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Alte Malerbücher als Quellen zur Volkskunde

1852.

Es erscheint vielleicht seltsam, wenn ich bekenne, daß ich in den Schriften des Vasari, Sandrart, Leraisse, Houbracken und ähnlicher alter Herren von der Staffelei und Palette zuweilen die Probleme der bürgerlichen Gesellschaft verfolge und mitunter bei einer socialen Frage viel lieber zum Maler- oder Tonkünstlerlexikon als zum Staatslexikon greife. Vielleicht klingt dann das Geständniß schon weniger befremdend, daß es in meinen Studentenjahren Schilderungen gewesen sind, wie beispielsweise jenes in Schnaase's »Niederländischen Briefen« so meisterlich gezeichnete Charakterbild des Jan Steen, des tollen Heiligen, bei dem sich die künstlerischen und socialen Wechselwirkungen so wunderbar durcheinander schlingen, was mich von dem einseitigen Studium der Kunstgeschichte hinübertrieb zur allgemeinen Kulturgeschichte, wo ich dann endlich bei dem modernsten Abschnitt, der Gesellschaftskunde, mir eine kleine Hütte zu bauen trachtete. So hänge ich an jenen Malerbüchern, wie an der Kunstgeschichte überhaupt, mit der ganzen Erinnerungsseligkeit, die wir einer ersten Liebe bewahren.

Wer die Gesellschaft naturgeschichtlich studirt, der will sie nicht blos in ihren Gruppen und Gattungen, in ihren Ständen und Berufen untersuchen: er will auch wissen, wie diese socialen Sphären auf die Persönlichkeit des Einzelnen zurückwirken. Das ist bei den Zuständen der Gegenwart nicht schwer. Wir sehen täglich Schuster und Schneider, Bauern und Edelleute in ihrer social bedingten persönlichen Originalität. Es ist hier vielmehr schwieriger, sich das Gattungsleben abzuziehen, als das Einzelleben wahrzunehmen. Für die Vergangenheit dagegen kehrt sich die Sache um. Wie die gesammte Schuster- und Schneiderschaft vor dreihundert Jahren gesellschaftlich, gewerblich, zünftig organisirt war, das wissen wir sehr wohl; aber wie sich die Persönlichkeit der einzelnen Schuster und Schneider damals unter diesen socialen Einflüssen entwickelte, das wissen wir nicht. Wir besitzen eine Geschichte der Handwerke, aber keine Geschichte der Handwerker. Unsere Gewerbegeschichte hat keine biographische Rubrik. Nur auf Umwegen können wir folgern, wie denn so ein alter Schuster oder Schneider, dessen Treiben auf der Zunftstube uns so klar vorliegt, in seinem Hause ausgesehen, in seiner persönlichen, menschlichen Entwicklung sich gegeben habe. Dennoch gelüstet's den Culturhistoriker, auch das Letztere zu erfahren. Die zartesten Lasuren würden einem historischen Bild des socialen Lebens fehlen, in welchem von solch persönlicher Charakteristik keine Spur zu finden wäre.

Nun können wir aber auf mancherlei Umwegen allerdings auch erfahren, wie die alten Handwerksmeister persönlich gerathen sein mögen unter der Sonne und dem Regen ihres Zunfthimmels. Schon in der erzählenden und dramatischen Dichtung der Zeitgenossen werden wir ja häufig in das individuelle Leben der Bürger von allerlei Stand und Beruf eingeführt. Nicht minder ausgiebiges Material scheint sich mir jedoch auf einem andern Punkte zu erschließen.

In alter Zeit stak die Kunst – auch in socialem Betracht – so tief im Handwerk, daß uns in der Geschichte der Künstler überliefert ist, was uns als eine Geschichte der Handwerker nicht überliefert werden konnte: ein biographischer Ergänzungsband zur Gewerbechronik. Wie die großen Schneider und Schuster vergangener Tage gewachsen und geworden sind, das wissen wir nicht mehr; getrösten uns aber damit, daß wir es wissen von ihren nahen Collegen, den Meistern der ehrsamen Maler-, Reißer- und Holzschneider-, der Stadtzinkenisten- und Hoftrompeterzunft; denn wir können mit Vorsicht von dem einen Gewerb auf's andere schließen. Hier nun treten die alten Malerbücher unbestritten in die vorderste Linie als Quellenschriften. Ueberreich an biographischem Detail, sind diese Bücher des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts ein unbezahlbarer, ungehobener Schatz für den historischen Fundamentbau unserer modernen Gesellschaftswissenschaft.

Die Malergenossenschaft gehört im Mittelalter zu den Gewerben; sie steckt lange genug mit den Tünchern und Vergoldern in der nämlichen Zunft. Wie die Künstler zur Handwerkerschaft, so gehen andererseits aber auch die Handwerker zur Künstlerschaft über. So wird von den Augsburger Schreinermeistern erzählt, sie seien in der luxuriösen Zeit des 16. Jahrhunderts dergestalt mit kunstreichen Schnitz- und Fournierarbeiten beschäftigt gewesen, daß sie sich zuletzt für Künstler angesehen Für den Kunsthistoriker hat dieses Verhältniß seine düstere Schattenseite: dem Culturhistoriker aber lacht das Herz, wenn ihm noch Albrecht Dürer erzählt, wie er dem Michael Wohlgemuth für drei Jahre »aufgedungen« worden sei, wie er von seinen »Mitknechten« weidlich geplagt worden, wie er nach überstandener »Lehre« endlich auf die »Wanderschaft« gegangen u. s. w. Denn nun können wir mit einer Schaar von nicht weniger als viertausend Malern und Kupferstechern aus den vier letztvergangenen Jahrhunderten ins Feld rücken, und aus ihren Biographien erforschen, wie denn eigentlich das alte Gewerbewesen zurückgewirkt hat auf die persönliche Entwicklung des Einzelnen.

In der ältesten Zeit, wo die Kunst und das Handwerk noch vollständig in einander verwachsen sind, also etwa bis zur zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, gibt es auch vorwiegend nur eine Chronik der Malerkunst; die biographische Chronik der Maler dagegen ist nur dürftig. Ganz besonders trifft dies bei dem zunfteifrigen Deutschland zu. Die Gewerbsleute haben nur als Gruppe, als Gattung ein Anrecht auf die Geschichte; der Künstler als Individuum. Darum wissen wir von den großen Baumeistern des deutschen Mittelalters in der Regel nicht einmal die Namen, denn bei aller künstlerischen Meisterschaft standen sie als Gesellschaftsbürger mitten in den Reihen des Gewerbs. Aehnlich ist es bei den ältesten Malern. Wir würden nicht einmal den Meister des Kölner Dombildes, des herrlichsten deutschen Malerwerkes aus der ersten Hälfte des

und gar keine gröbere Bauarbeit mehr verrichtet hätten. Erst mit der Rückkehr magerer Zeiten bequemten sie sich auch wieder zu dieser und sind wieder vollkommene Schreiner und Handwerker geworden. fünfzehnten Jahrhunderts, mit Namen nennen können, wenn sich nicht in dem Tagebuch A. Dürer's von seiner Reise in die Niederlande die Worte fänden: »Item Hab 2 Weißpf. von der taffel aufzusperren geben, die maister Steffan zu Cöln gemacht hat.« Und aus dieser magern und unsichern Notiz und dem technischen Vergleich einer Reihe von andern Bildern mit dem Dombild hat man dann erst Namen und Stellung eines so epochemachenden Künstlergenius zum Frommen unserer Kunstgeschichtschreibung folgern können! Findet sich ja ein Name bei diesen alten Meistern, dann ist es häufig wiederum blos der Vorname, ganz dem Herkommen entsprechend, wie es bei den Handwerkern noch bis zur neuern Zeit im Schwange war. Selbst Lukas Cranach heißt in den Urkunden noch fast durchweg »Meister Lukas Maler.« Der Name des Meisters hatte aber auch schon um deswillen weniger Bedeutung, weil in den meisten Bildern ebensoviel Gesellenhülfe als Meisterarbeit steckte. Solange noch die handwerkliche »Malerwerkstatt« im strengen Sinne aufrecht erhalten wurde, sind häufig die »Malersknechte« die anonymen Mitarbeiter, und der Meister ist nur der verantwortliche Redakteur des Bildes. Sowie die Zunft zur Schule, die Werkstatt zum Atelier wird, schwinden die Gesellenhände mehr und mehr von den Bildern des Meisters, und nun erst erhält die historische Festigung des einzelnen Künstlernamens ihren rechten Sinn.

Aus der ältesten Zeit, wo Kunst und Handwerk social noch ganz ungeschieden waren, werden wir also auch noch wenig Ausbeute finden für unsere biographischen Gesellschaftsstudien. Anders jedoch in der Uebergangszeit, wo die Künstlerzunft allmählig zur Künstlerschule sich umwandelt, die Corporation zur Association, wo die Maler immer noch Handwerker und doch auch schon persönlich frei gewordene Künstler sind.

Wie vordem der Ruhm des Individuums dem Ruhme der Zunft mußte geopfert werden, so verschlingt freilich auch jetzt noch häufig die Schule, als die freie technische Genossenschaft, den Namen und die Persönlichkeit des einzelnen Meisters. Wir sehen viele Maler ihre Familiennamen geradezu hingeben für einen Schulnamen. In der niederländischen »Schilderbent« führen die Mitglieder ihre »Bentnamen,« d. h. ihre Schul- und Zunftnamen, wie die Studenten ihre Kneipnamen führen, wie die Handwerker ohne Zweifel auch ihre Zunftnamen geführt haben, und die Kunstgeschichte hat oft diese Bentnamen (Tempesta, Ordonance, Schildpad, Zonebloem, Neel de Scheeler, Strabo u.) statt der wirklichen beibehalten, die mitunter ganz verloren gegangen sind. Allein mit dem Namen ist dann doch die Person nicht vergessen, und wo die Schüler ihren Ruhm dem Meister opferten, da haben wir wenigstens von dem Meister persönliche Kunde bewahrt. Wir besitzen noch Genrebilder in der besten Art der Niederländer des siebzehnten Jahrhunderts, die uns mitten hinein führen in das lustige Leben der damaligen Malergenossenschaften. Da sind die einzelnen berühmten Meister des Malerbundes im Schlafrock porträtirt, wie jeder nach seiner Art Schelmenstreiche treibt oder Trübsal bläst, ein Denkmal der festen Genossenschaft der Schule und doch zugleich der frei gewordenen Einzelpersönlichkeit. Bei der ehrsamen altdeutschen Malerzunft wären solche Bilder undenkbar.

Das Monogramm, womit der Maler seine Bilder zeichnete, zog in ganz ähnlicher Weise wie der Bentnamen den Schleier eines Zunft- und Schulräthsels über den Namen eines Künstlers. Es wurzelt noch in den mittelalterlichen Mysterien der Handwerke. Statt des hieroglyphischen Monogramms wird aber immer häufiger der vollständige Name eingezeichnet, je selbständiger die fortschreitende Zeit die einzelne Künstlerpersönlichkeit aus dem Gattungsbegriff der Zunft und Schule heraustreten läßt. Heutzutage, wo kein Zunftgeheimniß, keine Schilderbent, keine Werkstatt im alten Sinne mehr existirt, kann die Anwendung des Räthselspiels der Monogramme nur noch die Bedeutung einer Grille haben.

Wir finden unter den Malern mehr Künstlerfamilien als bei irgend einem andern Künstlerberuf. Ich weiß keine Parallele in der ganzen übrigen Kunstgeschichte zu dieser Masse ganzer Malersippen, wie sie etwa repräsentirt sind in den sechs Holbein, den achtundzwanzig Tischbein, den neun van Bemmel, den neun Dietsch, den acht Fueßli, den Bibiena, den fünf van Huysum, den vier Roos, den Mieris, Merian, Preisler, Kobell, Rugendas, Quaglio und so vielen andern. Man braucht nur in einem Malerlexikon zu blättern, um sogleich zu entdecken, daß fast die Hälfte aller Namen als Vettern, Brüder, Kinder u. doppelt vorkommen. Ein ganzes System von Täuschungen und Betrügereien gründet sich im Bilderhandel auf diese zahllosen Gleichnamen. Solche Massenhaftigkeit der Künstlerfamilien hängt aber wiederum mit der socialen Stellung der alten Maler inmitten des Gewerbestandes zusammen.

Das Handwerk erbt sich fort, so lange es zünftig geschlossen ist, nicht die Kunst. Auf ein Vererben des Genius ist aus Thatsachen wie die obigen noch gar nicht zu schließen. Gewöhnlich ist in einer solchen Künstlersippe doch immer nur Einer der geniale Mann gewesen und im Wiederglanz seines Namens leuchten die Namen der übrigen Familienglieder in unsere Zeit herüber. Die Zunftordnung begünstigte hundertfältig den Sohn des Zunftgenossen. Lehrzeit und Lehrgeld waren ihm verkürzt und leicht gemacht: es verstand sich fast von selbst, daß sich der Sohn in des Vaters Geschäft setzte. Die Zunft ging aus der Kaste hervor, wo Stand und Beruf noch absolut erblich gewesen. Wenn die Kinder eines Hauses durch mehrere Menschenalter malten und sich auszeichneten in der Malerei, so hat dies in der alten Zeit keine andere Bedeutung, als wenn damals zahllose andere Familien fort und fort im Schlosserhandwerk, in der Weberei, in der Goldschmiedekunst ec. namhaft blieben. Die Meistergeheimnisse der Kunst waren nur beim Meister selbst zu lernen, und wer von Kindesbeinen an sich einlebte in dieselben, der hatte einen mächtigen Vorsprung vor jedem fremden Zunftkind. Viele künstlerische Aemter wurden sogar ausdrücklich als erbliche angesehen, z. B. die Stellen eines Hofmalers, Hoftrompeters, Stadtzinkenisten, Cantors, des Glockenspielers auf den holländischen Kirchtürmen, ja wohl gar die Würden eines Hofpoeten und des Hofnarren. In Italien, wo die zunftmäßige Geschlossenheit des Künstlerberufes niemals so ausgebildet war, wie bei uns, und früher gebrochen wurde, sind auch die Malerfamilien durchaus nicht so häufig gewesen wie in Deutschland. Je mehr Handwerk in einer Kunst steckt, je mehr rein technische Vorbildung für dieselbe erfordert wird, desto leichter mag sich der Beruf dazu vererben. Darum haftet die moderne Dichtkunst gar nicht mehr an der Familie, während es noch ganze Sippen von Meistersingern gab. Die Poesie ist technisch, handwerklich die freieste Kunst geworden; denn jede ordentliche Gymnasialbildung lehrt das Erlernbare der Verskunst wie der Poetik überhaupt. Die Frage des Horaz, warum man denn glaube, daß das Dichten allein nicht besonders erlernt zu werden brauche, da man doch zugebe, daß jeder andere Beruf besonders zu erlernen sei, birgt daher nur noch eine sehr eingeschränkte Wahrheit. Die Dichtkunst kann überhaupt für uns kein ausschließender äußerer Lebensberuf mehr sein; denn jeder Lebensberuf fordert zugleich ein Handwerk. Man kann sich keinen Paß als »Dichter« ausstellen lassen, sich nicht als »Dichter« in einer Gemeinde setzen; die Berufsstatistik hat keine Rubrik für die Dichter, wohl aber für die Maler, Musiker, Bildhauer, Architekten und Litteraten, als die handwerklichen Vertreter der freien Künste. Im vorigen Jahrhundert, wo das musikalische Handwerk noch zünftig gebannt war, gab es auch noch viele Tonkünstlerfamilien; diese sterben jetzt aus, je mehr die technischen Meistergeheimnisse der Tondichtung gleich den poetischen Gemeingut der gebildeten Welt werden. Dagegen hat sich z. B. das Beamtenthum in der Gegenwart weit zünftiger abgeschlossen, als vordem. Das Handwerkliche im Staatsdienst kann in der Regel nicht frei erlernt, es muß nach ganz bestimmt vorgezeichnetem Schulgang erworben, in Lehrlings-, Gesellen- und Meisterprüfungen erwiesen werden. Folgerecht bildete sich dann auch eine förmliche erbgesessene Büreaukratie und namhafte Glieder von Beamtenfamilien zählen jetzt ebensogut nach Dutzenden, wie weiland die achtundzwanzig Tischbein.

An das Kapitel von den Künstlerfamilien ließe sich aus den alten Malerbüchern ein höchst merkwürdiges Material für die Geschichte der socialen Stellung der Frauen anreihen. Wäre dies z. B. ein bloßer Zufall, daß erst mit dem Aufblühen der Kabinetsmalerei die Malerinnen in so großer Zahl hervortreten, daß man sie als eine besondere Gruppe betrachten kann? Ein bloßer Zufall, daß das siebzehnte Jahrhundert, das an Malerinnen fruchtbarste Zeitalter, doch wiederum fast nur Blumenmalerinnen, Stillleben-, Porträt- und Miniaturmalerinnen kennt? Die holländische Kabinetsmalerei dieser Periode schließt sogar bedeutungsvoll mit einer Blumenmalerin, der Rachel Ruysch (†; 1750). Die meisten dieser Malerinnen stammten aus Malerfamilien, und sehr viele haben sich auch wieder mit Malern und Kupferstechern verheirathet, Landschaftsmalerinnen sind selten, Historienmalerinnen noch seltener und kunsthistorisch von wenig Belang: Anna van Deyster radirte zwar Landschaften, aber ächt weiblich – mit einer Nähnadel. Wir finden hier ein weibliches Künstlerthum, welches noch gar keinen Beigeschmack von Blaustrumpferei hat und in erfreulichstem Gegensatz zu den widerwärtigen gelehrten Weibern jener Zeit steht. Es kommen sogar ein paar gelehrte Weiber vor, die uns, wie Elisabeth Cheron, Margaretha Godewyk und Anna Schurmann, durch ihre weiblich sinnige Malerei wieder aussöhnen mit dem Monströsen ihrer Gelehrsamkeit. Wo die malenden Männer selbst kaum erst der Zuchtschule des Handwerks entronnen waren, wo der Künstlerberuf so häufig als ein Erbstück der Familie angesehen wurde, und dadurch die Atmosphäre der Kunst auch für die Weiber eine häusliche war, da konnte sich auch die weibliche Künstlerschaft leichter in den rechten Schranken halten, indem sie vorwiegend nur die Aufgaben der sinnigen, feinfühlenden Beobachtung, der zart durchgefühlten Nachahmung für sich erkor. Von der Frau des Landschaftsmalers Parmigiano aber steht geschrieben: sie habe mit ihrem Mann das Land durchzogen und ihm bei seinen Arbeiten geholfen – und diese rein aufopfernde Art weiblicher Künstlerschaft ist sicherlich von allen die beste gewesen.

So wie die Maler sich losringen von den Handwerkern, so wie der stufenweise Lösungsproceß der Zunft zur Schule, der Schule zum einzelnen Meister sich vollzieht, beginnt sich ein neues Phänomen in den Malerbüchern zu zeigen: die Legion der Künstleranekdoten. Im fünfzehnten Jahrhundert und im Anfange des sechzehnten konnte man noch füglicher von »Kunstsagen« reden, die zweite Hälfte des sechzehnten aber und das siebzehnte Jahrhundert sind die wahre Maienzeit der Maleranekdoten, der biographischen Schnurren und Aufschneidereien. Selbst von den auf frühere Perioden zielenden Histörchen sind die meisten wohl erst in dem gedachten Zeitraum entstanden und eingeschoben worden.

Sollten nun diese Malergeschichten, die schon um ihrer ungeheuern Masse willen den Culturhistoriker stutzig machen müssen, nicht auch noch einen andern Werth haben, als daß man einzelne zeitweilig zum Aufputz der Miscellen in unsern Feuilletons wieder ans Licht zieht? Haben wir nicht selber noch den Bildungsproceß einer ganz ähnlichen anekdotischen Mährchenwelt vor unsern eigenen kritisch hellen Augen im neunzehnten Jahrhundert sich entfalten sehen? Wie in Niederland und Italien die mythischen Malerhistörchen aufkamen, als der Prunk mit Gemälden Modesache geworden war, ganz eben so sind in unserer Gegenwart, wo die Musik Modesache geworden, nicht minder abenteuerliche Mythenbildungen über Componisten und Virtuosen, Sänger und Sängerinnen wie Pilse aufgeschossen. Ja wir können heute schon aus dem Mythenkreise, der sich in das Lebensbild eines Paganini, einer Catalani u. eingestohlen hat, oft ebensowenig mehr das wirklich geschichtlich Begründete mit Bestimmtheit ausscheiden, als wir es in den alten Malerbüchern vermögen.

Aber nicht blos die Kunst, auch die Künstler müssen Mode geworden sein, wenn sich solche Anekdotenkreise massenhaft bilden und im Lawinenlauf des Mythus fortrollen sollen. Die Kunst muß bereits einen so subjektiven Charakter gewonnen haben, daß der Künstler selbst persönlich interessant wird. Ja dieser Satz muß sogar in seiner Umkehrung gelten, also daß ganze Gruppen von Kunstwerken erst interessant werden, weil ihre Schöpfer persönlich interessant waren. Summa, die Künstleranekdoten setzen den ganzen modernen Subjektivismus der Kunst voraus und den ganzen persönlichen Ehrgeiz des neueren Künstlerlebens. Die mittelalterlichen Maler malten sich selber noch nicht vor dem Spiegel mit Pinsel und Palette in der Hand, als ihr eigenes Kunstobjekt: sie stellen sich höchstens als Beter oder bescheidene Zuschauer in den Winkel irgend einer figurenreichen Composition. Die vorgedachten Porträtgenrebilder aus dem lustigen Kneipleben der niederländischen Malerbünde sind gleichsam die gemalte Künstleranekdote. So hat von da an auch so mancher Maler sein eigenes Atelier als Stillleben gemalt, und in Schleißheim sehen wir gar mehrere mit bewundernswürdiger Liebe ausgeführte Bilder Teniers, auf denen eine Gemäldegallerie und das Treiben der Künstler und Kunstfreunde in derselben so gewissenhaft dargestellt ist, daß wir trotz des winzigen Maßstabes jedes einzelne Bild und Styl und Colorit seines Meisters zu erkennen und diese Tafeln gleich einem photographirten Katalog zur Erhärtung des Alters und der Aechtheit der noch vorhandenen Meisterwerke benützen können.

Die Künstlersagen gruppiren sich eben so gut zu geschlossenen Anekdotenkreisen, wie die Volkssagen zu Sagenkreisen. Wir haben einen förmlichen Anekdotenkreis von Seemalern, die sich behufs des Studiums in allerlei abenteuerlicher Art den brandenden Wogen, von Schlachtenmalern, die sich dem feindlichen Feuer Preis geben. Die alte Geschichte von den gemalten Trauben des Zeuxis, nach welchen die Vögel flogen, erscheint im siebzehnten Jahrhundert zum öftern in neuer, mitunter auch stark vermehrter Auflage. Bei Floris van Dyk sollen's die Spatzen gerade wie Zeuxis gemacht haben, ja bei Johann le Maire macht der Mythus gar noch den Zeuxis zu Schanden, denn le Maire malte einen Säulengang mit so natürlicher Perspektive, daß die Vögel durchfliegen wollten und sich die Köpfe einstießen. Da mancherlei Bilder, welche in diesem Sagenkreis berührt werden, unversehrt auf uns gekommen sind, die Spatzen aber nicht mehr nach denselben fliegen, so müßten wir am Ende annehmen, daß das Federvieh im neunzehnten Jahrhundert dümmer oder, wie man's nimmt, auch gescheidter geworden sei, als es im siebzehnten war.

Allein so sicher von diesen Malergeschichten gut die Hälfte total erfunden sein mag, und ein weiteres Viertel in der Ausschmückung derart »übermalt,« daß die ächte Farbe für immer verloren ist, so wird ein allgemeines culturgeschichtliches Interesse dieser Mährchenwelt dennoch vorhanden sein. Man muß nur die Anekdotenkreise im Großen und Ganzen auffassen. Die Anekdote hat so gut ihre Symbolik wie die Sage. Das Zeitalter hat in seinen Künstleranekdoten bestimmte Seiten des Künstlernaturells epigrammatisch plastisch ausgedrückt. Haben sich jene kleinen Thatsachen auch nicht alle wirklich zugetragen, so müssen sie doch innere Wahrheit für ein Zeitalter gehabt haben, das sie mit so wunderbarer Fruchtbarkeit in hundertfacher Variation fortpflanzte. Und diesen Kern der inneren Wahrheit der großen Anekdotengruppen (nicht der einzelnen Histörchen) herauszuschälen, wird eine höchst belohnende Arbeit für den Culturhistoriker sein.

Namentlich zeichnet sich die Anschauung des siebzehnten Jahrhunderts von der socialen Stellung der Malergenossenschaft oft aufs Ueberraschendste in diesen Sagenkreisen. Welch ein Gewinn wäre es für die Gesellschaftskunde, hätten sich auch bei den Gewerben die thatsächlich auch dort vorhandenen persönlichen Anekdotenkreise abrunden und bewahren können! Sie geben uns den Schlüssel zu einer förmlichen Psychologie des Standes und Berufes. Es gewährt einen Blick in das Seelenleben der Malergenossenschaft als sociale Gruppe, wenn wir z.B. sehen, welche hervorragende Rolle Ehrgeiz und Eifersucht in den Sagenkreisen der Malerbücher spielen. Cantarini stirbt aus gekränktem Ehrgeiz, van der Dort ärgert sich zu Tode aus gleichem Grunde: dem Annibale Carracci frißt der Gedanke, unterschätzt zu sein, am Leben; Joos van Cleef wird rasend, weil Philipp von Spanien die Bilder des Titian den seinigen vorzieht; Bartholomäus Flamael wirft den Pinsel ins Feuer, aus Verdruß über die großen Fortschritte seines Schülers Carlier; den Corienzio läßt die Eifersucht Gift mischen für seine Kunstgenossen; Rosso vergiftet sich selbst aus Neid auf den Primaticcio, und selbst eine lange Reihe sonst trefflicher Männer erscheint in einer Weise von dem Dämon der Eifersucht besessen, wie wir dies zwar als Charakterzug aller Künstlergruppen kennen, aber in gleich hohem Grade doch nur noch bei den Schauspielern wiederfinden.

Ich greife einen andern Mythenkreis heraus. Er gibt Kunde von den »Geschwindmalern.« Hier zeigt sich wieder recht der innige Zusammenhang der alten Malerei mit dem Handwerk. So wie dieser Zusammenhang aufhörte, verlor das Kunst- und Meisterstück des Geschwindmalers seine Bedeutung. Bei der Wagnerzunft galt es vordem als ein besonderes Meisterstück, wann Einer früh Morgens Holz im Walde aussuchte und aushieb, ein Rad daraus zusammenfügte, und dann noch am selbigen Tage das unbeschlagene Rad zu einer etwa zehn Stunden Wegs entfernten Schmiede vor sich her trieb, um dort am Abend den Reif darum legen zu lassen. Wenn nun Nicolaus Loir sich vermaß zwölf heilige Familien an Einem Tage zu malen; wenn Molenaer eine große Landschaft an einem Tage entwarf und in Oel ausführte, ohne sich auch nur eines Malerstockes dabei zu bedienen: wenn Teniers mit seinen » après-soupers« stolzirte, Bildern, die er zwischen Abendessen und Schlafengehen verfertigte; wenn Walther Crabeth keine Stadt durchreist haben soll, ohne in derselben wenigstens ein gemaltes Fenster zu hinterlassen: so steckt in diesen Anekdoten, die heutzutage als ein sehr verdächtiges Lob klingen würden, nichts anderes als das Seitenstück zu jenem Hexenwerke der Radmacher, eine Reminiscenz aus den Tagen der »Maler- und Tüncherzunft,« wo derlei Kunststückchen den Meisterruhm erst voll machten. In jener Zeit hatten dann auch die Deutschen ihren Fa-Presto und zwar in wörtlicher Uebersetzung. Denn gerade unter den zwischen Tünchern und Malern mitten inne stehenden Augsburger Frescomalern aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts findet sich ein Meister Mang Schnellaweg, der also dem wälschen Luca Giordano Fa-Presto den Ruhm seines Namens um mehr als zweihundert Jahre vorweg nimmt.

Selbst viele Historien, welche lediglich den wahnsinnigen Fleiß alter Meister verherrlichen, gehören offenbar unter diese Rubrik der Gewerbsehre. Die Aeußerung des Ghirlandajo, der es bedauerte, daß er nicht gleich die ganze Stadtmauer von Florenz bemalen dürfe, findet ihre Erläuterung in ähnlichen Heldenthaten der Handwerkerzünfte. Und selbst ein so hoher Genius wie Dürer würde schwerlich jene fabelhaft emsige Betriebsamkeit in Kunst und Handwerk entfaltet haben, wenn er nicht in den Überlieferungen der Malerei als eines zünftigen Gewerbes aufgewachsen wäre.

Im fünfzehnten Jahrhundert und im Beginn des sechzehnten finden wir auffallend viele Maler, die ihrer besonderen Frömmigkeit wegen gepriesen werden: Fiesole, Fra Filippo Lippi, Fra Bartolomeo, Cavallini u. A. Fiesole führt den Beinamen des »Seligen« und »Engelgleichen,« der Ulmer Maler Jakob der Deutsche sogar des »Heiligen,« und Gaudenzio Ferrari erhält von der Synode zu Navarra das Prädikat » eximie pius.« Mit der eigentlichen Renaissancezeit und dem üppigen Rococo aber verschwinden diese Heiligen von der Palette. Man kann alle die im Geiste des Mittelalters liegenden höheren Motive des frommen Wandels gelten lassen und muß doch dabei Realist genug sein, um vom socialen Standpunkt zu erkennen, daß bei einer gewerblichen Kunstbetriebsamkeit, die aus dem Kloster hervorgegangen und deren Hauptabsatz auf die Kirchen berechnet war, ein gewisser geistlicher Anstrich sich für die Gewerbsgenossen eben so gut von selbst verstand, wie für Organisten und Cantoren, Küster und Meßner, ja am Ende auch für die Lieferanten der Kirchengeräthe und Gewänder.

Für die Geschichte der Gesellschaft ungleich wichtiger als jener Heiligenschein um die Köpfe mittelaltriger Maler erscheint die gegenüberstehende Thatsache, daß mit dem siebzehnten Jahrhundert, wo sich die Maler befreiten von der Verkettung mit dem Gewerb, wo statt der strengen Zucht der Zunft die künstlerische Freiheit der subjektiven Genialität sich durchkämpfte, auch die steife Ehrbarkeit des Privatlebens in eine mehr als burschikose Zügellosigkeit umschlug. Die Schule der einzelnen Meister konnte zwar wohl die technische Tüchtigkeit des Schülerkreises, aber nicht die sociale der alten Zunftgenossenschaft wahren. Ein fliegendes Blatt von 1621 bezeichnet die Maler, Reißer (Zeichner), Formschneider und seltsamer Weise auch die Buchbinder (wenn es noch dem Sprüchwort zu Ehren die Bürstenbinder wären!) als ganz besonders einem flotten Kneipleben zugethan. Aus den Biographien, namentlich der Niederländer dieses Jahrhunderts, lassen sich wohl an hundert kunstberühmte Namen als Zechbrüder aller Klassen zusammenstellen. Es ist freilich einleuchtend, daß Künstler, die mit so großer Liebe und Meisterschaft Trinkstuben und Betrunkene malten, schon um ihrer Studien willen in keinen Mäßigkeitsverein hätten treten dürfen.

Aber das üppige, weltliche Leben saß ja keineswegs blos bei den Volks- und Genremalern. Die katholischen Italiener, Franzosen und Flamänder, welche ihre riesengroßen Altarblätter und Heiligengeschichten so massenhaft malten, wie nur je das Mittelalter, waren trotzdem privatim nicht minder lustige Weltkinder als die reformirten Holländer, die mit ihrem fröhlichen Erfassen des cynisch-humoristischen Volksgeistes dem Puritanismus der Theologen den grellsten Widerpart hielten. War denn der Geist der Zeit in dem religionskriegenden, hexenbratenden siebzehnten Jahrhundert überhaupt so erstaunlich weltlustig? Nicht die allgemeine Stimmung der Periode, sondern die sociale Entfesselung hat die Künstler und die großen Herren damals übermüthig gemacht. Die gleichzeitigen Musiker und die armen deutschen Maler, soweit sie noch in dem alten Zunftbanne gefesselt blieben, erscheinen ihrerseits auch demüthig, bescheiden, kleinbürgerlich engbrüstig. Rubens und Vandyck und Titian aber lebten social recht wie die Könige dieser Welt, darum malten sie auch so weltlich und so königlich.

Welch reiche Abstufung aller Arten des sinnlichen Genußlebens von der genialen Ueppigkeit der drei Letztgenannten, dazu eines Guido Reni, Dujardin Rombouts u. A. bis zur Trunksucht und Völlerei eines Jan Steen, Patenier, Craesbecke, Joh. Lys, Molenaer, Joh. de Mabuse, Langendyck, Brouwer, Franz Hals sammt seinen beiden Söhnen! Jan Steen, wohl der reichste Humorist unter den niederländischen Genremalern, endet tragisch – als versoffener Schenkwirth. Er soll trunken ebenso gut gemalt haben, wie nüchtern, wie es von dem Blumenmaler Joh. van Huysum heißt, er sei, in Wahnsinn verfallen, kein schlechterer Maler gewesen, als bei hellem Verstand.

Jene Maler, die 1655 eine große Petition nach dem Haag schickten, um von der faktisch längst zerschnittenen Gemeinschaft mit der Tüncherzunft auch förmlich erlöst zu werden, jene Maler, die keine wunderreichen Heiligen mehr waren wie im fünfzehnten Jahrhundert, sondern nur noch wunderliche Heilige, und keine ehrsamen Handwerksmeister mehr wie im sechzehnten, jene Leute, die sich am liebsten durch einen mit Matrosen, Fischern und Bauern flott verjubelten Tag für ihre Kunst begeisterten, – waren nicht so friedfertig, so stilllebig, wie ihre Bilder zu beweisen scheinen. Sie waren Stürmer und Dränger, gewaschene Revolutionäre. Und indem sie das sociale Leben auf den Kopf stellten und das künstlerische Urrecht der verachteten gemeinen Natur ausriefen, leiteten sie eine ästhetische Umwälzung ein von ungeheurer Triebkraft. Die sociale Umwälzung aber verkündete dieses junge Holland eben in seinen anscheinend so gar harmlosen Bildchen als eine Thatsache.

Hier fällt von dem socialen Studium manche neue Lichtbrechung auf das kunstgeschichtliche. Der volle Anbau der historischen Volkskunde wird überhaupt dereinst zeigen, daß diese der Kunstgeschichte für viele reiche Belehrungen nichts schuldig zu bleiben braucht, sondern durch das Erschließen von tausend neuen Gesichtspunkten alles Empfangene wieder wett machen kann.

Jene Maler, die, trotz Stillleben und Heiligenbild, so manche Fessel der bürgerlichen Sitte abwarfen und die sociale Selbstherrlichkeit des Genius weissagten, sind in diesem Sinne ebensogut wie manche gleichzeitige Philosophen und Socialisten die Vorläufer Rousseau's und Voltaire's gewesen. In keiner andern Kunst siegte damals ein gleiches Wagniß. Und war nicht den Holländern, die ihre knorrigen Lebensbilder des »Arbeiters,« dazu aber auch ihre wunderbaren Gruppen von buntscheckigem Lumpengesindel übermüthig auf die Leinwand warfen, gleich so manchem cynischen Satyriker der damaligen Litteratur, die prophetische Ahnung aufgegangen von dem künftigen socialen Recht des gemeinen Mannes, – obgleich das Zeitalter noch mit dem ganzen Hals im steifgestärkten Spitzenkragen stak? Welch ein anders gearteter Geist sprudelt aus ihren mit Absicht und Behagen gemalten Derbheiten gegenüber dem naiv entschlüpfenden Cynismus der altern Maler! Es liegt in ihrem ungewaschenen Humor eine bewußte, keck herausfordernde Satyre gegen den Zopf der damaligen bürgerlichen Gesellschaft. Der Harlemer Johann Torrentius ging im frechen Uebermuth seiner Darstellungen so weit, daß ein großer Theil seiner Bilder durch Henkershand verbrannt wurde, und er selber (1630) auf der Folter starb. Und doch stempelt auch ihn die Kunstgeschichte mit dem harmlosen Prädikat eines »Stilllebenmalers.«

Das neunzehnte Jahrhundert erkennt es freilich immer allgemeiner an, daß, neben den historischen und beruflichen Standesgruppen, auch Geist und Bildung die Gesellschaft in zwei große Hälften theilt und die Aristokratie des Genius auch den bürgerlichen Mann ebenbürtig macht dem Hochgeborenen. Vor zwei bis dreihundert Jahren konnte man noch nicht also sprechen. Aber die Ehren, zu welchen namentlich in Italien und den Niederlanden so viele glänzend belohnte Glückskinder unter den Malern aufstiegen, war dennoch abermals eine Weissagung auf jene moderne Thatsache. Die Anekdote symbolisirt es: Kaiser Maximilian hält dem Albrecht Dürer die Leiter, und Heinrich VIII. von England sagt jenem Lord, der in Holbein's Werkstatt dringen wollte, das bedenksame Wort: er könne aus sieben Bauern sieben Lords, aber aus sieben Lords keinen einzigen Holbein machen. So bedeutend die Thatsache, daß Vandyk aus dem Geist der seinen, vornehmen Welt herausmalte, für den kunstgeschichtlichen Erklärer seiner Werke, ebenso bedeutend ist sie auch für den Historiker der Volkskunde. Die Aristokratie des Genius steigt zuerst bei den Malern epochemachend über den Standesrang der Zunft.

So große sociale Krisen erzeugen dann aber auch natürlich allerlei Narrheit in den Köpfen der Einzelnen. Rasche Witterungswechsel bringen Schnupfen und Husten und setzen wohl auch ergötzliche Sparren epidemisch einem ganzen Stande in den Kopf. So sind denn auch die Malerbücher des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts überreich an Sonderlingen. Das so lange zurückgehaltene Anrecht des Einzelnen auf die Entwickelung seiner persönlichen Absonderlichkeiten macht sich nun gewaltsam Luft. Die verrücktesten Grillen kommen in Mode. Ein Italiener verrennt sich in den Eigensinn, die Schatten mit der rechten, die Lichter mit der linken Hand zu malen. Arnold Gelder trügt die Farben appetitlicher Weise mit dem Finger statt mit dem Pinsel auf. Cornelis Kettet befleißt sich des Kunststückes, mit Händen und Füßen ohne Pinsel die größten Gemälde zu verfertigen. Wie er das angefangen, verschweigt freilich die Sage. Estevan March rührt immer erst die Trommel zu einem Sturmmarsch, bevor er an seinen Schlachtenbildern malt. Nicolo Cassana wälzt sich am Boden und schreit wie ein Besessener, wenn ihm ein Bild nicht nach Wunsche gelingt. Der Geschichtsmaler Deodat Delmont treibt Wahrsagerei als Nebengeschäft in Mußestunden, und Ludwig van Deyster ist bei seinem Malerberuf von einer unglückseligen Dilettantenpassion für die Verfertigung von Orgeln, Klavieren, Violinen, Wand- und Taschenuhren geplagt. Nicolaus Colombel spielt den Einsiedler und will weder von einem Weib, noch von Schülern und Dienern etwas wissen. Dem Baglioni aber sagt man gar nach, daß er in seinem Atelier zu Parma einst plötzlich von der Staffelei aufgesprungen, und in Pantoffeln und Kappe nach Rom gelaufen sei, um dort eine Säule zu copiren, die er in einem begonnenen Werke anbringen wollte.

Christian Schuchart hat unlängst ein lehrreiches Buch über Lucas Cranach geschrieben, worin er alle möglichen Papierschnitzeln von alten Rechnungen, Briefen, Notizen, Tagebüchern, lateinischen Lobgedichten ec. zusammenträgt, und ohne es zu beabsichtigen uns ein weit reicheres Material für das sociale Lebensbild des Bürgers und Gewerbsmanns Lucas Cranach als für das kunstgeschichtliche des Malers gibt. Mich überschleicht ein wehmüthiges Gefühl, wenn ich auf die endlosen Rechnungen und Arbeitsverzeichnisse zurückblicke, die Schuchart von diesem »Lucas Maler« zusammenstellt. Welch ungeheure Thätigkeit, welche grauenhafte Zersplitterung bei diesem großen Tüncher und Maler, den Kugler vom kunstgeschichtlichen Standpunkte den Hans Sachs unter den Malern nennt, was aber auch in socialem Betracht gilt; denn Beide waren Künstler auf dem gesellschaftlichen Boden des Handwerks. Cranach befaßt sich mit Vergoldung, Lackirung und Oelfarbenanstrich, Tapetenmalerei, Wappenmalerei, Porträtfabrikation, Kupferstecherei, Holzschneiderei und wirklicher Malerkunst jeglicher Art. Dazu ist er auch verantwortlicher Meister von etlichen Dutzend Malerknechten, privilegirter Inhaber einer Apotheke, Bürgermeister und Hofbediensteter mit dem Platz an der zweiten Hoftafel. Wir sprechen so gerne von moderner Zersplitterung: sie ist ja strenge Concentration gegenüber solch namenloser Vielgeschäftigkeit!

Tröstend aber gemahnt mich diese seltsame Mischung von Kunst- und Handwerksbetrieb an das Schicksal einer modernen Berufsgenossenschaft, die in ähnlich getheilter Emsigkeit in's Handwerk arbeiten muß, damit man ihr zeitweilig vergönne, auch wieder frei der Kunst und Wissenschaft zu dienen, an uns Männer der Litteratur, die wir freilich keinen Platz an der zweiten Hoftafel und keinen Stuhl im Bürgermeisteramt haben. Wir stehen in derselben zweifelhaften socialen Stellung wie die Maler jener Uebergangszeit, dreigetheilt zwischen dem journalistischen Handwerk, der gelehrten Zunft und freier künstlerisch-wissenschaftlicher Productivität, und die Berufsstatistik weiß niemals recht, auf welchen bestimmten Punkt sie uns eigentlich setzen soll. Doch sollten wir es wenigstens selber wissen. Die Litteratur ist eben das Object einer neuen, ächt modernen Berufsthätigkeit wie vor drei Jahrhunderten die Malerei als reine Kunst.

Der Trost, sich zu Zeiten wenigstens ganz einem Bild hingeben und dasselbe mit aller Liebe und Treue, mit dem gedoppelten Fleiß einer halbgefesselten Künstlerhand ausmalen zu dürfen, hielt die alten Maler immer wieder frisch über dem Wasser. Und in der gemüthlichen Vertiefung in ihren Gegenstand waren sie oft unendlich größer und inniger, als die späteren, von der Kette des Handwerks befreiten und wie große Herren geachteten Meister. Sollte es uns von der Gelehrtenzunft halb erlöste Schriftsteller nicht auch frisch über dem Wasser halten, daß es uns doch oft genug vergönnt ist, einen wissenschaftlichen Stoff aus unserer eigensten Individualität heraus mit der ganzen treuen, hingebenden Liebe einer Künstlerseele durchzubilden, ihn in originale Formen zu gießen, die auch dann noch einen Werth behalten können, wenn der Stoff längst veraltet ist, und in der Innigkeit, mit welcher wir auch dem ernsten Gedanken einen Hauch der Schönheit zu geben trachten, den socialen und wissenschaftlichen Zwiespalt zu vergessen, worin wir in dieser Uebergangszeit mitten inne stehen? Was Lessing, Möser, Herder, als Kunstgebilde der wissenschaftlichen Litteratur in Prosa geschrieben, das hat sein Jahrhundert überdauert und lebt und wirkt heute noch kräftiger im Geiste der Nation, als damals; die gleichzeitigen Bücher der exclusiven Männer einer hochnäsigen Gelehrtenzunft ruhen in den Bibliotheken als Stofffundgruben für nachkommende Gelehrte, die daraus wieder Stofffundgruben für eine spätere Gelehrtenzunft machen werden.


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