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In Baden-Baden hatte die Saison von 1861 begonnen und war überaus glänzend. Die Familie des Königs von Preußen war seit der Vermählung der einzigen Tochter König Wilhelms mit dem Großherzog von Baden am 20. September 1856 alljährlich dort. Auch im Sommer 1861 traf König Wilhelm bereits am 9. Juli in Baden-Baden ein, wo die Königin sich schon früher eingefunden.
Mit der Großfürstin Helene von Rußland waren bereits viele Mitglieder der höchsten russischen Aristokratie angekommen, die zum Teil ihre eigenen Villen in den reizenden Umgebungen Badens besaß, so die Fürsten Mentschikow, Gagarin, Chreptowitsch, die Fürstin Metscherski und andere; auch die Diplomatie hatte ihre Vertreter, darunter der Fürst von Hohenzollern, die Herren von Bismarck-Schönhausen, Harry von Arnim und viele andere; daß die französische Crême und Melange zahlreich zugegen war, läßt sich denken. Es war damals noch trotz der vielen moralischen unfruchtbaren Reklamationen der Presse die Blütezeit der französischen Spielpächter in Homburg, Wiesbaden und Baden-Baden, und das Gold der russischen und walachischen Bojaren, des ostdeutschen Adels, der italienischen und französischen Abenteurer wurde in Haufen von den Harken der Croupiers zusammengerafft.
Zu Ehren der Anwesenheit des Königs fand am 13. abends eine sogenannte italienische Nacht statt, die ein überaus zahlreiches Publikum vor den Kursälen versammelt hielt, während einzelne Gruppen, der weithinschallenden Militär-Musik lauschend, durch die Promenaden auf und nieder wandelten. An dem Eingang der Spielsäle drängte sich das ein- und ausströmende Publikum.
Zwei Herren, der eine von auffallend großer Gestalt, der andere von wenig über mittlerer Größe und schlanker Figur, mit etwas blassem feinem Gesicht, promenierten in angelegentlicher Unterhaltung in einer der entfernteren Alleen, wo ihnen nur wenige Spaziergänger begegneten.
Der Kleinere der beiden – er war auch der Jüngere – konnte etwa sechs oder siebenunddreißig Jahre zählen. Er hatte eine hohe und breite Stirn, einen eigentümlich kurz gebogenen Schwung der kräftigen Nase, ein ruhiges beobachtendes Auge und trug Vollbart, während sein Gefährte, um mindestens zehn Jahre älter, bei glatt rasiertem Gesicht jenen buschigen blonden, nach russischer Manier gezogenen Schnurrbart hatte, der später mit seinem Träger typisch und weltbekannt geworden ist.
»Du bist also der Ansicht, lieber Harry,« sagte der Größere, »daß sich auch diese Verfassung für Österreich nicht halten wird?«
»Selbst nicht durch die ziemlich undankbare Nachgiebigkeit in betreff Siebenbürgens gegen die österreichische Partei und das Patent vom 8. April, das den Protestanten völlige Gleichberechtigung sichert. Das Letztere war sogar in diesem Augenblick ein Fehler. Der Tyroler Landtag hat bekanntlich ganz entgegengesetzte Anträge angenommen, und der Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig, sich an die Spitze der urkatholischen Partei gestellt.«
»Nach den heute eingegangenen Depeschen ist, wie ich im Kabinet des Königs hörte, der Erzherzog seines Statthalterpostens deshalb enthoben und an seiner Stelle Fürst Lobkowitz ernannt worden.«
»Ändert sich deshalb die Gesinnung des Volkes? Die Regierung braucht Stützen! Dieser Reichsrat ist eine unglückliche Erfindung Schmerlings. Die Venetianer weigern sich geradezu ihn zu beschicken, die Galizier haben nur mit Reserve gewählt, Kroatien wird ebenfalls die Beschickung weigern, Ungarn ist in voller Opposition und die Lostrennung vom Gesamtstaat nur eine Frage der Zeit, und Böhmen wird folgen, sobald man Ungarn Konzessionen macht. Diese halbe Politik, die auf der einen Seite zu Rom hält und auf der anderen dem Liberalismus halbe Konzessionen macht, ist eine verfehlte. Österreich ist einmal ein katholischer Staat und muß der Tradition folgen, der Repräsentant und Schutz des Katholizismus in Mittel-Europa zu bleiben.«
»Und dennoch, lieber Freund, wird Österreich früher oder später seinen Halt an Ofen finden müssen, und Ungarn ist kein exklusiv katholisches Land.«
Der Kleinere warf seinem Gefährten einen scharfen Blick von der Seite zu. »Das hieße Österreich aus Deutschland herausdrängen! Würde das Deine Politik sein, wenn Du Minister bist?«
»Bah, liebster Arnim, Du galoppierst, wie gewöhnlich! So weit sind wir noch lange nicht!«
»Aber es kommt! Ich weiß bestimmt, daß Schleinitz mehr als je an einen Ruheposten denkt.«
»Dann sind jedenfalls noch andere da,« sagte der ältere Diplomat, »die ältere Ansprüche haben, als wir beide.«
Der Kleinere biß sich auf die Lippen. »Ich bin freilich erst Legationsrat und habe noch keine selbstständige Mission gehabt, aber Du, Bismarck, bekleidest bereits die wichtigste Ambassade nächst Paris, ja, ich halte Petersburg sogar für wichtiger – in der Zukunft. Versprich mir nur eins: wenn Du das Portefeuille hast, mich nicht nach Stockholm oder Washington zu spedieren, und ich will Dir dafür ein Geheimnis sagen und eine Warnung geben.«
Herr von Bismarck lachte. »Wir sind zu gute Freunde, als daß ich mir eine solche Kraft erfrieren oder von den Sezessionisten erschießen lassen würde. Vorläufig gehst Du jawohl nach Lissabon?«
»Es ist noch nicht entschieden, Rosenberg ist erst zwei Jahre dort. Also es gilt?«
»Närrischer Mensch, vielleicht hebst Du mich noch aus dem Sattel und wirst eher Minister als ich – bedenke Du nur Deine rasche Karriere und Deine Familienverbindungen. Die Bismarcks stehen sehr vereinzelt, und ich bin den Herren vom National-Verein vorläufig noch eine Vogelscheuche. Nein, ich verspreche Dir für den Fall Rom, wo Du Deine diplomatischen Studien begonnen – oder Paris!«
»Um die Studien dort zu enden?«
»Du reitest das Roß Ehrgeiz gleich zu hastig, Harry,« sagte der Gesandte, »ich habe es Dir immer gesagt. Die erste Tugend eines Diplomaten ist Geduld! Du siehst ja, wie ich mich in Herrn von Schleinitz füge mit dieser törichten Antipathie gegen Italien. Ich werde nie gegen meinen Chef intriguieren, obschon ich kein Hehl aus meiner Meinung mache und sie in dieser Beziehung dem König offen gesagt habe. Ich wette mit Dir, daß ehe ein Jahr vergeht, selbst Rußland das junge Italien anerkannt hat, sonst hätte ich auf ein halbes Jahr gewettet! Aber, nun Dein Geheimnis und Deine Warnung, Freund!«
»Traue Rechberg nicht!«
Der Gesandte lachte herzlich. »Ist das alles? Glaubst Du, daß der alte Fuchs mir die Zigarren-Geschichte vergeben hat? Ich will Dir dafür gleich Revanche geben: seine Intriguen in der polnischen Agitation sind es, die Rußland zum besten Verbündeten Preußens machen! Wer auf zwei Achseln trägt, fällt schließlich immer herein! Ich halte Ehrlichkeit und Offenheit für die beste Politik und würde immer nach diesem Grundsatz handeln.«
»Mit Reserve doch, lieber Bismarck! Aber Du hast erst die Warnung, noch nicht das Geheimnis!«
»Ich bin gespannt.«
»Der National-Verein läßt Rechberg nicht schlafen! Nicht sowohl der National-Verein, als dessen Verlangen nach der preußischen Spitze. Aus diesem Grunde hat er den Verhandlungen wegen einer Reform der Bundeskriegsverfassung so viele Steine in den Weg geworfen, daß man sie abbrechen mußte. Es spinnt sich dem National-Verein gegenüber – von dem ich, beiläufig gesagt, auch nicht viel halte! – ein Verein der österreichisch-deutschen Diplomatie an, und Rechberg bereitet einen Schlag zu Gunsten der österreichischen Spitze vor, verlasse Dich darauf! Ich bin nicht umsonst der Wiener Gesandtschaft attachiert gewesen. Schrenk, Platen und vor allem Beust sind in der Intrigue, Beust ist eigentlich ihre Seele. Er haßt Preußen noch mehr als Rechberg! Man will in Wien nur erst Italien verschmerzt und die Gefahr in Ungarn ausgeglichen haben, dann wird man sicher einen entscheidenden Schlag versuchen. Die jetzige Wirtschaft in Berlin steuert ihnen geradezu in die Hände.«
Der Gesandte nickte zustimmend. »Du hast Recht! Auch ich traue weder Rechberg noch Beust! Ich werde eine alte Freundin, Frau von Zastrow, bitten, nächstens nach Dresden zu ziehen, und Herrn von Beust etwas zu überwachen. Sie ist eine kluge Frau und kann wohnen, wo sie will, übrigens – wer seine Schulden bezahlt, hat ihn!«
»Glaube das nicht; er ist bereits ganz österreichischer Bundesgenosse. Aber was denkst Du über unsere Kammern und das Projekt der Grundsteuer? Einen Augenblick! Lassen wir den Menschen dort erst vorüber, – er blieb stehen, als ich den National-Verein erwähnte.«
Das Licht einer benachbarten Gasflamme fiel auf einen jungen, einfach, aber anständig gekleideten Mann, mit finsterem Gesicht, der allerdings im Schatten eines Gebüsches stehen geblieben war, als höre er auf das Gespräch der beiden, jetzt aber, als er sich bemerkt sah, scheu und hastig weiter ging.
»Was ich von unserem Landtag halte? Lieber Freund, dies Frankfurter Reichsparlament von Acht- und Neunundvierzig steckt dem Unverbesserlichen noch immer im Magen, sie wollen gern wieder regieren und suchen einstweilen dem Königsmantel so viel Fetzen als möglich abzureißen, um ihre Toga damit zu verbrämen, und das Herrenhaus hat nicht Takt genug, über das gegenwärtige Ministerium hinweg einzusehen, daß sein Widerstand in der Grundsteuerfrage die Krone diesen Bestrebungen gegenüber schädigt!«
»Aber das ist es ja eben, man schädigt uns, man ruiniert den Grundbesitz des Adels! Den Ausweg des Grafen Arnim-Boytzenburg anzunehmen, wäre das Höchste, was man gewähren könnte.«
»Lieber Freund, ich habe allen möglichen Respekt vor Deinem Namensvetter und Verwandten, aber der Herr Graf leidet an Unklarheit und Unentschlossenheit, und das ist der schlimmste Fehler eines Staatsmannes. Das hat sich Achtundvierzig gezeigt. Es ist ein schlimmer Schnitt in unser Fleisch, aber über unseren Standes-Interessen steht mir die Zukunft des Staates, und Preußen kann seine Aufgabe nicht erfüllen, ohne neue und feste Hilfsquellen in den Finanzen und der militärischen Machtstellung.« Er brach ab, als der andere ungeduldig die Achseln zuckte. »Hast Du von einem Besuch gehört, den Seine Majestät dem Kaiser Napoleon abstatten will als Erwiderung von dessen Besuch hier in Baden?«
»Wann?«
»Ich denke noch vor der Krönung! Einstweilen erwartet man in Compiegne den König von Schweden. Wollen wir einen Augenblick in den Kursaal treten?«
Sie hatten sich dem Menschenstrom wieder genähert, der vor den Sälen auf und nieder wogte, und da beide Bekannte trafen und ansprachen, waren sie bald getrennt.
Der Gesandte fand distinguierte Personen aus der Petersburger Gesellschaft, der andere trat zu zwei Damen, die sich in Begleitung eines Kavaliers an einem der eisernen Tische niedergelassen hatten und den Promenadenzug betrachteten.
»Darf ich Euer Durchlaucht meinen Respekt bezeugen?«
»Sehr liebenswürdig von Ihnen. Wollen Sie nicht Platz nehmen bei uns, oder drängt es Sie, Ihr Glück zu versuchen? Der Fürst sitzt nun schon seit zwei Stunden dort und hat uns hier seinem Neffen überlassen. Ah – die Herren kennen sich wohl nicht? Leutnant Graf Solms aus Hannover – Herr von Arnim, einer unserer begabtesten und aussichtsvollsten Diplomaten – meine Gesellschafterin, Fräulein von Krousaz.«
»Ich ziehe natürlich die Chancen Ihrer geistreichen Unterhaltung denen des Roulettes vor, wenn Euer Durchlaucht mir die Erlaubnis geben. Ich sage mit Bedacht: die Chancen, denn ich weiß, daß ich Euer Durchlaucht Witz und Kritik gegenüber so wenig Aussichten auf Erfolg habe, wie da drinnen am grünen Tisch!«
» Nous verrons! Aber in der Tat, es sollen da drinnen Schlachten geschlagen werden. Die romanische Alliance bedroht die Bank.«
»Wie verstehen Euer Durchlaucht dies?«
»Sie haben doch von dem famosen Spanier Garcia gehört?«
»Er soll mit brillantem Glück spielen. Aber man weiß nicht, wer er ist.«
»Natürlich ein Roturier, aber hindert das, Gold zu gewinnen? Gegen die Namen der beiden anderen Mitglieder dieser Allianz werden Sie desto weniger einzuwenden haben. Frankreich ist durch einen jungen Verschwender aus einer der besten Legitimisten-Familien, einen Vicomte de Bressolles, vertreten, Italien gar durch einen Prinzipe.«
»Ein Fürst Caracciolo, wenn ich nicht irre! Seine Persönlichkeit ist weniger interessant, als die seiner Gesellschafterin.
»Ah!«
»Eine junge italienische Witwe, Ronzani, sie soll eine geborene Polin und hierher gekommen sein, um sich über den Tod ihres Anbeters zu trösten, des berühmten Grafen Cavour, der ihr beiläufig 300 000 Franken hinterlassen haben soll. Sie waren ja in Rom, kennen Sie die Caracciolis? Eine gute Familie, wie ich höre!«
»Die Caraccioli sind eine neapolitanische Familie. Ich hoffe, daß es nicht der Lump ist, der bei Castelfidardo mit seinen Dragonern davon lief. – Aber unmöglich, wie käme der zu der Donna des Herrn Cavour!«
»Jedenfalls ein unheimliches Gesicht. Haben Sie heute die famose Cora Pearl mit dem Viergespann und den zwei Mohren auf dem Bedientensitz gesehen?«
»Sie hat sie wahrscheinlich noch aus Konstantinopel mitgebracht, Plonplon muß als junger Ehemann jetzt tugendhaft sein.«
»Sehen Sie, daß Sie auch boshaft sind! Was gibt es neues in Berlin?«
»Ich war nur wenige Tage dort, als ich von Wien kam. Zank und Streit an allen Ecken. Es wird lange dauern, ehe man mit diesen Kammern in Ordnung kommt. Doch erlauben Sie mir, mich nach Ihrer Familie zu erkundigen.«
»Nun, daß ich keine Kinder habe, wissen Sie ja wohl – seit mein Bruder tot und meine Schwester fromm geworden – –
»So hat Comteß Amalie wirklich den Schleier genommen?«
»Sie wird nächstens Kanonika des Stifts werden. Wissen Sie, daß Amalie – Regina sollte ich sie eigentlich nennen nach ihrem Klosternamen – uns in Italien bald verloren gegangen wäre? Sie hat in nächster Nähe der Schlacht von Castelfidardo beigewohnt und wurde aus dem Getümmel der Flucht, als sie einem unserer Vettern, Baron Kerssen, der damals in der päpstlichen Armee stand, in schwerer Verwundung beistand, durch einen würdigen Geistlichen, den Kaplan Tangerfeld, gerettet.«
»Baron Kerssen – ich las den Namen in der Badeliste. Er ist hier, um von den Folgen seiner Verwundung vollends zu genesen, geht aber sehr wenig aus, da er nur seiner Kur lebt. Aber bei Gott, es ist doch nichts wahrer als das Sprichwort: Wenn man vom Wolfe spricht, steht er hinter uns.«
Sie erhob sich rasch und ging auf einen Herrn zu, der, offenbar sehr leidend, auf einen Stock gestützt, langsam daher kam.
Es war ein schlanker Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, doch machte das von schwerem körperlichen Gebrest bleiche und hagere Gesicht ihn älter. Er schien an einer schweren Verwundung im Schenkel gelitten zu haben, denn er hätte ohne Benutzung des Stockes schwerlich gehen können, obschon ihn an der anderen Seite ein athletisch gebauter Mann mit rötlichem Haar und frischem, mit etwas von Sommersprossen gezeichneten Gesicht unterstützte.
Beide Männer trugen Zivil und der Lahmende das Band der päpstlichen Medaille. Neben dem größeren Herrn ging eine junge Frau, deren steife prosaische Haltung sofort die Engländerin erkennen ließ.
»Aber Xaver, Du hast Dich in die Abendluft gewagt? Ist dies auch recht, hat es Dir der Arzt erlaubt?«
» Chère Cousine, wenn ich nicht mehr die Luft eines köstlichen Juli-Abends vertragen kann, dann ist es überhaupt aus mit mir. Aber erlauben Sie mir, Ihnen meine Begleiter vorstellen zu dürfen. Lady Judith O'Donnell und Sir Terenz O'Donnell, ein Verwandter des Marschalls Herzog von Tetuan, und Kamerad von mir in der Armee Seiner Heiligkeit.« Es folgten die weiteren Vorstellungen.
»So haben auch Sie infolge einer Verwundung Ihren Abschied genommen, Sir Terenz?« fragte die Fürstin in englischer Sprache.
»Verwundet ist mein Mann allerdings worden,« sagte die Lady steif, »um den Abschied hat er sich aber wenig gekümmert. Was sollte er weiter bei den Pfaffen in Rom; er hat zu leben! Seine Schwester schafft ihm weder Papst noch Kardinal wieder!«
»Sir Terenz,« sagte der Freiherr entschuldigend, »hat das Unglück gehabt, seine Schwester, eine sehr liebenswürdige Dame und eifrige Katholikin, die auch Komteß Amalie kannte, in diesem unglücklichen Kriege zu verlieren.«
»Und um einen Mann, der kein Gentleman ist, und der Sie beleidigt hat, dafür zu strafen, Mylady, ist dieser Herr mit uns gegangen.«
»Vetter Kerssen?«
» Yes, Mylady!«
Die Fürstin wandte sich hastig zu Ihrem Verwandten und sagte in deutscher Sprache: »Ich hoffe, Du begehst keine Torheit? Was soll das heißen?«
»Nichts, schöne Cousine, um das Sie zu sorgen brauchen. Wir wollen nur in den Spielsaal gehen, um uns von der Anwesenheit einer gewissen Persönlichkeit zu überzeugen.«
»Ich verstehe noch immer nicht, was Sie meinen – erinnern Sie sich Vetter, daß der Fürst, mein Gemahl, dort ist und wahrscheinlich auch höchste Personen.«
»Keine Besorgnis, ich weiß, was ich mir schuldig bin! Auf Wiedersehen, schöne Cousine, Sie sehen, mein Irländer mit seiner Lady wird ungeduldig.«
»Wie kommen Sie an diese Personen?«
»Wie ich Ihnen sagte – Kriegskameradschaft, wie kurz sie auch war. Wir wohnen zufällig in demselben Hotel. Auf Wiedersehen!«
Er verbeugte sich gegen seine Verwandte und reichte dem Irländer den Arm – eine kalte, steife Verbeugung, und die drei entfernten sich.
Die Fürstin hatte sich sehr unruhig zu ihrer früheren Gesellschaft niedergesetzt. »Ich weiß nicht, mir ahnt nichts Gutes – mir ist, als ob ein Unheil in der Luft läge.«
»Aber was fürchten Sie denn? Für Ihren Verwandten – einen Streit?«
»O nein – Sie haben ihn ja gesehen. Aber diese englische Gesellschaft gefiel mir nicht, es lag in dem Auge dieses Herrn etwas, das mich an eine Bulldogge erinnerte, er sah aus, als wäre er im Begriff, einem Gegner an den Hals zu springen, und diese Lady mit dem kalten Blick erschien mir, wie der Herr der Bulldogge, die sie kalten Blutes auf einen Menschen hetzen könnte.«
»Durchlaucht sehen Gespenster. Der Baron würde sie gewiß nicht begleitet haben, wenn irgend etwas Unpassendes in Aussicht stände. Er ist ja, wie ich gehört habe, ein Gegner jedes Duells.«
»Aus religiöser Überzeugung, nicht aus Mangel an persönlichem Mut,« sagte die Fürstin scharf. »Nachdem er sich, wie alle Welt weiß, tapfer unter Lamoricière für die Sache der Kirche geschlagen hat, wird gewiß niemand jene Weigerung des Duells, die ihn aus der preußischen Armee trieb, anders erklären wollen, als aus seinen religiösen Überzeugungen. Bei anderen mögen andere Ursachen geherrscht haben, bei meinem Vetter Kerssen sicher nur die anerzogene religiöse Überzeugung, und Sie wissen, lieber Arnim, wie sehr gerade unsere Familie zu beklagen hat, daß diese Überzeugung nicht allgemeiner ist. Gar manches junge Leben wäre dann nicht einem traurigen Vorurteil zum Opfer gefallen.«
Der Diplomat hatte sich unwillkürlich zur Seite gewendet, die – wahrscheinlich ganz absichtslosen, obschon von ihm hervorgerufenen Worte der Fürstin hatten eine unangenehme Erinnerung an eine Szene noch aus der Periode des Jockey-Klubs im Hotel du Nord bei ihm wachgerufen. Die Dame, als wolle sie dies verhüten, legte die Hand auf seinen Arm. »Bitte, werter Freund, wollen Sie die Güte haben, mich in den Speisesaal zu führen, der Fürst hat mich gebeten, ihn dort zu erwarten, und es wird hier in der Tat etwas – gemischt! Lieber Graf, ich bitte Sie, in den Spielsaal zu gehen und meinem Gemahl zu sagen, daß wir ihn erwarten. Vielleicht erzeigt uns Herr von Arnim das Vergnügen, mit uns zu soupieren, ich weiß, es würde den Fürsten sehr freuen. Bei der Gelegenheit sehen Sie sich wohl nach Vetter Kerssen um und erkunden, was ihn eigentlich mit seiner Gesellschaft hierher geführt hat.«
Sie hatte sich erhoben und legte ihre Hand leicht in den dargebotenen Arm des Diplomaten, während der junge Offizier sich nach dem Zugang der Spielsäle entfernte. Fräulein von Krousaz ging hinter dem Paar.
Sie waren nahe dem Eingang, als die Fürstin plötzlich stehen blieb; ihr Blick war auf einen Mann gefallen, der langsam an der Front des Konversationshauses daher kam und höflich stehen blieb, um ihren Weg nicht zu kreuzen.
» Cher baron,« sagte sie, »wollen Sie die Güte haben ein reserviertes Zimmer für uns, oder wenigstens eine stille Ecke zu belegen, ich habe Fräulein von Krousaz nur einen kleinen Auftrag zu geben und folge Ihnen sogleich.«
Der Diplomat verbeugte sich. »Wie Euer Durchlaucht befehlen.« Er ging nach den Salons.
Die Fürstin setzte sich auf einen der an der Promenade stehenden Stühle.
»Liebe Angelicque, tun Sie mir den Gefallen, gehen Sie dort hinüber zu Hily und lassen Sie sich von meiner Nummer ein Paar Paille-Handschuhe geben – ich habe soeben bemerkt, daß ich die meinen beschmutzt habe.«
Die Gesellschafterin entfernte sich sogleich.
Die Fürstin sah sich um.
»Guten Abend, lieber Doktor! Wie kommen Sie hierher?«
»Direkt von Berlin – auf dem Wege nach der Schweiz. Ich wußte, daß ich Euer Durchlaucht hier finden würde, und hoffte auf einen günstigen Zufall, der mir erlauben würde, einiges in Ihre eigenen Hände zu überliefern.«
»Wie – so haben Sie günstige Nachrichten?«
»Euer Durchlaucht mögen entscheiden, wenn ich die Ehre gehabt habe. Ihnen Mitteilung zu machen.«
»Das ist leider in diesem Augenblick nicht möglich, meine Gesellschafterin oder meine anderen Begleiter müssen in wenigen Augenblicken zurückkehren. – Warten Sie – Sie bleiben doch morgen noch hier?«
»Ich hatte zwei Tage für Baden-Baden bestimmt.«
»Dann – ja, so wird es gehen! – Nach der Morgen-Promenade pflegt mein Mann stets ein oder zwei Stunden zu ruhen. Die Königin und die Großherzogin wollen den Morgen in Lichtental zubringen, der König wird, wie mir Graf Flemming sagt, zwischen 8 und 9 Uhr zu Fuß dahin promenieren und hat ihn zu seiner Begleitung befohlen. Alle Welt wird also morgen nach Lichtental drängen und die anderen Promenaden werden ziemlich einsam sein. Wenn Sie um 9 Uhr in der zweiten Allee und rechts von der Lichtentaler, in den Gängen nach dem Wasser zu promenieren wollen, werde ich Sie treffen. Also eine günstige Nachricht?«
»Ich hoffe! Wenigstens eine neue Spur!«
»Und sie führt?«
»Hierher – an den Rhein – wahrscheinlich darüber hinaus – nach Paris!«
»Ich danke Ihnen vorläufig! – Die arme und doch glückliche Amalie! – Und nun leben Sie wohl, Doktor, und lassen Sie sich nicht von dem Teufel des Spiels verblenden!«
»Ich habe alle Ursache, fest zu bleiben, Durchlaucht!«
Er trat mit einer Verbeugung zurück und sah mit einigem Erstaunen und mit Beunruhigung, daß, während von der gegenüberliegenden Promenade her eine Dame auf die Fürstin zukam, auf der Seite sich ein Fremder erhob und fortging, der dort an einem der kleinen Tische, von einem der breiten Oleanderbäume halb verdeckt, von ihm und wohl auch von der Dame unbemerkt gesessen hatte.
Mit zwei oder drei Schritten hatte er ihn eingeholt und sah bei dem hellen Licht der Gasflammen in das Gesicht des unberufenen Lauschers, den er im Vorübergehen murmeln hörte: »Also morgen – zwischen acht und neun!«
Es war ein noch junger Mann, anständig aber einfach gekleidet, von ziemlich unbedeutendem Äußern, höchstens 22 Jahre, derselbe, der vor einer Stunde den beiden Diplomaten auf ihrem einsamen Spaziergang begegnet oder gefolgt war.
»Hm – ich möchte wetten, daß ich dies Gesicht schon gesehen habe; aber ich erinnere mich nicht gleich, wo? Doch es ist ohne Bedeutung, ein Zufall – man sieht in der Saison hier so viele bekannte Gesichter.«
Er trat in den Eingang, der zu den Spielsälen führte, in denen eine ziemlich unruhige Bewegung zu herrschen schien.
In den glänzenden Spielsalons von Homburg, Wiesbaden und Baden-Baden wurde das Roulette und Pharao in verschiedenen Sälen gespielt, und es wurde selbst dem Nichtspieler schwer, sich von diesen fesselnden verführerischen Szenen loszureißen.
Als der junge hannoversche Offizier den ersten Saal betrat, in welchem er, wie ihm bekannt, seinen Verwandten zu suchen hatte, fand er die lange grüne Tafel von einem wenigstens vierfachen Menschenkranze umlagert, aber nur die wenigsten spielten natürlich. Doch auch bei denen, die nur zuschauten, schien sich das Interesse aufs Höchste gesteigert zu haben. Dies Interesse konzentrierte sich auf die drei Spieler, die vorhin die Fürstin genannt hatte.
Oben am Tisch, in einem bequemen Rollstuhl, saß der Fürst von H., ihr Gemahl. Er war seit mehreren Jahren durch einen Schlaganfall gelähmt und des Gebrauchs seiner Füße gänzlich beraubt, sodaß er eben nur in seinem auf das Bequemste eingerichteten Stuhl transportiert werden konnte. Dennoch war er noch immer ein Lebemann, der während keiner Saison in den Modebädern fehlte, ein Gourmand der besten Schule, Kunst- und Literatur-Freund und Mäcen, und ein vornehmer Herr vom weißtoupierten Scheitel bis zu den unbeweglichen, fein chauffierten Füßen. Er hatte in seiner Jugend in der österreichischen Armee gestanden, später eine kurze staatsmännische Rolle gespielt, war mit einem der ersten Regentenhäuser Europas und verschiedenen souveränen Familien dritten Ranges verwandt, noch immer ein vortrefflicher Gesellschafter, der die equisitesten Diners gab und einen unerschöpflichen Fonds von Anekdoten und scharfen Charakteristiken besaß und sie mit kaustischem Witz und großer Gewandtheit zum Besten zu geben wußte, und wurde dabei von der jüngeren Generation in kavalieren Fragen als unbedingte Autorität verehrt. Die Lähmung, die infolge einer plötzlichen Erkältung, die wieder die Folge einer eigentümlichen Wette gewesen war, ihn betroffen, hatte ihn nicht gehindert, nach dem zu jener Zeit erfolgten Tode seiner ersten Gattin eine zweite Heirat mit einer viel jüngeren Dame aus einer Familie des rheinisch-westfälischen Adels einzugehen, und wie man wissen wollte, war die Ehe eine ganz vortreffliche, da der Fürst die große Kunst verstand, alles zu sehen, was er sehen wollte, aber nichts zu sehen, was er nicht sehen wollte.
Der Fürst zählte jetzt sechszig Jahre, hatte ein feines behagliches Gesicht, ein kluges Auge, das sich unter einem fortwährenden Zwinkern der Lider und der goldenen Lorgnette barg, die er mit der aristokratisch gepflegten, beringten weißen Hand häufig brauchte, und einen weißen Backenbart von englischem Schnitt. Er spielte nicht permanent, sondern beobachtete mit großer Ruhe das Spiel und schob nur von Zeit zu Zeit einen Satz Goldstücke, die in verschiedenen Rollen vor ihm aufgestellt waren, auf ein oder das andere Feld. Hinter seinem Stuhl stand sein Kammerdiener, ein Mann von gleichem Alter wie er selbst, mit weißem Toupet, weißer Binde, Jabot und Weste, der noch aus der Schule der grands seigneurs zu stammen schien. Vor dem Fürsten lagen ein Paar Karten und Nadeln, um den Gang des Spiels zu markieren, seine goldene mit kostbaren Brillanten besetzte Dose und ein feines mit Spitzen besetztes Battisttuch, in das er zuweilen hüstelte.
Trotz der auffallenden, hoch aristokratischen Erscheinung, war das Interesse der Zuschauer doch keineswegs auf diese gerichtet, sondern konzentrierte sich auf die drei bereits genannten Spieler, die dem Bankhalter gegenüber saßen, hinter dem an diesem Abend der Pächter der Spielbank, Monsieur Benazet selbst, stand. Die drei Pointeurs, die mit großem Glück spielten, schienen jedoch keineswegs zueinander zu gehören, wie die Fürstin ironisch angedeutet hatte, obschon sie eine gewisse Courtoisie beobachteten, indem keiner die Nummern des anderen besetzte, wenn sie auch einem gleichen System folgten.
Der Spanier Garcia war ein mittelgroßer hagerer Mann von sehr braunem Teint mit krausem schwarzem Haar, stechendem Auge und anmaßendem Wesen. Er hatte vor sich bereits einen großen Haufen von Gold und Banknoten aufgehäuft und spielte mit einem wahrhaft wunderbaren Glück, das Herrn Benazets Ruhe manchmal zu erschüttern drohte.
Zwischen dem Spanier und dem Fürsten saß neben ein Paar gleichgiltigen Personen ein junges Mädchen, von pikantem Gesicht und Augen, die etwas Prickelndes, Aufregendes hatten. Sie trug eine Pariser Toilette, die durch ihre Überladenheit und Kostbarkeit auffiel. Es war damals die letzte Glanzzeit jener Erfindung der schönen französischen Kaiserin, der Krinoline, die sich freilich mehr für junonisch schlanke Gestalten, als für so kleine wieselartig bewegliche Figuren, wie die der jungen Pariserin, eignete, in bereit Benehmen die Süffisance des offenbaren Mangels an Bildung mit jenem Chic kämpfte, der den Mitgliedern der Pariser Demi-monde so häufig trotz der dunkelsten Herkunft angeboren zu sein scheint.
Die junge Lorette spielte mit einer wahren Verachtung des Geldes und ohne jede Regel der Klugheit und Erfahrung, aber gleichfalls mit unverwüstlichem Glück. Sie hatte dabei die Gewohnheit, so oft sie ansehnlich gewann, Geld und Banknoten sofort in die Tasche zu schieben, was den Fürsten sehr zu amüsieren schien und von ihrem Begleiter oder Protekteur, der hinter ihr stand, zum Weiterpointieren neues Geld zu fordern. Dieser Begleiter war offenbar ein Kavalier von distinguierter Erziehung, aber blasiert und ein Roué des Maison dorée oder der Klubs, wie so viele, leichtsinnig sein Vermögen vergeudend, glänzend, ohne jeden inneren Beruf, als die Sucht nach Genuß und Vergnügen. Eine noch ziemlich frische breite Wundnarbe entstellte sein hübsches aristokratisches Gesicht.
Ganz anders spielte eine Dame, die zwischen dem Spanier und einem kleinen schmächtigen Italiener saß, den sie häufig in italienischer Sprache und mit dem Titel Prinzipe anredete. Dieser pointierte gar nicht oder schien vielmehr nur das Spiel seiner Nachbarin zu leiten. Er tat dies mit solchem Geschick, den Chancen des glücklichen Spaniers folgend, daß die Dame bedeutend gewann – die Bank war heute offenbar sehr im Unglück.
Man konnte nicht sagen, daß diese Dame eine Schönheit war, und doch hatte sie etwas Pikantes, Fesselndes in dem beweglichen blassen Gesicht und den großen schwarzen Augen, die etwas dämonisch Funkelndes besaßen. Sie spielte offenbar mit nervöser Aufregung und einer gewissen Gier, zu gewinnen, die sich namentlich zeigte, wenn sie einmal verlor, und ihrem Nachbar darüber Vorwürfe machte. Sie war in Trauer, aber äußerst elegant gekleidet, und an ihren oft spinnenartig um das Gold zuckenden schlanken Fingern funkelten ein Paar wertvolle Brillantringe. Sie schien überhaupt für Juwelen und Kostbarkeiten sehr interessiert, denn in den Pausen des Pointierens hafteten ihre Blicke häufig auf der kostbaren Dose des Fürsten.
»Dieser Mensch,« sagte der Fürst, sich zu seinem Kammerdiener wendend, »hat in der Tat ein tolles Glück mit seinem Wagen. Ich glaube, er hat abermals zwanzigtausend Franken gewonnen!«
Es war in der Tat so und die Bank schob eben dem glücklichen Spieler die zehn Rollen doppelter Napoleons zu.
»Lassen Sie uns zu Ende kommen, Herr Benazet«, sagte spöttisch der Spanier, »Sie sehen, ich bin auf dem Wege, Ihre Bank zu sprengen. Oder wollen Sie für heute schließen?«
»Wir sind noch nicht in der Lage, Monsieur!«
» Caramba! das kommt von dieser Beschränkung der Einsätze. Sie müssen gewaltige Besorgnis haben, da man sie auf zehntausend beschränkt hat!«
»Wünschen Monsieur zu doublieren?«
»Das Dreifache! Aber Sie werden sich ruinieren, Herr Benazet, ich sage es Ihnen im Voraus! Und ich bin morgen gezwungen, nach Homburg abzureisen, kann Ihnen also keine Revanche geben.«
»Genieren sich Monsieur nicht! Ich habe für alle Fälle in Paris mir zehntausend Francs Rente für meine alten Tage gesichert, werde also niemandem zur Last fallen.«
»Vorwärts denn!«
Die Grisette, die eben wieder ihren Gewinn in Sicherheit gebracht hatte, legte sich kokett in ihrem Stuhl hintenüber und hielt die Hand auf. »Das ist eine Chance, die wir nicht vorüber gehen lassen dürfen, Vicomte, geschwind, geben Sie mir tausend Francs!«
»Aber Sie haben ja eben zweitausend gewonnen, schöne Alide?«
»Was? Sie werden sich doch nicht einbilden, mein Herr, daß ich meinen Gewinn wieder verlieren will? Allons – geben Sie!«
Der schöne Vicomte lachte etwas gezwungen, desto herzlicher der Fürst, unter dessen auf ihn gerichteter Lorgnette der junge Roué sich beeilte, sein Portefeuille aus der Tasche zu ziehen und ihm ein Tausendfranc-Billet zu entnehmen, das er seiner seltsamen Partnerin reichte.
Die schwarze Dame hatte sich zu dem ihren gewendet.
»Was meinen Sie, Principe, soll ich es wagen?«
»Fünftausend, Signora – wenn er gewinnt, wird er doublieren! Ich habe großes Vertrauen zu seinem Glück!«
Die Dame zählte rasch die Summe ab, denn bereits hatte der Bankier ein neues Spiel Karten von den vor ihm liegenden emballierten in die Hand genommen, es nach dem Gebrauch flüchtig dem Hauptgegner gezeigt und die Emballage abgerissen.
» Messieurs – faites vôtre jeu!«
Aber die Lust, sich an dem Spiel zu beteiligen, schien nicht groß, man wollte offenbar lieber den Kampf der beiden Gegner beobachten. Nur der Fürst schob eine Goldrolle auf die Quarrés und vier oder fünf andere setzten kleinere Beträge. Der Spanier hatte mit Ostentation dreißigtausend Franken abgezählt und sie auf die Karte gesetzt – die schwarze Dame und die Grisette folgten seinem Beispiel.
Dies war der Augenblick, in dem der hannoversche Adjutant den Saal betreten hatte und sich nach seinen beiden Verwandten und dem irischen Baronet umsah.
Der athletischen Gestalt des Letzteren war es bereits gelungen, sich bis in die zweite Reihe zu drängen, wo er dem Herrn von Kerssen und der Lady Platz machte. Sie standen alle drei fast hinter dem Sessel des Spaniers nach dem entgegengesetzten Ende der großen Tafel zu, der verwundete Offizier auf seinen Stock gestützt. Bei dem großen Interesse, welches das hohe Spiel erregte, hatte man sich begnügt, zu murren, ohne dem Vordrängen der Eingetretenen einen ernsten Protest entgegenzusetzen. Ein Blick auf die steife Haltung der Lady hatte ohnehin genügt, die Entschuldigung der Nationalität gelten zu lassen. Man duldete damals noch die Betisen der Excentrics, ja selbst jener englischen Rheinzügler, denen die gute Gesellschaft zu Hause einfach die Tür gewiesen haben würde. Herr im Himmel, was ließ man sich damals noch von dieser Sorte wandernder John Bulls im lieben Deutschland gefallen, die mit dem roten Murray den Rhein auf- und abzogen, mit einer Impertinenz sondergleichen die besten und dreifachen Plätze usurpierten, sich selbst an die Höfe drängten, alles mit Nasenrümpfen kritisierten, sich unleidlich machten, die Konsuln und die Kondukteure kojonierten, und schließlich im nebligen London Handschuhe fabrizierten oder hinter dem Ladentisch standen.
Der ehemalige Kapitän in päpstlichen Diensten ließ forschend seinen Blick um die ganze Tafel schweifen, die einzelnen Physiognomien prüfend, dann blieb dieser Blick auf dem Italiener haften, der zur rechten Seite des Fürsten, von diesem nur durch die Dame in Trauer getrennt, saß.
Die Lady hatte mit großer Ruhe sein Gesicht beobachtet; als sie über dieses einen Ausdruck heftigen Unwillens fliegen sah, wurde sie aufmerksam.
»Haben Sie das Mann gefunden, Sir?« fragte sie auf deutsch.
»Ja, Mylady!«
»Bitte, zeigen Sie mir das Mann, was ist kein Gentleman, sondern ist vulgar genug, zu beleidigen eine Dame. Ich wollen ihn sehn, bevor ich kann erlauben Sir Terenz, sich zu beschäftigen mit ihm.«
»Dort – die zweite Person links von dem alten Gentlemen am Ende des Tisches.«
Er wies ungeniert mit dem Finger nach dem Italiener.
» Well, well! I thank you!«
Die Unterhaltung war so ungeniert geführt worden, daß sie trotz der gespannten Aufmerksamkeit der meisten auf das Spiel doch einige Beachtung fand.
Das Lorgnon des Fürsten und der Blick des Prinzipe erhoben sich fast zu gleicher Zeit, die ungenierten Sprecher zu suchen.
Das Auge des ersteren fiel zufällig zunächst auf den hannoverschen Offizier, dem er freundlich zunickte und winkte, zu ihm zu kommen. Eine Geste des Offiziers wies ihn auf den päpstlichen Hauptmann.
»Was! bei allen Göttern – auch Vetter Kerssen! Geschwind, Rainert, gehen Sie zu dem Herrn Kapitän, und führen Sie ihn zu mir. Sieh da, Graf, Dich schickt gewiß die Tante?«
Der junge Offizier war zu ihm getreten, während der alte Kammerdiener seinen Platz verlassen hatte.
»Durchlaucht Tante lassen Sie allerdings bitten, nach dem Speisesalon zu kommen, wohin sie sich mit Baron von Arnim zum Souper begeben will. Eigentlich aber gilt mein Hiersein Baron von Kerssen.«
»Was Teufel fällt ihm ein, daß der fromme Legionair der Kirche sich in diese Höhle der Sünde und des Mammons wagt! Ich hätte eher an des Himmels Einfall gedacht, als ihn hier in den Spielsälen zu sehen. – Halt da! wahrhaftig, der Bursche hat richtig seine Dreißigtausend gewonnen und ich meine Tausend verloren. Ich glaube wirklich – er läßt sie stehen!«
Der Abzug hatte in der Tat den Sieg des Spaniers ergeben, auf den sich alle Blicke richteten, da er mit einer triumphierenden Miene auf Herrn Benazet schaute und keine Anstalt machte, den bedeutenden Gewinn einzuziehen.
Desto eiliger hatte es die Dame der Pariser Demi-monde in der Nähe des Fürsten gehabt, diesmal aber streckte sie vergeblich die Hand nach ihrem Kavalier aus, er war zurückgetreten und unterhielt sich hinter der Mauer der Zuschauer mit einem Herrn, ohne zu tun, als höre und sehe er das Begehren seiner Freundin. Sie mußte sich entschließen, die Banknote noch einmal zu wagen, wenn sie weiter pointieren wollte.
Anders hatte die schwarze Signora gehandelt.
Sie konnte das Vergnügen nicht verbergen, das ihr der schon nicht unbedeutende Gewinn machte, ihre Augen funkelten, aber gieriger auf den großen Haufen von Gold und Banknoten, der den Gewinn des Spaniers bildete, als auf ihren eigenen, und sie wandte sich hastig zu dem Principe mit der Frage: »Soll ich doublieren?«
Aber ihr Partner gab wenig Acht auf ihr Interesse, und der günstige Moment war vorübergegangen, die Harke des Croupiers hatte ihr bereits das Geld zugeschoben. Von dem Augenblick, als der Blick des Principe das Gesicht des päpstlichen Offiziers getroffen und von diesem auf die Gestalt des irländischen Offiziers geglitten war, hatte sich eine nervöse Unruhe seiner bemächtigt, die ihm kaum erlaubte, während der Taille auf seinem Platze zu bleiben. Er rückte hin und her auf dem Stuhl, hielt die Augen fest auf das grüne Tuch geheftet und flüsterte dann seiner Gefährtin einige Worte zu.
» Chère tante läßt Durchlaucht bitten,« flüsterte der hannoversche Offizier seinem Verwandten zu, »Baron Kerssen etwas im Auge zu behalten. Sie traut der Gesellschaft nicht, in der er sich befindet und fürchtet aus irgend einem Grunde eine kompromittierende Szene.«
»Bah, bah – Du weißt, daß er kein Händelsucher ist. Bleibe so lange an meinem Rollwagen, bis Rainert die Diener gerufen hat. Ich will nur dem Ausgang dieser interessanten Taille noch folgen – ich spiele nicht mehr, und gehe dann mit Dir. Da kommt er selbst!«
In der Tat kam um die dichten Reihen der Zuschauer, von dem Kammerdiener des Fürsten unterstützt, der päpstliche Kapitän langsam heran geschritten, hinter ihm der irische Baronet und Lady Judith, seine Gemahlin.
Aber der Baron blieb keineswegs bei seinem ihm zuwinkenden vornehmen Verwandten stehen, sondern ging einige Schritte weiter, bis er sich hinter dem neapolitanischen Nobile befand.
Dazwischen war der einfache Ruf des Bankiers ertönt, der zur Fortsetzung des Spiels einlud.
»Bei Patrik und Fingal, Sir«, fragte der Irländer, »haben Sie noch nichts gesehen – ich erinnere mich des Schuftes zwar nur undeutlich von Loretto her, da einer dieser braunen Pickelhäringe aussieht, wie der andere, aber wenn Sie ihn mir zeigen, Sir …«
»Still, Terenz! warte die Zeit ab!« Die junge Frau hatte die Hand auf den Arm ihres Gatten gelegt, aber es bedurfte in der Tat nur des einzigen Wortes, um den heißblütigen Sohn der grünen Insel ganz gehorsam und ruhig zu machen.
»Gewiß, gewiß, Judith! Ich meinte nur, die arme Mary …«
»Deine Schwester wird ihre Genugtuung erhalten. Haben Sie sich überzeugt, Sir? Ist es der rechte?«
Die Antwort ging verloren in der allgemeinen Bewegung – die Karte war zum zweiten Mal für den Spanier günstig gefallen.
» Gagné!«
Ein halb erstickter Ruf des Ärgers entfuhr den blassen Lippen der schwarzen Signorina; sie wandte sich heftig zu dem Principe, der sich erhoben hatte.
»Gehen Sie, wohin Sie wollen,« sagte sie zornig, »mir ist es gleich! Ich bleibe! Sehen Sie nicht, daß Ihr alberner angeblicher Kopfschmerz mich um fünfzehntausend Franken gebracht hat?! Das ist ein Verlust, den Sie mir nicht ersetzen können!«
»Martina – mäßigen Sie sich! Kommen Sie, es ist genug!«
»Puh – was fällt Ihnen ein? Was berechtigt Sie hier den Herrn zu spielen? Gehen Sie immerhin, ich bleibe!«
Der Principe preßte die Zähne zusammen, ein böser italienischer Fluch zischte zwischen denselben.
Indem er sich umwandte, um sich hastig zu entfernen, sah er vor sich den Kapitän von Kerssen und den irländischen Baronet, zugleich klopfte ihn ein Fächer auf die Schulter.
»Sir!«
»Was wollen Sie –? Mein Platz steht Ihnen zu Diensten.«
» No! no! Sie seind der Principe Caraccioli?«
Er antwortete nicht und versuchte sich bei der Dame vorüber zu drängen.
»Major von die Dragoner bei die heiligen Vater in Rom?«
»Gehen Sie zum Teufel, ich kenne Sie nicht!«
» Well, well! Ich weiß – Sie seind kein Gentleman. Sir Terenz!«
»Mylady!«
»Dies seind die Mann! Führen Sie ihn hinaus!«
Der Kapitän hatte sich zu dem Italiener gewendet. »Ich ersuche Sie, Signor, uns hinauszubegleiten; wir haben mit Ihnen zu sprechen. Bitte, ohne Aufsehen!«
Es wäre ohne solches trotz der Aufregung, die um die Tafel herrschte, auch nicht möglich gewesen, zu entkommen, denn die breite Hand des Irländers hielt den Arm des Neapolitaners wie mit einer eisernen Klammer umspannt.
Alles drängte um die Tafel – auch aus den anderen Spielsälen; die Nachricht, daß die Bank auf einen Schlag hundertzwanzigtausend Franken verloren und im Begriffe stehe, gesprengt zu werden, hatte sich rasch durch die Salons verbreitet, und man eilte herbei, den glücklichen Spieler zu sehen.
Der Spanier hatte sich von seinem Sitz erhoben und machte Herrn Benazet eine spöttische Verbeugung. »Nun, Senor, ist die Bank bereit, weiter spielen zu lassen?«
Über das sonst so ruhige und kalte Gesicht des Spielpächters fuhr es wie mit Spinnenfüßen – im nächsten Augenblick aber war es wieder so kalt und gelassen, wie vorher. Er beugte sich nieder zu dem Kassierer.
»Monsieur Detroit, wieviel in der Kasse?«
Der Bankhalter öffnete nochmals die Kassette, aus der er soeben dem glücklichen Pointeur den großen Gewinn ausgezahlt. Mit einem Blick überschlug er den Inhalt und zuckte die Achseln.
»Etwa 40 000 Franken, Monsieur le Directeur!«
Monsieur Benazet hatte eine innere Tasche seines Gilets aufgeknöpft und eine kleine elegante Brieftasche hervorgezogen, die er dem Kassierer reichte. »Nehmen Sie! Es sind zweimalhunderttausend Francs darin. Nun, Senor Garcia, wir warten.«
Der Spanier hatte den ganzen Haufen von Gold und Banknoten auf eine neue Stelle geschoben.
Die Aufregung war ungeheuer – es standen 240 000 Franken, über 112 000 Gulden oder 64 000 Taler, auf dem Spiel, ein Wagnis, das seit drei Saisons nicht vorgekommen war.
In dieser Bewegung, in diesem Gedränge, durch das sich selbst der anwesende Polizei-Kommissar kaum zu bewegen vermochte, hatte die Entfernung der vier Personen wenig Bedeutung, die breiten Schultern und festen Ellenbogen des Irländers hatten ihnen jedoch leicht Bahn gebrochen.
Nur der Fürst hatte sie beachtet, und obschon auch er von Neugier und Interesse für den weiteren Verlauf und Ausgang des Spiels erfüllt war, seinem Kammerdiener den Auftrag gegeben, die beiden Lakaien herbeizuholen, um den Rollstuhl fortzuschieben, und zugleich seinen Verwandten herbeigewinkt. »Kerssen hat sich mit dem Italiener, der in meiner Nähe saß, und dem Engländer entfernt – gehe ihm nach und sieh zu, daß nichts Unrechtes passiert. Du findest mich beim Souper.«
Es war eine gewisse Stille eingetreten, als die Bank den Abzug begann. Alles lauschte in atemloser Spannung.
Schon die fünfte Karte hatte entschieden –
» Gagné!«
Es flutete förmlich gegen den glücklichen Spieler heran – es streckten sich hundert Hände, die die seinen zu drücken sich bemühten.
Monsieur Benazet verbeugte sich gegen den Sieger. »Wenn Sie verlangen, weiter zu spielen, Senor,« sagte er mit kalter Höflichkeit, »so muß die Bank um eine Pause bitten, bis sie neue Fonds herbeigeschafft; Sie haben die Tageskasse geleert.«
»Bewahre, Monsieur, es ist genug für heute, und ich habe versprochen, morgen bei Herrn Le Blanc in Homburg zu sein. Wollen Sie die Güte haben, Monsieur, mich bei dem Zählen zu unterstützen?«
Die höfliche Einladung galt dem Polizei-Kommissar, der mit dem Beistand zweier in Zivil gekleideter Agenten den Platz um den Stuhl des Spaniers möglichst frei von den Neugierigen hielt. Man wußte nur zu gut, welche große Zahl der gewandtesten Pariser und Londoner Taschendiebe der feinsten Art trotz aller Vorsicht der Polizei oft unter die vornehmste Gesellschaft der rheinischen Spielbäder sich einzuschmuggeln verstand.
Die Erregung des Ausschlags hatte der Fürst benutzt, seinen der geringsten Bewegung nachgebenden Fahrstuhl von der Tafel zurückzuschieben und die wohldressierten Lakaien hatten diesen sogleich erfaßt und aus dem Gedränge gezogen.
»Dieser verteufelte Spanier!« sagte der Fürst, »ich möchte wohl sehen, welche Miene er macht, wenn das Glück sich wendet, und daß dies kommt, weiß der Schelm Benazet so gut wie ich! Er hat sich nur in der Zeit und dem Ort verrechnet! In der Tat hatte Sennor Garcia nach bedeutendem Gewinn auch an der Homburger Bank in Zeit von drei Wochen so total Alles verspielt, daß die Bank ihm einige Napoleonsd'or leihen mußte, um es ihm möglich zu machen, nach Paris zurückzukehren. Doch – es gehört in der Tat Contenance dazu!«
Der Ausdruck schien den Fürsten an das gewöhnliche Mittel zu erinnern, die »Contenance« zu bewahren; er griff in seine Tasche nach der Dose, eine Prise zu nehmen – erst in die gewöhnliche, dann in die zweite »Alle Teufel! He, Rainert, haben Sie meine Dose und mein Tuch eingesteckt?«
»Euer Durchlaucht wissen, daß ich mir dies nie erlaube!«
Dann muß ich sie auf dem Tisch haben liegen lassen! Abominable! Welche Zerstreutheit wegen dieses spanischen Kerls! Halt! sag' ich, Ihr Schurken! Hört Ihr nicht! Gehen Sie geschwind zurück in den Saal, Rainert, und sehen Sie nach! Ich werde draußen warten.«
Er ließ sich ins Freie schieben, während der alte Kammerdiener sehr besorgt nach dem Spieltisch zurückeilte.
Der Platz, den der Fürst eingenommen, war bald erreicht, aber von der Dose keine Spur auf dem Tisch, dagegen fand sich das Taschentuch unter den Füßen der Personen, die sich jetzt um den Tisch drängten und die frühere Gesellschaft ersetzt hatten. Unter diesen Umständen tat der Kammerdiener das Klügste, was er tun konnte, er wandte sich sofort an den noch immer bei dem glücklichen Spieler beschäftigten Polizei-Kommissar.
Obschon dieser ihm anfangs kein Gehör gab, da der vorsichtige Diener vermied, den Namen seines Herrn einzumischen, war der Name und die Person desselben doch zu bekannt, als daß, sobald er nur wußte, um wen es sich handle, der Beamte nicht sofort ernste Maßregeln ergriffen hätte, die verlorene oder wahrscheinlich unter dem Tuche her eskamotierte Dose wieder herbeizuschaffen. Er ersuchte die Gesellschaft, vorläufig ihre Plätze nicht zu verlassen, hielt die genauesten Umfragen, da ihm der Kammerdiener sagte, daß diese Dose einen Wert von mehr als zweihundert Imperials gehabt, konnte aber trotz aller Mühe nichts ermitteln, da einerseits der Gesellschaft gegenüber mit Vorsicht und Zurückhaltung verfahren werden mußte, andererseits ja in der Bewegung um den Spieltisch die Anwesenden vielfach gewechselt, ja zum großen Teil den Saal schon verlassen hatten.
Der Kommissar beeilte sich jetzt, ohne sich weiter um Herrn Garcia zu kümmern, selbst den Fürsten aufzusuchen, um dessen Wünsche und Anweisungen wegen der weiteren Nachforschungen zu erbitten. Er fand ihn in seinem kleinen Rollwagen in der Nähe des großen Bassins, von dem Kammerdiener bereits von dem Verlust unterrichtet.
»Fatal – sehr fatal!« sagte der vornehme Herr, nur mit halbem Ohr auf seine Vorschläge hörend, »namentlich wegen des Aufsehens. Sie haben doch nicht meinen Namen genannt?«
»Herr Rainert ersuchte mich, dies vorläufig nicht zu tun, aber Euer Durchlaucht sind durch Ihre Persönlichkeit sehr bekannt und pflegen immer jenen Platz einzunehmen, auch die Dose stets dort hinzulegen. Die halbe Gesellschaft weiß dies, und ich hoffe grade von diesem Umstand, daß die Dose sich wieder findet, oder zu entdecken sein wird. Können mir Euer Durchlaucht vielleicht einige nähere Kennzeichen angeben? Es ist auffallend, daß niemand von Euer Durchlaucht näherer Umgebung bemerkt haben sollte, daß ein solcher Wertgegenstand liegen gelassen wurde. Erinnern sich Euer Durchlaucht, in welchem Augenblick Sie dieselbe zuletzt gesehen?«
»Oh, ich weiß ganz gewiß, ich nahm noch eine Prise nach der zweiten Taille jenes merkwürdigen Spiels. Aber hören Sie – ist da drüben nicht ein Streit?«
»Irgend eine überlaute Unterhaltung! Erinnern sich Durchlaucht, wer in Ihrer Nähe saß oder hinter Ihnen stand?«
»Fatal! Sehr fatal! Hinter mir, meinen Sie? Mein Neffe Graf Solms und mein Kammerdiener. Ich sage es ja, es gibt einen Streit da drüben! Eben deshalb schickte ich Solms weg. Es ist mir weniger des Wertes wegen, obschon dieser nicht unbedeutend, als weil die Dose noch ein Geschenk des verstorbenen Kaiser Nikolaus von Rußland war! Sie sind wahrhaftig an einander!«
»Wer?«
»Ei, dieser Italiener! Es soll ein neapolitanischer Principe sein, wie ich mir habe sagen lassen. Ich kann den Kerl nicht leiden, und er verdarb mir das ganze Spiel, da er sich neben mich gesetzt hatte.«
»Durchlaucht meinen den Principe Caraccioli?«
»Ich glaube, so heißt er!« Der Fürst hielt ungeduldig die Hand hinters Ohr, als wolle er besser die Töne einfangen.
»Der Principe ist ein Mann von schlechtem Ruf,« beeilte sich der Beamte zu sagen, »einer jener italienischen Abenteurer, deren die Revolution dort uns so viele über die Alpen geschickt hat. Ich bin schon seit mehreren Tagen auf ihn aufmerksam gemacht worden. Seine Landsleute vermeiden, mit ihm in Umgang oder Beziehungen zu treten, man behauptet, er sei aus der päpstlichen Armee ausgestoßen worden.« Er dämpfte die Stimme. »Sollte er sich erdreistet haben …?«
»Nein, nein, es ist nicht möglich, ich glaube, er hatte andere Dinge zu tun, und – ich erinnere mich, daß ich die Dose noch in der Hand hatte, als er aufstand, sich zu entfernen – ich hatte ein scharfes Auge auf ihn. Meine eigene fatale Fahrlässigkeit ist schuld, ich werde den Verlust wohl verschmerzen müssen!«
»Dennoch …«
Es folget von jenseits des Bassins her ein Ruf um Hilfe in italienischer Sprache und dann ein Klatsch ins Wasser, dem ein lautes Lachen nachfolgte. Das Publikum begann sich zu sammeln, ließ sich aber von der deutlich hörbaren Heiterkeit täuschen und glaubte, es sei irgend jemand durch Zufall über den Rand des Bassins gefallen. Da schwerlich Lebensgefahr dabei war, lachte man selbst über den Unfall.
»Verzeihen Durchlaucht, aber ich muß doch nachsehen, was da drüben passiert ist!«
»Sie finden mich alsdann in den Speisesälen, aber nochmals – ich wünsche kein Aufsehen!« Er gab das Zeichen, ihn weiter zu schieben, da sich immer mehr Publikum ansammelte.
Als der Kapitän Baron von Kerssen und der irische Baronet den Neapolitaner zwangen, mit ihnen die Spielsäle zu verlassen, machte sich der Principe sehr bald unwillig von der Hand des Irländers los. »Lassen Sie mich, Signor, mein Wort, daß ich Ihnen folgen werde.«
Die Dame in Schwarz hatte nur flüchtig nach ihm zurückgesehen, das Spiel vor ihr fesselte ihre ganze Aufmerksamkeit.
»Was gibt es, Benedetto?«
»Eine Privat-Angelegenheit; lassen Sie sich nicht stören, Mathilde!«
Der Baronet hatte fragend seine Gemahlin angesehen, ob er den Italiener los lassen dürfe; als sie Zustimmung nickte, tat er es ziemlich mißtrauisch, indem er ihn nicht aus den Augen ließ. Es war in der Tat amüsant, zu sehen, welche unbedingte Herrschaft der energische Charakter der jungen Frau bereits über den störrischen und ungeberdigen Burschen erlangt hatte.
»Lassen Sie uns weiter gehen,« sagte der Baron, als der Irländer Miene machte, stehen zu bleiben, »dort, jenseits des Bassins sind wir allein.«
Der Neapolitaner schien anfangs Widerstand leisten und auf der Stelle eine Erklärung verlangen zu wollen, sich jedoch alsbald eines Bessern zu besinnen; er mochte das Aufsehen scheuen. Die Arme übereinander geschlagen, ging er weiter, bis sie an eine einsame Stelle kamen, dann blieb er stehen und wandte sich gegen seine Begleiter.
»Nun, Signori, ich dächte, es wäre endlich Zeit, daß Sie die Güte hätten, mir zu sagen, was Sie eigentlich von mir wünschen?«
»Sie sind der Principe Caraccioli,« sagte der westfälische Edelmann.
»Mein Name steht in der Badeliste!«
»Sie kommandierten die päpstlichen Dragoner bei Castelfidardo!«
»Da Sie selbst dabei waren, ist es kein Kunststück für Sie, das zu wissen!«
»Sie erinnern sich also meiner Person?«
»Der Herr Kamerad haben eine zu ausgezeichnete Physiognomie, als daß man sie vergessen könnte!«
»Ein Mann von Ehre hat keine Kameradschaft mit Feiglingen und Verrätern!«
»Ich muß Ihnen bemerklich machen, Signor Capitano, daß ich Ihnen schon einmal erklärte, wie billig eine Beleidigung sei, wenn man in voraus weiß, daß man dafür keine Satisfaktion zu geben gewillt ist!«
»Ah, Sie erinnern sich also der Gelegenheit! Desto besser! Dann werden Sie sich auch wohl meiner Antwort erinnern, und daß ich Ihre Genugtuung auf das Schlachtfeld verwies!«
»Wie der Erfolg zeigte, ein schlechter Wechsel, Ich bedauere unendlich, daß ich mich nicht aufhalten konnte, als Sie meinen Beistand auf der Retirade in Anspruch nahmen,« sagte der Principe höhnisch. »Indeß ist in solchen Fällen jeder sich selbst der Nächste.«
»Ein deutscher Edelmann, Signor Principe,« sagte der Kapitän stolz, »wendet dem Feind nicht den Rücken, so lange er kampffähig ist, oder wenn sein Kommandeur nicht den Rückzug befiehlt. Auch erinnere ich mich nicht, trotz meiner schweren Verwundung Ihren Beistand für mich in Anspruch genommen zu haben. Nur das weiß ich, daß ich wahrscheinlich nur einem glücklichen Zufall oder der Eile der Herren Dragoner es zu danken hatte, daß ich einem Meuchelmorde entging.«
»Herr …«
»Ich bin darin glücklicher gewesen, als der junge Franzose, den Sie meuchlings niederschossen, als er die Schwester dieses Herrn gegen Sie verteidigte.«
Die Farbe des Neapolitaners spielte ins Fahle. »Die Schwester dieses Herrn …« stammelte er. »Ja – ich erinnere mich; ich traf die Dame mitten im Gedränge der Flucht, und – nur um eine Galanterie wieder gut zu machen, die ich am Abend vorher mir erlaubt hatte, weil ich unter ihrer Kutte nicht gleich wußte, wer sie war, hielt ich es für Kavalierpflicht, mich ihrer anzunehmen und sie aus dem Gedränge zu bringen; ein mir fremder Mensch wollte mich daran hindern und griff mich mit dem Degen an, da – schoß ich ihn nieder! Voilà tont. Sie hätten es wahrscheinlich ebenso gemacht!«
Die Rechtfertigung der schändlichen Handlung, so frech und erlogen sie auch war, zeugte doch von ebenso großer Arglist wie Geistesgegenwart, so daß der deutsche Edelmann einen Augenblick verstummte.
»Ich habe also nur diesem Herrn hier,« fuhr der Italiener, seinen Vorteil schlau erkennend und benutzend fort, »nochmals meine Entschuldigung zu machen, daß ich das Unglück hatte, in einer Weinlaune die Signora, seine Schwester, zu beleidigen, weil ich sie in ihrer Verkleidung nicht erkannte, und ich freue mich, Gelegenheit zu dieser Entschuldigung gefunden zu haben, obschon es deshalb kaum nötig gewesen wäre, mich des interessanten Schauspiels des Spiels des Senor Garcia zu berauben. Da ich damit die Sache abgetan glaube, so werden Sie mir wohl erlauben, nach dem Saale zurückzukehren – es müßte denn sein – Sie hätten den Mut erhalten, die Beleidigungen, die Sie dem Principe Caraccioli anzutun beliebten, als Edelmann auch mit der Pistole in der Hand zu vertreten, woran Sie ja wohl Ihre Beinwunde nicht hindern wird.«
Er machte eine höhnische Verbeugung und wollte sich entfernen, als der deutsche Edelmann die Hand ausstreckte.
»Einen Augenblick, mein Herr!«
»Ich habe kein Recht, Sie für den Meuchelmord zur Verantwortung zu ziehen, den Sie unter dem Vorwand der Insubordination oder eines persönlichen Angriffs gegen einen jungen hoffnungsvollen Mann, den letzten Sprossen einer der edelsten Familien Frankreichs begingen und jetzt so geschickt entschuldigt haben. Aber ich weiß durch die Mitteilungen des würdigen Priesters, der bei jenem traurigen Vorfall zugegen war, daß die Tat nicht besser als Meuchelmord war! Aber da Sie nach ihr und nach dem feigen Verrat, den Sie bei Neapel wie bei Castelfidardo begangen, die Dreistigkeit haben, sich wieder in die Gesellschaft zu drängen, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß morgen die Marquise von Laroche-Beauvoir davon in Kenntnis gesetzt werden soll, in welcher Weise und von welcher Hand ihr Sohn gefallen ist, wenn sie es noch nicht wissen sollte, und …«
»Sie haben die Freiheit, der Beleidigung die Verleumdung hinzuzufügen,« sagte der Principe höhnend, »Sie duellieren sich ja nicht!«
»Nein, ich habe nicht aus religiöser Überzeugung Männern von Ehre und Mut diese gottlose und frevelhafte, eines Christen unwürdige Sitte verweigert, um meine Überzeugung einem Mann wie Sie zu opfern. Aber ich habe Ihnen zu sagen – kommen Sie näher, Vetter Solms,« unterbrach er sich in französischer Sprache, dem jungen Offizier winkend, den der Fürst ihm nachgesandt und der schon längere Zeit in einiger Entfernung dem italienisch geführten erregten Gespräch zugehört hatte – »Sie kennen mich und werden wissen, was das Wort eines Kerssen zu bedeuten hat! – ich habe Ihnen also zu sagen, daß, wenn ich Sie morgen Mittag noch in Baden-Baden, und die Gesellschaft durch Ihre Anwesenheit befleckt finde, ich bekannt machen werde, daß der neapolitanische Nobile, Principe Caraccioli, für Geld den Spion der Sardinier im päpstlichen Hauptquartier gemacht und die Ordre de Bataille dem Feinde verkauft hat. Die Beweise befinden sich in meinen Händen!«
Der hannoversche Offizier trat einen Schritt vor. »Da mein Vetter Kerssen sich aus Grundsatz nicht duelliert, so würde es mir Vergnügen machen, einem Schuft, der den Adel und den Offizierstand entehrt hat, eine Kugel in die Zähne zu schicken.«
Die Lady, die bisher schweigend der Verhandlung beigewohnt hatte, erhob ruhig die Hand.
»Torheit, Sir! Dieser Herr hat Recht, ein Gentleman duelliert sich nicht mit Leuten dieser Sorte. Sie haben meine verstorbene Schwägerin beleidigt, Sir? Terenz, mein Freund, beschmutze Deine Hand nicht mit ihm, wirf ihn wie einen schäbigen Hund ins Wasser!«
Der Baronet streckte den Arm aus, und während der Neapolitaner tückisch nach der Brusttasche fuhr und ein dort verborgenes Stilet zog, hatte er ihn, ohne ein Wort zu sprechen, bereits am Kragen gefaßt, den nach Hilfe Rufenden in die Höhe gehoben und mit der anderen Hand zufassend ihn mit samt seiner Waffe im Bogen weit hinaus in das Bassin geschleudert.
Alle wußten wohl, daß keine besondere Gefahr mit dem unfreiwilligen Bade verbunden war, und die Angstbewegungen des Neapolitaners, sein Sprudeln und Schnaufen, als er wieder emportauchte, wirkten so komisch, daß die drei Männer in ein schallendes Gelächter ausbrachen, das sich noch verstärkte, als der Principe schimpfend und drohend aus dem Wasser krabbelte und eiligst in dem nächsten ins Gebüsch führenden Gange verschwand.
Nur die Lady behielt ihre unveränderte Ruhe.
» By Good, Sir Terenz«, sagte der hannoversche Offizier, noch immer lachend, »ich weiß zwar nicht genau, was jener Bursche verbrochen hat, aber ich muß gestehen. Sie haben eine unnachahmliche Manier, eine Erklärung zu beenden. Doch, sollte die Sache ernstere Folgen und Sie keinen besser berechtigten Freund hier haben, stehe ich Ihnen gern zur Disposition.«
»Keinen Unsinn, Terenz«, sagte die Lady, »Du weißt, ich leide dergleichen nicht! Die Sache ist abgemacht.«
»Ich halte sie auch dafür, obschon der Hallunke billig genug dabei weggekommen ist,« meinte der Kapitän. »Ich denke, wir werden sein Gesicht in Baden nicht wieder zu sehen bekommen. Doch, dies Taucher-Experiment scheint einiges Aufsehen gemacht zu haben, hier ist die Polizei. Einen Augenblick, mein Herr, wenn ich bitten darf!«
Er trat mit dem eben herbeigekommenen Kommissar zur Seite, nannte diesem seinen Namen und seine Verwandtschaft und teilte ihm mit, was ihm zu wissen nötig war. Als der Kommissar hörte, in welcher Weise der Italiener behandelt worden, konnte er selbst kaum ein Lächeln unterdrücken und sagte nur, daß er bedauere, zu spät gekommen zu sein, da er beabsichtigt habe, den Herrn trotz seines vornehmen Namens wenigstens in sein Bureau mitzunehmen und einer kleinen Durchsuchung zu unterwerfen, da er den Verdacht hegen müsse, er habe mit dem Verschwinden einer wertvollen Dose des Fürsten zu tun.
Der Kapitän hörte hier zuerst von dem Verlust, der seinen Verwandten betroffen, beeilte sich aber, dem Beamten mitzuteilen, daß der Italiener nichts damit zu tun gehabt haben könnte, da er sich deutlich erinnere, im Augenblick, als er ihn genötigt habe, den Saal zu verlassen, die Dose noch auf dem Platz vor seinem Verwandten liegen gesehen zu haben.
Mit dieser Erklärung war der Verdacht des Beamten natürlich beseitigt. Es passierte so viel in den Spielbädern, daß man wenig Zeit und Lust hatte, von einem Gelegenheitsdiebstahl viel Aufsehen zu machen, und der nächste Tag sollte ohnehin ein Ereignis bringen, welches das Interesse an der gewöhnlichen Tageschronik in den Hintergrund drängen mußte.
Der Baron von Kerssen konnte natürlich nicht umhin, seinen hohen Verwandten aufzusuchen und ihm eine Erklärung seines Benehmens an dem Abend zu geben, es war ihm daher nicht unlieb, als der junge hannoversche Offizier die Gesellschaft einlud, im Konversationshause zu soupieren.
Selbst Lady Judith ließ sich bewegen, der Einladung zuzustimmen, sie schien den Charakter ihres Gatten zu gut zu kennen, um nicht zu wissen, daß sie ihn nicht aus den Augen lassen dürfe, wenn sie nicht befürchten wollte, daß er noch einmal den Neapolitaner aufsuchen werde, um einen Streit mit ihm anzufangen, dessen Folgen dann unberechenbar gewesen wären.
Die kleine Gesellschaft hatte sich übrigens kaum auf den Weg gemacht, als aus einem naheliegenden Boskett eine Frauengestalt schlüpfte und sich vorsichtig umsah.
»Wo er nur stecken mag!« flüsterte die Dame, »ich müßte meinen Mann nicht kennen, wenn er weit von hier sein sollte. Nun, das frische Bad kann im Grunde nicht schaden, es rechtfertigt die rasche Abreise. Die hohe Polizei würde gut tun, sich als erste Regel zu merken, daß man nie über Gegenstände von Interesse sprechen soll, ehe man sich versichert hat, welche Ohren sich auf fünfundzwanzig Schritt in der Runde befinden. Laßt sehen, ob wir die Macht haben, einen Ertränkten wieder ins Leben zu rufen, ohne uns selbst zu exponieren.«
Und halblaut eine italienische Tarantella trillernd, promenierte sie durch die nächsten Gänge.
Sie hatte die Runde noch nicht zweimal gemacht, als von einem der alten Bäume eine dunkle Gestalt sich löste. »Hierher, Mathilde!«
»Ah, ich dachte es mir! Nun, Freund Benedetto, was für eine neue Torheit haben Sie da angezettelt?«
»Nichts, was Sie kümmern kann,« sagte mürrisch der Principe, der hinter dem Baum hervorkam. »Hole der Teufel diese deutschen und englischen Bestien! Wir müssen noch diesen Abend mit dem Nachtzug Baden verlassen!«
»Bewahre! Ich befinde mich hier vortrefflich! Wenn Sie reisen wollen, Principe, so reisen Sie allein – ich hindere Sie nicht daran. Ja, es wird vielleicht ganz gut sein, wenn Sie auf einige Zeit verschwinden!«
»Aber … kommen Sie zunächst hierher, und helfen Sie mir, diesen nassen Rock vom Leibe ziehen und ein wenig auswinden – ich, – ich bin ins Wasser gefallen!«
»Oder geworfen worden! Genieren Sie sich nicht, Altezza! Sie waren in Monaco, als ich Sie dort traf, so stark auf das Trockene gesetzt, daß Sie schon eine kleine Anfeuchtung vertragen können.«
Der Nobile stieß einen Fluch aus. »Wenn ich bei dem verdammten Sturz in das Wasser nur nicht das Stilet verloren hätte, er hätte mir den Schimpf mit dem Leben zahlen müssen!«
»Und Sie wären dafür in ein deutsches Gefängnis gesperrt worden. Torheiten, Principe! Ich denke, vernünftige Leute wie wir, werden die Leidenschaften nie über den Verstand Herr werden lassen.«
»Aber ich kann mich nirgends mehr in der Gesellschaft sehen lassen!«
»Die Welt ist groß, lieber Freund! Brutaler Übermacht wird ein vernünftiger Mann stets aus dem Wege gehen! Jetzt gilt es nur, zu entscheiden, ob und wann Sie abreisen müssen?«
»Leider muß ich! Ich kann Ihnen die Ursache nicht sagen, sie hängt mit politischen Rücksichten zusammen.«
»Ich begreife – dieselben, weshalb Sie Ihren Aufenthalt in Monaco abkürzen mußten! Wie gesagt, wenn Sie Baden verlassen müssen, geschieht es am besten so rasch wie möglich. Ich würde in Ihrer Stelle gar nicht ins Hotel zurückkehren, mit Gepäck sind Sie ohnehin nicht sonderlich beschwert! Sie sparen überdies damit die Hotelrechnung!«
»In diesem Zustande?«
»Bah – in einer Juli-Nacht! Hier ist Ihr Hut, ganz trocken, den ich am Bassin gefunden habe. Ihr Rock ist so ziemlich vom Wasser entleert.«
Die beiden hatten mit aller Kraft das Kleidungsstück ausgewunden und der Principe sich auf der Rundbank am Baum der Stiefeln entledigt und das Wasser ausgegossen.
»Wenn ich nur wenigstens meinen Sommer-Mantel hätte, er ist weit genug, den verdorbenen Anzug zu bedecken.«
»So geben Sie mir die Nummer, ich werde ihn in der Garderobe holen lassen.«
Er gab ihr die Karte. »Die Läden unter den Arkaden sind noch nicht geschlossen. Kaufen Sie mir Schuh und Strümpfe dort!«
»Unnütze Geldverschwendung! Erwarten Sie mich hier!«
Sie entfernte sich; in einem der nächsten Gänge an einer Bank griff sie unter dieselbe und verbarg einen Gegenstand dort; dann näherte sie sich mit der ungenierten Haltung einer promenierenden Dame dem Konversationshause, mischte sich unter die noch immer flanierende Menge und beauftragte einen der dienstbaren Geister, aus der Garderobe am Eingang der Spielsalons den leichten Sommermantel zu holen. Ein reichliches Trinkgeld gab dem Auftrag Nachdruck, und als der Kellner dies Kleidungsstück brachte, warf sie es über den Arm und ging nach den Kolonnaden.
Ein paar Strümpfe und passende Schuhe waren rasch gekauft, aber ehe sie sich nach den Anlagen zurückwandte, trat sie noch in einen der Läden und suchte unter den Necessaires und Quincaillerien eine kleine, feste Stahlkassette mit englischem Schloß aus, die sie ohne zu feilschen bezahlte. Dann erst kehrte sie zurück nach den Gängen am Teich.
Auf der Bank, hinter der sie vorhin den Gegenstand verborgen, setzte sie sich nach vorsichtiger Umschau nieder, hob das Versteckte auf, schob es in die Kassette und verschloß diese. Den Schlüssel steckte sie zu sich.
»So! Es ist besser für alle Fälle, wenn man sich etwa erlauben sollte, gegen mich Verdacht zu hegen!«
Sie fand den Italiener trotz der warmen Sommernacht vor Frost schaudernd auf der Stelle, wo sie ihn verlassen.
»Hier mein Freund, Ihren Mantel und Schuhe und Strümpfe, Sie sehen, daß ich das Geld nicht schonte.«
Er warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. »Wohin wollen Sie, daß ich gehe!«
»Erwarten Sie mich in Brüssel, in spätestens zehn Tagen werde ich dort sein. Geben Sie poste restante Ihre Adresse.«
»Unter Ihrem Namen?«
»Bewahre! Schreiben Sie einfach Madame Matilde Nummer – welches Datum haben wir heute?«
»Den dreizehnten!«
»Nun also Nummer dreizehn!«
»Sie kommen sicher?«
»Ich habe Ihnen schon früher gesagt, daß ich in Brüssel Geschäfte habe. Gehen Sie über Straßburg; bei der gewiß starken Passage heute wird man es mit der Legitimation nicht so genau nehmen, der Zug geht in einer halben Stunde, in zwei Stunden sind Sie dort und können im nächsten Hotel den Schnupfen verschlafen. Eilen Sie also!«
»Ja,« sagte zögernd der Principe, »wir haben noch das beste vergessen!«
»Wieso?«
»Ich lasse meine ganzen Sachen zurück; Sie wissen, daß man mich an der Bank von Monaco vollständig geplündert hatte.«
»Machen Sie mich nicht lachen, Benedetto,« sagte die Dame, »seit wir in Baden spielen, hat Ihr Anteil mindestens fünfzehntausend Francs betragen, obschon ich das Kapital dazu hergab. Ich weiß, daß Sie Ihr Geld stets bei sich tragen; sehen Sie nur nach – in der Ledertasche auf der Brust!«
»Die Banknoten können durchnäßt sein; jedenfalls haben wir noch den heutigen Gewinn zu teilen. Wir haben ungefähr zwanzigtausend Franken gewonnen!«
»Ich werde dafür Ihre Rechnung bezahlen!«
»Unsinn, Matilde! Ich gehe nicht von der Stelle, bis ich meinen Anteil habe. Geben Sie mir zehntausend Franken und bezahlen Sie unter irgend einem Vorwand meine Rechnung, schon weil man uns stets beisammen gesehen und die Wirte nur dann für die Polizei blind und taub sind, wenn ihre Rechnungen nicht geprüft werden!«
»Geizhals! Ihre Affaire war schuld, daß ich den Hauptcoup verfehlte. Senor Garcia hat die Bank gesprengt!«
»Verflucht! Es ist ein Unglücksabend! Es muß mich heute jemand mit dem bösen Blick angeschaut haben. Also geben Sie, oder ich versäume den Zug!«
Nach verschiedenen Einwendungen mußte die Dame sich in der Tat dazu bequemen, die Spielbeute zu teilen. »Aber dafür einen Dienst, Principe!«
»Tausend für einen! Sie wissen, daß ich ganz der Ihre bin, meine Angebetete.«
»Hier, nehmen Sie dies Kästchen an sich, und bewahren Sie es sorgfältig, bis wir uns in Brüssel wieder treffen.«
»Darf ich wissen, was es enthält?«
»Der Inhalt ist werthlos für Sie … nur für mich von Interesse, aber ein Mann entzieht dergleichen eher der Douane! Ihr Ehrenwort darauf, daß ich es unversehrt in Brüssel wieder finde?«
»So unversehrt wie mich selbst!«
»So leben Sie wohl! Ich kehre in das Hotel zurück, während Sie einen Fiacre zum Bahnhof nehmen. Glückliche Reise!«
Sie entfernten sich beide nach verschiedenen Seiten.
Herrosé & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.