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Acht und fünfzigster Brief.

Hamburg –

Seit meinem lezten Schreiben, lieber Bruder, that ich einen Einfall tief in das sogenannte dänische Reich hinein. Schon im Hollsteinischen, welches noch zum deutschen Reiche gehört, fiel mir eine Verschiedenheit in der Lebensart und den Sitten des Volks, und dem Anbau des Landes auf. Als ich jenseits der Eider, welche die natürliche Gränze zwischen Deutschland und Dänemark ist, einige Stationen zurükgelegt hatte, fand ich einen Abstich zwischen diesem Lande und Deutschland, der so stark war, als jener zwischen Bayern und Sachsen. Wenn man die Aufklärung, den Fleiß, und die gute Zucht der Protestanten rühmt, so muß man auch einige Ausnahmen machen, so wie auch die Protestanten, wenn sie den Katholiken wegen ihrer Dummheit, Trägheit und Liederlichkeit Vorwürfe machen, grosse Ausnahmen machen sollten.

Die Dänen sind noch wenigstens um ein Jahrhundert hinter den meisten protestantischen Völkern Deutschlands zurük, und um kein Haar besser, als die Bayern und Portugiesen. Sie sind das finsterste, schwerfälligste und trägste Volk, das ich noch gesehen. Liederlichkeit, Bigotterie und Unverträglichkeit zeichnen es von den meisten Protestanten Deutschlands so stark aus, daß man auf einen Blik von der Unwirksamkeit der Religion auf die Besserung der Menschen, wenn ihr nicht oft zufällige Nebenumstände zu Hülfe kommen, überzeugt wird. Es giebt wohl unter den Geistlichen dieses Landes aufgeklärte und wakre Männer; allein im Ganzen sind sie ebenso stolz, so intolerant und unwissend, als die Pfaffen in Spanien. Ich sah Pastors, die auch im Aeusserlichen den spanischen Priestern vollkommen gleich waren. Sie trugen die Brillen gerade so hoch über der Nase, trugen den Hals ebenso steif, warfen gerade so den Kopf zurük, sprachen vollkommen so durch die Gurgel und die Nase, und schritten eben so aufgeblasen daher, wie die Priester von Barcelona oder Saragossa. Wenn sie über einer Predigt sitzen, so thun sie, als wenn sie mit der Erlösung des Menschengeschlechts schwanger giengen. Ich besuchte einen, den man für einen grossen Botaniker ausgab, der aber nicht viel mehr als die Heidekräute seines Vaterlandes kennt. Er brütete eben seine Sonntagspredigt aus. Es blieb lang unentschieden, ob er mir Audienz geben wollte. Nachdem ich mit seinen zwo Töchtern, den dümmsten und unartigsten Kreaturen, welche ich noch gesehen habe, die mir, aus Ungezogenheit oder falschen Keuschheitsbegriffen, nie ins Gesicht zu sehn getrauten, eine halbe Stunde von Wind, Wetter und Sonnenschein verplaudert hatte, kam ihre hohlaugigte, dunkelgelbe Mutter aus dem Studierzimmer ihres Herrn Gemahls, und kündigte mir an, daß der Herr Pastor entsetzlich viel mit seiner Sonntagspredigt zu schaffen habe, daß er aber jetzt ein Stündchen verschnaufen wolle, und ich die Ehre haben könne, mit ihm eine Pfeiffe Tobak zu rauchen. Ich stand wirklich an, ob ich diese Ehre annehmen wollte; denn daß ich einem groben Pastor zum Vehikulum seines Verschnaufens dienen sollte, brachte meine Eigenliebe wirklich in einen kleinen Aufruhr. Ich überwand mich aus Achtung für die Landessitten, die ich auch den Hottentoten Hottentoten – Hottentotten: der Negerstamm der Khoi Khoi in Südafrika, das Wort wird hier pejorativ gebraucht schuldig wäre, und wie ich zur Thüre hineingetretten war, erhob sich der Herr Pastor sehr langsam von seinem grossen gepolsterten Stul, und ließ mir Zeit genug, über den Hintertheil seiner zottigten Perüke, den Kontour seiner breiten Schultern und die Draperie seines langen, in der Mitte zusammengebundenen Schlafroks Betrachtungen an[zu]stellen. Endlich kam er durch den Labyrinth seiner unzäligen Bücher, die theils auf Stülen, theils auf Pulten um ihn her lagen, und ohne Zweifel alle auf seine Sonntagspredigt Einfluß hatten, zu mir hervorgekrochen. In 4 bis 5 Minuten waren wir schon am Ende alles Gespräches. Ich zwikte an allen möglichen Saiten, aber kein Ton wollte auf dem dicken Pastor einen Widerhall hervorbringen. Als er endlich selbst bemerkte, daß er mir durch sein Verschnaufen lange Weile machte, nahm er seine Predigt zur Hand, und las mir einige Perioden vor, um mich zu desennuyren. desennuyren – ennyieren: langweilen, lästig werden; also: die Langeweile vertreiben Ich hörte kein Wörtchen; denn der Tabacksdampf, den er mir während des Lesens unter die Nase blies, brachte mich vollends aus der Fassung. Hierauf hatte er noch den grausamen Einfall, mir seinen Schatz, wie er es nennte, zu eröffnen. Das war ein Schrank, welcher die Handschriften aller seiner Predigten, in 8 bis 10 dicken Folianten, enthielt. Wie er den ersten herauszog, lief mir ein kalter Schauder über den Rücken, der mir einen Katharr beförchten machte. Er sah, daß es mir nicht wohl bey der Sache ward, und tröstete mich damit, daß er mir nur die Texte seiner Predigten in dem Register vorlesen wollte. Ich hielt ein Register aus; wie er aber zum zweyten Folianten griff, nahm ich Stock und Huth, und eilte zur Thüre.

In keinem protestantischen Land, das ich sah, selbst Holland nicht ausgenommen, stehen die Pfaffen noch in einer so Dalailamaischen Dalailamanische Achtung – Dalai Lama, der Oberpriester der Tibeter Achtung bey dem Volk, als in Dänemark. Der Stolz und das eigenmächtige Ansehn der Diener der Religion sind ein sicherer Maaßstab, die Aufklärung des Volkes und den Werth der Landesregierung zu berechnen. Die geistliche und weltliche Macht sind von Natur so eifersüchtig auf einander, daß man allzeit Indolenz auf Seiten der Landesregierung voraussetzen muß, wenn das Priesterthum ein gewisses Uebergewicht hat. Man weiß, wie viel Einfluß auch die dänische Geistlichkeit auf Struensees Struensee – Johann Friedrich Struensee, Arzt, † 1772 hingerichtet. Er befaßte sich als Erster wissenschaftlich mit der Maul- und Klauenseuche, war Leibarzt des dänischen Königs und führte die Regierung. Seine aufklärerischen Reformen machten ihn bei der Reaktion verhaßt. Diese nahmen eine Liebesaffäre mit der Königin zum Anlaß für seinen Sturz. Sturz gehabt hat.

Ueberall, sogar auch in den Städten Dänemarks, in denen man doch ziemlich viele Ausländer antrift, findet man Spuren von dem übermächtigen Einfluß und der Intoleranz der Geistlichkeit. An einigen Orten empfand ich eine beleidigende Verschlossenheit auch von angesehenen Leuten gegen mich, als ich ihnen erklärt hatte, daß ich ein Katholik wäre. In Horsens schien die Frau eines der besten Häuser nicht begreifen zu können, daß die Katholiken Kristen wären. Man setzt uns wirklich mit den Heiden und Juden parallel. Ich glaube auch wirklich, daß Se. dänische Majestät, so uneingeschränkt auch ihre Gewalt im übrigen ist, den Schritt zur Toleranz ohne Gefahr nicht thun könnte, den der Hof zu Wien gethan hat, welchem man doch noch vor wenig Jahren so bittre Vorwürfe wegen der Intoleranz und dem Ansehn seiner Geistlichkeit gemacht hat. Ein offenbarer Beweis, daß es in den östreichischen Staaten schon vor langer Zeit heller war, als es itzt noch in Dänemark ist.

Man lebt in Dänemark beständig wie auf einem Schiffe, das eine Reise um die Welt macht. Gesalzener Speck, Hülsenfrüchte und Brandtewein sind die hauptsächlichsten Nahrungsmittel der groben und trägen Einwohner, die bey ihren Nachbarn auch als tückisch und betrügerisch verschrieen sind. Der unmäßige Gebrauch des Brandteweins trägt ohne Zweifel viel zu ihrer Indolenz, ihrer Dummheit, und Verwilderung bey. Wenigstens legte der König von Schweden in einer den Brandtwein betreffenden Verordnung diese Wirkungen demselben zur Last. Die Verwilderung ist besonders auf dem Lande sichtbar. Sie schreckte mich ab, meine Reise bis nach Aalborg und von da zurück durch Seeland und die übrigen Provinzen des dänischen Reiches fortzusetzen, wie ich mir vorgenommen hatte, und welche Tour man, wenn man auch hie und da die Winkel besichtigen will, in 8 bis 10 Tagen gemächlich vollenden kann. Der Schlamm des Meeres, und der Flüsse in ihrer Mündung, den die Frösche den Einwohnern beständig streitig machen, und welcher durch das Salz bis zur Geilheit fruchtbar gemacht wird, ist noch ziemlich gut angebaut. Sobald man sich aber einige Schritte weit von den Ufern entfernt, geräth man in Wüsteneyen. Zwischen Aarhus und Ringkiöbing, welche Städte an den beyden entgegengesetzten Ufern der Halbinsel Jütland, 14 deutsche Meilen von einander entfernt liegen und das non plus ultra non plus ultra – Nonplusultra: das nicht zu Übertreffende, der Gipfelpunkt meiner Dänischen Expedition waren, erstreckt sich auf viele Meilen in die Länge und Breite hin eine Wildniß, die den Tatarischen Steppen nicht unähnlich seyn mag. Dieser Boden ist nicht unfruchtbar, sondern besteht aus einer grauen, etwas schweren und hie und da mit Sand untermischten Erde, die für ein so enges Reich, als das Dänische ist, unschätzbar seyn sollte. In Preussen hat man Erdreich angebaut, das nicht halb soviel natürlichen Werth hat, als dieses. Die Natur selbst macht durch die starken Gesträuche und die fetten Gras= und Kräuterarten, welche diese Wildniß bedecken, den fühllosen Einwohnern Vorwürfe wegen ihrer Trägheit. Die Regierung machte einige Versuche, ihre Unterthanen zum Anbau dieser Wildniß aufzumuntern; allein es fehlt allen Dänischen Regierungsanstalten an Nachdruck, und die Trägheit des Volks läßt sich auch nicht in einem einzigen Fall besiegen, wenn sie zur Natur geworden ist. Die benachbarten Gemeinden fanden es für ihre hottentotische Wirtschaft zu gemächlich, daß sie ihr Vieh auf dieser Steppe konnten waiden lassen, als daß sie nicht gegen die Vorkehrungen der Regierung hätten protestiren sollen. Unterdessen zeigten diese Versuche der Regierung, daß man aus diesem Erdreich alles machen könnte, was man wollte. In Jütland weiß man noch nichts von den glücklichen Entdeckungen, die man in England, Frankreich, Deutschland und Schweden zum Behuf der Landwirthschaft gemacht hat. Wenigstens haben sie auf dieses Land noch keinen Einfluß, wenn sie vielleicht auch in die Studierzimmer einiger Gelehrten gekrochen sind. Der dummstolze Adel des Landes verwendet lieber sein Geld auf prächtige Gebäude, französische und englische Meublen und kostbare Kleider, als auf den Anbau von Ländereyen, und lebt größtentheils in der Hauptstadt. Die Landpfarrer, unter denen man in Norddeutschland, besonders in den preußischen Staaten, so viele Kenner und Beförderer der Landwirthschaft findet, haben in Jütland mehr mit Moses Anstalten in der Wüste, Moses Anstalten in der Wüste – die in der Bibel berichteten Wunder Moses' in der Wüste Sinai (z. B. 2. Mos. 16) mit Aegypten, mit dem Bach Kedron Kedron – der Bach Kidron, der am Garten Gethsemane vorbeifließt (Joh. 18, 1) und Bileams Esel, Bileams Esel – ein sprechender Esel, der auch Gespenster sehen kann, (4. Mos. 22) als mit ihrem Vaterlande zu schaffen. Die Kronbedienten haben alle die Nachläßigkeit und die Begierde, ihren Eigennutz zu befriedigen, welche von einer despotischen und schwachen Regierung unzertrennlich sind. Und wer sollte dann das Uebel heben? – Die gute Zucht der dänischen und hollsteinischen Pferde, welche dem Land beträchtliche Summen einträgt, beruht zum Theil auf Vernachläßigung des Ackerbaues. Die Marschländer an der See und den Flüssen erfodern keine mühsame Bearbeitung, und sind größtentheils zu Waiden angelegt. Die Bauern sind daher nicht, wie in den Ländern, wo man mehr Mühe auf den Feldbau verwendet, gezwungen, ihre Pferde sehr frühe zu den schwersten Arbeiten zu gebrauchen und sie in den kritischesten Jugendjahren zu Grunde zu richten. Die höhern Gegenden sind beynahe durchaus ungebaut. – In den Städten, wo sich Fremde wegen der vortheilhaften Lage niederlassen, sieht es besser aus, als auf dem Lande, und in den meisten fand ich einige blühende Manufakturen.

Die Regierung von Dänemark ist die despotischeste in Europa. Diese Regierungsart kann die beste und schlimmste seyn, besonders für ein Reich, das wegen seiner Kleinheit so leicht zu übersehen ist, wie das Dänische, welches aber auch wegen seiner Kleinheit die Leidenschaften und Schwäche seiner Regenten um so härter empfindet. Dieses Reich ist wirklich das geringste unter allen europäischen Königreichen. Es hat, die Lappen, Grönländer und Isländer mitgerechnet, kaum 1.800.000 Einwohner, und kaum machen die Hollsteiner, die zu den Deutschen gehören, die Zahl von 2 Millionen dänischer Unterthanen vollständig. Den Sundzoll, Sundzoll – Zoll, der am Öresund zwischen Seeland (Dänemark) und Schonen (Schweden) erhoben wird welchen die seefahrenden Nationen aus gutem Willen entrichten, mitgerechnet, betragen die sämmtlichen Einkünfte des Königs von Dänemark nicht viel über 9 Millionen rheinische Gulden, oder ohngefähr 20 Millionen Livres. Er kann sich also mit dem Kurfürsten von Sachsen nicht messen, und der Kurfürst von Pfalz=Bayern ist ihm an Macht gleich. Ohne Subsidien ist se. dänische Majestät nicht im Stand, eine Armee von 40.000 Mann, oder eine Flotte von 20 Linienschiffen nur einige Jahre lang in Aktivität zu unterhalten. Die Auflagen sind ungeheuer, und einige sind von der Art, wie man sie in wenig andern Ländern findet. Hier muß man die Erlaubniß bezalen, sich zu verheyrathen. Unsere Regierung machte ehedem eine Auflage auf die Hagestolzen. Hagestolz – Junggeselle Die dänischen und französischen Regierungsgrundsätze sind also sehr verschieden.

Diese Eingeschränktheit der Staatskasse ist die Ursache, daß in Dänemark mehr Projekte gemacht werden, als in irgend einem andern Lande, die aber größtentheils nur Luftschlösser sind, und vom ersten Wind verweht werden. Gemeiniglich haben sie den Eigennutz des Projekteurs zum Hauptzweck, und zur Unterstützung von grossen Entwürfen wahrer Patrioten fehlt es dem Hof an Kräften und auch an gutem Willen. Der König, welcher sich durch einen öffentlichen, förmlichen Prozeßakt zur zahlreichen Brüderschaft gekrönter Ehemänner bekennt hat, muß den größten Theil der Regierung seinen Bedienten überlassen. Seine Stiefmutter soll viel Regierungs= und Hofkunst besitzen; allein den meisten Einfluß haben doch die Minister und Räthe. Unter diesen herrschen immer Kabalen, Intriguen und Revolutionen, die man aus Struensees Geschichte, besonders aus seiner eignen Rechtfertigung am besten kann kennen lernen, und die jeden ehrlichen Mann ausrufen machen: Beatus ille, qui procul Beatus ille... – glücklich der, der hiervon entfernt lebt – – Vor Kurzem erst ist wieder ein Premier gesprengt worden.

St. Germain St. Germain – Graf von Saint-Germain, ungarischer Fürst, einflußreicher Freimaurer, Alchemist, Arzt, Musiker, Geheimdiplomat, Abenteurer, Weltreisender. Wirkte als Berater unter Ludwig XV., Ludwig XVI. und dem Schah von Persien. War am Sturz des russischen Zaren Peter III. beteiligt. † 1784 war in Kopenhagen sehr übel angebracht. Der verstorbene König berief ihn an seinen Hof, um die Armee auf einen bessern Fuß zu setzen, weil se. dänische Majestät damals Willens war, an gewissen Bewegungen in Norden Theil zu nehmen, oder sich wenigstens förchterlich zu machen. Man sagte ihm von 50 bis 60 tausend Mann. Bey seiner Ankunft fand er aber ausser den Garden gar keine eigentlichen Soldaten. Das übrige war theils eine wilde undisciplinirte Militz, theils ein Haufen hungriger Invaliden. An Kavalerie fehlte es gänzlich. Der gute König, welcher seine Armee nur auf dem Papier gesehen, und sie vielleicht auch da nicht genau besichtigt hatte, denn Rechnen war seine Sache nicht, konnte nicht begreifen, wohin seine grosse Armee bey St. Germains Ankunft sollte verschwunden seyn. Einige vom Ministerium, welche das papierne Kriegswesen verwalteten, machten sich Hofnung, St. Germain würde mit ihnen unter der Decke spielen. Dazu war nun St. Germain der Mann nicht. Nachdem er entdeckt hatte, daß ein Theil des für die Truppen bestimmten Geldes in die Privatbörsen der Minister, Kommissärs und Offiziers floß, wollte er mit seiner gewöhnlichen Redlichkeit und Strenge Hand an die Reformation legen. Er sah aber bald, daß, wenn auch die Malversationen gehoben würden, eine dänische Armee, die in Norden Figur machen sollte, doch immer nur ein frommer Wunsch bleiben würde. Ueberzeugt, daß nichts zu reformieren sey, wo nichts ist, erklärte er mit der ihm eignen Freymüthigkeit dem König: »Er sehe nicht, wozu er sr. Majestät gut seyn könnte; im Gegentheil müsse er Derselben zur Last fallen, und seines Erachtens wäre das rathsamste, er gienge seines Weges wieder zurück. Die Minister waren froh, einen so strengen Aufseher vom Hals zu bekommen, den sie nicht leicht durch eine Kabale hätten stürzen können, weil ihn der König liebte, und eine Kabale gegen entschlossene Gradheit, verbunden mit wahrer Menschen= und Hofkenntniß, nichts vermag, wenn der Regent, wie hier der Fall war, für die gute Sache ist, wenn sie ihm ins rechte Licht gestellt wird. Nach einigem Zaudern und mancherley Unterhandlungen that ihm endlich ein Minister den Vorschlag, er möchte sich anstatt der versprochenen Pension mit einer gewissen Summe baaren Geldes für immer begnügen lassen. Kein Vorschlag konnte St. Germain willkommner seyn, da er die Unzuverläßigkeit des dänischen Hofes kannte. Bekanntlich war er für sich kein vorsichtiger Oekonom, und er nahm ohne alles Bedenken einen Wechsel von 50 oder 60 tausend Thalern an, der auf einen Kaufmann zu Hamburg gestellt war. Bey seiner Ankunft in dieser Stadt hatte der Kaufmann so eben Bankrutt gemacht, und sich auf dänischen Grund und Boden geflüchtet. St. Germain behauptete bis an sein Ende, der Minister habe den Raub mit dem Kaufmann getheilt. Er mußte nun, wie bekannt, eine lange Zeit von einer Kollekte leben, welche die Offiziers unserer deutschen Truppen aus ihrem eignen Antrieb für ihn subskribirten. Ein schöner Pendant zu vielen dänischen Ministergeschichten!

Struensee und alle Leute von Einsicht behaupteten immer, die besten Maaßregeln, welche der dänische Hof ergreifen könnte, wären, daß er die nach dem Verhältniß seiner Einkünfte unmäßigen Ausgaben für die auswärtigen Geschäfte einschränkte, sich in die Angelegenheiten der übrigen Mächte gar nicht einmischte, seinen Kriegsetat bloß zur Handhabung der innern Ruhe seiner Staaten und der Polizey reduzirte, und alle Kräfte zum Anbau seiner wüsten Länder und zur Beförderung der Industrie verwendete. Dieß ist gewiß auch alles, was Klugheit und Vaterlandsliebe rathen können. Von Schwedens Seite hat Dänemark in der itzigen gegenseitigen Lage beyder Reiche nichts zu beförchten, und ein Wink des rußischen oder preußischen Hofes würde hier auch bald Ruhe schaffen. Auf der andern Seite würde der erste Kurfürst des deutschen Reiches, welcher der dänischen Heeresmacht in den Weg käme, sie in die äusserste Verlegenheit setzen. Der Verlust eines Hauptmagazins oder einer Kriegskasse würde den ganzen Feldzug krebsgängig machen. Wenn aber auch fremde Subsidien die Seele ihrer Operationen wären, so könnte sie es doch nie gegen eine mittelmäßige deutsche Armee lange aushalten. Die inländische Miliz, welche die Hauptsache ausmacht, ist äusserst roh und ungebildet, und die mit so vielen Kniffen und Pfiffen geworbenen deutschen Truppen laufen beym ersten Schritt, den sie über die dänischen Gränzen thun, davon. Sie verwünschen ein Land, wo sie wegen der ungesunden Luft, den ungewohnten und schlechten Nahrungsmitteln und verschiedenen Vernachläßigungen dahin sterben wie die Fliegen. Ich sprach verschiedne Deutsche in dänischen Diensten, und manchen flossen die Thränen über die Wangen, als sie mir die Art, wie sie von den Werbern gekapert wurden, und ihre gegenwärtige Lage schilderten. Man hat fast unglaubliche Beyspiele von Verzweiflungsmitteln, die sie ergriffen haben, um aus dem gehäßigen Lande zu entfliehn. Nebstdem fehlt es an einer hinlänglichen Reuterey, die heut zu Tage so entscheidend ist, und von den Deutschen Armeen beynahe den vierten Theil ausmacht. Es müßten ungeheure Subsidien seyn, wodurch diese auf einen respektablen Fuß gesetzt werden könnte. Sie läßt sich nicht beym Ausbruch eines Krieges aus nichts schaffen. Ihre Bildung erfodert in Friedenszeiten einen Aufwand, wozu die Einkünfte des Staats mit allen Subsidien, die sich der Wahrscheinlichkeit gemäß voraussetzen lassen, nicht hinreichend sind. Die Zeiten sind vorbey, wo man mit einer Handvoll undisciplinirter und ungeübter Truppen Wunder thun, und sie auf Feindes Kosten unterhalten konnte. Die heutige Kriegsmethode erfodert Vorbereitungen und einen Vorrath an so mancherley Bedürfnissen, daß dem dänischen Finanzminister die Haare würden zu Berge stehn, wenn man ihm die Berechnungen davon vorlegte. Wenn auch der dänische Hof 2 Millionen Thaler jährliche Subsidien bekäme, so reichten doch dieselbe mit den sämtlichen Einkünften des Hofes kaum zu, einen einzigen Feldzug mit einer Armee von 40.000 Mann, von der man sich heut zu Tage etwas versprechen könnte, ohne Gefahr durch irgend einen beträchtlichen Verlust auf einen Schlag unthätig zu werden, und mit Nachdruk zu betreiben. Der kurze Feldzug im bayrischen Krieg vor einigen Jahren hat den Wiener=Hof gegen 72 Millionen rheinische Gulden gekostet, obschon gar nichts von Bedeutung vorgefallen ist, und das, was zu jedem Feldzug vorräthig da seyn muß, nicht mitgerechnet. Seine Armee war ohngefähr 300.000 Mann stark. Man mache nach dem Verhältniß den Anschlag für 40.000 Mann. Und was wären dann auch 40.000 Mann, wenn sie der dänische Hof, welches ihm doch platterdings unmöglich ist, auf eine etwas beträchtliche Zeit ausser Landes in Thätigkeit setzen wollte? Dem König von Preussen, wenn er auch noch so beschäftigt wäre, kämen sie sehr willkommen. Es ist überhaupt eine gute Maxime, daß, wenn man einmal mit mächtigen Feinden beschäftigt ist, man die benachbarten Kleinen auch noch dazu nehmen müsse. Man kann bey diesen mit einem Koup gewinnen, was auf der andern Seite allenfalls verloren geht. Was wurde aus den armen Schweden, die sich im lezten schlesischen Krieg durch französische Subsidien in Pommern sprengen liessen? Und doch hatte der König von Preussen damals mit dem größten Theil von Europa zu schaffen. Was wurde aus den armen Sachsen? Aus der armen Reichsarmee? Und doch waren die sächsischen und die Reichstruppen besser unterhalten und wenigstens so gut disciplinirt, als die dänischen wirklich sind. Dänemark kann auch nicht, wie Sachsen, an irgend einem Fall gezwungen werden, die Neutralität zu Land zu brechen, und hat also nicht nöthig deswegen sich immer in einem respektablen Stand zu erhalten. Von Schweden hat es aus mehr als einer Ursache nicht das geringste zu beförchten, und seine Lage setzt es auf allen andern Seiten sicher – So sicher, wie Dänemark durch seine Lage ist, hätte es sich immer doch nur ungewisse Vortheile von seiner Landmacht zu versprechen, wenn es sie auch auf einen respektablen Fuß setzen könnte, und bey irgend einer Gelegenheit der angreifende Theil seyn wollte. Dagegen wären die Vortheile gewiß, die es durch die Verwendung der Kosten seiner Landtruppen zum Anbau wüster Ländereyen und zur Beförderung der Industrie erhalten könnte.

Ich war über diesen Punkt so umständlich, um dir und deinen Bekannten begreiflich zu machen, daß unser Hof Fußnote im Original: Diese Stelle beweist mehr, als irgend eine andre, daß unser Herr Reisende nicht bloß unter die Klasse der Neugierigen gehört, sondern wirklich für einen halben Spion irgend eines französischen Ministers zu halten ist. D. Ueb. zu den vielen Thorheiten, die er in neuern Zeiten begangen hat, noch eine neue häufte, wenn er in gewissen Absichten dem dänischen Hof Subsidien bewilligte, wozu er Neigung zu haben scheint. Das Geld wäre in jedem Betracht weggeworfen. Die Hälfte davon bliebe den dänischen Ministern und Kommissärs an den Fingern kleben, und die andre Hälfte wäre sehr übel angewendet.

So überwiegend nun auch die Gründe gegen die dänische Landarmee sind, so macht man doch täglich dänische Projekte, um sie zu verstärken. Das eitle Ministerium, welches Struensee in seiner bekannten Rechtfertigung so getreu geschildert hat, will die Welt nicht vergessen lassen, daß ein Königreich Dänemark da ist. Es giebt sich ein [un]beschreibliches Air von Wichtigkeit. Verschiedene kleine Nekereyen grosser Höfe, in die man es immer zu ziehn beliebt, machen es wähnen, daß es wirklich einigen Einfluß habe. Unterdessen wird ihm von allen Seiten eingeflößt. Ein Wort des rußischen Ministers bringt die ganze Politik desselben ausser Fassung, und hat zu Koppenhagen wenigstens 20 mal so viel Gewicht, als zu Wien oder Berlin.

Rathsamer wäre es noch, die Kräfte des Reichs bloß auf eine Seemacht zu verwenden. Es wäre der Lage des Landes und den Beschäftigungen seiner Einwohner gemäß. Mit einiger Unterstützung könnte sich dieses Reich auf diese Art doch in gewissen Fällen geförchtet machen, und wenigstens zur Kriegszeit seine Kauffahrt decken. Allein das dänische Ministerium will zu Wasser und zu Lande glänzen. Es hat 20 Linienschiffe, die von 50 Kanonen mitgerechnet, wovon aber nicht 6 im Stand sind, in Zeit von 6 bis 8 Wochen unter Segel zu gehn, ob man schon seit der Geburth der bewaffneten Neutralität an einigen Fahrzeugen rüstet. An verschiedenen Schiffen wird schon seit 8 bis 10 Jahren reparirt, und andre sind gar nicht mehr zu reparieren.

Die Leichtigkeit, womit sich Aventuriers von der ersten Klasse von jeher in die dänischen Rathskollegien und bis ins Ministerium schwingen konnten, ist kein günstiges Vorurtheil für die Staatsverwaltung dieses Hofes. Zu Hamburg hat man ein Sprüchwort, daß, wenn Einer zu gar nichts mehr tüchtig ist, er doch wenigstens noch zu einem dänischen Rath zu gebrauchen wäre, und sein Glück noch zu Koppenhagen durch Projekte machen könnte. In diesen Umständen kann es um den Patriotismus nicht gut stehn. Ueberhaupt ist die dänische Wirthschaft ein Beweis, daß die despotische Regierungsart, bey all ihrer anmaßlichen Allmacht, doch die schwächste unter allen Regierungsarten ist, wenn das Haupt nicht sehr gesund und stark ist. Die Minister reiten auf den Räthen, diese auf den Sekretären, die Sekretären auf den Schreibern, und die Weiber auf ihnen allen nach Belieben herum. Gar oft wird auch der Minister vom Rath, und dieser vom Schreiber geritten, und so herrscht eine stille Anarchie, in welcher die Ruhe und das Wohl des Landes oft bloß noch von einem Hosenknopf abhängt, und man hat sich dann nicht zu wundern, wenn an einem Hof dieser Art manchmal solche Katastrophen ausbrechen, wie die vor 10 Jahren war Katastrophen ... vor 10 Jahren – der Sturz Struensees, s. o. – Prinz Friedrich, Stiefbruder des Königs, ist eine grosse Hofnung für das Land, und scheint mehr für die gute Sache, als für die Kabalen und Intriguen des Hofes zu seyn. Sein Einfluß ist aber jetzt noch eingeschränkt.

Auf meiner Rückreise aus Jütland nahm ich einen Umweg über Lübeck hieher. Diese Stadt, die ehedem an der Spitze des Hansebundes eine so grosse Rolle spielte, und Königen auf den Thron half, ist nun sowol in Rücksicht auf Bevölkerung als auch auf Reichthum und Handlung, kaum die Hälfte von Hamburg. Gegen diese ohnmächtige Reichsstadt zeigt sich das dänische Ministerium in seiner ganzen Grösse. Sie und Hamburg sind die einzigen Mächte, denen es wirklich förchterlich ist. Besonders ist Lübeck der Gegenstand seiner Operationen. Wo es nur möglich ist, die arme Stadt zu bedrängen, läßt es dieselbe seine Ueberlegenheit mit allem Nachdruck empfinden. Geradezu und hart auf den Leib darf es ihr doch nicht gehn. Kaiser und Reich stehn für sie. Es muß seine Unternehmungen gegen dieselbe bloß auf eine Art von Blokade einschränken – Das Band der deutschen Reichsstände ist in Rücksicht auf auswärtige Mächte viel vester, als manche glauben, und der Artickel in den kaiserlichen Wahlkapitulationen, Wahlkapitulation – seit 1519 die vom Kaiser bei seiner Wahl zu beschwörenden Bedingungen, z. Z. der Niederschrift des Buches galt eine W. von 1711 »die Gränzen des Reichs nichts schwinden zu lassen«, hat, besonders unter Joseph dem Zweyten, seine gute Wirkung. Sogar unser Hof muß benachbarte kleine Fürsten Deutschlands so sehr, und oft noch mehr menagieren menagiren – menagieren, eigentlich: Essen in Empfang nehmen (beim Militär), hier: unterstützen als andre angränzende souveräne Staaten. Er dörfte sich gegen die Reichsstadt Speyer das nicht erlauben, was er sich so eben gegen Genf gegen Genf erlaubt – 1782 besetzten französische Truppen die Republik Genf erlaubt hat, wo er mit gewaffneter Hand den Vermittler machte, nachdem er doch die Garantie dieses Staats förmlich und feyerlich niedergelegt, und also gar keine Verbindung mehr mit demselben hatte. Leb wohl!


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