F. Gräfin zu Reventlow
Herrn Dames Aufzeichnungen
F. Gräfin zu Reventlow

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10

Ein Morgenbesuch bei Adrian. Er wohnt in einem großen Atelier und ist sehr hübsch eingerichtet. Als ich kam, saß er in einem persischen Kaftan an einem zierlich gedeckten Tischchen und nahm ein hygienisches Frühstück ein. Er sagte, daß er nachher zwei bis drei Stunden zu arbeiten pflege, nur jetzt im Karneval sei das natürlich nicht ganz durchzuführen. Wir rauchten Haschischzigaretten und unterhielten uns über Wahnmoching. Ich glaube, Adrian ist, was man einen Causeur nennt, man kann sonst eigentlich nicht über Wahnmoching »plaudern« und tut es auch nicht, aber Adrian kann es. Trotzdem ist auch er der Ansicht, daß hier große Dinge in der Luft liegen, und jeder, der irgendwelches Streben in sich fühle, müsse sich solchen Bewegungen unbedingt anschließen.

»Ich bitte Sie, Monsieur Dame, wir haben wieder gelernt, dionysisch zu empfinden, – wer hätte das vor zehn oder zwanzig Jahren für möglich gehalten? Bei dem Fest neulich, – haben Sie gesehen, wie der Professor raste, wie der Taumel ihn blendete, so daß er in den scheinbar häßlichsten Frauen wunderbare Schönheit erblickte? Er hat so viel Eros, daß ihm jede Lebensäußerung, jede Form, in der das Leben sich darstellt, etwas Vollendetes bedeutet. So wurde zum Beispiel einmal von jemand gesagt, er sei sehr unschön, ja geradezu garstig. Hofmann besann sich einen Augenblick und sagte dann: Ja, gewiß, er ist wundervoll garstig. – Von Ihnen ist er übrigens ganz entzückt, er sagte mir, es wäre ganz unglaublich, wie blasiert und gelangweilt Sie manchmal aussehen könnten.« (Ich empfand das nicht gerade als Kompliment, aber es war entschieden so gemeint.)

»Und die Frauen,« fuhr Adrian mit einem suffisanten Lächeln fort, »unsere Frauen wollen wieder Hetären sein – es ist gar nicht zu sagen, welche Umgestaltungen das gesellige Leben dadurch noch erfahren wird. In erster Linie natürlich auf erotischem Gebiet, aber selbstverständlich bezieht sich das nicht nur auf die Frauen – die Beschränkung der Erotik auf das eine oder andere Geschlecht ist ja überhaupt eine unerhörte Einseitigkeit. Der vollkommene Mensch muß alle Möglichkeiten in sich tragen und jeder Blüte des Lebens ihr Aroma abzugewinnen wissen. Ich meinesteils empfinde durchaus bisexuell.«

Dabei nahm er für einen Augenblick seinen Zwicker ab, rieb ihn mit dem Taschentuch blank und sah mich mit seinen kurzsichtigen Augen triumphierend an.

»Apropos, Monsieur Dame, was macht denn Ihr kleiner Sklave?«

»O – er hält mir meine Wohnung sehr gut in Stand,« antwortete ich ablenkend, mir war dieses Thema unsympathisch, und ich fühle durchaus keinen Ehrgeiz, für vorurteilsfrei zu gelten, wo ich es nicht bin.

Wir wurden unterbrochen, auf der Treppe hörte man lachen und sprechen, es klopfte, und dann erschienen Professor Hofmann und Susanna. Sie sagte, kaum daß man sich begrüßt hatte: »Adrian, ich bitte Sie – haben Sie nicht ein dämonisches Briefpapier – ich muß an jemand schreiben,« damit zog sie ihn ans Fenster und erzählte ihm eine Geschichte, über die beide sehr lachten.

Hofmann schüttelte mir indessen lebhaft die Hand und war äußerst liebenswürdig. Er war gekommen, um Adrian zu einem Fest in seinem Hause einzuladen, – die anderen traten wieder zu uns, und es wurde allerhand darüber geredet. Hofmann gefiel mir an diesem Morgen sehr gut, besser als je zuvor; er war heiter und gesprächig und freute sich wie ein Kind auf diese Sache. Delius hatte die Grundideen angegeben, und es sollte ein richtiges antikes Fest werden.

»Bacchanal?« fragte Adrian eifrig.

»Nun, Fest oder Bacchanal – ein Bacchanal ist ein Fest, und ein Fest kann wohl ein Bacchanal sein,« erwiderte Hofmann mit großer Zungenfertigkeit und wandte sich galant an Susanna: »ich hoffe, an Bacchantinnen wird es nicht fehlen.«

»Und an Bacchanten auch nicht,« warf Adrian ein und frohlockte hinter seinem Zwicker. Hofmann warf den Kopf etwas zurück und sah über das ganze Zimmer hinweg aus dem Fenster. Ich kenne diese Geste jetzt schon, wenn ihm etwas nicht recht ist. Dann zog er Adrian beiseite, und sie begannen ein halblautes Gespräch, das aber manchmal ziemlich vernehmlich wurde. So hörte ich, wie Adrian sagte:

»Ich sehe absolut nicht ein, warum ich das nicht verwenden soll – nur das Wort – ganz einfach, Blutleuchte ist das und das –«

Worauf Hofmann sehr erregt antwortete: »aber wenn ich Ihnen doch sage, daß es nicht geht. Ich bitte Sie, man hat sich doch geschworen, ganz richtig geschworen, daß auf dem Verrat von kosmischen Geheimnissen der Tod steht.«

Und Adrian: »Ja, dann allerdings – aber das finde ich wirklich fabelhaft.« – Dann sahen beide zu uns herüber und flüsterten ganz leise.

Susanna achtete nicht weiter darauf, während mich ein unbehagliches Gefühl beschlich: ich dachte an den Philosophen und beschloß ihn zu warnen. Er pflegt so unbefangen über all diese Dinge zu reden, und vielleicht könnte ihm das übel ausgelegt werden.

Inzwischen war es Mittag geworden, wir nahmen Abschied und gingen alle drei zusammen fort. Adrian stürzte noch rasch an den Schreibtisch, und brachte Susanna das gewünschte Briefpapier, es war kohlschwarz, ich hatte noch nie ein solches gesehen.

»Wenn Sie es ganz richtig machen wollen, müssen Sie mit Blut darauf schreiben,« bemerkte er – aber sie meinte:

»O, rote Tinte tut's wohl auch.«

 

Gegen Abend hoffte ich endlich einmal wieder Susanna allein zu finden – wenigstens annähernd allein. Ich war melancholisch und dachte, sie sollte mich etwas froher machen, – vielleicht ist sie wieder so glücklich verschlafen und duzt mich. Oder verurteilt mich zur Redoute – ich sitze tadellos in der Loge, langweile mich und warte, bis sie nicht mehr tanzen kann. – Dann kommt sie zu mir.

Aber ich finde sie nicht allein – alle sind in der Küche um den großen Tisch versammelt. – Die Hausbewohner – Maria, Konstantin und Delius, den ich noch nie im Eckhaus getroffen – er aber erinnert sich meiner und ist sehr entgegenkommend, sehr Weltmann.

Man hält Kostümberatung für das »kosmische Fest« – als dieser Ausdruck fällt (ich glaube, es war Willy, der ihn brauchte) blickte Delius sich erstaunt um und sagte mit seinem merkwürdigen Auflachen:

»Nun, ob das Fest ein kosmisches sein wird – wird man erst nachher beurteilen können. Der Herr Professor denkt es sich vielleicht doch zu einfach, kosmische Feste zu feiern, und man kann nicht alles auf einmal wollen. – Es soll übrigens auch ein Umzug des Cäsars stattfinden, bei dem der Dionysos selbst erscheint.«

»Ja, der Professor sieht als Dionysos sehr schön aus,« sagte Konstantin.

»So – wo hat er sich denn schon als solcher gezeigt?« fragte Delius mißbilligend.

»O, er hat das Kostüm gestern anprobiert und ging den ganzen Abend in seiner Wohnung darin herum.«

»Wissen Sie vielleicht, wer noch dabei war?«

»Irgendein Besuch – ich glaube, ein Privatdozent aus Berlin.«

»So – so,« Delius schien etwas verstimmt, aber nun wurde Maria ungeduldig:

»So laßt doch endlich den Professor – er macht es ja doch niemand recht, ob er nun seine Gäste im Frack oder als Dionysos empfängt. Aber unsere Kostüme – Delius? – Wir wollen nämlich als Hermaphroditen kommen – Susanna und Adrian haben sich's ausgedacht – die beiden, Konstantin und ich – –«

Delius horchte auf:

»Nun, im alten Rom hat es wohl schwerlich Umzüge gegeben, an denen Hermaphroditen teilnahmen, eher noch in Hellas und auf den Inseln, – bei den Festen der großen Mutter.«

»Gott, wir leben doch in Wahnmoching, und da geht alles,« suchte Susanna zu vermitteln, aber er hörte gar nicht darauf, sondern fragte:

»Und wie haben Sie sich das Kostüm gedacht?«

Maria stieß Konstantin an, und er sagte zögernd:

»Ja, wir dachten, mit schwarzen Trikots. – Maria behauptet, sie hat auf etruskischen Vasen so etwas gesehen – schwarze Beine mit weißen Bändern umwunden –, und das gefällt ihr so.«

»Schwarze Trikots?« sagte Delius ganz entsetzt und dachte dann eine Weile mit steinernem Gesicht nach. Er mochte wohl im Geiste durch das alte Rom wandern.

»Ja, es wurden wohl bei Triumphzügen gefangene Äthiopier mitgeführt, aber die waren ganz schwarz, und ob es Hermaphroditen waren – –«

»Wir sind ja auch keine wirklichen,« meinte Konstantin. Und Susanna:

»Wir wollen nur etwas Verwirrung anrichten –«

»Schweig doch!« sagte Maria und warf ihr einen zornigen Blick zu. Aber Delius überhörte sichtlich alle Nebenbemerkungen und machte nun allerhand Vorschläge – ein kurzes weißes Obergewand und Kränze auf dem Kopf – nicht Efeu, sondern rotes Weinlaub, und durch die Kränze sei ein weißes Band zu schlingen – an dem herabfallenden Ende müsse ein symbolischer Tautropfen befestigt sein, – aus Glas natürlich. Er vertiefte sich in Einzelheiten: wie weit die Ärmel sein müßten und so weiter, und gab die Adresse eines Schneiders an, der diese Dinge ausgezeichnet verstehe. Nur zu den schwarzen Trikots schüttelte er nach wie vor den Kopf, aber Maria ließ sie sich nicht ausreden.

»Gedenken Sie auch als Hermaphrodit zu kommen, Herr Dame?« wandte er sich dann an mich.

Nein, ich war noch völlig unschlüssig, was ich wählen sollte. Er maß mich mit prüfendem Blick und fragte, ob ich musikalisch sei.

»O ja, ich spiele Klavier – –«

»Das ist sehr schade – Sie würden sich sonst wohl zum Flötenspieler eignen – aber es müßte dann schon eine phrygische Doppelflöte sein. Sie werden wohl auch wieder Ihren jungen Sklaven mitbringen, und ich glaube nicht, daß die Flötenspieler Sklaven mit sich führten.«

 

Delius ging – in der Tür blieb er noch einmal stehen und fragte, ob Konstantin ihn begleiten wollte.

»O nein, ich bleibe hier,« sagte Konstantin – »Sie gehen wohl zu Heinz?«

»Ja, ich will Ihren Vetter abholen – wir haben einen Nachtspaziergang zu den Hünengräbern verabredet. Es ist sehr möglich, daß wir dort zur Nachtzeit kosmische Urschauer erleben,« – das alles sagte er mit dieser unbeweglichen Sachlichkeit, die ihm eigen ist und fügte dann ganz unerwartet mit einem jähen Auflachen im höchsten Diskant hinzu:

»– – wenn nur um Gottes willen der Mond nicht dazwischen kommt.«

 

Dann war er verschwunden, wir sahen uns an; ich glaube, uns war einen Moment ganz spukhaft zumut, selbst der allzeit mokante Sonnenknabe war verstummt. Man hatte das Gefühl: was ist das? ist er ein Mensch wie wir anderen – lebt er wirklich zwischen uns hier auf der Welt – in einer modernen, europäischen Stadt? – oder spielt sein Dasein sich in ganz anderen, unwahrscheinlichen Regionen ab? Und wiederum: ist er fremd und unwahrscheinlich – oder sind wir es?

Ich suchte diese Empfindung in Worten auszudrücken, – Susanna nahm freundlich meine Hand, als wollte sie mir den Puls fühlen, und sagte beschwichtigend:

»Lieber Dame, Sie wissen doch, in welchem Stadtteil wir leben, und daß hier vieles unwahrscheinlich ist – Aber eigentlich geht es mir ebenso wie Ihnen – –«

Orlonski, der schweigend in einer Ecke saß und ein verrostetes altes Schwert blank rieb, fiel ihr ins Wort:

»Nun fangt ihr ja glücklich alle an verrückt zu werden, – gratuliere.«

»Onski, das verstehst du nicht, – du bist ja selbst aus dem Mittelalter, und willst es bloß nicht zugeben. – Es ist hier schon viel dummes Zeug – aber Delius ist echt, es gibt ihn wirklich, – ich weiß nicht, wie man das sagen soll.«

»Seine Substanz ist echt,« korrigierte Konstantin ein wenig überlegen.

»Echter wie deine,« sagte Maria. »Bei Hallwig wurde neulich von dir gesprochen, man zweifelt an dir, – ich fürchte beinah, dein Stern ist im Sinken.«

»Ich weiß,« gab er plötzlich deprimiert zu, »aber ich ahne nicht, was ich eigentlich getan habe.«

Susanna achtete nicht darauf, was sie sprachen, und fuhr in ihrem Gedankengang fort:

»Nein – Delius imponiert mir – es tut sich einem da irgend etwas auf, wenn er so selbstverständlich die sonderbarsten Sachen sagt. Es kommt gar nicht darauf an, ob er von seinem Schneider spricht oder von Urschauern. Und man meint, er spricht mit uns, aber er denkt nicht daran, – er schaut einen an, aber er ist gar nicht da, und wir auch nicht. – Daß wir zum Beispiel Frauen sind, merkt er überhaupt nicht – das ist sehr sonderbar, aber er gefällt mir so.«

»Susja, du hast nicht ausgeschlafen – –«

»Nein, das habe ich auch nicht, mir ist ganz überirdisch zumut, und er gefällt mir wirklich.«

»Aber keine Chancen, wenn du nicht römischer Sklave bist,« sagte Orlonski aus seiner Ecke.

»Ach schweig doch – so war es nicht gemeint.«

»Ja, Delius – und Hallwig,« fing nun auch Maria an, »es sind doch nur die beiden. Die anderen laufen so mit.«

Konstantin: »Das sagst du nur, weil du Hallwig liebst – –«

»Er ist der einzige Mensch, bei dem man das Gefühl hat, er könnte fliegen. Die anderen probieren es nur. Wenn er so über Sachen redet, wird man ganz glücklich und möchte – –«

»Du hast recht, Maria – du hast recht,« sagte Susanna mit einer Stimme, als ob sie im Traum spräche. Sie war die letzten zwei Nächte ausgewesen.

Aber Orlonski stieß einen polnischen Fluch aus, stellte sein Schwert mit vielem Getöse in die Ecke und fing an einen Niggertanz zu tanzen. Das ist so seine Art, der Unterhaltung ein Ende zu machen, wenn sie ihm nicht gefällt.

 

Nachtrag. Kosmische Urschauer: Die Urzeit war noch dunkel – der Kultus des Mondes entspricht der späteren Periode des geläuterten Mutterrechts. Deshalb werden unverfälschte Urschauer durch den Mond beeinträchtigt. (So etwa hat es mir der Philosoph erklärt.)


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