Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre - Erster Band
Wilhelm Heinrich Riehl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Spielmannskind

Eine Volksgeschichte aus dem 15. Jahrhundert.

1864

I.

Vor langer Zeit lebte im Oberelsaß ein Graf Gerbot, der war berühmt wegen seiner ungezählten Reichtümer, aber mehr noch wegen seines leutseligen Sinnes. Wenn ihn ein Knecht grüßte, so dankte er nicht wie ein Herr, sondern wie ein Freund, und wenn ihm eine arme Witwe bei ihres Mannes Tod die beste Kuh als »Sterbfall« brachte, so nahm er die harte Steuer zwar an, auf daß dem Rechte nichts vergeben werde, schenkte der Frau aber tags darauf zwei Kühe dagegen. Darum liebten ihn denn auch seine Untertanen aufrichtig und gaben ihm den Beinamen »das guot Herrle«; die benachbarten Edeln aber konnten ihn in der Seele nicht ausstehen, nannten ihn den Bauerngrafen und sagten, er verwöhne das Volk und mache den gemeinen Mann so übermütig, daß sie's auch bei ihren eigenen Leuten spürten.

Doch grämte es Gerbot wenig, sich beneidet zu wissen wegen der Schätze, die er in Kisten und Kasten hütete, und verspottet wegen des Schatzes, den er im Herzen barg. Allein er gedachte, daß er ein gebrechlicher Mensch sei und einmal sterben müsse, und fürchtete, sein Sohn und Nachfolger möge dann nicht gleichfalls ein »guot Herrle« werden, wie er selber gewesen, sondern so ein »gnädiger Herr« wie die anderen. Dem wollte er beizeiten vorbauen. Nun sah er aber, daß die adeligen Herren zumeist darum so hoffärtig sind, weil sie glauben, ein Bürger sei von ganz anderem Fleisch und Blut als ein Edelmann und werde wohl auch dereinst mit seinem bißchen unsterblicher Seele nur in den Bürger- und Bauernhimmel kommen. Die Vornehmen würden aber nicht so denken, hätten sie selber einmal in eines geringen Mannes Haut gesteckt. So meinte Gerbot und ließ demgemäß seinen einzigen Sohn Hugo schon in den frühesten Kinderjahren recht knapp und einfach halten, mehr als ob er eines Dienstmannes denn eines Grafen Sohn sei. Und als Hugo vier Jahre alt geworden und seine Mutter schon gestorben war, schickte ihn der Alte nach Straßburg in das Haus eines braven Bürgers und Handschuhmachers. Es geschah dies ganz heimlich, und die Freunde und Leute des Grafen glaubten, der mutterlose Knabe befinde sich zur Erziehung am böhmischen Hofe, wo Gerbot Verwandte besaß. Hugo selbst aber ward in dem Glauben gehalten, daß er der Neffe jenes Straßburger Handschuhmachers sei. Der Graf überwachte aus der Ferne treuen Auges sein Kind, von welchem er sich gar schwer getrennt hatte, besuchte auch manchmal, vorgeblich als ein fremder Kaufmann, die Pflegeeltern Hugos und freute sich, wie der Junge so kräftig gedieh, zufrieden in der kleinen Welt, die ihn umgab, und doch zuzeiten träumend, als habe er vordem auf einem großen Schlosse in goldglänzenden Zimmern gespielt und sei getragen worden und geliebkost von Männern und Frauen, die alle Tage weit schöner geputzt gewesen als der Handschuhmacher mit seiner Frau am Pfingst- und Weihnachtsfeste. Doch sagte des Brezelbäckers Hans, ein Spielgenosse Hugos, es dünke ihm auch zuweilen wie im Traum, als sei er früher einmal unter Palmen gewandelt, und er war doch sein Leben lang keine drei Meilen über seines Vaters Krautgarten hinausgekommen, also konnte es dem Hugo ja wohl auch von dem wunderschönen Schlosse träumen, welches er mit leiblichem Auge so gewiß nicht gesehen wie Hans die Palmen.

Graf Gerbot gedachte nun, seinen Sohn am neunzehnten Geburtstage heimzuholen und ihn, da er Leid und Freud eines kleinen Bürgerhauses zur Genüge durchgelebt, auch in die Arbeit und Ehre seines glänzenderen Berufes einzuführen. Allein die Sache verschob sich noch eine Weile.

II.

Um diese Zeit war es, wo Gerbots böse Nachbarn die Ohnmacht des Kaisers und die Verwirrung im Reiche benützten, um ohne alle Absage heimlich in des Grafen Gebiet einzufallen und dessen Bauern durch Raub und Brand zu belehren, daß man's unter einem guten Herrn geradeso schlecht haben könne wie unter einem gnädigen.

Gerbot hatte keine Ahnung von der drohenden Gefahr und jagte harmlos in dem Grenzwalde, durch welchen eben die Rotten seiner Gegner hereinbrachen. Es war schon Abend geworden und dämmerte im Dickicht; der Graf hatte sich im Eifer des Jagens von seinem Gefolge getrennt und sann wieder auf den Heimweg. Da kam ein furchtbares Gewitter; weißgraue Wolken stiegen starr wie Felsen im Osten auf, und bald hörte man zwischen den Donnerschlägen das Prasseln des Hagels nah und näher; die Bäume bogen sich und stöhnten unter der Faust des Sturmes, Zweige und Äste krachten nieder, altersmorsche Eichstämme stürzten, und Blitze von rechts und links schnitten schwertscharf durch das Waldesdunkel. Der Jüngste Tag schien im Anzug, und alle Tiere flohen zitternd in ihre Schlupfwinkel, wo Wild und Weidmann einen Augenblick hätten beisammenstehen können, eines des anderen vergessend, so schrecklich tobte das Unwetter, der dritte gemeinsame Feind.

Graf Gerbot suchte Schutz unter zerklüfteten Felsen, die hochgetürmt wie eine Burg mitten im Walde emporwuchsen. Da hörte er ein kleines Hündchen anschlagen und darauf eine weibliche Stimme, welche das Tier beschwichtigte. Ein junges Mädchen, schlank und hochschüssig von Gestalt, trat aus einer Felsenspalte hervor und fragte verwundert, wer da komme.

»Ein Jäger, dem der Hagel zu grob wird«, erwiderte der Graf. Bei diesen Worten beleuchtete ein Blitz sein Gesicht, und das Mädchen fuhr erschreckt zusammen, als habe es ein Gespenst gesehen. Doch rasch sammelte sie sich, faßte den Grafen bei der Hand, gebot ihm Schweigen und zog ihn zurück in den Schatten des Felsens.

Dann deutete sie zur Seite, wo der Graf im Flammen der Wetterstrahlen Waffen schimmern und hundert Männer im Geklüft verstreut lagern sah. Er erkannte sie wohl und erriet ihre Absicht; denn es war nicht das erstemal, daß die Nachbarn wie Katzen in sein Land geschlichen kamen, um nach etlichen Beutegriffen noch rasch wieder um die Ecke davonzuspringen.

Das Mädchen flüsterte ihm ins Ohr: »Wenn wir Euch jetzt fingen, so wäre unser Raubzug siegreich beendet, bevor er recht begonnen hätte. Aber ich will nicht, daß wir Euch fangen sollen. Drückt Euch klein zusammen und folget mir sacht!«

Bei diesen Worten schlüpfte sie, an die überhängenden Felswände geschmiegt, glatt und leicht wie ein Wiesel dem Grafen voran, welcher auf den Zehen, scheu ringsum schauend, mit gezogenem Schwerte folgte. Und ehe er noch genau darüber nachgedacht, ob es denn klug sei, sich so blind der Führung des unbekannten Kindes zu vertrauen, war er schon aus dem Bereich seiner Feinde auf einer offenen Waldwiese.

Da erhob der Graf seine männliche Gestalt wieder und atmete frei und tief auf. Er war gerettet.

III.

Das Unwetter ließ nach, zwischen den zerrissenen Wolken tauchte der Mond empor und warf sein weißes Licht, kommend und verschwindend, auf die beiden Wanderer, daß eines nun des anderen Züge genau ins Auge fassen konnte. Das Mädchen hatte ein gar treues und freundliches Gesicht, obgleich es recht keck um sich blickte und eher wie ein wilder Bube als wie eine sittsame Jungfrau neben dem Grafen in die Nacht hineinlief.

»Woher kennst du mich denn?« fragte dieser, »und warum rettest du mich vor deinen eigenen Leuten?«

»Ich kenne Euch«, erwiderte sie, »weil Ihr das gute Herrle seid, aller armen Leute Freund, und da ich Euch als das gute Herrle erkannte, hätte ich's nicht mitansehen können, daß Ihr vor meinen Augen gefangen und gebunden wurdet. Schwieg doch selbst mein Hündchen gleich stille, das sonst wie rasend bellt; denn ein Hund wittert die Herzensgüte eines Menschen.«

Das Mädchen war aber, wie schon die seltsamen Abzeichen ihres Kleides auswiesen, eine fahrende Sängerin und gehörte also zu jenen freiesten Künstlern, die gaukelnd, tanzend und singend in Schlössern, Städten und Dörfern aufzogen. Sie galten als ehrlos und rechtlos, und wenn sie ja beleidigt worden waren, so durften sie nur dem auf die Wand fallenden Schatten des Beleidigers eine Ohrfeige geben, nicht aber dem Manne selber, und je kräftiger sie also zuschlugen, um so weher taten sie der eigenen Hand.

Trotz ihres verachteten Standes führte übrigens das Mädchen einen recht vornehm hochtönenden Namen, wie es bei solchen Gauklern gewöhnlich ist, und nannte sich Beatrix. Sie war mit einer kleinen Bande ihres Schlages den Kriegsleuten gefolgt, um sie auf dem Marsche zu belustigen und dann, mit irgendeinem Abfall der gehofften Beute bereichert, ihr Glück wieder anderswo zu probieren.

Da sich nun Gerbot außer Gefahr sah und auf dem geraden Weg nach Hause, so wollte er von seiner Führerin Abschied nehmen und bot ihr seinen Dank, aber nicht bloß den hohlen Dank schöner Worte. Er sann vielmehr, ihr etwas recht Liebes und Gutes zu erweisen, und also sagte er, sie möge sich einen Lohn erbitten und nicht blöde sein; was sie so recht von Herzen wünsche, das werde er ihr geben, sofern es in seiner Macht stehe.

Beatrix besann sich nicht lange und war auch nicht blöde. Sie rief: »So gebet mir Geld, viel Geld! Gebet mir einen rechten Schatz von Gold und Edelsteinen! Ich bin nun achtzehn Jahre arm gewesen und möchte ums Leben gern auch einmal reich sein.« Gerbot war etwas betroffen von diesem so höchst natürlichen Wunsche; er hatte hinter dem schönen Gesicht einen edleren Sinn und von den feinen Lippen eine feinere Bitte erwartet. Aber freilich, das Mädchen war ja eine Sängerin, die ums Geld sang, die Geld für Ehre nahm, die jeglichem für Geld den Narren machte, für Geld feil wohl gar mit Leib und Seele. Und er schämte sich, daß er sich vorher von der Dirne so schmeichelhaft habe anlügen lassen, als ob sie ihn bloß darum gerettet habe, weil er das gute Herrle sei, Güte rein mit Güte vergeltend. »Nein!« dachte er bei sich, »sie hat schlau berechnet, daß ich ihr mehr zahlen werde, weil sie mich gewarnt, als ihre Genossen, wenn sie mich verraten hätte.«

Doch sprach er laut nach kurzem Besinnen: »Geld und Schätze, um dich reich zu machen, kann ich dir nicht hier aus der Faust geben; ich trage meine Schatzkammer nicht in der Jagdtasche. Allein gehe mit mir auf mein Schloß, so soll dein Wunsch erfüllt werden.«

Gerbot dachte aber so gerne gut von allen Menschen, daß er meinte, das Mädchen müsse bei näherem Erwägen sich doch eines anderen besinnen und Besseres fordern als Geld und Schätze; er wußte aber selbst nicht recht zu sagen, was sie denn eigentlich fordern solle.

IV.

So kamen sie aufs Schloß. Gerbot rief sogleich seine Mannen unter die Waffen und rüstete eifrig die ganze Nacht hindurch. Beatrix dagegen schlief in einer Scheuer den gesunden Schlaf der Jugend bis in den hellen Tag hinein, als ob das Abenteuer, welches sie hieher geführt, und der Zaubersegen der erbetenen Schätze, dem sie entgegensah, ihren Gleichmut nicht einmal im Traum zu erschüttern vermöge.

Als sie endlich durch den Waffenlärm der ausrückenden Mannschaft erweckt wurde, schlüpfte sie neugierig in die offenen Gemächer des Schlosses und bestaunte wie ein Kind alle die Pracht und Herrlichkeit. Ganz besonders gefielen ihr die Teppiche und Sammetkissen und der Kronleuchter des hohen Saales, und auch die silbernen und goldenen Pokale und Schaugefäße, welche auf der Tresure standen, deuchten ihr nicht übel, nur zum Mitnehmen etwas zu schwer, sonst hätte sie sich dieselben gleich schenken lassen. Einen gar seltsamen Gegensatz zu dem gediegenen Glanze ringsum bildete aber der Aufzug der Sängerin selber, ein prahlerischer Putz und Flitter, zerfetzt und geflickt, Prunk und Elend durcheinander, und auch ihre Haltung zeigte das gleiche Gemisch von Prinzessin und Bettlerin. Die Diener gingen ihr scheu aus dem Wege, weil sie die rechtlose Dirne an ihren Abzeichen erkannten, gleichwie man den Juden an seinem gelben Ringe erkennt; Beatrix aber schaute ihrerseits so stolz über die Diener hinaus, als ob diese vielmehr ihres Blickes nicht wert seien.

Sie mußte aber dennoch ihre Freude über alle die schönen Sachen aussprechen und redete darum zu dem kleinen Hündchen: »Sieh da, mein Freund! diesen grünen Zindal: in solches Gewand wirst du mich bald gekleidet sehen! Oder diesen Mantel von schwerem Pfellel, mit Hermelin verbrämt: solchen Stoff breite ich dir künftig nachts zum Kissen aus, daß du darauf schläfst statt auf Heu und Stroh! Aus einer silbernen Schale, wie diese hier, sollst du mit mir trinken: – zuerst gieße ich sie voll Wein für mich und dann voll Milch für dich.«

Das Hündchen aber blickte sie für die guten Worte gar vergnüglich an, sprang spielend an ihr auf und wedelte mit dem Fahnenschweife. Und so entbehrte sie doch nicht ganz der Herzenssprache eines Freundes in ihrem Glücke.

Da trat Graf Gerbot herzu, gerüstet und bereit, in den Bügel zu steigen. Er wollte aber vorher des Versprechens gegen seine Retterin quitt werden, und also fragte er sie noch einmal wie gestern abend, was sie zum Dank begehre. Und Beatrix erwiderte wie gestern: »Gebet mir Gold und Kleinodien, so viel, daß ich reich werde!«

Gerbot aber fragte weiter, warum sie denn so plötzlich reich werden wolle. »Um frei und fromm zu werden«, entgegnete das Mädchen. Nun hielt ihr Gerbot vor, daß uns plötzlicher Reichtum ganz im Gegenteil knechte und verderbe, und bot ihr an, als Dienerin in seinem Hause zu bleiben; es solle ihr an nichts fehlen. Und indem sie ein seßhaftes Leben führe, werde dann der Makel der Rechtlosigkeit von ihr genommen, und indem sie häuslich arbeite und sich zu allem Guten heranbilde, könne sie nachderhand noch eines braven Mannes Frau werden.

Beatrix aber wollte nichts wissen von alledem. »Meine Mutter sagte oft, wenn man ihr diesen und jenen Fehltritt vorhielt: Wäre ich reich, ich wollte leicht fromm sein! Und das ist gewißlich wahr; denn Ihr könnt Euch gar nicht denken, Herr Graf, zu wieviel Schlechtigkeit die Armut verlockt. Möglich, daß ich auf Eurem Wege fromm und frei würde, aber auf dem meinigen geht's jedenfalls lustiger und geschwinder. Und also bitte ich bloß um recht viel Gold und Edelsteine und will Euch dann weiter gar nicht mehr belästigen.«

Da nun Gerbot sah, daß der Sinn des Mädchens nicht zu wenden sei und er am Ende in den Verdacht kommen könne, als biete er ihr seine guten Lehren nur darum so eifrig an, daß er sein gutes Geld spare, so ließ er ein Kästchen mit den reichsten Kleinodien bringen und gab ihr das und auch noch etliche Hände voll gemünzten Goldes dazu.

Beatrix dankte freundlich, hielt dann aber auch ihre Ledertasche hin und bat recht unbefangen, der Graf möge ihr doch auch diese noch füllen. Gerbot, starr über solche Unersättlichkeit, hatte ein strafendes Wort auf der Zunge und hielt wieder ein, denn eines Herren Dank soll nicht karg scheinen; – da fuhr Beatrix fort: »Gib mir nicht Gold in diese Tasche, sondern schlechte Heller.«

Der Graf begehrte den Grund der seltsamen Bitte. »Ich muß klein anfangen«, erwiderte die Sängerin, »ich muß mir mit den Hellern erst das Recht erkaufen, die Goldstücke ausgeben zu dürfen. Biete ich den Leuten gleich Gold und Juwelen, so hält man's für gestohlenes Gut. Mit den Hellern aber will ich mich schrittweise verwandeln, daß ganz Elsaß und Lothringen zuletzt glauben soll, ich sei in eine goldene Wiege gelegt worden, gleich da ich auf die Welt kam.«

Da erkannte der Graf, wie klug das törichte Mädchen sei, ließ ihr die Tasche mit Hellern füllen und bedauerte nur, daß so wenig adeliger Sinn und edles Gemüt bei so feinem Verstande wohne.

Beatrix aber verbarg das Kästchen in ihrem Mantel und wanderte sofort von dem Schlosse nordwärts ins Weite, der Graf aber zog nach Süden dem Feinde entgegen.

V.

Erst als Beatrix mit ihrem Hündchen so querfeldein lief, erwog sie genauer, was sie nun beginnen solle. Zurückkehren zu ihren alten Genossen durfte sie nicht; die würden ihr den Schatz wohl bald verschleudert und verpraßt oder gar gleich vorweg mit Gewalt abgenommen haben, und sie wäre ihre Lebtage keine vornehme und hochgeehrte Dame geworden, und dieses eben dünkte ihr doch erst das Salz in der Schüssel des Reichtums.

Niemand durfte mehr wissen, was sie bisher gewesen, ja sie selbst mußte sich einbilden, daß sie das Leben der fahrenden Sängerin nur geträumt habe. Das ist leicht gesagt und schwer getan. Reich und vornehm sein will gelernt werden, geradeso gut wie arm und gering sein. Allein Beatrix hatte schon so oft vor vornehmen Leuten geschauspielert, daß sie sich's wohl auch unter vornehmen Leuten getraute.

Sie hatte aber gehört, daß Straßburg die reichste und schönste Stadt im ganzen Elsaß sei, wo man für Geld und gute Worte alles haben könne, was das Herz begehrt, und darum eigentlich Silberstadt heiße, und schon dieser bloße Name klang ihr gar verlockend. Also beschloß sie, dorthin zu gehen, und wenn sie in der Silberstadt Rang und Reichtum ausgelernt und ausgekostet, dann gedachte sie noch weiter rheinab zu wandern nach Mainz, welches man gar das goldene hieß und wo sich's folglich wohl noch viel stolzer und üppiger leben mußte.

Nun ist es zwar von Gerbots Schloß nicht gar weit nach Straßburg – höchstens zwölf Gehstunden, – allein einmal kannte Beatrix die kürzesten Streckwege nicht, denn sie war eine Überrheinerin und erst vor kurzem in dieses Land gekommen; dann aber ging sie auch geflissentlich ein wenig um, damit sie die Tasche voll Heller vorerst loswerde.

In Kolmar kaufte sie zum guten Anfang ein Paar neuer Schuhe und brauchte die alten nicht wegzuwerfen; denn sie war bis dahin barfuß gegangen. Hierauf zog sie nach Schlettstadt und vertauschte dort ihren bunten Narrenrock mit einem sittsamen dunkeln Kleide, zu welchem sie auch nachträglich in Breisach ein Hemd und in Markolsheim ein Paar Strümpfe fügte. Doch war es ihr dortherum nicht recht geheuer; denn ganz nahe links in den Bergen lag die Burg Rappoltstein, und die Herren dieser Burg hießen die »Geigerkönige«, weil sie das Schutzrecht hatten über alles fahrende Sängervolk. Um dieser unangenehmen Erinnerung aus dem Wege zu gehen, fuhr Beatrix darum rechts über den Rhein, dingte sich in Freiburg eine Dienerin (hier waren die Heller ausgegeben, und sie mußte bereits zum ersten Goldstücke greifen), kaufte in Lahr ein silbernes Halsband für den Hund und in Offenburg zwei leichte Pferde, mietete einen Stallknecht dazu und ward solchergestalt in jeder Stadt ein Stückchen vornehmer. Als sie endlich mit ihren Dienern in Straßburg einritt, ahnte kein Mensch, wie sich aus der fahrenden Sängerin so ganz allmählich und stationsweise das zierliche Fräulein herausgeschält habe.

Sie hatte aber unterwegs schon eingesehen, welch besondere Schwierigkeit es für ein einzelnes Mädchen habe, sich ganz frei und fessellos zugleich als vornehm zu behaupten. Nach der Sitte der Zeit konnte ein Fräulein nicht allein leben, für sich allein ein Haus machen. Dann hätte sie wohl die vornehme Dirne spielen mögen, nicht aber die vornehme Dame. Und auf letztere zielte doch der Ehrgeiz der Beatrix.

Sie erdichtete sich darum schon auf der staubigen Landstraße zwischen Kolmar und Schlettstadt eine höchst rührende Lebensgeschichte, durch welche sie ihre verlassene abenteuerliche Ankunft in Straßburg erklären, ja so beweglich begründen wollte, daß sie wohl bald die ehrsamsten Schützer und Freunde fände. Es war nämlich unlängst der berühmte schwäbische Ritter Ulrich von Steben im Kampfe mit den Städtern erschlagen und seine Burg verbrannt worden. Bei diesem Brande aber war seine einzige Tochter spurlos verschwunden, und die meisten glaubten, sie sei mit der Burg zugrunde gegangen, nur wenige, sie könne doch auch entflohen sein. Beatrix benützte die letztere Lesart und beschloß, als nicht verbrannte Beatrix von Steben, welche von allen Schätzen ihres Vaters nur das Kästchen mit den Kleinodien gerettet, in Straßburg Zuflucht zu suchen. In schwäbischen Dingen wußte sie für ihren Zweck hinlänglich Bescheid, und Friedrich Barbarossa selber hatte bei Lebzeiten nicht kräftiger geschwäbelt, als Beatrix zu schwäbeln verstand.

Kaum hatte sie daher im nächsten Busche hinter Schlettstadt das sittsame schwarze Kleid angelegt und ihre Sängerlumpen in die Ill versenkt, so glaubten ihr die Leute das Märchen ihrer Herkunft so geschwind, daß sie selbst darüber erschrak.

Sie sprach zu ihrem einzigen Vertrauten, zu dem Hündchen: »Ich habe als Sängerin schon so viel gedichtet und gelogen, daß ich dessen jetzt wohl hoffte überhoben zu werden; allein ich sehe, daß auch reiche Leute lügen müssen und daß es doch nicht so leicht ist, fromm zu sein, wenn man nur reich ist.«

VI.

Zur selben Zeit wohnte die verwitwete Herzogin von Lothringen in Straßburg, die hörte von dem armen schwäbischen Fräulein, welches seinen Vater so grausam verloren und aus der brennenden Burg so wunderbar entronnen sei und nun ganz verlassen hier leben müsse, und ließ Beatrix zu sich kommen und empfing sie gar huldreich.

Da aber Beatrix fürchtete, sie möge etwas Verkehrtes sagen und sich verraten, so war sie sehr schüchtern und zurückhaltend, ganz gegen ihre sonstige Art, und als die Rede auf ihren erschlagenen Vater kam, schluchzte sie und hielt die Hände vors Gesicht und konnte kaum ein Wort hervorbringen. Denn weil sie nichts Rechtes wußte von dem Manne, so dachte sie: durch Schweigen verredet sich niemand.

Dieses tiefbetrübte Wesen rührte die Herzogin so sehr, daß sie der armen Waise anbot, in ihrem Hause zu wohnen, ganz wie ein Kind des Hauses. Beatrix ging halb vergnügt, halb erschrocken darauf ein: vergnügt – denn als Gast einer Herzogin war sie nun doch gewiß ein vornehmes Fräulein, und erschrocken – denn in dem vornehmen Hause war der Boden gar glatt und ihre Füße konnten leicht ausgleiten.

Nachdem ihr aber Schweigen und Zuwarten so sicher hinweggeholfen über die verfänglichste Stunde, erkannte sie, daß im Schweigen und Zuwarten überhaupt der Schlüssel zum unvermerkten Erlernen höfischer Sitte gegeben sei. Darum beobachtete sie fort und fort, wie es die anderen machten, wartete, bis sie gerufen wurde, und trat dann fest an den angewiesenen Platz, schwieg, bis man sie fragte, und antwortete darauf rasch und kurz. Denn vornehme Leute können den verwickelten Satzbau nicht vertragen. Sonst war Beatrix vorlaut gewesen und redselig; jetzt war sie zurückhaltend und wortkarg und lernte also klugen Sinnes aus Hoffart bescheiden sein.

Im Grunde hatte sie ein gutes Herz, nur ließ sie sich widerstandslos vom Teufel der Eitelkeit und Genußsucht reiten. Allein für die größere Eitelkeit: als ein geborenes Fräulein zu bestehen, opferte sie willensstark alle kleineren Eitelkeiten. Sie ging Tag für Tag in jenem schwarzen Kleide, welches sie sich zu Schlettstadt gekauft, und hätte doch viel lieber in Rot und Blau und Gold geschillert wie ein Paradiesvogel. Allein sie bemerkte, daß vielmehr diejenigen Leute sich putzen, welche vornehm sein wollen, als jene, welche vornehm sind. Also blieb sie mit schwerem Herzen dem schwarzen Kleide treu.

Bei der herzoglichen Tafel gelüstete sie's oft grausam, nach früherer Gewohnheit gleich eine halbe Pastete auf einmal zu essen oder einen ganzen Becher Weins in einem Zuge zu leeren. Sie sah aber, daß die anderen Fräulein nur so am Becher nippten und an den Speisen pickten wie die Vögelein und daß es vornehm frauenhaft sei, gleichsam von der Luft zu leben. Also machte sie's nach, aß und trank noch weniger als die übrigen und hungerte, damit sie recht gründlich lernte, reich und vornehm zu sein. Ihr einziger Kummer war nur, daß sie trotzdem nicht blaß und mager wurde nach adeliger Frauen Art, sondern gegenteils immer voller und rotbackiger bei der mäßigen Kost. Denn obgleich sie vornehm aß, so verdaute sie doch immer volksmäßig; man legt eben innerlich seinen Geburtsstand niemals so geschwind ab, als man's auswendig vermag.

Vordem hätte es ihr wohl das größte Vergnügen gemacht, allein und frei wie ein Bursche durch die Straßen der Stadt zu schweifen. Allein was die Sängerin gedurft, das ziemte ja dem Fräulein nicht. Also ging sie nur selten, von der Dienerin gefolgt und tief verschleiert, durch die Stadt, langsamen Schrittes, und wagte ganz nonnenhaft kaum die Augen aufzuschlagen. Ja, sie nahm nicht einmal ihr Hündchen mit; denn hätte dasselbe etwa eine altbefreundete Gauklerbande gesehen, so wäre es den Leuten wohl gar verräterisch nachgesprungen. Kam dann Beatrix wieder heim, so tröstete sie das Tier, daß es hatte zu Hause bleiben müssen, und sprach zu ihm: »Du leidest mit mir unter der Last von Rang und Reichtum. Meine Mutter hatte recht: es ist leicht, fromm zu sein, wenn man reich ist. Aber sie hat nicht gewußt, wie schwer es ist, reich zu sein, eingeschnürt in den Zwang der feinen Sitte. Ich hätte auch meiner Lebtage nicht gedacht, daß der Hof dem Kloster so nahe verwandt sei, und wer der Welt entsagen will, der kann es nach Auswahl entweder als Prinzessin probieren oder als Bettelnonne. Die eine kasteit sich und rührt keinen Finger nach eigenem Willen aus der Eitelkeit der Hoffart, die andere aus der Eitelkeit der Demut.«

Indem sich Beatrix so geheimnisvoll in sich selbst verschloß, damit das größere Geheimnis ihres früheren allzu öffentlichen Wandels nicht an Tag komme, reizte sie jedoch doppelt die Teilnahme und Neugier der ganzen Stadt, und die Sage dichtete zu dem Gedicht der Sängerin noch viel Schönes und Seltsames hinzu über das rätselhafte unglückliche Fräulein aus Schwaben.

Mancher vornehme Jüngling trachtete vergebens, sie zu sehen, mit ihr zu reden oder eine ritterliche Tat vor ihren Augen zu vollbringen. Doch keiner von allen hatte begieriger jedem Gespräch über das schwäbische Mädchen gelauscht als der eingangs erwähnte junge Hugo, Gerbots Sohn, der vermeintliche Neffe des Handschuhmachers in der Münstergasse. Und als er nun gar, vom Glück begünstigt, Beatrix ein paarmal flüchtig gesehen hatte, ja ihr, da sie auf scheuem Pferde durch die Straßen ritt, mit helfender Hand beigesprungen war, wurde seine Teilnahme für das geheimnisvolle Fräulein so brennend heiß, daß er an gar nichts anderes mehr denken konnte als an sie.

Und obgleich er oft genug sich selber schalt, da er, gewöhnlicher Bürgersleute Kind, ja niemals die Liebe der adeligen Freundin der lothringischen Herzogswitwe gewinnen könne, so vergaß er doch in der nächsten Minute alle Unmöglichkeiten, ward in seinem kühnen Mute doppelt begeistert, das Vermessene zu wagen, und sann nur, wie er es anfange, einmal mit Beatrix unter vier Augen zu reden.

Dazu bot ihm ein glücklicher Zufall rasch die Gelegenheit.

VII.

Es war nämlich der Kaiser Sigismund nach Straßburg gekommen auf seiner Heimfahrt aus Italien und von den Bürgern der Stadt aufs herrlichste empfangen worden. Ein Festtag folgte dem anderen, und zuletzt lud eine Gesandtschaft der vornehmsten Frauen den Kaiser als den Frauen besonders hold zur glänzendsten Feier, welche sie ihm nächsten Tages auf der Stube zum Hohensteg geben wollten.

Der Kaiser sagte zu, behauptete aber lächelnd, den Weg nicht zu wissen, also müßten ihn die Frauen wohl abholen und geleiten. Nun wählte man die schönsten Edelfrauen und Fräulein, hundert an der Zahl, daß sie dem Kaiser den Weg zeigten, und Beatrix sollte auch unter diesen Führerinnen sein; ja, sie wäre gewiß die allerschönste gewesen. Allein ob sie gleich eine gewaltige Lust verspürte, im Festzuge mitzugehen, so fürchtete sie doch gerade bei solchem Anlaß, wo gar viele »Künstler« in Straßburg zusammenströmten, von alten Fachgenossen erkannt zu werden, und erklärte also unter hellen Tränen, nicht mitgehen zu können. Die Tränen weinte sie bloß, weil es ihr so erschrecklich leid tat, daß sie sich die Freude und den Triumph versagen mußte, im weißen Festgewand, mit Rosen im wallenden Haare durch die Straßen zu ziehen; die Herzogin aber glaubte, sie weine, weil ihr der Freudentag die Trauer um den Vater wieder doppelt lebhaft in die Seele rufe, und pries ihren edlen Sinn.

Frühmorgens um sechs Uhr holten die hundert Edelfrauen den Kaiser ab; da derselbe aber noch nicht völlig angekleidet war und doch als artiger Herr die Frauen nicht wollte warten lassen, so warf er seinen Mantel über und zog barfuß durch die Straßen, unter dem Vorantritt von Trommlern und Pfeifern und umringt von den Frauen, die singend in zierlich gemessenem Reigen einhertanzten. In der Korbergasse kauften sie dem Kaiser ein Paar Schuhe, hörten darauf mit ihm die Frühmesse im Münster und geleiteten ihn dann auf die Stube zum Hohensteg.

Unter dem tausendköpfig anwogenden Volke machte sich vor allen der junge Hugo mit kräftigen Armen Platz, blickte jedoch kaum auf den Kaiser, desto mehr auf die Frauen und forschte vergebens nach der Schönsten unter ihnen, nach Beatrix. Er fand sie nicht. Und als er schweren Herzens sich überzeugt, daß sie gewiß nicht im Zuge sei, schlich er zu dem Hause der Herzogin, um wenigstens, wie er täglich pflegte, sehnsuchtsvoll nach gewissen Fenstern zu spähen.

Dort war alles totenstill und verlassen, und da Hugo die Türe des Hausgartens offen sah, schlüpfte er hinein, und er war kaum zehn Schritt gegangen, als Beatrix vor ihm stand, welche mit ihrem Hündchen hier auf und nieder ging, betrübt wie ein Kind, daß sie sich nicht getraut hatte, im Festzuge zu erscheinen, dessen verwehte Jubeltöne leise vom Wind herübergetragen wurden, ihrem Ohre ein Klagegesang.

Hugo stand wie eingewurzelt, denn die kaum gehoffte Erscheinung war ihm etwas zu geschwind und zu nahe gekommen. Als ihn aber Beatrix fragte, was er suche, nahm er rasch seine fünf Sinne zusammen und antwortete: »Ich habe soeben den Kaiser samt seinen hundert schönen Führerinnen gesehen; doch die Schönste war nicht darunter. Da suchte ich die Einsamkeit, und nun führt mein gutes Glück mir gerade die Schönste entgegen.«

Beatrix war lange genug bei Hofe, um vor einer geschraubten Anrede nicht zu erschrecken; allein sie wußte nicht, was nun höfisch sei: dem jungen Manne gleich geschraubt zu antworten oder ihn recht ungeschraubt aus dem Garten zu weisen. Da sie sich aber getroffen fühlte von dem edlen Gesicht und der zitternd bewegten Stimme des Jünglings, so tat sie weder das eine noch das andere, sondern ging schlicht und freundlich auf den Ton seiner Worte ein, der wärmer war als die Worte selbst, und sprach mit ihm, sie wußte gar nicht wie, ob adelig oder bürgerlich.

Leider wurde sie durch ihre Dienerin gestört, als das Gespräch eben in guten Zug zu kommen begann, und der junge Mann verabschiedete sich mit einem Blicke, der wie auf Wiedersehen dreinschaute.

Die Dienerin (es war dieselbe, welche Beatrix in Freiburg gedungen) hatte auch bereits so viel vom vornehmen Gesindeton gelernt, daß sie ihrer Herrin recht naseweise Worte über die Begegnung mit dem hübschen Bürgerssohn zu hören gab. Beatrix aber geriet darüber in so hellen Zorn, daß sie sich ganz als Sängerin fühlte und die Hand zu einer Ohrfeige anzog. Im selben Augenblick entsann sie sich jedoch, daß sie ja ein Fräulein sei, darum ließ sie die Hand wieder sinken und rief: »Wär' ich nicht eine vornehme Dame, ich hätt' dir eine Ohrfeige gegeben!« Die Dienerin schlich davon und murmelte: »Mit der Vornehmheit muß es nicht so weit her sein: denn die vornehmsten Leute reden gar nicht davon, daß sie vornehm sind.«

Darüber erschrak Beatrix sehr und beschloß, in Zukunft nicht mehr zu prahlen und noch viel sanfter und milder zu werden als bisher.

Der Kaiser hatte aber hinterdrein gehört, daß die schönste Jungfrau von ganz Straßburg bei dem Zuge gefehlt habe, weil sie zugleich die unglücklichste sei. Als ein besonderer Liebhaber weiblicher Schönheit ließ er darum Beatrix noch nachträglich zu sich laden, empfing sie mit höchster Huld, und da er einer jeden der Frauen, welche ihn zum Hohensteg geführt, einen schlichten Goldring zum Andenken verehrt hatte, so wollte er jene einzige, die trauernd zu Hause geblieben, auch nicht leer ausgehen lassen und schenkte ihr einen weit prächtigeren Ring mit einem Edelstein.

»Dieser Stein«, sprach er zu Beatrix, »ist ein Diamant von der wunderbarsten Eigenschaft. Er blitzt um so heller im klarsten Farbenspiel, je reiner und wahrhaftiger das Herz dessen ist, der ihn trägt; gewänne aber Lug und Trug in deiner Seele die Oberhand, so würde er immer matter werden und zuletzt wie schlechtes Glas zersplittern.«

Beatrix jubelte vor heimlicher Freude über die Gnade des Kaisers und den zauberhaften Ring. Als sie aber daheim tiefer nachdachte über den Stein und über ihr eigenes Herz, erschrak sie vor dem Geschenk und verbarg den Ring ganz unten in ihrem Schmuckkästchen.

Die anderen Frauen waren anfangs neidisch, daß das fremde Mädchen den schönsten Ring gewonnen; doch als Beatrix gar nicht mit demselben prahlte, ja ihn nicht einmal am Finger trug, lobten alle ihre Bescheidenheit.

VIII.

So ward Beatrix täglich fester in der Gunst und Achtung der besten Leute, und trotz der Hauptlüge, welche ihr insgeheim das Gewissen drückte, ward sie selbst auch immer besser, während sie doch nur so eifrig sich bezwang, um im starren Bann der Sitte als wirklich reiches und vornehmes Mädchen zu bestehen, ja sie ward auch schöner von Gesicht und wuchs gleichsam in Gang und Haltung. Denn dem Reichen ist es nicht bloß leicht, fromm, sondern auch schön zu sein. Das stetige äußere Maß der Bewegung macht die Züge und Gebärden feiner, wenn auch noch so grobe Sünden dahinter lauern sollten.

Je mehr ihr aber gehuldigt wurde, um so gemessener erschien Beatrix. Um die armseligste Gunst hatte die fahrende Sängerin jahrelang gebettelt; jetzt war es ihr süßester Stolz, so viele unerwartet gebotene Gunst zu verschmähen.

Zwei vornehme Jünglinge warben um ihre Liebe. Allein während sie vordem solch feinen, schönen Herren eher seufzend nachgeblickt, als sie zurückgewiesen hätte, nahm sie jetzt ganz kühl von oben herab die Huldigungen entgegen, zeigte im spröden Versagen, welch eine wahrhaft höfische Dame sie geworden sei, und ließ zur Abwechselung einmal die anderen nach ihr seufzen.

Nur einer rührte sie, daß sie nicht stolz tun konnte, und dies war jener arme, bürgerliche und doch so edelfeine Hugo, den sie an dem Kaisertage im Garten gesprochen. Sie erschrak und errötete aber, sooft sie ihn wiedersah; denn sie fand in seinen Zügen immer größere Ähnlichkeit mit dem Gesichte ihres Wohltäters, des Grafen Gerbot, und auch im Klang seiner Stimme. Diese Stimme machte sie zittern wie das böse Gewissen, und doch zitterte sie auch wieder bei dieser Stimme, weil ihr dieselbe gar so süß ins Herz hineinsang. Wenn Hugo nur ihr Hündchen streichelte und liebkoste, meinte sie schon, das Hündchen werde ihm ihr Geheimnis verraten. Hugo aber sah in dem Erröten der Beatrix niemals das Erröten der Furcht, sondern immer nur das Erröten der Liebe.

Doch weil er sich selber und der Welt nur für ein Bürgerskind galt, so glaubte er, Beatrix halte sich trotz eines unverkennbaren Herzenszuges so scheu zurück, weil sie ja doch mit dem armen und geringen Jungen keine andere Gemeinschaft als des herablassenden Wohlwollens haben könne. Und er klagte, wie schlimm es überall dem Armen gehe, und wenn er nur vornehm und reich sei, dann wolle er schon bald glücklich sein.

Beatrix aber fühlte sich noch weit unglücklicher. Sie liebte ihn, sie begegnete ihm öfter, als sie wollte, sie ließ ihn reden, wo sie ihm Schweigen zuwinkte, sie vergaß mitunter alle Vorsicht ihrer höfischen Rolle. Sie liebte ihn und durfte ihn doch nicht lieben. Sowie sie Ernst machte aus dem bisher bloß andeutenden Spiele der Neigung, konnte sie auch ihre wahre Herkunft nicht länger verborgen halten. Sie hätte Hugo ja wohl ebenso glücklich noch eine Weile täuschen mögen, wie sie alle Welt bisher getäuscht hatte, und doch meinte sie, ihn allein könne und dürfe sie nicht betrügen, wenn sie auch alle die anderen betrog. Daran mochte man wohl erkennen, daß sie ihn wahrhaft liebte und mit allem Ernst einer ersten Liebe. Denn wem man sich nur zeigen kann ganz, wie man ist, wem man sich nur durchaus wahr zeigen kann, den liebt man auch wahrhaft. Sie hatte ihn so gern, daß sie's dem ehrlichen Bürgerssohn nicht hinterrücks antun wollte, ein unehrliches Mädchen zu heiraten.

Jetzt erkannte sie hell, was sie schon gar manchmal dunkel empfunden, daß es dem Reichen zwar viel leichter ist, äußerlich gerecht zu wandeln, als dem Armen, und das nennt die Welt fromm sein, daß aber auch das inwendige Elend des Reichen unendlich viel schmerzhafter einschneidet als das Elend des Armen. Sie besaß allen äußeren Glanz des Glückes, wie sie ihn nur jemals geträumt, und war unvermerkt reiner und besser geworden, wovon sie früher nicht geträumt hatte, aber in dem Lichtschimmer des Reichtums war ihr Gewissen erwacht; sie fühlte, daß sie fromm geworden sei auf Grund einer Lüge, daß ihrem glatten Rechttun die letzte Wahrheit fehle und daß darum doch ihrem Glück das Höchste ewig versagt sei: die Liebe. So hungerte sie sich satt bei Leckerbissen – und nicht bloß an der herzoglichen Tafel –, während sie früher sich satt gegessen bei Schwarzbrot.

Hugo, des edlen Grafen Sohn, dachte, er sei von Stande zu gering, als daß er auf Gegenliebe hoffen, Beatrix, die fahrende Sängerin, sie sei im Herzen zu gering, als daß sie Gegenliebe bieten dürfe.

Aber die Liebe verschlingt doch zuletzt alles Nachdenken, und die Glut der Leidenschaft verzehrt auf Stunden und Tage selbst den Brand eines bösen Gewissens, wie ein Feuer das andere frißt; – in anderen Stunden facht sie jenen Brand dann um so heller wieder an.

Die Glut der Liebe war aber mächtiger noch bei Beatrix als bei Hugo. Arm und rechtlos hatte die fahrende Sängerin früher jedem Gelüsten den Zügel schießen lassen und sich eben darum wenig gegrämt, wenn so mancher Wunsch unbefriedigt blieb; jetzt besaß das gefeierte Fräulein scheinbar alles, was die Sängerin je begehrt, und mußte doch immer sich selbst bewachen und zurückhalten, ihre Wünsche rastlos beschneiden und unterdrücken. Da ward sie von dem einzigen unerfüllten Hauptwunsche, von der ersten wahren Leidenschaft, um so widerstandsloser überwältigt.

Endlich trug sie's nicht länger; sie mußte diese Qual zerreißen. »Wenn ich wieder arm wäre? Arm und rechtlos dazu? – Aber würde ich dann glücklicher sein? Ich würde wenigstens allen Menschen mein wahres Gesicht zeigen können, und das ist auch eine Art von Glück. Übrigens brauchen nicht alle dieses wahre Gesicht zu sehen: – aber einer soll es sehen!« –

Sie hielt ein in dem Selbstgespräche; die klaren Gedanken vergingen ihr. Nur ein Gedanke tauchte immer wieder auf: sie wollte Hugo sagen, wer sie eigentlich sei. Was dann weiter komme? Sie wußte es nicht. Sollte sie entfliehen, sich verstecken? Es war ihr alles gleich. Aber Hugo wollte sie ihre Liebe bekennen mit der vollen Wahrheit im Munde; mit dem wahren Gesichte wollte sie ihm ihre Liebe zeigen und die Kraft dieser Liebe besiegeln durch dieses wahre Gesicht. Freilich konnte er dann diese Liebe kaum mehr brauchen. Allein die wahre Liebe fragt nicht danach, ob man sie hinterdrein auch brauchen kann. Sie muß sich offenbaren und darbringen, und sollte dieses Darbringen auch Geburt und Tod der Liebe in einer Stunde sein.

IX.

Beatrix schlief ein mit diesem Entschlusse und erwachte mit ihm. Doch kam es ihr vor, als sei es im hellen Morgensonnenscheine schwerer, sich auf der Höhe ihres Vorsatzes zu behaupten, als gestern bei Mondlicht. Sie ging in den Garten und suchte den Platz, wo sie zum erstenmal mit Hugo gesprochen. Es war ganz still, nur die Bienen summten, und die Vögel sangen; Beatrix aber glaubte, jene vom Winde verwehten lustigen Töne des Festzuges, nur viel leiser, wieder zu hören, die damals wie ein Klagelied an ihr Ohr geschlagen hatten.

Sie bückte sich hinab zu dem Hündchen, streichelte es und sagte ihm, dem einzigen Vertrauten, ihr Leid, wie sie schon so oft getan. Das Tier aber sprang plötzlich auf und bellte, ganz wie in jener Sturmnacht unter den Felsen. Da sah Beatrix das Bild ihres wachen Traumes, Hugo, der durch den Garten ihr entgegenschritt, aber nicht scheu und betroffen wie an jenem Festtage, sondern fest, ja ungestüm. Auch Gruß und Anrede waren ganz anders wie sonst, freier und mutiger, doch mitten im Worte brach ihm die Stimme; aber rasch faßte er sich wieder und erklärte offen seine Liebe, die er bis dahin nur schüchtern, nur so von fernher, nur dem wiederliebenden Auge bemerkbar, anzudeuten gewagt.

Beatrix schwieg versteinert, ihr Blick irrte umher, ihre Lippen bewegten sich lautlos, als suchten sie eine Antwort und könnten sie nicht finden.

Da erzählte ihr Hugo – und die Worte flogen nur so – wie im Sturme, daß er hinweg müsse von Straßburg, heute noch, aber er sei heut ein anderer, als er gestern gewesen. »Gestern abend«, rief er, »kam ein Eilbote des Grafen Gerbot, des guten Herrles, der am Tode liegt, und ich bin Gerbots einziger Sohn, nach meines Vaters rätselhaftem Willen hier erzogen als ein armes Bürgerkind. Jener fremde Kaufmann, der uns so oft besuchte, war mein Vater; ach, er kam niemals mit leeren Händen und immer mit so freundlichem Herzen! An seiner eigenen Hand sollte ich demnächst zum Schlosse zurückkehren, da warf ihn eine tödliche Krankheit nieder, und nun kann er nur noch auf dem Sterbebette bekennen, daß ich sein Sohn sei. Wohl schmerzt es mich, daß ich den Vater nur finde, um ihn zu verlieren, und doch habe ich noch Raum für eine Freude neben meinem Schmerz – ob es gleich eine Sünde sein mag: – denn nun darf ich als gleich und ebenbürtig um Eure Hand werben und will Euer Ja mit auf den Weg nehmen, damit ich noch den Segen des Vaters für uns beide gewinne.«

Beatrix blieb stumm wie zuvor; – vergebens flehte Hugo um ein lösendes Wort, vergebens faßte er ihre Hand und schaute ihr verzweiflungsvoll ins Auge, als könne er dort das Wort geschrieben lesen. Endlich brach sie in Tränen aus und rief: »Ich kann und darf nicht Ja sagen; gehet und vergeßt mich für immer!«

Hugo bestürmte sie um Grund und Ursache, aber Beatrix verharrte wieder in starrem Schweigen. Er wehklagte: »Als ich arm war und gering, da durfte ich wenigstens hoffen; jetzt, wo ich reich bin und edlen Blutes gleich dir, nimmst du mir Ärmsten auch die Hoffnung!«

Da sprach Beatrix: »Endlich muß es doch heraus! Ich bin nicht edlen Blutes, ich bin ein unehrliches Spielmannskind. In wüster Jugend aufgewachsen, war ich arm und sündigte; ohne mein Verdienst gewann ich Reichtum und wurde fromm, weil ich reich war, und doch nicht fromm genug.« Sie erzählte ihm dann ihre Geschichte, und wie sie sich so fein verstellt und im Zwang strenger Sitten besser geworden sei und wie niemand um ihr Geheimnis gewußt habe als Gott und das verschwiegene Hündlein. Allein die Wahrheit komme zuletzt doch an den Tag.

Im Sturme der Leidenschaft wollte aber Hugo trotzdem nicht lassen von seiner Liebe, obgleich ihm die Worte der Beatrix wie Dolchstöße ins Herz gingen. Allein gerade in diesem Kampf der Hoffnung und Verzweiflung steigerte sich ihm noch der Reiz des seltsamen Mädchens. Wie ein verzaubertes Frauenbild aus einem Märchen stand sie vor ihm, und ihm selber war es seit gestern, als wandle er in einem Märchen. Viel Wunderbares war ja geschehen: er war über Nacht aus einem armen Bürgerskind ein reicher Grafensohn geworden, demnächst wohl gar ein mächtiger Graf und Herr, – das Unmöglichste war wirklich geworden; warum sollte es ihm nun unmöglich sein, dieses unehrliche Mädchen, welches sich selbst ehrlich gemacht, zu lieben und in Ehren zu gewinnen?

Die Stunde drängte. Er überredete, bat, beschwor. Doch Beatrix brachte immer nur die Worte hervor: »Du begehrst Unmögliches! Ich kann dich nur elend machen! Wir dürfen uns niemals wiedersehen!«

Freilich war jedes dieser Worte von dem wärmsten Hauche leidvoller Liebe durchweht.

Das gab Hugo endlich den Mut, in geheimer Hoffnung zu scheiden; er verhieß rascheste Rückkehr. Aber Beatrix beteuerte, er werde sie nicht wiederfinden.

X.

Noch am nämlichen Abende trat Hugo vor das Bett des todkranken Vaters. Es war ein erschütterndes Wiedersehen.

Graf Gerbot hatte noch lange zu leben gehofft und sah jetzt mit Schrecken, daß er keine Zeit mehr habe zum zweiten Teil seines Erziehungsplanes, nämlich den Sohn, der im fremden Hause so langsam die Schule der Armen durchgemacht, nun auch im eigenen Hause in die Schule der Reichen und Mächtigen einzuführen.

Er wollte ihm so vieles und Wichtiges noch sagen von der Herrschaft, die er nun verfrüht in seine unerfahrenen Hände legte. Aber Hugo hörte kaum, was der Vater sprach. Endlich konnte er sich nicht länger halten und erzählte die Geschichte seiner Liebe und den märchenhaften Lebensgang des wunderbaren Mädchens.

Der Alte hört mit wachsendem Staunen, und als er erfährt, daß es jene geldgierige Sängerin gewesen, die ihn einst gerettet und nun den Sohn bestricke, ruft er aus: »Dieses Mädchen habe ich schon damals als die klügste Hexe erkannt und nicht begriffen, wie sich so viel Verstand mit so wenig edlem Gemüte verbinden möge.«

Der Sohn aber entgegnete: »Nein! Alle Klugheit wurde bei ihr ja zuletzt vom edlen Gemüte aufgesogen!« Und erzählte dann, wie sie durch den Reichtum zu immer tugendhafterem Wandel geführt und so gut geworden sei, daß sie um der Liebe willen ihre erste und letzte und klügste Lüge und mit dieser Lüge Liebe und Glück selbst geopfert habe.

Als der Alte dies vernahm, brach er zusammen, verhüllte sein Gesicht und rief: »Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen, und ich erkenne den ungeheuren Fehltritt, welchen ich gemacht! Diese Dirne hat gelernt reich zu sein und dadurch den Fluch des Reichtums überwunden, ohne daß sie's wollte und merkte; – ich Tor ließ dich lernen arm und gering sein, damit du Reichtum und vornehme Hoffart verachten mögest. Aber der Arme und Niedrige verachtet ja Rang und Reichtum nicht, sondern er ersehnt und erträumt ihn. Im Zwang des vornehmen Standes hättest du deine Schule machen müssen wie diese Sängerin! Jetzt wirst du wie im Traume der reichste Graf im Elsaß, jetzt kannst du fessellos und doch vornehm leben, alles kommt deinen Wünschen entgegen, Macht und Schätze sind dir jetzt ein freies köstliches Geschenk, und du kannst zugrunde gehen, bevor du die furchtbare Last dieses Geschenkes erkannt hast.«

Schnell entschlossen fiel Hugo ins Wort: »Habe ich nicht gelernt reich zu sein, so gebet mir Beatrix zur Frau, die es so unübertrefflich gelernt hat, daß sie mich hinwieder die schwere Kunst lehre!«

Der Vater aber sprach: »Das gehet nun und nimmermehr. Dein Volk und deine Vasallen würden sich wider dich empören, wenn du ihnen eine unehrliche Dirne zur Herrin geben wolltest, dein ganzes Haus würde durch dich in Schmach versinken. O Tor, der ich war, da ich der Weiseste sein wollte! Und doch werde ich deinen Willen nicht beugen können, du wirst – –.« Der Sterbende wollte sichtbar noch vieles sagen, aber die Stimme erstarb, und nach wenigen Augenblicken hauchte der gute Herr seinen letzten Atem aus.

Verwirrt, ratlos, von Widersprüchen zerrissen und unsäglich traurig, begrub Hugo den Vater und ergriff die Zügel der Herrschaft. Zugleich schickte er einen Boten mit Briefen an Beatrix. Wer weiß, was darin gestanden hat? Allein Beatrix war nicht mehr zu finden. Am selben Tage, wo Hugo abgereist, war sie ganz heimlich aus dem Hause der Herzogin entwichen, nur von ihrem Hündchen begleitet. Niemand hat sie wieder gesehen.

Graf Hugo lebte in der neuen Welt wie ein Träumender. Die neue Hoheit hatte keinen Zauber für ihn, der Glanz des Reichtums schien ihm matt und kalt wie die Wintersonne; er sehnte sich zurück nach den warmen Frühlingstagen, wo er arm gewesen. Da raffte er sich plötzlich auf und suchte den Trost, wo er einzig zu finden war: in der Arbeit, im treuen Sorgen und Mühen für sein Land, im ritterlichen Kämpfen und Ringen.

Den redlichen alten Freunden und Räten seines Vaters fiel ein schwerer Stein vom Herzen. Denn als der junge Graf so plötzlich zur Herrschaft kam wie im Märchen, gestern ein armer Knabe, heute der mächtigste und reichste Mann, da bangte ihnen, wie er wohl diesen jähen Übergang vom Dunkel ins grellste Sonnenlicht ertragen werde. Nun aber sahen sie, daß Hugo stumpfer war für die Lockungen der Herrschsucht, der Hoffart und der Sinnenlust als gar mancher Kaiser und König, der in der Kinderstube schon mit der Krone gespielt, und priesen die Weisheit des alten Gerbot, welcher allein richtig gerechnet und den Sohn in niederem Stande habe aufwachsen lassen, damit er gleichgültig werde gegen Fürstenherrlichkeit.

Allein so war es ganz und gar nicht. Was Beatrix in Straßburg so tief empfunden, das empfand jetzt auch Hugo: den Zwang und Druck von Reichtum und Würde, welcher den heißesten Wunsch seines Lebens unerfüllbar machte. Obgleich er nun Beatrix mit leiblichen Augen niemals wiedersah, so erblickte er sie doch täglich im Geiste. Und dieses Bild hielt ihm stets jene drückendste Schranke vor Augen, welche seinem Willen gerade durch Rang und Reichtum gesetzt war, und lehrte ihn die tausend anderen Genüsse verachten, die sich schrankenlos ihm darboten.

Gar manchmal sprach er darum zu sich selbst: »Meinen Vater hat Beatrix aus dem Verderben geführt, welches ihm die Bosheit seiner Feinde bereitete, mich aber führte sie aus dem Verderben, welches mir nahezu die Liebe meines Vaters bereitet hätte. Und sie war doch nur ein unehrliches Spielmannskind!«


 << zurück weiter >>