mal sah am 22. December 1863.
Jene braune Taverne, »gefüllt mit der bildlichen Darstellung vieler Schauspieler, lange schon schweigsam«, unter ihnen auch das Porträt von Perdita-Robinson, welche in dem Roman des Prinzen von Wales eine so lieblich-traurige Rolle gespielt, – das alte Gebäude des Garrick-Clubs ist nicht mehr und ein neues steht einige hundert Schritte weiter westwärts. Wenige Monate, nachdem Thackeray für immer zu den Genossen seines Ruhms und seiner Unsterblichkeit gegangen, ist das alte Gemäuer gestürzt, niedergerissen und fortgeräumt worden, »und sein Ort wird ihn nicht mehr kennen«.
Aber unter den großen Schatten, denen der Geschichtschreiber, der Novellist und Liebhaber der Vergangenheit dort begegnet, ist nun auch der von Thackeray.
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