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Auf der Terrasse von Windsor.

Es war ein heller kalter Dezemberabend, und obschon das Klima von London und seiner Umgebung selbst um diese Jahreszeit viel milder zu sein pflegt als unter demselben Grad in Deutschland, z. B. in Dresden, – war es doch unangenehm im Freien, denn die Kälte war seit mittag rasch gestiegen. Dennoch harrten auf den berühmten breiten Terrassen von Windsor Castle, dem Lieblingswohnsitz der Königin von England, zahlreiche Gruppen oder bewegten sich still und schweigsam hin und her.

Die meisten Fenster des prächtigen Schlosses waren erleuchtet, nur an einer Stelle die Rouleaux sorgsam geschlossen; dort drinnen lag ein Mann im Sterben, der, obschon ein deutscher Fürst, sich doch gewisse Sympathien der hochmütigen exklusiven Britten erworben hatte, indem er kluger Weise den Nationaldünkel geschont und eben nichts hatte sein wollen, als der Gemahl ihrer Königin, die überhaupt doch nichts sein darf, als die konstitutionelle Königspuppe, deren Drähte die Minister ziehen, die beiden Parlamente und die Presse der Parteien, je nachdem der Kurs der Bank von London oder der Geldsack der Krämer in der City es erlaubt.

Albert, Prinz von Sachsen-Koburg, der Königin-Gemahl, im rüstigsten Mannesalter, kaum 44 Jahr, in seinen Jünglingsjahren einer der stattlichsten Männer seiner Zeit, lag nach kurzem Krankenlager, das mit einer einfachen Erkältung auf der Jagd begonnen, im Sterben, und an seinem Bett kniete die Königin und eine zahlreiche Nachkommenschaft.

Die Riesengestalten der schottischen Garde hielten den Teil der Terrasse abgesperrt, auf den die Zimmer des Prinzen hinausgingen, der immer Bewegung und frische Luft liebte und bis zum Morgen vor seinem Tode die regelmäßige Öffnung der Fenster verlangte für die frische Luft, die von dem Strom herüberstrich und aus den Bäumen des prächtigen Parks emporquoll. War doch der Thüringer Wald mit seinem Duft sein Lebenselement gewesen, wie nur die schottischen Hochlande in den Jagdgebieten von Balmoral sein Oberhof ihm hatten ersetzen können, wo der Auerhahn balzt und der mächtige Hirsch seine Zinken an der mosigen Rinde der Edeltanne wetzt oder an gewaltigem Felsengestein. Aus diesen Wäldern und sonnigen Bergen hatte ihn die Familienpolitik hinausgedrängt auf den Thron im Nebelland, der doch keiner war, da er nur von dessen Stufen zu der obersten hinaufsehen konnte und auf hundert Augen und Rücksichten achten mußte; nicht der selbständige freie Mann im eigenen Hause, der Herr seiner Familie war er, die zu ihm hinaufsehen soll, nicht hinab! – Ob der deutsche Mann glücklich war in dem Königsschloß der Geldsäcke, die seine Apanage mit Parlamentsreden maßen und sein Liebesglück bemäkelten – wir wissen es nicht.

Durch seine Lage, 22 engl. Meilen südwestlich von London, am rechten Ufer der Themse, dem fast gegenüberliegenden und durch eine Brücke mit ihm verbundenen Eton, der berühmten Erziehungsanstalt der aristokratischen Jugend Alt-Englands, genießt Windsor die Vorteile einer fast unmittelbaren Zugehörigkeit zu der Hauptstadt mit den Annehmlichkeiten eines ländlichen Aufenthalts.

Windsor Castle, der königliche Palast, wurde ursprünglich von Wilhelm, dem Eroberer (1066-87) gebaut, von Eduard III. (1327-77), dem Vater des »Schwarzen Prinzen und Eroberer Frankreichs« umgestaltet und von Georg IV. aus dem Hause Hannover verschönert und erneuert. In der prächtigen gothischen Kirche des Schlosses ruhen Eduard IV. aus dem Kriege, der roten und weißen Rose, Heinrich VIII., der seine Frauen das Schaffot besteigen ließ und zu dem Zweck England von Rom und der katholischen Kirche losriß, Carl I., der königliche Märtyrer auf dem Schaffot, und die Souveräne aus dem Hause Hannover von Georg III. († 1820) an, der Nordamerika für England verlor, und für dessen Sohn, den vierten Georg, Sir Jeffrey Wiatville das Castle zu dem jetzigen prachtvollen Palast umbaute. Seine kolossale Reiterstatue steht an der drei englische Meilen langen Allee des Parks (Long Walk). In der Kapelle mit dem kupfernen Mausoleum Eduard IV. wird das Kapitel zur Aufnahme der Ritter des Hosenbandordens gehalten!

In dem von dem Krankenzimmer entfernteren Teil des Erdgeschosses hatte sich eines der bis zum Niveau der Terrasse herabgehenden Glasfenster geöffnet, die im Sommer den Austritt ins Freie direkt aus den Sälen und Zimmern überall gestatten, und zwei Männer, in warme Sürtouts und Tücher gehüllt waren herausgetreten, der eine sich auf den Arm des andern stützend. Es war dies trotz seiner noch immer stattlichen fast eleganten Haltung offenbar ein sehr alter Mann, denn selbst die Kunst seiner Kammerdiener hatte nicht vermocht, die Beweise dafür zu vertilgen.

Ein ganz weißer Bart nach dem bekannten, englischen Kotelettschnitt umrahmte das blasse runzelvolle und doch geistreiche feine Gesicht, dem man selbst auf die Entfernung, den Gentleman und den gewiegten Staatsmann von feinen aristokratischen Manieren ansah.

»So, Sir,« sagte der alte Gentleman, »ich hatte nur das Bedürfnis, dem Jammer und Leid da drinnen und der Atmosphäre des Krankenzimmers gegenüber, zu der mich meine Pflicht als Minister verurteilt, einige Augenblicke frische Luft zu schöpfen.«

»So ist also keine Hoffnung, Mylord?«

»Noch gestern hatten sie die Ärzte, wenn die sonst feste und gute Natur des Prinzen eine Nacht überstehen könnte, um ihre Kräfte zu regenerieren; doch der Anfall vom Freitag war zu stark und hat die Kräfte erschöpft, so daß sie in fortwährendem Sinken blieben. Nach dem einstimmigen Urteil der Ärzte ist keine Hoffnung mehr, der erlauchte Kranke scheint dies selbst zu erkennen, und deswegen verlangte er die schleunige Herkunft des Prinzen von Wales von Cambridge. Doktor Conneau erklärt, daß der Prinz die Nacht nicht mehr überleben werde.«

»Ein großes Unglück, namentlich in dieser Zeit!«

»Für die Königin – ja – für den Staat hat der einzelne keine Bedeutung! Der Prinz hat sich verständigerweise nie in die Politik Englands gemischt, selbst nicht mit seiner napoleonischen Antipathie. Aber das natürliche Gebrochensein der Königin, dieses dritten Faktoren der Regierung, das nur menschlich ist, erschwert in diesem Augenblick gegenüber den Zerwürfnissen mit Nordamerika die Entschließungen der Regierung. Die fatale Trent-Angelegenheit ist eine Sache, welche die Ehre und das Ansehen Englands tangiert. Wir müssen, auch wenn wir jede Einmischung in den amerikanischen Zwist vermeiden wollten, dem Kabinet von Washington den Krieg erklären, somit also Partei nehmen, wenn der Präsident nicht nachgibt, und die Freilassung der von englischem Bord, also englischen Grund und Boden, gewaltsam entführten Abgesandten der Südstaaten bewilligt.«

»Die Zustimmungserklärung des amerikanischen Kongresses für die Handlung des Kapitän Wilkins gibt wenig Hoffnung darauf.«

»So müssen wir eben den Krieg erklären, so gern ich ihn bei den gegenwärtigen Zuständen auf dem Kontinent vermieden hätte. Der Krieg heißt eben nur ein Bündnis mit Frankreich, was schon durch die mexikanische Frage gefährlich ist. Aber das Prestige Englands, sein Recht auf die Weltherrschaft erfordert das Opfer. Außerdem der Stand unserer Baumwollen-Industrie, die schon jetzt durch den amerikanischen Zwist, der uns sonst ziemlich gleichgiltig wäre, in der verhinderten Ausfuhr bedeutend leidet.«

»So haben Euer Herrlichkeit keinerlei Sympathie für die Ansprüche der Föderation und die Sklavenemanzipation?«

Der alte Minister lächelte. »Lassen Sie uns hier einen Augenblick uns niedersetzen, lieber Kollege,« sagte er, »die frische Luft tut mir trotz der Kälte gut, aber Sie wissen, daß ich ein alter Mann von 78 Jahren bin.«

»Der trotz dieses Alters mit gewohnter Klugheit die Zeit regiert!«

»Keine Fadaisen, junger Freund! Aber lassen Sie mir die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen einige Prinzipien unserer Politik ans Herz zu legen. Wenn auch nicht gleich nach meinem Ausscheiden – wir alle unterliegen ja der Sterblichkeit – so werden Sie doch zu irgendeiner Zeit die Leitung der Regierung in der Hand haben, das heißt Premier-Minister Ihrer Majestät sein. Deshalb spreche ich mich offen gegen Sie aus. Ich bin es wiederholt gewesen, und nach meiner Erfahrung ists ziemlich gleich, ob die Whigs, wie ich es als Schüler Cannings bin, oder die Torys, wie es Derby ist, am Ruder sind. Die Politik Englands ist eine so bestimmte Notwendigkeit, daß davon nicht abgewichen werden kann, gleichgiltig, welches die Wege für Bewahrung des Ziels sind.«

»Ich verstehe Eure Herrlichkeit, – dieses Ziel muß immer bleiben« …

»Das Prestige Englands, seine Weltherrschaft, also sein überwiegender Einfluß in allen politischen und sozialen Fragen der Welt. Dieses Prestige, ich darf es sagen, ist unter mir gewahrt worden, wenn ich auch gern zugeben will, daß ich in manchen Maßregeln dafür geirrt haben kann. Tatsache ist, daß der englische Einfluß, die englische Macht gegenwärtig die Welt beherrscht.«

»Das wird gefühlt – im Stillen selbst von dem steten Rival Englands, dem Kaiser Napoleon.«

»Er wird uns nur zeitweise gefährlich sein, und seine Politik ist immer durch Gegenmaßregeln zu paralysieren. Sein Oheim, das war etwas anderes – der war ein konsequenter und gefährlicher Feind Englands, und er mußte daher vernichtet, der Kampf gegen ihn bis zum Unterliegen der einen oder der andern Macht geführt werden. Ich bin allerdings fest überzeugt, daß der Kaiser Louis Napoleon England im Stillen ebenso haßt, wie es sein Oheim tat, aber er fürchtet einen offenen Kampf, und deshalb versucht er uns auf allerlei Seitenwegen zu schaden. Ein solches Mittel ist das Bündnis gegen Mexiko, also gegen die nordamerikanischen Staaten, denn mit diesen muß es zu einem Bruch führen, wenn England sich nicht beizeiten zurückzieht und diesen Bruch ihm allein auf dem Halse läßt. Ein ähnlicher Versuch ist sein Kokettieren mit Österreich, mit Italien, dem Papsttum und jetzt mit Preußen und Rußland, denn er denkt nicht an eine offene Unterstützung der Revolution in Ungarn oder Polen. Zahlen wir ihm also, solange es geht, mit gleicher Münze und gehen wir lieber zu den wirklichen Gefahren über, welche die englische Suprematie bedrohen.«

»Eure Herrlichkeit sind ein Mentor, dessen Lehren ich mit tiefer Dankbarkeit lausche. Aber sollte Ihnen die Abendluft nicht schaden?«

»Noch tut sie mir wohl. Sie wissen, daß ich nicht gewohnt bin, mich aufzuknöpfen, weder geistig noch körperlich. Vielleicht, daß die Familien-Katastrophe da drinnen mich mitteilsamer macht. Man muß immer an sein Testament denken, auch an das politische.«

»Also zunächst die wirklichen Gefahren für die englische Suprematie und dann die Mittel, sie aufrecht zu erhalten.«

»Lassen wir also Frankreich beiseite, das ist ein Land, das sich unter dem jetzigen Regime immer nach andern Ködern lenken und uns nutzbar machen läßt.«

»Unangenehm ist in diesem Augenblick ein Krieg mit Nordamerika, der sich doch nicht vermeiden läßt, wenn der Kongreß in der Trent-Angelegenheit halsstarrig bleibt. Noch hoffe ich, daß es nicht geschieht zum Dank dafür, daß England die napoleonische Vermittelung in dem Konflikt mit den Südstaaten abgelehnt hat. Ist man undankbar, müssen wir uns eben auf deren Seite schlagen. Unsere Kolonien in Westindien werden vielleicht in einem solchen Kriege etwas zu leiden haben, – das ist alles, die amerikanische Flotte ist noch nicht so weit und so groß, daß sie uns wirklich schaden kann. Die Achillesferse Englands ist und bleibt Ostindien, es ist seine Kraft und sein Ruhm, aber auch seine Schwäche, darum muß grade dort unser Harnisch am stärksten sein, oder wir müssen Ersatz an anderer Stelle, zum Beispiel am Kap suchen. Unser Feind in bezug auf Indien ist Rußland und wird es mit seiner steigenden Zivilisation immer mehr. Bis zum Krimkrieg war es ein tönerner Koloß, jetzt ist es eine bewußte Macht. Es ist eine Torheit, Rußland in Bomarsund und Kronstadt angreifen zu wollen, man hat es im Krimkriege gesehen, man muß es von den Dardanellen und vom Nil her angreifen. Deshalb muß unser Einfluß in Konstantinopel, in Athen und Kairo der überwiegende bleiben. Das schließt nicht aus, daß es auch von der Weichsel und der Donau her geschieht. Der Pariser Frieden hat das schwarze Meer für Rußland bereits zum Range des kaspischen degradiert, hüten wir uns, daß es keine Erwerbungen an seinen Ufern macht und auf der asiatischen Seite nach Konstantinopel vordringt. Indem wir jede polnische Erhebung durch Noten, Waffen und Geld unterstützen, halten wir stets einen Dorn in seinem Fleisch, und zugleich Österreich in Atem. Indem wir den Divan beherrschen, verteidigen wir den Euphrat und den Balkan. Indem wir Griechenland, sei es durch ein neues Königtum aus englischem Blut oder durch Revolutionen uns untertan machen, sichern wir uns Kreta und Ägypten und stärken die Türkei am Bosporus. Dafür können wir immerhin die Komödie des römischen Protektorats opfern, Malta ist für uns wichtiger. Menschliches Wissen kann den Naturgewalten gegenüber nicht voraussagen, ob und was aus dem von Frankreich und Holland gegen uns unternommenen Bau des Suez-Kanals wird. Gelingt er, so ist er bei der steten ägyptischen Geldverlegenheit leicht gekauft und noch leichter geschlossen. Aden, also der Weg durchs rote Meer, gehört uns. Durch die steten Wechsel in Spanien bleibt uns Gibraltar, also das Mittelmeer, gesichert, der Vertrag von Utrecht 1713, von Sevilla 1729 und von 1783 waren die klügsten Artikel, die England je geschlossen hat, um sich die Herrschaft über drei Weltteile zu verschaffen. Sie verteidigen wir in Konstantinopel, in der Kapstadt und – – in Rom!«

»In Rom, Mylord?«

»In Rom. Hören Sie mich an. Sie selbst, lieber Gladstone, haben der Emanzipation der katholischen Kirche und der Juden in England bereits so viel zu verdanken, wie der Sieg der Liberalen in Neapel. Der Vatikan wird stets ein großer Faktor in der Geschichte aller Staaten des europäischen Kontinents bleiben. Die weltliche Macht des Kirchenstaats wird sich nicht halten lassen, und es ist auch gleichgiltig, wann sie verloren geht. Aber das Papsttum ist eine zähe, immer sich erneuernde Kraft von stets berechtigter und wichtiger Einmischung in die politischen Angelegenheiten. Darum habe ich durch unsern Vertreter im Vatikan dem Kardinal Antonelli bereits wiederholt in Verlegenheiten die Übersiedelung des Kollegiums auf englischen Boden oder unter den englischen Schutz anbieten lassen. Kann nicht einmal ein geborener Engländer wieder Papst werden? Wiseman hat freilich nicht das Zeug dazu, wohl aber Manning, wenn wir ihn zum Erzbischof von Westminster machen und zum Kardinal ernennen lassen. Eine Gelegenheit findet sich leicht, und er ist ein ehrgeiziger und fester Kopf. Denken Sie daran, wenn ich dann nicht mehr bin; England, der überwiegend protestantische Staat zugleich in Besitz des Papsttumes – welche unbesiegbare Weltherrschaft, welche Macht über Italien, Spanien, Frankreich, Österreich, Polen, selbst Holland, Deutschland und Amerika!«

»Euer Herrlichkeit sind großartig!«

»Ich bin nur ein Staatsmann, der die wahre Aufgabe seines Landes niemals aus den Augen verliert. Grade die revolutionären Ideen, die wir überall in politischer und sozialer Beziehung verbreiten, treibt uns das Papsttum in die Arme. Glauben Sie mir, es kommt eine Zeit, wo selbst ein katholischer Bischof sagen wird: wir werden uns mit der Revolution verbinden!«

»Mylord, Sie haben aus Ihrem Calcül ganz die andern deutschen Staaten, zum Beispiel Preußen ausgelassen. Der germanische Stamm ist der unsere, selbst die königliche Familie.«

»Wozu hätten wir Prinzen und Prinzessinnen? Hannover, Koburg, Berlin, die Mecklenburg werden unserm Einfluß nicht entgehen. Der dänische Streit wird uns zu einer Heirat Gelegenheit geben – bereits ist eine solche, wie Sie wissen, mit den Hessen beschlossen, und das ist Sache Ihrer königlichen Hoheit der Herzogin da drüben in der Cottage. Doch ich muß gestehen, die Prinzessin ist heute abend die beste Stütze ihrer Mutter! – Ich habe keine Besorgnis vor deutscher Politik, selbst vor Herrn von Beust, der den Mund so gewaltig auftut und gern eine Rolle spielen möchte. Die Deutschen werden immer uneinig bleiben und wir sorgen durch Graf Bernstorff dafür, daß die preußische Politik sich nie zu einer entschlossenen aufraffen kann. In diesem Augenblick ist der König von Preußen mit seinem halben Lande durch seine Soldatenschwärmerei zerfallen und der sogenannte Nationalverein macht ihm fast mehr zu schaffen, als die Eifersüchtelei der deutschen Souveräne gegen das Haus Hohenzollern; auch der Besuch in Compiegne hat ihm schlechte Früchte getragen, der Erlaß des Kaisers Louis Napoleon über den Verzicht auf das Recht der außerordentlichen Kredite, dem wir den Rücktritt Walewskis und Persignis verdanken, war offenbar eine Antwort auf die preußische Königsrede in Königsberg und die Revanche für die allzu ehrliche Ablehnung der Anerbietungen in Compiegne. Uns paßte sie. Wir können weder ein allzu starkes Preußen, noch eine deutsche Flotte, noch das Erstarken des deutschen Zollvereins brauchen. Doch wir dürfen nicht zu lange fortbleiben, Mylord Chancelor, und ein Kaminfeuer wird uns wieder gut tun. Bitte, Ihren Arm, Sir, und – erinnern Sie sich später des heutigen Abends. Man kommt, uns zu suchen – ich hoffe, es wird doch nicht …«

Sie traten nach einem kurzen Gang in das Innere des Palastes zurück. –

An dem andern Ende der Terrasse, da, wo sie sich dem Hofe der prächtigen Marställe nähert, ging einsam auf der hier nur von wenigen Personen belebten und berührten Stelle, wo sie nicht von dem Gaslicht erhellt oder von den auf und nieder gehenden Schildwachen abgesperrt war, ein einsamer Mann. Es war kein Engländer, das konnte man an der kleinern hagern Gestalt sehen, obschon der englische Sürtout diese stattlicher machte. Die Kälte schien ihm unbehaglich und ungewohnt. Zuweilen schauderte er leicht zusammen, und dennoch wich er nicht von dem Ort und unter dem Rande des runden Hutes kehrte sich bei jeder Wendung das blitzende Auge immer wieder nach jener Richtung, wo das matte Licht der Krankenzimmer auf die Terrasse fiel.

»Es geht zu Ende mit ihm, sagt der törichte Irländer, der mir täglich die Botschaften bringt von den Fortschritten der Krankheit,« flüsterte der Mann vor sich hin, während er sich wieder um nach jener Seite wandte. »Der Luftzug kräftigt die Nerven der Söhne der heißern Sonne und ist ihren Lungen neues Salz. Aber man sagt, daß er Gift ist in diesem Lande der Nebel und der Dünste.« Er lachte leise und bitter vor sich hin. »Die Blütenfäden des Upas, die leichter sind wie die Luft, und die kein Auge zu sehen vermag, tragen den Tod durch den Atem ins Blut. Große Bhawani, ich danke Dir, daß ich die Schachtel davon mit mir genommen, die noch tausend Tode tragen mag in jene große Stadt, die nichts ist als ein unerschöpfliches Meer des Elends und des Verbrechens. Seit ich sie gesehn, weiß ich, daß sie das Verderben in hundert Kanälen in sich birgt, und es der Hand des einzelnen kaum bedarf, um zu töten. Margarete, der Altar, den ich Dir hier errichtet, und der mit den trüben Wellen jenes Stroms zum Meer rauscht, fordert mehr Opfer als die Gewölbe von Malangher nahmen! Zweier Leben noch bedarf ich, mächtige Göttin, dann bin ich bereit zu deinen Wandlungen und kann Ring und Axt in die Hände eines andern legen!« –

Von den Höfen her kam ein Mann in der Uniform eines der königlichen Stallmeister. Er war groß, jung, von stattlicher Figur und männlich schön. Er sah sich einige Augenblicke auf der Terrasse um, dann schritt er auf den Mann zu, der im Schatten stand und reichte ihm die Hand.

»Ich halte Ihnen mein Wort, Master Sullivan, das ich Ihnen für die vortrefflichen Mittel gegen den Spath der Pferde gab und bringe Ihnen Bericht von dem Zustand Seiner königlichen Hoheit. Sie sind wirklich einer seiner treuesten Verehrer, daß Sie so treulich ausgehalten und alle Abende gekommen sind, sich nach dem Kranken in Person zu erkundigen, statt sich mit den Berichten der Zeitungen zu begnügen. Ihre Krankenwache, Sir, ist zwar zu Ende – ich hoffe Ihnen wenigstens einen guten Platz bei den Begräbnis-Feierlichkeiten sichern zu können. Seine königliche Hoheit der Prinz ist vor zehn Minuten verschieden – die Nachricht kam soeben aus dem Krankenzimmer. Ihre Majestät soll außer sich sein – nur die Prinzessin Alice ist gefaßt. Der Hof und mehrere Minister sind im Sterbezimmer versammelt. Ich sehe eben einen Boten zum Bahnhof an den Reporter der Times. Auf Wiedersehen, Master O'Sullivan. Wir verlieren auch im Marstall einen tüchtigen Sportsman an ihm, wie der Master of the Hoch, der Marquis noch heute morgen beim Rapport sagte. Wer hätte das gedacht! – So bald!« Und kalt ging der Bedienstete des Palastes zurück.

Der Mann aber, der so treu die Kranken- und Sterbewache gehalten, trat noch tiefer zurück in die Schatten und warf sich an der Ballustrade nieder auf die Knie.

»Heilige Bhawani, ich danke Dir, daß das Herz der Gebieterin dieses hochmütigen Englands schwer getroffen ist von dem Pfeile des Todes, wie das Weib des geringsten der Parias in dem Lande, dessen Elend sie befehlen konnte. Margarethe, möge dein Schatten bei ihr sein in dieser Stunde! Meine Aufgabe in diesem Lande der Verfluchten ist zu Ende – ich kann morgen seinen Schmutz von meinen Füßen schütteln.«


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