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Im Sommer 1845 lernte ich Schwind in Frankfurt kennen, und zwar zu günstiger Zeit. Denn Schwind war damals noch zufrieden mit Frankfurt und den Frankfurtern, was sich bald ändern sollte, teils durch steigend schroffes Hervortreten gegnerischer Kunstrichtungen, teils durch Johannes Ronge und den Deutschkatholizismus, welchem Frankfurt damals begeistert zujubelte, während sich Schwind darüber ärgerte, und wenn sich Schwind über eine ganze Stadt ärgerte, dann konnte er auch sehr unangenehm gegen Leute sein, die gar nicht zur Stadt gehörten. Es war also gut, daß ich ihn in Frankfurt zu jener Zeit kennen lernte, wo er noch zufrieden mit Frankfurt war.
Schwinds feines, eigenartiges Bild »Elfenreigen« hatte bei den Kennern gerechten Beifall gefunden und war für die Galerie des Städelschen Instituts erworben worden, und der Künstler hatte den Auftrag erhalten, für dieselbe Sammlung ein Gemälde größeren Stils, den »Sängerkrieg auf der Wartburg« auszuführen.
Bei meinem ersten Besuche fand ich ihn frisch an dieser Arbeit; neben dem vollendeten Karton stand das in der Untermalung begriffene Bild. Er hatte seinen guten Tag, empfing mich aufs freundlichste und erklärte mir Plan und Inhalt des figurenreichen Gemäldes.
Kein Mensch vermochte Schwinds Bilder besser und gewinnender zu erklären als Schwind selber. Er charakterisierte, indem er erzählte, er rechtfertigte seine Kunst und Art, indem er sie einfach erklärte. Jener schlicht treuherzige Vortrag der Sage und des Volksmärchens, der seinen Bildern ihren wärmsten Reiz gibt, stand ihm im Worte ebenso gut zu Gebot wie mit dem Pinsel. Der gemütliche Ton des bald stärker, bald schwächer anklingenden österreichischen Dialekts und ein gelegentlich durchblitzender schalkhafter Humor gab diesen erzählenden Erläuterungen und Rechtfertigungen eine durch ihre naive Liebenswürdigkeit unwiderstehlich fesselnde Kraft. Wer Schwind seine Bilder nicht hat erklären hören, der hat sie gar nicht ganz gesehen. Solange man neben dem Meister vor der Staffelei stand, glaubte man, daß der Gegenstand gar nicht anders hätte dargestellt werden können und dürfen, als er eben dargestellt war.
Freilich galt dies bei jenem »Sängerkrieg« mehr von dem Karton als von dem halb fertig gemalten Bild und mehr von dem halbfertigen als von dem vollendeten Gemälde. Man konnte sagen, daß Schwind wenigstens in diesem Falle seinen prächtigen Karton zuletzt tot gemalt habe. Und so brachte das fertige Werk später ihm und andern eine Enttäuschung.
Doch ich kehre zu meinem ersten Atelierbesuche zurück. Ich sprach unter andrem Schwind meine Bewunderung seines vorletzten Bildes, des »Elfenreigens«, aus, und obgleich er Freunden und Fremden lobende Worte vom Munde abzuschneiden pflegte, hörte er sie doch auch diesmal gern. Nur meinte er, daß der Elfenreigen im Städelschen Institut keinen guten Platz erhalten habe, daß die Nachbarbilder auf ihn drückten, und er dachte dabei an die Nachbarschaft der beiden damals gerade von seinen Gegnern hochgepriesenen Werke Lessings: »Ezzelin im Kerker« und »Kuß vor dem Konzil«. Ich meinte dagegen, diese Gemälde seien in ihrer aufs feinste durchgebildeten realistischen Charakteristik historischer Scenen so grundverschieden von seinem traumhaft verschleierten romantischen Phantasiestück, daß eine schädigende Vergleichung nach beiden Seiten ganz ausgeschlossen sei. »Sie haben recht!« fiel er ein, »die fein durchgebildete Charakteristik von Lessings Ezzelino ist staunenswert, und die Selbstkritik, welche der Maler zugleich seinem eigenen Werke eingewoben hat, nicht minder. Ich will Ihnen das Bild erklären: Ezzelino sitzt im Kerker; zwei Mönche suchen ihn zu bekehren. Der eine erkennt, daß bei dem alten Sünder alle Mühe vergebens ist, und wendet sich beklagend und entsagend ab; der andre hofft noch und setzt sein Zureden fort. Ezzelino aber blickt grimmig vor sich hin und brummt: »Laßt's mich in Ruh! seht's denn nit, daß ich jetzt – Modell sitzen muß!«
Dies war die erste Probe von Schwinds vernichtenden Epigrammen, welche ich aus seinem eigenen Munde zu hören bekam. Ich hörte später noch so viele andre, daß man mit ihnen ein kleines Büchlein Xenien in »ungebundener« Rede füllen könnte, wenn die meisten nicht gar zu ungebunden gewesen wären.
Doch gab ich mich noch nicht ganz geschlagen mit Lessing, der mir gefiel, und lenkte die Rede auf den »Huß vor dem Konzil«, dessen Vorzüge ich, freilich bereits etwas schüchterner, zu entwickeln begann. Allein Schwind ließ mich kaum zu Worte kommen und rief: »Sie haben wiederum recht. Dieses Bild hat einen großen Vorzug, welcher allein ihm schon den großen Erfolg sichert: es stellt einen national-deutschen Helden dar. Es gibt nämlich zur Zeit drei besonders volkstümliche national-deutsche Helden in Deutschland: den Tschechen Huß, dem man Feste feiert, den Schweden Gustav Adolf, dem man Vereine gründet, und den Franzosen Napoleon, dessen Siege in jedem Bauernwirtshaus abgemalt hängen in Farbendrucken von Wenzel á Wissembourg!«
Wenn Schwind ein recht kräftiges Schlagwort gesagt hatte, dann ließ er einem keine Zeit darüber nachzudenken, sondern sprang sofort auf ein ganz andres Thema.
So sagte er jetzt, er wisse mir einen wunderschönen Stoff zu einem Essay, ganz gemacht für meine Feder, und einen guten Titel dazu: »Vom Unwesen der Kunstvereine.« Ich könne den Aufsatz etwa damit anfangen, daß ich das nützliche Wirken der Kleinkinder-Bewahranstalten schildere, um auf die Kleinkünstler-Bewahranstalten, die Kunstvereine, überzugehen, deren Wirken jedoch etwas weniger nützlich sei. Und nun schilderte er höchst ergötzlich, wie sich in den Ausstellungen der Kunstvereine die Kleinen und Kleinsten unter den Malern zusammenfänden und tummelten und balgten und ihre neuesten Stilübungen vorzeigten und vom hochverehrlichen Publikum gelobt und gehätschelt würden, während sich die echten Künstler wohl hüteten, mit ihren echten und großen Werken an diesen wöchentlichen Kinderprüfungen teilzunehmen. Er schloß dann mit einer wahren Bußpredigt über das Sinken des Kunstgeschmackes, über das herrische Aufsteigen stümperhaften Virtuosentums und virtuosester Stümperei, über die Sündflut lackierten malerischen Kleinkrams und goldumrahmter Jahrmarktsware, welche gegenwärtig Deutschland überschwemme. Und all dies und noch viel mehr hatten die armen Kunstvereine verschuldet!
Schwinds Worte zündeten bei mir. Mich erfaßte ein heiliger Zorn gegen die Kunstvereine, und sogleich am nächsten Tage schrieb ich einen geharnischten Artikel dieses Sinnes und ließ ihn im »Frankfurter Konversationsblatt« drucken. Das Bild von der Kleinkinder-Bewahranstalt verwertete ich freilich nicht; denn obgleich ich erst zweiundzwanzig Jahre alt war, machte ich mir doch meine Gedanken und Bilder bereits selber. Auch fand mein natürlicher Gerechtigkeitssinn, daß der Maler etwas zu schwarz gemalt habe, und der Schriftsteller einige lichtere Farbentöne hinzusetzen müsse. So überschrieb ich denn auch den Aufsatz: »Vom Wesen und Unwesen der Kunstvereine.« Der längere Titel war offenbar schlechter als der von Schwind angegebene kurze, und der Inhalt wird durch meine ausgleichende Gerechtigkeit auch nicht besser geworden sein. Denn das Schlimmste war, daß ich mich fortreißen ließ, über einen Gegenstand zu schreiben, von dem ich nichts verstand, da ich noch gar keine Gelegenheit gehabt hatte, das Wesen und Unwesen der Kunstvereine zu beobachten. Es fehlte mir überdies der Schlüssel des Verständnisses für Schwinds Zorn über diese Institute, der in des Künstlers Zusammenhang mit der hocharistokratischen Corneliusschen Schule zu suchen war, welche die artigen Genrebilder und Stillleben und Landschaften, die im Kunstverein herrschten und besonders gefielen, als Produkte einer geschmackverderbenden Modekunst ansah. Ich hatte derlei Bilder recht gern betrachtet und thue es auch heute noch, wenn sie gut gemalt und anmutig und gemütlich sind. Warum denn nicht? Aber Schwinds blendenden Gedankenblitzen vermochte ich damals noch nicht zu widerstehen.
Und Schwind selber leistete auf die Dauer den Kunstvereinen doch nicht Widerstand.
Sieben Jahre später las ich in Augsburg, daß Schwind ein höchst originelles, soeben vollendetes Werk im Kunstverein zu München ausgestellt habe, seine sogenannte »Symphonie«. Ich fuhr am nächsten Tage nach München, um das Bild zu sehen, und der erste, welcher mir auf der Treppe des Kunstvereins entgegenkam, war Moriz von Schwind. Er ging sofort wieder mit mir zurück in den Ausstellungsraum, um mir sein Bild zu zeigen und zu erklären, einige Freunde gesellten sich dazu, und angesichts des überraschenden Kunstwerks, in welches man sich erst langsam hineinsehen mußte, entspann sich eine lebhafte Unterhaltung. Jeder wollte Schwind etwas Artiges sagen, indem er einzelne Schönheiten hervorhob, und zuletzt machte ich ihm ein Kompliment darüber, daß er sogar den Frack Franz Lachners und die moderne Gesellschaftstoilette von Fräulein Hetzenecker in seinem phantastischen Gesamtbilde künstlerisch zu verwerten gesucht habe. Darauf erwiderte er: »Wenn man einen Mann malen kann, der in einem eisernen Ofen steckt – was man einen geharnischten Ritter nennt – dann kann man noch viel leichter einen Mann im Frack malen. Man kann überhaupt malen, was man will, vorausgesetzt, daß man nur will, was man kann. Uebrigens habt ihr alle von der Hauptsache geschwiegen: die Hauptsache ist das Ganze, welches uns die Einzelheiten vergessen läßt.« Und mit erhobener Stimme rief er: »Das Ganze macht erst das Kunstwerk!«
Ich habe dieses Wort später noch mehrmals von ihm gehört; es lockt zu tieferem Nachdenken. Bei modernen Musikstücken werden wir anfangs nicht selten von einer Fülle spannender Einzelheiten gepackt und sind doch am Schlusse ermüdet und verstimmt, weil kein rundes, klares Ganzes daraus geworden ist. Bei so mancher schlichten Symphonie Haydns und Mozarts dagegen dünken uns Themen und Motive anfangs nicht besonders neu und bedeutend, allein sie entwickeln und verweben sich so notwendig zum harmonischen Ganzen, daß wir zuletzt im Genusse reinster Schönheit schwelgen. »Das Ganze macht das Kunstwerk!« Dieser Spruch bezeichnet die Stärke der klassischen Kunst; über lauter glänzenden Einzelzügen das Ganze zu verlieren, ist dagegen die Schwäche der romantischen Schule.
Und Schwind war ein klassischer Romantiker.
Als wir uns satt gesehen und gesprochen hatten vor der gemalten »Symphonie«, verabredeten wir, am Abende noch einmal im »Oberpollinger« zusammenzukommen und weiter zu plaudern. Es befand sich aber außer Schwind kein Maler oder Künstler in unserm kleinen Kreise. Schwind war an jenem Abend besonders aufgeräumt, und da wir uns trennten, sagte er: »Sonst war es in München üblich, daß die befreundeten Künstler den Genossen, der ein größeres Werk vollendet und ausgestellt hatte, zu einem gemütlichen Kneipabend einluden, und der Schöpfer des neuen Werkes nannte diesen Abend sein Fest. Mir haben die Künstler mein Fest nicht gegeben; allein ich habe es doch gehabt: dieser Abend war mein Fest!«
»Und Sie hätten selbst dieses Fest nicht gehabt,« rief ich, »ohne das Unwesen der Kunstvereine; denn der Kunstverein hat uns zusammengeführt und hat Ihr Bild Hunderten zum Genusse gebracht, bevor es im Königsschlosse zu Athen für Deutschland verloren gehen wird.«
»Doktor, jetzt haben Sie wieder recht,« entgegnete er, »wie Sie auch in Frankfurt nicht ganz unrecht hatten, als Sie nicht nur vom Unwesen, sondern auch vom Wesen der Kunstvereine schrieben.«
Schwind hat keine »Stimmungsbilder« gemalt, und doch klingt Musik aus seinen schönsten Gemälden, ja sogar aus seinen Zeichnungen.
Er war ein leidenschaftlicher Musikfreund; man konnte ihn auch einen feinen Kenner jener Tonmeister nennen, die er liebte, bei den andern freilich, die ihm gleichgültig oder unangenehm waren, hörte seine Kennerschaft auf. Er hat die Musik auch praktisch geübt. Man versteht Schwind, den Maler, nicht ganz, wenn man Schwind, den Musiker, nicht dazu nimmt.
Für unsre künstlerischen Liebhabereien sind und bleiben Jugendeindrücke zumeist entscheidend, und Schwind hatte das Glück, in seinen jungen Jahren jenem künstlerischen Kreise Wiens anzugehören, dessen Stern wir heute Franz Schubert nennen. Hiermit war die musikalische Signatur seines Lebens gegeben: seine besonderen Musikheiligen waren Beethoven und Schubert. Er verehrte die erhabene Kunst des einen ebenso unbegrenzt, wie er die gemütstiefe Kunst des andern aufs innigste liebte. Aber auch Mozart war ihm ans Herz gewachsen, und für Haydn hatte er ein feines Verständnis. Bemerkenswert ist, daß ihm das bilderreichste und farbenfrischeste der großen Werke Haydns, die »Jahreszeiten«, besonders gefiel, und daß er sich noch in seiner letzten Periode mit dem Plane trug, einen Bildercyklus zu den Jahreszeiten zu malen, der auf einer großen Tafel durch reich ornamentierte Bänder mit kleinen symbolischen Figurengruppen verbunden und umrahmt werden sollte. Er wußte die Fülle malerischer Erfindungen, die ihm hierfür vorschwebten, sehr fesselnd bis ins einzelste zu schildern.
Unter den lebenden Musikern schätzte Schwind vor allem seinen alten Freund Franz Lachner, mit welchem er schon von dem Schubertschen Kreise in Wien her in treuer, lebensdauernder Freundschaft verbunden war, und dessen Kunst ihm allezeit ebenso sympathisch blieb wie seine Person. Ein Denkmal dieser Freundschaft ist »Lachners Lebenslauf«, welchen Schwind voll sprudelnden Humors auf eine riesige, 40 Fuß lange Papierrolle zeichnete. Manches Schwindsche Bild hatte seine seltsamen Schicksale: die »Symphonie« mußte von München über Athen ihren Weg zur Münchener Neuen Pinakothek machen, der »Vater Rhein« machte unter mancherlei Metamorphosen von Karton und Malerei seinen Weg vom Rhein zur Spree, und »Lachners Lebenslauf« machte dann wieder einen ganz besonderen Weg durchs Fenster. In einer Winternacht geriet die Wohnung Lachners im obersten Stockwerk eines hohen Hauses der Dienersgasse in Brand. Es schien alles Bewegliche geborgen zu sein, als der Dachstuhl zusammenkrachte und der letzte Feuerwehrmann sich eben aus Lachners Studierzimmer flüchten wollte. Da entdeckte er noch einen verschlossenen Wandschrank. Er schlug die Thüre mit dem Beile ein, und eine ungeheure Papierrolle fiel ihm entgegen; er warf sie rasch zum Fenster hinaus, sie flog, sich entrollend von der schwindelnden Höhe herab, und Schwinds längste und humorvollste Zeichnung lag, der Länge nach, auf dem Pflaster zu Füßen der erstaunten Löschmannschaft. »Lachners Lebenslauf« war gerettet.
Schwind und Lachner huldigten der gleichen musikalischen Richtung, aber Lachners musikalischer Horizont war viel freier und weiter als der seines Freundes, und die damals so weihevollen Symphoniekonzerte im Münchener Odeon gaben Zeugnis dafür. Sie waren freilich keine »Versuchskonzerte«, allein von den im Läuterungsfeuer der Geschichte bewährten Meisterwerken brachten sie vielerlei und auch viel Neues. Man würde heutzutage sagen, sie boten viele »Ausgrabungen«; die sind jetzt selten geworden, dagegen mehren sich die »Begräbnisse« Frühverblichener ganz erstaunlich.
Schwind schüttelte manchmal den Kopf über seines Freundes historische Gerechtigkeit. Der leidenschaftliche Kunstfreund ist einseitiger als der Künstler: er hat seine altgewohnten Lieblingswerke, die ihm oft durch persönliche Erinnerungen teuer sind, und aus deren Zauberbanne er schwer hinauskommt.
Als seit der Mitte unsres Jahrhunderts Sebastian Bach wieder neu erstand – der »ganze Bach« war die großartigste »Ausgrabung« unsrer Zeit – da lebte sich Lachner, der Altromantiker, mit ungeahnter Kraft und Selbstentäußerung in die fremdartig tiefsinnige Kunst dieses Gewaltigen ein. Urkunde dessen sind seine Suiten. Ich möchte bezweifeln, daß Schwind bei Bach noch vollkommen mitzugehen vermochte. Bachs Kantaten waren ihm überdies doch etwas zu protestantisch oder, wie er sich auszudrücken pflegte, zu »hugenottisch«. Nach der Anhörung von Beethovens Missa solennis sagte er zu mir, es sei doch merkwürdig, daß die größte katholische Messe des neunzehnten Jahrhunderts von einem tauben Pantheisten komponiert worden sei, und die größte katholische Messe des achtzehnten, fügte ich hinzu, von einem lutherischen Kantor.
In Schwinds Gegenwart sprach ich einmal begeistert von der plastischen Schönheit und dem großen Zuge einzelner Arien Francesco Majos, Hasses und Traettas. Da Schwind diese Musik gar nicht kannte, so wollte er auch nichts Rühmendes davon hören und fuhr mir mit einer förmlichen Grobheit dazwischen. Als ich ihm aber noch gröber entgegnete, hörte er mich ruhig weiter an und nickte zuletzt zustimmend lächelnd. Er machte mir seitdem nie wieder eine unartige Bemerkung, auch wenn sich unsre künstlerischen Urteile schroff widersprachen. Hätte ich jene erste unhöfliche Kritik ruhig hingenommen, so würde ich vor noch unhöflicheren Zwischenreden in Zukunft niemals sicher gewesen sein.
Die damaligen löblichen Bestrebungen der deutschen Oratorienvereine, welche, den zündenden Anregungen von Gervinus folgend, Händels Oratorien besonders pflegten und eine ganze Reihe dieser Meisterwerke wieder ans Licht zogen, reizten seinen Spott, und er wußte die für Händel schwärmenden, fugensingenden Dilettanten sehr komisch zu parodieren. Hätten sie noch viel schlechter gesungen, aber für Beethoven und Schubert geschwärmt, so würde er sie nicht parodiert, sondern den guten Willen für die That genommen haben. Darum fehlte es ihm jedoch keineswegs an offenem Sinn für Händels souveräne dramatische Größe.
Auf einem Musikfeste wurde Händels »Messias« mit gewaltiger Massenwirkung der stark besetzten Chöre aufgeführt. Ein weltberühmter Virtuose, der nichts weniger als Händelisch gesinnt war, trat nach der mächtigen Schlußfuge zu Schwind und rief: »Es ist doch unausstehlich – dieses Elefantengetrampel!« Schwind sah ihn eine Weile mit großen Augen an und brach dann plötzlich in ein lautes Lachen aus. »Was haben Sie, worüber lachen Sie?« fragte der Virtuose. Schwind war sofort wieder höchst ernsthaft und antworteten »Wissen Sie, lieber Freund, was Ideen-Associationen sind? Ich lachte nur über eine Ideen-Association, die mich plötzlich überkam, als Sie das Wort ›Elefant‹ aussprachen. In meiner Kindheit besaß ich ein Bilder-ABC. Zu jedem Buchstaben waren zwei Tiere gemalt, deren Namen mit dem entsprechenden Anfangsbuchstaben begannen, nebst einem erläuternden Doppelvers. Beim E stand ein Elefant und ein Esel, und die Verse darunter hießen: ›Der Esel ist ein dummes Tier, der Elefant kann nichts dafür‹. Das war die Ideen-Association, über welche ich lachte.«
Schwind war aufs höchste erfreut, als ihm von Wien der Auftrag kam, einen Freskenzyklus für die Loggien des neuen Opernhauses zu malen, welcher, Scenen aus den bedeutendsten Opern darstellend, gleichsam eine illustrierte Geschichte der Oper bilden sollte. Er ging mit großem Eifer an die Kartons und behandelte Mozart vor allen am umfänglichsten und liebevollsten. Nach seiner Art nahm er sich dabei vor, einer der Mozartischen Operngestalten das Gesicht Mozarts zu geben. Aber welcher? In welcher seiner Bühnenfiguren hat Mozart sich selbst am sprechendsten gemalt? Diese Frage beschäftigte ihn lange, ohne daß er zu einem Entscheid kommen konnte. Da besuchte ich ihn eines Tages – es mag im Jahre 1864 gewesen sein – auf seinem Atelier. Im wahren Entdeckerjubel kam er mir entgegen und rief: »Ich hab's gefunden! Im Papageno hat Mozart sich selbst gemalt, Mozart ist Papageno; ich werde dem Papageno den Kopf Mozarts geben!« Und zugleich brachte er mir eine ganze Reihe von Blättern, auf welchen er lauter Papagenos in allen möglichen und unmöglichen Stellungen mit flüchtiger Kohle zur Auswahl skizziert hatte, und alle trugen den Kopf Mozarts.
Ich stutzte. Mozart Papageno? Freilich, ein echtes Naturkind, wie Papageno, war auch er, und wenn irgend einer von sich sagen konnte: »Ich singe, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet«, so konnte es Mozart, und seinen Papageno hat er mit besonderer Liebe behandelt, und noch auf dem Sterbebette sagte er: »Nur einmal noch möchte ich die Zauberflöte hören!« und sang dann ganz leise vor sich hin: »Der Vogelfänger bin ich ja.« Aber sein letztes Sinnen, Singen und Dichten war doch das Requiem, und Schwanthaler hat bei seiner Mozartstatue dem Meister ein Notenblatt in die Hand gegeben, auf welchem nicht steht: »Der Vogelfänger bin ich ja,« sondern: »Tuba mirum spargens sonum!« Es gibt noch einen größeren Mozart, als den Mozart-Papageno.
Ich machte Schwind diese Einwände, allein er ließ sich nicht irre machen und sagte zum Schluß: »Ich habe recht. Denken Sie nur gründlicher nach!« Und er hat Papageno mit dem Kopfe Mozarts gemalt.
Schwind kam mir damals auf längere Zeit aus den Augen; ich sah ihn erst im Jahre 1866 wieder – nach dem Kriege. Ich fragte ihn, wo er während des Krieges gewesen sei und was er damals getrieben habe. Als ein guter Oesterreicher war er tief erschüttert von den schweren Schicksalsschlägen, welche sein geliebtes Heimatland trafen. Er sagte: »Ich war in Wien und habe an meinen Mozartbildern gemalt; und dabei tröstete ich mich und dachte, Mozart wird doch das ganze Königreich Preußen überdauern. Staaten gehen in Trümmer und Völker versinken, aber das wahre Kunstwerk bleibt; Hellas ist versunken, aber der alte Homer lebt noch.«
»Und ist Ihnen dieser Mozart, der Sie zu solchen Gedanken erhob, immer noch Papageno? Haben Sie immer noch recht?«
»Freilich habe ich recht!« entgegnete er; denn Schwind hatte für sich immer recht; »nur müssen wir zum Papageno noch die übrige Zauberflöte hinzunehmen. Das Ganze macht das Kunstwerk, das Ganze macht auch erst den rechten Papageno.«
Und hiermit hatte Schwind in der That das Richtige getroffen; denn kein andres Werk spiegelt so getreu den ganzen Mozart, wie die Zauberflöte. Aber Schwind zog doch den Papageno besonders hervor, weil nicht nur in Mozart, sondern auch in ihm selbst ein Stück idealer Papagenonatur schlummerte. Man begreift dann auch, daß Schwind kein Herz gewinnen konnte für eine musikalische Dramatik, die über lauter dröhnendem Pathos und lodernder Leidenschaft jede Spur deutscher Gemütlichkeit und deutsch volksmäßigen Humors verloren hat. Wagner konnte keinen Platz in dem Operncyklus eines Malers finden, dem Mozart Papageno war.
Zu den alten Tonmeistern, welche Schwind besonders liebte, gehörte Dittersdorf. Bei den Wiener Opernfresken stand ihm nicht völlig freie Wahl der darzustellenden Künstler und Scenen zu, sondern verschiedene Herren in Wien, wenn ich nicht irre, eine förmliche Kommission, hatte mitzuentscheiden. Als Vertreter der italienischen Opernmusik war neben Rossini auch Bellini auf dem Plan der Bilderfolge bestimmt. Schwind war kein besonderer Freund der »Norma«, die er hätte verherrlichen sollen; Dittersdorfs weit minder »vornehmer,« aber so lustiger und gemütlicher »Doktor und Apotheker« wäre ihm viel lieber gewesen, und er meinte überdies, daß der Altmeister der deutschen komischen Oper, der zudem ein Oesterreicher war, und dessen Hauptwerke von Wien aus ihren Siegeszug durch ganz Deutschland angetreten hatten, weit eher einen Platz unter den Ehrenbildern des dortigen Theaters verdiente, als der sentimentale Italiener. Er wandte sich darum an Lachner und mich und ließ sich von uns ein Gutachten geben über die musikalische und historische Bedeutung Dittersdorfs, welches aber bei der Kommission nicht sonderlich verfangen zu haben scheint.
Doch Schwind gab sich nicht leicht geschlagen – in Sachen der Musik vielleicht noch weniger als in Sachen der Malerei. Bald darauf hatte er in Wien eine Audienz beim Kaiser, welchem er die Pläne und Skizzen seiner Fresken vorlegen und erläutern durfte. Er nahm die Gelegenheit wahr, um dem Monarchen aufs wärmste vorzustellen, wie viel passender es doch wäre, den deutschen Meister an die Stelle Bellinis zu setzen. Der Kaiser nahm seine Worte wohlwollend und mit zustimmenden Bemerkungen entgegen. »Das freute mich sehr,« so erzählte mir Schwind später, »aber in demselben Augenblicke war ich auch schon wieder von Besorgnis ergriffen und dachte, wenn ich den Herren von der Kommission diese Unterredung erzähle, dann denken sie, daß ich viel mehr meine Ansicht als die des Kaisers vortrage, und daß eine im Gespräch hingeworfene höfliche Zustimmung noch lange kein Befehl sei. Und sie waren so steif erpicht auf ihren Bellini. Da erblickte ich ein Tintenfaß, welches auf dem Tisch neben den Plänen stand. Ich ergriff sofort die Feder, tauchte sie ein, überreichte sie dem Kaiser und sprach: ›Möchten doch Euere Majestät geruhen, Ihre soeben ausgesprochene Willensmeinung hier auf dem Plan der Bilderfolge nur mit einem Worte einzutragen!‹ – Der Kaiser nahm lächelnd die Feder, strich den Namen Bellini aus und schrieb darunter: Statt dieses – Dittersdorf. Nun hatte ich gewonnen, ich eilte jubelnd zu der Kommission, zeigte ihr den schriftlichen allerhöchsten Befehl, und Dittersdorf war gerettet.«
Mit besonderer Liebe entwarf Schwind später die anmutvolle erste Scene aus »Doktor und Apotheker«, und als er mir angesichts des Kartons seinen Sieg erzählte, fügte er hinzu: »Die Musikgeschichte der Zukunft wird das Urteil bestätigen, sie wird Dittersdorf wieder zu vollen Ehren bringen, sie wird den Namen manches heute überschätzten Modekomponisten ausstreichen und an dessen Stelle das kaiserliche Wort setzen: Statt dieses – Dittersdorf!«
Schwind war nicht bloß Musikfreund, er war auch »musikalisch«, er übte die Musik praktisch, in jüngeren Jahren vermutlich mehr, als in der späteren Zeit, da ich ihn kannte. Im anspruchslosen Hausquartett spielte er gern die zweite Geige oder die Bratsche; er las seine Stimme besser, als er sie spielte, allein er las und spielte mit heiligem Eifer. Als er von der Ausführung der Wartburgbilder heimkehrte, erzählte er mit besonderem Behagen, wie er in Eisenach ein regelmäßiges Quartett zusammengebracht, wie ihn dies erquickt und für die Malerei oben auf der Burg immer wieder neu angeregt habe, und die Hausgenossen, ja die ganze Nachbarschaft habe ihm Dank gewußt für das Quartett; denn je schlechter es gegangen, um so begeisterter und nachhaltiger hätten sie drauf losgegeigt, so daß zuletzt alle Ratten und Mäuse auf weithin verschwunden seien. »Das waren meine schönsten Stunden in Eisenach,« so schloß er, wehmütig lächelnd. Bei einer Abendgesellschaft im gastlichen Martiusschen Hause zu München bekam die junge Welt Lust zum Tanzen, und weil keine besseren Musikanten zur Stelle waren, spielte Schwind mit mir unermüdlich zum Tanze auf und war seelenvergnügt darüber. Ein Kneipabend der Münchener Künstler »bei Schaffroth« war durch die Anwesenheit des Meisters Cornelius verherrlicht, der auf der Durchreise von Berlin gekommen war. Mitten im fröhlichen Getümmel ließ sich Schwind eine Geige bringen, trat vor den Gefeierten, der etwas überrascht, doch in olympischer Ruhe dasaß, und intonierte das Lied »Prinz Eugen der edle Ritter«. Der alte Ringseis sprang hinzu und sang die Strophen Solo mit gewaltiger Stimme, und die Künstler erhoben sich, stellten sich im Ring hinter die beiden und sangen Chorus. Das hatte sich alles so von selbst gemacht. Schwind malte nicht bloß Bilder, er gab mitunter auch ein köstliches Bild. Bei einem Musikfeste im Münchener Glaspalast war Schwind, damals schon ein guter Fünfziger, als freiwilliger Bratschist in das verstärkte Orchester eingetreten. Der charakteristische Graukopf mit dem jovialen hochgeröteten Gesicht inmitten der jungen Musiker, der Aelteste, aber auch der Eifrigste von allen, bot einen höchst erfreulichen Anblick. Es war eine schöne Zeit, als man noch »Musik machen« durfte, was heute bekanntlich verpönt ist! Durch das »Musikmachen«, auch der Dilettanten, erwuchs vor Zeiten die idealste Kunst unsrer klassischen Periode so lebensfrisch und blieb vor akademischer Versteifung bewahrt.
Schwind hat seine geliebte Geige oftmals künstlerisch verherrlicht, am merkwürdigsten auf seinem großen Oelbilde vom »Vater Rhein«. Dieses Bild war sein Schmerzenskind; es ist gewiß eine seiner schwächeren Arbeiten; er hatte viel Achselzucken darüber zu sehen, vielen Tadel zu hören, er änderte mannigfach daran und jammerte lange Zeit darüber, daß es ihm kein Mensch abkaufen wolle; und er liebte das Bild doch ganz besonders, wie man seine kranken Kinder am liebsten hat. Der Vater Rhein spielt auf dem Gemälde bekanntlich die Geige, und der Künstler hielt diesen Gedanken für besonders glücklich. König Ludwig I. hatte Interesse für das Bild, dessen einzelne Schönheiten seinem Kennerauge nicht entgingen, er zeigte sich auch nicht abgeneigt, dasselbe anzukaufen; nur die Geige störte ihn. Er suchte Schwind zu bereden, daß er dem Vater Rhein ein andres Instrument in die Hand geben möge. Schwind blieb standhaft bei seiner Geige. »Aber die Fiedel! immer noch die Fiedel!« rief der König, als er bei wiederholtem Besuche das Bild mit erneuter Aufmerksamkeit betrachtete. Da hielt Schwind, wie er nachgehends erzählte, dem fürstlichen Mäcen einen förmlichen Vortrag über die Geige, die Königin der Instrumente, über ihren Adel und ihre Würde. Die Geige, welche der Vater Rhein spiele, sei ja nicht die Geige Paganinis, es sei die Geige des Nibelungenlieds, die Heldengeige Volkers des Fiedlers, der das Schwert ebenso kräftig zu führen verstand wie den Fiedelbogen. Schon beim ersten Ersinnen des Bildes habe er an den Rhein der Nibelungen gedacht und sich von Anbeginn den Vater Rhein vorgestellt, wie er entweder am Ufer gelagert den lauschenden Nixen Märchenweisen spiele, oder anmutig zurückgelehnt auf den grünen Wogen einhertreibe; – und durch das leise Rauschen der Flut und mit dem Wasserrauschen harmonisch verschmolzen, erklinge dann der edle, reine, große und doch so innige, zart bestrickende Ton seiner Geige. Der König sann lange über den Worten des dichtenden Malers; aber plötzlich schüttelte er doch wieder den Kopf und rief: »Die Fiedel! die Fiedel!« Da fragte Schwind, welches andre Instrument er denn dem Vater Rhein geben solle. »Wünschen Eure Majestät vielleicht, daß der Vater Rhein Klarinette blase? oder soll er Klavier spielen?« – Der König lachte; aber das Bild hat er nicht gekauft.
Weniger bekannt als Schwinds satirische Epigramme sind seine vielen geistreichen, gleichfalls epigrammatischen Sentenzen über Aufgabe, Wege und Ziele der Kunst, die er je nach Zeit und Anlaß schalkhaft hervorsprudelte oder auch väterlich lehrhaft vortrug. Sie gäben prächtige Studien zu einer praktischen Aesthetik. Als er einmal einen kleinen Künstlerkreis durch eben solche Aussprüche entzückt hatte, sagte einer der Freunde, es sei doch jammerschade, daß diese und tausend ähnliche goldene Worte aus seinem Mund verloren gingen, er möge sie doch aufschreiben und zu einem Büchlein sammeln. Schwind entgegnete, er könne nicht schreiben. Der Freund bestritt dies zwar, und mit Recht, meinte aber, wenn Schwind nicht schreiben möge, dann solle er seine Gedanken einem Manne der Feder vortragen, daß dieser sie aufzeichne, ordne und drucken lasse. Schwind erwiderte: »Ein besonderer Anlaß hat derlei Gedanken geweckt, der Augenblick hat sie geboren, und im gleichen Augenblick mochten sie vielleicht frischweg wirken und gefallen. Wenn aber der Mann der Feder sie erst niederschreibt, der Drucker sie druckt und der Leser sie endlich liest – was sind jene Gedanken dann zuletzt? – Ein aufgewärmtes Gefrornes!«
Noli me tangere! Schwind war so begierig auf Anerkennung wie andre Leute, allein er ließ sich nicht gern ins Gesicht loben. Der echte Künstler wird verschämt, wenn er sein eigenes Lob hört; er schneidet es ab und hilft sich vielleicht aus der Verlegenheit, indem er sich selber persifliert.
Im Jahre 1858 hatte unser Meister seine eben vollendeten »Sieben Raben« auf die damalige deutsche Kunstausstellung im Münchener Glaspalaste gebracht. Diese Ausstellung von Gemälden älterer und neuester Zeit war nicht die reichste, aber vielleicht die vornehmste, welche München gesehen hat. Und Schwinds Bild, durch seine Neuheit überraschend, erschien auch in der hochbedeutenden Umgebung als ein bewundernswertes Meisterwerk, ja man kann sogar sagen, mit der Ausstellung von 1858 begann erst die allgemeine Anerkennung Schwinds.
Ich besuchte damals den Glaspalast in Begleitung eines auswärtigen Freundes, der schon längst ein stiller Verehrer der Schwindschen Muse war, aber den Meister persönlich noch nicht kannte. Die »Sieben Raben« erregten sein besonderes Entzücken. Da ging Schwind vorüber. Ich ergriff den Augenblick, um dem Künstler meinen Freund vorzustellen, der ihn in warmen Worten darüber beglückwünschte, daß er in diesem Märchencyklus eine so neue und echt deutsche Gattung idealer romantischer Kunst aufgeschlossen habe. »Eine echt deutsche Gattung idealer romantischer Kunst!« wiederholte Schwind ganz langsam, jedes Wort wägend – »lieber Herr! für mich gibt es nur zwei Gattungen von Bildern: das sind die verkauften und die unverkauften, und die verkauften sind mir alleweil die liebsten. Das ist meine ganze Aesthetik.« Mein Freund war wie mit kaltem Wasser begossen, und die Unterredung war zu Ende.
Schwind hatte in der That große Freude an seinen verkauften Bildern, sofern sie gut verkauft waren, allein ums Geld hat er doch wahrlich nicht gemalt. Er wollte nur nicht ins Gesicht gelobt sein, und noch weniger wollte er's hören, daß man sein kaum vollendetes Werk stracks in die richtige Schachtel einer ästhetischen Kategorie steckte. Mein Freund bedauerte nachgehends gegen mich, daß er nicht bloß das Bild gesehen habe, sondern auch den Meister dazu. Ich aber meinte, er solle sich vielmehr darüber freuen; denn die Antwort Schwinds habe zwar etwas unfein gelautet, bei näherer Betrachtung aber sei sie sehr fein. Nur bedurften Schwinds Worte häufig ebensosehr eines Kommentars wie seine Bilder.
Lukas von Führich rühmt in seiner »Lebensskizze« unsres Malers das freundliche Entgegenkommen, mit welchem derselbe ganz fremden Künstlern in Rat und That zur Hand ging, und erzählt: »Als ihn in späteren Jahren der Maler August von Wörndle aus Wien über seine Art des Freskomalens befragte, ließ er gleich einen Bewurf im Atelier machen und malte ihm frischweg ein Studium an die Wand.«
Diese kleine Geschichte erhält jedoch erst ihre volle Bedeutung für die Charakteristik Schwinds, wenn man eine andre daneben stellt, wie in Johann Jakob Engels »Tobias Witt«, wo immer zwei Geschichten sich erläutern.
Es kam einmal ein vornehmer Dilettant zu Schwind, der sich und andre mit Zeichnen und Malen plagte, und bat ihn, er möge ihn doch auf einige Tage oder Wochen in seine Schule nehmen und ihn namentlich in seiner meisterhaften Kunst der Bleistiftskizze unterweisen, er möge ihm zeigen, wie er das eigentlich anfange.
Darauf erwiderte Schwind: »Hierzu bedarf es keiner Tage und Wochen, lieber Herr Baron, ich kann Ihnen in drei Minuten sagen, wie ich's anfange, ich kann Ihnen die ganze gewünschte Unterweisung augenblicklich geben. Hier liegt mein Papier – wollen Sie sich gefälligst notieren – ich kaufe es bei Bullinger, Residenzstraße 6; dies sind meine Bleistifte – A. W. Faber – ich beziehe sie von Andreas Kaut, Kaufingerstraße 10; von derselben Firma habe ich auch dieses Gummi, gebrauche es aber wenig; desto öfter benütze ich dieses Federmesser, um die Bleistifte zu spitzen, es ist von Tresch, Dienersgasse 10, und sehr empfehlenswert. Habe ich nun alle diese Dinge beisammen auf dem Tisch liegen und dazu einige Gedanken im Kopf, dann setze ich mich und fange an zu zeichnen. Und jetzt wissen Sie alles, was ich Ihnen sagen kann.«
Ueber Schwind als Lehrer und namentlich über sein persönliches Verhalten zu seinen Schülern kann man völlig widersprechende Urteile gedruckt lesen. Im Grunde widersprechen sie sich aber nicht, sondern erläutern sich wechselsweise wie die Doppelgeschichten im »Tobias Witt,« und das eigentlich Richtige ist ein drittes: Begabte und fleißige Schüler belehrte Schwind wie den Maler Wörndle, und talentlose und lässige unterwies er wie den Baron. Er gehörte nicht zu jenen gebornen Schulmeistern, die auch den Mittelmäßigen leidlich tüchtig zu machen wissen und allen Schülern den gleichen Stempel ihrer Schule aufprägen. Eine »Schule« Schwinds hat es in diesem Sinne nie gegeben – zum Glück des Meisters. Denn je größer und getreuer die Gefolgschaft der Schule eines schöpferischen Künstlers ist, und je länger sie ihn überlebt, um so mehr trivialisiert sie seine Kunst und Art und veräußerlicht sie zur Schablone, so daß den Nachlebenden die Originalität des Meisters selber zuletzt wie Schablone und Trivialität erscheint. Der letzte Schüler muß dann wenigstens 50 Jahre tot sein, bis ein neues Geschlecht die Frische und Ursprünglichkeit des inzwischen unterschätzten Meisters wieder frisch zu empfinden vermag.
Von diesem Fluch der Schule, unter welchem oftmals unsre größten Genien gelitten haben, blieb Schwind völlig verschont. Er war und blieb einsam in seiner Kunst. Der einsame Mann hatte bei Lebzeiten viele Freunde und viele Widersacher, aber Partei und Gegenpartei standen nicht widereinander. Darum hat er sich auch nach seinem Tode trotz allen Wandels der Kunstmode so lebendig behauptet. Es ist nichts schlimmer für den dauernden Nachruhm eines Künstlers, als wenn sich eine geschlossene Partei um ihn schart, die seine Person auf den Schild hebt und jeden Mitstrebenden an die Wand drückt. Die Sünden der Partei werden früher oder später dem Meister sämtlich ins Schuldbuch geschrieben. Wenn sich je eine Partei für Schwind gebildet hätte, so würde sie nicht lange Bestand behalten haben: er selbst hätte sich seine Partei bald genug vom Leibe räsonniert.
Bei einem Atelierbesuche – es mag im Jahre 1852 gewesen sein – fand ich Schwind mit einer kleinen Zeichnung für den Holzschnitt beschäftigt, und zwei ähnliche Skizzen lagen daneben. Es waren Blätter für ein populäres Bilderbuch zur bayerischen Geschichte, an welchem viele namhafte Künstler mitarbeiteten. »Dies sind gegenwärtig alle meine Aufträge!« rief Schwind, in tiefem Unmut auf die drei Blätter deutend. »Ich bekomme gar keinen Auftrag mehr; nur bei diesem Bilderbuch, an welchem alles mithilft, was nur einen Bleistift führen kann, hat man zuletzt auch an mich gedacht.« Er entwickelte mir dann das Programm des Unternehmens und nannte die einzelnen Scenen, welche darzustellen waren, und die Künstler, welche sie zeichnen sollten. »Zuallerletzt wird man wohl auch noch Steinle heranziehen, und er wird dann vermutlich als Titelblatt zeichnen: ›Wie Gott Vater den bayerischen Löwen erschafft.‹« Nachdem sich Schwind mit dieser kleinen Bosheit – die aber nicht bös gemeint war – Luft gemacht hatte, kam er wieder in eine zufriedenere Stimmung.
Seine Klage über das Ausbleiben größerer »Aufträge« war übrigens damals wie zu andern Zeiten sehr begründet. Und doch war es ein Glück für Schwind, daß er nicht mehr Aufträge erhielt; vielleicht hat er deren noch viel zu viel erhalten. Gar manche seiner im Auftrag gemalten großen Bilder sind keineswegs die besten; jene Werke dagegen, welche ihm den großen Namen und unvergänglichen Ruhm gewannen, das Aschenbrödel, die Sieben Raben, die Schöne Melusine wurden nicht im Auftrag gemalt. Gerade wann er in Ermangelung von Aufträgen nichts Besseres zu thun hatte, machte er sein Bestes. Ein Maler wie Schwind mußte sich seine Aufträge selber geben. Gute Gedichte dichtet man auch nicht im Auftrag, und Schwind war ebensosehr Dichter als Maler, bei welchem die vollste persönliche Freiheit des Erfindens, Ausdichtens und Ausgestaltens alles entschied.
Schwind war im Jahre 1847 zu spät und zu früh nach München gekommen. Die Kunstherrlichkeit der Corneliusschen Epoche stand im Niedergang, und ein neuer, zwar minder großer, aber auch minder einseitiger Aufschwung des künstlerischen Lebens, der nachfolgen sollte, ließ noch auf sich warten. Schwinds Briefe geben Zeugnis für die Enttäuschung, die ihn bald in München bedrückte.
Im Frühling 1852 wurde Emanuel Geibel nach München berufen. Zur Begrüßung des Dichters veranstalteten seine Verehrer eine Geibelfeier, ein großes Bankett, bei welchem man auf die Beteiligung der Spitzen der Münchener Geistesaristokratie jeglicher Art rechnete. Dr. Altenhöfer hat nachgehends dieses Fest in einem viel verbreiteten Gedichte besungen, welches aber kein Hymnus ist, sondern ein Stachelkranz von satirischen Spitzen gegen jene Spitzen.
Als ich in jener Zeit zufällig von Augsburg nach München kam, erzählte mir Schwind beim ersten Begegnen sofort von dem geplanten Feste als der merkwürdigsten Neuigkeit des Tages. Man habe auch ihn eingeladen, allein er werde absagen. Geibels Gedichte kenne er recht gut, habe aber gar keinen Anlaß, den Dichter zu feiern. »Was geht mich Herr von Geibel an? Diese Geibelfeier bedeutet, daß das alte München begraben werden soll. Ich gehöre zum alten München; ich will nicht bei meinem eigenen Leichenschmause mitessen.« Aus diesen Worten sprach die Eifersucht einer Künstlerschaft, die bis dahin alleinherrschend gewesen war, auf die aufsteigende Mitherrschaft der Dichter und Gelehrten. Allein Schwind gehörte gar nicht voll zum alten München und war ja gerade seit Jahren darüber verstimmt, daß er im alten München den gehofften Boden nicht hatte finden können. Er war zu spät gekommen und damals immer noch etwas zu früh; denn seine rechte Stelle fand er nachher im neuen München, und so hätte er bei dem Bankett immerhin mitessen können.
Gar bald urteilte Schwind auch nicht mehr so kalt und ablehnend über Geibel. Beide Männer, in der inneren und äußeren Sprache ihrer Kunst einander so fern stehend, waren doch einig in der hohen Idealität ihrer Motive und Ziele, und so lernten sie sich auch mit der Zeit verstehen. Geibel gewann große Freude an Schwinds Bildern und an dem Geist und Humor, der fast jedes flüchtige Gespräch mit dem seltsamen Manne fesselnd und belehrend machte; und Schwind gewann Fühlung für den hohen Adel von Geibels Dichten und Denken. Es entwickelte sich ein zwar nur sprunghafter, aber dauernder freundschaftlicher Verkehr. Als Geibels junge Frau, gleich ausgezeichnet durch ihre zarte Schönheit wie durch ihr unschuldvolles, gütiges, mildes und doch im Dulden so starkes Wesen, gestorben war, wollte Schwind das Antlitz der Verklärten zeichnen. Allein nach kurzen Versuchen warf er das Blatt weinend hinweg; er hatte vor Thränen nicht zeichnen können. Auf dem ersten Blatte der Märchenbilder von den »Sieben Raben« sieht man rechts im Mittelgrunde eine ideale Frauengestalt in weißem Gewande, mit weißem Schleier, einen Kranz von weißen Rosen auf dem himmelwärts blickenden Kopfe: dies ist Frau Ada Geibel, welcher Schwind noch mehrere Jahre nach ihrem Tode ein so sinniges und dauerndes Denkmal gestiftet hat. Nebenan in der Ecke sitzt der Meister selbst, den Kopf nachdenklich auf die Linke gestützt, während er im rechten Arm sein früh verstorbenes Töchterchen Luise hält, die als schlummernd dargestellt ist mit einem Lilienstengel im Händchen. Die kleine Gruppe mit den beiden Verstorbenen hat etwas unaussprechlich Rührendes.
Schwind war im Jahre 1847 zu früh nach München gekommen, aber seit 1853, und namentlich seit dem durchschlagenden Erfolg der »Sieben Raben«, lebte er ganz zur rechten Zeit in München. Er malte seine schönsten Bilder ohne Auftrag, allein er malte sie angeregt von einer Umgebung, die ihm zuerst fremd, ja gegnerisch erschienen ist. Er war ja gar nicht der absolute Maler, der in der Luft einer reinen Malerstadt hätte leben müssen; er war ebensogut Poet und Musiker, nur nicht, indem er gedichtet und musiziert hätte, sondern indem er malte; er hatte in Wien zu Schuberts Zeit seine ersten tiefgreifenden Anregungen in einem gemischten Kreise von Dichtern, Malern und Musikern gefunden, aus diesem Zauberbanne kam er nicht wieder heraus, und dieselben gemischten Einflüsse, ganz anders freilich nach Zeit und Art, sollten auch in seiner letzten Periode des gereiften Künstlertums fördernd auf ihn wirken.
Der ehemalige Schüler von Cornelius gehörte recht eigentlich in das München König Max' II., welches man nur versteht und gerecht würdigt, wenn man das ganze damalige Münchener Geistesleben in seiner Totalität erfaßt. Und diese Totalität spiegelt sich in Schwinds Märchencyklen, in seinen Wartburgbildern, in seinen Fresken des Wiener Opernhauses.
Als sich der Münchener Dichterkreis zu bilden begann, stand ihm Schwind spröde gegenüber; und zuletzt sollte es doch ein Genosse dieses Dichterkreises sein, der Dichter Adolf von Schack, der den intimsten Bildern und Bildchen Schwinds eine Heimstätte in der Galerie seines Hauses schuf, wie sie keine öffentliche Galerie geben konnte, Tausenden zum still andächtigen Genusse.