Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre - Erster Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Die Ganerben

1863

Im vierzehnten Jahrhundert gab es vier rheingauische Adelsfamilien, welche als Helmschmuck ihres Wappens ein Paar großer aufgereckter Eselsohren führten. Ein anderes Haus desselben Gaues trug den Esel wenigstens im Namen, es hieß die Eselwecke; und ein Rittergeschlecht des benachbarten Niederlahngaues zierte seinen Helm mit einem ganzen Eselskopf, das waren die Herren von Stein, deren letzter Sproß der große deutsche Staatsmann gewesen ist.

Der Esel galt also jenen Altvordern keineswegs für ein so verächtliches Tier, ja man stritt um den Besitz zweier Eselsohren als Helmkleinod, wie wenn es Adlerflügel wären; man kaufte sich dergleichen ab, und noch hundert Jahre später erscheint eine Gräfin zu Birneburg auf ihrem Siegel gar mit einem Kopfputz von Eselsohren. Erst nachdem das Rittertum längst zu Grabe gegangen, stieß man sich an den langen Ohren, und gelehrte Leute verfaßten eigene Schutzschriften zur Rettung der heraldischen Esel und wiesen nach, wie fürchterlich der Streitruf des Esels klinge, wie bewundernswert seine Stärke, Ausdauer und Mäßigkeit sei, wie fest sein unbeugsamer Eigenwille, und erinnerten, daß schon Homer den Ajax und die Bibel den Erzvater Jakob im Gleichnis eines Esels gelehrt hätten. Vielleicht vergaßen jene Gelehrten dabei, daß es auch einen Esel gibt, der auf einem Katheder steht, nämlich im Wappenschilde der Stadt Bourges.

Eine der obengedachten vier im Rheingau angesessenen Familien mit heraldischen Eselsohren waren die Ritter von Katzenelnbogen; sie gehörten, wiederum in vier Linien verzweigt, zum niederen Adel und dürfen nicht mit dem großen und berühmten Dynastengeschlechte der gleichnamigen Grafen verwechselt werden. Zwei von jenen Linien, die Knebel und die Kesselhute, besaßen neben ihren gauerbschaftlichen Rechten an der allen gemeinsamen Stammburg Alt-Katzenelnbogen zur Zeit unserer Geschichte auch noch ein burgliches Haus am Rheine gemeinsam, welches aus zwei selbständigen Flügeln bestand, die im oberen Geschosse durch einen bedeckten hölzernen Gang verbunden waren. Jeder dieser Flügel, von Grund aus fest und verteidigungsfähig, hatte sein eigenes Tor mit Zugbrücke. Doch waren beide Flügel nicht gleich: der rechte oder das »alte Haus« war kleiner und unbequemer, der linke, gewöhnlich der »neue Bau« genannt, gut um ein Drittel größer und weit wohnlicher angelegt. Im alten Hause wohnte Herr Wiprecht Kesselhut von Katzenelnbogen, ein Mann von fünfundzwanzig Jahren, im neuen Bau Herr Eberhard Knebel von Katzenelnbogen, ein Fünfziger. An den Toren des Doppelhauses hatte jeder dieser beiden Herren sein Wappen anschlagen lassen; es bestand bei beiden aus einem roten Schildlein in silbernem Felde und war nur durch das Beizeichen eines Ringes und eines Sternes unterschieden. Den Helmschmuck der Knebel bildeten zwei große Eselsohren, ein weißes und ein rotes; auf dem Helm des Kesselhut dagegen sah man nur ein weiß-rotes Eselsohr ins Profil gestellt.

Über diesen Helmschmuck hatte es schon vielen Verdruß zwischen beiden gesetzt; denn der Kesselhut behauptete, ihm gebührten zwei Eselsohren ebensogut wie den Knebeln, seine Vorfahren hätten auch zwei geführt bis auf den Urgroßvater. Als dieser aber einmal in Geldbedrängnis geraten, seien ihm die Knebel nur unter der schimpflichen Bedingung beigesprungen, daß er fortan das eine Ohr von der Helmzier weglasse. Die Knebel dagegen erklärten jene Geschichte für eine Fabel und behaupteten, die Kesselhute hätten niemals das Kleinod der zwei Eselsohren besessen. So war also Anlaß zum Streite genug vorhanden, auch wenn die Gemeiner einer Burg nicht ohnedies gewöhnlich wie Hunde und Katzen miteinander gelebt hätten.

Allein es lag auch der beste Weg des Ausgleichs und der Versöhnung offen. Herr Eberhard Knebel besaß eine Tochter, Riza, die mit dem jungen Wiprecht Kesselhut in freundschaftlichstem Jugendverkehr aufgewachsen war, unberührt von dem bald erloschenen, bald wieder aufflackernden Zwiste der Väter. Später hatte dann auch die Freundschaft der Kinder beide Familien so merklich nähergebracht, daß man kaum mehr von den Eselsohren sprach. Wiprecht, ein frischer, kühner Geselle, wußte sich dem Vater Rizas recht ins Herz zu schmeicheln, und als er zuletzt nach seines eigenen Vaters Tode ein selbständiger Herr geworden war, sah man die jungen Leute als zwei Verlobte an und dachte an baldige Heirat. Herr Eberhard konnte dann das angeblich abgevorteilte Eselsohr zu Rizas Mitgift fügen, daß sie es den Kesselhuten wieder auf den Helm brächte.

Als man aber zum förmlichen Verlöbnis schreiten wollte, fiel Riza in tiefe Schwermut, bat wiederholt um Aufschub und erklärte zuletzt, zitternd und wie vom tiefsten inneren Kampfe zermalmt, sie habe Wiprecht lieb wie ihr Leben, allein sie könne ihn nicht heiraten. Wiprecht und der Vater bestürmten und drängten sie, den Grund zu sagen; Riza erklärte, er liege nur in dem Bewußtsein ihres eigenen Ungenügens, sie sei fest überzeugt, daß sie für Wiprechts Weib nicht ausreiche, daß sie ihn auf die Dauer nicht glücklich machen könne, und also sei es ehrlich und recht, daß sie beizeiten entsage, nicht weil sie ihn zu wenig, sondern vielmehr weil sie ihn über alle Maßen liebe.

Und dies war auch der einzige Grund. Riza, ein schüchternes, in sich hinein grübelndes Wesen, hatte sich vor dem entscheidenden Schritte in schärfster Selbstschau geprüft. Sie war vier Jahre älter als Wiprecht, klein, unansehnlich und nichts weniger als schön; zaghaft im Verkehr mit anderen, brachte sie die Vorzüge ihres Geistes kaum je zur Geltung, und ihr bestes Teil, eine unendliche Herzensgüte, blieb ihr still verschlossenes Eigentum. Wiprecht dagegen war ein stolzer, schöner Mann, der gern nach außen glänzte, jederzeit bereit, voll ehrgeizigen Tatendurstes wild in die Welt hinauszustürmen. »Er braucht eine Frau, gleich stolz und schön«, sprach Riza zu sich selbst, »eine Frau, die ihm erst recht gefällt, weil alle Welt sie bewundert, dazu eine reiche Frau, und ich bin arm an Geld und Gut wie an jenen Vorzügen.«

Der Jugendfreund redete ihr liebreich zu, allein da sie bei aller Bescheidenheit doch wieder zu stolz war, ihm alles rundheraus zu sagen, was sie über ihr Ungenügen dachte, so erschien ihm der großherzige Entschluß der Jungfrau zuletzt wie Grille und Eigensinn; er schwieg, trotzte, zog sich zurück und dachte nachgerade, der Verlust eines so wandelbaren Herzens sei wohl auch noch zu ertragen.

Eine Liebe, die aus der Jugendfreundschaft ganz sachte hervorgewachsen ist, kann uns nicht wohl wie ein verzehrendes Feuer durchlodern, sie bewahrt die milde Natur ihres Ursprungs. Mit dem Ungestüm leidenschaftsvoller Liebe dagegen umfassen wir ein bis dahin fremdes Wesen; da steigert der Zauber des Neuen, Fernen, Rätselhaften die Begierde des Besitzes zur Fieberglut. Aber eine gelöste Jugendliebe kann dann auch wieder zur Freundschaft zurückkehren und stille, wie sie begann, unter der Asche fortglimmen. Die andere Liebe kann das nicht: sie brennt helleuchtend weiter, oder sie erlischt wieder ebenso gewaltsam, wie sie aufgelodert.

Wiprecht und Riza wurden wieder gute Freunde, nachdem die ersten peinlichen Monate verstrichen waren. Aber es bestand ein großer Unterschied zwischen Freundin und Freund. Riza schwärmte sich zurück zur Freundschaft, weil sie der Liebe entsagen zu müssen glaubte; ihre Freundschaft war heimliche Liebe, so tief und selbstlos, daß sie um des Glückes des Geliebten willen auf Gegenliebe verzichtete. Wiprecht dagegen fühlte sich wirklich schlechthin nur als des Mädchens guter alter Freund und hatte genug daran.

Nach dem damaligen Gang der Dinge mußte sich Wiprecht nun aber doch verheiraten: die Linie der Kesselhut hätte ja sonst gar erlöschen können! Ein volles Jahr, gleichsam das Trauerjahr für den gelösten Liebesbund, war vergangen, als er demgemäß um die Hand der Adelheid von Biegen warb, der Tochter eines uralten, stolzen, im Nidda- und Rheingaue wie im Königshundert reichbegüterten Hauses. Anfangs mit schlechtem Erfolg. Der alte Ritter Gottfried von Biegen wünschte sich einen reicheren und mächtigeren Mann zum Schwiegersohn als den Kesselhut, und Adelheid, die den schönen, stattlichen Wiprecht allerdings mit stillem Wohlgefallen betrachtete, hielt zurück, weil die Sage gar seltsame Dinge über Rizas Verzicht auf Wiprechts Hand berichtet hatte. Da legte sich Riza ins Mittel. Sie erkannte, daß Adelheid ganz die rechte Frau für ihren Wiprecht sei, sie überredete sich unter tausend Schmerzen, daß es jetzt gelte, die ganze Kraft ihrer heimlichen Liebe als eine treue Schwester zu bewähren, und ging selber zu Adelheid und erzählte ihr, aus welchem Grunde sie zurückgetreten und daß alles übrige, was die Leute von der Geschichte zu Wiprechts Nachteil redeten, Lüge sei. Sie ging noch weiter, sie warb für ihren Freund. Adelheid, aus ganz anderem Ton als Riza geformt, bewunderte eine Entsagung, welche sie nicht begriff, noch mehr aber bewunderte sie jetzt den Wiprecht, dessen überwältigende Vorzüge das arme Mädchen so ganz in sich selbst zurückgescheucht hatten. Sonst verliert ein Mann in den Augen der Frauen, wenn ihn eine andere verschmähte; Wiprecht aber gewann in den Augen Adelheids, weil er in so seltsamer Weise verschmäht werden konnte. Und nachdem Riza erst Adelheid überredet hatte, gelang es dieser dann auch, ihren Vater zu überreden. So ward Adelheid Wiprechts Gattin.

Als dieser seine Braut heimführte, ging Riza zu fernab wohnenden Verwandten, nicht weil sie sich vor anderen, sondern vielmehr vor sich selbst verbergen mußte. Nach einem halben Jahre kehrte sie dann wieder zum Vater heim in das gemeinsame Haus. Anfangs konnte sie nur einen höchst dürftigen und befangenen Verkehr mit den jungen Eheleuten übers Herz bringen, später besuchten sie sich fleißig ab und zu nach guter Freunde Art.

Viele Männer werden Rizas opferfreudige Liebe schwer begreifen, aber manches Frauengemüt wird das verzagte tapfere Mädchen um so besser verstehen. Und der Erzähler darf hier wohl auch an die Zeit erinnern, in welcher Riza lebte. Neben der rohesten Sinnenlust des Liebesrausches wucherte damals eine bis zur Unnatur vergeistigte Schwärmerei der Minne. Diese überzarte Minne dünkte manchen entweiht durch ein handgreifliches Ehebündnis, und sie glaubten etwas ganz besonders Gescheites zu tun, wenn sie einen Ehemann oder eine Ehefrau noch nebenbei so ledigerweise fortminneten. Rizas heimliche Liebe war freilich nicht von dieser tollen Art, und doch hatte sie einen Hauch der allzu vergeistigten mittelalterlichen Minne: sie war zu fein, um eine ganz gesunde, aber doch auch wieder zu menschlich, um eine ganz kranke Liebe zu sein.

Adelheid brachte völlig neues Leben in Wiprechts »altes Haus«. Da mußte alles größer, prächtiger, stolzer eingerichtet werden, und der kleine Ritter mußte sich zeigen wie ein großer Herr. Täglich stachelte die junge Frau den Ehrgeiz ihres Gemahls, und da sie nicht bloß schön und reich, sondern auch geistvoll und wie zur Herrscherin geboren war, so beugte sie bald den sonst so trotzigen Mann unter ihren launischen Willen. Vorab aber ärgerte sie sich, daß die Kesselhute sollten ein minder stattlicher Zweig des Katzenelnbogischen Geschlechts sein als die drei anderen Linien. Das mußte anders werden. Ein Wahrzeichen der minder angesehenen Stellung ihres Mannes unter den Burggenossen von Katzenelnbogen war das eine Eselsohr auf dem Wappenhelm. Und kostete es, was es wolle, es mußten jetzt zwei möglichst große Eselsohren hinauf; das alte Wappen über dem Tore ward demgemäß heruntergenommen und ein neues also vermehrtes aufs festeste in die Mauer gefügt. Herr Eberhard Knebel tat Einsprache; es half nichts, das Wappen blieb stehen. Als weitere Antwort auf jene Einsprache brachte Wiprecht vielmehr noch einen ganzen Sack voll Beschwerden über verkürzte Rechte und aufgebürdete Lasten an dem Gemeinbesitz, durch welche die Kesselhute von den Knebeln fort und fort geschädigt worden seien. Die scharfsinnige Frau Adelheid hatte das alles aufgespürt und mit dem Eifer und der Kunst des besten Advokaten ans Licht gestellt. Eberhard aber wollte kein Wort hören, solange noch die angemaßte Helmzier über dem Tore prange.

Der alte Hader war also in vollem Glanze zurückgekehrt, und nur Riza verhinderte, daß er alsbald in wirklicher Fehde sich Luft machte. Wie ein Friedensbote ging sie hin und her zwischen ihrem Vater und Wiprecht, die längst wieder allen persönlichen Verkehr abgebrochen hatten, und der Vater wagte doch nicht, dem Mädchen das Haus des Gegners zu verbieten; er betrachtete sie mit heiliger Scheu wie ein fremdartiges, rätselhaftes Wesen, das man ungestört seinen eigenen stillen Pfad müsse ziehen lassen, als eine Art Nonne, die man einzukleiden vergessen habe und die wohl immer noch zwischen den zwei Parteien Versöhnung predigen dürfe.

Das wäre Riza auch einmal beinahe geglückt. Sie hatte in ihrer sanften, rührenden Weise Wiprecht schon bis zu dem Zugeständnisse gebracht, daß er die bestrittene Helmzier aufgeben wolle, wenn Eberhard gegen seine übrigen Ansprüche billig sei. Da erhob sich Adelheid und sprach: »Das wird die Tochter eines Ritters von Biegen niemals zugeben. Unser Haus streift nahe an den hohen Adel, und meine Vorfahren führten sogar ein Reitersiegel, und ich sollte das Weib eines Mannes sein, der nicht einmal ein paar Eselsohren führen darf? Mein Vater unterschreibt sich nicht bloß miles, sondern, wenn's ihm einfällt, auch »vir nobilis«, obgleich er nicht zu den Dynasten zählt; es ist aber nur ein kleiner Sprung bis dahin: er brauchte nur das Recht zu gewinnen, daß er die Worte umkehre und sich »nobilis vir« schriebe, so wäre er ein Dynast in allen Stücken, denn die Macht und den Reichtum eines solchen besitzt er schon längst. Und ich sollte einem Manne gehören, der zum Zeichen der Erniedrigung nur mit einem verstümmelten Kleinod seinen Helm schmücken dürfte?«

Riza entgegnete: »Du denkst immer zuerst daran, daß du deines Vaters Tochter bist: ziemlicher wäre es, wenn du dich zuerst als deines Mannes Weib dächtest.«

»Meinem Mann zu seinem Rechte zu verhelfen«, sprach Adelheid, »ist das erste, was ich als Frau bedenken muß.«

»Deinen Mann glücklich zu machen, wäre deine erste Pflicht«, warf Riza ein, »und das Glück blüht selten dem starren Rechthaber!«

Hiermit aber waren beide auf den Punkt gekommen, wo sie sich gegenseitig nicht mehr verstanden. Denn für Adelheid lag eben das Glück im Behaupten alter, im Gewinnen neuer Vorrechte und Ehren mit ihrem Manne und für ihren Mann, und Kampf und Streit auf dieser stolzen Bahn war ihr eher eine Lust als ein Herzeleid; für Riza dagegen war Glück die stille, friedliche Seelengemeinschaft mit dem Geliebten, und das Wetten und Ringen um äußere Ehren konnte den Frieden eines solchen Zusammenlebens überall nur trüben und verderben. So zerrann denn auch das Gespräch erfolglos, und nur Rizas versöhnlichem Sinne war es zu danken, daß es nicht das letzte Gespräch zwischen den beiden Frauen blieb.

Noch am nämlichen Tage aber begann Adelheid mit ihren Dienerinnen sich ein Festgewand herzurichten, welches über und über mit gepaarten rot-weißen Eselsohren höchst kunstreich bestickt ward. Riza dagegen sann in ihrer Kammer nach, warum sich doch die Dinge so betrübend gewendet. Jenes äußere Glück, welches sie Wiprecht nicht geben konnte, mochte er bei Adelheid finden; aber vermißte er nicht dafür jenes still befriedigende innere Glück, welches sie ihm so wohl hätte bieten können? War denn das eine nur um den Preis des anderen zu erkaufen, und war das Opfer, welches sie Wiprecht durch ihre Entsagung gebracht, nicht am Ende gar die Quelle seines Unglückes?

Unterdessen spielte der lustige und traurige Streit zwischen dem neuen Bau und dem alten Hause immer weiter. Weil die Herren einander zürnten, so neckten sich die Diener, aber die Neckerei war so grob, daß manchmal Blut floß; es war ein Vorpostengeplänkel, welches auf nahen ernstlichen Kampf deutete. Eberhards Knechte suchten das Wappen vom Tore des alten Hauses herunterzuschlagen, doch Wiprechts Leute hielten gute Wacht und schickten die Verwegenen mit Schlägen heim. Jeder Tag brachte einen ähnlichen Strauß. »Es wetterleuchtet immer stärker«, sprach Herr Wiprecht, »das Gewitter wird bald loskrachen.« Als sein Knappe einmal an dem kleinen Fenster stand, von wo man dem Nachbar auf zwanzig Schritt in ein ähnliches Fensterlein hineinsehen konnte, faltete er die beiden Zipfel seines Gewandes fein spitzig zusammen und hielt sie an den Kopf als das Abbild der bestrittenen Helmzier. Ein Manne Eberhards, der am anderen Fenster lauerte, warf zur Antwort einen Krug, der ihm gerade zur Hand stand, hinüber und warf den Knappen so gut, daß dieser erst nach geraumer Frist, den Kopf mit einem blutbefleckten weißen Tuche umwunden, wieder sichtbar ward. Die Leute Knebels meinten, wenn alle Kesselhuter die Tinkturen rot und weiß solchergestalt wollten obenauf gemalt haben, so seien sie bereit dazu. Zur Rache aber lauerte bald ein anderer vorsichtiger an dem Fensterlein des alten Hauses und schoß dem nächsten, der die Nase drüben herausstreckte, einen Pfeil entgegen. Man blieb den Dank mit gleicher Münze nicht schuldig, und so wurden zuletzt alle Fenster unsicher, die sich gegenseitig mit der Armbrust bestreichen ließen. Doch das waren, wie gesagt, nur kleine Neckereien der Diener. Zu offener Fehde der Herren kam es noch nicht.

Da begegneten sich eines Tages die beiden Ritter ohne Zeugen im Walde. Wie auf Abrede hielt ein jeder sein Pferd an und sah dem anderen schweigend und trutzig ins Gesicht, als erwarte er, angeredet zu werden, aber keiner wollte dem anderen das erste Wort schenken. Herrn Eberhard ward die Zeit zu lang, also spornte er sein Pferd, um vorbeizureiten. Da dachte Herr Wiprecht, ein frischer Morgengruß schicke sich denn doch, und rief dem Alten echt rittermäßig zu: »Du Flegel!« Herr Eberhard mußte den Gruß etwas schief verstanden haben und schlug dem ehemals künftigen Tochtermann mit blanker Klinge einen rechten Prügelhieb auf die Schulter. Dieser verstand den flachen Hieb wieder schief, zog vom Leder und legte zu scharfen Streichen aus. Die Schwerter kreuzten sich. Aber es war wieder nur eine kleine Neckerei; ehe es zum ordentlichen Gefechte kam, gewann der kalte Zorn bei beiden die Oberhand; wie wenn sie's nur vorläufig einmal hätten probieren wollen, steckten sie die Schwerter wieder ein und ritten mit drohendem Schweigen auseinander.

Noch an demselben Tage ließ Eberhard den hölzernen Verbindungsgang abbrechen, der sich vom oberen Geschosse des neuen Baues zum alten Hause hinüberbrückte; in der letzten Zeit hatte ihn freilich außer Riza niemand mehr betreten.

Die Axtschläge dröhnten jetzt wie ein Donner in Rizas Ohr, und es war ihr, als stürze der ganze karge Rest ihres Lebensglückes mit den krachenden Balken in den Abgrund, als werde mit dieser Brücke auch der letzte schmale Pfad vernichtet, welcher noch zur Versöhnung zwischen den beiden Häusern führen konnte.

Ihr Entschluß war rasch gefaßt. Zwei Tragbalken lagen noch über der schwindelnden Tiefe, und ohne Furcht schritt Riza hinüber, während es selbst den rohen Dienstmannen grauste, die staunend ihre Äxte sinken ließen. Auf der anderen Seite stand Wiprecht und betrachtete sich, an das Pförtchen gelehnt, welches zu dem Gange führte, das überraschende Werk der Zerstörung. Als er Riza so durch die Luft herüberkommen sah, übermannte es ihn, daß er ihr entgegensprang und sie mit beiden Armen umfaßte. Wie hätte ihr gutes Wort jetzt keine gute Statt finden sollen! Er hörte sie freundlich an, gestand, daß er heute morgen gefehlt und den Vater zuerst beleidigt habe, und nach mancher Hin- und Widerrede versprach er, alles im gegenwärtigen Stande beruhen zu lassen, bis man beiderseits ein Schiedsgericht gewählt habe, welches die schwebenden Streitfragen endgültig schlichten solle. Umgekehrt wie sonst leuchtete jetzt über Rizas Gesicht ein Schimmer der Freude und der Hoffnung auf bessere Zukunft, während Wiprecht wehmütig zurückdachte an die vergangenen Tage der Jugendfreundschaft. Aber es galt, den Augenblick festzuhalten und auszubeuten; Riza wollte schleunigst wieder zu ihrem Vater hinüber, daß sie auch seinen Sinn wendete. Da war während des Gespräches der eine der beiden Balken in den Abgrund gesunken, und nur der schmale Steg des anderen führte noch über die Tiefe. Das Mädchen hätte den sicheren Gang durchs Tor wählen können, aber sie fürchtete sich, Adelheid zu begegnen; alles hing am raschesten Festhalten des Augenblicks, und doch grauste es ihr jetzt vor dem schwindelnden Pfad über den einzigen Balken. Wiprecht erriet ihre Gedanken: er schritt frei und sicherer voran, reichte ihr dann von rückwärts die Hand und führte sie so zum elterlichen Hause hinüber. Mit Schrecken sah der Vater das Paar dieses Weges kommen. Doch die Angst macht mild, und schon der bloße Anblick einer Todesgefahr stimmt versöhnlich, und als ihm Wiprecht die rechte Hand darbot, während die linke noch in Rizas zitternder Rechten lag, schlug der Alte tief ergriffen ein, und die drei standen eine Weile schweigend mit ineinandergelegten Händen. So gewann zuerst der Friede das Feld, danach aber auch wieder der Streit; denn für eine bloße Rührung konnte der Knebel dem Kesselhut doch nicht das zweite Eselsohr schenken. Allein Wiprecht redete so freundlich und überzeugend, und der warme alte Ton tat dem Ohre Eberhards so wohl, daß er drauf und dran war, völligen Waffenstillstand und die Berufung an ein Schiedsgericht auch seinerseits zuzugeben.

Da drang plötzlich ein Höllenlärm vom Tore des alten Hauses zu den friedfertigen Männern herauf. Wiprecht sah hinab, und ein Blick genügte, daß er den verblüfften Eberhard stehen ließ und mit grauenhaften Wagesprüngen über den Balken in sein Haus zurückstürzte. Der älteste Sohn Eberhards, Heinz, ein junger Hitzkopf, hatte nämlich kaum von der Grobheit gehört, die Wiprecht heute morgen seinem Vater ins Gesicht geworfen, als er sie auch schon auf eigene Faust zu rächen beschloß. Mit einer Handvoll verwegener Gesellen war er vor des Nachbars Tor gerückt und hatte die Helmzier des Wappens zertrümmert, bevor die Besatzung durch seine Hammerschläge zu spät herbeigerufen ward. Nun gab es zwar ein großes Geschrei und saftige Hiebe von beiden Seiten, aber das Ziel war erreicht, und Heinz zog sich schon wieder in des Vaters Burg zurück, als Wiprecht eben zum Tore herabgesprungen kam. Er konnte nur noch die vollendete Untat in Augenschein nehmen.

Dieser Zwischenfall brachte das Friedenswerk wieder ganz zum Stillstande. Aber Rizas milde Worte tönten noch zu frisch in Wiprechts Ohren, das Bild des schwachen Mädchens, wie es todverachtend über die Balken schritt, stand vor seinem Blick, und Adelheid selbst ward von der Erzählung tief bewegt und billigte den Austrag durch ein Schiedsgericht, nur müsse vorher das Wappen am Tore, und zwar auf Eberhards Kosten, wieder erneuert werden. »Denn«, sagte sie, »ihr hattet schon ausbedungen, daß vorderhand alles im gegenwärtigen Stande bleiben solle, als Heinz das Wappen zerstörte; dieses also war stracks gegen die Abrede, und wer den Stein zusammenschlug, der soll ihn auch wiederherstellen, genau wie er früher war.« Eberhard gestand das Richtige dieses Satzes im allgemeinen zu und erbot sich zu jeder billigen Sühne, nur könne er das eine nicht, daß er selber dem Kesselhut zwei Eselsohren machen lasse; er wolle ihm eins, er wolle ihm sogar drei oder sechs Ohren auf den Helm setzen, nur nicht zwei. Wiprecht bestand auf dem richtigen Paar, und so verschwand denn wieder alle Friedensaussicht, obgleich beide ernstlich den Frieden begehrten.

Riza war zum Tode betrübt über diesen Ausgang. Was sie recht gut machen wollte, das geriet immer gerade recht schlecht. Wäre sie nicht im heiligen Eifer über den Balken geschritten, sondern ganz ruhig und sicher die Treppe hinab, so würde sie ihrem Bruder am Tore begegnet sein, sie hätte ihn zurückhalten können, und er hätte nicht neues Unheil zum alten gehäuft.

Wie aber der Gemütsmensch sein Hoffen gerne an irgendein Wahrzeichen knüpft, so bildete sich auch Riza ein, der Streit werde noch geschlichtet und alles zum besten Ende geführt werden, wenn nur der eine Balken fest stehenbleibe, im Bilde und in der Tat das einzige Bindeglied zwischen den beiden Häusern. Täglich war ihr erster Blick auf diesen Balken gerichtet. Eines Morgens aber schrak sie furchtbar zusammen: der Balken war fort! Wiprecht hatte ihn wegnehmen lassen, gleichsam zum letzten Trumpfe, da Eberhard auf sein Ansinnen wegen des Wappens nicht einging: – die Verhandlungen waren mit dem Balken endgültig abgebrochen. Riza grämte sich fast mehr über den verschwundenen Balken als über die stets weiter entrückte Aussicht auf Heil und Segen. Allein ein weiches Gemüt, welches so tief in sich zu grübeln und zu schwärmen versteht, kann zwar unendlich elender werden als härter gebildete Seelen, es findet aber auch in sich oft dann noch heimliche Quellen des Trostes, wenn jene ganz erstarren und kalt verzweifeln müssen. So ward Riza jetzt plötzlich wie von einem himmlischen Morgenrot neuer Hoffnungen erleuchtet, als ihr mitten im bittersten Kummer die Legende ihrer Namensheiligen, Sankt Rizas, der Tochter Ludwigs des Frommen, einfiel. Die heilige Riza wohnte Koblenz gegenüber und ging jeden Morgen zur Castorkirche in die Stadt. Fand sich aber kein Fährmann, so schritt sie ruhig und gottvertrauend über die Fluten des Rheines und kam immer trockenen Fußes an das jenseitige Ufer. Als aber einmal das Wasser, vom Sturme gepeitscht, wogte und brandete, ward es ihr angst, und sie nahm einen Wingertspfahl vom Ufer, um sich im Wogengetümmel darauf zu stützen; doch je fester sie sich auf den Pfahl stützte, desto tiefer sank sie. Da, als ihr das Wasser schon zum Halse ging, warf sie den Pfahl hinweg und stützte sich wieder ganz allein auf den Stab ihres Glaubens, daß der Herr sie dennoch nicht versinken lassen werde, und die Wellen hoben sie wieder empor, und sie schritt wie eine Siegerin über die rollenden Fluten.

Riza – nicht die Heilige, sondern die Knebel von Katzenelnbogen – dachte: »Die Legende ist ganz besonders für mich geschrieben. Hinweg mit dem Balken, der mich trug und dennoch betrog! Ich habe mich bisher auf den Wingertspfahl des Menschenwitzes gestützt und bin immer tiefer gesunken. Mein Witz ist zu Ende. Und doch glaube ich nun erst recht, daß Gott mir helfen werde und daß ich das Opfer meiner Liebe nicht dem Geliebten zum Fluch gebracht habe. Jeden Morgen in die Kirche zu gehen, ist wohl löblich, aber die heilige Riza hätte auch einmal zu Hause bleiben können, wenn es so arg stürmte, und doch wehrte der Herr den Wellen, daß sie das Mädchen verschlängen, bloß wegen ihres Gottvertrauens. Mein Fall ist viel wichtiger, und die Flut tobt weit wilder noch: darum wird die heilige Riza mir, ihrer unheiligen Schwester, auch ein Stück ihres Glaubens geben, und wenn sie für sich den Weg über die Wellen erbeten konnte, so kann sie's auch für mich.«

In solchen Gedanken ward Riza wieder ruhig. Statt des verlorenen Wahrzeichens, statt ihres Balkens, hatte sie in der Legende ein neues tiefsinnigeres Zeichen gefunden. Und dessen bedurfte sie jetzt doppelt. Denn die Dinge standen in der Tat so schlecht, daß sie für ihre Liebe nichts weiter mehr tun konnte, als zu glauben und zu hoffen.

Während aber Riza schwärmte und Zeichen deutete, sann Adelheids männlicher Geist, wie sie aus der neuen Verwickelung neuen und greifbaren Vorteil für ihren Mann zöge. Von der zerschlagenen Helmzier sprach sie vorläufig gar nicht mehr; die Eselsohren waren ihr immer nur Mittel zum Zweck gewesen, und sie erblickte jetzt einen viel geraderen Weg für ihre Zwecke. Herr Eberhard Knebel hatte eigenmächtig den Brückengang zerstört; das durfte er nach Vertrag und Herkommen nicht: alle Bauveränderungen am Gesamthause mußten gemeinsam beschlossen und darum auch alle Baulasten gemeinsam getragen werden. Aber gerade dies war der stolzen Frau Adelheid in innerster Seele zuwider, daß sie sich für immer angekettet sah an diese Knebel, abhängig von ihnen, eingeschnürt in ihrem freien Willen, und nur darum hielt sie so eisern fest an dem bestrittenen Eselsohr, weil sie den Knebeln nicht zugestand, in solchen Dingen mitzureden. War doch diese Linie nicht einmal nachweislich verwandt mit den Kesselhuten! Sie führte nur den gemeinsamen Namen wegen der gemeinsamen Burgmannschaft, und nur als Mit-Ganerben auf Alt-Katzenelnbogen wie in dem Hause am Rhein konnten die Knebel den Kesselhuten in irgend etwas Einsprache tun. Jene »verdammten Verträge« über das Gesamthaus hatte Eberhard zu zerreißen begonnen, als er eigenmächtig den ersten Axthieb wider den Brückengang befahl. Also bestimmte Adelheid ihren Mann, daß er den einzigen Balken, welchen Eberhard stehengelassen, nun gerade seinerseits hinabwerfen ließ, zum Zeichen, daß auch er nach dem Willen des anderen Hausgenossen nichts mehr frage. Doch man mußte deutlicher reden; Herr Knebel hätte ja sonst meinen können, der Kesselhut habe nur das von ihm begonnene Werk freiwillig vollendet. Der Anlaß fand sich bald.

Ein junger Taugenichts, Dietmar von Haftel, trieb sich damals in der Gegend umher und war froh, wenn ihm eine oder die andere milde Seele zeitweilig einen sicheren Unterschlupf bot. Denn er hatte mehrere Ritter und Städte mit frechem Mutwillen geschädigt und deshalb hier und da Schläge zu erwarten, besaß auch keine Burg, in welcher er sich selbst hätte sichern können, sondern nannte außer seiner Frechheit, seinem Raufdegen und seinem alten Namen überhaupt nichts sein eigen und war also, alles zusammengenommen, ganz genau, was wir auf neuhochdeutsch einen adligen Lump nennen. Eberhard Knebel gehörte zu den Widersachern und Verfolgern dieses Dietmar; der alte Ritter von Biegen dagegen, Adelheids Vater, hatte ihm schon öfters – aus welchem Grunde, steht urkundlich nicht ganz fest – die Stange gehalten. Adelheid beredete darum ihren Mann, den Dietmar in das alte Haus aufzunehmen, und natürlich protestierte Eberhard sofort feierlichst und erklärte, das sei ein Bruch alles Rechtes und Herkommens, den er nicht dulde; denn keiner der beiden Hausgenossen dürfe einen Fremden aufnehmen gegen des anderen Wissen und Willen. Wiprecht ließ dagegen dem Knebel hinübersagen, Recht und Herkommen seien ja von ihm selbst zuerst aufgehoben worden, indem er den Brückengang eigenmächtig abgebrochen: er, Wiprecht Kesselhut, gehe jetzt nur auf dem Wege weiter, welchen ihm Herr Eberhard Knebel angezeigt.

So hatte Adelheid erreicht, was sie wollte; die Verträge waren beiderseits zerrissen, und nur der offene Kampf konnte noch entscheiden. Ein jeder verschanzte sich demnach in seinem Bau und sann auf Angriff und Gegenwehr.

Nun ritt Dietmar von Haftel einmal vors Tor, um frische Luft zu schöpfen. Heinz, der Sohn Eberhards, sah es, sprengte ihm nach, erreichte ihn und griff ihn wütend an: der Unheilstifter sollte fallen oder sich gefangengeben. Allein Dietmar, ein Raufer und Schläger ersten Ranges, bedeckte den jungen Hitzkopf mit so ungeahnten Püffen, daß dieser bald vom Angriff zur Verteidigung übergehen und sich zuletzt, aus drei Wunden blutend, dem Dietmar gar gefangengeben mußte, der ihn im Triumph zu seinem Freunde Wiprecht heimführte. Im alten Hause ward dann Heinz in festen Gewahrsam gesetzt als ein kostbares Unterpfand für den guten Ausgang der Fehde.

Kaum war die Unglückskunde in den neuen Bau gedrungen, so rief Eberhard auch schon alle seine Mannschaft zu den Waffen, um sofort das Tor des alten Hauses zu stürmen und den Sohn wieder zu befreien. Wiprecht hatte einen solchen allgemeinen Angriff schon lange erwartet und für diesen Fall eine Kriegslist vorbereitet, welche die rastlos helfende und schürende Adelheid ausgedacht. Er teilte nämlich seine Leute in zwei ungleiche Haufen und stellte den kleineren unter Dietmars Befehl zur Verteidigung des stark befestigten Tores; den größeren aber hielt er unter seiner eigenen Führung zurück. Als nun Eberhard mit all seiner Macht wider das Tor stürmte, fiel Wiprecht mit seiner Schar zur Hinterpforte aus, erkletterte auf bereitgehaltenen Leitern das obere Geschoß des neuen Baues und nahm die wenigen Leute, welche Eberhard zurückgelassen, gefangen. So sahen sich die Stürmenden am Tore des alten Hauses plötzlich aus den Fenstern ihrer eigenen Burg angegriffen und gerieten in einen Kreuzhagel von Steinen und Geschossen, der sie bald zum Rückzuge zwang. Allein in die eigene Burg konnten sie nicht wieder zurück; das von Wiprechts eingedrungenen Leuten wohlbewachte Tor sperrte ihnen jetzt um so sicherer den Eingang, je stärker es Herr Eberhard selbst befestigt hatte. Er war aus seinem Hause ausgeschlossen. Zwar versuchte er noch einen Angriff auf seine eigene Feste, doch umsonst. Er wollte dann wenigstens die Verbindung der beiden Häuser abschneiden, so daß Wiprecht nicht mehr in das alte Haus hätte zurückkehren können; hierzu war aber seine Mannschaft viel zu gering. Zähneknirschend mußte er abziehen und bei guten Freunden Hilfe suchen, indes ihm Wiprechts Leute von den Zinnen seiner eigenen Burg nachhöhnten, und sie hatten dazu noch die Blechhauben mit armslangen roten und weißen Eselsohren geschmückt.

Wiprecht nützte die kurze Frist, welche ihm Eberhards Abzug gönnte, um den hölzernen Brückengang zwischen dem Obergeschosse der beiden Häuser wiederherzustellen und dadurch eine gemeinsame Verteidigung des Gesamtbaues zu ermöglichen. Riza sah mit geheimer Freude, wie sich aufs neue verbindend die Balken fügten. So seltsam ist des Menschen Herz! Ihr alter Aberglaube an das gute Wahrzeichen gewann wieder Kraft, und obgleich das Spiel immer schlechter stand, klammerte sich ihre Hoffnung nur um so fester an den Strohhalm dieser Balken! Sie war Wiprechts Gefangene; doch ließ er sie ganz frei gewähren. Da sie aber fort und fort das alte Lied sang und ihn beschwor, auch jetzt noch die Versöhnung mit dem Vater zu suchen, so ging er ihr aus dem Wege. Aber auch bei ihm zeigte es sich, wie seltsam des Menschen Herz ist: obgleich er mit Adelheid im Vollgefühl des Sieges schwelgte, fühlte er sich doch elender als je, und obgleich er Riza mied und fürchtete, sehnte er sich doch insgeheim zurück nach der stillen, schüchternen Jugendfreundin. Wenn nur auch alles andere so still und friedlich wie damals gewesen wäre!

Nach wenigen Tagen geschah, was man hatte erwarten müssen: Eberhard, durch seine Freunde mit großer Macht verstärkt, rückte vor das Haus und begann es in aller Form zu belagern. Er fand verzweifelten Widerstand. Den hatte er aber vorausgesehen und demgemäß so zahlreiche Mannschaft herangezogen, daß das Haus dennoch fallen mußte. Die Besatzung war viel zu schwach, um sich auf allen angegriffenen Punkten dauernd mit gleichem Nachdruck verteidigen zu können.

Riza beobachtete aus ihrem Kammerfenster den wilden Kampf; aber noch wilder wühlte der Kampf in ihrem eigenen Herzen. Sie sah, wie Wiprecht am Tore des väterlichen Hauses gegen ihren Vater focht; sie sah, wie an dem anderen Tore Dietmar die Abwehr leitete und wie dort auch Adelheid mit Helm und Schwert unter den Streitern erschien. Die Belagerer drangen da drüben immer übermächtiger vor, sie gewannen die äußere Pforte, sie ließen die Zugbrücke über den Graben nieder; Dietmar floh, aber Adelheid befeuerte ihr kleines Häuflein aufs neue und trieb es vorwärts auf die Brücke. Dort entspann sich ein wirres Handgemenge, Adelheids Leute wurden niedergehauen oder ins Haus zurückgejagt; die Stürmenden schlugen dem Weibe, das allein nicht weichen wollte, die Waffe aus der Hand, rohe Knechte fielen über sie her und mißhandelten sie so empörend, daß Riza es nicht länger ansehen konnte. Sie warf nur noch einen Blick nach Wiprecht und dem Vater: dort stand eben der Kampf auf eine Weile still, als ob beide Parteien sich verschnaufen müßten. Da überwältigte sie ihr gutes Herz, und wenn sie schon diese Adelheid haßte mit der ganzen Glut gerechten Zornes, eilte sie doch auf den Brückengang und hinüber, um wenigstens der rohen Gewalttat zu wehren, welche ihres Vaters Leute an dem entwaffneten Weibe übten. Und es gelang ihr. Die Peiniger wichen betroffen zurück und brachten Adelheid ohne weiteren Mutwillen in guten Gewahrsam, indes gleichzeitig Rizas Bruder seines Kerkers ledig ward.

Während der kurzen Frist dieses Vorganges hatte sich aber auch am anderen Tore der Kampf unerwartet schnell entschieden. Das Tor ward erstürmt. Wiprecht floh fechtend in das Innere des Hauses, und obgleich sich Eberhard den jungen Mann ganz besonders zum Gegner ausersah und ihm gar zu gerne das zweite Eselsohr vom Helme heruntergeschlagen hätte, so verlor er ihn doch im Gedränge. Es glückte Wiprecht, den oberen Stock zu erreichen; die Niederlage Dietmars war ihm noch unbekannt, darum eilte er zu dem Brückengang: dort konnte er sich gegen Dutzende wehren, Dietmar konnte ihm Hilfe bringen. Aber an der Pforte des Ganges ward er hinterrücks von jenen Leuten Eberhards überfallen, die er selber bei seinem Überfall des neuen Baues jüngst zu Gefangenen gemacht. Sie hatten sich während des Sturmes befreit, und Wiprecht war die erste Beute, welche ihrer Wut unter die Hände kam. »Er hat unseren Ritter aus seinem Hause geworfen«, brüllte einer, »werft ihn jetzt wieder hinaus, wo er damals hereingestiegen ist.« Die anderen jubelten Beifall, schleppten Wiprecht auf den Brückengang und warfen ihn hinab in den Graben.

So hatte Riza die Adelheid gerettet und darüber ihren Wiprecht verloren; wäre sie nicht gar zu großherzig gewesen und vorhin stehengeblieben, wo sie stand, so würde es wohl umgekehrt gegangen sein.

Zwar lebte Wiprecht noch, als man ihn aus dem Graben hob, allein es schien nicht, daß er den Tag überdauern werde. Riza taumelte umher wie eine Fieberkranke, sie verstand die Siegesfreude der Ihrigen nicht, noch den Ärger derselben, daß gerade der Hauptspitzbube, daß Dietmar von Haftel allein entkommen sei; sie hatte nur einen klaren Gedanken: sie wollte bei Wiprecht sein, ihn pflegen, ihn retten, und wenn sie selber ins Grab steigen müßte, um ihn bei dem unerbittlichen Tode auszulösen. Mit großer Mühe erlangte sie's endlich von ihrem Vater, daß sie dem sterbenden Manne in seinen Schmerzen beistehen durfte. In sinnloser Hast wollte sie geradeaus über den Brückengang zum alten Hause eilen, denn man hatte Wiprecht dorthin gebracht. Aber sie prallte zurück, als sie den Fuß auf die Balken setzte: die Brücke, an welche sich ihr Hoffen so abergläubisch klammerte, stand wieder fest wie vordem, und – Wiprecht war von den Balken, die er selber neu gefestet, in den Abgrund gestürzt worden! Riza konnte nicht über die gräßliche Brücke gehen; sie wankte auf dem Umwege die Treppe hinab.

Wiprecht lag in einer schweren Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam und Riza neben dem Bette sitzen sah, blickte er sie lange mit mildem Auge an, und als sie endlich fragte, wie es ihm gehe, erwiderte er: »Gut und besser als seit Jahr und Tag, denn die wüste Geschichte mit den Eselsohren ist zu Ende. Ich will jetzt wieder ruhig werden und deinen Friedensworten folgen und Adelheid muß es gleichfalls, sie mag wollen oder nicht.«

Riza merkte mit heimlichem Schauer, daß Wiprecht doch nicht ganz bei klaren Sinnen sei und daß er nicht ahne, wie nahe der Tod an seinem Lager stand. Sollte sie ihn an das Ende mahnen? Es war kein Priester zur Hand; sollte sie ihn vorbereiten und seine Beichte hören? Aber was er eben gesprochen und in noch tieferen, verwandten Worten weiter sprach, das war ja auch eine Beichte! Und sie dachte, wenn er mit so guten Gedanken hinüberschlummere, nicht ahnend, daß er eben jetzt sterben müsse, so sei das auch gut gestorben und besser, als wenn er sich mit Todesgedanken martere; sei er einmal wirklich tot, dann werde er auch schon frühe genug erfahren, daß er gestorben sei.

Aus allen Reden des Sterbenden leuchtete aber hervor, wie lieb er Riza doch immer im stillen Sinne gehabt und wie die Einkehr bei ihr ein echteres Glück ihm geboten als der Rausch des Ehrgeizes, welchen er mit Adelheid durchgeschwärmt. Es war ein verhülltes, unbewußtes Liebesgeständnis ganz eigener Art, so dämmernd, wie auch Rizas zagende Liebe lange Zeit gewesen war.

Rizas Liebe hatte ihr Zagen sieghaft überwachsen, als es zu spät war und Wiprecht bereits an Adelheids Hand dem Untergang entgegenstürmte; Wiprechts Liebe sprach sich zum erstenmal deutlich aus, als seine halbwache Seele bereits zum Tode hinüberträumte.

Und dennoch war diese Aussprache deutlich. In letzten und höchsten Nöten fallen oft plötzlich die Schleier unseres Geistes, und was jetzt in Wiprechts Worten sich kundgab, das war seines innersten Wesens eigenster und bester Teil.

Aber auch der Jungfrau fielen endlich die Schuppen von den Augen, und indes Wiprecht laut beichtete, legte sie sich eine ganz neue Beichte im stillen ab. Nur war dieses ihr Selbstgeständnis unendlich schmerzhafter. Denn während Wiprecht eben seine Schuld mit der baren Sühne des Todes büßte, gab ihm die Gnade des unsichtbaren Richters Linderung in dem klaren Wiedererfassen des verlorenen Glückes; Riza dagegen erkannte um so schmerzvoller ihre Schuld, je seliger sie andererseits das Bewußtsein machte, daß ihre stille Liebe nun doch den Sieg der stillen Gegenliebe gewonnen. Ganz außerordentliche Dinge gingen ihrem Verstande auf, und doch waren es nur Dinge, die ein gewöhnlicher Mensch längst mit Händen gegriffen hätte. Sie hatte vordem sich selbst erforscht bis zur Vernichtung alles Selbstvertrauens, aber die anderen Menschen, die Welt hatte sie nicht erforscht, und so stürzte sie sich und ihren Geliebten doch nur ins Elend durch ihre qualvolle Selbsterkenntnis. Jetzt erst sah sie ein, daß man einen ungestümen jungen Mann nicht so unterderhand lieben und leiten könne von der Ferne her – und sei es auch nur auf zwanzig Fuß über eine hölzerne Brücke hinüber –, vorab wenn eine Frau wie Adelheid ihm zur Seite stand. Ihr gutes Herz war überall voran gewesen, darum war die kluge Tat überall zu spät gekommen. Sie hatte ihr Glück geopfert, um den geliebten Mann glücklicher als glücklich zu machen, und in der Schwärmerei dieses Gedankens hatte sie den süßen Schmerz des Opfers ertragen gelernt. Jetzt zerrann diese Schwärmerei wie ein Nebel, die Wahrheit stand vor ihrem Auge: sie waren beide gleich elend geworden. Wäre Wiprechts Sterbestunde nicht doch so schön gewesen, verklärt von dem Schimmer der Liebe, so würde sie den Schmerz ihres Opfers nicht ertragen haben. Jetzt aber war ihr diese bittere Stunde selbst wie eine unverdiente Gnade; sie hätte die Stunde festhalten mögen für immer, aber die Stunde lief ab: Wiprecht starb, indem er, Adelheids und der Eselsohren gänzlich vergessend, ein neues Leben der Liebe und des Friedens glaubte wiedergewonnen zu haben.

Als Riza noch weinend bei der Leiche saß, trat Adelheid ins Zimmer. Sie ergriff Riza bei der Hand und blickte dem Toten lange schweigend in das versöhnte Antlitz; ihr Auge blieb trocken, doch in ihren Zügen arbeitete es mächtig. Endlich sprach sie zu Riza: »Das Recht stand auf unserer Seite, das Glück auf der Seite deines Vaters. Ich habe getan, was ich mir und meinem Manne schuldig war!«

Mit diesen Worten verließ sie das Gemach, ohne Zweifel vor sich selbst gerechtfertigt, indes die arme Riza, von Selbstanklagen übermannt, zurückblieb.

Adelheid ging später in das Kloster Rupertsberg und ward Nonne. Was hätte sie auch anders tun sollen? Ihre Rolle war ausgespielt, also trat sie ab von der Bühne.

Riza dagegen, welche ihr Vater so oft schon eine Nonne genannt, die man einzukleiden vergessen, blieb starken Mutes zu Hause. Sie sprach, als sie von Adelheids Schritt Kunde bekam: »Es wäre mir zwar auch bequem, ins Kloster zu gehen, denn ich leide an einem Herzfehler und gedeihe darum nicht recht in dieser Welt. Ein Arzt erzählte mir, es gebe Leute, die ein zu großes Herz haben, so groß, daß es zuletzt alles andere überwuchert und dem armen Kranken bis zum Halse herauf schlägt. Diese Krankheit scheint auch mir angeboren zu sein. Allein sie ist unheilbar; also suche ich auch nicht das Spital eines Klosters. Ich will bei meinem Vater bleiben, der meiner Pflege für seine alten Tage bedarf.«

Das tat sie denn auch; und Leute, die ihr stilles, liebevolles Walten gesehen und dazu auch etwa ahnten, was sie alles verschwiegen in der Seele trug, sagten, es sei fast schade, daß es schon eine alte heilige Riza gebe; säße die nicht fest auf ihrem Platze, so könnte man auch die Riza Knebel von Katzenelnbogen zur heiligen Riza machen, obgleich sie nicht ins Kloster gewollt, sondern sich lediglich aus dem profanen Grund wie eine Büßerin quäle, weil sie bei der Brautwerbung eines heißgeliebten Mannes sich nicht getraut habe, Ja zu sagen.


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