Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Kapitel.

Dem Arzt, den Egon zu Anastasia geschickt hatte, gelang es, dieselbe für den Augenblick ins Leben zurückzurufen – soweit man eben diese vollständige physische und geistige Paralyse noch Leben nennen konnte. Trotz ihres Zustandes wurde sie auf Amadinis Wunsch in ihre Wohnung überführt, da er sich sagte, daß ihr voraussichtlich in kurzem eintretender Tod in Anastasias Wohnung nicht so auffällig sein würde, als wenn er in Judiths Wohnung erfolgte. Die Krankheit Anastasias diente sowohl Amadini als auch Straußberg zum Vorwand, sich fast gänzlich bei Anastasia einzuquartieren, um angeblich sie zu pflegen, in Wahrheit aber, um ihre ganze Wohnung nach Wertsachen zu durchstöbern sowie um Papiere und Briefschaften, die ihnen gefahrvoll erschienen, vernichten zu können.

Doch sie fanden nichts außer wenigen Schmucksachen – meist Similischmuck. Geld besaß sie ja nicht, denn Anastasia hatte, in der Überzeugung, daß ihre Einkünfte nie versiegen, sondern sich von Jahr zu Jahr steigern würden, ebenso wie Amadini und Straußberg – von der Hand in den Mund gelebt, ohne sich auch nur im geringsten um die Zukunft zu bekümmern. Was die zahlreichen unterschlagenen Briefschaften und Papiere anbetraf, aus denen sie sich gegen ihre Opfer eine gefürchtete Waffe gemacht hatte, hatte sie doch, wie man weiß, bei Judith untergebracht.

Schon nach zwei Tagen hauchte Anastasia – zur großen Befriedigung ihrer intimsten Freunde – ihren schönen Geist aus. Amadini bezahlte den Rest der Miete, übergab die Einrichtung einem Kunstauktionshaus und ließ im Annoncenteil einiger Tageszeitungen die Mitteilung über ihr Dahinscheiden einrücken, ohne spezielle Partezettel abzusenden. Ihr Leichenbegängnis ähnelte vollkommen dem einer ehrbaren Frau! Sobald dasselbe vorbei war, begaben sich die beiden Genossen nach der Wohnung Amadinis in der Bendlerstraße, im Innern glücklich darüber, daß die Epoche in der Spandauer Straße ihr Ende genommen hatte.

Wie in früheren Zeiten saßen sie auch heute in dem behaglichen Eßzimmer Amadinis, dessen Tür in den kleinen Vorgarten weit offen stand und die Aussicht auf einen herrlich blühenden Magnolienbaum gewährte. Nur waren sie heute beide in tiefe Trauer gekleidet – nicht im Frack wie gewöhnlich, sondern im Gehrock.

»Nun, so hat auch das seine Lösung gefunden,« ließ sich der Graf aus einem tiefem Klubstuhl vernehmen.

»Was?« fragte Amadini, der eben seine Gestalt in einem Spiegel musterte.

»Nun, Sie haben mich doch vor einiger Zeit um ein Mittel gefragt, wie Sie am besten diese lästige Kette von sich streifen könnten. Unbewußt habe ich Ihnen dazu verholfen, ohne daß sich mein Gewissen auch nur den geringsten Vorwurf darüber machen könnte. Anastasia ist zweifelsohne infolge der von mir begangenen Ungeschicklichkeit gestorben. Wäre ich nicht zu ihr hingekommen, hätte sie nicht bemerkt, daß Sie schwindeln; hätte sie nichts von Ihrem Schwindeln gewußt, würde sie nicht nachgeforscht haben, mit wem Sie sie beschwindeln; und als sie nachforschte und die Wahrheit entdeckte, brach ihr Herz – und sie starb. Das konnte ich nicht hoffen. Das Schicksal hat in diesem Falle äußerst liebenswürdig gehandelt.«

»Es hätte noch liebenswürdiger handeln können,« unterbrach ihn Amadini, »wenn es meine Frau einige Sekunden früher von dieser Welt abberufen hätte, ehe sie noch Zeit gefunden, uns Judith gegenüber als die Mörder der Frau Melmström zu bezeichnen.«

»Sollte Sie dies beunruhigen?« fragte Graf sehr ruhig.

»Ganz gewiß.«

Graf schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht, wie ein sonst so intelligenter, oft sogar kühner Mann so töricht sein kann. Judith hat es sicher schon gewußt, oder sie hätte es doch über kurz oder lang erfahren müssen, was sie von uns in dieser Beziehung zu halten hätte. Sie ist längst nicht mehr unser Werkzeug; sie steht vollkommen unter dem Einfluß Egon Kleinthals, der uns schon längst ausgespürt hat. Sind Sie denn wirklich noch so kindlich, zu glauben, daß sie Ihnen im Ernst ein Rendezvous gegeben hat? – – Das war eben nichts anderes, als ein abgekartetes Spiel, – eine Mausefalle, in der Sie gefangen werden sollten, damit man sich überzeugt, daß Sie wirklich ›der Mann mit den Katzenaugen‹ wären.«

»Und Sie glauben, daß dies an mir konstatiert worden ist?«

»Ganz sicher. Kleinthal war vermutlich in irgendeinem Winkel versteckt. Er wird jedenfalls gesehen haben, was er sehen wollte … und hat einen Augenblick später gehört, was er nicht zu vernehmen hoffte. Er hat uns jetzt in seinen Händen! … Man könnte beinahe religiös werden und an den Satz glauben, daß jeder an seinen Lastern zugrunde geht. Sie hat Ihre Leidenschaft für die Frauen verraten, und mich die für das Spiel, die mich für den Augenblick die Interessen von uns dreien, und die Gefahr, in der wir ständig schwebten, vergessen ließ.«

»Und glauben Sie wirklich, daß wir verloren sind?« hauchte Amadini, den mit einem Male wieder alle Lebensfreude im Stiche ließ.

»Sagen Sie lieber, wir wären verloren gewesen, wenn ich nicht den glücklichen Einfall gehabt hätte, Wesenthal den Befehl zu erteilen, seine Tochter mit Rudolf Melmström zu verheiraten.«

»Hoffen Sie denn, daß Wesenthal den Kleinthal hindern wird, alles seinem Freunde zu entdecken?«

»Nein, dieser Hoffnung gebe ich mich allerdings nicht hin. Aber – dank dieser Heirat – werden wir von unserem einstigen Spießgesellen und Freunde eine Summe erhalten, die infolge ihres Volumens es uns ermöglicht, bis ans Ende unseres Lebens dasselbe angenehm zu genießen.«

»Im Ausland also?«

»Ganz recht. Wir müssen uns in das Unvermeidliche einer Selbstverbannung schicken, wenn wir Melmström entgehen wollen. Als jungverheirateter Ehemann, der über Hals und Ohren in seine junge Frau verliebt und von seinem vortrefflichen Schwiegervater beraten ist, wird er es sich nicht einfallen lassen, eine Weltreise zu unternehmen, um uns in irgendeinem entlegenen Winkel aufzuspüren. Und was ist denn so Schreckliches dabei, in der Fremde zu leben? Findet sich für mich nicht überall eine Gelegenheit zu spielen? Gibt es nicht auch noch sonstwo hübsche Frauen, als bloß in Berlin? Glauben Sie mir. Sie werden irgendwo in Asien, Afrika oder Amerika genau so schöne Frauen – vielleicht sogar noch schönere, als Ihre Judith finden.«

»Ja, ja – mag schon sein,« pflichtete ihm Amadini bei, für den sich die Verbannung bereits in ein Mahomedsches Paradies zu verwandeln begann. »Aber – wird Wesenthal imstande sein, die von uns gewünschte Summe aufzubringen? Daß er sich Mühe geben wird, im eigenen Interesse uns zu befriedigen, ist klar. Aber ob er es kann, ist die andere Frage.«

»Wir werden jetzt nach Potsdam fahren und mit ihm diesen Kasus selbst besprechen. Das ist am besten.«

»Er wird uns nicht annehmen. Er hat doch fest erklärt, daß er uns nie – –«

Straußberg lächelte ironisch. »Desgleichen hat er auch erklärt, daß seine Tochter nie und nimmer den Melmström heiraten würde. Und setzt ist sie Frau Melmström. – Lassen Sie Ihre Bedenken, lieber Amadini, und kommen Sie. Ich stehe dafür, daß er uns empfangen wird, und noch dazu mit all der Zuvorkommenheit, die uns gebührt.«

Nachmittags gegen fünf Uhr hielt unweit der Villa Wesenthal ein Wagen, dem zwei Herren entstiegen. Wesenthal erkannte sofort in ihnen Amadini und Straußberg. Beinahe erleichtert atmete er auf, als er sie kommen sah. Denn ihr Kommen, das er übrigens erwartet hatte, sagte ihm, daß sie ihn brauchten, und ihm infolgedessen die Lösung leichter gestalten würden. Denn sein ganzes Zielen und Trachten ging dahin, diesen Besuch herbeizuführen – auf irgendeine Art. Nun machte sich das von selbst. – Sobald die Klingel ertönte, öffnete er seinen Besuchern persönlich die Haustür und ließ sie sofort in sein Schreibzimmer. Ohne weitere Einleitung – nachdem er ihnen Platz angeboten hatte, begann er:

»Sie können hier ohne jede Scheu sprechen, denn ich bin in diesem Hause ganz allein. Wenn Sie wollen, überzeugen Sie sich vorerst von der Wahrheit meiner Behauptung.«

Graf, dem jede Minute kostbar war, nahm sofort das Thema in Angriff: »Sie wissen ohne Zweifel, daß Egon Kleinthal, den zu fürchten ich von allem Anfang an Grund hatte, über mich und Amadini völlig im klaren ist.«

»Ich weiß es,« erwiderte Wesenthal ruhig. »Herr Kleinthal hat mich, als den Schwiegervater Melmströms, sofort von den letzten Geschehnissen unterrichtet. Auch mußte ich andererseits über alles Vorkommende vollkommen orientiert sein, um überraschenden Zufällen vorbeugen zu können. Mein Schwiegersohn hätte ja plötzlich den Einfall haben können, zurückzukehren. Um dies zu verhindern, und Ihnen Gelegenheit zu geben, ins Ausland zu fliehen, muhte ich notwendigerweise wissen, wie weit Kleinthal mit seinen Nachforschungen war.«

»Das ist sehr richtig,« erwiderte Straußberg. »Aber ich glaube kaum, daß wir die Rückkehr Melmströms so sehr zu fürchten haben. Denn genau so, wie es Ihnen gelungen ist, Melmström zu bestimmen, Berlin zu verlassen, könnten Sie auf ihn nach und nach Ihren Einfluß geltend machen, seine Rachepläne überhaupt ganz aufzugeben. Die Lage ist heute nicht mehr dieselbe, wie damals. Damals war Herr Melmström frei; heute ist er verheiratet und hat Pflichten. Außerdem ist er – wie ich anzunehmen mir erlaube – glücklich. Deshalb dürfte er kaum sehr erfreut sein, wenn er aus seinem dolce far niente durch die Nachricht aufgerüttelt würde, daß die Mörder seiner Mutter gefunden sind. Denn das würde ihn an Pflichten mahnen, die mit denen als glücklicher Ehemann im Widerspruch stehen würden. Er muß sich doch über die Konsequenzen klar sein, die eine solche Selbstjustiz nach sich ziehen würde.

»Da verkennen Sie meinen Schwiegersohn vollkommen. Er ist nicht der Mann, der in den Armen seiner Frau auch das vergißt, was er sich als Ziel seines Lebens gesetzt hat. Bei ihm heißt es: Biegen oder brechen. Und ich würde mich nur nutzlosen Gefahren aussetzen, wenn ich ihn davon abzubringen versuchte.«

»Also Sie glauben, daß er nach seiner Rückkehr …«

»– sich sofort mit seinem Freunde Kleinthal in Verbindung setzen und ihn fragen wird, welches Resultat seine Nachforschungen gehabt haben. Sobald Kleinthal Ihren Namen nennt, dürfen Sie gewärtig sein, täglich – stündlich von ihm gerichtet zu werden.«

»Man wird sich zu verteidigen wissen,« lächelte Straußberg etwas überlegen.

»Möglich. Sie können ihm einmal – vielleicht auch zweimal entgehen, aber kaum für immer.«

»Und Sie behaupten, daß Sie dagegen nichts tun können?« fragte Amadini mit erstickter Stimme.

»Absolut nichts. Auch die äußersten Drohungen Ihrerseits vermöchten mir nicht eine Macht über meinen Schwiegersohn zu geben, die ich nicht habe.«

»Pardon,« fiel ihm Graf ins Wort. »Ich wüßte nicht, daß heute bisher von Drohungen überhaupt nur die Rede war.«

»Das will ich gerne zugeben. Nur war in früheren Fällen davon die Rede; und ich wollte Ihnen nur die Mühe ersparen, damit von neuem zu beginnen.«

»Das war gänzlich überflüssig,« erwiderte Graf in seinem süßlichen Tonfall. »Es soll überhaupt von Drohungen keine Rede mehr sein. Weder heute noch in Zukunft. Wir sind bloß in der Absicht zu Ihnen gekommen, mit Ihnen zu beraten, wie wir uns aus diesem Dilemma befreien können. Ihr Rat ist uns außerordentlich wertvoll.«

»Nach meiner unmaßgeblichen Meinung bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als das, was ich Ihnen von allem Anfang an geraten habe: So rasch wie möglich Berlin den Rücken zu kehren. Das weitere hängt dann von Ihrer Geschicklichkeit ab. Und sollte es meinem Schwiegersohn doch gelingen, den Schlupfwinkel, in den Sie sich verbergen, herauszubekommen, so werde ich Sie davon in Kenntnis setzen, damit Sie ihn verändern.«

»Ich halte das auch für das Geratenste,« sagte Graf nach kurzem Nachsinnen. »Jedenfalls ist das besser, als sich täglich der Gefahr auszusehen, über den Haufen geschossen zu werden. Nur eine Schwierigkeit ist vorhanden. Um in der Lage zu sein, mehrere Jahre im Auslande zu leben, braucht man auch die nötigen Mittel hierzu. Und diese fehlen uns leider gänzlich.«

»Ich weiß. Dem Herrn Kleinthal ist es nicht nur geglückt. Sie zu demaskieren, das heißt zu überraschen, sondern er hat auch die Korrespondenzen der Frau Keßler-Arolstein, die sich im Schreibtisch der Frau von Rastori befanden, in Beschlag genommen, woraus ersichtlich war, woher Sie Ihren Lebensunterhalt beziehen. Um Ihnen diese Quellen abzuschneiden, hat er den Betreffenden die ominösen Briefe zurückerstattet, so daß Sie von jener Seite nichts mehr zu erwarten haben.«

Straußberg konnte einen Ausruf der Ueberraschung nicht unterdrücken. »Da wissen Sie mehr, als wir selbst.«

»Wissen Sie vielleicht auch, was aus dem Schmuck der Herzogin – –«

»– – von Wondringham geworden ist?« ergänzte Wesenthal Amadinis Frage. »Den hat Frau von Rastori der Herzogin mit den bewußten Briefen wieder zurückgegeben. – Ja, meine Herren,« fuhr Wesenthal kaltblütig und nicht ohne Hohn weiter fort, »seit unserer letzten Begegnung haben Sie sehr viel Chancen und sichere Bezugsquellen eingebüßt.«

»Wobei Sie vielleicht die Hand im Spiele halten,« bemerkte Amadini mit lauerndem Ausdruck.

»Das mag schon sein.«

»Und Sie fürchten sich nicht, uns das zu gestehen?« fragte Graf ganz verblüfft.

»Weshalb? Ich habe hierbei ebenso sehr in meinem als auch in Ihrem Interesse gehandelt … So lange Ihnen noch Quellen geblieben wären, die Sie ausbeuten konnten, hätten Sie Berlin kaum verlassen. Und ich habe Sie zur Abreise zwingen wollen, was mir schließlich auch geglückt ist. Die Furcht vor meinem Schwiegersohn einerseits und das Gespenst der Armut hier, hat Sie endlich veranlaßt, Ihren bleibenden Wohnsitz im Ausland zu nehmen.«

»Verzeihen Sie,« fiel ihm Graf ins Wort, »das Gespenst der Armut ist für uns im Ausland viel mehr zu fürchten, als hier in Berlin, wo wir doch Lokalkenntnis und verschiedene Verbindungen haben, die doch wieder lukrativ werden könnten. Und – wie ich die Ehre hatte, es Ihnen vorhin zu sagen – ist eine Auswanderung nur möglich, wenn man sicher ist, über genügende Existenzmittel zu verfügen.«

»Ich habe sehr gut gehört und Sie auch sehr wohl verstanden: Sie rechnen auf mich, Ihnen diese Mittel zu verschaffen.«

»Gott, das ist doch sehr natürlich. Sie wollen, daß wir abreisen und haben – nach Ihrem eigenen Geständnis – dazu beigetragen, daß wir vollkommen ruiniert wurden.«

»Das hat alles seine Richtigkeit. Aber Sie wissen auch, daß ich nicht das geringste Vermögen besitze …«

»Persönliches Vermögen, – wollen Sie sagen,« fiel ihm Straußberg ins Wort. »Aber dafür ist Ihr Schwiegersohn immens reich, und er hat jedenfalls Ihrer Tochter eine kolossale Mitgift übermacht.«

»Ihre Absicht geht also dahin, daß ich entweder meinen Schwiegersohn oder meine Tochter bestehlen soll?« fragte er, ihnen scharf in die Augen sehend.

»Wozu stehlen?« bemerkte Straußberg, der mit Wesenthal in Kaltblütigkeit wetteiferte. »Man bestiehlt seine Kinder nicht. Man ist nur manchmal – in gewissen Fällen – gezwungen, ein zwangsweises Darlehen bei ihnen aufzunehmen, wenn es sich um ihr Interesse und Schicksal handelt … Nichts kann Ihnen leichter sein als das. Herr Melmström hat Sie – so viel ich weiß – als er Berlin verließ, mit der regelrechten Prokura seiner Einkünfte und Geldangelegenheiten betraut. Dieser – jedenfalls notarielle – Akt ermächtigt Sie, alle Mieten für ihn einzuziehen, Revenuen und Renten und wie immer sie heißen mögen – –«

»Wie Sie genau über meine Verhältnisse orientiert sind!« lächelte Wesenthal ironisch.

»Sie sind doch auch über die unsrigen orientiert,« erwiderte Straußberg mit gleichem Lächeln, worauf er fortfuhr:

»Wenn Sie am 1. Juni sich auf die verschiedenen Banken begeben, um dort die fälligen Kupons zu erheben, wenn Sie die verschiedenen Mieten einkassieren würden – wenn Sie diverse Papiere verkaufen würden, die nach den letzten Kursen verkauft werden müssen, – so könnten Sie eine Summe von rund einer Million zweimalhunderttausend Mark zusammenbringen!«

»Ich zweifle nicht daran. Sie müssen es ja wissen … Vor einundzwanzig Jahren, als es sich darum handelte, Rudolfs Mutter zu berauben, wußten Sie ja auch mit einer unheimlichen Sicherheit, daß am nächsten ersten eine Million achtmalhunderttausend Mark fällig wurden. Und es hat gestimmt. Weshalb sollte also heute die Berechnung nicht stimmen? Also gut! Angenommen, ich gebe Ihnen das Geld. Wer garantiert mir, daß Sie abreisen und für immer verschwinden?«

»Unser Wunsch, so lange wie möglich zu leben, und unsere Ueberzeugung, daß unser Dasein, wenn wir in Berlin blieben, etwas abgekürzt werden könnte.«

»Das ist immerhin schon etwas. Doch, wenn Sie sich einmal mit der Summe aus dem Staube gemacht haben, wer bürgt mir dafür, daß Sie das Geheimnis für sich behalten und mich nicht vielleicht hinterher doch an meinen Schwiegersohn verraten?«

»Wozu sollten wir das? Auch diese zwölfmalhunderttausend Mark dauern nicht ewig. Und wir haben doch das größte Interesse daran, Ihr kostbares Leben für uns zu erhalten, um von Ihnen eine kleine Pension zu erlangen, falls es uns in unseren alten Tagen nicht besonders gut gehen sollte.«

»Das ist auch wieder richtig. Ihr Interesse schützt auch mich. Sie brauchen das Geld. Und ich halte es in diesem Falle wirklich für das Geratenste, Ihren Wünschen zu entsprechen. Sie haben mich ja in der Hand und es bleibt mir kein anderes Mittel. – Doch werden Sie es begreiflich finden, daß ich mich, wenn ich einen so verantwortungsvollen Schritt unternehme, gewissermaßen sichern und decken möchte. – Gewiß gibt mir die Prokura, die mir mein Schwiegersohn überantwortet hat, das Recht, über seine Gelder zu disponieren. Doch bin ich verpflichtet, ihm nach seiner Rückkehr über die disponierten Gelder Rechenschaft abzulegen, da ich sonst einen allzu schweren Verdacht auf mich lenken könnte. Und das werden Sie wohl in Ihrem eigenen Interesse nicht wünschen. Im Gegenteil – mein Schwiegersohn muß auch für die Zukunft in mich alles Vertrauen setzen können, damit ich Ihnen später – im Notfall – helfen kann. Eine Ausgabe von zwölfmalhunderttausend Mark kann ich ihm wohl nicht verheimlichen.«

»Allerdings,« pflichtete ihm Straußberg bei. »Sie möchten also gern den Beweis erbringen können, daß Sie wider Willen diesen Ausfall verzeichnen mußten, daß diese Summe ohne Ihr Zutun aus der Kasse verschwunden ist.«

»Ganz recht.«

Wesenthal schien nachzudenken: »Mir erscheint dieses Mittel ziemlich abgenutzt und veraltet –«

Graf lächelte: »Gerade die ältesten Tricks haben immer noch den besten Erfolg. Fragen Sie unsere Lustspieldichter. Gerade wegen ihrer Einfachheit und Naivität verblüffen sie oft am meisten.«

Und genau wie vor einundzwanzig Jahren bei Lantzsch, als er den Plan zum Einbruch bei Frau Melmström entwickelt hatte, begann auch heute wieder Graf, seine Idee auszuspinnen.

»Sie sagen also, daß Sie am 1. Juni die Mieten einziehen, die Zinsen des Kapitals beheben werden. Gut. – Was würden Sie unter gewöhnlichen Umständen mit dem behobenen Gelde angefangen haben?«

»Ich hätte es noch an demselben Tage auf der Bank deponiert.«

»Wenn es aber schon spät geworden ist und die Banken geschlossen sind, dann wären Sie wohl gezwungen gewesen, das Geld mit sich zu nehmen?«

»Nach Potsdam? In dies einsam gelegene Haus? Man könnte mich mit Recht der Unvorsichtigkeit zeihen.«

»Weshalb? Wenn Ihr Häuschen auch etwas abseits liegt, so sieht es doch so bescheiden aus, daß es kaum die Aufmerksamkeit gewöhnlicher Einbrecher auf sich lenken würde. Und nicht gewöhnliche Einbrecher finden auch Mittel und Wege, im bestbewachten Hause einen Einbruch zu versuchen.«

»Und wie denken Sie sich den Vorgang?«

»Zwei Subjekte haben beobachtet, wie Sie auf einer Bank eine große Summe behoben haben. Sie geben sich einen heimlichen Wink des Einverständnisses und folgen Ihnen. Sie gehen von Bank zu Bank, beheben überall größere Summen. Inzwischen ist es spät geworden. Die Banken schließen. Sie versuchen noch bei einer, das Geld zu deponieren. – Umsonst. Die Bank ist zu. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als nach Potsdam – nach Ihrer Villa zu fahren, wohin Sie von den beiden verdächtigen Subjekten verfolgt werden. Es ist nun an den beiden Gaunern, an dem betreffenden Tage in Potsdam da und dort Erkundigungen einzuziehen, ob Sie allein wohnen, ob Sie Familie haben, ob mehrere Diener bei Ihnen im Hause wohnen oder sonstwelche Dienstboten. Die Leute werden sich wundern, daß zwei so schäbig aussehende Individuen solche Fragen stellen. Aber sie sind zu träge oder zu harmlos, diesen Fragen für den Moment weitere Wichtigkeit beizumessen. Erst am nächsten Tage, nach vollführtem Einbruch, erinnern Sie sich des Umstandes und geben dann erst – wie gewöhnlich zu spät – ihre Wahrnehmungen zu Protokoll.«

»Wie?« fragte Wesenthal, den Harmlosen spielend. »Sie wollten zwei neue Personen in das Geheimnis einweihen und mit der Vollführung des Einbruches betrauen?«

Der Graf lächelte über die Naivität Wesenthals: »Sie unterschätzen uns, Herr von Wesenthal. Natürlich würden wir selbst die Rolle jener verdächtig aussehenden Subjekte übernehmen. Wir verstehen es, wenn es not tut, uns zu verkleiden, und uns sogar mit den Leuten der niedrigsten Volksklassen zu identifizieren.«

»Also gut,« ergab sich Wesenthal etwas ärgerlich und zum Schein seine Stirne abtrocknend. »Um wie viel Uhr werden Sie mich also überfallen?«

»In der Nacht vom ersten zum zweiten Juni, nach ein Uhr morgens, nach der Ankunft des letzten Zuges aus Berlin, wenn diese Gegend so recht öde und verlassen ist, und keine Garde du Corps mehr nach der Kaserne zurückkehren.«

»Und wie kommen Sie ins Haus?«

»Durch irgendein Parterrefenster – durch dieses zum Beispiel … das ist ja ein Kinderspiel, diese Fensterscheibe einzudrücken, den Schieber zu öffnen, den Fensterflügel auszuheben …«

»Und das Geld?«

»Muß hier im Schreibtisch liegen, in einer abgesperrten Lade, in einem Geheimfach. Wir erbrechen den Schreibtisch, durchwühlen alles, nehmen das Geld und suchen dann schleunigst das Weite.«

»Und wird es nicht auffällig erscheinen, daß mich das Geräusch nicht aufgeweckt hat?«

»Nein. Geschickte Einbrecher machen kein Geräusch. Oder, um schon ganz sicher zu gehen, beklagen Sie sich bei Ihrem Hausarzt, daß Sie an Schlaflosigkeit litten; er wird Ihnen irgendein Schlafmittel, zum Beispiel Verona, verschreiben, und Ihr tiefer Schlaf wird dann nur um so glaubwürdiger erscheinen. Sie können sogar ganz gut bis gegen Mittag schlafen. Sobald Sie dann in Ihr Schreibzimmer herabkommen, bemerken Sie den Einbruch. Sie laufen atemlos nach der Polizei, oder lassen einen Polizeikommissar holen, machen Ihre Aussage, depeschieren schleunigst an Egon Kleinthal und gleichzeitig Ihren Kindern, was sich zugetragen hat.«

»Und Sie? Was geschieht inzwischen mit Ihnen?«

»Wir haben unsere Masken abgelegt und sind wieder die geworden, die wir waren. Treu unserer altgewohnten Gepflogenheit, verlassen wir abends unsere Wohnung und fliehen des Nachts, wie wir es versprochen haben. Behagt Ihnen der Plan?«

»Halb und halb,« erwiderte Wesenthal zögernd. »Denn wenn ich sage, was ich natürlich angeben muß – daß die gestohlenen Summen nicht mir gehörten, daß ich sie am Tage vorher im Namen und im Auftrage meines Schwiegersohnes behoben habe, wird man sich unwillkürlich wundern, daß in der Familie Melmström erst die Mutter, dann nach Jahren auch der Sohn bestohlen wurde.«

Der Graf schüttelte lächelnd den Kopf: »Gerade nicht. Einbrecher suchen sich gewöhnlich nur reiche Leute aus. Raffinierte Einbrecher können ganz gut herausgefunden haben, daß Sie mit der Verwaltung der Gelder Ihres Schwiegersohnes betraut wurden. Und ebenso wie vor einundzwanzig Jahren das Vermögen der Frau Melmström Verb – Abenteurer angelockt hat, kann doch das inzwischen nur um so größer gewordene Kapital heute ebenfalls geschickte Leute zum Einbruch verleiten.«

»Wenn man aber – aus der Aehnlichkeit des Einbruches mit dem damaligen – auf Grund dessen, was Egon Kleinthal inzwischen entdeckt hat – zu der Vermutung kommt, daß die Einbrecher bei mir keine anderen waren als dieselben von damals? Straußberg und Amadini?«

»Nun – wenn schon,« lächelte der Graf. »Bis dahin werden wir schon längst über alle Berge sein. Und nicht mit einem Morde auf dem Gewissen. Im Gegenteil – die Polizei wird sich geschmeichelt fühlen, durch unser Verschwinden in ihrer Vermutung bestärkt zu werden. Und da niemand weiß, daß Wesenthal und Joseph Kammgarn ein und dieselbe Person ist – da niemand weiß, daß Wesenthal jemals etwas mit Amadini oder Straußberg zu tun gehabt hat, wird man mit Recht vermuten, daß Straußberg und Amadini nur die Spur des Melmström verfolgt haben, die in diesem Falle über die Person Wesenthals hinwegführte. Es liegt also weder für uns noch für Sie irgendeine besondere Gefahr vor.«

»Nun, sind Sie endlich entschlossen?« fragte Amadini nervös.

Wesenthal schien immer noch etwas zu zögern. Dann entschloß er sich plötzlich:

»Nun denn, ja, da es schon sein muß. Ich verpflichte mich also, im Laufe des ersten Juni die zwölfmalhunderttausend Mark – oder wenigstens so viel, als ich zusammenbekomme – zu beheben und Ihnen dieselbe in der Nacht – um ein Uhr zirka – einzuhändigen. Sie aber Ihrerseits geben mir das feierliche Versprechen, Europa für immer zu verlassen.«

»Das versprechen wir Ihnen,« versicherten gleichzeitig Amadini und Straußberg.

Nach einer Weile, nachdem noch jedes einzelne Detail genau besprochen worden war, verabschiedeten sie sich von Wesenthal. Im Kupee, auf ihrer Rückfahrt nach Berlin, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß in den Nebenabteilen niemand saß, wandte sich Amadini fragend an den Grafen:

»Sagen Sie mal, mißtrauen Sie nicht etwas diesem Wesenthal?«

»Mißtrauen? Weshalb? Weil er darauf eingeht, das zu tun, was wir von ihm verlangen …? Hat er denn überhaupt anders gekonnt, lieber Freund? Muß er nicht selbst glücklich sein, uns auf solche Meise loszuwerden, mit dem Gelde seines Schwiegersohnes, ohne dabei auch nur die geringste Gefahr zu laufen?«

»Laufen wir denn auch wirklich keine Gefahr bei der Geschichte? Wenn er nun von dem projektierten Einbruch die Polizei benachrichtigt und uns vom Fleck weg verhaften läßt?«

»Sie sind ja verrückt! Er weiß zu gut, daß in dem Augenblicke, da wir verhaftet würden, er unrettbar verloren ist und wir ihn als den einen der Mörder der Frau Melmström bezeichnen würden. Mit gefangen – mit gehangen, heißt es da.«

»Sie wollen also den Plan genau so durchführen, wie Sie ihn dem Wesenthal eben entwickelt haben?«

»Nein, nicht ganz. Nur keine Pedanterie! Man muß immer gewisse Vorsichtsmaßregeln treffen, selbst wenn sie uns im Moment überflüssig erscheinen … Wir werden nicht erst die Nacht abwarten, um uns bei ihm einzuschleichen; auch werden wir nicht durch das Fenster einsteigen, sondern an seiner Haustür hübsch um neun Uhr klingeln … und werden ihn, aus vortrefflichen Gründen, die er selbst billigen wird, bitten, die Stunde des fiktiven Einbruches abzuändern und uns sofort die bewußte Summe auszuhändigen. Seine Berechnungen werden auf diese Weise über den Haufen geworfen, falls es sich doch um einen Hinterhalt handeln sollte, den er uns stellen wollte … Regen Sie sich aber nur nicht unnötig auf und betrachten Sie die Dinge, wie sie liegen. Wesenthal ist nur von dem einen Gedanken beseelt, alles zu tun und alles zu opfern, nur damit weder seine Tochter noch sein Schwiegersohn jemals von seiner Vergangenheit etwas erfahren soll. Unter diesen Umständen Ist nicht anzunehmen, daß er es wagen könnte, die zu verraten, die ihn durch ein Wort vernichten können.«

Kurz ehe sie in den Bahnhof einfuhren, fragte ihn noch Amadini:

»Und wir sollen also dann wirklich abreisen?«

»Ich für meinen Teil verdufte … und rate Ihnen freundschaftlichst, dasselbe zu tun … sofern Sie noch an Ihrem Leben hängen.«

»Ich hänge sogar sehr daran.«

»Dann zögern Sie keinen Augenblick … Wenn ich auch von Wesenthal nicht das mindeste fürchte, so haben wir doch von Melmström und Kleinthal alles zu befürchten. Sie haben uns aufgespürt und total zugrunde gerichtet; ebenso würden sie uns wie einen Hund niederschlagen, sobald wir nicht so rasch wie möglich machen, aus ihrem Bereiche zu entkommen.«


 << zurück weiter >>