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Eine Woche später im Eckhaus
Wenn Willy recht hatte – wenn ich zu spät gekommen bin – ich komme ja immer zu spät oder zur unrechten Zeit, – bei den Frauen, bei allem möglichen – –
Es ist kein besonders freundlicher Stern, der über meiner Biographie waltet, das weiß ich längst, und doch erscheint es mir unfaßlich, daß die Götter Wahnmochings Untergang beschlossen haben, nur damit sich meine Biographie vollendet – nur damit ich auch dieses Mal zu spät komme, – gerade da, wo mein größtes Erleben – Miterleben – sich erfüllen sollte. Aber auch Willy sagt ja, daß man noch auf Zeichen und Wunder hofft.
Das Zeichen und Wunder eben steht bei Hallwig – ach, ich wiederhole mich beständig und verwirre mich immer mehr, trotzdem all mein Streben nur nach Klarheit geht.
Ich bin hier geblieben, ich bleibe vielleicht noch lange hier – denn Susanna und Maria haben mich darum gebeten – –
So hause ich hier unten in dem großen Gastzimmer, und meine Biographie verwächst immer inniger mit der des Eckhauses.
Meine Gegenwart sei ihnen so tröstlich, sagten die Mädchen. – Gerade die matte neutrale Note, die mir eigen ist, und daß mir trotzdem immer das Herz weh tut. Das haben sie gern, und ich selbst weiß mir wohl nichts Besseres, als um diese Frauen zu sein, die mich milde zu meinem eigentlichen Wesen verurteilen.
Orlonski ist zurückgekommen, das Interieur wiederhergestellt, nur geht das Leben etwas stiller als vorher, – Besuche kommen und gehen – wir selbst kommen und gehen, aber die laute Freude und sorglose Unruhe scheint etwas gedämpft. Und draußen weht Frühlingswind.
10. März
Mit Maria bei Hofmanns. Es war kein Jour, und wir trafen nur zwei Gäste dort. Aber diese zwei sind in unserem Stadtteil eine seltene und auffallende Erscheinung, – eine junge Polin mit flammend rotem Haar und bleichem fanatischem Gesicht, sie nennt sich Jadwiga, und ihr Begleiter ist ein Rabbi von der deutschen Ostgrenze. Wir haben sie im Karneval kennen gelernt, ich glaube, es war die Kappadozische, die sie entdeckt und in Wahnmoching lanciert hat. Wieso und warum die beiden in das Faschingstreiben gerieten, ist bisher unklar geblieben, denn eigentlich sind sie nur unterwegs, um für den Zionismus Propaganda zu machen. Darüber wurde auch an diesem Nachmittag viel gesprochen, und es war nicht uninteressant, wie Jadwiga von dem Elend der israelitischen Bevölkerung in ihrer Heimat erzählte.
Sie saß auf einem Schemel zu Füßen der Hausfrau und sprach immer weiter von ihrer Kindheit; was sie erzählte, waren zum Teil seltsame phantastische Erlebnisse und unleugbar ging ein gewisser Charme von ihr aus, der die Zuhörer mehr oder minder gefangen nahm (der Rabbi lehnte derweil finster und schweigend an der Wand). So schilderte sie einen alten moosbewachsenen Ziehbrunnen, und wie sie als Kind immer in diese runde, grüne Tiefe hineingesehen und dabei förmliche Visionen gehabt habe. Und noch vieles andere – aber bei der Geschichte vom Ziehbrunnen sprang der Professor auf, durchmaß das Zimmer mit großen Schritten und fragte ganz erregt:
»Wissen Sie, daß Brunnen kosmische, dionysische Erlebnisse sind?«
»Ich wußte es nicht,« antwortete sie, und ihr blasses Gesicht strahlte vor Freude. Aber nun kam Delius aus dem Nebenzimmer, er hatte dort schweigend gesessen und in einem Buch geblättert, – wir wußten gar nicht, daß er da war.
»Gewiß,« sagte er, »gewiß, Herr Professor, aber es kommt vor allem darauf an, wer sie erlebt.« Gleich darauf verabschiedete er sich, warf noch einen kalten Blick auf den Rabbi und ging.
Es war keine Szene, nicht einmal ein Wortwechsel; es war gar nichts, und doch hatte man das Gefühl, es sei etwas vorgefallen, und gab sich alle Mühe, das peinliche Gefühl wieder zu verwischen.
»Ach Barmherzigkeit,« sagte Willy, als wir ihm davon erzählten, »ist der Rabbi immer noch da? Bei mir ist er auch schon einmal gewesen, um mich für Zion zu gewinnen, aber es lockt mich nicht, – das Eckhaus ist viel sympathischer. Und die Jadwiga ist mir ein Schrecken, – sie sieht zum Beispiel immer einen schwarzen Hund, wenn jemand irgendwie abtrünnig wird, – solche Leute sind ungemütlich.«
16. März
Ein aufregendes Ereignis – –
Ich sitze mit Susanna allein in der Küche, vor uns eine Flasche Cherry Brandy, den sie besonders liebt. Es ist sehr spät, die andern schlafen schon. Wir nehmen hier und da ein Gläschen, wir sind etwas sentimental und sprechen von unserem Leben, ich von der Frau, die ich so gerne finden möchte, sie von dem Panther, den sie gefunden hat, und der ihr viel Herzeleid bereitet. – Die anderen sind immer noch unzufrieden und eifersüchtig, und er selbst, der Panther, hat eben seine Wikingersubstanz völlig in Hallwigs Dienste gestellt. So hängt nun auch ihr Liebesglück von diesem Beherrscher aller geheimnisvollen Dinge ab. Sie kommt auch hier und da mit den Enormen zusammen, aber ihre Substanz ist noch nicht festgestellt. »Und wenn ich nun als minderwertig befunden werde,« sagte sie, »dann ist es vorbei, dann darf er mich nicht mehr«, und wehmütig erinnern wir uns an den Abend, wo neben seinem bunten Fell sich unsere Hände fanden.
Aber man soll wohl auch kein buntes Fell an die Wand malen, denn während wir noch so sprachen, ertönte unten ein rasendes Klingeln – dreimal – sechsmal – neunmal – wir hörten Chamottes Stimme an der Haustür, gleich darauf wurde aufgemacht, und Konstantin kam die Treppe herauf, in äußerst derangiertem Zustand, ohne Hut, ohne Rock und Weste, ja selbst ohne Kragen. Es dauerte eine Weile, bis er wieder zu Atem kam und uns Aufklärung geben konnte. Er hatte nach Hause gehen wollen, und zwar wie gewöhnlich über die kosmische Wiese (so nennt man eine ausgedehnte Grasfläche an der Grenze von Wahnmoching). Aber kaum, daß er die Wiese betreten hatte, rief ihn jemand beim Namen, er erkannte den Panther und blieb stehen, da er nichts Böses ahnte. Der Panther aber sprach kein Wort weiter, sondern suchte sich seiner zu bemächtigen, und gleichzeitig glaubte er Petersen, die Murra und sogar Hallwig zu bemerken, die sich abwartend in einiger Entfernung hielten. Der arme Junge, es fehlt ihm sicher nicht an Mut, aber er sagte, es habe ihn plötzlich ein Grauen erfaßt, daß irgend etwas Entsetzliches mit ihm vorgenommen werden solle, und so versuchte er statt aller Gegenwehr sich loszuwinden, wobei er ein Kleidungsstück nach dem anderen einbüßte, denn der Panther packte stets von neuem wieder zu. Schließlich gelang es aber doch, und er war so gerannt, daß der andere ihn nicht einzuholen vermochte, sondern grollend umkehrte.
Wir gaben ihm Cherry Brandy zu trinken, und er erholte sich allmählich. Die anderen waren durch seine geräuschvolle Ankunft aufgeweckt worden und kamen frierend in ihren Nachtgewändern herbei. Die allgemeine Aufregung war groß, und man wußte sich das Vorgefallene nicht recht zu erklären. Konstantin erzählte, Petersen hätte ihm bei ihrer letzten Unterredung befohlen, sich aus dem Weichbild Wahnmochings zu entfernen, aber er habe sich geweigert, und vielleicht wollte man ihn jetzt mit Gewalt dazu zwingen, – warum aber dann die Gegenwart der anderen – der Murra –?
Maria war völlig konsterniert und dachte angestrengt nach, der sonst so skeptische Willy meinte mit einem leichten Schauder, es gäbe wohl auch heidnische Ritualmorde, vielleicht sollte Konstantin angesichts der Murra geschlachtet werden, um sie, die sich im Karneval mit ihm vergangen, zu entsühnen – oder man brauche Blut von Sonnenknaben zu Zauberzwecken.
Die späte Nachtstunde trug dazu bei, daß uns sehr unheimlich zumut war. Es fror uns, Orlonski machte ein großes Feuer im Herd an und stärkte uns mit Kaffee. Dann legte er einen geladenen Revolver auf den Tisch und erklärte, gegen etwaige Überfälle sei man gewappnet, – im übrigen halte er jene Leute nur für verrückt.
Mir fiel der Morgen bei Adrian ein – und daß der Professor damals sagte, auf den Verrat kosmischer Geheimnisse stehe der Tod.
Die anderen wollten es nicht glauben, aber Susanna bestätigte, daß sie es ebenfalls gehört hätte. Konstantin wurde blaß: »Habe ich denn kosmische Geheimnisse verraten?« sagte er und sah Maria fragend an. Die zuckte die Achseln: »Das weiß man ja nie.«
Wir saßen um den Tisch, tranken unseren Kaffee, zwischen den Tassen lag der Revolver, und niemand dachte mehr an Schlafengehen.
Als es dann wirklich noch einmal draußen läutete, griff Orlonski nach der Waffe, aber Susanna hielt ihn zurück. Sie ging selbst ins Nebenzimmer und verhandelte vom Fenster aus mit dem Panther, der draußen stand und Konstantins Herausgabe verlangte.
Er sei nicht hier, – was er denn von ihm wolle.
»Das ist meine Sache,« antwortete der Panther lakonisch und drohend. Dann verlangte er ihr Wort darauf, daß Konstantin wirklich nicht im Hause wäre.
Wir horchten gespannt und bewunderten im stillen, wie standhaft sie log und ihn auch schließlich zum Fortgehen zu bewegen wußte.
»Er glaubt mir alles,« sagte sie nachher, »nur nicht, daß ich lügen kann – –«
Willy suchte sie zu beruhigen, daß das Ehrenwort einer Frau immer illusorisch wäre, aber Susanna saß stumm und bleich in einer Ecke und sprach keine Silbe mehr.