F. Gräfin zu Reventlow
Herrn Dames Aufzeichnungen
F. Gräfin zu Reventlow

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Aschermittwoch, den 24. Februar

Nur das Datum habe ich hier aufgeschrieben, und seitdem sind schon wieder mehrere Tage vergangen.

Aschermittwoch, – ein trübseliges Datum, aber wohl nur für den, der seine Besinnung schon wiedergefunden hat.

Uns allen war sie völlig abhanden gekommen, es herrschte nur eine still glückselige Aufgelöstheit, und immer noch tönten uns Nachklänge der verbrausten Feste in die Ohren.

Wir kamen die letzten drei Tage nur flüchtig und besuchsweise heim, – ins Eckhaus, denn in dieser Zeit war das Eckhaus unser aller Heimat. Wir wußten längst nicht mehr, wer eigentlich zu uns gehörte und wer ein Fremder war – ob man sich als Freund gegenüberstand oder als Todfeind – und wer sich liebte, haßte oder völlig gleichgültig war.

Und wenn es wirklich das Ziel dieses Stadtteils ist, daß alle Individualität aufhört, jedes Einzelleben sich an eine Allgemeinheit verliert – so konnte es wohl für erreicht gelten.

Als ich Sendt diese Wahrnehmung mitteilte, lächelte er ein wenig und sagte:

»Lassen Sie nur alle erst einmal ausschlafen, dann wollen wir weiter darüber reden.«

Das war in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch, als die letzten Lokale geschlossen wurden und es hieß, der Karneval sei nun zu Ende.

Die meisten gingen denn auch nach Hause – wir nicht, – wir standen im Schnee auf der Straße und wollten glücklich bleiben. Dann lud uns jemand, den wir nicht kannten, zum Frühstück ein, das Frühstück ging in ein Souper, das Souper in ein Gelage mit Tanz über, dann wurde alles undeutlich, immer undeutlicher. Man war nicht mehr im Kostüm, war wieder in seiner gewöhnlichen Kleidung und fand sich eines Nachmittags um den Teetisch im Eckhaus versammelt. Die verschiedenen fremden Gesichter waren verschwunden, und der engere vertraute Kreis war wieder unter sich. Nur Susanna fehlte noch – aber man spricht nicht darüber. Orlonski prüft seine Bergstiefel, jongliert mit den Tellern und tanzt einen scharrenden Niggertanz, – lauter Anzeichen, daß er mit irgend etwas nicht einverstanden ist.

 

28. Februar

Ein paar leere verschlafene Tage – es ist, als wäre ganz Wahnmoching aus dem bacchantischen Taumel in einen tiefen, todähnlichen Schlaf versunken und das Leben selbst in Stillstand geraten.

So bin ich viel zu Hause geblieben, nur hier und da ein wenig spazieren gegangen – dann wieder habe ich in meinen Papieren geblättert und versucht, an meinen Roman zu denken, – wann werde ich endlich die innere Sammlung finden, um ernstlich ans Werk zu gehen? – Einmal suchte ich auch den Philosophen auf, aber er war nicht da – dann ging ich am Eckhaus vorbei, – sämtliche Läden geschlossen und die Glocke abgestellt, – wo sind sie alle?

 

3. März

Gestern, als ich mittags nach Hause kam, fand ich einen Zettel von Susanna auf meinem Schreibtisch:

»Es gibt mich wieder – kommen Sie bald – S.«

Chamotte sitzt in seiner Kammer am Fenster und bläst die Hirtenflöte, – ich hab sie ihm geschenkt, weil er so viel Freude daran hatte.

Auch Chamotte ist melancholisch, – er macht immer meine Stimmungen mit.

Nachmittags gehe ich hinüber und finde Susanna und Maria allein, unten in dem großen Zimmer am Ofen. Sie scheinen beide ein wenig gedrückt, – draußen ist ein trübes, graues Wetter.

»Wie gut, daß Sie kommen,« sagt Maria, – »es ist heute so unheimlich – wir sind eben erst aufgestanden – und das ganze Haus ist leer – wir haben keine Ahnung, wo die anderen alle sind.«

Chamotte wird fortgeschickt, um Sekt zu holen, und sie ermunterten sich ein wenig.

»Warum sind Sie denn heute so deprimiert?«

»Ich weiß nicht, – es hat eigentlich gar keinen Sinn –« sagt Susanna.

»Doch,« fällt Maria ihr ins Wort – »alle sind böse auf uns – ach, bitte noch ein Glas –, es ist wirklich ein Trost, daß Sie gekommen sind.«

»Wenn ich Ihnen nur etwas helfen könnte!«

»Das können Sie nicht – er sagt, meine Seele sei am Erlöschen – Hallwig natürlich – was wollen Sie dabei machen? Und nur wegen dem Karneval.«

»Wie falsch –« sagt Susanna, »nie hat man soviel Seele wie im Karneval.«

»Verschwendet sie aber an unwürdige Subjekte und unechte Räusche,« belehrt Maria.

»Ja, was nennt man denn eigentlich echt?«

»Ach, ich glaube, nur was einem selber Spaß macht – und ihm liegt es nun einmal nicht, sich zu amüsieren – aber wir können es nicht lassen.«

»Nein, das können wir nicht.«

Pause. – Es klingelt.

»Das wird Georg sein, ach, Susanna, schick ihn fort, – ich kann ihn heute nicht sehen – –«

Als Susanna zurückkommt, frage ich nach dem Panther, – es war eine Ideenverbindung, die sich mir unwillkürlich aufdrängte.

»Du lieber Gott, das ist es ja gerade – denken Sie nur, er ist nun auch unter die Enormen gegangen – und sie haben ihn als ›zugehörig‹ akzeptiert, – das ist eine Vorstufe,« – es klingt wirklich tiefer Schmerz aus ihrer Stimme – »ich hoffte ja so, er wäre belanglos. Aber sie haben entdeckt, es sei irgendeine Substanz ungewöhnlich stark in ihm; wie heißt es doch, Maria?«

»Wikingersubstanz, – das solltest du doch eigentlich wissen –«

»Ach wozu? aber es gefällt ihnen – und nun gehts natürlich auch über mich her. – Und Onski ist aus Zorn über den Panther ins Gebirge – Willy ist wieder böse, weil er fort ist, und haßt deshalb den Panther mit, – er kann es nicht ausstehen, wenn unser häuslicher Friede wegen anderer Männer gestört wird. – Sie sehen, es geht uns wirklich schlecht.«

Ja, das sah ich wohl ein.

Maria warf neues Holz in den Ofen, und nun saßen wir alle drei und starrten betrübt in die Flammen.

Dann klingelte es wieder, und sie fuhren nervös zusammen. Chamotte steckte den Kopf in die Tür und fragte, ob Herr Konstantin empfangen würde.

»Ja, er soll nur kommen,« sagte Maria, – »der arme Junge wird wohl auch nicht in rosiger Laune sein, – zwischen ihm und dem Indianer hat es einen Krach gegeben, – von allen Seiten ziehen sich Unwetter zusammen. Und gerade jetzt, wo man noch so müde ist.«

Konstantin kam und mit ihm Willy, der Susanna die Hand küßte und sich versöhnlich zeigte. Ja, und Konstantin schien wirklich nicht bei rosiger Laune, er war ganz verstört und warf sich, ohne zu sprechen, auf eines der Polster nieder.

»Hast du Hallwig gesprochen?« fragte Maria nach einer Weile.

»Nein, nur Petersen, – er kam heute in meine Wohnung und kündigte mir die Freundschaft.«

»Warum hast du auch mit der Murra gebuhlt?«

»Gott, nur so, – ich mag sie ja eigentlich gar nicht, und das hab ich ihm auch gesagt. Aber es schien ihn nur noch mehr zu reizen. Er hat ein förmliches Protokoll aufgenommen und wird es nun wohl Hallwig unterbreiten.«

»Und glaubst du, daß er deshalb – –«

»Ach, ich weiß nichts,« seufzte der Sonnenknabe – »manchmal mag ich überhaupt nicht mehr. – Früher konnte ich tun, was ich wollte, – wenn ich log oder klatschte und ihre Mädchen in mich verliebt waren, fanden sie es nur enorm, und jetzt wird mir alles das plötzlich vorgeworfen.«

»Ist Eifersucht nicht eigentlich unheidnisch?« fragte Susanna nachdenklich.

»Ja, gewiß, – nur bei Petersen nicht, – bei ihm gehört sie zur Geste, und seine Gesten werden immer respektiert. Aber ich habe diesmal wirklich nicht daran gedacht.«

»Und vor allem, daß es gerade die Murra war,« sagte Maria, »sein Modell, – du hättest dich gerade so gut an der Urzeit selbst vergreifen können.«

»So wird es mir wohl auch ausgelegt werden, – du sollst sehen, sie werden mich jetzt für molochitisch erklären.«

»Und meine Seele ist am Erlöschen,« murmelte Maria vor sich hin wie eine Lektion.

»Ach Maria,« sagt Willy sentimental, aber sie hört nicht darauf, sie sieht nur wie erstarrt in die Flammen:

»Aber gerade jetzt – und gerade uns beiden – –«

 

Ich vermute, daß sie dabei an die Zauberhoffnungen dachte, von denen wohl ganz Wahnmoching erfüllt ist, und die, wie man weiß, eine strenge Scheidung der Substanzen erfordern. Daß es ihr ungerecht und bitter erscheint, wenn man eben jetzt den Sonnenknaben verwirft und an ihrem Wert zweifelt...! Es will mir ja auch nicht recht in den Kopf, daß da persönliche Konflikte eine solche Rolle spielen können. Aber ich sehe wohl nicht tief genug, um zu verstehen, warum die Zinnsoldaten ihre Seele auslöschen, und warum es molochitisch war, daß Konstantin mit des Indianers Weib buhlte.

Tags darauf sprach ich auch noch mit Willy darüber. Immer von neuem versuche ich, mir ein Bild von diesem Hallwig zu machen, und stets zerrinnt es wieder an Unbegreiflichkeiten. Wie ein zürnender Gott scheint er über Wahnmoching zu walten, aber immer aus der Ferne, immer in Nebel gehüllt.

Und ich, der Belanglose, bin vielleicht verurteilt, ihn niemals kennen zu lernen – wenn nicht der Zufall oder eine innere Notwendigkeit es so fügt. Aus eigener Initiative werde ich wohl niemals den ersten Schritt wagen – gerade jetzt, wo selbst die Nächsten sich nicht trauen, seine Zauberkreise zu stören, und ganz Wahnmoching in ahnungsvollem Abwarten verharrt, wer auserwählt und wer verworfen wird.

Ich fühle heimliche Eifersucht auf den Panther, er ist so groß, blond und gewaltig, – das ist wohl die Wikingersubstanz, durch die er Susannas Herz gewonnen und sich bei den Enormen die Zugehörigkeit erworben hat.

Heut morgen war er da, sie sprachen lange zusammen in Susannas Zimmer – in der Küche saßen derweil Konstantin und Maria mit Hofmann –, sie klagten ihm ihr Leid, und er schien sehr nachdenklich.

Ich flüchtete mich zu Willy, denn ich war überall im Wege. Auch unsere Unterhaltung drehte sich um Hallwig und die Zauberei. Es ist, wo zwei oder drei Wahnmochinger beisammen sind, von nichts anderem mehr die Rede.

Willy gehört zu den Ungläubigen, er bezweifelt, daß etwas dabei zustande kommt, und hält die ganze Hoffnung für ziemlich illusorisch.

Ja, wenn Delius sich daran beteiligte, meinte er, dann könnten vielleicht wunderbare Dinge geschehen, aber der hält nichts vom Zaubern.

»Warum denn nicht?«

»Ich weiß nicht – vielleicht findet er es überflüssig – und ob Hallwig und der Professor allein damit reussieren...?«

Ich genierte mich schon wieder, zu fragen: warum nicht?, aber ich tat es doch.

»Ja, das ist nicht so einfach zu erklären, – Hallwig hat ja gewiß einige Anlagen zum Zaubern. Sie sehen selbst, was für eine starke Suggestion er auf andere ausübt. Aber es scheitert immer wieder daran, daß er sich mit seiner Umgebung brouilliert. Er sucht möglichst viele kosmische Substanzen um sich zu sammeln – kreiert Sonnenknaben, Hetären und Priesterinnen, – dann wirft er wieder alles um, wie bei einem Schachbrett die Figuren, und sagt, es sei doch nichts gewesen. Schließlich wird nur noch er selbst übrig bleiben.«

»Und der Professor?«

»Der macht es gerade umgekehrt und bejaht, was nur zu bejahen ist. Er wird vielleicht in einem Atem bejahen, daß Maria und Konstantin doch enorm sind, und daß Hallwig in allem, was er tut, recht hat. Wir alle lieben ihn ja gerade deshalb, – es ist eine wirklich liebenswürdige Eigenschaft, aber in diesem Falle kann sie ihm verhängnisvoll werden.«

»Wieso?«

»Ach, Sie fragen so viel, und ich hab noch nicht einmal gefrühstückt. Seit Orlonski fort ist und die Wahnmochingerei auch unser friedliches Eckhaus verheert, ist es wirklich recht zum Verzweifeln.«

Wir riefen mit vereinten Kräften nach Chamotte.

»Am Ende sitzt er auch irgendwo und spricht über Hallwig,« meinte Willy, »oder er sucht sich über seine Substanz klar zu werden.«

Nein, er saß unten im Flur und spielte die Flöte. Susanna hatte ihn als Türhüter angestellt, um etwaige lästige Besuche fern zuhalten.

Er brachte uns dann Kaffee, und es wurde gemütlicher.

»Wissen Sie, lieber Freund und Dame,« sagte Willy, »Sie sind etwas zu spät gekommen. Die große Wahnmochinger Bewegung hat sich schon überlebt – noch ehe sie eigentlich das Licht der Welt erblickt hat.«

»Und ich dachte, es sollte gerade erst anfangen,« entgegnete ich trübe.

»Ja, Sie haben, wie mancher andere, das Ende mit dem Anfang verwechselt. Wir alten Eingeborenen können uns darüber nicht täuschen, – wir haben auch alle gefühlt, daß dieser berauschte Karneval nur ein Versuch war, wieder zusammenzufügen, was sich innerlich zu zerspalten droht. Sie haben ja selbst gesehen, daß Hallwig nicht daran teilnahm. Das ist ein schlimmes Symptom. Und auch Delius soll gemurrt haben, daß man dem Cäsar Ehren erwies, die nur Göttern zukommen. Aber noch hofft man auf Zeichen und Wunder, und alles wird davon abhängen – –«

Während der letzten Worte war Susanna ins Zimmer getreten; unten fiel die Haustür dröhnend ins Schloß, der Panther schien sich entfernt zu haben.

»Hört auf, hört um Gottes willen auf,« sagte sie, »wir werden ja allmählich noch alle verrückt. Hofmann ist ganz aufgeregt fortgegangen, Konstantin hat sich aus Verzweiflung schlafen gelegt, Chamotte bläst unentwegt die Flöte, und Maria sitzt in der Küche und weint.«

»Außerdem ist es bald zwei Uhr nachmittags, und wir sitzen hier beim ersten Frühstück,« bemerkte Willy strafend, – »wenn Maria in der Küche weint, werden wir wohl schwerlich zu einem Mittagessen kommen.«

Ich schlage vor, wir wollten in die Stadt gehen und nachher den Philosophen besuchen.

»Und an Orlonski telegraphieren, daß er wiederkommt,« sagte Willy energisch, »es ist Zeit, daß wir wieder eine geordnete Existenz anfangen.«

Und Susanna erklärte sich einverstanden.


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