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Wenn heute ein Maler oder Bildhauer den Auftrag erhielte, die höchste Blüte des Kunstgewerbes in einer weltbekannten historischen Porträtgestalt versinnbildet darzustellen, so würde er sich gewiß nicht lange besinnen, welchen Mann er wählen solle. Er würde den Benvenuto Cellini wählen, den Florentiner Goldschmied, der von 1500–1572 sein abenteuerndes Leben führte, der sich das Einhorn, das einzige, fabelhafte Tier zum Emblem erkor, Benvenuto, dessen Name sprichwörtlich, dessen Name zur Sage geworden ist.
Vor 50 Jahren konnte man noch leicht erklären, wodurch Benvenuto Cellini so unvergleichlichen Ruhm gewonnen habe.
Wenn uns damals der glückliche Besitzer einen schönen, in Gold tauschierten Harnisch des 16. Jahrhunderts zeigte, so war er von Benvenuto Cellini, und wäre der Harnisch auch ganz klar aus dem 17. Jahrhundert gewesen, so war er doch von Benvenuto Cellini.
Bot der Händler einen Nürnberger in Silber getriebenen Pokal zum Kaufe an, so mußte er von dem großen Florentiner sein, denn er war reich und originell gearbeitet, und legte der Sammler einen Prälatenring des 15. Jahrhunderts daneben, der zwar sehr dick, aber weder reich noch originell war, so mußte man doch seine Schönheit bewundern, weil ihn Cellini unverkennbar gemacht hatte. Jedenfalls war er weit schöner als ein andrer Ring, der eigentlich zehnmal schöner war, von dem man aber nicht behauptete, daß er aus Cellinis Werkstatt hervorgegangen sei.
Ganz besonders wurde jedes recht seltsam phantastische Werk italienischer Kleinkunst der Hochrenaissance, welches man nicht zu deuten und nirgends unterzubringen verstand, dem Benvenuto zugeschrieben; denn welcher andre hätte so schönes tolles Zeug machen können?
Es wimmelte in öffentlichen und Privatsammlungen von Werken dieses Meisters, bei denen man zwar nicht beweisen konnte, daß er sie gemacht, aber auch nicht beweisen konnte, daß er sie nicht gemacht habe. Beweis genug, daß sie von ihm sein mußten.
Da trat die böse moderne Kritik dazwischen, prüfte, zweifelte, fragte nach Urkunden und strich Stück für Stück aus der Liste der erwiesen echten Benvenutos, und von den Werken des Meisters, der so erstaunlich viel geschaffen hat, ist zuletzt erstaunlich wenig übriggeblieben.
Unzweifelhaft echte, heute noch erhaltene kunstgewerbliche Arbeiten Benvenuto Cellinis sind:
Das silberne Salzfaß, jetzt zu Wien in der Ambraser Sammlung, und mehrere vorzüglich geschnittene Medaillen. Manche Kenner werden auch noch den Prachtschild in Windsor-Castle beifügen.
Hierzu gesellen sich als unzweifelhaft echte, heute noch erhaltene, rein künstlerische Werke:
Der eherne Perseus in der Loggia dei Lanzi und die Erzbüste Cosimos I., beide in Florenz; sodann das Erzrelief der sogenannten Nymphe von Fontainebleau im Louvre.
Dies ist alles.
Ich will hiermit aber keineswegs bestreiten, daß nicht auch noch andre Werke des berühmten Florentiners erhalten seien: ihre Echtheit ist nur nicht erwiesen. Ich will niemand, der sich im Besitze eines echten Benvenuto glaubt, seine Freude verderben. Nur scheint mir das wenige Unbestrittene so wenig zu sein, daß sich daraus kaum der überragende Ruhm Benvenuto Cellinis erklärt, welcher ihn über alle andre Meister des Kunstgewerbes erhebt und seinen Namen weltbekannt und sprichwörtlich gemacht hat, sagenhaft wie das sagenhafte Tier, welches er sich zum Sinnbilde erkor, – das Einhorn.
Wenn wir aber nur sehr wenige Werke des Meisters aus eigener Anschauung kennen, so wissen wir um so mehr von seiner Person. Diese steht leibhaftig vor uns, sie ist der ganzen gebildeten Welt genauer bekannt und vertraut als die Persönlichkeit irgend eines andern Kunsthandwerkers alter und neuer Zeit. Die Person überragt, trägt, ja ergänzt die Werke, und die Bedeutung Cellinis für unsre Zeit ist darum weit weniger eine kunstgeschichtliche als eine kulturgeschichtliche.
Werfen wir einen flüchtigen Blick auf den seltenen und seltsamen Mann.
Schon seine Vielseitigkeit erhebt ihn weit über den bloßen Handwerker. Er war Goldschmied und Medailleur, schuf aber auch plastische Werke des monumentalen Stils und rühmt sich, ein Schüler des großen Michel Angelo zu sein. Als Musiker blies er das Horn, war aber auch Artillerist, Ingenieur und nicht zuletzt Schriftsteller sowohl in erzählender wie in abhandelnder Prosa, nebenbei auch Poet, der in Sonetten und Terzinen dichtete.
Mit höchsten Herrschaften hat der Florentiner Goldschmied viel und nahe verkehrt: mit dem Könige von Frankreich, mit Päpsten und Kardinälen, Herzogen und Herzoginnen, Prinzen und Prinzessinnen. Er weiß sich in ihrer Gunst zu sonnen, er versteht ihnen aber auch zu widersprechen und zu trotzen.
Vom Laster der Bescheidenheit war er völlig frei; dafür besaß er einige andre Laster. Er war ausschweifend, gewaltthätig, rachsüchtig, im Jähzorne mit Dolch und Degen gleich zur Hand. Hätte Benvenuto in unsern Tagen so gelebt, wie er vor drei Jahrhunderten gelebt hat, so würde er zum öftern auf der Anklagebank des Schwurgerichts erschienen sein.
Und doch war er eine groß und ideal angelegte Natur; seine Schwächen sind häufig die seines stürmisch leidenschaftlichen und doch so kunstgesättigten Zeitalters, dessen Glutsonne uns heute noch erleuchtet und blendet.
Bei den Zeitgenossen verdankte Benvenuto seinen Ruhm seinen künstlerischen Werken; daß aber sein Name in der Nachwelt dauernd und allgemein – weit über die Kunstkreise hinaus – berühmt blieb, verdankt er zumeist seiner Selbstbiographie. Er weiß so schön zu erzählen, er weiß so schön zu prahlen, er weiß so schön zu lügen. Seine Biographie liest sich wie ein spannender Roman, dem nichts fehlt als der planvolle Aufbau, und der fehlt heute so vielen Romanen, daß ihn die wenigsten Leser vermissen; sie liest sich wie ein kulturgeschichtliches Sittenbild, das in den wundersamen Erlebnissen des Helden unvermerkt ein ganzes, farbenreiches Zeitgemälde gibt. Man hat den Stoff zu Romanen und Novellen, Dramen und Operntexten aus dieser Biographie geschöpft.
Durch Goethes Uebersetzung kam dieselbe in die Hausbibliothek jedes gebildeten Deutschen. Solches Glück hat kein andrer Kunsthandwerker jemals gehabt! Unsre Künstler wollen heute nicht mehr viel von den »Kunstschreibern« wissen; sie meinen, wenn denn doch einmal über Kunst geschrieben werden müsse, so brachten das die Künstler selbst am besten fertig. Allein der Band »Benvenuto Cellini« in Goethes »Sämtlichen Werken« zeigt doch, daß ein Kunstschreiber mitunter auch einem Künstler recht nützlich sein kann.
Cellinis Person würde aber niemals so stark in den Vordergrund getreten sein, wenn er bloß Kunsthandwerker und nicht auch zugleich Künstler gewesen wäre. Und er wollte Künstler sein und betonte dies sehr ausdrücklich. Darin liegt ein bedeutsames Zeichen seiner Zeit.
Die Italiener feiern Benvenuto als einen Herold ihres nationalen Ruhmes in der glänzendsten Epoche italienischer Kulturblüte. Sie werden es darum ganz natürlich finden, daß sein Name in aller Welt typisch geworden ist für die höchsten Leistungen des Kunstgewerbs.
Müssen wir Deutsche ebenso sprechen? Haben wir denn nicht auch einen ebenbürtigen Namen aus der bahnbrechenden Zeit der Renaissance aufzuweisen?
Ich glaube, unser Peter Vischer kann doch mit dem berühmten Florentiner in die Schranken treten. Die zahlreichen Werke, welche wir heute noch von Vischer besitzen, übertreffen an künstlerischem Gehalte und an Adel der schönen Form weitaus den Perseus in Florenz samt der Nymphe in Paris und dem Salzfaß in Wien. Hätten wir auch nur noch das einzige »Sebaldusgrab« Vischers in Nürnberg, so würden wir doch sagen müssen, daß uns Cellini Ebenbürtiges nicht entfernt hinterlassen hat.
Allein wenn wir noch vieles von Vischer besitzen, so wissen wir um so weniger von seiner Person. Wir wissen nur, daß er freundlich mit jedermann zu sprechen pflegte und ein echt deutsches Familienleben führte; denn seine fünf Söhne wohnten, wie Johannes Neudörfer berichtet, mehrenteils in seinem Haus mit ihren Frauen und Kindern. Wenn Fürsten nach Nürnberg kamen, dann besuchten sie den Meister in seiner Gießhütte, wo er wohl vor ihnen gestanden haben mag als der Handwerker, mit dem Schurzfell und dem Lederkäppchen, wie er sich selbst auf seinem Sebaldusgrabe dargestellt hat. Wenn er uns nur irgendwo Nachricht hinterlassen hätte, wie weit er selbst als erfindender Künstler an seinen großen Gußwerken beteiligt war! Er würde dann den Gelehrten des 19. Jahrhunderts viel Mühe und Streit erspart haben. Cellini strich seine Künstlerschaft kräftigst heraus; Vischer ließ sich's genügen, ein Nürnberger Rotgießer zu sein.
Wem aber Vischer zu alt ist, halb Gotiker, halb in den Anfängen der Renaissance stehend, der nehme zur Parallele mit Benvenuto unsern kunstreichsten Goldschmied Wenzel Jamnitzer, der, von 1508-1588 lebend, aufs genaueste ein Zeitgenosse des berühmten Florentiners war. Von ihm wissen wir noch viel weniger als von Vischer, nahezu gar nichts, und seine höchste Auszeichnung bildete der Titel eines »Goldschmieds Seiner Kaiserlichen Majestät«. Man sieht, unsre beiden deutschen Meister bieten nicht den geringsten Stoff zu Romanen und Operntexten.
Diese kleinen Thatsachen umschließen eine Fülle kulturgeschichtlicher Gegensätze, sie bezeichnen den Wendepunkt einer neuen Zeit, die in Italien früher anbrach als in Deutschland. Der Handwerker war namenlos, der Künstler wird namhaft. Die Persönlichkeit des Handwerkers versank hinter seinen Arbeiten, die Kunstgebilde werden erst recht individuell lebendig durch die Person des Künstlers.
Die Renaissancezeit stellte Namen und Lebensgeschichten der Künstler in einer Weise in den Vordergrund, die das Mittelalter nicht gekannt hatte, und mit den Künstlern beginnen auch Kunsthandwerker namhaft zu werden, – zunächst in Italien. Ein neuer Bund von Kunst und Handwerk hebt an, und dieser neue Bund ist allerdings durch Benvenutos ganze Erscheinung versinnbildet und nicht durch Vischer oder Jamnitzer. Und so war in der That die Selbstbiographie das wichtigste und dauerhafteste Werk, das der Florentiner geschaffen hat.
Ich unterscheide einen dreifachen Bund zwischen Kunst und Handwerk: den ältesten im Mittelalter, den alten in der Renaissance und den neuen in der Gegenwart, und will die beiden älteren Phasen dieses Bundes kurz charakterisieren, um gründlicher zur jüngsten überzugehen, – zum modernen Benvenuto Cellini.
Die mittelalterigen Künstler waren Handwerker, die sich unter Umständen zu den höchsten Kunstleistungen aufschwangen. Sie bildeten Zünfte, stiegen vom Lehrling zum Gesellen und Meister auf, und blieben namenlos, wie die Baumeister so manches herrlichen Domes. Bei späteren Malern und Bildschnitzern kennen wir zwar öfters die Namen, wissen aber wenig oder nichts von den Persönlichkeiten, die dahinter stecken, und schreiben ihnen dieses oder jenes Werk nur durch stilistische Hypothesen zu.
Das Kunstgewerbe blühte im Mittelalter, weil es Handwerker gab, die Künstler waren.
Die Renaissance zeigt ein andres Bild, zunächst in Italien. Sie bringt die Emancipation der Künstler vom Handwerk.
Raphael, Michel Angelo, Tizian waren keine zünftigen Handwerker mehr, sondern freie Künstler und vornehme Leute obendrein. Zugleich aber bemühten sich begabte und ehrgeizige Handwerker, wie eben der Goldschmied Cellini, an dem Schaffen der Künstler teilzunehmen, ohne daß sie den Boden des Gewerbes ganz verließen. Und auch die vornehmen Künstler dünkten sich nicht zu vornehm, um gelegentlich Kunstgewerbliches zu zeichnen und zu modellieren. Da es noch keine Aesthetik gab, so unterschied man überhaupt nicht prinzipiell zwischen Kunstwerken und Produkten des Kunstgewerbes. Das Streben nach der schönen Form saß den Menschen im Blut, und in diesem ebenso leidenschaftlichen als naiven Streben schloß sich ein neuer Bund zwischen den Künstlern und den Handwerkern, die nunmehr unterschieden, aber nicht geschieden waren.
Der Bund löste sich auch nicht in der Zeit des Barock, des Rokoko und des Zopfes, allein er lockerte sich allmählich, und die Hofmaler und Akademieprofessoren des 18. Jahrhunderts wollten vom Handwerk nichts mehr wissen, obgleich sie doch zuletzt noch in handwerklicher Kleinkunst weit Genießbareres leisteten als im hohen Stil.
Die ersten Decennien unsres Jahrhunderts brachten einen mächtigen Aufschwung der idealen Kunst. Wir Deutsche denken hierbei vorzugsweise an den größten deutschen Maler der Epoche, an Peter Cornelius, und benennen sie wohl kurzweg nach demselben. Die Maler und Bildhauer der neuen Richtung suchten nach großen Stoffen der Weltgeschichte und Weltlitteratur, sie rangen nach erhabenen Gedanken und einfach großen Formen, sie mißachteten die technisch feine Durchbildung in Form und Farbe als einen Rückfall zur Zopfkunst, sie lösten den Bund von Kunst und Handwerk.
Die großen Meister der Renaissance hatten sich nur social vom Handwerk emancipiert; jetzt suchte der Künstler im Stolz seiner einsam erhabenen Stellung auch die ästhetische Emancipierung von allem Handwerklichen.
Durch die Verarmung in den Revolutions- und Kriegsjahren war das Kunstgewerbe arm und klein geworden; setzt es doch für seine Blüte allezeit Reichtum und das Bedürfnis des Luxus voraus. Dazu kam, daß es nun auch von oben herab, von der Aristokratie der Künstler, keine Befruchtung fand. Die glänzende Periode eines neu aufsteigenden selbstbewußten Künstlertums war zugleich die traurigste Zeit des gedrückten und verkümmernden Kunstgewerbes, zumal in Deutschland. Bei den reicheren Franzosen stand es besser, und so kam es, daß der Deutsche, welcher sein Schloß oder sein Haus geschmackvoll ausstatten wollte, Geräte und Schaustücke aus Paris bezog.
Unsre heutigen Künstler nennen die zwanziger und dreißiger Jahre die »Biedermeierzeit«: eine höchst ungerechte Benennung, wenn man aufs Ganze, wenn man auf die epochemachenden künstlerischen Genien jener Jahrzehnte blickt, Beethovens neunte Symphonie und Missa Solennis, Webers Freischütz und Euryanthe, welche damals entstanden, klingen doch nicht besonders biedermeierisch; Heine und die romantischen Lyriker waren doch keine Biedermeier; in den gewaltigen Fresken von Cornelius, in Schinkels »Entwürfen« und Klenzes Walhalla wird man eher alles andre als »Biedermeierei« finden.
Allein die bürgerlichen Wohnhäuser, die Stühle und Tische, die Oefen und Tapeten, die Röcke der Herren und die Hüte der Damen waren biedermeierisch. Der zweite Teil von Goethes Faust, welcher damals erschien und doch auch ein geniales Buch ist, erhielt vom Buchbinder den nüchternsten und philisterhaftesten Einband und ist in dieser Form ein wahres Sinnbild seiner Zeit.
Während damals kein Mensch ans Kunstgewerbe dachte, wenn er den künstlerischen Geist der Periode ermessen wollte, denken heute unsre Künstler zuallererst daran. Gewöhnt, die virtuose Technik beim Kunstwerk zuerst ins Auge zu fassen und nach dem Gedankengehalte zuletzt, vielleicht auch gar nicht zu fragen, nehmen viele die Blüte oder den Verfall des Kunsthandwerks zum Wertmesser für den »Geschmack« einer ganzen Kunstperiode.
Es schien vor 60 Jahren – in der »Biedermeierzeit« –, als gehöre das deutsche Kunstgewerbe zu den »verlorenen Künsten« wie vordem die Glasmalerei.
Allein unvermerkt bereitete sich damals schon der neueste Bund von Kunst und Handwerk vor. Nur ging der erste Anstoß hierzu nicht von den Handwerkern aus, sondern von den Künstlern, er vollzog sich nicht von selbst, gleichsam unbewußt und ungewollt, wie in alten Tagen, sondern aus klar bewußter Selbsterkenntnis und nicht ohne Mitwirkung der Kunstgelehrten. So ward er zu einer auszeichnenden Signatur der Gegenwart.
Ich will zunächst die Anfänge dieses neuesten Bundes schildern und schöpfe dabei größtenteils aus den Quellen persönlicher Erinnerung.
Ludwig Schwanthaler gilt heute als ein Hauptvertreter jener klassischen Richtung, von welcher unsre Künstler behaupten, daß sie mehr akademisch als frei schöpferisch gewesen, mehr der Schule als dem Leben entsprossen sei und ein verjüngtes Aufstreben des Kunstgewerbes mehr gehemmt als gefördert habe. Allein Schwanthaler, der monumentale Meister, hatte doch bereits eine stille Herzensneigung für die Kleinkunst und das Kunstgewerbe. Obgleich Bildhauer, hat er uns eine so große Menge von Zeichnungen hinterlassen, wie kaum irgend ein Maler. Es sind tausende von Entwürfen und Skizzen aus allen Perioden seines Lebens, von der Zeit, da er noch Schlachtenmaler werden wollte, bis zu seinen letzten Tagen. Unter diesen Blättern, welche die Geschichte seines geheimsten Schaffens erzählen, und zu deren Betrachtung man Tage braucht, befinden sich auch kunstgewerbliche Entwürfe, die niemals ausgeführt wurden. So stattete er auch seine »Humpenburg«, den traulichen Raum, wo er abends mit Freunden vergnügt war, mit allen möglichen altertümlichen Gefäßen und Geräten aus und gedachte das Gleiche später bei seiner Burg Schwaneck zu thun. Auch das Mittelalter war seine stille Liebe. Und das Mittelalter, wo die größten Künstler Handwerker waren, zieht ebenso unwiderstehlich zum Kunstgewerbe wie die Renaissance, wo die großen Handwerker trachteten, Künstler zu sein. Zum Geschenk für einen Freund, den Kupferstecher Amsler, modellierte Schwanthaler einen schönen gotischen Pokal, und Aehnliches mag sich auch sonst noch im Privatbesitze finden. Er entwarf einen reich geschmückten Schreibtisch für König Ludwig I.
Viele wunderten sich damals, wie der Schöpfer der mächtigen Statuengruppen der Walhalla dem Tischler und Holzschnitzer vorarbeiten möge. Allein schon einer seiner frühesten größeren Aufträge war ein silberner Tafelaufsatz für König Max Joseph gewesen. Es ist ein Unglück für viele bedeutende Meister, daß man sie nur nach der Schablone ihrer Hauptwerke beurteilt. Die Gestalten der tonangebenden Künstler schablonieren, heißt dann – Kunstgeschichte schreiben.
Die Keime des modernen Kunstgewerbes schlummerten bereits in der Corneliusschen Zeit; sie mußten nur geweckt werden.
Moriz von Schwind, der ideale Romantiker, zeigte die Fülle seines Humors und seiner Phantasie sehr frühe schon in radierten Blättern, welche Pokale darstellten, die man reizend in Silber hätte schmieden können, und Pfeifenköpfe, die sich wunderschön in Meerschaum schneiden ließen. Die Pfeifenköpfe des Malers begeisterten den Dichter Feuchtersleben zu anmutig sinnreichen Versen, was andre Pfeifenköpfe jener Zeit schwerlich vermocht hätten. In stillen Abendstunden liebte Schwind kunstgewerbliche Entwürfe aufs Papier zu bringen, Entwürfe zu Lampen und Krügen, Tafelaufsätzen und Notenpulten, Thürklopfern und Schloßbeschlägen, Schachfiguren und Briefbeschwerern. Waren sie auch manchmal wunderlich, so steckten doch immer Gedanken darin. Ueber den Text, daß auch ein Schlosser oder Drechsler vorab Gedanken haben müsse, wenn er etwas Schönes machen wolle, pflegte Schwind wie ein Buch zu sprechen, ja wohl besser als ein Buch. Und doch war auch er aus der Schule von Cornelius hervorgegangen, die sich sonst um Schlosser und Drechsler nicht viel kümmerte.
Als im Jahre 1842 das große Kölner Dombaufest gefeiert worden war, modellierte der Architekt und Bildhauer Ludwig Foltz Bierseidel aus Steinzeug mit gotischen Ornamenten und Figuren zur Erinnerung an die schönen Tage. Diese »Dombaukrüge« wurden überall gekauft und weckten den Gedanken, daß in alten Zeiten noch viel schönere Seidel und Krüge – von den »Bartmannskrügen« bis zu den »Apostelkrügen« und »Kurfürstenkrügen« – aus dem gleichen unverwüstlichen und doch so billigen Material verfertigt worden waren. Und die überreichen Fundgruben des edeln Thons lagen ja nicht gar weit von Köln, bei Raeren und Frechen, bei Höhr und Grenzhausen. Aber die alte Kunstfertigkeit war erloschen und hatte rohem Handwerk Platz gemacht. Doch nun begann eine förmliche Agitation zur Neubelebung der verlorenen Kunstfertigkeit: man brachte gute alte Vorbilder zusammen, gründete technische Schulen, der Staat förderte das neue kunstgewerbliche Treiben, welches in Grenzhausen und anderswo allmählich wieder aufblühte. Selbst Männer der Wissenschaft schrieben anspornende Zeitungsartikel für die verachtete »Krugbäckerei«. Aber unter den ersten, welche den praktischen Anstoß gegeben, stand doch ein Künstler, der ein Schüler Schwanthalers war.
Im Jahre 1848 sollte die königliche Porzellanfabrik zu Nymphenburg zu neuem Aufschwung gebracht werden, und zum Direktor wurde – Eugen Neureuther ernannt. Man staunte darüber. Neureuther, der sinnige Arabeskenzeichner, der Illustrator Goethes, hatte sich niemals mit Töpferei befaßt. Allein gute Teller und Tassen waren bisher schon in Nymphenburg gemacht worden, nun sollten die Teller und Tassen auch schön werden, und dazu brauchte man einen Künstler von seinem Formgefühl.
Man staunte, als August Kreling, der Historienmaler, welcher bei Cornelius, und der Bildhauer, welcher bei Schwanthaler gelernt hatte, zum Reorganisator der Nürnberger Kunstgewerbeschule berufen wurde. Allein Kreling leistete als vorzüglicher Direktor in Lehre und Vorbild mehr, als er je zuvor als Historienmaler und Plastiker geleistet hatte. Indem er die Schule verjüngte, verjüngte er sich selber als Künstler durch die Berührung mit dem Handwerk.
Man pflegt gewöhnlich das Aufblühen des modernen deutschen Kunstgewerbes im schroffen Gegensatz zur vornehm sich abschließenden idealen Kunst der Corneliusschen Schule zu fassen. Der Gegensatz war da, aber auch die Vermittelung. Gerade im Streben nach den höchsten Kunstidealen erkannten die jüngeren Künstler jenes Kreises, daß ihnen doch noch etwas fehle von der Frische und Naturkraft der deutschen und italienischen Meister des 16. Jahrhunderts. Und sie ahnten allmählich, daß jene Frische, jene Freiheit von akademischem Wesen zum guten Teil in dem alten Bunde von Kunst und Handwerk begründet gewesen sei. Dieses Ahnen führte zur Erkenntnis, und die Erkenntnis zur That.
In München bestand ein Kunstgewerbeverein, in dem beim Beginn der neuen kunstgewerblichen Aera Künstler den Ton angaben. Sie zogen die Handwerker heran, bis sich der Unterschied des künstlerischen Handwerkers und des gewerbefördernden Künstlers nach und nach ausglich.
Ein fröhlicher Wettkampf belebte den Verein. Es wurden Aufgaben gestellt, wer den schönsten Stuhl, den phantasievollsten Ofen, das sinnreichste Uhrgehäuse zeichnen könne. Historienmaler und Bildhauer rangen mit Handwerkern um den Preis. Junge Talente dieser Kunstweise wurden förmlich entdeckt. Man veranstaltete im engsten Kreise kleine Ausstellungen von alten Meisterstücken und neuen Versuchen. Eine Kunstgewerbezeitung wurde gegründet und reich mit Musterbildern ausgestattet. Zu den anregenden Diskussionen der Vereinsabende gesellten sich Vorträge von Kunstgelehrten, und es ergab sich bald ein freundliches Zusammenwirken von Kunst und Wissenschaft. Die Vorliebe für die Renaissance wäre nicht so leidenschaftlich erwacht, wenn man nicht in ihr die herrlichste Blütezeit des Kunstgewerbes erkannt hätte. Und die Kunstforscher gingen hierbei Hand in Hand mit den Künstlern.
Die Kunstgewerbeschulen mehrten und erweiterten sich, und mancher echte Künstler hat seitdem sein schöpferisches Talent zuerst in einer solchen Gewerbeschule bekundet.
Im Jahre 1876 wurde auf einer Versammlung von Künstlern und Kunstgewerbetreibenden in München beantragt: jeder junge Künstler solle zwei Jahre lang eine Kunstgewerbeschule besucht haben, bevor er in eine Kunstschule aufgenommen werden dürfe. Welcher Umschwung gegen eine kaum vergangene Zeit! Der Antrag ging zwar nicht durch, war aber von höchst gewichtigen Stimmen unterstützt und umschloß in übertriebener Form doch einen treffenden Gedanken, welchen ich in die Worte fassen möchte: Ein jeder Jünger der Kunst, dessen nachhaltige Begabung nicht klar erwiesen ist, sollte ein paar Jahre die Kunstgewerbeschule besuchen. Dort wird sich's zeigen, wie weit seine Kraft reicht, und ob er beim Kunsthandwerk bleiben oder zur reinen Kunst übergehen soll. Namentlich aber empfehle ich diesen Lehrgang den zahlreichen jungen Damen, die mit der angeborenen Nachahmungsgabe ihres Geschlechts so artig zu malen beginnen und hinterdrein nicht weiter kommen. In der Kunstgewerbeschule wären sie früher zur Selbsterkenntnis gekommen, und hätten für alle Fälle etwas Nützliches gelernt.
Die Besucher der Londoner Weltindustrieausstellung im Jahre 1851 waren berauscht von den Triumphen der modernen Technik, die sich hier zum erstenmal in einem Gesamtbild aller Welt zeigte, und zugleich ernüchtert durch den Mangel an künstlerischem Geschmack, der sich aller Welt offenbarte. Die einen jubelten, während die andern Buße predigten. Und mit der Buße kam die Umkehr zunächst von dieser Seite.
Fünfzehn Jahre waren verflossen. Da erblickte man auf der großen Münchener Kunst- und Kunstgewerbeausstellung des Jahres 1876 schon Werke der Kunst und des Kunsthandwerkes wettkämpfend nebeneinander. Man würde diese Nachbarschaft früher für eine Profanation der Kunst gehalten haben.
Doch wichtiger noch war, daß damals im Münchener Glaspalast neben so vielen schönen Arbeiten des modernen Kunstgewerbes auch »Unsrer Väter Werke« in einer Fülle und Erlesenheit aus allen Ländern erschienen, wie man sie zu solchem Zwecke niemals wieder zusammenbringen wird. Man war berauscht durch den modernen Fortschritt und doch auch wieder ernüchtert durch die sieghafte Ueberlegenheit des alten Kunstgewerbes. Den Künstlern wurden die Augen geöffnet: sie sahen, was wir noch von den Meistern der Gotik und Renaissance zu lernen hatten, und die Erkenntnis, daß ein neuer Bund von Kunst und Gewerbe geschlossen werden müsse, brach sich immer mächtiger Bahn.
Schon vor 300 Jahren hatte es Kuriositätensammlungen gegeben, worin auch manches Virtuosenstück des Kunstgewerbes prunkte. Daneben entstanden Bildergalerien als Museen der reinen Kunst.
In der romantischen Periode unsres Jahrhunderts legten sich reiche Liebhaber wohl einen Rittersaal an und schmückten ihn mit alten Rüstungen, Waffen und Wappen, mit gotischen Tischen und Truhen, Humpen und Heiligenbildern, um sich dort in die Tage des Mittelalters zurück zu träumen. Poetische Sentimentalität, sammeleifrige Kunstliebhaberei und historischer Dilettantismus gaben wachsend hierzu den Anstoß.
Allein was zunächst gemütliche Spielerei gewesen, wurde allmählich ein ernstes Werk: unsre großen kulturgeschichtlichen Museen wuchsen aus diesen Anfängen hervor, und in der Wissenschaft der Kulturgeschichte wie in den kulturgeschichtlichen Sammlungen fand das Kunstgewerbe einen Platz, den es vordem in der Kunstgeschichte und den Bildergalerien und Glyptotheken nicht hatte finden können. Heute wimmelt es in Deutschland von großen und kleinen Museen, in welchen der Handwerker neben dem Künstler und Gelehrten arbeitet.
Ich zeigte den neuen Weg, der sie zusammenführte, und spreche nun nochmals meine Leitmotive aus:
Im Mittelalter waren die Künstler Handwerker.
In der Renaissance trennten sich die Künstler von den Handwerkern; die besten Handwerksmeister aber suchten ihr Gewerbe künstlerisch zu adeln.
In unsrer Zeit trachteten die Künstler ihre Kunst zu verjüngen, indem sie den Handwerkern die Hand reichten zu einem neuen Bunde, der das fast verlorene Kunstgewerbe wiedergewann. Und es ist der Ruhm unsres Gewerbes, die dargebotene Hand freudig ergriffen zu haben, und Gewinn und Erfolg wurde ein gemeinsamer.
Hiermit ist der kulturgeschichtliche Hintergrund des modernen Benvenuto Cellini gegeben, und ich entwerfe nunmehr das Porträt dieses Mannes.
Er wurde um das Jahr 1840 geboren und steht heute in frischester, gereifter Manneskraft.
Sein Vater war ein Architekt, der bald im antiken, bald im romanischen, bald im gotischen Stile baute. Ueber dem Bestreben, recht streng stilgerecht zu sein, wurde er in seinen Entwürfen öfters etwas langweilig. Er wünschte, daß der Sohn seinen Beruf in seiner Weise fortführe.
Allein der Junge wollte durchaus ein Maler werden, und eigensinnig, wie er von Kindesbeinen war, setzte er seinen Willen durch. Die Malerei ist heute die rührigste, die originellste, die tonangebende unter den bildenden Künsten, sie ist hier die moderne Zentralkunst. Darum mußte der künftige Benvenuto von Haus aus Maler sein, wie er es auch bis auf diesen Tag geblieben ist.
Der Knabe hatte aber daneben schon frühe die seltsame Neigung, in freien Stunden, wo seine Genossen spielten, in die Werkstätten der Drechsler, Schlosser und Töpfer zu laufen und dort zuzusehen, wie gedreht, geschmiedet und geformt wurde. Lernen ist Nachahmen.
Dies hinderte ihn jedoch nicht, mit der Zeit ein akademisch wohlgeschulter Maler zu werden und obendrein Historienmaler.
Allein die großen Geschichtsbilder mit ihren Haupt- und Staatsaktionen lassen ihn kalt, das Kleinleben der Kulturgeschichte mutet ihn wärmer an. Er kann die menschliche Gestalt sicher und stilgerecht zeichnen, aber die originellsten Gestalten wachsen ihm aus Schnörkeln und Arabesken hervor. Um seiner Lust an solchen Gebilden ganz zu genügen, studiert er eifrig die Vignetten und Cartouchen, die Gefäße und Geräte der Rokokozeit; er lernt nebenbei in Thon und Wachs modellieren, und der erste gelungene Versuch, einen Blumentopf zu formen, auf dessen Außenseite sich kleine Buben balgen, freut ihn mehr, als sein größter Karton, der den Barbarossa darstellt, wie er seinen Söhnen den Ritterschlag erteilt.
Der Vater hatte als Architekt für die geraden Linien geschwärmt, der Sohn schwärmt für die krummen. Die Schenkel eines Dreiecksgiebels verwandeln sich ihm ganz von selbst in Voluten, den Schaft der Säule sieht er am liebsten schraubenförmig wie einen Pfropfenzieher und möchte alle Turmpyramiden in zwiebelförmige Kuppeln verwandeln.
Obgleich er selbst sehr lang und hager ist und fast wie eine wandelnde gerade Linie aussieht, bildete er von Anbeginn seine Figuren möglichst dick und rund zu Ehren der krummen Linie: Widerspruch dünkte ihm überall Freiheit, sogar der Widerspruch mit sich selbst.
Auf die Spitze eines Obelisken setzt er eine Kugel, trotzdem ihm ein Aesthetiker bewies, daß nach den Gesetzen der Logik auf einer Spitze nichts sitzen könne, weil dies den Begriff der Spitze aufhebe, und daß nach den Gesetzen der Statik die Kugel herunterfallen müsse, wenn sie nicht angeleimt sei. Allein er spricht: erlaubt ist, was gefällt, und setzt dem Aesthetiker zum Trotz noch einen Stern auf die Kugel, der mit einer seiner zehn Spitzen noch kecker auf der Kugel tanzt, als die Kugel auf der Spitze des Obelisken.
Unser junger Benvenuto wurde sehr vielseitig in seiner freien Kunst, fast so vielseitig wie der alte, und doch in ganz andrer Weise. Er schrieb keine Bücher, er machte keine Verse, wurde kein Artillerist und blies auch nicht das Horn wie der berühmte Florentiner; er klimpert nur Klavier wie jeder moderne Mensch. Gefäße in Gold und Silber schmieden lernte er auch nicht; allein er kann das Wachsmodell dazu machen und weiß den Handwerkern zu sagen, wie sie seine Vorlagen ausführen sollen. Er versteht in Fresko auf den Kalk zu malen, in Oel auf die Leinwand und in Miniaturfarben aufs Pergament; er zeichnet Illustrationen und erfindet Zierbuchstaben; er entwirft Muster zu Schüsseln und Töpfen, Tischen und Tapeten, zu Bilderrahmen und Treppengeländern, zu Stickereien und Geweben und ungezählten andern Dingen.
So wird der Jünger der Kunst allmählich ein Meister des Kunstgewerbes. Er wird um so mehr in diese Richtung gedrängt, als ihm wachsend Aufträge zuströmen, die er zuletzt nur mit Hilfe von Schülern bewältigen kann. Er gründet schon eine Schule, während er selbst noch Schule macht.
Ein Freund und Studiengenosse dagegen, welcher der reinen Kunst treu geblieben ist, malt große Galeriebilder, die von Jahr zu Jahr länger und breiter werden; allein je größer die Leinwand wird, um so kleiner wird die Zahl der Käufer. Reiche Leute schwärmen selten für die ideale Kunst, aber fast jeder reiche und vornehme Mann will sein Haus in allerlei Geschmack und Ungeschmack »stilvoll« ausschmücken.
Gleich dem alten Benvenuto steht darum auch der moderne in Gunst bei Fürsten und vornehmen Herren. Die Fürsten schmeicheln ihm freilich nicht so sehr wie seinem Vorgänger, dafür trotzt er ihnen aber auch nicht und braucht nicht vor ihrem Zorne davonzulaufen wie jener. Man ehrt ihn, weil man ihn braucht, wo es gilt, ein Fest zu schmücken, herrschaftliche Gemächer auszustatten, Aufzüge anzuordnen, Jubiläumsgeschenke zu ersinnen, Adressen mit Miniaturen zu zieren. Er macht dergleichen äußerst geschwind und geschickt in allerlei Stil, den er nach Anlaß und Gegenstand zu wechseln weiß. Zuerst hielt er sich dabei mit Vorliebe zur Renaissance, dann mehr zu Barock und Rokoko, und neuerdings hat ihn auch eine stille Liebe für den Zopf beschlichen. Nur vom Empirestil will er zur Zeit noch nichts wissen und ebensowenig von der herben Frühgotik; die üppige Spätgotik mit ihren malerischen Stilsünden dagegen läßt er gelten. Und doch steckt in allem, was er schafft, daneben seine neue und eigene Handschrift. Man kann auch im Alten neu sein.
Da er Künstler sein und bleiben will, obgleich er am liebsten dem Kunsthandwerk dient, so erkennt er auch keinen durchgreifenden Unterschied zwischen Kunst und Kunstgewerbe an.
Der schon mehr erwähnte Aesthetiker sagt ihm einmal: ein Gemälde als Kunstwerk sei sich selbst Zweck, es nütze nur der geistigen Erhebung dessen, der es zu erfassen vermöge, sein Kern sei der Gedankengehalt, sein Ideal die Schönheit, die sich selbst genüge. Ein kunstreich modellierter Ofen dagegen habe den obersten Zweck zu erwärmen; nur nebenbei erfreue er uns durch seine Zieraten, von dem Gedankengehalt eines Ofens spreche kein vernünftiger Mensch, und wenn der Ofen nichts weiter leiste, als in seiner Schönheit sich selbst zu genügen, so sei es eben ein schlechter Ofen.
Diese ganze Rede hält Benvenuto der Jüngere für müßige Stubenweisheit, die hinterm Ofen, vermutlich hinter dem häßlichsten gußeisernen Füllofen ausgeheckt worden sei, und wünscht alle Aesthetiker zum Kuckuck.
Seine eigenen Ideen über das Wesen der Kunst läßt er zu seinem Glück nicht drucken. Und obgleich er gar nicht genau weiß, was eigentlich die Kunst ist, schafft er doch sehr reizende Kunstwerke.
Der alte Cellini gab in einer eigenen Abhandlung der Plastik den Vorrang vor der Malerei, weil es schwerer sei und viel mehr Zeit erfordere, eine Statue zu meißeln als ein Bild zu malen, woraus man sieht, daß der berühmte Florentiner eben auch kein großer Kunstphilosoph gewesen ist.
Sein moderner Nachfolger gibt dagegen der Malerei den Vorrang unter den modernen Künsten, als der vielseitigsten, lebensfrischesten und volkstümlichsten. Dies aber sei sie nur geworden, weil sich in ihr Kunst und Kunsthandwerk am innigsten und neidlosesten verschmelze.
Das warnende Gegenbild zeige die neue Musik, weil die Herren Tondichter immer nur vornehme Musik schreiben wollen und das volksmäßige musikalische Kunstgewerbe verachten. Zur Zeit der großen Klassiker der Tonkunst sei das anders gewesen: Beethoven habe Dutzende von Tänzen für den Redoutensaal in Wien komponiert, Haydn und Mozart haben ganze Serien von Tänzen zum Tanzen gesetzt, Lieder zur geselligen Unterhaltung und Gelegenheitsmusik aller Art – das sei Kunsthandwerk. Trotzdem habe Haydn seine »Schöpfung« geschaffen und Mozart den »Don Juan« und Beethoven seine »Hohe Messe«. Ja sie hätten diese großen Werke vielleicht gar nicht so herrlich gestalten können, wenn sie nicht auch im kleinen so gemütlich mit ihrer Kunst gespielt hätten. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn auch Richard Wagner etliche Dutzend Walzer und Polkas für den Ball komponiert hätte; Tänze, die man tanzen könnte und Märsche für Infanterie und Kavallerie, auf welche Menschen und Pferde marschieren könnten! Seine Musikdramen würden dann vielleicht etwas angenehmer und melodiereicher geworden sein.
Ueber diese impertinenten Ketzereien geriet unser Künstler in heftigen Streit mit einem jungen Musikschriftsteller, und indem er seine Trümpfe noch übertrumpfte, behauptete er zuletzt, der größte Vornehmthuer und Verächter des Kunstgewerbes unter den Musikern sei übrigens nicht Wagner, sondern Liszt, dem es sehr heilsam gewesen wäre, wenn er nebenbei Operetten fürs Volkstheater mit vielen lustigen Couplets geschrieben hätte. Aber statt solch nützlicher kunstgewerblicher Arbeit habe der Abbé von Weimar gegen die Zwischenaktsmusik geeifert und leider mit Erfolg. Das könne er ihm nie verzeihen. Musik in den Zwischenakten sei ein ebenso notwendiger kunstgewerblicher Schmuck wie ein schön gemalter Bühnenvorhang, der auch kein Galeriebild sei, den man so nebenher betrachte, wie man jene Musik plaudernd anzuhören pflege, und an welchen doch mitunter bedeutende Maler ihre frischeste Kraft gesetzt hätten. Die Allgegenwart der Kunst im Leben – das sei das Geheimnis, welches Liszt nicht begriffen habe, als er das Büchlein schrieb mit dem geschmackvollen Titel: »Keine Zwischenaktsmusik mehr!« Der Urquell des ganzen Hasses auf das musikalische Kunstgewerbe sei aber doch zuletzt nur Musikantenhochmut.
Der junge Litterat forderte den allzu begeisterten Anwalt des Kunstgewerbes auf krumme Säbel, eine Waffe, welche dieser nur mäßig zu führen verstand, während sein Gegner, der eigentlich ein verdorbener Student war, auf Universitäten zwar sonst nicht viel, aber ausgezeichnet schlagen gelernt hatte. Schon beim ersten Gange wurde der Künstler mit einer gewaltigen Quart abgeführt.
Und so hatte er doch auch seinen Raufhandel gehabt. Der alte Benvenuto hatte der Raufhändel bekanntlich viele; nur teilte er Hiebe aus, während der neue einen Hieb erhielt. Aber es blieb der einzige, genügend als lebenslang sichtbares Wahrzeichen, daß es auch ihm an Sturm und Drang nicht gefehlt habe, und als Denkzettel, daß man heute mit den Jüngern der »heitersten und friedlichsten« Kunst, der Tonkunst, nicht streiten solle.
Um die Kunst vergangener Zeiten hat sich der Florentiner Goldschmied nicht bekümmert, höchstens nahm er sich römische Formen zum Vorbild. Sein moderner Nachfolger ist gleichfalls kein Kunsthistoriker, weil er überhaupt kein Mann der Wissenschaft ist; allein er erforscht die künstlerischen Gebilde mit Liebe, wenn auch mit wechselnder Gunst. Die historische Intuition ersetzt ihm die geschichtlichen Kenntnisse.
Seine Werkstatt ist ein kleines Museum voll reizender Unordnung. Er sitzt auf der Hochzeitstruhe einer italienischen Prinzessin des 16. Jahrhunderts, vor welcher ein deutscher Bauerntisch des 17. steht. Die Wände sind mit Fetzen verblichener Gobelins verhangen, an der Thüre steht eine verrostete Maximiliansrüstung, zahlreiche in Holz geschnitzte alte Heiligenfiguren gruppieren sich ringsum; dem heiligen Georg fehlt der Kopf, der Muttergottes die Hände, und ein musizierender Engel ist hinten und vorn vom Holzwurm zerfressen. Unser Künstler könnte diese Beschädigungen leicht beseitigen, allein sie dünken ihm sehr schön als malerische Urkunden des Alters und der Echtheit.
Er hat die hunderte von Altertümern, welche sein Haus erfüllen, sehr billig gekauft; denn er kauft nur aus erster Quelle und ist dabei so findig wie der geriebenste Händler. Nicht das kleinste Stück dieser Kostbarkeiten wäre ihm feil; fordert man ihn jedoch auf, den Wert solcher Dinge für andre zu schätzen, dann nennt er die höchsten Preise. Er findet es durchaus gerechtfertigt, wenn für eine zinnerne Temperantiaschüssel von Enderlein 2000 Mark bezahlt werden oder für einen datierten Steinzeugkrug von Jan Emmens 5000 Mark. Sagt ihm jemand, das seien ganz lächerliche Schwindelpreise eines modernen Liebhabersports und außer allem Verhältnis zum inneren Wert der Sache, dann gerät er in hellen Zorn. Denn er sieht den Triumph des modernen Kunstgewerbes darin, daß reiche Leute für Seltenheiten des alten ungezählte Tausende zum Fenster hinauswerfen. Neue Arbeiten taxiert er um so niedriger, obgleich er doch selbst neue Arbeiten macht, die er gern sehr hoch bezahlt wünscht.
Seine Kennerschaft des alten Kunstgewerbes bekundet sich besonders nach zwei Richtungen.
Er versteht Altertümer mit sicherem Scharfblick nach Zeit, Stil und Herkunft zu bestimmen, nicht auf Grund gelehrter historischer Studien, sondern einer rein praktischen Erfahrung, und er weiß Fälschungen zu enthüllen, wie nicht leicht ein Zweiter. Wenn er wollte, so könnte er selbst sogar fälschen wie kein Zweiter. Allein das thut er nicht.
Neben der großen Virtuosität des ehrlichen Kunstgewerbes hat sich nämlich eine kaum minder große des unehrlichen entwickelt. Letzteres bringt uns romantische Bronzen mit der ältesten Patina, die erst vor sechs Wochen gemacht wurde, Palissyschüsseln mit so echten Sprüngen und Brüchen, daß wir die Unechtheit der unnachahmlichen Glasur gar nicht merken, riesige Glashumpen mit den Wappen sämtlicher Kurfürsten des alten römischen Reichs, die aber erst im neuen deutschen Reiche gemalt wurden, gotische Meßkelche mit Löchern und Beulen, die wunderschön hineingestoßen und also doch nur eine qualifizierte Lüge sind.
Das scharfe Auge unsres Benvenuto wird hierdurch nicht getäuscht; er ist die Zuflucht der redlichen und der Schrecken der unredlichen Händler, die öfters erst durch ihn erfahren, daß sie selber betrogen wurden, indem sie betrügen wollten.
Auch das Virtuosentum der Fälscher, so sagt er, verkündet den neuen Triumph des Kunstgewerbes; denn wäre die Begierde nach seinen seltensten Produkten nicht so groß, so würde sich der unsägliche Aufwand von Scharfsinn, Fleiß und Talent ja gar nicht lohnen, den jetzt die Spitzbuben für den kunstgewerblichen Betrug aufwenden.
Der neue Benvenuto würde sich – auch hier ungleich seinem Ahnherrn – zum Konservator eines kulturgeschichtlichen Museums vortrefflich eignen. Doch dazu ist er zu unstet und ungeduldig, weil zu schaffenslustig.
Trotzdem ist er ein guter, wenn auch etwas absonderlicher Lehrer. Benvenuto der Aeltere hatte auch seine Gehilfen, die einiges von ihm gelernt haben mochten, aber Schule hat er nie gehalten. Der jüngere Benvenuto dagegen hält Schule in aller Form, ja er leitet sogar eine Kunstschule, die er sich im Verband mit andern Lehrern gegründet hat.
Wir haben in vielen Stücken die Leistungen der Vergangenheit noch nicht wieder erreicht; nur in der Schulmeisterei übertreffen wir alle Jahrhunderte.
Einen besonders glänzenden Lehrvortrag besitzt unser Künstler nicht; er unterrichtet rein praktisch. Außerhalb der Schule spricht er um so besser, vorab im geselligen Kreise beim Glase Wein. Da sprudelt er seine eigensten Gedanken hervor, kunstlos und doch zündend. Er ist auch ein guter Spruchsprecher, und seine Freunde locken und drängen ihn gern zum Toastieren, weil er da jedesmal etwas zu sagen hat, während im allgemeinen die Kunst der Toaste darin zu bestehen pflegt, daß man nichts zu sagen hat und doch etwas sagt.
Auf einer Handwerkerversammlung ließ er einmal den neuen Bund der Kunst mit Industrie und Handwerk hoch leben und warf dabei unter andrem folgende Sätze hin:
»Zu der Zeit, wo der beste lebende Dichter Deutschlands, Hans Sachs, ein Schuster war, und die größten Bildhauer Rotgießer und Steinmetzen, konnte das Handwerk den Kopf hoch heben, denn es war geadelt durch die Kunst. Heute hebt die Industrie den Kopf hoch, und es ist noch nicht lange her, da sagte man, das Handwerk habe seinen goldenen Boden verloren und werde erdrückt von der Großindustrie, deren Macht auf drei Allianzen wie auf drei Granitpfeilern ruht: auf der Allianz mit den Naturwissenschaften, mit dem großen Kapital und mit dem Staate. Nun hat aber das Handwerk in unsern Tagen den gelockerten alten Bund wieder neu und fest geschlossen, den Bund mit der Kunst. Schon strömt auch das Kapital dem Kunstgewerbe zu; nicht millionenfach wie den Fabriken, aber doch tausendfältig. Und der Staat gesellt sich hinzu als dritte Hilfsmacht, ja es kommt noch eine vierte – die öffentliche Meinung. So erbaut sich auch das Gewerbe durch die Kraft wieder auf neuen Granitpfeilern. Es wurde von neuer Geisteskraft erfüllt, es greift wieder tiefer als zuvor in die Bildung der Nation. Daß das Handwerk jetzt schönere und bessere Gegenstände liefert und mehr Geld dafür einnimmt, ist gut, aber nicht die Hauptsache. Als Hauptsache gilt mir vielmehr, daß der Gewerbestand in sich besser geworden ist, gebildeter, selbstbewußter, weil er wieder neue und große Ideale gefunden hat. Manche behaupten, die beste Bildungsgrundlage seien die Sprachen, andre die Mathematik, wieder andre die Philosophie. Ich aber behaupte: die beste Bildungsgrundlage ist das Zeichnen, und ihr alle lernt jetzt Zeichnen, wenn auch oft noch schlecht genug. Das Zeichnen lehrt uns, in der Außenseite der Dinge das Wesen derselben zu erkennen und wiederzugeben, und mehr kann auch der beste Philosoph nicht. Die höhere, weil künstlerische Bildung des Gewerbestandes geht aber vom eigentlichen Kunsthandwerk auch auf die Meister andrer Gewerbe über, sie gestalten ihre Arbeiten geschmackvoller als vorher, und selbst der Seifensieder, wenn er seine Ware auf eine Ausstellung schickt, baut einen dorischen Tempel aus Seifenstücken oder einen ägyptischen Obelisken, und auf den Seifensockel setzt er die Inschrift in vergoldeten Buchstaben: ›Die Höhe der Kultur eines Volkes bemißt sich nach der Summe des Verbrauchs von Seife. Justus von Liebig.‹«
Diese Sätze fanden allgemeinen Beifall, obgleich oder vielleicht gerade weil man sie nicht allgemein verstand. Als unser Meister jedoch ein andermal in einem Künstlerverein von den Vorteilen des »neuen Bundes« für die Kunst sprach, gewann er bloß geteilten Beifall, weil man ihn nur allzugut verstanden hatte.
Er sagte nämlich: am Himmel der Kunst herrsche gegenwärtig Sturm, der Sturm der Parteien. Der Hellmaler befehde den Dunkelmaler, der Grobmaler den Feinmaler, der Naturalist den Idealisten, die Jungen wollten die Alten nicht gelten lassen, und ein jeder dünke sich ein Genie auf eigene Faust, auch wenn er nur ein Narr auf eigene Faust sei. Man finde bei den Künstlern viel Gutes und Schönes von jeglicher Art, nur die Gerechtigkeit und Bescheidenheit müsse man mit der Laterne suchen.
So schlimm aber stehe es im Kunstgewerbe nicht. Jeder glaube zwar auch hier, daß er den guten Geschmack allein gepachtet habe. Nur spreche man dies nicht so offen aus, weil die feste und korrekte Parteidisciplin fehle, und eine Parteipresse noch nicht vorhanden sei. Es herrsche noch eine gewisse jugendliche Unschuld – vielleicht nicht mehr auf lange Zeit –, allein die Künstler könnten sich noch immer ein Exempel daran nehmen.
»Doch wichtiger noch ist ein Zweites« – so fährt Benvenuto fort, »Von allen Dächern wird heute gepredigt, daß das Ziel der Kunst nicht die Darstellung des Schönen sei, sondern daß sich die wahre Genialität vielmehr erst in der kühnsten Ausgestaltung des Gemeinen und Häßlichen erprobe, wie man bei neuesten Schauspielen und Romanen die ›Tiefe‹ des Dichters darin erkennt, daß er möglichst tief im Schmutz der modernen Gesellschaft watet. Von diesem Kultus der Häßlichkeit weiß das Kunstgewerbe noch nichts; seine Jünger sind noch so naiv, daß sie nur dann etwas Häßliches machen, wenn sie nichts Schönes fertig bringen.
»Aber Schlimmeres kommt noch. Man fordert, daß die Kunst Tendenzen erstrebe und predige, welche sie eigentlich gar nichts angehen. Thut sie das nicht, so hat sie gar keine Berechtigung im modernen Leben. Sie wird erst etwas wert durch Nebenzwecke, die man ohne Kunst besser erreichen kann. Ein Dogma, welches sehr lächerlich sein würde, wenn es nicht sehr gefährlich wäre! So behauptet der eine, die Kunst müsse patriotisch sein und für eine nationale Politik begeistern. Ein Träger des nationalen Geistes war aber die echte Kunst zu allen Zeiten; sie war es um so mehr, je weniger sie an besondere patriotische Tendenzen dachte. Ein andrer fordert eine fromme Kunst, welche vollendet, was der Pfarrer nicht ganz fertig bringt; der dritte umgekehrt eine freigeistige Kunst, die der ganzen Klerisei ein Bein stellt; der vierte eine social befreiende Kunst, die das Evangelium der Gleichheit und Gerechtigkeit verkündet und eine Gruppe streikender Arbeiter auf den monumentalen Sockel setzt, wo sonst aristokratische Größen standen. Ein fünfter endlich will, daß die Kunst das ganze Leben der Gegenwart erfasse (aber beileibe nur der Gegenwart!), daß sie die Memoiren der ›Jetztzeit‹ in tausend Bildern schreibe, die uns zeigen, wie schlecht wir heute sind und doch wie groß, denn die Vergangenheit war noch viel schlechter und erbärmlicher.
»So weit ist das Kunstgewerbe gottlob noch nicht gekommen. Wir schnitzen da noch ganz tendenzlos Engel und Heilige, wenn sie sich nur gut ausnehmen, und malen Nymphen und Genien, wo sie eben passen und schön wirken. Ein pessimistisches Kunstgewerbe existiert gar nicht. Warum soll ich mir auch durch einen kostbaren Sessel mein und aller Welt Sündenregister vorhalten lassen? Auch habe ich bis jetzt noch keinen patriotischen Kachelofen gesehen und keinen frommen Kleiderschrank, kein freigeistiges Theeservice und keinen socialistischen Tafelaufsatz, und selbst aus dem größten und reichsten Deckengetäfel vermochte ich noch nicht die Memoiren der Gegenwart herauszulesen. Und wenn alle solche Arbeiten nur geistreich sind in der Erfindung, originell in der Komposition und schön in der Durchführung, dann sind wir zufrieden. Man stelle dem harmlosen Kunstgewerbe die reflektierte reine Kunst gegenüber, so wird man sich fragen, ob das Kunstgewerbe nicht am Ende gar mehr reine Kunst berge und für die Zukunft behüte, als die ganze reine Kunst mit all ihren Parteidogmen und -tendenzen zusammengenommen.«
Diese Sätze fanden, wie gesagt, durchaus nicht den Beifall der Künstler, aber einige murmelten doch, es sei viel Wahres darin.
Am Ende ist der neue Benvenuto Cellini eine sehr konservative Natur, während der alte eine sehr revolutionäre war? Ja und nein! Man könnte ihn konservativ nennen, wenn er nicht zwischendurch auch revolutionär wäre. Seine besondere Eigenart besteht eben darin, daß er in keine Schablone paßt. Das Alte bewundernd, wird er ein kühner Neuerer.
Nur ist sein ganzes Wesen nicht so ungestüm, nicht so subjektiv genial, wie seines Vorgängers, sein Lebenslauf nicht so abenteuerlich und voll toller Sprünge; man wird späterhin keinen Stoff zu Romanen und Novellen darin finden, nicht einmal zu einem schlechten Operntext. Und doch ist er eine bürgerlich stolze Erscheinung, planvoller, bewußter, vielleicht auch respektierter in seinem Schaffen als der alte und eben darum ein echtes Kind unsrer Zeit.
Der Leser fragt, wer denn eigentlich dieser geheimnisvolle Mann sei, wie er heiße und wo er wohne?
Ich habe ihn in jedem einzelnen Zuge nach dem Leben gezeichnet, aber verschiedene Persönlichkeiten waren es, die mir dabei gesessen haben, ohne es zu merken, und also haben sie sich auch nicht gelangweilt, wie sonst beim »Sitzen« zu geschehen pflegt. Denn kein Einzelner, den ich kenne, erschien mir als der volle moderne Benvenuto, wohl aber viele miteinander.
So entstand ein Idealporträt, ein Gattungsbild; wenn man will: ein Phantasiebild.
Allein ist der alte Benvenuto, welcher von 1500–1572 leibhaftig lebte, so wie er uns als persönlicher Typus der höchsten Blüte des alten Kunstgewerbes vor Augen steht, denn auch etwas wesentlich andres als ein Gattungsbild, ein Phantasiebild?
Lebten wir noch in der Zeit der Scholastiker, wären wir noch »Realisten« oder »Nominalisten«, die sich darüber stritten, ob die Gattung das Wesenhafte sei oder das Individuum, so würde ich als Realist behaupten, in der Gattung sei die Summe des Charakteristischen so ganz und voll gegeben, wie sie kein Individuum zu erfüllen vermag, und so sei auch mein nach dem Leben gezeichnetes Idealporträt innerlich wahrer als das Bildnis eines einzelnen Künstlers, den man mit Namen nennen könnte.
Es ist der neue Bund der Kunst mit dem Gewerbe, welchen ich in dem modernen Benvenuto Cellini als in einer zeitgeschichtlichen Porträtgestalt verkörpern wollte. Seien wir nur stolz auf diesen Bund und freuen wir uns desselben; denn er ist eine Ehre unsrer Zeit und unsrer Nation, ein mächtiger Hebel unsres socialen und wirtschaftlichen Lebens, der oft so begeistert gepriesene und doch selten nach seinen innersten Motiven, seiner Entstehung und seiner kulturgeschichtlichen Tragweite erkannte neue Bund der Kunst mit Industrie und Handwerk.