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9. Kapitel.

Judith hatte sich heute bei Anastasia ausnahmsweise schon zu Mittag angemeldet, weil sie mit ihr verschiedenes zu besprechen hatte. Der Tag war gerade nicht sehr günstig gewählt, denn Amadini, der fast täglich gemeinsam mit Anastasia zu speisen pflegte, hatte ihr eben vor einigen Minuten eine Rohrpostkarte geschickt, worin er sich für sein Ausbleiben entschuldigte; er hätte etwas wichtiges mit dem Grafen zu besprechen, schrieb er, und könnte kaum vor sechs Uhr bei ihr sein.

»Wenn er glaubt, daß ich so dumm bin, mich mit so blöden Gründen abspeisen zu lassen,« rief Anastasia in heller Wut. »Ich mißtraue ihm. Er wird mit irgendeiner Frau dinieren gegangen sein. Ach, wenn ich das nur mit Bestimmtheit wüßte! Diese Regalität sollte weder ihm, noch dieser gemeinen Person zugute kommen! – – Ein Weib! Was kann das für ein Weib sein? Etwa eine von denen, die ich in meinem Salon empfange? – Es war sehr klug von dir, daß du zum Essen gekommen bist. Wenn du nicht dagewesen wärest, unter meinen Augen, in Fleisch und Blut, hätte ich Stein und Bein darauf geschworen, daß du mit ihm dinieren gegangen bist.«

»Ich?« fragte Judith mit unsagbar geringschätzigem Lächeln, ohne jedoch ihr Phlegma zu verlieren und ihre fast orientalische Indolenz aufzugeben.

»Ja, du! Spiele nur nicht so die Unschuldige. Du weißt ganz genau, daß dich mein Mann sehr nach seinem Geschmack findet.«

Anastasia wurde zum Glück von einem Diener unterbrochen, der eben meldete, daß serviert sei. Die beiden Frauen gingen ins Eßzimmer.

Anastasia war immer noch wütend und drohte mit der Faust nach dem Platze, an dem Amadini sonst zu sitzen pflegte.

Sie war jedoch eine viel zu sehr materiell angelegte Natur, als daß sie angesichts des Essens ihrem Kummer über die Abwesenheit des Gatten die Oberhand gelassen hätte. Judith hingegen aß nur wenige Bissen.

Nach Tisch wälzte sich Anastasia in ein kleines Kabinett, wo der Kaffee und eine Galerie schöner Likörflaschen serviert war; sie war eine begeisterte Anhängerin der geistigen Getränke sämtlicher Nationen und mit eine der besten Kundinnen von Erven Lukas Bols.

Sobald Judith bemerkte, daß die ersten Schnäpse Anastasia in eine behagliche Stimmung versetzt hatten, faßte sie sich ein Herz und begann mit sichtlicher Ueberwindung in fast schmeichelndem Tone:

»Liebe, gnädige Frau. Sie sehen mich augenblicklich in einer großen Geldverlegenheit.«

»In Geldverlegenheit? Du? Wieso denn? Ich habe dir doch erst vor vierzehn Tagen dreitausend Mark gegeben?«

»Das genügte gerade für die Miete und den Tapezierer, dem ich davon eine größere à conto Zahlung gegeben habe.«

»Wozu brauchst du denn schon wieder Geld?«

»Gott – für die Schneiderin, die Modistin und eine Menge von kleinen Gläubigern, die mir ordentlich die Bude einrennen.«

»Eine Ungeduld entwickelt die Bagage – –! Wieviel brauchst du für alles?«

»Reichlich zwölftausend Mark.«

»Oh, oh, das ist eine große Summe, liebes Kind. Ich habe sie augenblicklich nicht bei der Hand. Kann sie dir denn niemand pumpen?«

»Man würde zu hohe Interessen dafür nehmen. Und Sie haben mir doch selbst befohlen – daß ich niemals zu solchen Hilfsmitteln meine Zuflucht nehmen soll, und zwar jedenfalls nur deshalb, damit ich von keinem anderen Menschen abhängig bin als von Ihnen allein.«

»Man gewährt sie dir ja schon. Du bist aber nur so verschwenderisch. Das sind ja Rechnungen, wie sie keine Königin Draga gemacht hat!«

Judith erhob sich mit ihrer schläfrigen Grazie. »Ich begreife Ihre Vorwürfe nicht, gnädige Frau. Sie wollen doch selbst, daß ich schön aussehe.«

»Gewiß, aber nicht um solche horrenden Preise. Das ist zu kostspielig. Trotzdem lehnst du dich alle Augenblicke gegen uns auf. Nicht einmal leichte, angenehme Aufträge bist du imstande, auszuführen.«

»Was für Aufträge? – Ah, Sie meinen Egon Kleinthal?«

»Gewiß! Du hast ihn noch nicht einmal in dich rasend verliebt machen können.«

»Er errät aber unsere Welt instinktiv. Er mißtraut ihr und gibt sich nicht so leicht in unsere Hände, wie ihr glaubt.«

»Ja, meine Liebe, es ist mir sehr schmerzlich, dir das sagen zu müssen, aber ich weiß wirklich nicht, wie da zu helfen ist. Doch, weil ich ein guter Kerl bin, werde ich dir ein Mittel angeben, wie wir uns vielleicht die Summe verschaffen können, die du benötigst.« – Sie rückte etwas näher an Judith: »Du kannst dir Geld verschaffen – mehr als du nötig hast, soviel sogar, daß du dir nach Begleichung deiner Schulden manches neue anschaffen kannst, das dir gerade am Herzen liegt. Du hast doch so prachtvolle Schmucksachen, kolossal wertvolle Diamanten. Schicke sie doch ins General-Leihamt, und du wirst sofort Geld haben.«

»Die Diamanten gehören aber nicht mir,« fuhr Judith beinahe erschreckt in die Höhe, »sondern der Herzogin. Und aber soll ich den Schmuck unter dem Namen Rastori versetzen? Man wird von mir Legitimationspapiere verlangen, und ich habe doch keine. Ich kann nicht einmal einen Mietskontrakt vorweisen, da ja nicht ich meine Wohnung gemietet habe. Außer den mit meinem richtigen Namen, mit meinem wahren Tauf- und Familiennamen.«

»Nein, nein: unter dem hast du in Berlin deine Karriere begonnen und unter dem kennt dich sowohl die Herzogin als auch die Polizei. – Dann mußt du eben eine dritte Person bitten, den Schmuck an deiner Stelle zu versetzen.«

»Wer denn? Sie wissen ganz gut, daß ich keine Freundin habe. Von Frauen kenne ich nur die Weiber, denen ich hier begegne. Und mit dieser Sorte habe ich mich nie anfreunden können.«

»Ich habe da eine ganz andere Idee. Da du weder selbst den Schmuck versetzen kannst, noch eine Freundin hast, die dir diesen Dienst leisten könnte, so hatte dich eben an einen deiner Freunde!«

»An einen Mann? Wer sollte das sein? Der Graf etwa, oder Herr von Amadini?«

»Das sind doch nicht die einzigen, die du kennst, sondern du bist auch noch mit einer anderen Person eng liiert.«

»Wen meinen Sie?«

»Egon Kleinthal.«

»Das wird er niemals tun.«

»Wenn er in dich verliebt ist, dann tut er es auch anstandslos.« Anastasias Augen funkelten wie die eines Raubtieres. Und mit zurückgehaltenem Atem erwartete sie Judiths Antwort.

»Haben Sie endlich ein Mittel gefunden, ihn zu kompromittieren, um ihn im Bedarfsfalle zugrunde zu richten, wie Sie auch mich zugrunde gerichtet haben?« höhnte Judith.

»Ach, laß mich doch zufrieden mit deinen Dummheiten. Du suchst immer etwas zwischen den Zeilen zu lesen. Du bildest dir ein, scharfsichtiger zu sein als ich selbst. Ich denke in diesem Falle gar nicht daran. Ich denke bloß an deine Interessen und an deine Zukunft. Deshalb ergreife die Gelegenheit, die ich dir biete, mein Kindchen, in der unschuldigen Form eines kleinen Versatzscheines.«

»Und wenn Egon sich weigert, mir diesen fragwürdigen Dienst zu leisten?«

»Wenn du es geschickt anstellst, wird er sich nicht weigern. Wie weit seid ihr denn schon miteinander?« Und nachdem Judith geantwortet hatte: »Sieh mal einer an, wie du dein Spiel kachieren kannst, du kleiner, süßer Racker! Kein Mensch im ganzen Salon vermutet das. Außer mir, natürlich! – Du mußt heute abend, wenn die Leute da sind, etwas weniger reserviert und zärtlicher mit ihm sein; du mußt mehr aus dir herausgehen. Die andern, die du zum besten gehalten hast, werden vor Wut platzen. Das wird ihm schmeicheln, wenn er sich derart bevorzugt sieht; du ahnst ja gar nicht, liebes Kind, wieviel Eitelkeit bei jeder Liebe im Spiel ist.«

»Wenn er ziemlich deutlich als mein Liebhaber gilt, wird er durch das Versetzen des Schmuckes um so mehr kompromittiert werden, denken Sie sich.«

Anastasia rückte ihren Fauteuil näher an den Judiths.

»Morgen also spielst du ihm die große Szene der unglücklichen, verfolgten Frau vor, der von den Gläubigern die Tür eingerannt wird. Du weißt sie ja so gut zu spielen. Wenn das alles nicht zieht, spielst du den großen Trumpf aus, Tränen, Nervenanfälle, oder im Notfall: ein Selbstmordversuch. Verstehst du?«

»Ja,« antwortete Judith matt. »Was aber, wenn er, statt den Schmuck zu versetzen, mir 15- bis 20 000 Mark gibt?«

Anastasia kreischte vor Vergnügen. »Der? Ach du liebe Zeit. Der hat ja keinen Pfennig Vermögen. Ich habe mich darüber genau informiert: eine ganz arme Familie, die nichts für ihn zu tun imstande ist; und was er aus seiner Praxis herausschlägt – na, reden wir nicht darüber. Also die Situation verwickelt sich da ganz von selbst. Ist es ihm unmöglich, dir irgendwie pekuniär zu helfen, wird er mit dir anfangen, zu klagen; dann rufst du plötzlich aus: ›Ach, meine Diamanten! Wie, wenn ich sie versetzen würde und darauf mir Geld geben ließe? Nein, nein, ich werde es nicht übers Herz bringen, ein solches Haus zu betreten! Eine Rastori in einem Leihamt! … Liebster Freund, ich flehe Sie an, tun Sie das, was ich nicht den Mut habe, auszuführen. Ein Mann kann alles tun! Leisten Sie mir diesen Liebesdienst, ich werde ihn niemals vergessen. Eilen Sie, eilen Sie! Oh, tun Sie es, wenn Sie nur einen Funken Freundschaft für mich übrig haben! Sonst kommen mir meine Gläubiger und machen mir eine furchtbare Szene. Denn sie haben geschworen, keine Sekunde länger zu warten …‹ Hast du kapiert?«

»Vollkommen!«

»Du kannst dich darauf verlassen, daß der Kleinthal tun wird, was du verlangst.«

Judith blieb keine Zeit zu antworten, denn eben trat Herr von Amadini ins Zimmer und Anastasia, die auf einmal ihre ganze Beweglichkeit wiederfand, stürzte sich ihm wie eine Furie entgegen.

»Was bedeutet das? Woher kommst du?« schrie sie ihn an, die Arme in die Hüften gestemmt wie ein altes Marktweib.

Judith benutzte diesen Zärtlichkeitsausbruch, um in ein Nebenzimmer zu gehen, indes Anastasia ihrem Gatten verschiedene Fragen stellte, worum sie ihn nicht hätte vor Zeugen fragen können.

»Warum ist denn Straußberg, wenn er etwas mit dir zu besprechen hatte, nicht zu Mittag hierher gekommen?«

»Nein, nein, der Graf ist nicht frei. Er hat wieder mal das Spielfieber. Er will diese Nacht Bank halten, und da es sich darum handelt, sofort einen Entschluß zu fassen …«

»Was gibt es denn eigentlich?« fragte sie, etwas beunruhigt über die Wolken auf seiner Stirn.

»Oh! Man kommt doch nie zur Ruhe! – Du erinnerst dich doch an jene hübsche Verkäuferin, die du seinerzeit in deinem Fächergeschäft in der Lindenstraße gehabt hast?«

»Und die mich bestohlen hat? Laura Pernel? Ob ich mich an die Person noch erinnere! Sie hat uns gerade genug Schweigegeld gekostet und kostet uns immer noch schöne Summen.«

»Ganz recht. Die erschien mit einem Male wieder auf der Bildfläche und hat mich heute in der Frühe besucht.«

»Freche Person! Sie bekommt doch immer noch ihre Unterstützung von uns?«

»Sie will aber ein kleines Kapital, um heiraten zu können, und daß sie fest entschlossen sei, diese Summe trotzdem zu erhalten, widrigenfalls sie Herrn Melmström bewußte Mitteilungen machen würde, der, wie sie genau wüßte, auch heute noch außerordentlich glücklich wäre, einige Nachrichten über den ›Mann mit den Katzenaugen‹ zu erhalten, worauf ich ihr antwortete, daß mir ein Herr Melmström vollkommen unbekannt sei und daß sie sich ja ruhig an ihn wenden könnte.«

»Und was denkt der Graf darüber?« fragte sie.

»Vorerst ist er auch meiner Meinung, daß, wenn wir diesem Mädchen heute ihren Wunsch erfüllen, sie alle Tage mit anderen, weiteren Forderungen kommen würde, und daß dieses nach und nach ein Abgrund werden könnte, der alles das verschlingt, was sich unser Dreibund mit Mühe verdient.«

»Das ist unbedingt richtig.«

»Und doch, dieser Rudolf Melmström erschreckt uns. Wenn uns die Laura bloß mit der Polizei drohen würde, na, da könnten wir sie laufen lassen. Denn dadurch, daß sie geschwiegen hat und aus ihrem Schweigen Vorteile zog, ist sie selbst schuldig. Aber der andere, der Sohn …«

»Das ist allerdings schwerwiegender,« murmelte Anastasia. »Und was hat Straußberg beschlossen?«

»Bis jetzt gar nichts. Er sucht. Sein Traum wäre, sich ihrer einfach zu entledigen.«

»Wenn sie aber, ehe sie uns den Gefallen tut, sich zu kompromittieren, alles dem Melmström verrät?«

»Das wird sie nicht tun; einstweilen wartet sie und rechnet noch immer auf mich. Sie weiß, daß sie von meiner Seite mehr zu verdienen hat als von der anderen.«

Ihre Konversation wurde durch einen Diener unterbrochen, der der Hausfrau meldete, daß sich bereits einige Abendgäste im Salon eingefunden hätten. Noch einmal umarmte sie zärtlich ihren Gatten und trat dann lächelnd und gravitätisch in den Salon.

Daselbst hatte bereits Judith, eingedenk der ihr erteilten Instruktion, mit Egon in einem Winkel Platz genommen und schien mit ihm außerordentlich zärtlich zu plaudern. Er ließ dies ruhig mit sich geschehen, fragte sich aber heimlich, was sie wohl damit bezwecken mochte. Damit soll aber nicht gesagt fein, daß ihm diese Intimität unangenehm war. Denn noch niemals hatte er Judith so schön gefunden wie gerade heute. Sie und Egon verließen ziemlich früh den Salon Anastasias – allerdings nicht Arm in Arm, sondern einer nach dem andern, aber in so kurzen Zwischenräumen, daß man annehmen konnte, sie hätten sich noch draußen im Vorzimmer getroffen. – –


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