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Der italienische Bismarck!

Camillo Cavour war im Jahre 1809 in Turin geboren als Sohn eines reichen Getreidehändlers aus der Grafschaft Nizza, der von König Carlo Alberto geadelt wurde. Er hatte sich frühzeitig dem Studium der National-Ökonomie zugewendet, beteiligte sich an der Redaktion konstitutioneller Blätter und 1847 an der Adresse an den König, die um Erteilung einer Konstitution für das Land petitionierte. Zum Mitglied der Kammer gewählt, wurde er von dem neuen Minister-Präsidenten Victor Emanuels, dem Marquis d'Azeglio, 1850 in das Ministerium berufen und erhielt das Portefeuille des Handels, im Jahre darauf auch das der Finanzen.

Schon damals, als Azeglio dem König die Berufung Cavours vorschlug, hatte Victor Emanuel Scharfblick genug, ihm zu sagen: Aber sehen Sie nicht, daß dieser Mann Sie alle ausstechen wird?

Der neue Minister hatte die schwere Aufgabe, die durch den Unglücklichen Krieg von 1849 zerrütteten Finanzen zu ordnen und die Mittel herbeizuschaffen, welche die Reorganisation eines Staates, der seit einem Menschenalter alle politischen und wissenschaftlichen Fortschritte vernachlässigt hatte, unumgänglich notwendig machte. Und der neue Finanzminister löste diese Aufgabe.

Schon 1852 legte er zwar sein Portefeuille nieder, aber schon im Oktober desselben Jahres, als d'Azeglio wegen des Zerwürfnisses mit der Kurie, die den neuen Kirchengesetzen den leidenschaftlichsten Widerstand entgegensetzte, zurücktrat, stellte ihn der König auf seines Vorgängers Rat wieder an die Spitze des neuen Kabinets mit dem Portefeuille der Finanzen, dem später das des Auswärtigen folgte.

Von einer festen Majorität der Kammer unterstützt, verfolgte er seitdem eine liberale und nationale Politik, auf die Grundsätze der Konstitution von 1848 gestützt. Sie brachte ihn bald in heftige Kollision mit der Geistlichkeit Sardiniens, gegen deren Widerstand er den Verkauf der Besitzungen zur toten Hand durchsetzte und den religiösen Orden das Monopol des Unterrichts entzog.

Schon damals drohte der Papst, über ihn und den König den Kirchenbann zu verhängen und zwang ihn, die Einführung der Zivilehe und die vollständige Befreiung der Laien von der Herrschaft der Kirche wenigstens zu vertagen.

Der freisinnigeren Politik im Innern schloß sich in seinen Bestrebungen die nationale auf eine Einigung Italiens unter dem Hause Savoyen gerichtete an, die er nie aus den Augen verlor, und für die er selbst den Gegnern seiner Tendenzen Opfer brachte und Konzessionen machte, so durch die Verbindung mit ihnen, den offenen Republikanern unter Mazzini und Garibaldi, und dem Kaiser Napoleon durch die Abtretung von Nizza und Savoyen und die Maßregeln gegen die politischen Flüchtlinge nach dem Orsinischen Attentat.

Diesen auf die Zukunft spekulierenden Plänen war auch der Anschluß an England und Frankreich beim Krimkriege zuzuschreiben und die nach dessen Beendigung bald eintretende Wieder-Annäherung an Rußland durch die Überlassung des Hafens von Villafranca.

Die Repräsentation seines Hauses lag, da er nicht verheiratet war, den Töchtern seines Bruders ob. Dessen Sohn sollte sein Erbe sein, als der einzige männliche Sproß der Familie, die mit ihm im Mannesstamm auszusterben drohte.

Der Graf hegte große Liebe zu seiner jüngeren Nichte, der Kontessa Marietta, der glücklichen Verlobten eines Grafen Castelgufo, den Cavour zu seinem Schüler in der Politik auszubilden sich bemühte und für die diplomatische Karriere bestimmt hatte. Im nächsten Spätherst sollte die Hochzeit sein, und der junge Diplomat sollte dann einer der größeren Gesandtschaften attachiert werden.

Aber selbst in seinem Tusculum, einer jener prächtigen Villen, die am rechten Ufer des Po und am Abhang der Hügelkette liegen, die dem Strom von Moncalieri bis Casali folgt, war der Minister-Präsident keineswegs vor zahlreichem Verkehr gesichert und er hatte seinem Landsitz vielleicht deshalb den Namen Varcina Varco: Ausgang, Durchgang; varcare: hinübergehen oder fahren gegeben. Es besuchten ihn hier außer den Freunden der Familie die hervorragenden Fremden und zahlreiche Personen, die er eingeladen oder denen er ein ungenierteres Rendezvous geben wollte, als es in dem Ministerpalais der Hauptstadt möglich war.

So zahlreicher, rasch aufeinander folgender Besuch schien sich auch heut an einem Tage zu Ende des März schon am Vormittag eingefunden zu haben, denn auf dem Vorplatz der Villa hielt eine elegante Equipage mit reich galloniertem Jäger auf dem Bock, und ein Stallbube führte eben ein von scharfem Ritt noch dampfendes Pferd zur Abkühlung langsam auf und nieder, ehe er es in den Stall bringen sollte.

Der Kutscher des Hauses stand neben dem Bock der Equipage, mit seinem Kollegen plaudernd.

»Also das ist der Generale Prussiano, der gekommen ist, um unserem Ré Glück zu wünschen zu dem neuen Königtum von Italien? Schau, Gasparo, es ist doch hübsch, daß die Barbari hierherkommen, ihren Respekt zu bezeugen für die italienische Nation! Ja, ja, unser Conte, der verstehts, sich in Achtung zu setzen.«

Der Kutscher auf dem Bock kratzte sich hinter den Ohren. »Schau, Filippo, ich weiß nicht recht, ob der General hierher gekommen ist wegen des neuen Königtums draußen in Prussia oder wegen dem hier in Turin. Ich versteh ihre verdammte Sprache noch nicht so recht oder hab's vergessen. So viel weiß ich nur, daß mein Gesandter mit dem fremden Offizier herausgefahren ist, weil dieser Deinem Grafen einen Abschiedsbesuch machen wollte; denn er fährt morgen wieder fort nach Berlin!«

»Berlin?« meinte der andere, »das liegt wohl da über den Bergen, hinter Paris, oder über der See, wo die Kosacken, die Russen und die andern wilden Völkerschaften wohnen?«

» Babbaccione! Du weißt doch, daß ich bei einem zahmen Gesandten in Dienst bin und nicht bei einem wilden! Wenns ein wilder wäre, wäre er gewiß auch auf und davon, wie der Graf Stackelberg, den sein Herr, der russische Kaiser, fortgerufen, weil der König Vittorio Emanuele und Dein Herr den armen Bombino und den heiligen Vater so schlecht behandelt haben. Nein, mein Sohn, Berlin ist das Turin von einem Lande jenseits der Alpen, wo sie die Österreicher so wenig leiden mögen, wie wir, und es soll, wie unsere Leute auf der Gesandtschaft erzählen, noch drei Mal so groß sein, wie unser Turin, wenn sie auch keinen Po haben, sondern nur ein stinkendes Wasser. Und obschon die Leute, die dort wohnen, Ketzer sind, soll es doch auch katholische Christen und Kirchen dort geben, so gut wie bei uns.«

»Schau, compare mio, was Du nicht alles weißt! Aber ich muß Dir sagen, ich habe mir ein ganz anderes Bild von diesen Prussiani gemacht, als Dein Herr ist und dieser Generale. Ich habe immer geglaubt, die Leute jenseits der Alpen wären halbe Riesen und könnten mit einem Faustschlag einen Ochsen tot schlagen.«

Der gesandtschaftliche Kutscher lachte. »Ja, guter Filippo, es muß doch wohl nicht so sein, denn unsere alte Exzellenza ist kein Riese und schlägt keine Katze tot, obgleich er Gespenster zitieren kann und mit den Seelen aus dem Fegfeuer verkehren soll. Na und es ist wahr – dieser Generale sieht auch nicht aus wie ein gewaltiger Kriegsheld. Aber he – wer ist denn das dort? Den habe ich bei Euch ja noch gar nicht gesehen?«

O, er ist schon einen Monat im Dienst, es ist der neue Jäger. Ich glaube, die jetzige Wirtschafterin selbst, die Signora Martina protegiert ihn, und es ist ein netter Bursche, nur zu wenig gesellig. Seit des Herrn alter Kammerdiener, der Paolo, tot ist, der ihn von Kindesbeinen so zu sagen bedient hat, haben sie schon zwei Mal gewechselt, und keiner kanns dem Herrn recht machen. Der da läßt sich aber gut an, wie ich die Comtessa Marietta selber neulich zu ihrem Bräutigam sagen hörte, der eben wieder angekommen ist.«

Die Frage und Antwort hatte einem schlanken großen Mann mit starkem Bart in Jäger-Livree gegolten, der eben aus einem Seitenbau kam. Dort befand sich die Küche der Villa, und der Diener trug auf einem silbernen Präsentierteller eine Tasse Schokolade nach dem Hauptgebäude.

»Na,« sagte der Gesandtschafts-Kutscher, »ist das Euer ganzes Frühstück? Da verstehn wirs besser.«

»Es ist das Frühstück des Herrn,« meinte sein Gefährte, »er nimmt stets um 1 Uhr seine Tasse Schokolade, das einzige, was er vor Tisch genießt. Er ist überhaupt sehr mäßig, obschon ers doch haben könnte; aber er soll ein bischen wassersüchtig sein, wie die Doktoren sagen. Sonst ist er kerngesund. Was uns anbetrifft, so haben wirs freilich weit besser, wenn wir drüben im Palazzo Cavour sind, an der Ecke der Via Cavour und der Via Lagrange. Es ist seines Vaters Haus, und er ist auch darin geboren Der Palazzo Cavour, in dem auch der Minister starb, ist nach dem Tode seines Neffen und Erben in andere Hände übergegangen.. Die Economa drüben ist auch ein ganz anderes Weib, sie gönnt anderen Leuten was, während die hier auf der Villa – da schielt sie eben aus der Küchentür! – ein geiziger Satan ist. Ich hoffe, man jagt sie bald wieder fort, denn die ganze Dienerschaft beklagt sich über sie.«

Aus dem Hauptgebäude der Villa kam der Jäger des Minister-Präsidenten zurück, sein Gang war etwas schwankend, ungleich, sein Gesicht gerötet; er nahm seinen Weg zur Küche, in deren Tür die Haushälterin stand, eine blonde schmächtige blasse Frau von etwa 28 Jahren mit wunderbar schönen schwarzen Augen, die jedoch etwas Rattenartiges hatten.

Der Jäger ging auf sie zu.

»Haben Sie dem Herrn die Schokolade gebracht, Antonio,« fragte sie.

»Ich habe sie in den Salon gesetzt; der Herr ist noch bei den Fremden.« – Er fuhr mit der Hand über die brennende Stirn und die Augen. »Eh' ich's vergesse, Signora Martina – die Comtessa fragte, ob noch mehr Schokolade da sei.«

»O, gewiß. Sie haben doch gesagt, daß sie sogleich welche bekommen könne?«

Der Jäger schauderte leicht zusammen. »Gewiß, aber,« er warf einen ängstlichen fragenden Blick auf sie.

»O – ich werde sogleich frische machen. Sollen Sie welche holen? Vielleicht für den Bräutigam? Ein hübscher Mann, dieser junge Conte. Sie werden sehr glücklich sein, wenn sie zum Herbst heiraten – – können!«

»Die Contessa hat noch nichts befohlen!«

»Gehen Sie auf Ihre Kammer, Antonio,« sagte leise die Haushälterin, »oder, in den Garten. Sie sehen echauffiert aus!«

Der Jäger murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen, dann stieg er in der Tat zu seiner Kammer hinauf, die ebenfalls in dem Nebengebäude lag.

Die Wirtschafterin sah ihn mit einem spöttischen Lächeln nach. »Bah!« sagte sie, »es ist nur das erste Mal! Ich muß geschwind neue bereiten, wenn man sie verlangt. Ja, die neapolitanischen Schokoladen sind immer berühmt gewesen, namentlich die Diavolinas!«

Im Salon der Villa befand sich die Contessa Marietta mit ihrer Mutter und ihrem Bräutigam, dem sie mit dem Battisttuch den Schweiß von der Stirn trocknete.

»Armer Freund, Du bist ja ganz erschöpft von dem langen und raschen Ritt. Bis La Venaria Ein königliches Lustschloß. und zurück, das sind ja zwölf Miglien. Am Ende hast Du kaum gefrühstückt?«

»Nicht einen Trunk Wasser! Ich wollte unterwegs in einer Trattoria eine Foglietta Asti nehmen, aber er sah mir etwas gar zu trübe aus und schmeckte so jung, daß ich ihn stehen ließ. Ich wollte Dich nicht warten lassen, und so gab ich nur die Depeschen auf dem Ministerium ab und ritt gleich hierher weiter.«

»Dafür, caro Wendelino, sollst Du auch einen Kuß haben und – auch etwas Konsistenteres. Da, mein Herz, nimm einstweilen die Schokolade des Onkels,« – sie holte das Silbertablet von einem Seitentisch, wohin es der Jäger gestellt hatte, und präsentierte ihm die Tasse. »Der preußische Gesandte und der fremde General sind bei dem Onkel, und Graf Brassier hat immer allerlei Schnurren und Anekdötchen, mit denen er nicht fertig wird. Auch wartet, glaub' ich, noch ein anderer fremder Herr auf Audienz – es ist also besser. Du trinkst sein Frühstück, als daß es kalt wird. Antonio mag anderes bringen, wenn der Onkel schellt.«

Der junge Diplomat nahm die Tasse und löffelte sie mit Behagen leer, während er seine Unterhaltung mit den Damen fortsetzte. – – – – – – –


Wen man in das einfach schöne, in klassischer Form gehaltene Vestibule der Villa trat, lag der kleine Gesellschafts-Salon zur Linken, sich auf eine Gartenterrasse öffnend, während rechts das geräumige Empfangs- und Arbeitszimmer des Ministers sich befand, an das nach hinten sein Schlafzimmer stieß.

Während die bräutliche Fürsorge so das Frühstück des Hausherrn eskamotierte, befand sich dieser in seinem Empfangszimmer mit dem preußischen Gesandten, dem Grafen Brassier de St. Simon und dem mit der Notifizierung des Thronwechsels beauftragten preußischen Botschafter General Bonin.

Der sardinische Minister-Präsident Graf Cavour war ein Mann von Mittelgröße, ziemlich untersetzt und sehr korpulent, das Gesicht rund und freundlich, von braunem Rundbart umgeben, die kleinen klugen Augen hinter einer goldgefaßten Brille verborgen. Er hatte eine scharfe nicht angenehme Stimme und durchaus kein schwungvolles rhetorisches Talent, aber große Schlagfertigkeit und kaustischen Witz, und vor allem die Gabe einer scharfen präzisierten Darstellung, was ihm eben in der Kammer ein großes Übergewicht über die leidenschaftlichen Redner beider Parteien verschaffte.

Die drei Anwesenden saßen um einen kleinen mit Rauchutensilien belegten Rundtisch vor dem Eckdivan des Zimmers und waren in eifriger politischer Unterhaltung begriffen. Der Gesandte Graf Brassier de St. Simon-Vallade war bereits 63 Jahr und hatte eine längere diplomatische Laufbahn hinter sich, in der ihn namentlich seine Tätigkeit in Konstantinopel und seine Inklination für den Mesmerismus und die Lehren des Somnambulismus bekannt gemacht hatten. Man erzählte sich, daß er, obschon in älteren Jahren mit einer Tochter des russischen Geheimen Rats- und Oberkammerherrn Grafen Ribeaupierre aus dem Geschlecht der Potemkin verheiratet, doch stets ein weibliches Media oder zu Zeiten auch mehrere zur Hand hatte, und daß er die somnambulen Ausströmungen häufig zu sehr ungeistigen Versuchen benutzte.

Der Graf war von kleiner Statur, mit starkem Kopf, etwas eitel und dabei als sehr geizig verschrieen.

Ruhig folgte der lebhaften Unterhaltung der beiden der dritte der Anwesenden, der preußische General von Bonin, General-Adjutant des Königs. Der General war von mittelgroßer, fast zierlicher Gestalt, mit feinem, klugen Gesicht.

Das Gespräch hatte sich, da der Besuch kein offizieller war, sehr natürlich auf die Ereignisse in Mittel- und Unter-Italien gewendet. »Sagen Euer Exzellenz,« fragte der Gesandte, »wenn die Frage nicht indiskret erscheint, was in aller Welt ist denn eigentlich an der Geschichte mit General Pinelli?«

Der Minister lächelte. »Ich fürchte, sie ist wahr! Da fast alle Welt davon spricht, braucht man kein Geheimnis daraus zu machen. Nur möchte ich niemandem raten, sie in Gegenwart des armen Pinelli zu erzählen, er speit Feuer und Flamme. – Es blieb freilich nichts übrig, als ihn abzuberufen, denn er hat es in der Tat etwas arg getrieben.«

»Pinelli?« fragte der preußische General. »Ist das derselbe, von dem der Konstitutionel den famosen Tagesbefehl mitteilt, und die französischen Offiziere erklärt haben, daß wenn er sich an einem Ort blicken lassen werde, den französische Truppen inne haben, sie – ich weiß nicht gleich was – mit ihm vornehmen würden.«

Der Minister war etwas rot geworden. »Sprechen Sie es immer aus, Exzellenz, man hat gedroht, ihn mit dem Steigbügel-Riemen zu regalieren; aber Sie wissen, von der Drohung bis zur Ausführung ist immer noch ein weiter Weg, das hat der Streit zwischen Herrn Pelissier und Herrn Cialdini bewiesen. Es ist wahr, er hat etwas brutal gehandelt, aber mit diesem Räuberunwesen ist nun einmal nur mit eiserner Konsequenz und Strenge fertig zu werden.«

»Ja, Exzellenz,« sagte boshaft, sich die Hände reibend, der Gesandte, »bei unseren Revolutionären scheeren oder die eine Hand mit unvertilgbarem Schwarz würde es nicht viel helfen, ihnen den halben Kopf zu bepinseln. Da hilft nur Pulver und Blei.«

»Vielleicht, wenn man sie in somnambülen Schlaf versetzte,« meinte der General ironisch. »Exzellenz sind strenge Maßregeln wahrscheinlich noch von dem Umgang mit den Türken gewohnt.«

Der Gesandte, der gar zu gern andere schraubte, meinte mit unschuldigem Lächeln, er freue sich, eine gewisse Wahlverwandtschaft mit dem Herrn General zu besitzen.

»Bei alledem,« sagte der General sich erhebend, »kann ich Euer Exzellenz nur versichern, daß auch Seine Majestät, König Wilhelm, der Regierung Ihres Erlauchten Monarchen nur seine Achtung zollen wird für diese Konzession an die öffentliche Meinung Europas und der soldatischen Ehre, und ich hoffe, daß sie dazu beitragen wird, auch unsere diplomatischen Anschauungen auszugleichen, wozu der Herr Gesandte hier mit seinem providentiellen Blick in die Zukunft ja gewiß die Hand bieten wird.«

Der italienische Minister-Präsident, der mit seiner kaustischen Miene dem kleinen Wortgefecht der tendenziellen politischen Gegner gefolgt war, reichte dem General die Hand.

»Euer Exzellenz erfreuen mich durch diese Aussicht aufs Höchste. Ich bitte, Ihrem gnädigsten Herrn und König meine tiefste Ehrfurcht zu Füßen legen zu wollen und auch Herrn von Schleinitz, wenn Sie Gelegenheit dazu finden, mich zu empfehlen, obschon er nicht dieselben Sympathien für unsere italienische Politik zu empfinden scheint, wie Herr von Vincke; bitte sagen Sie ihm,« – und die starke beleibte Gestalt des italienischen Staatsmannes schien förmlich zu wachsen – »was sich ja nicht in diplomatische Noten fassen läßt, daß ich hoffe, es werde, und zwar recht bald, auch für Deutschland die Zeit kommen, wo es wie Italien nicht bloß das Bedürfnis einer großen Einigung fühlen, sondern diese auch erreichen werde, und daß dann es Preußen vorbehalten sein werde, diese Einigung herbeizuführen und an ihrer Spitze zu stehen. Wir konnten nicht erwarten, daß dies ohne den Kitt des Blutes geschehen werde, und ich glaube, Ihre jetzigen oder künftigen Staatsmänner werden dies auch nicht erwarten. Wenn Gott dann nicht anders über mich verfügt haben und ich noch auf diesem Posten stehen sollte, wird Preußen und das geeinigte Deutschland keinen festeren Bundesgenossen haben, als Italien; denn, Exzellenz, unsere Interessen und Wege sind dieselben, und die drei Gegner, die wir zu bekämpfen haben, werden auch die Ihren sein. Bis dahin, Exzellenz, freut es mich. Sie bitten zu dürfen, einstweilen in Berlin zu versichern, daß es der ernste Wille Seiner Majestät des Königs Viktor Emanuel ist, allen Ausschweifungen der revolutionären Fraktionen, die zu Verwickelungen mit Deutschland und dem preußischen Beruf für dasselbe führen könnten, mit aller Kraft entgegenzutreten.«

Der Gesandte schaute zwar etwas verblüfft durch diese Eröffnungen über seinen Kopf hinweg, aber der preußische General schüttelte dem italienischen Staatsmann herzlich die Hand, und die beiden Herren verließen, von ihm bis zur Schwelle des Foyers begleitet, die Villa.

Als die beiden Gesandten zur Stadt zurückkehrten, wandte sich der General an seinen Begleiter.

»Was ist das für eine Geschichte oder Anekdote von General Pinelli?«

»Man erzählt sie verschieden – leider figuriert auch der Name eines ehemaligen preußischen Offiziers dabei, eines Herrn von Arnim, der bei den piemontesischen Truppen stand. Der General soll in höchst brutaler Weise ein junges Mädchen, eine Irländerin und Verwandte des spanischen Marschalls O'Donnell, die sich bei einer Truppe befand, die nach dem Treffen von Castelfidardo den Gebirgskrieg gegen die Sardinier fortsetzte, und die bei dem Bemühen, gefangene piemontesische Soldaten vor einem schrecklichen Tode zu retten, in seine Hände fiel, abscheulich behandelt haben, sodaß sich selbst die piemontesischen Offiziere darüber beim Kriegsminister beschwerten. Leutnant von Arnim, der zu den von ihr geretteten Offizieren gehörte, hat, als er die von General Pinelli befohlene Exekution der Rutenhiebe auf jene Teile, durch welche sich die Venus vulgivaga im jetzigen Museo nationale zu Neapel so verlockend auszeichnet, nicht hindern konnte, das Mädchen erschossen, um sie vor der Schmach zu schützen. Wie gesagt, die Geschichte hat einiges Aufsehen gemacht und soll unter einigen Tollköpfen in Rom zu der Wette Veranlassung gegeben haben, General Pinelli mit derselben Züchtigung zu bestrafen, zu der er die junge Irländerin verurteilt hatte. Kurz, die tollen Burschen haben ihre Maßregeln so gut genommen gehabt und scheinen durch Spione so vortrefflich bedient gewesen zu sein, daß sie den zurückberufenen General auf einer Fahrt von Rom zur Grenze abfingen, oder vielmehr aus seinem Wagen lockten und ihm, ohne ihn sonst zu schädigen, die fünfundzwanzig Rutenhiebe applizieren konnten, welche die arme Irländerin nicht erhalten hatte.«

»Hat man die Täter nicht entdeckt?«

»Sie sollen sämtlich geschwärzte Gesichter gehabt haben, auch hat die französische Polizei in Rom jetzt andere Dinge zu tun und ist nicht gut auf die Herren Piemontesen zu sprechen, deren Freunde in Rom ihr allnächtlich viel Arbeit geben. So wird General Pinelli wohl seine Schläge behalten müssen, so gut wie sein Kollege Landi die falschen Banknoten, die er von dem alten Schlaukopf Garibaldi in Sizilien für seinen Verrat erhalten hat.«

»Wo ist der General jetzt?«

»Welchen meinen Exzellenz? Wir haben der Generale hier jetzt so viele im Lande umherlaufen, nationalisierte und reaktionäre, daß man den Po mit ihnen zustopfen könnte.«

»Ich meine General Garibaldi!«

»Ei, der befindet sich auf seinem Nest Caprera, ärgert sich, daß er sich in seinem Alter und nach zwölfjährigem Witwenstande von einer Courtisane, der berüchtigten Gräfin Raimondi, hat zur Heirat verführen lassen, macht sich mit der Bezahlung der Schulden seines liederlichen Sohnes Ricciotti zum Bettler, nur immer bemüht, den Ungeratenen vor den Griffen der Kriminalpolizei zu salvieren, grollt dem König und Herrn Cavour, daß sie ihn als General-Gouverneur Neapel und Sizilien fortgeschickt und seine geliebten Rothemden als zuchtlose Bande auf den Schub gebracht haben, und bereitet eine neue Expedition der Freischaren zur Eroberung Venetiens und des südlichen Tyrol vor.«

»Aber Sie hörten, Graf, welche Versicherung uns Herr Cavour unaufgefordert gab.«

»Ah, ah, liebste Exzellenz,« machte der Gesandte, der offenbar seine Niederlage von vorhin auswetzen wollte, »die ›Unitia Italia‹ von heute Morgen behauptet ganz bestimmt, daß zwischen Frankreich und Piemont ein geheimes Bündnis bestehe, das dem einen die Rheingrenze und dem andern Rom, Venetien und Bozen sichern soll; Graf Cavour ist ein Mann, der ohne sonderliche Gewissensbisse die guten Gelegenheiten wahrzunehmen pflegt und selbst seinem hohen Protektor in Paris die jetzigen müratistischen Proklamationen in Neapel mit allerlei Putschen in Rom zu vergelten versteht. Wenn es Herrn Kossuth wirklich gelingen sollte, in Ungarn eine neue Erhebung zu Stande zu bringen, wird er seinem Freund Garibaldi wahrhaftig nicht große Hindernisse in den Weg legen, noch einmal den Weg über Spondalunga nach Tyrol zu versuchen. Lassen Sie sich sagen, Exzellenz, daß man, um der Politik dieser Italiener zu folgen, ein sehr scharfes Auge und eine vortreffliche Nase haben muß. Die neue Königskrone von Italien steht in diesem Augenblick auf einem sehr vulkanischen Boden; denn auf den Ruf ihres alten Meisters sammelt sich die ganze Bande in Genua; von Marseille erwartet man bedeutende Waffensendungen, und die ungarische und polnische Emigration sind in lebhafter Bewegung.«

»Ich kann mich eben nur an das halboffiziöse Desaveu halten,« meinte der General. »Ich empfinde so wenig Sympathieen für die Russen, wie für die Österreicher.«

Die Antwort des Gesandten blieb unverständlich, die Equipage rollte eben über die Ponte del Po und die prächtige Piazza Vittorio Emanuele. – – –


Der Minister-Präsident wollte, von der Begleitung zurückkehrend, sich eben nach dem Familiensalon wenden, um das gewohnte Frühstück einzunehmen, als ihm einfiel, daß noch eine andere Person auf Audienz harre. Er kehrte daher in sein Arbeitszimmer zurück und öffnete selbst die Tür seines Schlafkabinetts, in das er die Person bei der Ankunft der beiden Preußen hatte eintreten lassen.

»Nun, mein Herr, wenn es Ihnen gefällig ist! Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht eher befreite, aber die diplomatischen Pflichten gehen oft über die Gebote der Höflichkeit. Bitte, nehmen Sie Platz.«

Der Eingetretene war ein Mann in den fünfziger Jahren, von hoher schlanker Gestalt, den magyarischen Typus in Gesicht und Haltung. Übrigens kennzeichnete ihn auch die ungarische Tracht als einen Sohn dieses Landes.

Der Minister hatte eine Visiten-Karte von seinem Schreibtisch genommen und las den Namen: »Herr Maytényi

»Zu dienen, Exzellenz, ein Verwandter und Freund des Herrn Kossuth.«

»Ich habe Ihren Namen heute Morgen in einem Telegramm gefunden. Sie haben gestern in einer Versammlung des Revolutions-Komitees in Mailand Mitteilungen des General Klapka aus London gemacht?«

»Euer Exzellenz sind bereits gut unterrichtet, und das wird mir meinen Auftrag erleichtern. Der General hat mir befohlen, Eurer Exzellenz diesen Brief zu eigenen Händen zu übergeben und Ihre Befehle in Empfang zu nehmen.«

Der Minister nahm den Brief und behielt ihn in der Hand, ohne ihn zu erbrechen.

»General Klapka befindet sich gegenwärtig in London?«

»So ist es, Exzellenz! Der General schreibt mir nur, daß er in London Kossuth und den Chef des englischen Komitees für die Befreiung Ungarns gesprochen hat, und daß unsere Sache gut steht. Im übrigen verweist er mich an Euer Exzellenz.«

»Hm! Das Telegramm, – eine ausführlichere Nachricht habe ich noch nicht erhalten – spricht auch von einem Briefe des General Türr.«

»Ganz richtig! Der General hat an den Syndikus Beretta geschrieben. Er hat vortreffliche Aufnahme in Paris gefunden, zweimal den Prinzen Napoleon gesprochen –«

»Seine Kaiserliche Hoheit steht infolge seiner Brandrede im Senat gegenwärtig etwas in Mißkredit!«

»Euer Exzellenz wissen, daß dies nur scheinbar der Fall sein kann. Der Prinz ist mit unserem Vorgehen vollkommen einverstanden, General Türr hat die besten Zusicherungen erhalten, es sind ihm bedeutende Mittel in Aussicht gestellt, und er wird dem Komitee binnen Kurzem 60 000 Franken und 3000 Jägerstutzen senden. General Garibaldi hat seine Stabsoffiziere nach Brescia geladen, und Kossuth verspricht, dazu einzutreffen.«

»Sie haben sich in Turin wohl nicht aufgehalten, Herr Maytényi?«

»Nein, Exzellenz! In bin diesen Morgen von Mailand abgereist und habe mich von Turin gleich auf den Weg gemacht, da ich begierig bin,« – er wies auf den Brief – »die Befehle Euer Exzellenz entgegenzunehmen.«

»Ah so – ich vergaß! Sie erlauben wohl!« Der Minister öffnete mit einer ziemlich kühlen Neigung des Kopfes den Brief, ein Blatt fiel heraus, das er ansah und mit einem feinen Lächeln auf seinen Schreibtisch legte, dann las er den Brief.

»Es ist, wie ich mir dachte. Hat Ihnen Herr Klapka auch eine Abschrift des großen Feldzugsplanes gesandt?«

»Mir? – nein – was ich von General Mieroslawski weiß – ich hoffe von Euer Exzellenz das weitere …«

Der Minister hatte das vorhin überflogene Blatt ausgenommen.

»Nun so hören Sie wenigstens die allgemeinen Züge. Es sollen sich 20- bis 30 000 Freischärler Ende März, in 5 oder 6 Divisionen abgeteilt, an den Abhängen der Schweizer und Tyroler Alpen sammeln! Das Hauptquartier wird in Bergamo sein, die Vorhut in Brescia und Desenzano. Führer der verschiedenen Abteilungen: Rino, Bixio, Cosenz, Medici, Türr und Mieroslawski. Nach zwei oder drei gegen die Mincio- und Po-Grenze ausgeführten Schein-Angriffen werfen die Elitetruppen dieser Divisionen sich in die Engpässe Süd-Tyrols und suchen durch rasche Besetzung der dominierenden Positionen dieses für den Partisanenkrieg höchst geeignete Gebirgsland unter ihre Herrschaft zu bringen. Während ein Teil der revolutionären Kolonnen in Tyrol Stellung gewinnt, um die Annexion des Landes bis nach Bozen und dem Passeyer für Italien vorzubereiten, dringen die beweglichsten Scharen möglichst rasch auf den Straßen von Vicenza, Bassano, Belluno vor, um die Kommunikation der österreichischen Abteilungen zu beunruhigen, andere werfen sich auf Brixen und Brunecken, um in die Kärnthner Alpen einzudringen, und von dort den südslavischen, ungarischen und deutschen Bundesgenossen die Hand zu reichen. Die Hauptführer werden sich über Udine nach Triest werfen, durch einen Handstreich sich des Hafens bemächtigen, um von dort aus Illyrien zu insurgieren, jedenfalls aber die österreichische Besatzung in Venedig vom Mutterlande abzuschneiden und zum Rückzug hinter den Tagliamento oder doch zu schwächenden Detachierungen an die Mincio- und Po-Linie zu zwingen. Dann wird der Aufstand in Venedig ausbrechen und die an jenen Linien konzentrierte sardinische Armee in das Festungsviereck einbrechen. Von Illyrien her wird der Aufstand im südlichen Ungarn unterstützt werden und zugleich die Erhebung in Krakau und Galizien die österreichischen Truppen im Norden beschäftigen. – Ich muß Ihnen sagen, Herr Maytényi, für altgeübte Verschwörer finde ich den Plan ziemlich ungeschickt.«

Der Ungar sah den Minister erstaunt an.

»Aber ich sollte meinen …«

»Ich fürchte,« fuhr der Minister fort, »General Benedeck wird herzlich lachen über diesen Feldzugsplan, wenn er morgen die Details in den Zeitungen liest!«

»General Benedeck – in den Zeitungen …« stammelte der Ungar.

»Aber mein Himmel, wissen Sie denn nicht, was geschehen ist – wo in aller Welt kommen Sie denn her?«

»Ich – ich begreife Euer Exzellenz nicht …«

» Cospetto – das wäre stark! Sollte das liebe Revolutions-Komitee in Mailand, das der Regierung so manche Hindernisse und Verwickelungen bereitet, in der Tat noch nicht wissen, was gestern auf der Süd-Bahn von Genua nach Verona passiert ist?«

»Ich bitte Euer Exzellenz, mir endlich sagen zu wollen, um was es sich handelt.«

»Ei, um nichts mehr und weniger, als daß der ganze Plan mit allen Details in den Händen des Staatsanwalts und der Gerichte sich befindet und daß gewisse Paragraphen unserer Kriminalgesetze von Verschwörungen gegen auswärtige befreundete Potentaten handeln.«

Der Ungar war aufgestanden. »Euer Exzellenz scheint es Vergnügen zu machen, mit mir Spiel zu treiben.«

»Bewahre, mein Herr – nur werden Sie einsehen, daß es mir nicht einfallen kann, mich mit diesem Briefe des General Klapka, den ich persönlich hochschätze, weiter zu beschäftigen, da der vertrauliche Inhalt desselben bereits eine Sache gerichtlicher Publizität geworden ist.«

»Ich begreife das, obschon ich den Vorgang nicht kenne.«

»Ich kann Ihnen denselben aus bester Quelle erzählen. General Mieroslawski hat seine Vertrauten wieder einmal schlecht gewählt. Ein gewisser Wiesner …«

»Sein früherer Adjutant in dem badenschen Feldzug …«

»Mag sein! Er hatte als politischer Flüchtling Aufnahme in Genua gefunden und ist der Herausgeber der Italienischen Korrespondenz. Die nationale Partei, der er von Herrn Mieroslawski auf das Dringendste empfohlen war, scheint ihm jedoch nicht recht getraut zu haben, da er etwas verdächtigen Umgang mit Reaktionären, namentlich mit früheren bayrischen Offizieren hielt. Kurz und gut, man hatte Wind bekommen, daß dieser Herr Wiesner mit doppelten Karten spielte, und gestern Morgen einen seiner Freunde nach Verona sandte, um General Benedeck den spezialisierten Angriffsplan Garibaldis für 40 000 Gulden anzubieten. Das nationale Komitee hat zwei entschlossene Männer mit dem Unterhändler abreisen lassen, und diese haben unterwegs im geschlossenen Coups dem Herrn Bayern erklärt, daß sie ihm ohne weiteres eine Kugel durch den Kopf jagen und ihn dann als Selbstmörder ausgeben würden, wenn er sich nicht dazu verstehen wolle, die ihm von dem würdigen Herrn Wiesner anvertrauten Papiere auszuliefern. Besagter Bayer hat nach einigem Sträuben Vernunft angenommen und den Brief an Benedeck nebst dem ganzen Plan ausgeliefert, unglücklicherweise aber auf der nächsten Station Lärm gemacht und seine beiden ehrenwerten Begleiter verhaften lassen, sodaß die ganze Korrespondenz, die man ihnen abgenommen hat, in die Hände der Polizei und der Gerichte gekommen ist.«

»Aber dann hätte man sie leicht unterdrücken können!«

»Würde verzweifelt wenig genützt haben, Herr Maytényi, da bereits zu viele Personen darum wußten, und Herr Wiesner, den ich in Genua sofort habe einstecken lassen, gar kein Hehl aus seiner Absicht macht, vielmehr sich ein Verdienst daraus um die Ruhe und Sicherheit des Staates zuschreibt. Somit werden Sie begreifen, daß ich am besten tue, den Brief des General Klapka gänzlich zu ignorieren, insbesondere, da ja auch früher Herr Kossuth und Herr Klapka wiederholt öffentlich erklärt haben, daß sie die Zeit für eine neue Erhebung Ungarns noch nicht gekommen glauben.«

Der Ungar verbeugte sich kalt. »Es scheint mir, daß es am besten gefehlt hat: an dem Willen uns zu unterstützen und Österreich den Krieg zu erklären. Man hat keine Sympathieen für unsere Sache!«

»Glauben Sie das ja nicht, Signor, wenn die Regierung auch vorläufig genötigt gewesen ist, zur Beruhigung der fremden Mächte ein Paar Dutzend Mitglieder des Revolutions-Komitees für einige Zeit einstecken oder ausweisen zu lassen. Ich fürchte, Herr Maytényi, Sie stehen selbst auf der Liste der Mailänder Polizei! – ich denke, wir geben Ihnen einen genügenden Beweis unserer Sympathie, indem wir der Ausgabe Ihrer Kossuthnoten bisher nichts in den Weg gelegt haben und die Bank derselben in Mailand gar nicht sehen. Aber in der Tat, die Herren dürfen nicht zu viel verlangen und müssen einsehen, daß wir einen auswärtigen Krieg in diesem Augenblick nicht vertragen können, wo wir noch so viel im Innern in Ordnung zu bringen haben. Deshalb werden Sie unserer und Ihrer Sache den besten Dienst tun, wenn Sie helfen, das Mailänder Revolutions-Komitee zu kalmieren, das ich sonst – aufheben müßte!«

Die ruhige Handbewegung des Ministers zeigte dem Revolutionär, daß die Audienz zu Ende sei, und er entfernte sich grollend und niedergeschlagen über ihren unerwarteten Ausgang.

»Es ist eine Lektion, die ihnen gut tun wird,« sagte der Minister! »Aber nun zu meinem Frühstück!« Allein es war, als wolle die Laune des Zufalls ihn heute hindern; er hatte noch nicht die Tür erreicht, als der Diener sie öffnete mit der Meldung: »Seine Exzellenza, der Präsident der Deputierten-Kammer, Signor Ratazzi

»Grade recht – zur Fortsetzung der Lektion!« murmelte der Minister. »Sehr willkommen!«

Er ging dem Besuch entgegen und begrüßte ihn auf das Herzlichste.

Herr Ratazzi, der bekanntlich bestimmt war, in der Entwickelung des neuen Italiens ziemlich bald eine bedeutende Rolle zu spielen, war längere Zeit mit Graf Cavour in politischen Differenzen, hatte sich aber kurz vor seiner Erwählung zum Präsidenten der Deputierten-Kammer mit ihm vollständig wieder ausgesöhnt.

»In Wahrheit, liebster Präsident,« sagte der Minister, seinen Besuch zum Sitzen nötigend. »Sie sind äußerst willkommen; denn wenn Sie nicht die Liebenswürdigkeit gehabt hätten, mich hier auszusuchen, würde ich noch vor Tische zu Ihnen gekommen sein, um so mancherlei mit Ihnen zu besprechen.«

»Dann sind wir einander in unseren Wünschen begegnet, und deshalb sehen Sie mich hier. Turin ist voll von Gerüchten, man erzählt von Verhaftungen verschiedener Führer des Klubs und Sie wissen, wie schwer es ist, die Heißsporne unserer Linken, wie Brofferio, im Zaum zu halten. Ich habe mich niemals mit der Auflösung der garibaldischen Legion befreunden können.«

»Sie war eine Notwendigkeit! Nach dem Urteil aller Militärs hatte sie auf unsere braven Truppen den schlimmsten Einfluß. Sie hauste schlimmer als die alte Camorra in Neapel und Sizilien, und es wäre unmöglich gewesen, ohne ihre Auflösung zur Herstellung eines festen Regiments zu gelangen.«

»Aber Garibaldi ist auf's Höchste erbittert. Sie wissen, daß wir ihn nicht entbehren können; das Volk hängt an seinem Namen, das beweisen die Ovationen, die man ihm überall bringt.«

Der Minister lächelte: »Selbst die Polizei! Sie wissen doch, daß sie in Neapel die nächtlich an die Ecken geklebten Plakate, »Es lebe Murat!« nicht mit der Inschrift »Es lebe Viktor Emanuel!« sondern nur mit dem Plakat »Es lebe Garibaldi!« zu ersetzen wagte.«

»Diese muratistische Bewegung gibt zu denken!«

»Uns beiden sicher nicht. Halten Sie wirklich den Kaiser Napoleon für einen solchen Freund der italienischen Einheit, daß er nicht verfehlen würde, uns von Zeit zu Zeit einige Steine in den Weg zu werfen, um uns bemerklich zu machen, wie sehr wir seiner Hilfe, ja, – ich muß es offen aussprechen, – seiner Zustimmung zu allem bedürfen.«

»Die Rede des Prinzen Napoleon kann nicht ohne seine Inspiration gehalten worden sein.«

»Der Kaiser Louis Napoleon liebt es, à deux mains zu spielen. Sie ist in Rom desavouiert worden und die Worte, mit welchen den französischen Offizieren die Genehmigung zur Annahme der Ordensverleihung des Exkönigs Franz erteilt worden: er habe keine Ursache, diesen nicht als den rechtmäßigen König von Sizilien und nicht als berechtigt zur Verleihung seiner Orden zu betrachten, geben Gelegenheit zu denken.«

»Aber dann ist das Vorgehen der Revolutionskomitees gegen Wälsch-Tyrol und Venetien um so wünschenswerter, um ihn endlich einmal zu zwingen, Farbe zu bekennen und diesem Schwanken ein Ende zu machen.«

»Glauben Sie wirklich, daß die Herren Garibaldi und Kossuth die österreichischen Truppen schlagen werden?«

»Aber warum hat man dann General Cialdini zurückberufen?«

»Wenn La Marmora darauf besteht, wegen seines Streites mit dem Kriegsminister Fanti sein Kommando aufzugeben, haben wir keine Führer für die Mincio-Armee. In Neapel genügen jetzt andere Persönlichkeiten. Wir mußten uns auf alle Fälle vorsehen.«

»Wenn der König wirklich gesonnen ist, den Angriff der Komitees zu unterstützen, warum dann diese plötzlichen Verhaftungen? Seine Äußerung gilt als Bürgschaft – man zweifelt nur an dem guten Willen Eurer Exzellenz! Ich bürge dafür, daß die Kammer die Mittel bewilligt!«

»Lesen Sie!«

Der Minister nahm aus einer Mappe eine dechiffrierte Depesche und reichte sie ihm.

»Von Herrn Nigra aus Paris?«

»Von ihm selbst – vertraulich an mich! Ich erhielt sie vorgestern und habe sie sofort Seiner Majestät vorgelegt und vor einer Stunde durch meinen künftigen Neffen die Zustimmung des Königs erhalten.«

Der demokratische Präsident der Kammer las die Depesche, durch welche der italienische Gesandte vertraulich seinen Chef über eine Unterredung, die er mit Herrn Thouvenel, dem Minister des Auswärtigen gehabt, unterrichtete, und in der ihm dieser ganz unverhohlen den Willen des Kaisers dahin ausgesprochen habe, daß ein Vorgehen der Garibaldiner und der fremden Flüchtlinge gegen die österreichischen und deutschen Grenzen auf keine Unterstützung Frankreichs zu rechnen habe, daß Italien die Folgen allein tragen müsse, und Österreich unter Zustimmung Rußlands und Preußens entschlossen sei, bei Unterstützung revolutionärer Bewegungen seitens Sardiniens Truppen an der Grenze der Legationen und Marken aufzustellen oder diese zu besetzen. Ebenso finde Frankreich keine Veranlassung, dem Papst seinen Schutz zu entziehen und die französischen Truppen aus Rom zu entfernen. Es werde vielmehr eine Verstärkung dieser Macht erfolgen, wenn die Agitationen daselbst fortdauerten, und es würden zu diesem Zweck 12 000 Mann unter General Trochu bei Lyon konzentriert.

Diese ganz unerwartete Wendung in der Politik des Kaisers Napoleon verfehlte nicht ihren Eindruck auf den italienischen Staatsmann, der mit sehr echauffierter Miene die Depesche dem ihn ruhig beobachtenden Minister zurückgab.

»Was sagen Sie hierzu?«

»Daß ihn der Teufel holen möge mit seiner unzuverlässigen Freundschaft. Er behandelt Italien wie seine Domaine, und uns wie die Schulbuben, denen er die Lektionen vorschreibt! Jetzt begreife ich Ihre Abwickelung und mache Ihnen mein Kompliment für das geschickte Manöver mit den Wiesnerschen Enthüllungen.«

»Ich sehe, lieber Freund, Sie haben mich vollständig begriffen, die Saisierung der Papiere des Herrn Wiesner durch unsere Justiz erspart der Regierung eine arge Niederlage!«

»Meinetwegen! Herr Garibaldi mag warten; aber sagen Sie mir ehrlich und offen, Graf, sollen wir denn für immer ganz und gar von diesem Herrn in den Tuilerieen abhängig bleiben?«

»Im Augenblick läßt sich nichts dagegen tun, aber ich glaube, der Kaiser Napoleon steht auf dem Zenith seiner Macht, und Sie kennen das ewige Naturgesetz.«

»Das kann lange dauern!«

»So müssen wir uns nach anderen Allianzen umsehen!«

»England?«

»Sie wissen, daß man in England in diesem Augenblick eine fast kindische Furcht vor einer französischer! Invasion hat. Ich meine Rußland und Preußen! Oder sollen wir etwa die Insel Sardinien hinter Nizza und Savoyen herwerfen?«

»Um keinen Preis! Der Handel von Achtundfünfzig hat uns in der Meinung aller Patrioten schon Nachteil genug gebracht!«

Der Minister-Präsident zuckte die Achseln. »Sie wissen nur zu gut, daß wir ohne ihn nicht da wären, wo wir doch heute sind. Glauben Sie mir, auch in Deutschland regt sichs, und über kurz oder lang ist ein Zusammenstoß zwischen Preußen und Österreich nicht zu vermeiden. Der Ausgang ist mir nicht zweifelhaft, wenn wir dazu helfen, Österreich zu isolieren.

Und dann noch – die Personen wechseln; auch ich kann fallen durch Gottes Hand, oder den Haß meiner Feinde. Deshalb wünsche ich, wenn ein solcher Fall eintritt, in die Brust des Mannes, der mich ersetzen würde, gleichsam das Testament meiner politischen Überzeugungen niederzulegen und ihn von ihrer Richtigkeit durchdrungen zu wissen, und dieser Mann, lieber Ratazzi, sind Sie!«

»Torheit, Graf, wie kommen Sie zu solchen Gedanken?! Sie sind im besten Alter, kaum über fünfzig!«

»Politik, lieber Freund, zehrt am Leben! Doch, wie es auch sei, ich möchte Ihnen die Überzeugung beibringen, daß wir nichts überstürzen dürfen! Wir haben Tüchtiges getan, aber es ist noch viel zu tun übrig! Glauben Sie mir, diese nordische Macht hat eine große Zukunft, und in dieser Zukunft wird derselbe Kampf nicht fehlen, den wir zu kämpfen haben, der Kampf mit Rom, das immer zu Österreich und zu Frankreich stehen wird.«

»Aber wir müssen Rom haben!«

»Und wir werden es haben! Eben deshalb wollte ich mich mit Ihnen verständigen. Auch der Kaiser Louis Napoleon kann auf die Dauer der Wucht der öffentlichen Meinung nicht widerstehen, von der er ohnehin sehr abhängig ist, und mit dieser öffentlichen Meinung müssen wir ihn aus Rom treiben. Italien gehört den Italienern und nicht den Franzosen, und Rom ist seine natürliche Hauptstadt. Dieser Satz muß in der Kammer jetzt bei jeder Gelegenheit ventiliert werden. Lassen Sie den Antrag stellen, durch eine nationale Petition an den Kaiser die Zurückziehung der Franzosen aus Rom zu verlangen. Die Regierung wird sich auf den Standpunkt stellen, daß Italien dem Kaiser die größte Dankbarkeit schuldet und die Sache ganz seiner Entscheidung überläßt. Wenn bei der voraussichtlichen Ablehnung es Herrn Garibaldi einfallen sollte, etwa von Süden her einen Freischarenzug nach Rom zu unternehmen, – etwa im nächsten Jahre! – dann muß die Regierung immer in der Lage sein, ihn desavouieren und ihm in den Weg treten zu können! Glauben Sie, lieber Freund, wir dürfen uns diese Freischärler nicht über den Kopf wachsen lassen, sonst zerfällt Italien wieder; die konstitutionelle Monarchie mit der Krone Savoyen allein kann es zusammenhalten! Eine tüchtige Kraft werden Sie einmal in Menotti Garibaldi haben, er ist ein tüchtiger Soldat, genießt das allgemeine Vertrauen und zeigt nicht den Eigensinn und unverständigen Fanatismus des Alten. Stoßen Sie sich nicht, wenn Sie einmal am Ruder sind, an den Schreiern; stecken Sie sie ohne weiteres ein – es findet sich schon wieder ein Loch, wo man sie entwischen lassen kann! Vor allem: schließen Sie niemals mit Frankreich ein Bündnis auf unbestimmte Ziele! Das ists, was ich auch dem König geraten habe!«

»Nochmals, Graf,« sagte der Kammer-Präsident, »Sie machen sich törichte Gedanken, Gott erhalte Sie noch lange Italien und dem Könige! Es ist nicht die geringste Aussicht, noch mein Wunsch, daß ich an Ihre Stelle treten sollte. Ich verzichte sogar auf jedes Portefeuille!«

Der Minister-Präsident lächelte. »Als Präsident der Kammer sind Sie nützlicher und mächtiger, als mit einem Portefeuille. Deshalb, lieber Freund, weil die einzige Stelle noch besetzt ist, die Sie einzunehmen den Anspruch haben, – fehlt auch Ihr Name auf der neuen Ministerliste. Ich denke, wir sind darin einverstanden, daß das Königreich Italien ein anderes Kabinet haben muß, als das Königreich Sardinien. Sagen Sie mir Ihre Meinung über die Liste, ehe ich sie dem König vorlege.«

Er nahm ein anderes Papier aus der Mappe und wollte es eben dem Präsidenten übergeben, als die Tür des Zimmers heftig aufgerissen wurde.

»Um der Madonna willen, Oheim, kommen Sie herüber – Wendelino ist plötzlich schwer erkrankt!«

»Wer? Graf Castelgufo?«

»Ja, ja, Herr Ratazzi – kommen Sie! helfen Sie! Ich weiß nicht, ob der scharfe Ritt ihm geschadet hat oder was es sonst ist! Er hat furchtbare Krämpfe!«

Die beiden Staatsmänner eilten in den Familien-Salon; der junge Diplomat, der Bräutigam der Nichte des Minister-Präsidenten, lag auf einem Sopha und krümmte sich vor Schmerzen, während zwei Diener ratlos neben ihm standen.

»Lieber Sohn, was ist Dir? Wie kommst Du so plötzlich zu dem Anfall?«

»Ich weiß es nicht, aber es zerreißt mir die Eingeweide! – Wasser, Wasser – ich verbrenne!«

»Bringen Sie Wasser – oder noch besser – Milch!« befahl der Kammerpräsident, da der Hausherr ganz bestürzt dastand. »Hat der Graf sich vielleicht erhitzt und kalt getrunken, oder sonst etwas genossen? Die Jugend ist unvorsichtig. Wir wollen sogleich zum Arzt senden – lassen Sie meinen Wagen nehmen, er ist angespannt! Doktor Griffa wohnt nahe an der Brücke – er gilt als tüchtiger Arzt!«

Einer der Diener eilte hinaus, ein anderer kam bereits mit einer Schale Milch, die der Kranke mit Begier an den Mund setzte.

Der Präsident wiederholte jetzt seine Frage.

»Ich wüßte nichts,« jammerte die junge Braut, »er erzählte zwar, daß er unterwegs von der Veneria her eine Foglietta Asti versucht habe, aber der Wein sei so schlecht gewesen, daß er ihn habe stehen lassen. Sonst hat er nichts genossen, als die Schokolade für den Onkel!«

»Meine Schokolade?«

»Ja, Dein gewöhnliches Frühstück! Da Du noch beschäftigt warst, als der Jäger Antonio Deine Schokolade brachte, reichte ich sie einstweilen Wendelino.«

»Wie lange ist das her?«

»Eine Stunde höchstens – die preußischen Herren waren noch da.«

Die Milch schien die Schmerzen des jungen Grafen etwas gelindert zu haben; er vermochte sich emporzurichten, doch sah er sehr bleich aus, und seine Lippen hatten eine fast bläuliche Farbe angenommen.

»Beunruhigen Sie sich nicht, Signori, es wird vorüber gehen – ich fühle mich schon –« er zuckte krampfhaft zusammen und preßte die Hand auf die Magengegend, seine Augen nahmen eine unnatürliche Starrheit an.

Während seine Braut ihn unterstützte und den kalten Schweiß von seiner Stirn trocknete, führte der Präsident den Minister in die Fensternische. »Ich wünschte, Doktor Griffa wäre erst hier! Ich kann Ihnen nicht verhehlen, diese Symptome gefallen mir nicht. Verzeihen Sie eine Frage – können Sie sich ganz bestimmt auf Ihre Leute verlassen?«

»O gewiß – woran denken Sie! Die meisten sind schon lange Jahre bei mir im Dienst, und die beiden einzigen, die erst seit kurzem darin stehen, so gut empfohlen und erprobt, daß ich ihrer Anhänglichkeit gleichfalls sicher sein kann.«

»Wer sind diese beiden?«

»Der Jäger Antonio – er stand früher bei den Alpenjägern und hat den Krieg von Neunundfünfzig mitgemacht – und die Haushälterin, Signora Martina, eine höchst anständige und solide Person, mit den besten Zeugnissen versehen, eine Ausländerin, die von einer englischen Familie in Florenz zurückgelassen wurde.

»Hm! Wer pflegt Ihnen gewöhnlich Ihre Schokolade zu bringen?«

»Der Jäger Antonio, so viel ich weiß; ich finde sie durch die freundliche Vorsorge Mariettas stets im Salon zur gewohnten Zeit.«

»Wer besorgt hier die Küche?«

»So viel ich weiß, die Haushälterin – ich habe einen Koch nur in meinem Hotel in Turin. Aber wohinaus wollen Sie mit all diesen Fragen?«

»Sie wissen ja, ich war Advokat! Wollen Sie Befehl geben, daß Ihre Leute sämtlich im Foyer erscheinen?«

»Sehr gern!« Er gab die nötigen Befehle. Der Kammerpräsident beschäftigte sich unterdeß mit dem Kranken, der sich in den Pausen der immer wiederkehrenden Schmerzen über brennenden Durst beklagte und bereits eine zweite Schale Milch geleert hatte.

Während die Hausdienerschaft sich im Flur versammelte, hörte man einen Wagen vorfahren.

»Gottlob, da ist der Doktor!«

Der Hausherr selbst ging ihm entgegen und entschuldigte die dringende Botschaft. Doktor Griffa war ein alter Mann mit weißen Haaren und von sehr ruhigem und mildem Gesichtsausdruck: er verlangte, sogleich zu dem Kranken geführt zu werden, und während der Minister dies tat, richtete der Präsident verschiedene Fragen an das Dienstpersonal. Es ergab sich bald, daß mit Ausnahme der Dienerschaft des preußischen Gesandten, welche die Equipage nicht verlassen hatte, kein Fremder auf der Villa bemerkt worden, daß der Jäger wie gewöhnlich zur bestimmten Zeit die Schokolade für den Minister aus der Küche geholt und direkt aus dieser nach dem Salon getragen hatte, und daß die Schokolade, wie es alle Tage geschah, von der Economista selbst bereitet worden war. Es war noch genug Schokolade in der Küche vorhanden, sodaß der Minister nicht um sein gewohntes Frühstück zu kommen brauchte.

Doktor Griffa hatte dem Kranken sofort ein Brechmittel verordnet, und die Haushälterin war emsig beschäftigt, die junge Contessa in der Pflege ihres erkrankten Bräutigams zu unterstützen. Der Arzt beobachtete selbst die Wirkung des Medikaments, nachdem er einige andere Heilmittel ausgeschrieben hatte und ein Bote mit den Rezepten zur Stadt gesandt worden war; dann erst trat er wieder zu dem Hausherrn, der mit dem Freunde in sein Zimmer zurückgekehrt war.

»Es sind in der Tat eigentümliche Symptome,« sagte er, »die sich bei dem Kranken zeigen. Es ist ein großes Glück, daß er sofort eine Quantität Milch getrunken hat. Dennoch müssen wir das beste hoffen, er besitzt anscheinend eine gute und kräftige Konstitution.«

»Wie, Doktor – so wäre Gefahr für sein Leben?«

Der Arzt zuckte die Achseln. »Ich bin nicht der gewöhnliche Arzt des Herrn Grafen und kenne seine Konstitution nicht genügend. Ich darf jedoch nicht verschweigen, daß in der Tat Gefahr vorhanden. Es ist möglich, daß er bei starker Erhitzung durch den Ritt mit einem Trunk sich geschadet – es können auch andere Ursachen dieses plötzlichen so intensiven Anfalles vorliegen – es können schädliche Stoffe in dem Genossenen gewesen sein – –«

»Sie meinen Gift?« fragte hastig der Präsident.

»Das wollte ich nicht behaupten, ehe ich nicht chemisch die Entleerungen des Magens untersucht habe. Ich habe mir von der Schokolade bringen lassen, die der Graf hier getrunken, und sie gekostet, sie ist rein und wohlschmeckend; in dem kupfernen Gesäß, in dem sie bereitet worden, ist keine Spur von Grünspan. Es bliebe demnach nur jener Wein übrig, den er unterwegs getrunken, und wenn Sie nichts dawider haben, werde ich, da mir der junge Herr die Trattoria näher bezeichnet hat, sofort hinausfahren und mich überzeugen. Sie wissen, unsere Wirte sind oft sehr leichtsinnig. Im Augenblick ist glücklicherweise jede unmittelbare Gefahr beseitigt – wir müssen das weitere abwarten.«

»Wird man den Kranken zur Stadt bringen können?«

»Ich hoffe, wenn er erst einige Ruhe genossen hat! Haben Euer Exzellenz mir noch weitere Befehle zu geben?«

»Ich danke Ihnen, lieber Doktor, und bitte Sie nur, mit Doktor Rossi, unseren: gewöhnlichen Arzt, möglichst bald zu konferieren und uns Ihren weiteren Besuch zu schenken.«

Als die beiden Männer allein waren, ging der Minister voll Sorgen auf und ab. »Als ob man noch nicht genug zu denken hätte! Diese falsche doppelzüngige Politik in Paris, die zeitweilige Apathie wegen des verdammten Frauenzimmers in der Veneria, deren geheimer Einfluß bereits bei zahlreichen Gelegenheiten zu erkennen ist! – Das wahnsinnige Drängen der Aktions-Partei, – der Streit in Neapel, die verletzte Eitelkeit der Generale, – und nun noch diese drohende Sorge, diese, in hundert Quellen versteckten römischen Intriguen! Wahrlich, Freund, es gehört guter Mut und Kraft dazu, um nicht zu erlahmen!«

»Die Ihre kann alledem die Spitze bieten! – Nur – versprechen Sie mir eins!«

»Und das wäre?«

»Gewöhnen Sie sich die Schokolade ab!« – –


Am andern Morgen zirkulierte die Nachricht, daß der Jäger des Grafen Cavour sich am Abend vorher auf der Villa des Ministers erschossen habe – in einem Anfall von Melancholie, da sonst kein Grund zu der Tat zu entdecken war.

Wiederum vierzehn Tage später stand der Lenker der italienischen Politik, der große Regenerator Italiens am Sarge des von ihm erwählten Eidams.

Aus den Krämpfen, die den kräftigen jungen Leib des Bräutigams der Contessa geschüttelt, hatte sich trotz aller ärztlichen Hilfe und der sorgsamsten Pflege ein gefährlicher Typhus entwickelt, der die Nerventätigkeit lähmte und nach hartem Kampf mit der jugendkräftigen Natur ganz unerwartet den Tod herbeiführte, nachdem die Ärzte ihn schon bewältigt zu haben glaubten.

Von allen Seiten wurden dem trauernden Staatsmann und der tiefgebeugten Braut die regsten Zeichen der Teilnahme. Der König selbst, sonst wenig empfänglich für dergleichen Trauerszenen, wohnte der Einsegnung des Toten bei.

Als an der Spitze einer Deputation aller Fraktionen der Deputierten-Kammer, deren Präsident zu dem Ministertrat und ihn dieser nach den offiziellen Worten der Kondolenz zum Sarge führte, trafen die Augen der beiden Männer auf einander.

Dann wandten sich die des Ministers auf den Sarg und die neben ihm knieende in dunkle Schleier gehüllte Gestalt der trauernden Braut.

»Für mich!« flüsterte er leise, nur dem Ohr des Politikers verständlich, »und aus ihrer eigenen Hand!«

»Besser er – als Sie! – Sie trinken doch keine Schokolade mehr?« – – – – – – – –

Und wieder waren zwei Monate ins Land gegangen, und die gesegneten Fluren der Lombardei brannten bereits unter der heißen Sonne des begonnenen Sommers.

Die Sorge um den ganz plötzlich schwer erkrankten Oheim hatte in Mariettas Herzen den Schmerz um den verlorenen Bräutigam verdrängt.

Einige energische Handlungen des Turiner Kabinets hatten die Kurie auf weitere Schläge vorbereitet. Ein Teil der europäischen Staaten, England an der Spitze, hatte bereits die Anerkennung des neuen Königreichs Italien ausgesprochen, mit anderen schwebten die Verhandlungen. Ein Dekret des Königs Viktor Emanuel vom 5. Mai erklärte die Ernennung und Enthebung aller Erzbischöfe und Bischöfe in Neapel und Sizilien für ein Recht der italienischen Krone; mit den lombardischen Bischöfen, die sich weigerten, der Einweihung des Denkmals der gefallenen Italiener von 1859 beizuwohnen, oder ein Tedeum zu dem für den 2. Juni bestimmten italienischen Nationalfest zu zelebrieren, war von Seiten der Regierung oder des Volks kurzer Prozeß gemacht worden. Das Wichtigste war die trotz aller Anstrengungen der römischen Polizei und der französischen Politik erfolgte Unterzeichnung einer vom 21. Mai datierten Adresse in Rom an Victor Emanuel und den Kaiser Napoleon wegen der Einverleibung Roms in das Königreich Italien mit mehr als 10 000 Namen, und einer solchen am 30. Mai an den Papst, worin der Heilige Vater gebeten wurde, nicht länger den Wünschen Italiens zu widerstreben.

Die erste Adresse sagte ganz unverhohlen:

 

»Wenn der Widerstand des römischen Hofes noch länger fortdauert, wird nicht nur der vollkommene Ruin der moralischen und materiellen Interessen Roms herbeigeführt, sondern es wird auch die Existenz des Katholizismus in Italien kompromittiert. Die sich zusehends steigernde Abneigung der Italiener gegen die Handlungsweise des päpstlichen Hofes kann in eine Spaltung ausarten, die gefahrvoll für Europa, für Italien und für die Kirche werden kann, der wir Glauben schenken und deren Traditionen wir verehren.« –


Es war in der Nacht zum 6. Juni, einem Montag, als ein geschlossener Wagen in den dicht mit Stroh belegten hinteren Hof eines großen palastartigen Hauses an einer Ecke der Via Lagrange einfuhr, dessen Torflügel weit geöffnet standen. Der Kutscher war derselbe, der auch in der Villa Varcina zugegen gewesen war, und als er vom Bock gestiegen war, half er einem alten Klostergeistlichen mit einer gewissen Ehrerbietung aussteigen. Der Mönch trug in ein weißes Tuch gehüllt einige Gegenstände.

»Werden Sie lange Zeit bleiben, hochwürdiger Herr?« fragte der Kutscher, gleichfalls schon ein bejahrter Mann.

»Ich glaube nicht; Du brauchst wohl kaum auszuspannen, mein Sohn. Wo ist die Dame, deren Brief Du mir brachtest, und die für einen Kranken den religiösen Beistand eines so unbedeutenden Diener Gottes fordert, wie ich bin!«

»Treten Sie nur dort ein, ehrwürdiger Herr, man erwartet Sie.« Er wies nach einem Seiteneingang des Hauses, dessen Tür geöffnet war, und in der die Umrisse einer Frau erschienen.

Der alte Konventuale, der das Ordensgewand der Benediktiner trug, ging langsam auf die Tür zu. Ein Blick auf das große Haus zeigte ihm, daß im ersten Stockwerk zwei oder drei Fenster matt erleuchtet waren, aber überall die größte Stille zu herrschen schien. Selbst die Laterne vor dem Stallgebäude war ausgelöscht. Aus dem Dunkel der Seitentür, zu welcher der Kutscher ihn gewiesen, streckte sich ihm eine Hand entgegen und faßte den weiten Ärmel seiner Kutte.

»Sind Sie der Pater Giacomo von den Benediktinern am Berge?«

»Ich bin es!« sagte die milde Stimme des alten Geistlichen.

»Bitte, folgen Sie mir; hier ist eine Stufe.«

Die Hand, die ihn gefaßt, geleitete den Mönch durch einen kurzen finsteren Gang zu einer Treppe, die in der Höhe matt von einer einzigen Gasflamme erleuchtet war. Auf einem ziemlich geräumigen Flur, öffnete die Frau, die ihn geführt, eine Tür, ging durch ein dunkles Vorzimmer und ließ ihn in ein größeres, gut erleuchtetes Gemach eintreten.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie zu so später Nachstunde der Bitte meiner Gebieterin, einem totkranken Verwandten, den der Ruf Ihrer Frömmigkeit gerade zu dem Verlangen nach Ihrem geistlichen Trost veranlaßt hat, die letzte Ölung zu geben, entsprochen haben. Wollen Sie sich einen Augenblick hier niederlassen. Ich gehe die Person zu holen, die Sie zu dem Kranken führen wird.«

Sie wies nach einem Lehnstuhl und entfernte sich durch die Tür, durch welche sie eingetreten waren.

Der alte Benediktiner legte die heiligen Gegenstände, die er trug, auf einen Tisch, zog sein Brevier aus der Tasche und begann darin zu lesen.

Er hatte dies kaum fünf Minuten getan, als eine zweite in dem Zimmer befindliche Tür sich öffnete und ein Mann in der Soutane der Weltgeistlichen eintrat. Die Gestalt desselben war schlank und elastisch und zeigte mit dem dunklen Haupthaar, daß er noch jung war. Das Gesicht jedoch verschwand unter einer schwarzen Halbmaske.

Der Fremde ging sofort auf den alten Mönch zu, der erstaunt zu ihm aufsah.

»Sie sind der Pater Giacomo von der Kongregation von Monte Kassino aus dem Kloster Santa Justina am Berge?«

»Ich habe es bereits erklärt, und man muß wohl meinen Namen kennen, da man gerade mich hierher beschieden hat.«

»Man kennt allerdings Ihren Namen in Rom und weiß auch, wie sehr diese Kongregation sich einer beklagenswerten Richtung zugewendet hat. –«

»Mein Herr,« sagte der alte würdige Geistliche, »ich weiß nicht, wer Sie sind, und was Sie zur Verdächtigung einer Gemeinschaft veranlassen kann, die sich stets durch die strenge Bewahrung der Satzungen ihres Stifters und treuen Gehorsam gegen den heiligen Vater ausgezeichnet hat.«

»Sie sollen sogleich Gelegenheit haben, diesen Gehorsam zu beweisen. Sie sind hierher berufen worden, einem Sterbenden Beichte zu hören. Wissen Sie, in welchem Hause Sie sich befinden?«

»Nein; es ist auch nicht nötig, daß ich die Person kenne, die heilige Kirche erblickt in ihr nur den Sünder, der bereut und in ihren Gnaden seinen Trost sieht.«

»Sie werden diese Beichte nicht abnehmen!«

»Aber man hat mich dazu hierher berufen, es ist meine Pflicht!«

»Ein Höherer, denn Sie und ich, absolviert Sie davon, und hat mir das Amt übertragen.«

»Das wäre eine Täuschung, ich werde mich keines solchen Vergehens schuldig machen! Ich weiß nicht einmal, ob Sie ein berechtigter Priester sind, ob Sie nicht ein Sakrilegium begehen wollen.«

Der andere beugte seinen Kopf vornüber und wies auf seine Tonsur, »überzeugen Sie sich! Dem reuigen Sünder sollen die Gnadenspenden der Kirche nicht entzogen werden, nur soll sie ein anderer Priester erteilen, als Sie. Wir haben nicht viel Zeit mit unnützem Streit zu verlieren, und Sie können wohl denken, daß ich Sie nicht zum Gehorsam nötigen würde, wenn ich nicht Vollmacht dazu hätte. Entledigen Sie sich Ihrer Kutte, und begeben Sie sich hier in das Zimmer nebenan, wo Sie verweilen werden, ohne sich bemerklich zu machen, bis ich Sie rufen werde. Gehorchen Sie!«

»Ich darf nicht – ich kann nicht!«

Der Fremde hatte aus der Tasche seiner Soutane ein Kouvert hervorgeholt. Er brach es auf und reichte dem Benediktiner das Blatt, das darin eingeschlossen gewesen war.

Es enthielt ein einziges lateinisches Wort, ein Monogramm darunter und ein großes Siegel.

Der alte Mönch bedeckte einen Augenblick seine Augen mit der Hand, als gäbe es einen Kampf in seinem Innern, dann küßte er ehrerbietig das Papier, faltete es zusammen und gab es zurück, indem er sich alsbald schweigend seiner schwarzen Kutte zu entledigen begann und sie mit Kappe und Rosenkranz auf einen Sessel legte.

Der verlarvte jüngere Geistliche wies ebenso schweigend auf die Tür des Nebenzimmers und der alte Mönch entfernte sich durch sie, worauf jener sie verschloß und den Schlüssel zu sich steckte. Dann warf er rasch die schwarze Kutte des Benediktiners über sein eigenes Gewand, nachdem er aus diesem noch einige Gegenstände entnommen und trat vor den im Gemach hängenden Spiegel, indem er die Halblarve entfernte.

Ein noch ziemlich junges, rundes, frisches Gesicht mit klugen Augen kam zum Vorschein.

Aber nur wenige Momente, und dies Gesicht, ja der ganze Kopf waren merkwürdig verändert.

Es hat in Italien schon in früherer Zeit Künstler gegeben, und es gibt noch jetzt eine Familie, auf die diese Kunst überkommen ist, die aus der feinsten Blase Masken zu verfertigen wissen, welche über Kopf und Gesicht gezogen werden und deren Stoff so fein ist, daß er sich durch die ihm innewohnende Feuchtigkeit mit der natürlichen Haut förmlich verbindet, während er ihr doch eine ganz andere Farbe, ein anderes Alter und eine andere Physiognomie verleiht, ohne daß man die Täuschung entdecken kann, da diese neue Haut die Beweglichkeit des wirklichen Gesichts annimmt.

Diese Masken sind natürlich nur ein Mal zu brauchen, aber sie erfüllen vollständig ihren Zweck.

Das glatte volle Gesicht des jungen Geistlichen war im Spiegel und in der Wirklichkeit verschwunden, und durch ein Greisen-Antlitz mit kurzem grauen Haupthaar ersetzt, das dem ehrwürdigen Antlitz des alten Benediktiners nicht unähnlich war. Diese Ähnlichkeit wurde noch vermehrt durch einen grauen, dem des Mönchs fast gleichen Bart, den der Mann um sein Kinn schlang und rasch befestigte. Als er die Kapuze der Kutte über seinen Kopf gezogen, würde ein sehr genauer Freund des Benediktiners Giacomo, oder ein sehr scharfes und gesundes Auge dazu gehört haben, die Umwechselung zu erkennen.

Diese war übrigens auch kaum erfolgt, als ein leises Klopfen an der äußeren Tür hörbar wurde und auf das Entrate des falschen Mönchs die Frau, die ihn vorhin empfangen, und eine jüngere, in Trauer gekleidete Dame eintraten.

Ein Blick, ein Neigen des Kopfes genügte, die ältere Frau zu verständigen.

»Hier, Signora,« sagte diese zu ihrer Herrin, »ist der ehrwürdige Bruder Giacomo, den Sie auf den Wunsch des Herrn hierher beschieden haben, nachdem er sich auf Ihre Bitten und wegen Ihrer Sorge um sein Seelenheil dazu bereit erklärt, das heilige Sakrament zu empfangen. Sie müssen wissen, ehrwürdiger Herr, daß der Kranke zwar kein Ketzer, aber doch leider einer jener Lauen im Glauben war, deren es jetzt in dieser traurigen Zeit so viele gibt.«

»Signora Martina,« sagte die jüngere Dame, »die mir in dieser schweren Zeit und in der Pflege des Kranken treu zur Seite gestanden hat, und deren fromme Zusprache mich aufrecht erhalten und mir auch den Mut gegeben hat, hochwürdiger Herr, Sie hierher zu bitten, hat leider die Wahrheit gesagt. Aber die Gnade Gottes ist ja so groß, und Ihr frommer, milder Sinn so bekannt, daß ich hoffen darf. Sie werden dem Kranken ein milder Richter sein.«

»Die heilige Kirche öffnet auch den Sündern und Abtrünnigen ihre Arme, wenn sie bereuen,« sagte der falsche Benediktiner, seiner Stimme den dumpfen Klang gebend, den er vorhin an dem Mönch studiert hatte. »Meinen Segen über Dich, Donna, daß Du zur Bekehrung eines Irrenden geholfen hast. Führe mich jetzt zu ihm.«

»Kommen Sie, ehrwürdiger Vater! Mein Freund erwartet Sie!«

Sie öffnete die Tür und ging dem Pater voran. Die Dienerin verzog den Mund zu einem scharfen höhnischen Lächeln, als sie ihnen folgte.

Die beiden Frauen führten den Priester durch einen langen Korridor, an dessen Ende die Signora Martina wieder eine Tür öffnete. In dem geräumigen Zimmer saß an einem Tisch ein Diener und las in einer Zeitung. Ein leises Stöhnen drang aus dem Nebenzimmer, in welches die jüngere Dame eilig, aber mit möglichster Vorsicht eintrat. Bald kam sie zurück. »Ich habe ihm eben noch Medizin gegeben, er fühlt sich in diesem Augenblick kräftig genug, Sie zu empfangen. Eilen Sie, ehe sein edler Geist sich wieder umnachtet und seien Sie barmherzig mit ihm, wie Gott uns allen barmherzig ist. Wenn Sie uns brauchen, so rufen Sie nur, wir werden hier im Gebet verharren!« Sie hielt die Portière der Tür, bis der Priester eingetreten war, dann ließ sie sie fallen und winkte dem Diener, sich zu entfernen. Die beiden Frauen knieten nieder und die jüngere erhob inbrünstig ihr Gebet zu Dem, der allein weiß, was recht und wahr und den sterbenden König richtet wie den sterbenden Bettler nach dem Maße, wie jeder getan mit dem Pfunde, das er aus seiner Hand empfangen hat!

Fast eine Stunde war vergangen, als der Priester an die Tür klopfte und die Frauen sich eilig erhoben und in das Krankenzimmer traten. Unter der schwerseidenen Gardine des Himmelbettes ruhte auf dem breiten Lager ein Mann, dessen sonst so rundes, wohlhäbiges Gesicht bereits jene scharfen hippokratischen Züge zeigte, welche die baldige Auflösung des Menschenleibes verkünden. Die Augen des Kranken waren geschlossen, aber der Mund öffnete sich zuweilen, um ein leichtes Stöhnen auszulassen oder einzelne Worte und Sätze zu phantasieren.

»Er ist bei voller Besinnung gewesen,« flüsterte der Priester, »während ich ihm die Ölung erteilte; ich kann Ihnen zum Trost sagen, daß Ihr Verwandter als ein gläubiger Christ und als ein reuiger Sohn der heiligen katholischen Kirche stirbt. Erst in den letzten Augenblicken hat sich sein Zustand wieder verschlimmert, und ich glaube. Sie werden Wohltun, nach den Ärzten zu schicken, sobald ich mich entfernt habe.

»Doktor Rossi schläft in dem Vorderhause! O Martina, gehen Sie, lassen Sie ihn rufen!«

»Sogleich! Ich will den hochwürdigen Herrn zurückgeleiten. Geben Sie ihm die Tropfen einstweilen ein, Madame, Sie wissen, daß der Doktor befohlen hat, sie ihm zu reichen, wenn die Atembeschwerden kommen!«

Sie winkte dem Benediktiner.

Der Geistliche machte das Zeichen des Kreuzes über den Kranken und die Stirn der Dame, die aus einer Phiole Tropfen in einen Löffel mit Wasser zählte und ihn an die Lippen des Kranken führte.

Er hielt krampfhaft ihre Hand gefaßt, sein Geist phantasierte offenbar wieder. »Jagt sie fort – die Schwarzen! – was wollen sie von mir? – Ich will nichts sagen – ich habe nichts zu bereuen! – Die Protestanten – ja die Protestanten – die Preußen! – wir müssen Rom haben – keine Absolution – fort mit Frankreich! – der König – Berlin – nichts von Österreich – nichts von Napoleon – Italien bringt mir Schokolade – Luft! – Luft! –« Die weiteren Worte verloren sich in unverständlichem Gemurmel. – – –

Als der Benediktiner über die Schwelle des Krankenzimmers trat und der Dienerin folgte, war nichts mehr in seiner Haltung, was den Greis kopierte – sein Haupt war stolz und kühn zurückgeworfen, sein Gang nicht schwankend, sondern fest, sein Auge blitzte. So betrat er das Zimmer, in dem er die Verkleidung vorgenommen.

Ein Griff, und Maske und Bart waren abgerissen, die Kutte abgestreift. Herrisch wandte er sich zu der Wirtschafterin. »Sorgen Sie geschwind, daß der Wagen bereit ist, und daß der Kutscher wieder den Umweg durch die Straßen nimmt.«

»Sind Sie zufrieden mit mir, Hochwürden?« flüsterte schmeichelnd die Frau.

»Ihr Gehorsam wird Ihr Schuldbuch verringern – aber es bleibt noch manche Aufgabe für Sie zu erfüllen. Wenn der Haushalt aufgelöst wird, nehmen Sie ohne Übereilung und vorsichtig Ihren Abschied; der Schauplatz Ihrer weiteren Tätigkeit liegt in einem anderen Lande! Sorgen Sie dafür, daß ich unbemerkt den Palast verlassen kann, sobald dieser alte Schwachkopf entfernt ist!«

Sie küßte demütig seinen Ärmel und verbarg damit den giftigen gehässigen Blick, der aus ihrem Auge leuchtete. Dann verließ sie das Gemach, während der junge Geistliche seine Toilette vollends zu Ende brachte und die schwarze Halbmaske wieder vornahm.

Er öffnete die Seitentür.

»Pater Giacomo, der Wagen wartet auf Sie! – Hier Ihr Gewand. Ihr Gehorsam soll gerühmt werden!«

Der alte Mann war in das Gemach getreten. »Wenn ich etwas Unrechtes getan, mögen es die Heiligen mir vergeben und die Sünde mir nicht zurechnen!« Dann hüllte er sich, jeden Beistand mit einer Handbewegung ablehnend, wieder in seine Kutte. »Ist es mir jetzt erlaubt, mich zu entfernen?«

»Jedes Unrecht komme auf mich! Nur erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, daß das Gelübde des Gehorsams Ihnen auch unbedingtes Schweigen auferlegt über das, was hier geschehen; selbst gegen den Prior Ihres Klosters. Nehmen Sie, man kommt, Sie zu holen.«

Er verschwand in das Seitengemach, gleich darauf trat die Economista ein mit unschuldigem Blick, gleich als ahne sie nichts von dem Tausch der Beichtväter. »Kommen Sie, ehrwürdiger Herr, und nehmen Sie den Dank dieses Hauses für den traurigen Dienst, den Sie dem armen Kranken geleistet. Meine Gebieterin, wenn sie Ihnen auch unbekannt zu bleiben wünschen muß, hat mich beauftragt. Sie zu bitten, diese kleine Gabe in den Almosenkasten Ihres Klosters legen zu wollen.«

Sie führte den alten Mönch die Treppe hinab zum Wagen, der ebenso geräuschlos, wie er vorhin gekommen, den Hof verließ. – – – – – – –


Schwere Trauer lag auf der Hauptstadt, bald auf dem ganzen Lande. Graf Camillo Cavour, der Schöpfer des neuen Italiens, war am 6. Juni nach plötzlichem, kurzem Krankenlager im besten Mannesalter verschieden.

Man hat die Leiche, die schnell in Verwesung überging, nicht geöffnet, seine Verwandten selbst wünschten es nicht. Es hieß, er sei an zu starken Aderlässen gestorben.

Der König, die Kammern, das ganze Land veranstalteten ihm ein großartiges Leichenbegängnis. – An seine Stelle berief der König den Baron von Riccatoli, der eben aus Toscana zurückgekommen war, wo er mit seinem Gouvernement wenig Dank und Ruhm geerntet hatte.

Genua und Mailand setzten dem Einiger Italiens, der gleich Moses an der Schwelle des gelobten Landes, zu dem er die Seinen geführt, sterben sollte, Standbilder; durch ganz Italien wird der Name des liberalen Staatsmannes gefeiert, der den großen Kampf mit dem alten System und der gewaltigen Herrschaft des Pontifex gewagt für den Sieg des modernen Staates; aber das Volk erzählt noch heute: der starke Geist, der Vorkämpfer für die Emanzipation seines Landes von der Herrschaft der Kirche habe in der Nacht vor seinem Tode einem Mönch gläubig gebeichtet und sei bekehrt gestorben!

Freilich spricht man auch von gewissen Ursachen seines plötzlichen Todes – das Volk liebt es, dergleichen Gerüchte an große Namen zu hängen!



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