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Würzburg –
Du siehst, wenn du eine Universalkarte von Deutschland zur Hand nimmst, daß ich getreulich Wort halte, und das heilige römische Reich in die seltsamste Figuren von Zirkeln, Vier= und Dreiecken durch meine Märsche zerschneide und es in geraden, krummen und Zikzaklinien, kurz, nach ächter fahrender Ritterart durchkreutze.
Das heßische Landvolk, lieber Bruder, ist im Ganzen genommen bis zum Ekel häßlich. Die Weibsleute sind die eckigsten Karrikaturen, die ich noch gesehen habe. Ihre Kleidung ist abscheulich. Die meisten gehen ganz schwarz, und tragen die Röcke so hoch, daß man gar keine Taille, wohl aber die ungelenkten Stampf=Füsse bis an die Knie erblickt. Die Männer ersetzen zum Theil durch eine anscheinende Stärke, was ihnen an Schönheit mangelt. Im Ganzen sind sie kein grosser, aber ein dauerhafter und behender Schlag Leute. Hie und da erblickte ich auch riesenmäßige Figuren, die aber alle ungeheure Köpfe und Füsse hatten. Sie sind meistens blond und kraushaarigt. Ihre Lebensart ist rauh; Erdäpfel und Brantewein, den man auch den Kindern giebt, sind ihre vorzüglichsten Nahrungsmittel.
Im Fuldischen ist das Landvolk nicht viel anders. Der ganze Strich Landes von Kassel bis über die Gränze von Franken ist rauh und wild, und die Einwohner haben das Gepräge ihres Bodens, der noch stark mit Waldung bedeckt und ziemlich bergigt und felsigt ist.
Der jetzige Fürst von Fuld Der jetzige Fürst – Heinrich Karl Sigismund von Bibra, Fürstbischof und Abt von Fulda. † 1788. Er stand den Ideen der Aufklärung nahe. ist ein Mann von Geschmack, guter Lebensart und liebt den Aufwand. Er denkt äusserst tolerant, und ist kein Freund der päbstlichen Hierarchie. Er nennt den Pabst bey Tisch seinen Herrn Bruder. Er ist ohne Vergleich der reichste Abt in der katholischen Welt; aber zugleich auch Bischof. Die Zahl seiner Unterthanen, die er ziemlich klug und sanft regiert, beläuft sich auf ohngefähr 70.000, und seine Einkünfte betragen ohngefähr 350.000 rheinische Gulden. Er macht vortrefliche Schulanstalten, und gestattet seiner Geistlichkeit eine Freyheit im Reden und Schreiben, die mit der Art der katholischen Geistlichkeit in andern deutschen Ländern stark absticht. Zu Wien hielt man es während meines dortigen Aufenthalts für eine heldenmäßige Kühnheit, daß einige profane Gelehrten behaupteten, »das Konzilium wäre über den Pabst.« In Fuld las ich diesen und noch dreistere Sätze in theologischen Disputationen von Mönchen, die schon ihre 12 und mehrere Jahre alt seyn mochten. Die Residenzstadt Fuld ist ein hübscher und ziemlich lebhafter Ort, und ich fand viel bessere Gesellschaften, als ich erwartete. Es fehlt dem kleinen Ort an gutherzigen Mädchen nicht.
Würzburg ist im Ganzen eine sehr schöne Stadt, in einem reitzenden weinreichen und vom Mayn bewässerten Thale. Der fürstliche Pallast ist eins der schönsten und prächtigsten Gebäude, die ich in Deutschland gesehn. Unter den Einwohnern, deren 16.000 seyn sollen, herrscht eine Munterkeit, ein Hang zum sinnlichen Vergnügen, und besonders unter beyden Geschlechtern eine gegenseitige Geselligkeit, die man in keiner protestantischen Stadt Deutschlands von gleicher Grösse findet, und welche dem Reitz und dem Reichthum der Landschaft umher entsprechen.
Auffallend war mir hier wie in Fuld die Aufklärung und tolerante Gesinnung der Geistlichkeit, die wirklich die bayrische und östreichische beschämt. Da diese Eigenschaften selten von den guten Sitten und der Umgänglichkeit getrennt sind, so war mir der Ton einiger Gesellschaften, in die ich gleich in den ersten Stunden nach meiner Ankunft gerieth, um so auf fallender. Ich sehe, daß man unter den Katholiken Deutschlands einige Ausnahmen zu ihrem Vortheil machen muß, so wie man unter den Protestanten Ausnahmen zu ihrem Nachtheil zu machen hat. Das leztere ist freylich nicht so arg als das erstere.
Ganz heiter ist es eben hier noch nicht. Ich sprach gestern mit einem Priester von dem bekannten Hexenprozeß, Hexenprozeß – 1749 wurde die Subpriorin des Klosters Unterzell, Maria Renata geb. Freiin Singer von Mossau, als Hexe enthauptet und verbrannt. Das war der letzte Hexenprozeß in Deutschland. Der letzte Hexenprozess in Europa fand 1782 in der Schweiz statt. Die Zahl der ermordeten Opfer in Europa insgesamt beträgt etwa 9 Millionen. der an der hiesigen Regierung so oft ist gerügt worden. Er that erst, als wenn man diese Saite gar nicht berühren dörfte; endlich erklärte er mir mit der Miene der Vertraulichkeit: »Daß die Klügsten unter ihnen von dem Ungrund dieses Prozesses überzeugt wären; indem sehr gelehrte Theologen bewiesen hätten, daß die Nonne, welche als eine Hexe verbrennt worden, eben sowohl vom Teufel Obsessa als Circumsessa Obsessa, Circumsessa – innerhalb, außerhalb des Menschen hätte können gewesen seyn.« Ich weiß nicht, ob du den Sinn dieser Distinktion fassest. Sie soll so viel sagen, daß die Zauberkraft des Teufels nicht gerade in dem Umfang ihres Körpers sein mußte, sondern daß der Satan, um sie der heiligen Justiz in die Hände zu spielen, ausser der Peripherie ihres Leibes alle die Wunder thun, und die Zuschauer auf ihre Kosten blenden konnte. Ich stuzte nun freylich, als ich diesen Unsinn von einem Mann hörte, der in seinem Fach sehr seltene Kenntnisse besitzt; allein im Ganzen war es wohl keiner von Würzburgs hellsten Köpfen, und wenn diese theologische Distinktion in Zukunft eine Hexe vom Scheiterhaufen errettet, in Betracht, daß unmöglich zu entscheiden ist, ob sie Obsessa oder Circumsessa sey, so ist sie eben so unsinnig nicht mehr.
Der jetzige Fürst der jetzige Fürst – Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg seit 1779. † 1795 ist ein sehr aufgeklärter, mit Staatsgeschäften und der Welt überhaupt sehr bekannter Mann. Er ist einer von den wenigen Bischöfen Deutschlands, die ihre Würde und ihr Glück bloß ihren Verdiensten zu danken haben. Er ist aus einer alten, aber nicht sehr reichen Familie, die sich von Erthal nennt, und ein Bruder des Kurfürsten von Mainz. Seine Kenntnisse und Thätigkeit empfahlen ihn dem kaiserlichen Hof, welcher ihm die ansehnliche Stelle eines kaiserlichen Kommissärs bey dem Reichstag zu Regensburg Reichstag zu Regensburg – seit 1663 tagte hier der immerwährende Reichstag auftrug. Er zeichnete sich daselbst durch seine Verdienste so sehr aus, daß ihn der kaiserliche Hof bey Erledigung des hiesigen bischöflichen Stuls in Vorschlag brachte. Aus Schwäche des Alters ist er nun ausserordentlich andächtig geworden.
Würzburg allein wäre eins der ansehnlichsten Bisthümer Deutschlands. Es zählt gegen 190.000 Einwohner, und trägt gegen 800.000 rheinische Gulden ein. Nun besitzt aber der Fürst auch noch das Bisthum Bamberg, welches auch eine der fettesten Pfründen des deutschen Reiches ist, und beynahe 700.000 Gulden abwirft.
Beyde Länder gehören unter die beßten in Deutschland. Sie haben alle Bedürfnisse des Lebens im Ueberfluß, und Würzburg gewinnt viel durch seine Weine, die bis nach Schweden verführt werden. Man machte mir viel Rühmens von dem sogenannten hiesigen Steinwein. Steinwein – Würzburger Stein ist eine Weinbaulage auf Muschelkalkboden oberhalb Würzburgs Ich hab ihn gekostet. Er ist sehr feurig und brennend auf der Zunge; aber dabey sehr kalchigt und erregt Durst.
Der Ackerbau scheint in diesem Lande sehr gut bestellt zu seyn; allein in Rücksicht auf die bürgerliche Industrie ist es noch weit hinter Norddeutschland, und auch sogar hinter dem angränzenden Fuldischen zurück, welches Land wenigstens eine unbeschreibliche Menge des schönsten und feinsten Damastleinwands verfertigt, und damit so wie auch mit grobem Leinwand einen sehr ausgebreiteten Handel treibt, dahingegen Würzburg keine Art von einem ähnlichen bürgerlichen Gewerbe hat. Da die Fuldischen Bauern sich im Winter mit Spinnen und Weben beschäftigen, so stehn sie überhaupt genommen in ihrem rauhen Lande besser, als die würzburgischen Bauern in ihren paradiesischen Gegenden. Der hiesige Fürst hat eine beträchtliche Spiegel= und Porzellänfabrik, welches die einzigen ansehnlichen Manufakturen des Landes sind. Einige Gewerbarten der protestantischen Einwohner von Kitzingen sind das Erheblichste von würzburgischer Industrie. Der jetzige Bischof giebt sich viel Mühe, seine Unterthanen zum Kunstfleiß aufzumuntern.
Um diesem Brief sein gehöriges Gewicht geben zu können, machte ich vor Versiegelung desselben eine Kreutzfahrt durch den ganzen fränkischen Kreis, welcher unter allen Kreisen des deutschen Reiches der kleinste ist. Allein die Prisen, Prise – soviel, wie zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen ist die ich auf dieser Fahrt gemacht habe, sind so unbedeutend, daß sie wirklich kaum das Porto, welches du für sie zahlen must, werth sind.
Bamberg ist eine ziemlich grosse, sehr schöne und lebhafte Stadt von ohngefähr 20.000 Seelen. Das merkwürdigste ist hier die Gärtnerey, welche in keiner Stadt Deutschlands so blühend ist, als hier. Einige hundert Gärtner treiben mit kleinen eingemachten Gurken, mit Süßholz, Süßholz – eine Gewürz-, Genuß- und Heilpflanze, dient u. a. zur Herstellung von Lakritze. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war S. die Charakterpflanze Bambergs mit Zwiebeln, die für die besten in Deutschland gehalten werden, und einigen andern Produkten einen sehr ausgebreiteten Handel bis nach Holland. Mit vortreflichen Küchenkräutern, den edlern Obstarten und Zugemüsen versehen sie die ganze Nachbarschaft umher. Auch das hiesige sehr gute und starke Bier wird häufig bis an den Rhein verführt. Das gemeine Volk hier glaubt, in der ganzen übrigen Welt wachse kein Süßholz mehr, und es sey von der heiligen Kunigunda, die nebst ihrem Gemahl, Kaiser Heinrich dem Zweyten, Kaiser Heinrich II. – der letzte Ottone, Heiliger, König seit 1002, † 1024 im hiesigen Dohm begraben liegt, zuerst hier gepflanzt, und dieser Stadt als ein ausschließliches Eigenthum zugesichert worden. Da ich doch einmahl an der Legende dieses heiligen kaiserlichen Ehepaars bin, so muß ich dir noch einen Beytrag aus dem Munde des hiesigen Publikums dazu mittheilen. Legenden sind ohnehin die einzigen Denkwürdigkeiten, die sich in dieser Gegend auffinden lassen. Vielleicht ist dir schon bekannt, daß Kaiser Heinrich der Zweyte, der Stifter dieses reichen Bisthums, seiner Heiligkeit ungeachtet, sehr eifersüchtig auf seine heilige Gemahlin Kunigunda war, und diese zum Beweis ihrer Keuschheit nach Art des damaligen Zeitalters die Feuerprobe aushalten mußte. Als sie unversehrt über eine Reihe glühender Pflugscharen gegangen war, umarmte sie natürlicher Weise ihr Gemahl, und bath sie wegen seines Verdachts gar höflich um Verzeihung. Nun hatten sie, wie sie überhaupt in Bereicherung dieses Stiftes mit einander wetteiferten, zwey neue Glocken in die Dohmkirche machen lassen. Sie giengen einige Tage nach der Feuerprobe mit einander um die Stadt spatzieren, als man mit ihren neuen Glocken zu läuten begann. Heinrichs Glocke tönte schöner, als jene seiner Gemahlin, die empfindlich darüber ward. Um ihr einen Beweis seiner herzlichen Aussöhnung und Liebe zu geben, nahm der Kaiser seinen goldnen Ring vom Finger, warf ihn eine halbe Stunde weit auf den Thurm des Dohms, so daß seine Glocke ein Loch bekam, und auf den heutigen Tag noch einen Mißton hat – Fast ist dieser Zug von Galanterie für das zehnte und eilfte Jahrhundert zu fein.
Von alten Ritterromanzen, Legenden und Gespenstermärchen ließ sich in den Hochstiftern Würzburg und Bamberg eine ungeheure, und zum Theil auch eine sehr interessante Sammlung machen. Nebenher sind solche Unterhaltungen des Volks ein Beweis, daß es viel müßig geht und keinen nützlichen Stoff zu seinem Nachdenken und seinen Gesprächen hat. Das Psalmsingen des Pöbels unter den Reformirten, wozu er seine Zuflucht nimmt, wenn er müßig oder besoffen ist, hat freylich den Schmuck der Phantasie nicht, welcher die Unterhaltungen der Katholiken in Deutschland karakterisirt; allein es ist doch der Bestimmung des gemeinen Volkes angemessener, und giebt demselben keine falschen und schädlichen Begriffe – Eine Gespensteranekdote von Würzburg darf ich hier nicht übergehen. Man versicherte mich, daß noch auf den heutigen Tag die Schildwache in einer gewissen Strasse um 11 Uhr in der Nacht abgelöst, und der Posten bis um 12 Uhr nicht besetzt würde, weil in dieser Stunde ein sehr gefährlicher Mann durch die Strasse spatzierte, der seinen Kopf unter dem rechten Arm trägt.
Des vortreflichen Bodens ungeachtet sind die Einwohner der Bißthümer Würzburg und Bamberg im Ganzen genommen doch sehr arm. Der Feldbau wird nicht vernachläßigt; allein es fehlt dem Landvolk an Sparsamkeit, und dann kann der Ackerbau in so volkreichen Ländern auch nicht alle Hände hinlänglich beschäftigen. Die Erziehung und die Gewohnheit sind die Hauptursache, daß man in diesen Ländern, wo die Natur sich so freygebig gegen die Menschen zeigte, so viele Bettler sieht. Die Regierungen der geistlichen Fürstenthümer in Deutschland, die ich bisher sah, sind wirklich sanfter, als die meisten der weltlichen Staaten, und die Vorwürfe, die man jenen macht, sind überhaupt genommen, sehr ungerecht. Es gehören mehrere Menschenalter dazu, um ein verschwenderisches Volk sparsam und industriös zu machen. Ein Theil der Liederlichkeit des katholischen Publikums in Deutschland ist sogar eine Folge allgemein angenommener Grundsätze seiner Lehrer. Schlözers Briefwechsel beurkundet, daß ein katholischer Priester von einem Bischof und 2 Universitäten der Ketzerey beschuldigt wurde, weil er lehrte: »Selbstliebe wäre der erste Grundtrieb der menschlichen Handlungen; Vernachläßigung des irdischen Gewinstes, den Zeit und Gelegenheit dem Menschen darbieten, wäre eine philosophische Sünde; eben so unerlaubt wäre es, einem andern eine Wohlthat zu erzeigen, wobey ich mir einen beträchtlichen Schaden zufügte«, u. dgl. m. Diese übertriebenen Begriffe von Freygebigkeit und Verachtung zeitlicher Dinge, sind die Ursache, warum die katholischen Deutschen überhaupt genommen, gutherziger sind, als die protestantischen, wie auch Herr Pilati bemerkt hat. Die häufigen Bettler selbst sind ein Beweis davon; denn wenn sie nicht so viele Geber fänden, würde sie die Noth schon arbeiten lehren. Allein immer wäre es doch besser, wenn gar keine Bettler da wären, wenn auch schon das Volk etwas zurückhaltender, mürrischer und kärglicher werden sollte – Aus eben der Ursache findet man in den katholischen Städten Deutschlands unendlich mehr milde Stiftungen, als in den protestantischen, obgleich jene unendlich ärmer sind als diese. Das Juliusspital zu Würzburg übertrift an Reichthum vielleicht alle Stiftungen von der Art in den preußischen Ländern zusammen genommen, das berühmte Waisenhaus zu Halle Waisenhaus zu Halle – die Franckeschen Stiftungen, sie gehen auf August Hermann Francke († 1727) zurück ausgenommen. Allein diese Stiftungen sind eine neue Nahrung der Liederlichkeit.
Die Bettelmönche finden ihre Rechnung bey diesen Lehren von Freygebigkeit und Verachtung der Güter dieser Erde, die sie doch selbst so sorgfältig sammeln. Sie sind auch die Hauptvertheidiger derselben; denn, die im ganzen wirklich unbedeutende Seelenmessen abgerechnet, sind die katholischen Weltpriester von der Freygebigkeit des Publikums ganz unabhängig.
Die Pfründen der Dohmherren von Würzburg und Bamberg gehören unter die besten von Deutschland. In guten Jahren trägt eine 3.500 und mehrere Gulden ein. Man findet aber schwerlich einen Dohmherrn, der nur eine Pfründe hätte. Manche haben 4 bis 5 Pfründen in ebenso vielen Stiftern, und kommen jährlich auf ihre 8, 10 bis 12tausend Gulden zu stehn. Die Prälaten dieser hohen Stifter ziehn jährlich wohl 20 bis 30tausend Gulden, und die ganze Arbeit eines deutschen Dohmherrn besteht darinn, daß er nur in Einem gewissen Monat des Jahres bey dem Singen im Kor seiner Stiftskirche erscheinen muß, und es braucht keine andere Talente, als lateinisch lesen zu können, und von einer stiftsmäßigen Mutter gebohren zu seyn, denn der Adel seines Vaters im strengen Verstand läßt sich nie beweisen. In einer gewissen bischöflichen Residenzstadt Deutschlands hat man das Sprüchwort: [»]Daß sich die Dohmherren selbst machten«. Wenigstens sieht man sie in solchen Residenzstädten am häufigsten um die stiftsmäßigen Damen.
Man versicherte mich, daß jeder Dohmherr von Würzburg, wenn er in das Kapitel eintritt, von allen seinen Herren Kollegen einen Ruthenschlag aushalten müsse. Diese seltsame Inaugurationsart Inauguration – feierliche Einsetzung in ein hohes Amt soll verhindern, daß kein Prinz, um diese feyerliche Erniedrigung zu vermeiden, in das Kapitel aufgenommen zu werden verlange.
Nürnberg ist eine traurige Stadt, die immer mehr zerfällt. Noch gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts zählte diese Stadt gegen 50.000 wehrhafte Mannsleute. Nun hat sie nicht viel mehr als 30.000 Seelen. Es sind im Durchschnitt der letztern Jahre hier jährlich gegen 1.100 Menschen gestorben. Einige hundert Häuser stehen ganz leer, und die übrigen sind fast durchaus nur von einzeln Familien bewohnt. Die Einwohner sind noch ein sehr fleißiges Volk, und es ist ein sehr angenehmes Schauspiel, wenn man in den Werkstätten die kleinsten Kinder mit den verschiedenen Quincaillerie=Artikeln beschäftigt sieht, wodurch sich diese Stadt durch ganz Europa bekannt gemacht hat. Es ist unverzeihlich, daß sogar deutsche Schriftsteller diese Produkten der Nürnberger mit Spott belegen, und den Kunstfleiß derselben zu einem verächtlichen Sprüchwort gemacht haben. Rechtfertigt nicht der starke Abgang dieser Waaren die Beschäftigung dieser ihrer Landsleute? Es ist um so unverzeihlicher, da Nürnberg seit langer Zeit immerfort Künstler geliefert hat, die in Verfertigung mathematischer und physikalischer Instrumente sich den berühmtesten Engländern an die Seite stellen können. Ueberhaupt wird ausser England nirgends in Stahl, Eisen und Meßing so gut gearbeitet, als in dieser Stadt; und will man es den Einwohnern verübeln, daß sie nebst den bessern Produkten auch ihre Weiber und Kinder mit nützlichen Kleinigkeiten zu beschäftigen suchen? – Im Kunstfleiß ist Nürnberg der Stadt Augspurg noch unendlich überlegen.
Das Patriziat frißt diese Stadt nach und nach auf. Es würde meinen Glauben überstiegen haben, wenn mir es nicht mehrere Bürger von Nürnberg selbst auf ihre Ehre versichert hätten, wie unmenschlich sie von ohngefähr 20 Familien behandelt werden, welche ausschließlich die Regierung in Händen haben. Von Zeit zu Zeit muß jeder Bürger ein gerichtliches Inventarium von seinem Vermögen machen lassen, und dann muß er den dritten Theil von seinem jährlichen Gewinn der Regierung an Abgaben entrichten. Ohne das Unmäßige dieser Abgaben in den Anschlag zu bringen, so ist es für eine Handelsstadt schon eine sehr schädliche Politik, daß der Bürger den Zustand seines Vermögens vor allen Augen aufdecken muß. Diese Patrizier haben sich noch eine gewisse Anzahl von Familien an die Seite gesetzt, mit welcher sie ausschließlich die öffentlichen Aemter theilen, die sehr zahlreich sind. Es ist demnach kein Wunder, daß die reichern Bürger haufenweise aus der Stadt ziehn, und sich zu Pfyrt, auch in den östreichischen oder preußischen Staaten niederlassen.
Die Sitten der Nürnberger sind reiner und strenger als irgendeiner andern deutschen Stadt. Besonders eifert der Magistrat sehr gegen die Paillardise. Paillardise – Unzucht Es ist keine Satyre, sondern eine Thatsache, daß er ehedem durch eine Deputation einiger seiner Glieder und eines Arztes die Jungferschaften der Stadt physikalisch untersuchen ließ. Man hat diesen Auftritt, wo die Deputierten mit der Brille auf der Nase, mitten in der Untersuchung begriffen sind, in einem sehr karakteristischen Kupferstich.
Keine Reichsstadt hat ein so grosses Gebiete, als Nürnberg. Man schätzt die Anzahl der Unterthanen auf dem Lande auf ohngefähr 360.000, und gegen diese scheint die Regierung nicht so sultanisch zu seyn, als gegen die Bürger der Stadt selbst. Wenigstens ist das Land vortreflich angebaut, ob es schon fast durchaus sandigt ist. Schönere Dörfer hab ich nirgends gesehn, als in der Gegend dieser Stadt, und alles spricht von einem hohen Wohlstand des Landvolkes, welches, so wie der Pöbel in der Stadt, seinen alten Sitten und seiner Kleidertracht noch ziemlich getreu bleibt.
Die Fürstenthümer Ansbach und Bayreuth, welche jezt einem Herrn zugehören, stechen in Rücksicht auf Industrie mit den Bisthümern Würzburg und Bamberg stark ab. Die Natur war ihnen bey weitem nicht so günstig, und doch sind ihre Einwohner, ob sie schon mit ungleich mehr Auflagen beschwert sind, viel vermögender, als die Bewohner dieser Länder. Die Städte Erlang, Anspach, Schwobach, Marktsteft, Kreilsheim und einige andre haben sehr beträchtliche Manufakturen. Der jetzige Fürst, der jetzige Fürst – Christian Friedrich Karl Alexander, der letzte Markgraf der beiden fränkischen Markgraftümer Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth. Beide verkaufte er 1791 am Preußen. der letzte Sprosse seines Hauses, der auch keine neue Zweige mehr verspricht, ist ein sehr artiger und liebenswürdiger Mann. Die bekannte Mademoiselle N * * ist seine Gesellschafterin, und diese Wahl rechtfertigt seinen guten Geschmack. Seine sämmtlichen Einkünfte betragen ohngefähr 1.600.000 rheinische Gulden. Seine Bauern sind etwas mißvergnügt über ihn, weil er ihre Söhne den Engländern verkauft den Engländern verkauft – er »vermietete« Truppen an England und Holland hat. Es hat auch unter den Truppen selbst, die nach Amerika mußten, einige ziemlich lebhafte Gährungen abgesetzt. Er scheint das Land so gut als möglich benutzen zu wollen, weil es nach seinem Tod in fremde Hände fällt. Die Residenzstadt Anspach zählt ohngefähr 11.000, und Erlang, die wichtigste nach derselben, etwas über 8.000 Seelen.
Das Uebrige von Franken besteht aus einer Menge kleiner Herrschaften, deren Unterthanen zum Theil im tiefsten Druck leben. Besonders unglücklich sind die Bewohner der Ländchen, deren Herren an grossen Höfen residiren. Sie verlieren dadurch nicht nur eine beträchtliche Summe Geldes, sondern sind auch den Erpressungen despotischer Bedienten ausgesetzt, die allzeit grausamer sind, als die Herren selbst und die ihren Theil auch haben wollen. In einem gewissen fränkischen Fürstenthum, dessen Besitzer immerfort abwesend ist, bleibt ein Verwalter selten länger als 6 oder 8 Jahre an seiner Stelle. In dieser kurzen Zeit hat er sich allzeit so viel zusammen gespart, daß er kein Bedienter mehr seyn, sondern sich seinem Herrn gleichsetzen will. Hier wirst du dich der Bedienten der Indischen Kompagnie in England erinnern, die man nach ihrer Zurückkunft Nabobs zu nennen pflegt, welches sie auch auf Kosten der Indier im buchstäblichen Verstande des Wortes gemeiniglich sind. Man hat es den stehenden Armeen zu verdanken, daß die Bauern dieser Gegenden unter der Geissel ihrer Nabobs so geduldig sind. In dem bekannten Aufruhr, in dem bekannten Aufruhr – der Bauernkrieg den sie um das Jahr 1525 erregten, und den Göthe in seinem Götz von Berlichingen so natürlich dargestellt hat, sprangen sie mit den Grafen, Herren und ihren Bedienten seltsam genug um. Ein Haufen derselben bemeisterte sich einiger Schlösser der Grafen von Hohenlohe, packte diese beym Kragen, und schrie ihnen unter die Nase: »Nun sind wir Herren von Hohenlohe und Ihr seyds nicht mehr.« Unpolitisch war es damals von den fränkischen, schwäbischen und rheinischen Städten gehandelt, daß sie zur Unterdrückung der Bauern die Hände bothen. Jetzt empfinden sie den Druck der Fürsten so stark, als die Unterthanen derselben selbst, und bey der seit dieser Epoche durch die stehenden Truppen bewirkten Ueberlegenheit der Fürsten war kein anderes Rettungsmittel mehr für sie übrig, als wenn sie mit den Bauern bey einem solchen günstigen Anlaß gegen die Fürsten und den Adel gemeinschaftliche Sache gemacht hätten, wie es ihre politische Lage erfoderte. Ohne ihre Hülfe wäre man nie von den Aufrührern meister geworden. Die nun so ohnmächtigen Städte, Halle, Bopfingen, Dünkelspühl, Nördlingen u. a. m. waren damals den aufrührischen Bauern förchterlicher, als die mächtigsten Fürsten. Nun haben sie keinen so günstigen Anlaß mehr zu erwarten.