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Dreizehntes Kapitel

Cornelie legte müde und zerschlagen von den Folgen dieser Nacht ihr Manuskript in die Lade ihrer Kommode. Sie gab nun auf, es hier zu beenden, wie sie doch inbrünstig gehofft hatte. Mitten unter den wilden Schmerzen ihrer sterbenden Leidenschaft hatte sie zu arbeiten vermocht – vor den jetzt von allen Seiten auf sie einströmenden Erfahrungen floh jede Konzentrationsmöglichkeit.

In banger Vorfreude war sie am frühen Morgen schon auf und bei dem in der Nacht geborenen Kindchen, das in ein Federbett gewickelt unten im Wohnzimmer still auf der Wandbank schlief. Man hatte den braunen Kachelofen geheizt, es war warm und behaglich unter den niederen Deckenbalken. Behutsam nahm Cornelie das schlummernde Kleine in ihre Arme, es zuckte nur ein weniges in dem netten Gesichtchen, dann schlief es weiter. Sie konnte die rosigen Fingerchen küssen, sie atmete entzückt den feinen Duft, der dem winzigen Körper entströmte.

Und während sie dort saß, mit dem fremden Kinde im Arm und ihr Kleid sich ab und zu leise bewegte unter dem Regen der kleinen Glieder des noch Unsichtbaren, überfiel sie eine Sehnsucht, aus den tiefsten Tiefen ihres Seins emporgerungen und wurde zur Ahnung eines kommenden großen Glückes.

Das Kind stieß ein quäkendes Tönchen aus. Cornelie hüllte es in ihr Tuch und ging die Frau Uffenbacher zu rufen. Die schlurfte kauend herein, sie hatte bei ihrem zweiten Frühstück gesessen. Dem Kleinen wurde ein Löffelchen Tee eingeflößt, und dann kam er wieder auf die Ofenbank.

»Schläft Annerle?« fragte Cornelie.

Die Hebamme sah an Cornelie vorüber. Es war etwas Beunruhigtes in ihrem Gesicht.

»'s ischt ein Herr bei ihr,« flüsterte sie.

»Ein Herr? Der Hans?«

»Nein – ein fremder Herr – schon bald eine Stund'. Mich graust's grad – eine Wöchnerin braucht doch Schlaf! Was Gut's will der nicht ...«

»Aber Frau Uffenbacher – haben Sie denn nicht genug an dem einen Todesfall ...« rief Cornelie erregt, »eine Stunde ist er drin? Nach dieser Nacht! Das darf man doch nicht leiden! Holen Sie ihn wieder heraus – das ist doch Ihre Pflicht.«

Die Uffenbacherin zeigte ein schlaffes Gesicht.

»Wenn er doch sagt, er sei ein Verwandter!«

»Vor Verwandten sollte man die Mädchen hier am meisten schützen. Finden Sie nicht den Mut, ihn hinauszuwerfen, so tue ich's.«

Sie war schon auf der Treppe und lief schnell die schmalen Stufen hinauf. In ihr brannte ein ehrlicher Zorn über die Gefühllosigkeit dieses Unbekannten.

Sie klopfte kurz und trat ein.

Annerle saß aufrecht im Bett, fieberrote Flecke auf den Wangen, ihre Augen glänzten kriegerisch. Vor ihr hatte ein schwerer, älterer Herr mit großer Glatze, in einem eleganten Anzug, Platz genommen und sprach mit leiser Stimme eindringlich zu ihr. Auf dem Tisch lagen Papiere, er hielt einen goldnen Bleistift in der Hand.

»Machen Sie doch keine Weitläufigkeiten,« hörte Cornelie ihn sagen, »unterzeichnen Sie – und alles ist erledigt.«

Er wandte sich bei dem Geräusch, das ihr Eintritt verursachte, nach der Tür und maß Cornelies hohe Erscheinung vom Kopf bis zu den Füßen mit einem einzigen erstaunten Blick.

Sie stand vor ihm und sah auf ihn nieder. Ihr Gesicht war ernst. »Mein Herr – ich muß Sie bitten, dieses Zimmer zu verlassen. Fräulein Anna ist jetzt nicht in dem Zustand, eine so lange Unterhaltung zu führen.«

»Es liegt nur in dem Willen des Fräuleins, die Unterhaltung sofort zu beenden,« sagte der Herr verbindlich, eine plötzliche Verwirrung unter einer höhnischen Selbstsicherheit verbergend.

Annerle lachte hell. »Ich habe Ihnen schon dreimal gesagt, daß ich Ihnen keine Rechenschaft über den Vater meines Kindes schuldig bin! Das sind meine Privatangelegenheiten. Das hat mit meiner Stellung in Ihrem Geschäft nicht das mindeste zu tun!«

Cornelie zog die Brauen zusammen und legte die Hand auf den Tisch. Ihre Augen wurden gebieterisch, sie richtete sie fest auf den Mann vor sich.

»Ich habe leider kein Recht, Sie mit Gewalt entfernen zu lassen,« sagte sie höflich, aber bestimmt. »Ich erinnere Sie nur daran, daß Sie in diesem Augenblick die Verantwortung für zwei Menschenleben tragen! Fräulein Anna hat vor wenigen Stunden ein Kind geboren ... Ich weiß nicht, ob Sie Vater und Gatte sind – aber alt genug sind Sie, um zu wissen, was eine Frau in diesen Stunden zu leiden hat! Sie danach im ersten Schlaf zu stören – sie über eine Stunde lang mit verantwortlichen Geschäften zu peinigen, ist mehr als unüberlegt – es ist eine Roheit – eine raffinierte Grausamkeit.«

Der ältere Herr hörte Cornelie aufmerksam zu. Das unverschämte Lächeln verschwand dabei von seinem Gesicht, es verkroch sich gleichsam unter dem Bart und machte einem demütigen und wollüstigen Dulden Platz. Es war fast, als empfände er die harten Worte der Frau, die so unbegreiflich fremd in dieser zweideutigen Umgebung stand, wie Peitschenhiebe, die ihn entflammten.

Cornelie ahnte plötzlich die unerwartete Wirkung ihrer Worte. Ihr Mund verzog sich im Ekel. Sie wendete den Kopf, trat zu Annerle, glättete ihr das Kissen und bat sie leise, sich niederzulegen.

»Ich wußte in der Tat nicht, daß unsere Unterhaltung schon so lange dauerte,« sagte der Mann sanft, beinahe schmachtend, »glauben Sie mir – ich habe nur das eigne Beste der jungen Dame im Auge – es war mir unbekannt, daß ich zu so ungelegener Stunde komme.«

»Es ist Ihnen gesagt worden,« rief Cornelie hart.

»Nun – ich will Ihnen versprechen, das Fräulein sehr zu schonen. Nur noch wenige Minuten. Es hängt, wie gesagt, nur von des Fräuleins Willen ab ... Wir sind gleich fertig.«

»In einer Viertelstunde bin ich wieder hier,« sagte Cornelie kalt und entfernte sich.

Der Besucher wartete ihren wiederholten Eintritt nicht ab. Er entfernte sich noch vorher. Cornelie begab sich dann zum Annerle.

»Jesses –,« rief die ihr lachend und zornig entgegen, »war das eine Geschicht'! Die Uffenbacherin soll der Teufel holen, daß sie mir den herein läßt! Ich denk' mich rührt der Schlag wie ich aufwach', und er steht an meinem Bett!«

»Annerle, um Gottes willen, Sie fiebern vor Aufregung! Reden Sie nicht ...«

»Ach – jetzt ist's schon alles eins! Der Onkel vom Hans war's! Hat der mich sekkiert! Aber seinen Willen hat er doch nit erreicht!«

»Was wollte er nur?«

»Die Familie hat ihn geschickt. Die Alten! Wegen der reichen Partie. Das hab' ich gleich 'raus gehabt. Geld wollt' er mir bieten – vierzigtausend Mark hat er hier in Wertpapieren vor mich auf den Tisch gelegt – wenn ich schriftlich allen Ansprüchen auf den Hans entsagen wollt. Der hat gewußt, wie's um mich steht – oh, der ist so klug – der hat schon auf der Lauer gelegen, und hat gemeint, heut kriegt er mich am ehesten mürb! Ja – Pfefferkuchen!«

»Annerle – Sie haben widerstanden?«

Annerle lachte pfiffig. »Ich bin nit umsonst in dem seiner Schul' gewesen – all' die Jahr' her im Geschäft! Wissen's, was ich ihm geantwort' hab'? ›Ihr Anerbieten ischt sehr großmütig, Herr Kommerzienrat,‹ hab ich gesagt – ›aber ich wüßt' nit, wie ich dazu käm', es anzunehmen. Ihr Herr Neffe ist immer sehr gütig zu mir gewesen, und ich bin ihm dankbar, daß er mir den Urlaub verschafft hat – aber dafür verdien' ich doch nit vierzigtausend Mark –! Ansprüche habe ich überhaupt nit an ihn. Ich weiß halt gar nit, wie Sie darauf kommen, daß er der Vater zu meinem Kind sein soll? Er ist mein Herr Chef, und ich würd' mich so etwas nie unterstanden haben!‹«

»Annerle, Sie sind kostbar,« rief Cornelie lachend. »Hat er sich denn mit dieser Versicherung begnügt?«

»Er mußte schon – ich bin halt dabei blieben, trotz allem seinem Gerede. Wie beim Gericht hat er mich geplagt. Wissen's – mei Hansel sagt alleweil: nur sich nichts beweisen lassen! Wenn ich ihn verraten hätt' – das würd' er mir nimmer verziehen haben.«

Cornelie wurde nachdenklich. »Sind Sie sicher, daß der Hans nichts wußte, von diesem – Anerbieten?« Sie fragte es leise, Annerle lachte froh.

»Ach gehen's, Fräulein Cornelie – wenn man mit einem Mann sechs Jahr in einer guten Ehe gelebt hat – da weiß man wie man miteinander steht! Aber jetzt hätt' ich schon gern eine Bouillon!«

Und Cornelie lief eilig, der Siegerin die wohlverdiente Stärkung zu holen.


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