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Fünf und vierzigster Brief.

Leipzig –

Die Handlung und die Manufakturen dieser Stadt sind sehr beträchtlich. Sie ist der Mittelpunkt des Bücherhandels von ganz Deutschland, des Wollhandels von fast ganz Sachsen, und wenige deutsche Städte werden ihr es auch in Wechselgeschäften zuvorthun. Man verfertigt hier Sammet, Seidenzeuge, Plüsche, Leinwande, Tücher, Kattun, Tapeten und noch verschiedne andre Sachen. Mit Materialien und Spezereyen versieht diese Stadt den größten Theil von Sachsen, und sie hat einen grossen Theil des gegenseitigen Handels zwischen Süddeutschland, der Schweiz und Italien, und dem Norden. Es giebt mehrere Millionärs hier.

Die Messe, welche 8 Tage vor meiner Ankunft vorüber war, soll nach dem Geständniß aller Einwohner und der fremden Kaufleute kaum ein Schatten mehr von dem seyn, was sie vor 30 und mehrern Jahren war. Das merkwürdigste ist noch auf derselben der Bücherumschlag zwischen den Buchhändlern Deutschlands, die sie theils durch Kommissärs Kommissärs – Kommissionäre, Zwischenhändler beschicken, größtentheils aber in eignen hohen Personen erscheinen. Ihre Anzahl soll sich auf etwa 300, und der Werth der Bücher, die sie gegen einander vertauschen, über 500.000 Rthlr., ohngefähr 1.751.000 Livr. im Durchschnitt der letztern Jahre belaufen.

Leipzig erhält sich im Besitz dieses Buchhandels nicht so sehr durch die unter den Buchhändlern einmal eingeführte Gewohnheit, als vielmehr durch den häufigen Verlag, den es selbst von neuen Büchern hat, und weil es mitten in der Gegend von Deutschland liegt, wo die Künste und Wissenschaften vorzüglich blühen, und das Lesen und Schreiben am gemeinsten ist. Man hat schon einige Versuche gemacht, dieser Stadt diesen Handlungsast zu rauben, allein jetzt noch ist es meines Erachtens wegen obbemeldten Ursachen platterdings unmöglich. Die östreichischen Buchhändler waren bis an jetzo die einzigen, die nicht regelmäßig und zahlreich bey diesem Litteraturhandel erschienen sind. Die Einschränkung durch die Zensur, und dann die Eingeschränktheit der Köpfe ihrer Schriftsteller verhinderten bisher, daß sie kein Papier von so gutem Gehalt zu Markte bringen konnten, daß die andern Verleger das ihrige dagegen vertauschen wollten.

Leipzig kam durch die Verdienste seiner Bürger und Landsleute in den Besitz dieses sonderbaren Handels, der meines Wissens in Europa der einzige in seiner Art ist. Sachsen war die Wiege der Litteratur und des Geschmacks in Deutschland.

Der erste Saamen der Litteratur und des Geschmacks ward in Deutschland von Leuten ausgestreut, die keine Gelehrten von Profeßion waren. Seit der blühenden Epoche unserer Litteratur unsere Literatur – also die französische stand ein Theil der deutschen Fürsten immerfort in Verbindung mit unserm Hof. Die Unterhandlungen, welche dadurch veranlaßt wurden, und die Feldzüge unserer Truppen in Deutschland machten die Kenntniß unserer Sprache zu einem Bedürfniß des deutschen Adels und aller Leute von Stand. Minister, Räthe, Officiers, Sekretärs u. dgl. m. verfeinert sich durch den Umgang mit unsern Landsleuten, und der Geschmack verschiedner deutscher Höfe war schon gebildet, ehe noch Deutschland selbst einen Literator von Verdienst aufzuweisen hatte. Schon Prinz Eugen, der seine Jugend an unserm Hofe zugebracht, arbeitete mit allen Kräften für die Aufnahme der schönen Wissenschaften und Künste in Deutschland. Die Jesuiten standen ihm am Hof zu Wien im Weg, und dieser Hof war zu der Zeit der einzige in Deutschland, bey welchem unsre Sprache keinen Eingang finden wollte. An den meisten andern Höfen waren auch Leute von dem Geschmack und der Denkungsart des Prinzen Eugens, Gönner der Musen, die in ihren Bemühungen für die Ausbreitung des guten Geschmacks mehr oder weniger glücklich waren – Auf die nemliche Art kamen die Künste aus Italien zu uns und aus der Levante Levante – die Länder des östlichen Mittelmeeres nach Italien.

Nun fehlte es nur noch an der Sprache, um das deutsche Genie zur Nacheiferung aufzuweken. Hierin hatte Sachsen einen grossen Vortheil über die andern Provinzen Deutschlands. Seit Luthers Zeiten hatte dieses Land immerfort einige Männer, die sich von dem barbarischen lateinischen Schulton, welcher durch ganz Deutschland herrschte, entfernten, und ihr Wissen populär zu machen suchten. Der Kirchendienst hatte hier vorzüglich viel zur Verbesserung der Sprache beygetragen. Die Schulen für die kleine Jugend waren in Sachsen schon lange vor der blühenden Epoche der Litteratur in einem guten Zustand. Die Sprachen einiger sächsischen Schriftsteller aus der Zeit zwischen 1715 und 25, wo das übrige Deutschland noch den unsinnigen Kanzleystil schrieb, hat schon ziemlich viel von dem Gepräge der grammatikalischen Richtigkeit und Reinlichkeit. Der natürliche Witz der Sachsen und die ihnen ganz eigne und wie angebohrne Liebe zu allem, was schön ist, machte gar bald Eifer und Stolz, ihre Sprache gut und schön zu sprechen, unter ihnen rege, der ehedem die Athenienser Athenieser – Athener auszeichnete. Der geringste Handwerker hier bemüht sich mehr, gut zu sprechen, und ist viel glücklicher in der Wahl seiner Ausdrücke, als irgend ein Gelehrter von Profeßion in Süddeutschland, mit dem ich zu reden die Ehre hatte. Sogar die hiesigen Mädchen sind empfindlich gegen die Sprachfehler, und ahnden sie.

Sachsen hatte nebst der verfeinerten Sprache noch andre Vortheile, welche dazu beytrugen, daß sich die Litteratur unter seinen Einwohnern früher und schneller ausbreitete, als unter den übrigen Deutschen. Die Philosophie und höhern Wissenschaften waren schon lange vor der ästhetischen Epoche von dem scholastischen Staub gesäubert. Leibnitz, Puffendorf Puffendorf – Samuel Freiherr von Pufendorf, deutscher Historiker und Jurist, systematisierte das Völker- und das Naturrecht, † 1694, Thomasius Thomasius – Philosoph und Jurist, hielt als Erster Vorlesungen in deutscher Sprache, er strebte die Befreiung von Philosophie und Wissenschaft von der Vorherrschaft der Theologie und der Scholastik an, war einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Aufklärung, † 1728, Wolf Wolf – Christian Freiherr von Wolff. Deutscher Philosoph, † 1754. War Professor für Mathematik und Philosophie in Halle / Saale, von Friedrich Wilhelm I. 1723 des Landes verwiesen, Friedrich II. hohlte ihn 1740 nach Halle zurück. und andere hatten das ganze weite wissenschaftliche Feld umgerissen, mit Einsicht und Geschmack angebaut, und in ganz Norddeutschland, vorzüglich aber in Sachsen eine glückliche Revolution in den Köpfen veranlaßt. Die bekannten Acta Eruditorum Acta Eruditorum – die erste deutsche wissenschaftliche Zeitschrift, 1782 eingegangen nahmen hier schon 1682 ihren Anfang und wetteiferten mit den Recensionen der aufgeklärtesten europäischen Völker, mit dem Journal des savants Journal des savants – eine seit 1665 herausgegebene französische wissenschaftliche Zeitschrift, den englischen Transactions und den Giorneli de' Leterati Giorneli de' Leterati – ital. wissenschaftliche Zeitschrift seit 1668, indessen der Geschmack in den meisten andern Gegenden Deutschlands, sogar zu Berlin, noch bloß das Eigenthum einiger Hofleute war. Schon im ersten Vierthel dieses Jahrhunderts besorgte man hier gute Ausgaben der alten, die zur Entwicklung des Genies überall mehr beytrugen, als die besten Regeln und Theorien.

Die Prachtliebe und der Aufwand für Kunstsachen der sächsischen Auguste trugen ohne Zweifel sehr viel zur frühern Verfeinerung des Geschmackes und zur Ermunterung des Genies in diesem Lande bey. Die Künste haben eine schwesterliche Liebe gegen einander, und selten lassen sie sich lange trennen. Die Mahlerey, Bildhauerey, Musik, Baukunst und alle mit ihnen verwandten Künste waren an dem Hof August des dritten blühender als an irgend einem europäischen Hofe. Aus der Schule der Künstler, die sich damals hier bildeten, kamen Mengs Mengs – Anton Raphael Mengs, barock-klassizistischer Maler, † 1779, der größte Maler unsers Jahrhunderts, Hasse Hasse – Johann Adolf Hasse, Dirigent und Komponist in Dresden, † 1783, dessen musikalisches Genie mit dem dichterischen eines Metastasio Metastasio – Pietro Antonio Metastasio. Ital. Dichter und Librettist, † 1752 wetteiferte, Gluk Gluk – Christof Willibald Ritter von Gluck, Komponist, reformierte die Oper, † 1787, Hiller Hiller – Johann Adam Hiller, Musiker, seit 1758 in Leipzig tätig, † 1804 u. a. m. Es war sehr natürlich, daß sich zu diesen vielen Künsten auch endlich die Dichtkunst gesellte. Die Opern machten die Sachsen mit italiänischen Dichtern bekannt, so wie sie die Hofsprache, mit den französischen bekannt gemacht hatte. Endlich machten sie selbst einige Versuche in ihrer Sprache, und sie gelungen ihnen. Gellert Gellert – Christian Fürchtegott Gellert, deutscher Schriftsteller und Fabeldichter, begründete den deutschen Roman, † 1769, Rabener Rabener – Gottfried Wilhelm Rabener, deutscher Schriftsteller und Satiriker, † 1771 u. a. m. haben sich offenbar nach den Franzosen, Italiänern und Engländern gebildet.

Seit dieser Zeit hatte Sachsen nach dem Verhältniß immer die meisten schönen Geister unter den übrigen Provinzen Deutschlands. In der Zahl der Handlanger der schönen Literatur übertrift es das übrige Deutschland zusammen. Der Uebersetzer, Journalisten, Magazinen, Almanachen= und Verzeichnißmacher u. a. dgl. ist eine unendliche Menge. Es gibt hier zu Lande viel Leute, die mit der alten und neuen Literatur der Franzosen, Italiäner und Engländer so bekannt sind, als die Gelehrten dieser Völker selbst. Man hat auch ein Magazin der spanischen und portugiesischen Literatur. Sogar im tiefen Norden auf dem dänischen, schwedischen, russischen und polnischen Parnaß fouragieren fouragieren – Verpflegung für die Truppe beschaffen, hier: mit Lesestoff versorgen sie. Vortheile, welche Deutschland vor allen andern Ländern voraus hat.

In Rücksicht auf das Mechanische der Literatur, die Verhandthierung der ersten Materien, und den Verkauf der Manufakturen dieser Art wird Sachsen deswegen noch lange dem übrigen Deutschland überlegen bleiben; allein sein Genie selbst scheint erschöpft zu seyn. Die neue Zucht seiner schönen Geister ist die Frivolität selbst, indessen erst in andern Provinzen Deutschlands das Genie in seiner Jugendstärke erwacht – Es verhält sich mit dem dichterischen Genie, wie mit der physischen Zeugungskraft des Menschen, mit welcher es auch ohne Zweifel eine natürliche und wesentliche Verbindung hat, und ich getraue mir zu wetten, daß, wenn es jemand untersuchen wollte, die gutwilligen Mädchen sich an jedem Ort mit den Schöngeistern in gleichem Verhältnis gemehrt haben. Das Dichten ist wirklich eine Debauche Debauche – Ausschweifung des Geistes, oder, wie Swift in der Vorrede zu der bekannten Bücherschlacht Bücherschlacht – The Battle of the Books, 1704 erschienen sagt und welches Eins ist: »Witz ist eine Absäumung des Rahmes, welcher sich oben im Hirn ansetzt.« Nun hat das Hirn bekanntlich mit den Zeugungssäften des Menschen eine sehr enge Verbindung, und beyde Substanzen werden durch das öftere Rahmen verdünnert und endlich gar zu einem Pfützenwasser gemacht. Durch einige Debauchen, die im Anfang vielleicht die Wirkung des Uebermaasses der Zeugungssäfte waren, läßt sich der Geist leicht zur Geilheit hinreissen, und anstatt sich nach den Gesetzen mit einer Wissenschaft zu verheyrathen, die ihn in Zucht und Ehren und mit Maaß und Ziele abrahmen könnte, verschwendet er in der Geilheit seine Säfte, nimmt bey der Abnahme derselben Schokolade, Stanza marina Stanza marina – offensichtlich ein Liebeselixier, aber wer weiß hier Genaueres? u. dgl., die seine gänzliche Entkräftung beschleunigen, und schwindet endlich zu einem Schatten zusammen. Ich seh es an den Waden der hiesigen Literatoren, daß ihr Geist unvermögend ist – Eben diese ansteckende Geilheit des Geistes, die bey Annäherung der Kunstepoche bey allen Nationen einriß, und bey allen Völkern der Nachwelt in diesem Fall einreissen muß, weil die Bastarten, die sie auf die Welt setzt, wie alle Bastarten, eher ihr Glück machen, als ehrliche Kinder, und sie durch den Beyfall der andern Menschen begünstigt und zu ihren Ausschweifungen ermuntert wird, macht mich der sogenannten schönen Literatur überhaupt so abgeneigt. Die Polizey sollte darauf sehn, daß sich der Witz allzeit mit der Vernunft begattete, und sollte die literarische Bordels nicht Mode werden lassen, die im Anfang einige hübsche Kinder der Liebe liefern, aber für die Waden der jungen Leuthe gefährlich sind. – Aus meiner Republik schließ ich, wie ein kluger Alter, alle Dichter, Musikanten u. dgl. für immer aus. Haben meine Unterthanen Witz, so soll nie zu den sogenannten schönen, sondern bloß zu den nützlichen Wissenschaften und Künsten Gebrauch davon gemacht werden. In meinen Augen (ich weiß du wirst wieder auf einen Augenblick böse) hat der unbekannte Mann, der die Nähnadel erfand, mehr Verdienst als Homer Homer – sagenhafter griech. Dichter im – 8. Jahrhundert, Virgil und alle alten und neuen Dichter zusammen.


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