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Samuel Amsler

Ein Charakterkopf aus der Münchener Kunstschule

1858.

»Die Zeit« schafft den schöpferischen Mann, damit dieser hinwieder seine Zeit schaffen helfe; jeder epochemachende Geist ist zugleich Kind und Vater, Jünger und Meister seiner Zeit. Denn was bedeutet dieses vielsagende Wort »Zeit« hier anders als die Summe der gegenwärtigen Culturentwickelungen, die auf uns einströmen und unsern Geist bezwingen und beugen und bilden; aber unser Geist ist mit seinem Schaffen ja doch auch wiederum ein nothwendiger Theil dieser Summe, und je kräftiger unsere Persönlichkeit von Natur angelegt ist, um so fröhlicher dürfen wir uns der Zeit hingeben. Und je entschiedener ein starker Mann sich hingiebt an seine Zeit, um so siegreicher kann er wiederum dieser Zeit Meister werden.

Diesen Satz könnte man der Lebensgeschichte von Staatsmännern und Helden, von Dichtern und Philosophen im großen Style voranschicken: ich schreibe ihn aber hier als Motto zu der Charakteristik eines Meisters jener bescheidensten Kunst, in welcher die Kunst der Selbstentsagung das größte Meisterstück ist – eines Kupferstechers, Samuel Amsler's.

Die Zeitgenossen kannten ihn als einen Mann, der den meisten Mitstrebenden voranging durch seinen unbeugsamen Eifer für Reinheit und Idealität in der Kunst, durch seine strenge Auswahl von Originalen des plastischen und großen Styles, durch sein Trachten, mehr den geistigen Gehalt der Composition und die Größe und Correctheit der Zeichnung als Gluth und Glanz der Farbe in seinen Stichen wiederzugeben, und die Kunstgeschichte hat sein Wirken in dieser Richtung nicht vergessen, wenn sich auch nur noch eine kleine stille Gemeinde an seinen ohnehin dem großen Publikum fern liegenden Werken erbaut. Diese Grundlinien von Amsler's rein künstlerischer Thätigkeit selbständig weiter auszuführen, ist jedoch nicht meines Amtes. Ich fasse den Kupferstecher vielmehr vom Standpunkte des Culturhistorikers und sein Leben als ein Charakterbild zur Geschichte unserer Zeit. Und mit dieser Erweiterung des Hintergrundes scheint mir auch die Gestalt des Mannes zu wachsen und bedeutsamer zu werden im Sinne jenes Wortes, welches ich an den Eingang dieser Skizze gestellt habe. Nicht der Umstand nämlich, daß Amsler so trefflich gestochen hat, ist mir das Fesselndste in seiner Erscheinung, sondern vielmehr daß er, einmal von den Reformideen der modernen Kunst erfaßt, dieselben mit einer so treuen und unwandelbaren Hingebung verfolgte und die Consequenzen dieser seiner Kunstrichtung so innig in seinen persönlichen Charakter hineinwachsen ließ, daß er uns in seiner stätigen, abgeschlossenen, selbstgewissen Natur recht wie ein Mann aus der fabelhaften »guten alten Zeit« erscheint, während er andererseits doch ein so ächtes Kind des neunzehnten Jahrhunderts war. In der Aufopferung für das von ihm als das ächteste erkannte Kunststreben der Zeit, half er diese Richtung selbständig fortbilden, und indem er, mehr als die meisten Fachgenossen, die Entsagung von aller subjectiven Willkür als die erste Tugend des Kupferstechers erkannte und mit wunderbarer Gewissenhaftigkeit übte, ward er gerade vor so Vielen ein geistvoller, origineller, das bloße Handwerk besiegender Kupferstecher, während gegentheils jene nachbildenden Künstler, denen diese Entsagung fehlt, gerade darum allezeit die geistlosen Sklaven des Handwerks geblieben sind.

Zum Kupferstecher muß man von Kind auf erzogen sein; Niemand wird sich erst im reiferen Alter zu dieser Kunst bekehren, welche das mühselige technische Vorstudium eines halben Lebens heischt. Aeußerst selten ist aber auch ein großes Talent zum Kupferstecher erzogen worden ohne eine harte Schule der Noth, des Zwanges und der Beschränkung. Denn wer zur bildenden Kunst begabt ist, dabei aber nicht frühzeitig zur größten Selbstentsagung gezwungen wird, daß er selbst in dem äußersten Mühsal der Arbeit noch Freude und künstlerisches Genügen finden lernt, der wird ein Maler werden, aber kein Kupferstecher. Darum beginnt die Lebensgeschichte fast aller dieser Künstler mit Beschränkung, Kampf und Entbehrung. Volpato verdiente sich anfangs mit Zeichnungen zu Stickmustern sein Brod; Schmutzer hütete als Metzgerjunge die Hämmel neben der Kunstakademie zu Wien, und als er sich von da in die Akademie selber hineinstahl, wurde der Direktor zunächst durch den Metzgergeruch auf die absonderliche Erscheinung des hospitirenden Kunstjüngers aufmerksam und durch diese endlich erst auf sein Talent; Joh. Heinr. Lips sollte nach seines Vaters Berufe Dorfbarbier werden und erkämpfte sich sauer genug das Recht, seine »Taillen« in die Kupferplatte statt in die Bärte der Bauern zu schneiden; H. Merz fand aus dem Waisenhause den Weg zu seiner Kunst und Jul. Thäter mußte als Knabe erst darthun, daß er zum Schneider, zum Branntweinbrenner und einigen anderen Berufen nichts tauge, bevor man inne ward, daß er zu einem vortrefflichen Kupferstecher berufen sei.

Dies sind Männer, welche in der Schule der Noth sich mit ihrer mühevollen Kunst befreunden lernten. Für eine andere Gruppe wirkte die Vereinsamung in früher Jugend und eine versuchte gewaltsame Absperrung von der künstlerischen Bahn Aehnliches, wie bei Jenen Noth und Beschränkung. Amsler gehört in diese Gruppe. Er war zu Schinznach im Aargau geboren (1791). Aargau hatte damals noch nicht den Namen des schweizerischen »Culturstaates,« und auch diese moderne aargauische Cultur hat wohl wenig mit der Pflege der Kunst zu schaffen. Wenn nun gar vor sechzig Jahren ein junger Aargauer, der kaum über die nächsten Berge hinausgekommen war, sich für die Kupferstecherkunst begeisterte, so ist dies fast ähnlich, wie wenn Jemand in München von unbezwinglicher Leidenschaft für das Seewesen ergriffen würde. Als Amsler bereits ein berühmter Meister geworden und die Kunde seines Ruhmes auch zu seinen Landsleuten zurückgedrungen war, gab Einer derselben einem Andern, der ihn befragte, was denn aber eigentlich ein Kupferstecher sei? die Antwort: »E Chupferstecher isch Eine, wenn er en ganze Monat amene Stückli g'arbeitet het, so groß wie 'ne Neuthaler, so g'sehscht erscht no nüt.«

Wie der Gau, so war auch die Familie künstlerischen Überlieferungen fremd. Sie zählte zu den alten, angesehenen Bürgerhäusern der Gegend, und Amsler's Vater, ein Arzt, war so ganz ein Mann von altem Schrot und Korn und in den ländlichen Gewohnheiten der Heimath festgewurzelt, daß er nicht nur die eigene Bewirthschaftung des ererbten Landgutes neben der Uebung der Heilkunst fortführte, sondern auch seine Knaben bis zum Jünglingsalter, seine Tochter bis zur Verheirathung anhielt den elterlichen Acker mitzubauen. Von jenen äußerlichen Anregungen, die so oft selbst ein blos scheinbares künstlerisches Talent frühzeitig spielend entwickeln, war also hier nicht die Rede. Im Gegentheil: trotz aller entgegenstehenden Jugendeindrücke brach bei dem jungen Amsler der Beruf zur bildenden Kunst hervor, zum Räthsel für den Psychologen. Schlechte anatomische Zeichnungen weckten den Sinn für die Nachbildung der menschlichen Gestalt, despotische Schönschreibe-Uebungen das Auge für die Linienreinheit des künftigen Kupferstechers, die Ornamentirung eines Kachelofens führte den Knaben zu den ersten plastischen Studien, der später durch seine Vorliebe für Sculpturwerke vor allen Fachgenossen sich auszeichnen sollte, und bei dem Musterzeichner einer Kattunfabrik mußte der künftige Künstler sich die ersten Muster und Unterweisungen der Schule suchen. Und doch ist eine beschränkte Jugend oft der größte Segen für das ächte Talent, und ein Knabe, der einmal zum Baumeister geboren ist, wird sich dessen vielleicht entschiedener bewußt, wenn er immer und immer wieder den Bau einer rechtschaffenen Bauernhütte studirt, als wenn sogleich alle Tempel Roms und Griechenlands vor ihm ausgebreitet lägen.

Der Vater hielt die bildende Kunst für eine brodlose und trieb die Neigung des Sohnes zurück, solange es gehen wollte; erst als er sah, daß dem drängenden Beruf kein Einhalt mehr zu gebieten sei, ging er nach Zürich, »um seinen Jungen bei einem Stechmeister aufzudingen.« Hier konnte derselbe zunächst wohl nur das trockene Handwerk lernen, wie auch seine spätere Schule bei Heinrich Lips und dann an der Münchener Akademie bei Langer und dem Kupferstecher Heß trotz aller Gediegenheit seinen eigentlichen Genius nicht zu wecken vermochte. Amsler sollte langsam und müheselig seinen Weg suchen, sonst wäre er aber auch bei seinem frühreifen Talent schwerlich ein Kupferstecher und gewiß nicht ein so strenger und ernster Kupferstecher geworden.

Obgleich nur aber der junge Amsler keine andere künstlerische Mitgift als die angeborene im elterlichen Hause bekommen hatte, so machte er doch eine Schule durch, die für sein künftiges Kunstschaffen schwerer wog als manches akademische Studienjahr. Er wurde nämlich nach altväterlicher Weise, und man muß wohl auch sagen nach altschweizerischer Familiensitte, mit einem Nachdruck zu Fleiß, Ausdauer und Selbstbeschränkung erzogen, daß der Einfluß dieser strengen sittlichen Zucht auch in seiner ganzen Kunst durchbrach und nicht wieder verloren ging.

Die Jugendgeschichte Amsler's erinnert in vielen Zügen an jene seines Kunstgenossen Johann Georg Wille. Auch dieser fand in der tiefsten ländlichen Abgeschiedenheit dennoch den Beruf zur bildenden Kunst, errang sich an den erbärmlichsten Vorbildern seine ersten Handgriffe, bestand allen Widerstreit des Vaters, der die Gottesgabe seines Talents für Teufelsspuk und einen Sohn, der lieber ein Maler als ein Müller werden wollte, für einen Ungerathenen hielt, schlug den Antritt seines väterlichen Erbgutes in die Schanze, um in die Fremde zu wandern und in der mühseligen Zucht des Handwerkes sich allmählig erst das Recht zu wirklichen Kunststudien zu erarbeiten. Und so ward endlich aus ihm nicht zwar ein Maler, wohl aber ein großer Kupferstecher. Es hängt gewiß mit dieser harten Schule zusammen, daß Wille gleich Amsler so ganz besonders richtig, rein und fest, so ganz besonders meistermäßig sicher den Grabstichel führte, und ist vielleicht mehr als ein blos zufälliges Begegnen, daß Amsler unter seinen frühesten Arbeiten ein Blatt von Wille (die Schulmeisterin) mit täuschender Treue der Manier seines Vorbildes nachstach. Wie Amsler in dem großen Künstlerkreise Roms, so fand Wille in den glänzenden Kunstschulen von Dresden und Paris seinen orginellen Styl, Ziele und Mittel seines Schaffens. Aber freilich geht dann auch mit diesem Punkte der Weg dieses Sohnes des achtzehnten Jahrhunderts weit ab von dem unseres Meisters. Wille ward ein halber Franzose, folgte dem auf's Zierliche und Glänzende und auf die Virtuosität der Technik gerichteten Geiste seiner Zeit und stach mit Vorliebe nach Genrebildern; Amsler dagegen blieb durch und durch ein Deutscher, achtete den bloßen Glanz und Zierlichkeit und Bravour fast gering und wandte seine ganze Kraft auf die Nachbildung von Werken der Sculptur und Historienmalerei: Jener der liebenswürdige Epigone einer abgeschlossenen, Dieser der spröde Vorkämpfer einer werdenden Periode. Und doch führte jener Adel der Technik, den Wille selbst in das derb realistische Genrebild übertrug, wieder zu einem Vereinigungspunkte mit den ausschließend dem Hohen und Adeligen zugewandten Tendenzen Amsler's. Wie Wille glanzvoller stach, so ward dann freilich aber auch sein Lebensgeschick viel glanzvoller als unseres Meisters. Der anmuthig spielende Künstler erreichte ein hohes Alter, gewann Schätze und Ehren wie wenige Kunstgenossen, und die Asche des deutschen Müllersohnes ward im Pantheon der Franzosen beigesetzt, der reformatorisch ringende Künstler dagegen bescheidete sich mit jenem mäßigen Gewinn an Gold und Ruhm, wie er eben den deutschen Männern des Geistes gewöhnlich zu Theil zu werden pflegt, und starb, als ein rechter Arbeiter und Kämpfer, im kräftigsten Mannesalter.

Obgleich Wille niemals wieder auf seine heimathliche Mühle zurückkehrte, so behielt er sie doch stets in treuem Gedächtnis und schickte den Müllersleuten regelmäßig einen Avant-la-lettre von seinen sämmtlichen Stichen, die auch noch lange nach seiner Eltern Tode dort die Wände der niedrigen Bauernstuben bedeckten. Aehnlich stiftete Amsler der Stadt Aarau und seiner Familie eine Sammlung aller seiner Blätter, welch letztere selbst die kleinsten Arbeiten und frühesten Versuche in einer Vollständigkeit umfaßt, wie man dergleichen wohl nur von wenigen Meistern besitzen wird.

Die Neigung, die eigenen Werke vollständig zu sammeln, charakterisirt überhaupt den Kupferstecher. Leichter noch als der Maler (der wenigstens seine sämmtlichen Cartons und Skizzen bewahren könnte), gewinnt er von früh her das Interesse für eine vollständige Mappe aller seiner Studien und Arbeiten, weil in denselben so viel mehr Mühsal des Fleißes und einer gewiß oft der eigenen Natur abgetrotzten Beschränkung auf den einmal gewählten Gegenstand ruht, während der frei schaffende Künstler leichteren Muthes wieder hingibt, was der Augenblick geboren hat. Der Kupferstecher dagegen berechnet selbst seine flüchtigsten Schöpfungen nicht nach dem Aufwande von Augenblicken, sondern von sauern Wochen und Monaten, und auch an der kleinsten Platte klebt ihm ein Stück eines arbeits- und entsagungsvollen Lebens. Eine solche Sammlung, die, mit den bescheidensten Anfängen beginnend, ein ganzes Menschenleben in wenigen Stunden an unserm Auge vorüberziehen läßt, ist dann freilich eine unschätzbare Fundgrube des Studiums für den Psychologen wie für den Kunsthistoriker, und man begreift, wie die Liebhaber in reichhaltigen Kupferstich-Mappen einen Genuß finden, den ihnen keine andere Kunst bieten kann, und wie die sämmtlichen Stiche und Radirungen selbst eines Bartolozzi vor Zeiten in England zu einem Preise von 5000 Louisdors verkauft werden konnten.

In der Sammlung der Amsler'schen Blätter scheiden sich auf den ersten Blick die Lehrjahre von den Wander- und Meisterjahren. Diese Perioden knüpfen sich zugleich an drei verschiedene Oertlichkeiten: die Schweiz, Rom, München. Von den schweizerischen Lehrjahren habe ich schon oben geredet; überschauen wir jetzt die Arbeiten dieser Zeit. Wir finden da in dem kurzen Zeitraum von fünf Jahren (1809-1814), im achtzehnten bis dreiundzwanzigsten Lebensjahre des Kunstjüngers nicht weniger als 68 Platten und Plättchen vollendet. Aber so viel überraschend Tüchtiges, ja mitunter technisch Meisterhaftes darunter steckt, so kann man doch keck behaupten, in keinem einzigen dieser Stiche würde ein Kenner den Grabstichel Samuel Amsler's errathen, wie er später in so strenger Eigenthümlichkeit kunstgeschichtlich bedeutsam geworden ist. Diese 68 Blätter nehmen sich fast aus wie eine bunte Frühlingswiese, auf welcher alles mögliche durcheinander wächst. Gras und Moos, Kraut und Unkraut und große und kleine Blumen jeder Farbe. Es sind nachahmende Versuche, die sich in der vollen Hast jugendlichen Fleißes planlos nach allen Seiten wenden, dazu reine Handwerksarbeit neben den ächtesten Kunstaufgaben. Ein Rafael'scher Engel neben Gebetbuchsvignetten, ein schlafender Amor neben einem Wechselblankett, Studienköpfe und Stadtpläne, der heil. Johannes des Domenichino und eine Auswahl Visitenkarten, Christus am Kreuz und ein Aeskulap für Arzneiglaszettel, Landschaften und Porträte, die Jünger von Emaus und Musterzeichnungen für ein Modejournal. Dazu eine wahre Regenbogenscala der verschiedensten technischen Manieren: die trockene, ehrliche deutsche Art von Joh. Heinr. Lips, die glänzend zierliche Wille's, die edel effektvolle Friedr. Müller's, die sentimental übertriebene der späteren Franzosen. So viel Feindseliges stehet hier in Eintracht nebeneinander und nur in dem Ernste der Arbeit und der täuschenden Nachahmung ahnt man die schlummernde Kraft des späteren selbständigen Künstlers.

Dieser Schlummer sollte in Rom gelöst werden. Im Frühjahre 1816 wanderte Amsler mit dem Maler Ramboux zu Fuß über die Alpen. Er stand gerade im fünfundzwanzigsten Lebensjahre, in jenem Alter, wo der Mann in der Regel den Grund zu legen pflegt zu alle dem, was er später Selbständiges schaffen soll. Der romantische Geist der Befreiungskriege wehte noch durch die deutsche Nation, und in Rom feierte gerade damals die deutsche Kunst ihr Auferstehungsfest. Ich sage die deutsche Kunst, noch nicht die deutschthümelnde. Man nahm in jener Zeit gerne »deutsch« und ehrlich für gleich bedeutend und »wälsch« für falsch und heuchlerisch. So glaubte Overbeck, indem er Fiesole und andere wälsche Meister nachahmte, ja fast geradezu copirte, darum doch nicht wälsch, sondern vielmehr deutsch zu sein. Denn der alte Italiener in seiner ehrlichen, naiven Ueberzeugungstreue des Glaubens wie des Kunstideals galt ihm für viel deutscher als zahllose effekthaschende moderne Maler mit unbezweifelt deutschem Taufschein. Der Däne Thorwaldsen, welcher nach dem ewig wahren griechischen Vorbild griechische Gestalten wahrhaftig bildete, galt für ebenso deutsch wie Cornelius, der aus seinem eigenen Ideal heraus den Helden der Nibelungen typische Formen schuf. Und in diesem großartigen Sinne konnte der Dichter der geharnischten Sonette, welcher damals zu Rom in jenem Künstlerkreise weilte, singen von dieser »deutschen« Kunst,

»Die gekämpft hat allerwegen
Und noch kämpft zu dieser Frist,
Und nur d'rum ist nicht erlegen,
Weil sie selbst unsterblich ist.«

Im Gegensatz zu der Lüge, der Buhlerei und dem Selbstbetrug des Zopfes, der in der prunkenden Napoleonischen Kunst seine letzte Galgenfrist gefunden, erschien es »deutsch,« die größten und erhabensten Stoffe zu wählen und schlicht und strenge in der Form zu sein, aber ergreifend und reich im Gedankengehalte der Composition. In den Kreis der also Strebenden trat nun Amsler in Rom. Thorwaldsen und Cornelius waren zunächst seine Vorbilder; sie packten seine ganze Seele, und es erstand von Stund an eine vollständige Umkehr in dem ganzen inneren Berufe unsers Kupferstechers. Bis dahin zersplittert, sammelte er seine volle Kraft auf Einen Punkt und blieb sich selber getreu bis an's Ende. Es war nicht blos die Wucht der persönlichen Größe jener Freunde und Vorbilder, welche solches wirkte, sondern zugleich die Erkenntnis;, daß ihr auf Wahrhaftigkeit, sittlichen Ernst und Gedankenfülle dringendes Schaffen ein wirkliches Zeichen jener ganzen Zeit der Befreiung sei. Amsler hat dies in den Briefen an seine Eltern klar und kräftig ausgesprochen. Er fühlte zugleich die Verwandtschaft dieser neuen Kunstideale mit seiner Erziehung, mit den Grundaccorden seines Charakters; er fand sich selber in diesem künstlerischen Geiste der Zeit. Dies aber ist das höchste Glück für jeden Künstler, denn es gibt ihm allein die unverwüstliche Freudigkeit und Sicherheit des Schaffens.

Die Mappe der Amsler'schen Blätter führt den handgreiflichen Beweis dafür. In den 13 Jahren (von 1816-29), welche ich als Amsler's Wanderjahre bezeichnen möchte, und die er wechselnd in Rom, Perugia und der Schweiz verlebte, schuf er der Zahl nach nicht zum vierten Theil so viele Werke als in den fünf Lehrjahren, dem Gehalt und der Größe der Aufgaben nach freilich hundertmal mehr. Abgesehen von einigen Porträten sind es nur mehrere Statuen und Reliefs nach Thorwaldsen, dann dessen Alexanderzug, das Blatt der Nibelungen von Cornelius, der Zinsgroschen von Näke und Rafael's Madonna Connestabile. Nicht blos die Wahl der Vorbilder ist jetzt in einem sehr bestimmten Kreise begränzt, auch Styl und Technik ist mit einem Schlage selbständig und folgerecht. Wie man in den Lehrjahren Amsler aus keinem Blatte errathen kann, so erräth man ihn jetzt aus jedem.

Kein anderer bedeutender Kupferstecher hat so viel nach Sculpturen gestochen wie unser Meister, und zwar in der Regel unmittelbar nach dem Bildwerk, nicht erst nach der Zeichnung eines Dritten. Ja er ist durch den Stich der reizenden Thorwaldsen'schen Basreliefs (Charitas, Amor und Venus, Tag und Nacht etc.), dann der Statuen des Schäfers und der Hoffnung zuerst ein ganzer Künstler geworden. Das Hauptwerk von Amsler's Wanderjahren aber ist der Alexanderzug, und man könnte den ganzen Lebensabschnitt des Künstlers geradezu als seine Periode des Sculpturstiches bezeichnen. Denn selbst seine Blätter nach Oelgemälden scheinen jetzt manchmal fast wie nach plastischen Werken gearbeitet. Die Porträte Papst Pius' VII. und Thorwaldsen's (zwei höchst originelle Stiche) erhalten durch die haarscharfen Umrisse und die enge Schraffirung fast das Gepräge von Bronceköpfen, der Cartonstich nach Näke's »Zinsgroschen« dünkt uns hier und da schier wie nach einem Hochrelief, und das Christuskind der Madonna Connestabile ist unter dem Grabstichel beinahe zu einer plastischen Figur geworden. Amsler verließ später diese den Kenner anziehende, den Laien abstoßende überscharfe Stechweise, die namentlich dem Nackten oft etwas Metallisches oder Marmornes gibt und uns zeigt wie man aus übertriebener Wahrhaftigkeit unwahr werden kann. Denn wo der Künstler zu ehrlich wird, da hört die Täuschung auf und mit der Täuschung – die Wahrheit. Und in der Kunst ist ja die höchste Täuschung zugleich die höchste Wahrheit. Es lag aber in dem Geiste der ganzen Schule, aus allzuscharfer innerer Treue äußerlich mitunter manierirt zu werden, was wohl auch von den herrlichsten Cartons des großen Cornelius gilt. »Täuschend wahr« stach übrigens Amsler in dieser Periode eben nach Sculpturen. Sonst der geschworene Gegner des genrehaften Naturalismus, wird er hier unvermerkt Naturalist im edelsten Sinne. Namentlich bei den Statuen des Schäfers und der Hoffnung hat er die Natur des Marmors mit einer Treue nachgebildet, die sich mit Wille's Bravour in Seidenstoffen und Metallgefäßen messen könnte. Allein es ist, als ob Amsler nur einmal habe zeigen wollen, was er auch im äußeren Effekt vermöge, denn er hat in keinem späteren Sculpturstiche mehr eine ähnlich bestechende Technik beibehalten, ganz im Geiste des Chorführers Cornelius, der im ästhetischen so gut wie im moralischen Sinn das trutzige Wort unter sein Bild schrieb, daß er nach Kunst getrachtet, doch »Künste« stets verachtet habe.

In späterer Zeit arbeitete Amsler kaum minder fleißig nach Schwanthaler wie früher nach Thorwaldsen. Auch Schwanthaler, der über der Fülle seiner Gedanken so oft die kleinen Reize vollendeter Ausführung vergaß, war ihm ein verwandter Geist. Dagegen entschloß sich Amsler in übeler Stunde zum Stich des weichen, sentimentalen Christusbildes von Dannecker. Für dieses vielbewunderte Werk, welches mehr durch den Marmor als durch den Geist wirkt und Formenarmuth und Gedankenleere für Einfalt und Naivetät ausgibt, wäre ein eleganter Modekupferstecher der bessere Mann gewesen. Während der Arbeit fühlte Amsler selber, wie fremd ihm das Werk sei und vollendete die Platte mit Unlust. Man glaubt dann freilich auch kaum, daß der nämliche Künstler dieses Blatt und die mit so warmer Liebe durchgeführten Thorwaldsen'schen Statuen gestochen habe. Denn Amsler war ein Charakter in der Kunst wie im Leben und konnte nicht heucheln.

Zwischen Schwanthaler und Amsler entspann sich später der freundschaftlichste Verkehr; bei der lebenslustigen Natur des Bildhauers und dem ernsten, verschlossenen Wesen des Kupferstechers freilich wohl mehr auf dem Grunde künstlerischer als gemüthlicher Verwandtschaft. Als Schwanthaler zuletzt lange Zeit auf's Krankenlager gefesselt war und im Bette noch rastlos entwarf und zeichnete, spann er auf tausend kleinen Zettelchen von Haus zu Haus seine Unterhaltung über die gemeinsamen Kunstinteressen mit Amsler fort, und der Kupferstecher leitete nicht selten das Aktzeichnen der Schüler im Atelier des Bildhauers. Zum Gedächtniß für ein solch seltenes Zusammenwirken modellirte Schwanthaler einen schönen Pokal, den er Amsler zum Neujahr übersandte mit der Bitte, er möge mit demselben jenen Verdruß hinunterspülen, welchen der schaffende Künstler dem nachbildenden zu bereiten pflege.

Wenn nun gleich Amsler in seinen Meisterjahren über den vorwiegenden Sculptur- und Cartonstich hinauskam, so verblieb ihm doch von daher die geistvolle scharfe Zeichnung, der bestimmte Vortrag, und durch das Einleben in eine so gewaltige Kraftnatur, wie Thorwaldsen, befähigte er sich, unmittelbar nachher eine andere Kraftnatur, Cornelius, so streng und wahr in die Sprache des Grabstichels zu übertragen und dessen Titelblatt zu den Nibelungen in jener großartig einfachen Weise zu stechen, die seitdem ein Vorbild zur würdigen Wiedergabe so vieler Zeichnungen und Fresken des idealen Styles geblieben ist. Es lag sogar in dem bestimmten Lebensplane Amsler's, sich in seinen reiferen Jahren ganz dem Freunde Cornelius zu widmen und dessen sämmtliche Fresken in der Münchener Glyptothek zu stechen, allein die Ausführung ward aufgeschoben und erst in unsern Tagen blieb es Eugen Eduard Schäffer, dem Genossen, und Heinr. Merz, dem trefflichen Schüler Amsler's, vorbehalten, ernstlich Hand an's Werk zu legen. Amsler galt in Rom schon für den berufenen Kupferstecher der neuen deutschen Schule, und die Begeisterung, womit er die Wiedergabe jener Fresken als seinen wahren Lebensberuf erkannte, zeigt, daß er selber auch wußte, wie er stand, sie zeigt zugleich mit welcher Energie der reformatorische Künstlerkreis gemeinsam seine Ziele verfolgte.

Der Gang Amsler's von der Plastik zum Carton und der Freske und von da erst wieder zum farbengesättigten Oelbilde beschreibt zugleich den Weg für die ganze Restauration der modernen bildenden Kunst. In den Wanderjahren mußte Amsler bei seinen Sculpturen erst wieder vergessen, was er in den Lehrjahren von den glänzenden Effekten des Farbenstiches bereits gelernt hatte, um in den Meisterjahren auch zur Wiedergabe der Farbe in höherer, reinerer, ehrlich deutscher Weise zurückzukehren. Man kann diesen Weg an dem Katalog der Amsler'schen Stiche Schritt für Schritt verfolgen, ja man könnte einen Commentar zur neuen deutschen Kunstgeschichte des idealen Styles schreiben, indem man nur glossirend den Nummern dieses Kataloges nachginge, in so stätiger und folgerechter Hingabe ließ sich unser Kupferstecher tragen von der Strömung seiner Zeit.

Jede entschiedene Reformbewegung ist einseitig. So hatten sich auch die Erneuerer der deutschen Historienmalerei in ihren Stoffen auf die höchsten Probleme der Geschichte und Sage, in ihrem Styl mit geflissentlichem Reinigungseifer, auf die schlichtesten Mittel einer mehr gedankenreich anregenden als sinnlich packenden Darstellung beschränkt. Der Glaube an die wiedergefundene ächte Kunst formte sich zu einem Dogma; wo aber ein Dogma ist, da gibt es auch Orthodoxie und Ketzerei, und je dicker die Dogmatik, um so magerer wird die Toleranz. Gewiß ohne ausschließende Tendenz, aber mit um so harmloserer Sicherheit folgte Amsler, der nachbildende Künstler, jenen schöpferischen Meistern. Er war kein orthodoxer Nazaräer, er stach mit derselben Liebe Thorwaldsen's hellenische Götter und Helden wie Rafael's Madonnen, wie Overbeck's Traumgebilde der modern katholischen Romantik; aber er beschränkte sich durchaus auf ideale Compositionen. Seine reformirten schweizerischen Landsleute verwunderten sich mitunter, wie er, der Sohn eines streng protestantischen Hauses, Madonnen und andere katholische Bilder stechen möge, und meinten wohl gar, er sei selber ein heimlicher Katholik. Allein er stach im Glauben an die göttliche Schönheit Rafael's, nicht im Glauben an den Madonnencultus, und obgleich er ein guter Protestant war und blieb, würde es ihm vielmehr als Abfall erschienen sein, ein erzprotestantisches holländisches Genrebild unter den Grabstichel zu nehmen als Overbeck's erzkatholischen Triumph der Religion in den Künsten.

Diese Strenge in der Wahl der Vorbilder charakterisirt unsern Mann: sie ist aber auch ein modernes Wahrzeichen. Edelink stach nicht selten nach unbedeutenden Bildern, die erst in der Wiedergeburt der Kupferplatte einen dauernden Werth gewannen, so daß wohl gar der Kupferstecher den Maler erst zum Künstler machen mußte und der nachbildende schöpferischer erschien als der schaffende. Manche Gemälde Lebrun's läuterten sich derart unter Edelink's Grabstichel, daß auf dem Kupfer zum Style wird, was auf der Leinwand Manier gewesen. Dies charakterisirt den Geist des siebzehnten Jahrhunderts und namentlich des Belgiers in jener Periode. Trotz dem Original wollte der Kupferstecher die Macht seiner Technik und seines Genius zeigen, und war es nicht ein höherer persönlicher Ruhm, auf schlüpfrigem Pfade dennoch fest einherzuschreiten als auf gerechten Bahnen? Amsler und seine Genossen dachten ganz anders. Sie bekämpften geradezu jenes trotzige Alleinrecht der persönlichen Bravour; statt dem Glauben an die subjective Genialität setzten sie vielmehr den Glauben an das Dogma der neuen reineren Kunst, die bewußte Tendenz nach festen ästhetischen und historischen Grundsätzen in einträchtigem Zusammenwirken den guten Geist der alten großen Meister wieder zu erneuern. Durch eine neue reformatorische Akademie bekämpften sie die alte reactionäre Akademie, wobei allerdings die Gefahr nahe lag, mit der Zeit selber wieder reactionär zu werden. In jenem Sinne stach Amsler nur nach den erklärten lebenden Autoritäten seiner Schule und den strengsten Classikern der alten Zeit. Unter den letztern beschäftigte ihn zunächst Fiesole, dessen Verkündigung er wahrhaft vollendet für den Stich zeichnete, doch ohne die Zeichnung später auf die Platte zu bringen, dann dessen jüngstes Gericht, welches jedoch gleichfalls nicht zur Ausführung kam. Bei Rafael begann er – ganz im Geiste seiner Schule – mit den gebundeneren Jugendwerken und wagte es erst über die alterthümelnde Madonna Connestabile und die Grablegung zur Münchener heiligen Familie und der Madonna Tempi vorzuschreiten.

König Ludwig von Bayern hatte schon als Kronprinz Amsler in Rom kennen gelernt in seinem engen und nothwendigen Zusammenhang mit der Cornelius'schen Schule. Mit der zähen, fast mathematischen Consequenz, welche dieser Fürst in den einmal erfaßten künstlerischen Plänen verfolgte, hielt er von da an den Gedanken, Amsler nach München zu berufen, fest, bis derselbe 1829 zur Wirklichkeit wurde. Der Meister sollte in der neuen Kunsthauptstadt eine Kupferstecherschule gründen.

Im achtzehnten Jahrhundert war Paris ein Sammelpunkt der großen Kupferstecher gewesen, und die größten Meister des Auslandes mußten dort dem Ruhme der französischen Schule dienen. Denn diese abgeleitete und dienende Kunst gedeiht nicht in Einsamkeit; sie wird sich immer dahin ziehen, wo die andern bildenden Künste bereits versammelt sind. Darum war es z. B. trotz der meisterhaften Arbeiten der beiden Müller doch nicht möglich, in Stuttgart eine originale Kupferstecherschule für die Dauer zu gründen. In München dagegen bildete sich vorerst der breite Boden mannichfaltigster Kunstthätigkeit, in welchem dann auch die Kupferstecherkunst Wurzel fassen konnte. Es bekundet überhaupt den richtigen Blick König Ludwigs, daß er nicht eine vereinzelte Gruppe der bildenden Künste, sondern alle zumal in seiner Hauptstadt versammeln und dadurch epochemachend für die neue deutsche Kunst wirken wollte. Kein Seitenzweig sollte ohne Pflege bleiben, und die Glas- und Porzellanmalerei erhielt ebensogut ihre Stelle im Ganzen, wie das Staffeleibild und die Freske, Erzguß und Holzschnitzerei so gut wie die Bildhauerarbeit in Stein und die Plastik des Thones und Gypses. Eine neue Kupferstecherschule, dem Geiste der neuen Malerei entsprungen, mußte also den fast nothwendigen Abschluß bilden.

Das Geheimniß, weßhalb König Ludwig mit vergleichsweise kleinen Mitteln so Großes zur Wiedererweckung der neuen Kunst geleistet, ruhet zum Theil darin, daß er nicht blos Kunstwerke bestellte und bezahlte, sondern auch einen steten persönlichen Verkehr mit »seinen Künstlern« unterhielt, fleißig ihre Werkstätten besuchte, neue Ideen und Entwürfe mit ihnen durchsprach, ihre Arbeiten in allen Stadien besah, lobte, tadelte und dadurch auch zum geistigen Mitarbeiter an den Schöpfungen wurde, die auf seinen Befehl erstanden. Ein Denkzeichen dieser Anregungen bei Amsler ist das Blatt der Madonna Tempi, welches er auf den besondern Wunsch des Königs stach, wohl das zarteste, weichste und anmuthigste unter den Werken seines Griffels. Ein anderes Zeichen jenes Verkehrs des Königs mit »seinen Künstlern« findet sich in dessen Gedichten, wo er unter Anderem »Bayerns siebzehn vorzüglichste Künstler« in Xenien besungen hat. Einer dieser Siebzehn ist Amsler, dessen Weise der König als »einfach, bestimmt wie Marc Antonio's« charakterisirt. Und in der That war auch Amsler der Marc Anton seiner Schule und Periode.

Ich nannte die zwanzig Jahre der Münchener Wirksamkeit (1829 – 1849) Amsler's Meisterjahre. Er vollendete hier den Alexanderzug und schuf seine übrigen größten Werke: die Grablegung Rafael's, die heilige Familie und die Madonna Tempi desselben Meisters, die Traumdeutung Joseph's nach Cornelius und Overbeck's Triumph der Religion in den Künsten. Er stieg von der einseitigen Carton- und Sculpturmanier zu einer geläuterteren Form des Farbenstiches auf; er war jetzt der entschiedene Meister, der nicht mehr in die Schule ging, sondern selber an der Spitze einer Schule stand und eine Reihe trefflicher jüngerer Kupferstecher bildete, die seine Weise weiterführten. Die vielen Cartonstiche, in welchen Thäter und Merz so zahlreiche große Werke von Cornelius, Kaulbach, Schnorr, Schwind u. A. neuerdings dem ganzen deutschen Volke zugänglich gemacht haben, ruhen wesentlich auf der von Amsler für diese Gattung geschaffenen Grundlage.

Eine rechte Prüfung hatte unser Künstler noch am Schlusse seines Lebens zu bestehen mit dem großen Overbeck'schen Bilde, dem »Triumph der Religion in den Künsten.« Er unternahm den mühevollen, auf jahrelange Arbeit berechneten Stich zu einer Zeit, wo das Original nur erst ein rein ästhetisches Interesse hatte und durch so manche schöne und geistvolle Einzelfigur wohl auch einen Mann wie Amsler fesseln konnte, der sonst in seinem ganzen Wesen der weichen, traumhaften Manier Overbeck's ziemlich ferne stand. Die Arbeit war schon in vollem Zug, als die durch den Maler selbst herausgeforderte heftigste Parteipolemik über jenes Bild entbrannte. Am wildesten loderte der Streit am Aufstellungsorte des Gemäldes, in Frankfurt, wo mehrere große, glänzend realistische Werke moderner belgischer Meister freilich einen ungeheuern Gegensatz zu Overbeck bildeten. Inmitten dieses Sturmes mußte Amsler im Städelschen Institute sitzen und ruhig die ganze große Masse der hinter ihm ab- und zuwogenden Beschauer und ihre verdammenden Urtheile über sein Vorbild und ihre Lobsprüche der gegnerischen Bilder mit in Kauf nehmen und ruhig immer weiter zeichnen mit der Aussicht, noch beiläufig sechs Jahre an dieselbe Arbeit gefesselt zu sein! Dennoch führte er sein Werk zu Ende, wie ein Mann. Er zeigte, daß er berufen sei zu seiner Kunst, deren schwierigster Theil die Kunst der Selbstentsagung. Obgleich ihm manchmal Zweifel über sein Vorbild kommen mochten, obgleich der Streit der Parteien nicht blos durch sein Ohr, sondern auch durch seine Seele ging, so widmete er doch dem Werk sechs volle Jahre und was ihm zuletzt an Begeisterung für dasselbe abgehen mochte, das ersetzte er durch verdoppelte Gewissenhaftigkeit. Vielleicht nicht minder als eine schleichende Krankheit, nagte diese Arbeit an seinem Leben, dennoch hatte er ihre Vollendung erreicht, als er am 18. Mai 1849 langen Leiden erlag. Wie aber Amsler diesen letzten großen Kupferstich begonnen hatte, fern von dem Gedanken, einem polemischen Tendenzbild seine Kraft zu weihen, so erreichte seine Platte auch einen eigenthümlichen, vom Originale abweichenden Effekt. Die in der Farbe so überaus zarten und verblasenen, mitunter etwas mönchisch spiritualistischen Gestalten Overbeck's sind unter dem kräftigen Grabstichel Amsler's entschieden männlicher geworden, das Bild hat von seinem ascetischen Charakter verloren und ist uns menschlich näher gerückt. Der Widerspruch aber, welcher zwischen der das volle Leben spiegelnden Oelfarbe und dem rein Phantastischen aller solcher symbolischen Compositionen überhaupt besteht, verschwindet bei dem Stiche, zumal Amsler hier, vielleicht nicht absichtslos, viel weniger als bei den rafaelischen Blättern auf die Wiedergabe der Farbe gearbeitet hat. Dadurch wird – und von vielen Kennern hörte ich schon das gleiche Urtheil – der Gesammteindruck des Stiches weit harmonischer, als des Bildes, und wir können die großen Einzelschönheiten der Overbeck'schen Zeichnung unbefangener würdigen, als bei dem Original.

Der wahrhaft geniale Kupferstecher copirt eben nicht blos, er interpretirt zugleich, aber er soll nicht interpretiren als ein absichtlicher Verbesserer, wie mitunter Edelink gethan, auch nicht als ein Professor, der umschreibt, sondern als der selbstentsagende Künstler, welcher, dem veränderten Material entsprechend, umbildet und das Original im Spiegelbilde seines ehrlichen Verständnisses wiedergibt. Darin liegt ein wunderbarer Reiz von Kupferstichen höheren Ranges, daß man ahnt, es haben hier zwei ebenbürtige Geister dieselben Ideen durchgedacht, dieselben Formen durchgebildet und durchgefühlt, gleichartig und doch auch wieder ungleich, wie wir aus ganz ähnlichem Grunde die Schlegel'sche Shakespeare-Uebersetzung nicht missen mögen, selbst wenn wir das Original in der Ursprache zu lesen verstehen; denn wir fühlen, es liegt nicht blos ein übersetzter, es liegt ein in den modern deutschen Geist überdachter Shakespeare vor uns, ein einheitliches Doppelwerk zweier Zeiten, zweier Nationalitäten, zweier dichtererischer Genien. Darum soll der Kupferstecher vorzugsweise ein Denker unter den Künstlern sein, dem es viel leichter als dem schaffenden Maler vergönnt ist, kritisch zu analysiren, indem er schafft. Dies faßte Goethe sehr schön in den Worten zusammen, die er als höchstes Lob eines Kupferstechers über Georg Friedrich Schmidt aussprach: »Bei ihm ist Alles Wissen, Alles Feuer und was vielleicht mehr bedeuten will, Alles der Wahrheit Stempel. Man kann von diesem wundersamen Mann sagen, daß zwei der trefflichsten Stecher in ihm verbunden seien. Wie er auch irgend die Kunstart eines Andern nachahmt, tritt er immer von seinem außerordentlichen Geiste begleitet als Original wieder hervor.« Glaubt man, dieses Prädikat der Originalität und Wahrheit und des Wissens, welches sich mit dem Feuer der Darstellung verbindet, könne jemals auch der höchsten blos mechanischen Kunstfertigkeit beigelegt werden? Jedes Gemälde erscheint uns in einem guten Stich rationeller, wenn man will rationalistischer; – ein Rationalismus, welcher der Overbeckschen Mystik bei Amsler so wohl thut. Es verliert ein Stich gegen dem Oelbild freilich an der Farbenwärme des unmittelbaren Lebens, was er an Klarheit und Plastik gewinnt. Denn indem der Kupferstecher die verschmolzenen Formen der organischen Gebilde auf lauter Linien zurückführt, abstrahirt er gleichsam ihre rationellste Grundform. Dies ist Alles kein mechanischer Akt, sondern ein Akt des künstlerischen Denkens und Analysirens, der seinen besonderen ästhetischen Reiz in sich trägt. Darum wird dann auch die Punktirmanier so oft zu einer rechten Manier der Lüge und Heuchelei; denn sie kokettirt mit dem Vorgeben, daß auch der Metallgriffel in unbegränzten Uebergangsflächen malen könne gleich dem Pinsel. Der Kupferstecher ist gezwungen, das Formelle des Vortrags viel strenger zu fassen, als der Maler; jede Leichtfertigkeit rächt sich bei ihm sofort als nackte Manier. Durch diese technische Zucht des Grabstichels kam es, daß in der Zopfzeit und im Anfange unsers Jahrhunderts so große und wahre Stylisten wie Edelink, Müller, Wille, Boucher-Desnoyers – im Kupferstich blühten, während die Malerei gleichzeitig in der tiefsten Stylbarbarei versunken lag.

Darum muß ein großer Kupferstecher mehr sein, als ein bloßes Talent, er muß zugleich eine Natur sein, eine Natur, welcher das Streben nach Wahrheit, Bestimmtheit und Formenreinheit ganz besonders tief eingeboren ist und verbunden mit einer reichen Gabe der Selbstverleugnung, der Sammlung und Ausdauer.

Diese »Natur« des Kupferstechers durchdrang merkwürdig folgerecht Amler's ganze Persönlichkeit. Dasselbe sichere, strenge correcte Wesen, welches wir in seinen Blättern bewundern, wurzelte tief in dem ganzen Mann. Er war ein schlichter, streng bürgerlicher Charakter, ein rechtschaffener Haushalter voll äußerster Gewissenhaftigkeit, ein Mann, der im Leben die verschwommenen Töne und planlosen Striche ebenso gründlich verachtete, als auf der Kupferplatte. Ein verschlossener Mann, Vielen bekannt, aber nur Wenigen befreundet, liebte er es in Worten ebenso sparsam zu sein, wie in den lakonischen Linien seines Grabstichels. Obgleich er in der Kunst so entschieden Farbe bekannte, nahm er doch kaum Theil an dem Principienwortgefecht der Freunde und Gegner: er räsonnirte und theoretisirte überhaupt nicht über seine Kunst, sondern er übte sie. Als die Revolution von 1848 ausbrach, hatte er kein sonderliches Vertrauen auf die neuen Dinge, weil seiner Meinung nach die Deutschen dabei zu viel schwätzten. Den Eifer für die Reinheit der Kunst hatte er sich recht eigentlich angelebt. Er hörte gerne Musik, doch nur in der strengen Auswahl einiger Meister der klassischen Periode. Als ein ächter Mann des historischen Styles las er am liebsten in den Geschichtsbüchern der großen Historiker alter und neuer Zeit. Künstlerischen Prunk sah man nicht in seinem bürgerlich anspruchslosen Hause; doch hielt er auf einfachen künstlerischen Schmuck; nur durfte ihm derselbe nicht wider sein stylistisches Gewissen laufen. Ein Kupferstich von Dürer hing bedeutungsvoll über seinem Arbeitstische. Denn obgleich Amsler nie nach altdeutschen Bildern gestochen, so wäre er doch nicht so ganz ein Mann der Cornelius'schen Schule gewesen, wenn altdeutsche Kunst und Art nicht befruchtend auf ihn gewirkt hätte. Dürer und Marc Anton wiesen ihm den Weg aus dem Labyrinthe der früheren malerischen Effektmanier, und gerade die Blätter aus Amsler's römischen Wanderjahren zeigen zumeist, wie treu er dem schlichten altdeutschen Meister mitten unter den glänzenden Wunderwerken Italiens angehangen. Genrebilder und naturalistische Kompositionen kamen nicht an die Wände der Zimmer unsers Künstlers, und trotz alles angestammten Familiengeistes mußten selbst historische Familienporträts, wofern sie mittelmäßig gemalt waren, im Winkel stehen. Dienstboten, die sich durch ein stark verzeichnetes Gesicht oder sonst augenfällige Häßlichkeit auszeichneten, wurden nicht im Hause geduldet: – und so ging die Idiosynkrasie gegen alles Incorrecte und Unreine fort bis hinab zu einer fast peinlichen Reinigkeitsliebe im Essen und Trinken und Allem, was ihn umgab. Wer das unablässige, bis zum Aeußersten gewissenhafte Ringen des Künstlers nach Correctheit der Form und durchsichtiger Reinheit der Technik in seinen sämmtlichen Blättern verfolgt, der begreift diesen Charakter des Privatmannes als einen fast nothwendigen. Denn Reinheit in der Kunst, Reinigkeit im sittlichen und Reinlichkeit im leiblichen Leben sind Geschwisterkinder, und wo eine von den Dreien ausbleibt, da werden sich gar selten die beiden andern einstellen.

Als ein Mann aus ganzem Guß, einheitlich im künstlerischen und persönlichen Charakter, vermochte Amsler auch in einer abgeleiteten und dienenden Kunstgattung den ursprünglich schaffenden Genossen sich ebenbürtig anzureihen, und indem sein Charakter so ganz hervorwuchs aus seiner Zeit, durfte er sich fröhlich dieser Zeit hingeben, und doch ist er als ein ächter Mann in seinem Kreise wieder Meister geworden über seine Zeit.


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