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Noch waren in dem Kloster keine Nachrichten von den Ausgezogenen eingegangen, weder von Nikschitj her, noch von Trebinje; aus letzterer Richtung wußte man nur, daß die Rajahs am Morgen Ficebo angegriffen hatten. Vielfach hatten die mit den Gebräuchen des Klosters weniger bekannten Flüchtlinge aus den Dörfern nach dem Abt gefragt und immer die Auskunft erhalten, daß er nicht gestört werden dürfe, da er, während die »Brüder« im heiligen Kampf wären, stets vor dem Hochaltar der Kirche oder in seiner Zelle zu beten pflege und mit den Heiligen verkehre. Auch hatten die Weiber, wenn sie die Kirche betraten, mehrfach die hohe Gestalt des Higumenos vor dem Altar in jener Weise stehen sehen, in der die griechischen Christen ihre Andacht verrichten.
Während der Zeit beschäftigten aber die Kalogeri, die schwarzen Mönche, unter der Leitung des von Zeit zu Zeit erscheinenden und ihnen Anweisung erteilenden Sakristans und unter der tätigen Hilfe des blutigen Iwo sich mit der Instandsetzung des Klosters zum Widerstand, wenn etwa eine oder die andere der ausgezogenen Scharen von den Türken zurückgeschlagen werden und in der festen Position des Klosters Zuflucht suchen sollte; denn es war, wie schon der Novize dem russischen Offizier erzählt, in den zahlreichen Fehden der Rajah mit den Türken und den Begs nicht das erste Mal, daß das Kloster eine kurze Belagerung ausgehalten hätte. Waffen und Munition wurden an die zurückgebliebenen Männer, freilich meist nur Knaben und Greise, verteilt oder im Refektorium und an anderen Stellen zusammengehäuft, die Fenster des oberen Stocks und der kleinen Kirche verrammelt und ähnliche Vorsichtsmaßregeln getroffen.
Das hielt aber natürlich die Weiber- und Kinderhaufen nicht ab, sich draußen im Freien unter den Kastanien umherzutreiben, auf dem Abhang des Berges sich zu zerstreuen und nach jedem Zeichen zu spähen, das ihnen Kunde geben konnte von den Erfolgen ihrer Krieger, und bis hinunter zum Tal wagten sich trotz der Warnung der Mönche verschiedene Gruppen, denn jeder wollte der erste sein, Botschaft zu bringen oder zu hören.
So war die Zeit des Niedergangs der Sonne herangekommen, und eben klang die Glocke zum Abendgebet, als die unter den Kastanien Weilenden Schüsse aus dem Tal hörten und ein Haufen von Frauen und Kindern in wilder Flucht den Berg herauf und der schützenden Pforte des Klosters zustürzte.
»Die Türken! Die Türken! Gott erbarme sich unser! Die Bozuks! Die Golatschanen!«
Und während alles, was flüchten konnte, eilig sich durch die Pforte drängte oder sich zu verbergen strebte, drangen bereits die ersten Reiter den Berghang herauf und erschienen auf dem Plateau des Klosters.
Es waren zwei alte Männer an ihrer Spitze, offenbar nach ihrer Kleidung und dem Schmuck ihrer Rosse zu urteilen, Krieger von hohem Rang. Der erste sprengte gegen das Kloster, seinen Säbel schwingend: »Komm heraus, falscher Mönch, Wusseïn der Drache ist hier. Dir die Zunge aus dem Halse zu reißen, wenn Du nicht gestehst, was er fordert!« – der Zweite, ein Greis, wohl zehn Jahr älter als jener – verfolgte ein flüchtendes Mädchen, das die Pforte nicht mehr rechtzeitig hatte erreichen können, und sich jetzt hinter den Stämmen der Kastanien zu verbergen suchte. Kaum hundert Schritte von ihr entfernt, lag eine Rajah-Frau auf den Knieen und rang die Hände. »Mein Kind! Helene! mein Kind!« – Nach allen Seiten flüchteten sich Unglückliche, von der Reiterschar, die in buntem Gewirr und wildem Geschrei heranströmte, überraschte Weiber, Greise und Kinder umher, gegen den ersten Anlauf der wilden Feinde ein Versteck suchend.
Noch war die schützende Pforte nicht geschlossen, eins über das andere stürzend drängten sich die meisten dorthin, und der grimmige Reiter, der voran gegen das Kloster stürmte, trieb das Pferd ohne Erbarmen in den Menschenhaufen, rechts und links mit Säbelhieben Frauen und Kinder unter die Hufe seines Rosses werfend.
»Komm heraus, falscher Kalorgi! Wusseïn ist hier, sein Blut zu fordern von Dir!«
In der Pforte stand, den Eingang verengend, eine mächtige Gestalt, Iwo der Blutige, doch schien er kaum auf den furchtbaren Gegner zu achten – seine sprühenden Augen flogen suchend umher – –
Der Angstruf der entsetzten Mutter »Helene«!« machte die kräftige Gestalt erbeben, zwei Schritte sprang er vor, – in dem Augenblick, wo der erste Reiter fast an ihm war, hatte der zweite die geflüchtete Jungfrau fast erreicht und trieb sein Roß gegen die Taumelnde.
»Iwo, rette Helene!«
Erst jetzt sah er ihre Not. Ohne auf den geschwungenen Säbel des nächsten Gegners zu achten, hob der finstere Junak die lange albanesische Flinte und feuerte fast unter den Hufen des bäumenden Pferdes hinweg – der zweite der Reiter wankte getroffen im Sattel und stürzte schwer zu Boden. Der Stumme ließ die Flinte fallen und wollte der Jungfrau zu Hilfe eilen, als ein Säbelhieb des Pascha seinen Kopf traf, aber die Klinge mußte sich in der Hand des furchtbaren Moslem gedreht haben oder eine Wendung des Rajah die Klinge an seiner Kopfbedeckung abgleiten lassen. Doch war die Wucht des Hiebes so gewaltig, daß der Getroffene, trotz seiner jugendlichen, gigantischen Kraft darunter sich beugte. Im nächsten Moment ließ der Pascha den Säbel am Riemen vom Faustgelenk hängen, hatte den Rajah gefaßt und schleifte ihn aus dem Gedräng, während es den Klosterbrüdern gelang, die starke mit Kupfer beschlagene Pforte endlich zu schließen, unbekümmert um alles, was draußen war und der Hand der Baschi-Bozuks verfiel.
Zum zweiten Mal hatte die Pforte des Klosters dem Pascha sich gesperrt, aber jetzt wandte er nicht ohne Beute sich von ihr ab. Seine Krieger schleiften den Riesenleib des Rajah, den sie zu Boden gerungen hatten und jetzt banden und knebelten, mit sich fort, als sie sich vor den Schüssen, die nun aus allen Fenstern des Gebäudes, freilich schlecht gezielt, auf sie fielen, zurückzogen, und der Triumphruf: »Der blutige Iwo, der böse Dämon der Giaurs!«, der sich bald durch den Lärm des Kampfes hören ließ, entschädigte sie für den eigenen Verlust im Kampfgedräng an der Pforte.
Der Pascha hatte sich aus dem Bereich der Kugeln der Belagerten zurückgezogen – der Ruf war auch an sein Ohr gedrungen, und seine Augen funkelten vor grimmigem Stolz über seinen Sieg, dabei suchten sie umher: »Wo ist Widaïtsch der Beg, mein Probastwo? Bundesbruder. Wer sagt, daß der Gefangene, den meine Hand zu Boden geworfen, der berüchtigte Mörder so vieler Krieger des Propheten ist?«
Zehn Stimmen antworteten: »Allah segne Dich, Pascha! Wir haben ihn erkannt! Frage eine der Gefangenen, und Du wirst die Bestätigung hören!«
»Fragt ihn selbst! Bist Du Iwo, der Wudkodlak, der Mörder der Moslems?« Aber von allen Seiten antwortete ihm der Ruf: »Weißt Du nicht, großer Pascha, daß Allah ihn gezeichnet, daß er stumm ist?«
»Wartet – bewacht ihn gut – aber keine Hand hebe sich gegen ihn, bis ich sein Los bestimmt – und bei Allah und dem Propheten, es soll nicht leicht sein. – Wo ist Widaitsch, der Beg, mein Bruder?« fragte er nochmals.
Da öffnete sich die Menge, vier Arnauten trugen den zum Tode getroffenen Greis herbei. »Die Kugel des blutigen Iwo hat ihn getroffen; wir sahen den Schuß!«
Der Pascha war mit einem Sprung vom Pferde und stürzte zu dem Blutbruder, wie der Löwe zu der vom Blei des Jägers getroffenen Gefährtin: »Bruder, Freund – tapferer Ali – sprich, es ist nicht wahr?«
Das grimmige runzelbedeckte Gesicht des Großwojwoden von Zwornick, des unversöhnlichen Kämpfers des bosnischen Adels zuckte im qualvollen Schmerz. »Reich mir die Hand, Bundesbruder – es ist aus mit mir, der schwarze Engel tritt zu meinen Häupten. Ich hoffe, Du wirst mich, der dreißig Jahre lang Dein Pribastwo war, nicht ungerächt sterben lassen!«
»Bei dem Bart des Propheten, Ali, ich will Dir eine Fackel anzünden, daß sie leuchten soll bis über die fernsten Grenzen Bosniens. Wo ist der Hund, der den Bruder des Drachen getötet? Bringt alle Gefangenen hierher! Jussuf Aga – hast Du die Wachen um den verfluchten Ort gestellt? Laß keinen entwischen, weder Mann noch Weib! Laß ihnen keinen Augenblick Frieden! Verfolgt sie mit Feuer und Schwert! Auf zum Kampf, tapfere Moslems! zum Kampf!«
Jussuf Aga, der erste der Unteranführer des Pascha, war ein wilder Tscherkesse, dem Menschenleben nichts waren, voll fanatischen Hasses gegen die Christen, dabei ein erfahrener tapferer Krieger, in allen Listen des Kampfs mit den Moskows in seinem Vaterlande wohl erfahren. Mit Scharfsinn hatte er zwei Reihen von Wachen um das Kloster gestellt, die nächste hinter verschiedenen Deckungen in halber Schußweite von den Mauern, die zweite in weit größerer Entfernung auf dem Berge zugleich als Vorposten gegen etwa herankommenden Beistand der Rajahs. Nachdem diese Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, leitete er den Angriff der Bozuks, die sich jetzt wohl auf tausend Mann verstärkt hatten und aus ihren langen Flinten ein fortwährendes Feuer auf jedes Fenster, auf jede Öffnung des Klosters unterhielten.
Aber die Verteidiger desselben wehrten sich trotz ihrer geringen Zahl und obschon ihnen der geschickteste und gefürchtetste Krieger fehlte, auf das Tapferste. Der Abt schien zwar nicht gewillt, an dem Kampfe teil zu nehmen, wenigstens hatte er sich bis jetzt nicht unter die Verteidiger gemengt, dagegen überbrachte der alte Sakristan seine Weisungen und Befehle und war überall zu finden, wo Gefahr war. Er hatte den Kalogeris, den sechs Mönchen des Klosters, und den zwei oder drei Laienbrüdern die Absolution des Abtes und seine Erlaubnis verkündet, zur Verteidigung des Gotteshauses die Vorschriften der Kirche, die den Priestern verbietet, einen Feind zu töten, übertreten zu dürfen, und die Mönche zeigten sich als geübte und tüchtige Schützen, obschon sie meist alte Männer waren. Auch die Frauen waren mit Waffen versehen worden, und es zeigte sich der Einfluß der Sitten des benachbarten schwarzen Hochlands, wo das Weib des Glawaren, des Uskoken ihren Mann in den Kampf begleitet und treu ihm zur Seite steht, wo hundert Piesmen von den Heldentaten der Frauen erzählen, und gar manche Rajahfrau übte jetzt mit einem wackern Schuß an den wilden Kriegern des Halbmonds Vergeltung für die verübten Gräuel in ihren zerstörten Dörfern. Durch ihre gedeckte Stellung im Dunkel der Zellen hatten die Verteidiger gegen die draußen sich im Licht der auf dem Plateau angezündeten großen Feuer bewegenden Bozuks einen großen Vorteil voraus und taten ihnen großen Schaden.
An dem entferntesten und größten der Feuer hatte der Pascha seinen Sitz aufgeschlagen, empfing hier die Berichte seiner Untergebenen und erteilte seine Befehle. Ihm zur Seite hatte man aus Decken, Sätteln und Kissen ein möglichst bequemes Lager für den Schwerverwundeten bereitet, auf dem der ehemalige Pascha von Zwornik unter den Händen eines jener albanesischen Heilkundigen sich wand, die ohne jede Kenntnis der inneren Krankheiten, doch an Kugel- und Hiebwunden oft die wunderbarsten Heilungen vollbringen.
Hier aber hatte jede Kunst des Wahrsagers und Quacksalbers – denn diese Ärzte der abergläubischen Bergbevölkerung beschäftigten sich mit beiden Dingen, ihr Ende und der Mann zuckte bei den Bedrohungen und Versprechungen des Paschas nur angstvoll die Achseln, verdoppelte seine Zeremonien und Zaubersprüche und berief sich auf das Kismet, das uns alle erreicht. Die Kugel des blutigen Iwo war von der Seite in die Brust des Ober-Wojwoden geschlagen, hatte die Lunge und andere edle Teile verletzt und der unausbleiblich nahende Tod stand auf den grimmigen Zügen des Leidenden.
Eben war der Aga wieder bei seinem Anführer gewesen, ihm zu berichten, daß ein neuer Angriff gegen die Pforte des Klosters von den Verteidigern desselben blutig zurückgeschlagen worden sei.
»Die Mauern der Giaurs,« sagte der Tscherkesse, »sind fest gegen unsere Kugeln und unsern Stahl, großer Pascha. Viele unserer tapferster Krieger sind von den Flinten dieser Söhne eines Schweins und einer Hündin, bereits gefallen. Ich weiß nicht mehr, was wir tun sollen, sie zu besiegen!«
»Ich habe in früheren Zeiten gehört,« sagte nachdenkend der Pascha, daß ein Eingang zu dem Hause oder zu der Moschee der Christen durch die Felsen führt, auf dem sie stehen, aber ich habe ihn nie mit Augen gesehen, da die schwarzen Kalorgis ihn geheim zu halten wissen. Doch müssen wir Mittel finden, ihren Widerstand zu brechen – ich muß den Mufti der schwarzen Mönche in meiner Gewalt haben, und wenn ich einen Mond vor diesen Mauern liegen sollte. Du weißt, Ali, daß es geschehen muß! – Geh, Jussuf, laß nicht Weiber in Deinen Bart speien und die Giaurs die Gräber Deiner Eltern besudeln – Du bist sonst ein Tapferer und wirst ein Mittel finden, Dir den Eingang zu erzwingen!«
Der Verwundete versuchte sich auf seinem Lager emporzurichten, seine Augen funkelten grimmig.
»Feuer!« murmelte er.
»Inschallah! – es ist wahr – Du wußtest stets den besten Rat, Probastwo Ali! Denkst Du noch daran, als Du uns von dem heiligen Berge Witez zurück zu den Toren von Serajewo führtest, und wir uns mit zweihundert Tapferen durch das ganze Heer des Kara Mahmud Eine der berühmtesten Heldentaten Wusseïns, in vielen Liedern besungen. und des Ali-Aga von Stolatz schlugen bis zu den Ufern der Donau? Alle die Tapferen waren bei uns – bis auf den Verräter Michal, der uns verließ, wo es Männer galt. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß ich jenen Ring vor drei Tagen wieder sah, den ich ihm am Tage von Kossowo gab!«
Der sterbende Großwoiwode war bei der Erwähnung zusammengeschauert – seine erhobene Hand deutete nach dem Kloster.
»Du hast Recht Probastwo – wir müssen das Rätsel lösen, ehe Du hinüber gehst zu den sieben Himmeln des Propheten! Hast Du nicht gehört, Jussuf-Aga, was der Pascha uns riet? Fort mit Dir und brauche das Feuer, die schwarzen Kalorgis aus ihrer Höhle zu räuchern, wenn Deine nackten Kinder Weiber geworden, die Männer nicht mit blankem Stahl aus ihren Kulas zu holen vermögen!«
Der wilde Tscherkesse verschwand, erfreut über den grausamen Befehl.
In diesem Augenblick verkündete jubelndes Geschrei vom Abhang des Berges her aus dem Kreise der Posten ein neues Ereignis.
Ein Trupp Albanesen schleppte einen Gefangenen herbei, einen Jüngling in der Kutte eines Kloster-Novizen – Nicolaus, den Zögling des Higumenos von Sankt Basilio.
Der Unglückliche war offenbar in die Hände der Posten gefallen, als er versucht hatte, auf geheimen Wegen in das Kloster zurückzukehren. Seine Augen irrten angstvoll bald auf die im Pulverdampf des Gefechts halb verschwindenden Klostermauern, bald über die wilden Gestalten, die ihn umgaben – plötzlich fielen sie auf den mit Stricken an den Stamm einer Kastanie geschnürten Leib des blutigen Iwo.
»Heilige Panagia! erbarme Dich unser! Iwo, mein Freund!« – Er wollte zu ihm, aber die rauhen Hände seiner Wächter rissen ihn zurück.
»Maschallah – da haben wir ja, was wir brauchen!« rief der Pascha, – »he Giaur – bist Du nicht der Knabe, der mir vor drei Tagen Botschaft brachte, von dem Imam dieses Klosters?«
»Sprich, Sohn einer Hündin – bist Du ein junger Kalorgi dieses verfluchten Klosters?«
»Ich bin der Novize Nikita!«
»So mußt Du wissen, wo der geheime Felsen-Zugang zu diesem Nest alles Unrats ist! Zeige ihn mir, und ich will Dir das Leben schenken!«
Der Jüngling rang die Hände und schlug die Augen zum Himmel. »O Pascha, habe Erbarmen – ich bin so jung noch – aber ich bin ein Christ! Ich habe bei dem Gekreuzigten geschworen, den Weg zu meinen Brüdern nicht zu verraten!«
»Also Du gestehst, ihn zu kennen! – Inschallah, das genügt! He, Ihr da! Bindet den jungen Sohn der Hündin an jenen Baum dort, dem Mörder hier gegenüber – und Du, Abdallah!« er winkte einen Mohren, seinen Pfeifenträger, und sagte ihm einige Worte auf Türkisch, die teuflischen Beifall unter den Umgebenden hervorriefen. – »Sprich, was ist Dir, Pascha Ali, was willst Du von Deinem treuen Bundesbruder, das Deine scheidende Seele erleichtern kann?«
Der Leidende hatte mit Hilfe seines Arztes den Oberkörper emporgerichtet – Blut tropfte bei jedem Atemzug aus seinem Munde in den weißen Bart, aber die zähe Willenskraft hielt den Greis aufrecht.
»Ich wünschte, ich hätte das Weib nicht verstümmelt, Freund,« sagte er in Absätzen. »Siehst Du nicht, Wusseïn, daß der Rajah dort ihre Augen hat? Laß ihn sterben, wie Du versprachst, damit er nicht meinen Todeskampf schwer macht, wenn er auf mich sieht! Es ist mein Recht!«
»Und es soll Dir werden! Sieh, Bundesbruder, Jussuf Aga ist bereits an der Arbeit! Der Giaur, dessen Ruf so lange unsere Krieger zu Weibern gemacht, soll Dir vorangehen auf dem dunklen Wege, doch, weil er ein Junak war, soll er sterben wie ein Krieger, indes dieser junge Hund, der uns in den Bart zu lachen wagt, die Behandlung eines Hundes erfahren wird. Zum letzten Mal, Knabe – willst Du meinen Kriegern den Weg zeigen?«
»Mutter der Gnaden und der heiligen Schmerzen, stehe mir bei! Gnade, Pascha! Ich habe auf das heilige Kreuz geschworen – ich kann es nicht!«
»Und bei dem Bart des Propheten schwöre ich, Wusseïn Pascha, Osmans Sohn – ich will Dir das Herz aus dem Leibe reißen, wenn Du meinen Willen nicht tust! Wirf ihn zu Boden Abdallah und gib ihm Deine Bastonade, die Scheitan in der Hölle erfunden hat. Ha – Jussuf Aga – Du kommst gerade zur rechten Zeit – sprich, wie weit bist Du mit Deinen Brandern? Eile Dich, damit die Seele meines Bruders noch die Strafe der Rebellen sieht.«
»Es ist alles bereit, großer Pascha,« sagte der Tscherkesse, »und wir harren nur Deines Befehls, um die Fackeln zu schleudern, obschon es das Leben nicht weniger Krieger kosten wird, denn wisse Pascha, der Kapitano, den die Giaurs Dir zum Hohn den Bären der Herzegowina nennen, ist in jenen verfluchten Mauern!«
»Der Bär?« – Mit einem Sprunge war der Pascha auf seinen Füßen. »Hörst Du, Bundesbruder Ali – der Bär ist in dem Kloster und die Totenfackel, die für Dich zum Himmel des Propheten steigt, wird den Nüstern des Padischa angenehm duften. Woher weißt Du die Kunde, Jussuf Aga, die ich Dir mit Gold lohnen will!«
»Ich sah ihn selbst, Herr, ich konnte das zottige Haupt des Ungetüms sehen, dessen Namen der Giaur sich angemaßt hat, als er mit den Kalorgis über das Dach des Hauses ging!«
»Vorwärts denn! Ans Werk! Laß die Feuer tüchtig schüren auf dem Platz, Jussuf Aga, damit sie sehen, was wir hier tun, und wissen, was sie zu erwarten haben für ihren rebellischen Widerstand! Schicke mir sechs Deiner schlechtesten Schützen hierher, und sobald Du sie hier knallen hörst nach dem Ziel, das ich ihnen zu geben denke, dann beginne den Angriff. Nun Abdallah, beginne! – Da kommen meine Arnauten! – Hört, Schurken – Ihr sollt ein Scheibenschießen halten nach lebendigem Ziel. Seht Ihr Euren Feind dort? Wie der Aga rühmt, trefft Ihr gleich ihm die Schwalbe im Flug! Wallah, wir wollen ihn fliegen machen! Mögen Euer zwei auf den Baum steigen, an den er gebunden ist und einen Strick um den festesten Ast schlingen!«
Sie sahen ihn erstaunt an – noch begriff keiner die Absicht des Paschas. Er wiederholte kurz den Befehl, und zwei der Bozuks erstiegen den Baum, indem sie ihre Füße auf die Schultern des Gefangenen setzten. Dann ließen sie den in mehr als doppelter Mannshöhe um einen starken Ast geschlungenen Strick nieder. Der Pascha winkte den vier andern Bozuks.
»Ihr da – löst den Mann dort vom Stamm, und bindet seine Füße an den Strick, dann mag er den Kalo tanzen unter Euren Schüssen, hundert Piaster für jede Kugel, die das Blut des Blutigen fließen macht!«
Das Urteil war so furchtbar, daß es selbst einen Augenblick diese des Mordes und der abscheulichsten Grausamkeiten gewohnten Männer zögern machte, aber schon im nächsten stürzten sie sich mit wildem Triumph auf ihr unglückliches Opfer.
Im Augenblick war der kräftige Mann von dem Baum gelöst, niedergeworfen, und zu der Stelle geschleift, wo der Strick niederhing, im nächsten waren seine Füße in die Schleife gelegt und diese fest geknotet.
»Auf mit ihm!«
Die Bozuks auf dem Ast zogen, ihre Kameraden hoben die schwere Last, bis der Kopf des Unglücklichen, dessen Arme an den Leib geschnürt blieben, etwa drei Fuß vom Boden hing, dann banden sie oben die Stricke fest und glitten von dem Stamm wieder herab.
»Jetzt nehmt Eure Distance, Schurken!« sagte der Pascha, »fünfzig Schritt und nicht einen mehr, nicht einen weniger und dann tut Euer bestes, den Vogel im Fluge zu treffen, nur hütet Euch seinen Fittig zu verletzen! So Iwo, Blutiger! rächt Wusseïn, der Pascha den Großherrn, den Tod seines Blutbruders!«
Und die Hand des Furchtbaren gab selbst dem Körper des Unglücklichen einen gewaltigen Stoß, daß er gleich einer Schaukel an dem schwanken Strick hin- und herflog. Dann setzte er sich wieder nieder zu dem Sterbenden und betrachtete mit kaltem Blick die schreckliche Szene.
Denn auch der Mohr war mit seinen Vorbereitungen längst zu Ende, und nur die Neugier, was da drüben mit dem gefürchteten Uskoken geschah, hatte die befohlene Exekution aufgehalten. Er hatte eine Anzahl glühender Kohlen vom nächsten Feuer zur Seite seines Opfers zusammengehäuft, dessen Füße auf seinen Wink zwei seiner Gefährten der Sandalen entledigt und, die Fußsohlen nach oben, an einen Stock gebunden hatten, den sie rechts und links in Kniehöhe hielten.
Die orientalische Strafe der Bambushiebe auf die nackten Fußsohlen, die Bastonnade, ist noch heutigen Tages eine auch in der türkischen Armee und Marine zu gewöhnliche, als daß sie irgend große Teilnahme und Aufmerksamkeit hätte erregen sollen, und die letztere wendete sich daher nur der furchtbaren Exekution auf der andern Seite zu, das Klatschen der Schläge des Rohrs und das Wimmern des Knaben unbeachtet lassend, bis das gellende Geschrei des Gemarterten einen Moment die Blicke von dem anderen kaum so entsetzlichen Schauspiel nach diesem zog.
Auf den Wink des Mohren, des selbst von diesen wilden Kriegern gefürchteten Henkers des Pascha, der die Baschi-Bozuks nur durch die grausamste Strenge im Gehorsam hielt, – hatte der Schwinger des Bambusstocks eine Pause gemacht, und mit bedächtiger Bosheit hob mit dem messingnen Kohlenzängchen, das der niedere Moslem zum Gebrauch für den gestopften Schibuk im Gürtel bei sich führt, der Mohr zwei der glühenden Kohlen auf und legte sie auf die bereits blutrünstigen Sohlen des Novizen.
Der Schmerz mußte furchtbar sein, denn der Schrei, den der junge Mensch ausstieß, übergellte selbst den Lärm des nach dem ersten Schuß nach der fliegenden menschlichen Scheibe erneuerten Angriffs gegen das Kloster.
Eine Anzahl der Krieger des Aga trug große wie Fackeln mit Moos, Zeuglappen und Zweigen umwickelte Brände gegen das Gebäude, während andere unter ihren Kugeln jede Öffnung der beiden Stockwerke und das Dach in Schach hielten, sodaß keiner der Verteidiger mehr wagte, sich zu zeigen, um die Annäherung der Feinde mit wohlgezielten Schüssen zu hindern.
So ziemlich gedeckt, suchten die Träger der Fackeln diese auf das Dach zu schleudern oder an die hölzernen Teile des Baues zu halten und diese in Brand zu setzen.
Da der Angriff auf allen Seiten des Klosters zugleich geschah, reichte die Zahl der Verteidiger in keiner Weise, ihn auf die Dauer zurückzuweisen, und wenn die tapferen Kalorgis, ja, selbst die Frauen jetzt auch furchtlos sich den Kugeln preisgaben und den hier und da entstehenden Brand zu löschen suchten, mußte schließlich doch die überwiegende Zahl der Angreifenden ihren Zweck erreichen.
Auf das gellende Geschrei des Knaben hatte der Pascha Wusseïn nur den Kopf nach jener Seite gewandt, und gefragt: »Pfeift die schwarze Maus?« Dann aber, als der schwarze Henker den Kopf schüttelte, gewinkt, fortzufahren und seine Aufmerksamkeit wieder zwischen dem sterbenden Bundesbruder und dem gräßlichen Schießen geteilt.
Hin und her schwankte der mächtige Körper des Haiduken noch immer wieder, von Zeit zu Zeit durch den Stoß mit einem Lanzenschaft in Bewegung gehalten. Die barbarischen Schützen schienen jetzt von einem wahrhaft teuflischen Behagen an ihrem Werk erfüllt und schossen unter hundert wilden Späßen und mit bedächtigem Zielen. Zwei Mal hatte jeder bereits sein Glück versucht und trotz ihres Ungeschicks blutete der Haiduk bereits aus mehreren Wunden, ohne daß eine oder die andere gefährlich genug gewesen wäre, seine Leiden zu enden. Diese schienen furchtbar zu sein und mit jedem Augenblick sich zu steigern, weniger durch die Schmerzen der Verletzungen, als durch die furchtbare Lage, in der er das Ziel der Kugeln war. Das Blut drang dem starken Mann derart zum Kopf, daß das sonst so fahle Gesicht wie mit dunklem Purpur gefärbt schien, aus dem große, stierende Augäpfel herausquollen, als wollten sie aus ihren Höhlen springen, während die Adern an Hals und Schläfen wie blaue Strähne aufschwollen. Von Zeit zu Zeit kam ein gurgelnder Ton aus seiner sprachlosen Kehle, und nur, wenn wieder durch Zufall die Kugel eines der schlechten Schützen den gewaltigen Leib traf und ein neuer Blutquell hervorspritzte, zuckte dieser konvulsivisch zusammen. Bis jetzt hatten diese Kugeln nur Arm und Beine oder den Unterleib getroffen, eine aber den Kopf gestreift, als durch einen solchen Zufall der Strick, der die Last trug, von dem zischenden Blei derart zerschnitten wurde, daß der Rest den Körper nicht mehr zu tragen vermochte und dieser schwer zu Boden stürzte.
»Tölpel!« zürnte der Pascha, als die Bande, gleich der Meute auf den Eber, auf die regungslose Gestalt zustürzte, um sie aufs neue emporzuheben und anzuschlingen. »Hab' ich Euch nicht gewarnt!«
Doch zögernd, scheu standen die Männer um ihr Opfer – wild rollten noch die Augen in dem dunklen Gesicht, dann wurden sie starr und starrer – der mächtige Körper zuckte nicht mehr, seine Leiden waren zu Ende, und von der abergläubischen Furcht ergriffen, daß er ein Wudkoklak, ein Vampyr, sei, wagten sie nicht, den regungslosen Körper anzufassen.
»Wallah – was soll's! Warum bindet Ihr den Mann nicht wieder fest – seid Ihr des Spiels schon müde?«
»Großer Pascha – sieh selbst – der Giaur ist tot!«
»Tot? – Und wer von Euch Schelmen tat den Schuß?«
Sie zögerten mit der Antwort, endlich sagte eine Stimme: »Das Blei und Stahl haben keine Macht an denen, die sich lebendig ins Grab legen – der Giaur hat das Genick gebrochen!«
»Um so schlimmer,« fügte ein anderer bei, »desto eher wird er sein verlorenes Blut fordern, wenn man ihm nicht den Kopf zwischen die Beine stellt und einen Pfahl durch den Leib treibt!«
Der Pascha, dessen Aberglaube geringer war, zuckte die Achseln.
»Dummköpfe! Mögt Ihr nachher tun mit dem Aas, was Ihr wollt; jetzt hängt ihn wieder an seinen Galgen, damit die Christenhunde im Kloster nicht zu kurz kommen in der Aussicht! – Gehorcht! Was will das Weib? Treibt sie fort von hier, werft sie den Hunden vor, wenn Ihr sie zu schlecht haltet für Eure Lüste!«
»Pascha – Erbarmen – die Unmenschen schänden mein Kind – die Jungfrau in den Armen der Mutter! Bist Du ein Mensch, Pascha, daß Du solche Greuel dulden magst! – Fürchte den Zorn Gottes, Mörder der Schuldlosen!«
Zu was seid Ihr Weiber auf der Welt, als dem Mann Freude zu machen! Ich hoffe, Deine Tochter ist jung und hübsch!«
»Ungeheuer! Mögest Du an Deinem eigenen Blut gestraft werden – heiliger Gott – welche Stimme ruft dort?«
»Barmherzigkeit! Pascha! Ich will den Zugang weisen. – Diese Leiden sind schlimmer als der Tod!«
Die Stimme klang gebrochen, ein undeutliches Wimmern, übertönt von dem Wutgeschrei der Kämpfenden, dem wüsten Lärmen der gräßlichen Orgie, die, während der Tod seine Ernte hielt und die Glocke des Klosters vergebens um Beistand heulte, an anderen Stellen des Plateaus von den entmenschten Bozuks begangen wurden; dennoch hatte das Ohr der Mutter durch all den Lärm den Schmerzensruf gehört, die wimmernde Stimme erkannt! Wie eine Rasende fuhr sie von den Füßen des Paschas empor, schaute umher und durchbrach den Kreis.
»Nikita, mein Sohn! Wo bist Du?«
»Mutter, zu Hilfe!«
Der in unbeschreiblichem Schmerz sich windende Knabe hatte gleichfalls ihren Ruf gehört.
Ihr Auge schaute die schreckliche Szene, vergessen war die Schmach, die Gefahr der Jungfrau – an dem Knaben hing ihr Herz, wer hätte sie halten können, die Mutter! Mit zwei Sprüngen war sie bei ihm, riß mit den Händen die glühenden Kohlen von dem zuckenden, widrig rauchenden Fleisch, und schleuderte sie dem Teufel ins schwarze Gesicht, der noch das Instrument der Marter zwischen den Fingern hielt. Aus den Händen riß sie dem Gehilfen des Henkers das bluttriefende Rohr und schlug wie rasend um sich, mit ihrem Leib den Körper des wimmernden Knaben deckend.
Der Mohr, der Scharfrichter und Urteilsvollstrecker seines Herrn, zog kaltblütig das lange Pistol aus dem Gürtel und spannte es. »Fort mit Dir, Christenweib, und hindere den Befehl des Herrn nicht – oder …«
Ihr Auge blitzte ihn wahnwitzig an, aber sie wich nicht!
Ein dämonischer Jubelruf, als wären tausend Teufel der Hölle entflohen, drang vom Kloster her – in heller Glut prasselten die Flammen aus dem Balkendach des Hauses zum Nachthimmel empor – leckten mit glühenden Zungen aus den Fenstern des oberen größtenteils von Holz gebauten Stocks, schlugen aus der kupferbeschlagenen Pforte den Anstürmenden entgegen – der Eingang war gesprengt. – –
Der Pascha stand in stolzem Triumph neben dem Blutbruder, die Hand mit dem Säbel wies nach dem brennenden Gebäude.
»Freue Dich, Bruder Ali! Der Prophet zündet Dir die Fackel, die Dir leuchtet auf dem finstern Wege, den wir alle gehen, – bist Du zufrieden, Bundesbruder? – Zu spät, Rebellenknabe, jetzt brauch' ich Deines Verrats nicht mehr, – Du bist …« – –
Einer der Bozuks, mitleidiger als die anderen, hatte dem schwarzen Scharfrichter die Pistole zur Seite geschlagen, die dieser auf das Haupt der mutigen Mutter gerichtet. »Hast Du nicht gehört, Schwarzer, daß der junge Giaur dem Befehl unseres Gebieters jetzt gehorsam sein will? Laßt ihn uns zu ihm führen, damit seine Zunge rede, bevor es zu spät ist! Du könntest sonst selbst gestraft werden!«
Der Mohr fand den Rat gut, der Novize wurde losgebunden und emporgerissen, aber von Führen war nicht die Rede – man mußte den Armen, dessen Füße jeden Halt verloren hatten, zu dem Pascha schleifen, das Weib, die Mutter, die sich krampfhaft an ihr Kind klammerte, mit ihm.
»Hier ist der Kalorgiknabe; er will gestehen, Herr!«
Die Frau rang die Hände flehend zu dem Furchtbaren. »Erbarmen!«
» Dein Blut Wusseïn, Drache von Bosnien!« sagte eine tiefe Stimme vom Stamm der Kastanie her, » Dein Blut, wie das Iwos, des Christen!«
Der Pascha fuhr, wie von einer Natter gestochen, empor – an der Kastanie stand der greise Abt Michael im Talar – wie aus der Erde gestiegen, – Keiner hatte ihn kommen sehen; und in der Tat war er der Erde entstiegen, eine tiefe Öffnung gähnte zwischen den Wurzeln des Baumes, der Steinsitz, der dort gestanden, war verschwunden oder hatte sich zur Seite geschoben durch unbekannte Kraft, und der Schatten des wieder vom Ast niederhängenden Leichnams hatte die Öffnung verdeckt.
»Steig herauf, Dulderin!« fuhr die tiefe Stimme des Higumenos fort, »steig herauf aus Deinem Grabe, Wudkodlak, Vampyr, und schlage Deinen Zahn in die Adern Deiner Mörder, Deine Zeit ist da!«
Und aus der Tiefe herauf, die offenbar einer der Zugänge war für den verborgenen Felsengang zu dem uralten Klosterbau, stieg eine schrecklich anzuschauende Gestalt langsam empor, zwei händelose Arme zum Himmel gestreckt, den seines Gliedes beraubten Mund wie zur Anklage geöffnet: die verstümmelte Frau aus der Kula der Grahowen, die Mutter Iwos des Blutigen.
Ein tiefes Stöhnen klang vom Lager des Sterbenden her. Der Greis hatte sich halb emporgerichtet, seine Augen starrten auf die Erscheinung mit dem Ausdruck des tiefsten Entsetzens, ja der Furcht, die er nie gekannt in seinem Leben.
Langsam, Schritt um Schritt, mit geöffnetem Munde, die händelosen Arme gegen ihn vorgestreckt, schritt die Erscheinung auf ihn zu, und immer gräßlicher starrten die Augen des Sterbenden.
»Bundesbruder Wusseïn – hilf – der Wudkodlak …!«
Aber der Pascha hatte kein Ohr mehr für ihn; wie er so oft es jedem seiner Worte und schlimmen Ratschläge geliehen hatte seit damals, vor länger als dreißig Jahren, als er ihn hochherzig zu seinem Probastwo erkoren Im Jahre 1830, als Sultan Mahmud auf das Drängen Rußlands eine neue Regulierung und Erweiterung der Grenzen Serbiens gegen Bosnien genehmigt hatte, widersetzte sich Ali Widaitsch, der Pascha von Zwornik, den Kommissarien und setzte sie gefangen. Später, durch die Versprechungen des Paschaliks Sbrnik aus seiner alten Veste gelockt, fand er es bereits von Memisch-Aga besetzt und – als er nach Zwornik zurückkehrte, – auch dieses von seinem eigenen Vetter Mahmud gesperrt. Dennoch gelang es dem Geächteten, mit Beistand seiner Anhänger in die Stadt zu dringen, und er hätte seine Gegner wahrscheinlich wieder vertrieben, wenn diesen nicht auf Anstiften des Sultans der Herr von Gradaschatz, der junge Wusseïn, zu Hilfe gekommen wäre. So von zwei Seiten angegriffen, verschanzte sich Widaitsch in seinem Konak und leistete verzweifelte Gegenwehr, wurde aber endlich, da Wusseïn und Mahmud den Palast in Brand steckten, gezwungen, sich zu ergeben. Weit entfernt aber, nach dem Willen des Großherrn seinen Gefangenen zu töten, umarmte ihn Wusseïn und erkor ihn zu seinem Bundesbruder – ein Verhältnis, das bei den slavischen Kriegern von der höchsten Bedeutung ist, und das nur der Tod trennen darf – und seitdem waren die beiden in der Tat unzertrennliche Schicksalsgenossen., zum Verderben der eigenen Seele. Der Pascha Wusseïn war zurückgewichen vor dem Anblick; hätte er noch Haare gehabt auf seinem Türkenschädel, sie hätten sich emporgesträubt, – stumm, mit dem Schauer des Entsetzens, und doch begierig zu reden, zu fragen, starrte er bald auf den Abt, bald auf die schwarze Erscheinung und hatte das Weib und den Knaben zu seinen Füßen vergessen. Als sie den Sterbenden erreicht, beugte sie sich zu ihm nieder, immer die großen drohenden Augen starr in die seinen gerichtet, und stieß ihm die verstümmelten Arme in das Gesicht.
Ein stöhnender Laut, der ehemalige Erbherr von Zwornik war zurückgefallen auf sein Lager – er war tot.
Der Higumenos war zu der schwarzen Frau getreten, er hatte sorgsam wie ein Vater oder ein liebender Gatte ein Tuch über ihr Antlitz geworfen, geleitete sie zu dem Steinsitz zurück, der sich wieder über die gähnende Öffnung geschoben hatte, und ließ sie dort nieder.
Der Tod des Großwojwoden schien die starre Bestürzung des Paschas gelöst zu haben. »Hund von einem Christen – Du sollst tausend Tode sterben! – Wer ist der Dämon dort – was bedeuten Deine Worte – wie kommst Du hierher?«
»Dir Botschaft zu bringen von Michael, dem Bären der Herzegowina, Deinem Todfeind, wie ich Dir versprach!«
»Sprich – rede! Was ist Wahrheit an Deinen Worten, oder ich lasse Dich mit Pferden zerreißen?«
»So höre denn, Drache von Bosnien, die Botschaft Deines Feindes aus meinem Munde, denn Du weißt, daß ich Deine Drohungen nicht fürchte.«
Ein gebietender Wink des Paschas befahl den Umdrängenden, sich zurückzuziehen, aber der Abt wehrte dem Gebot.
»Lasse jedermann hören, was Michael, der Abt jener Stätte unseres Glaubens, die Deine Horden in diesem Augenblick vertilgen, dem Pascha von Egri-Palanka, dem Diener des Bluttrinkers in Stambul, zu sagen hat. Wohl gebietet die heilige Lehre des Christentums: Liebet Eure Feinde, und tut Gutes denen, die Euch beleidigen und verfolgen! Aber ehe die Worte des göttlichen Erlösers kund wurden den armen Bozinaki Bosniern., lautete das Gebot ihres Volkes: »Wer sich nicht rächt, heiligt sich nicht!« Und sie blieben im Herzen des Volkes, auch als die Segnung des Evangeliums ihm kam, weil der Mensch Mensch ist und bleiben wird, so lange die Erde ihn trägt, obwohl er das bessere erkennen und ehren möge!
»Drache von Bosnien: »Wer sich nicht rächt, heiligt sich nicht!«
»Es war ein Rajah in diesem Lande, Gott hatte seinen Geist tapfer und seinen Leib schön gemacht, und das Glück schüttete seine Gaben über ihn, denn der große Zar der Moskows hatte sein Auge Wohlgefallen finden lassen an dem Knaben und machte ihn zum Soldaten in dem großen Kriege der Schwabis und Moskows gegen den Sultan der Franken. Als der Knabe zurückkehrte, war er ein Mann und ein Krieger, er fand seinen Vater erschlagen von den Begs und seine Palanka verwüstet. Damals half ihm ein Verwandter, der Kalogeri war im Kloster des heiligen Basilius auf dem Berge Orjen, daß er heimkehren konnte nach seinem Heim und von der Beute, die er mitgebracht aus dem Völkerkrieg, die Palanka seines Vaters wieder aufbauen und die Äcker zurückkaufen, die der Spahi, sein Grundherr, einem anderen gegeben. Aber es war kein Frieden im Lande für den Landmann, die Begs brauchten Krieger, nicht Bauern, und zwangen Rajahs und Moslems, gegen den Großherrn und den Nizam zu kämpfen. Der Mann, der zurückgekehrt in die Heimat, genoß nicht lange des Friedens, er kämpfte gegen die Begs und kämpfte mit den Begs, je nachdem er die heiligen Rechte und Freiheiten des Volkes für bedroht hielt, und als seine Zeit gekommen war, und sein Herz, das gar vielen schönen Frauen keusch widerstanden hatte in der Hauptstadt der Österreicher, an ein Mädchen seines Landes verloren ging, machte er sie zu seinem Weibe, kurz vor der Zeit, ehe der falsche Gospodar Milosch von Sultan Mahmud die sechs Grenzdistrikte diesseits der Drina erhielt, und die alten Bewohner vertrieben werden sollten. Damals wars, wo der Rajahkrieger, der das junge Weib genommen, aufstand mit seinen Leidensgefährten und mit den Begs focht gegen die Momken des Milosch und die Paschas des Großherrn auf der Ebene von Kossowo, und Wusseïn, dem Hauptmann der Begs, das Leben rettete an der Brücke der Lim. Der tapfere Wusseïn gab dem Mann seinen Ring und versprach ihm, sein Eigentum zu schützen, während er ein Haiduk war in den Bergen, wohin der Zorn des Großherrn ihn getrieben. Als Wusseïn aber in das Haus des Haiduken gekommen war, auf dem Wege nach Gradaschatz, seiner Veste, mit dem Pascha Widaitsch, da gefiel ihm das Weib des Haiduken, der ihm das Leben gerettet hatte, besser als seine Ehre, und er befahl ihr, das Lager zu rüsten und es mit ihm zu teilen, nach der alten Sitte der Begs und Spahis gegen die geknechteten Christen. Das Weib war hilflos und allein, und der Held Wusseïn, obschon er selbst ein Weib hatte in seiner Burg zu Gradaschatz, zwang sie zu seinem Willen, denn er war jung und sein Blut heiß. Wohl drohte die Frau, das Verbrechen ihrem Gatten zu sagen, damit er sie rächen möge, aber der grausame Pascha von Zwornik lachte ihn aus, hieß ihn sein Roß besteigen und davon reiten, er wolle zurückbleiben und die geschändete Christenfrau schon bewegen, zu schweigen von dem Geschehenen. Was war auch die Ehre eines Rajahweibes und das Glück eines Haiduken, und die Frau schwieg in der Tat. Denn als der Wessir Reschid den Haiduken wegen ihres Widerstandes gegen den Befehl des Großherrn Verzeihung verkündet hatte und Erlaubnis, daß sie zurückkehren durften, da fand Michal der Haiduk sein Weib zwar hochschwanger, ob schon er sie seit neun Monden nicht gesehen, aber sie konnte nicht erzählen, wessen Opfer sie geworden; denn sie war der Zunge beraubt, und weil sie schreiben konnte, hatte man ihr auch die Hände abgehauen. Ein Frankenarzt aus Serajewo, den die Vorsehung Gottes auf einer Reise nach der Palanka geführt, hatte die Unglückliche gefunden und drei Tage bei ihr verweilt, bis er wußte, daß sie genesen würde, wenn Gott es wolle. Und Gott hatte es also gewollt. Da tat der Haiduk einen heiligen Eid, daß er die Schandtat rächen wolle, wie niemals ein Frevel gerächt worden, wenn die Heiligen ihm die Gnade erwiesen, den Namen des Täters zu erfahren. Die geschändete Frau aber, als sie die Worte des Schwurs hörte, deutete ihrem Mann auf die Füße, und ob sie auch keinen Mund zum Reden und keine Hand zum Schreiben hatte, so verstand er doch den Willen des Weibes und schnitt ihr eine Rohrfeder, tauchte sie ins Blut der Ader, die er an seinem Arm öffnete, und band sie ihr zwischen die Zehen. Dann nahm er das Papier, worauf stand, daß der große Kaiser der Moskows ihm seinen Orden gegeben, ehe er ihn in Wien seiner Dienste entließ, und den er nur seinen Tapfern verlieh, und breitete es zu ihren Füßen. Das Weib des Geschändeten schrieb darauf nach langen Mühen den Namen, der ihre Augen Feuer sprühen machte, und der Name war: Wusseïn!«
Der Redner schwieg einige Augenblicke, der Pascha aber schüttelte unwillig das Haupt.
» Aman! Aman! Was machst Du für ein Geschrei um ein beschlafenes Weib! Seit Bosnien Bosnien ist, selbst zu Zeiten der Lateiner, hat der geringste Spahi das Recht gehabt, neben den Zehnten und der Glawnitza Die alte Kopfsteuer, der Haratsch der türkischen Regierung. das Pferd und das Ehebett des Rajah zu fordern, wenn er dessen bedurfte!«
»Der Heiduk,« fuhr der Abt fort, »dachte anders; denn er war in den Abendländern gewesen, wo die Rechte des Menschen gelten! Er wartete des unglücklichen Weibes, bis sie eines Knaben genas, dann brachte er sie in den Schutz des alten Kalogeri, seines Verwandten im Kloster des heiligen Basilius am Berge Orjen, und sie wohnte dreißig Jahre dort mit ihrem Knaben in der Kula der Klosterhirten, die man die Kula der Grahowen nennt, und der Knabe, der Sohn Wusseïns, wurde ein Mann!«
Der Pascha hatte eine Decke über das verzerrte Gesicht des toten Bundesbruders geworfen – noch immer war er der Starke, Unbezwungene.
»Sprich Imam der Christen! Was tat der Hund von Haiduk noch mehr?«
»Als er sein Weib verlassen im Schutz seines Verwandten, des Kalogeri …«
»Das warst Du!« unterbrach ihn der Pascha.
– »Kehrte er zurück an die Ufer der Drina, und wo Wusseïn der Held war, da war auch Michal der Haiduke als sein böser Schatten! Michal, der Haiduk, war es, der den Ali Aga von Stolatz herbeiführte und die Uskoken der Herzegowina zum letzten Kampf, den Wusseïn focht auf bosnischer Erde, bevor er wie ein Feigling über die Donau floh …«
»Hund von einem Kalogeri!«
»Er war dabei, als Wusseïn beim Verlesen des Hattischerifs des Großherrn in Semlin, der den um Begnadigung Flehenden seiner Würden und Güter beraubte und ihn nach Stambul rief zu den Füßen des Großherrn, weinte wie ein Weib!«
»Fluch jener Stunde und meiner Unterwerfung!«
»Er war dabei,« fuhr der unbarmherzige Redner fort, »als Wusseïn, der Held von Bosnien, weinend wie ein Weib hinüberfuhr nach Belgrad, um in Stambul um Gnade zu bitten vor dem Schemel des Großherrn …«
»Hund! Du lügst! Nur sterben wollte ein Tapferer in dem Lande seiner Väter, nicht in den Pußten der Giaurs!«
»Damals war's, wo Michal der Haiduk das Weib, das jenem folgen wollte, zurückhielt, indem er sie ihrer Kinder beraubte – Wusseïn hatte ja einen Sohn in der Kula der Grahowen!«
»Was kümmert mich der Bastard des Rajahweibes – Wusseïn hat nur einen Sohn – sprich, wo ist mein Knabe? Daß er Wusseïns Geschlecht fortleben läßt in Bosnien, seinem Vaterland!«
»Michal der Haiduk nahm die Kinder Wusseïns mit sich zum Berge Orjen und gab sie dem Weibe ohne Zunge und Arme, daß sie das Mädchen erziehe mit ihrem eigenen Kind!«
»Aber der Knabe, der Sohn Wusseïns?«
»Ich kenne nur einen Sohn des Drachen von Bosnien! Michal der Haiduk gab die Tochter des stolzen Wojwoden von Gradaschatz, des Helden von Kossowo, des Schreckens des Großherrn, dem Sauhirten des Klosters vom Berge Orjen zum Weibe, und sie zeugte Kinder mit ihm … und Dein Blut ist es, der Sohn Deines Kindes, das sich in diesem Knaben zu Deinen Füßen windet!«
»Aber der Knabe, mein Sohn?«
»Der Sohn, den die stumme Mutter gebar – Dein Sohn, Pascha Wusseïn, – sieh her, Frau« – und er riß das Tuch von dem Antlitz der Duldnerin – »das Kind des Verbrechens war der Schrecken der Moslems: Iwo der Blutige – und sein Vater, der Moslem, hat ihn gemordet! – Und wenn Du wissen willst, Wusseïn, wo der ältere Sohn Deines Blutes und Namens ist, so frage den Bären der Herzegowina, denn Michal ist der Bär und der Bär …«
Der heisere Schrei, mit dem sich die Verstümmelte auf den schwankenden Leichnam warf, wurde erstickt von dem wilden Triumphgeschrei der Krieger vom brennenden Kloster her: »Maschallah – der Bär! Der Bär!«
Jussuf Aga drängte sich durch die Menge, die den Pascha umgab und legte den bluttriefenden Säbel zu seinen Füßen. »Allah mehre Deinen Ruhm, Pascha Wusseïn – er ist in unseren Händen?«
»Wer?«
»Der schlimmste Feind der Gläubigen, das Haupt der Rebellen gegen die Herrschaft des Padischah, der Führer der Rajahs, den sie den Bären der Herzegowina nannten! Dort, großer Pascha, bringen sie ihn, damit Du selbst seinen Kopf nimmst und ihn dem Großherrn sendest.«
Ein Ruf der Befriedigung brach über die Lippen des wilden Kriegers. »Her mit ihm! – lebendig! lebendig will ich ihn haben!«
Ein wirrer Haufen jauchzender Männer, die Waffen schwingend, kam von dem brennenden, zusammenstürzenden Kloster her, in ihrer Mitte gestoßen, geschleppt, taumelnd eine Gestalt in das verhängnisvolle Wahrzeichen, das Bärenfell mit dem grimmigen Kopfschmuck, gehüllt.
»Deine Tapferen, Pascha, haben ihn glücklich ergriffen, als er mit den Kalorgis und den Männern und Weibern, die unser Arm nicht mehr erreichen konnte, in die steinerne Moschee der Ungläubigen entrinnen wollte. Doch soll keiner entkommen beim Bart des Propheten!«
Der Haufen war herangekommen, sie stießen den Kapitano der Rajahs, den sie im Kloster gefangen genommen, in den Kreis, der von allen Seiten näher drängte um den Pascha und den Abt, um den gefürchteten Kapitano zu sehen – die zwei gefährlichsten Feinde der Moslems in einer Nacht – der Padischah durfte gnädig auf seine Krieger blicken!
Unbeweglich, als wäre er selbst sein Bundesbruder, stand neben dem Pascha die greise Gestalt des Higumenos – nur ein stiller Hohn flog über das ernste Gesicht.
Sie hatten den berühmten Kapitano zu den Füßen des Paschas niedergeworfen – blutige Hände rissen den unheimlichen fletschenden Kopfschmuck von seinem Haupte …
»Gott und die Heiligen mögen einem armen Schneider gnädig sein,« wimmerte eine klägliche Stimme. »Allergnädigster Herr Pascha, oder Wessir oder Großsultan, wer Sie auch sein mögen – erbarmen Sie sich meiner und retten Sie mich vor diesen grausamen Kriegsleuten, die auf kein vernünftiges Zureden hören wollen. Ich bin doch nur ein unschuldiger Sachse, der zu all dem Unglück gekommen ist, wie unser König zu Beusten. Bei Gott, kutester Herr Großsultan, ich kann Sie's beschwören!«
Der Pascha lachte wild auf. »Dummköpfe, die Ihr seid! Konntet Ihr wirklich glauben, daß der Schelm hier der tapfere Kriegsmann sei? Steh auf, Hund, wer bist Du und wie kommst Du zu der Mummerei?«
Der ehrliche Schneider hatte sich auf die Kniee erhoben, die Todesangst hatte seine Sprachkenntnisse geschärft, sodaß er die Frage genügend verstanden.
»Ach, allermajestätischter Herr Sultan Gnaden, glauben Sie mir gütigst nur das allereinzigste Mal, ich bin nichts wie eine unschuldige Schneiderseele, Anton Herzlich aus Tresten und bin erst gestern in das verdammte Kloster gekommen. Tun Sie mir nichts zu Leide um Beustens willen – ich habe Paß und Wanderschein« – und er versuchte mit zitternden Fingern die schmutzige Brieftasche aus dem Frackschoß zu ziehen.
Der Abt, der allein die klägliche Protestation verstanden, die der Ärmste im reinsten Sächsisch erhoben hatte, legte mit stolzem Lächeln die Hand auf den Arm des Moslem.
»Der Drache von Bosnien wird seinen Grimm nicht auslassen an dem quakenden Frosch! Der Mann ist ein wandernder Schwabe, gestern erst zum Kloster gekommen und ohne Schuld. Gib mir Dein Wort, Pascha, ihn ungekränkt gehen zu lassen, und Du sollst den wirklichen Bären sehen!«
Der Pascha sah fragend auf. »Wusseïns Wort – Du selbst –«
»Ich bin Michal der Haiduk, Michael, der Higumenos des heiligen Basilius, Pascha Wusseïn, ich bin der Bär der Herzegowina!«
Ein stürmisches Wutgeschrei erhob sich aus der Schar der umdrängenden Krieger – hundert Säbel und Yatagans blitzten im Feuerschein durch die Nacht.
Aber der Säbel des Paschas streckte sich schirmend über das Haupt des Bedrohten aus. »Daß keiner die Hand gegen ihn zu heben wage, bei seinem Leben! Er gehört mir und dem Großherrn! – Keine Waffe hebe sich mehr – bei meinem Zorn! – Setzt Wachen aus um die Moschee der Giaurs und löschet den Brand. Wenn die Sonne aufgeht, werdet Ihr Wusseïns Befehle hören!«
Die wilde Meute kannte zu gut die furchtbare Härte des Gebieters, um nicht sofort seinen Befehlen zu gehorchen. Ohne Widerspruch zerstreuten sich die Krieger, nachdem sie den Körper des blutigen Iwo auf einen Wink des Paschas von dem Baum gelöst und zur Seite getragen hatten, wo die Verstümmelte neben ihn kauerte, das Haupt des toten Sohnes in ihrem Schoß, während große Tränen aus ihren starrblickenden Augen darauf niederrannen, und das Weib des gefallenen Sauhirten die verstümmelten, schwer wunden Füße ihres Sohnes zu kühlen versuchte, aus dessen Mund sie jetzt erst vernahm, daß sie Witwe geworden.
Die Wachen waren ausgestellt; nur spärlich noch schlugen die Flammen aus den Mauern des Klosters und ringsum auf dem Plateau hatten sich in bunten Gruppen die Baschi-Bozuks, ermüdet von der Blutarbeit, um die Feuer gelagert und schmausten von den mitgebrachten oder erbeuteten Vorräten, bis einer nach dem andern sich auf den Boden streckte und in Schlaf versank.
Lange hatten die beiden Totfeinde, nur durch den Leichnam des ehemaligen Herrn von Zwornik getrennt, schweigend einander gegenüber gestanden, der Pascha in tiefem Sinnen auf den Griff seines Säbels gestützt, – der Abt die Hände über die Brust gekreuzt.
Endlich richtete der Pascha das Haupt empor.
»Christ,« sagte er, »Du hast Deine Rache gehabt, aber Du bist ein Sohn Bosniens und ein Junak Ein Tapferer..«
»Ich bins!«
»Ich kann Dein Leben nicht retten, selbst wenn ich es wollte, aber ich kann Dir die Martern ersparen und Deinen Tod leicht machen, wie ich wünsche, daß es der meine einst sein möge, leichter als der Tapfere ihn fand, der zu unseren Füßen liegt.«
Der Higumenos lächelte verächtlich. »Glaubst Du, daß ich den Tod fürchte auch in seiner schlimmsten Gestalt, und nicht auf ihn gefaßt war, als ich hierher kam, Drache von Bosnien?«
»Nein, ich sagte Dir schon, daß Du ein Tapferer bist wie alle Kinder der geliebten Berge, aber auch ein Sohn Bosniens und deshalb verstehst Du, was ich Dir sage. Wusseïn, Dein Feind, ist der letzte vom Stamme des großen Osman, dessen Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit die Gesänge preisen, der ein Liebling des Volkes war, und von allen Bosniaken geehrt wird als der Verteidiger ihrer Rechte gegen die Herrschaft des Divans. Darf sein Name untergehn, sein Geschlecht sterben in dem Munde unseres Volkes? Achtzehn Jahre sind es her, daß der Großherr sein Angesicht den mit Wusseïn über die Donau geflohenen und seit ihrer Unterwerfung in der Verbannung lebenden Begs zuwandte und sie wieder zu Musselims und Kapitanis machte in ihrem Vaterlande, und zehn Jahre, daß er Wusseïn und Widaitsch gestattete, ihnen zu folgen aus dem fernen Syrien. Seitdem habe ich meinen Sohn gesucht, unablässig, damit das Blut Osmans nicht tot bleibe in diesem Lande, denn ich bin alt!«
»Ich wußte es, stolzer Beg! Aber nicht bloß der Koran, auch die Bibel der Christen verheißt, daß die Verbrechen der Väter gerächt werden sollen bis ins dritte und vierte Glied. Und glaubst Du, stolzer Beg, daß das Blut der Rajah dieses Landes weniger rot ist, als das der Spahis? Daß der arme Christ auf den Namen seiner Väter, die von dem großen Volk der Gothen stammen, wie die Deinen, weniger hält, als Du? Auch ich bin der letzte Sproß meines Namens und habe kein Weib berührt, seit Deine Schandtat das meine genommen, sondern bin nach dem Gelübde, das ich tat, ein Mönch geworden, als Gott mir gestattet hatte, die Vergeltung zu sichern, indem er all' Dein Blut in meine Hände gab!«
Stolz und finster sagte der Pascha: »Das Blut des niederen Rajah ist nicht besser, wie das des unreinen Tieres. Wie magst Du es wagen, es mit dem zu vergleichen, das in den Adern der Edlen fließt? – Sprich denn zum letzten Mal – ist nichts, was Dich bewegen kann, Wusseïn das rechte Kind seiner Lenden zurückzugeben?«
»Ich habe nicht mehr die Macht dazu, aber ich kann Dir seinen Namen sagen und wo Du ihn findest!«
»So sage Deine Bedingungen!«
»Gelobe mir bei dem Bart Deines Propheten – nein, Ihr stolzen Begs seid so schlechte Moslems wie Ihr falsche Söhne des Kreuzes wart – schwöre mir bei der Seele Deines Bundesbruders, der tot zu unseren Füßen liegt, daß Du die Christen, meine Brüder, die jetzt noch die Mauern jener Kirche vor der Grausamkeit Deiner Krieger schützen, ungehindert und ungeschädigt entlassen willst, ehe die Sonne aufgeht, und Du sollst den Namen und den Aufenthalt Deines Sohnes erfahren, wenn die Sonne über die Felsenwände des Ubli steigt.«
»Ich gelobe es bei der Seele des Widaitsch, meines Bundesbruders!«
Der Abt machte das Zeichen des Kreuzes. »Ich leiste Dir den Gegeneid, Pascha Wusseïn!« Dann wandte er sich von ihm und setzte sich nieder auf den Steinsitz unter dem Kastanienbaum, wo er schweigend in tiefem Nachdenken verblieb, während auf Befehl des Paschas vier der wilden Krieger in einiger Entfernung ihn bewachten, und jener nach dem Kloster ging, um neue Befehle zu erteilen.
Drei Stunden waren ohne weitere Feindseligkeiten vergangen und die Dämmerung zeigte sich bereits am Himmel, als der Pascha wieder zu seinem Gefangenen trat.
»Komm!«
Der Abt erhob sich und folgte ihm, begleitet von den Wachen, die ihn nicht aus den Augen ließen. So gingen sie zu der von innen verbarrikadierten Kirche.
»Sage Deinen Brüdern, daß sie die Tür öffnen und sich entfernen mögen. Du hast den Eid Wusseïns, aber sie würden meiner Stimme nicht glauben.«
In der Tat zeigte ein Blick dem Abt, daß die Arnauten sich von dem äußeren Zugang des Gotteshauses zurückgezogen hatten, während der zweite, der die Verbindung mit dem Kloster herstellte, von den niedergestürzten noch rauchenden Trümmern verschüttet war.
Der Abt erhob seine Stimme, nachdem er an die schwere, mit großen kupfernen Nägelplatten beschlagene Tür geklopft hatte.
»Gregorius, mein Bruder, bist Du unter den Lebenden, die sich zur Stätte des Herrn retten konnten?«
Erst nach einer Weile kam die Antwort aus einem der hoch vom Boden gelegenen, engen Fenster des Gotteshauses. Es war die Stimme des alten Sakristans.
»Wer ruft die, welche für das Kreuz zu sterben bereit sind? Ist denn Michael unser Higumenos noch unter den Lebendigen?«
»Ich bin es, Bruder, meine Stunde ist noch nicht gekommen und meine Pflicht ist es. Euch den Dienst zu leisten, der allein in meinen Kräften stand …«
»Was befiehlt der Higumenos, mein Bruder und Freund, sollen wir mit Dir sterben?«
»Nein, Ihr sollt leben! Wusseïn der Pascha sichert Euch Leben und Freiheit. Er hat es geschworen, darum öffnet ohne Besorgnis die Pforte und zieht in Frieden – wenn Ihr meinem Rat folgen wollt über die nahe Grenze der schwarzen Berge oder in die Bocca!«
»Und Du, Freund?«
»Kümmere Dich nicht darum! Das Schicksal des Bären der Herzegowina ist in den Händen Gottes! So kommt denn ohne Furcht!«
Man hörte das Wegräumen der Balken und Geräte, mit dem die Christen im Innern der Kirche den Zugang verrammelt hatten.
In dies Geräusch mischte sich ein dumpfes Murren, das immer lauter und drohender wurde, es waren die wilden Krieger, die in der Entfernung, zu der sie der Pascha verwiesen hatte, über die Befreiung der Christen ihre Unzufriedenheit äußerten.
Der Aga und die anderen Kapitanis der wilden Schar steckten die Köpfe zusammen; dann schienen sie endlich Mut gefaßt zu haben und traten zu dem Pascha.
»Herr,« sagte der Aga, »Dein Arm ist stark und Du befiehlst im Namen des Großherrn. Aber die Golatschanen sind unzufrieden, daß sie in jenem Gebäude so wenig Beute gefunden haben, und meinen, die Giaurs pflegen ihre Schätze in goldenen und silbernen Geräten in ihrer Moschee niederzulegen. Sie fordern das Recht, sie zu plündern und zürnen, daß Du die Christen ziehen lassen willst und den Imam mit ihnen, ohne dem Sultan Köpfe zu senden! Sie verweigern den Gehorsam und wir fürchten, sie werden die Kerstiti Die Gekreuzigten – Getauften – auch der Hohnname des Nizam. nicht ziehen lassen.«
»Werden Sie? Nun bei Allah, wir wollen sehen!« Der Name der Kerstiti, der so lange noch mehr als die Christen gehaßten Gegner, hatte all seinen Zorn und die Tatkraft des einst so Gefürchteten aufgeregt.
»Wo ist Abdallah, mein Schwertträger?«
»Hier, Herr!«
»Ist Dein Handjar scharf?«
» Ahi! Befiehl, und ich schneide hundert Köpfe hintereinander mit ihm.«
Es war das zweite Mal in dieser Nacht, daß die Bande der Bozuks der Furcht sich beugte.
»Tritt neben mich. Jetzt, Bär von Bosnien – laß Deine Brüder ohne Furcht heraustreten und ihren Weg nehmen. Doch – zuvor – bist Du bereit zu sterben?«
»Ich bin es, Drache Wusseïn!«
»So halte Dich fertig! Ibrahim Pascha, der Wessir, soll noch heute Deinen Kopf empfangen – den Deinen und das Haupt des Blutigen!«
Der große Held der Begs wußte bei all seiner Kühnheit sehr wohl, wie weit er des Gehorsams der wilden Meute, die er befehligte, sicher war. Den verfallenen Kopf mußte er ihnen geben, dann konnte er ohne Murren den ihren nehmen, das ist die Gerechtigkeit des Orients.
Die Pforte des engen Gotteshauses öffnete sich, und den Sakristan an ihrer Spitze, zitternd und bangend zogen die wenigen Kalogeri, und die noch Lebenden der Geflüchteten – unbeschwert mit irgend einer Habe, die nur die Habsucht der Räuber gereizt hätte, die Mütter und Väter ihre Kinder tragend, viele verwundet, heraus.
Der Abt ging dem alten Klosterbruder entgegen und umarmte ihn.
»Du hast meinen Rat empfangen, Bruder Gregor, zieht zu den Bocchesen oder zu den Schwarzen. Aber Du hast etwas vergessen, mein Bruder!«
Der Sakristan sah ihn fragend an. »Was meinst Du, hochwürdiger Higumenos?«
»Den Sarg, der nach altem Brauch in Deiner Sakristei bereit steht, den ersten der Brüder aufzunehmen, den der Herr zu sich ruft! Du sollst meinen Leib mit Dir nehmen und ihn bestatten in der geweihten Erde der Christen, während mein Haupt den Weg macht zum Palast des Sultans, unseres Herrn.«
»Heilige Jungfrau, Mutter Gottes!« stöhnte der alte Mönch, »wir wollen uns zu seinen Füßen werfen!«
»Entehre nicht den Streiter des Kreuzes, Bruder Gregor,« sagte fest mit gebietendem Wink der Abt. »Noch bin ich der Higumenos des Klosters und habe Gehorsam zu heischen. Schicke die Laienbrüder und laß sie die Bahre holen.«
Es ging ein Schauer durch die ganze Masse bei diesem festen ruhigen Befehl. Die schwarzen Kalogeri gingen zurück zur Kirche, während die beiden Greise Hand in Hand stehen blieben und sich in die Augen schauten. Dann kamen sie wieder, die Bahre mit dem einfachen Sarg tragend, während die übrigen die bei den Leichenbegängnissen üblichen trauerumhüllten Kruzifixe in den Händen hielten.
Selbst auf die wildesten, des Blutes und Mordes gewohnten Gemüter machte die schreckliche Prozession einen tiefen Eindruck, sodaß, während die Christen auf ihren Knien um den Abt lagen und ihm wie einem Heiligen die Füße und Hände küßten, die Baschi-Bozuks im Kreise still umher standen auf ihre Flinten und Lanzen gelehnt. Nur der roheste von ihnen, ein Gehilfe des Scharfrichters des Paschas, brachte auf einem Speer das vom Rumpfe getrennte Haupt des Uskoken Iwo und pflanzte es im Kreise auf.
Der Abt wandte freundlich sein Auge zu dem schrecklichen Anblick und nickte ihm zu, während er die Hände faltete im Gebet. Dann sprach er leise zu seinem Freunde dem Sakristan: »Wenn der Moskow zurückkehrt, wirst Du ihm meinen Segen bringen und dafür sorgen, daß ein Teil des Geldes, das der große Czar uns geschenkt, zu Messen im Kloster Ostrog und für die unglücklichen Frauen verwendet werde. Du wirst bei mir bleiben, Bruder Gregor, bis es überstanden ist, und jetzt höre meine letzte Beichte.«
Er kniete nieder vor dem Sakristan, der sich über ihn beugte, und flüsterte zu ihm hinauf. Eifrig sprach der Greis zum Greise, dann ernster und strenger, bis der Abt das Haupt beugte und sagte: »So sei es denn, wie Du befiehlst, mein Bruder!« Dann erst hob der Sakristan die Hand und machte das Zeichen des Kreuzes über den zum Tode Bestimmten. Eine leichte ungeduldige Bewegung ging durch die Reihen der Moslems, und der Abt verstand sie wohl. Als er sich erhob, kniete der deutsche Schneider vor ihm und küßte seine Hand, ohne vor Schluchzen Worte zu finden. Sanft segnete ihn der Abt. »Ziehe heim, Fremdling,« sagte er in deutscher Sprache, »und möge es Dir wohl gehen in Deinem schönen Vaterland! – Held Wusseïn, ich bin bereit!«
Der Pascha trat zu ihm. »Wusseïn hält seinen Eid – sorge denn für die Erfüllung des Deinen, ehe es zu spät ist! Die Sonne Allahs steigt empor.«
Es war hell geworden; das Licht des jungen Tages lag über den Bergen und Wäldern des mißhandelten Landes.
Der Abt Michael griff unter das schwarze Gewand, das seine Brust deckte und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor, das er dem Pascha reichte. »Es war bereit für Dich, als ich zum Paß von Ostrog zog. Nimm, aber erinnere Dich, daß Du geschworen, es nicht eher zu öffnen, als bis die Sonne über der Bergwand des Ubli steht! – Und nun, Wusseïn, einst der Held von Bosnien, ich übe als Christ das Gebot des großen Erlösers der Menschen und vergebe Dir im Tode, was Du mir Schlimmes getan, und also mögest auch Du vergeben meine Schuld! – Brüder, haltet fest an Eurem Glauben und möge, wie Gott jene Sonne aufgehen läßt über die Erde, auch bald die Sonne der Freiheit aufgehen über meinem Vaterlande Bosnien.«
Er sank auf die Knie und hielt die Hände im Gebet vorgestreckt, der steigenden Sonne entgegen.
Der schwarze Sklave stand bereits an seiner linken Seite und das Licht des jungen Tages glänzte auf dem mattgrauen Stahl; die Frauen jammerten, und der greise Sakristan begann, wie es in der griechischen Kirche Brauch ist, stehend die erhabenen Worte des 137. Psalms, in welche die Kalogerie responsierend einfielen.
»Schlag zu!«
Weithin rollte von dem gewaltigen Hieb das graue Haupt des Abts auf die Steine des Bodens; einen Moment noch kniete der Rumpf in seiner Stellung, dann fiel er nach vorn in das spritzende Blut. – –
Die schwarzen Kalogerie hatten den Leib des Enthaupteten in den schmucklosen Sarg gelegt, und die Kräftigsten trugen die Bahre, voran die Träger mit den schwarz behangenen Kreuzen, gefolgt vom Pater Sakristan, der mit zitternder Stimme die Hymne für die Verstorbenen intonierte, in die schluchzend die Schar der Frauen und Greise einstimmte. Nur wenige waren zurückgeblieben.
Während der Zug der Christen sich nach Westen wandte und allmählich vom Plateau des Klosters verschwand, streng überwacht von dem Adlerauge des Pascha Wusseïn, daß keines seiner Lämmer sich gegen seinen Eid an den Abziehenden zu vergreifen wage, waren die Haufen der Baschi-Bozuks in die geöffnete Kirche gedrungen und plünderten mit frecher Hand, was irgend der Zerstörung und des Raubes ihren gierigen Augen wert schien.
Nur Weniges und Spärliches war freilich in dem Gotteshause zu finden, einige einfache Geräte zum Gottesdienst, schmucklose Heiligenbilder, mottendurchfressene Kirchenfahnen und Meßgewänder.
Mehr als eine halbe Stunde war vergangen, obschon das Blut auf dem Granit des Plateaus noch nicht trocken, die Sonnenscheibe stieg eben über die Felsenwände des Ubli und Dormitor, als der Pascha Wusseïn in die Kirche trat und sein Säbel nach der offenen Pforte wies.
»Hinaus, Hunde!«
Einer drängte sich über den andern; in wenig Minuten war der entweihte Raum geleert von den frechen Schändern. Der Pascha setzte sich auf die Stufen des zerstörten Hochaltars, von denen herab sein Todfeind so oft das heilige Opfer verkündet, zog das Papier aus dem Säbelgurt und entfaltete es. Seine Augen stierten auf die zwei Zeilen, die es enthielt:
»Drache von Bosnien – lang blühe Dein
Geschlecht! Muhrad, Dein Knabe, wurde dem
Kapu-Agassi
Oder
Kapi-Aga, das Oberhaupt der weißen Verschnittenen, wie der
Kislar-Aga das der schwarzen Eunuchen ist. übergeben – suche ihn im
Serail Deines Großherrn!«
Der starke Held sank stöhnend zurück auf die Stufen. So saß er, den starren Blick nicht von dem verhängnisvollen Blatt reißend, stumm, ohne Bewegung – sein Ohr hörte nicht, was draußen vorging auf dem Plateau unter den Kastanien, vor den Ruinen des Klosters vom heiligen Basilius – die Töne der Tuba und das klingende Schmettern der Beckenschläger des Nizam – sein Auge sah nicht die wogende, drängende Menge – nichts, nichts, als das Blatt Papier! – – – – – – – –
Noch immer quoll es herauf von den blauen Gliedern des Nizams, schlechte, zerrissene Uniformen zwar, jämmerliches Schuhwerk, hohle, halb verhungerte Gesichter, mangelhafte, unsauber gehaltene Waffen, aber es waren doch Reguläre des Nizam des Großherrn, von Sultan Mahmud geschaffen, mit französischen und deutschen Instrukteuren von Abdul Medschid fortgesetzt. An der Spitze ritten, wie zwei Tage vorher, der junge Mir Alai und der Kadi von Konitza, aber auch drei Männer in abendländischer Tracht, darunter der russische Major, die beiden anderen waren der französische und der russische Konsular-Agent in Mostar. Hinter dem ziemlich langen Zuge des Nizam zwischen all' dem Trödel von Dienern, Köchen, Pfeifenstopfern, Tschauschi's, Barbieren, Lastträgern, Zeltschlägern, Khawassen und Pferdeknechten, die stets eine türkische Kolonne begleiten, ritten vier Personen, denen die anderen etwas scheu Platz machten. Der eine trug die Kleidung der Kuriere oder Tataren des Großherrn, unter den übrigen befand sich ein Mohr von kolossalen, unflätigen Formen, der keck und fast tierisch umhergrinste, die beiden anderen, zwar weißen Gesichts, aber aufgedunsen und ausdruckslos, waren in Mäntel gehüllt, die fast aussahen wie die Feredschis der muselmännischen Weiber.
Die naive Musik, aus Tuba, Trommel, Pfeifen und Becken bestehend, hatte schon weit vorher ihre Ankunft verkündet und die ganze Schar der Bozuks war herbeigelaufen, die Ankömmlinge neugierig anzugaffen oder mit höhnischen und drohenden Mienen und Geberden zu empfangen; denn es bestand und besteht sehr wenig Sympathie zwischen den Regulären und dem wilden, aus dem untersten und verworfensten Raubgesindel zusammengesetzten Landsturm oder den Baschi-Bozuks, den in Zeiten der Not, oder wenn es mehr Züchtigung und Verwüstung galt als regulären Krieg, aus allen drei Weltteilen der türkischen Herrschaft aufgerufenen Horden oder Freikorps.
»Es ist, wie ich fürchtete,« sagte der russische Offizier in französischer Sprache zu dem Mir-Alai, dem jungen Befehlshaber der Abteilung des Nizam, die in ziemlich unregelmäßiger Weise am Zugang des Plateaus Aufstellung nahm, während die Irregulären sich wie von den umhergezerrten Knochen vertriebene Köter murrend und drohend zurückzogen und in starken Haufen sammelten, »wir kommen zu spät! Mein Gott, warum konnte der Wessir Sie nicht zwölf Stunden früher senden!«
»Maschallah, Monsieur Sie vergessen, daß Seine Hoheit Wichtigeres zu tun hatten: die Rebellen von Trebinje abzuhalten und in die Berge zu zerstreuen. Diese Schelme scheinen allerdings arg gewirtschaftet zu haben, dennoch wird der Wessir sie schwerlich darum strafen, wenn er erst die schlimmen Nachrichten von Nikschitj empfängt, die wir unterwegs hörten. Aber ich sehe ihren Anführer nirgends, den berüchtigten Pascha Wusseïn! Bismillah – wessen sind die Köpfe dort, welche die Hunde auf Lanzen gesteckt haben?!«
»Allmächtiger Himmel! das ist der Higumenos des Klosters, der greise Michael!«
»Und zugleich Michael, der Bär der Herzegowina!« sagte Aga Jussuf, der mit demütigem Gruß herangetreten war. »Das andere Haupt gehört einem gleich schlimmen Feinde des Islam – es ist der Kopf des Uskoken, den sie Iwo den Blutigen nannten! Sie sind bestimmt nach Beliece gebracht zu werden.«
Der Oberst des Nizam stieß eine Art von Freudenruf aus. »Allah sei Dank! Haben Sie gehört, Messieurs? – und wer sendet Seiner Hoheit so kostbare Geschenke?«
»Unser Gebieter, der Pascha Wusseïn!«
Der Mir-Alai wandte sich zu seinem älteren Begleiter. »Beim Bart des Propheten – auf meine Ehre, gerechter und weiser Kadi, ich hätte fast Lust nach solchen Gegenbeweisen der Treue, dem Pascha Wusseïn Zeit zu lassen, sich bei Seiner Hoheit zu rechtfertigen. Was denkst Du Freund?«
Der alte Türke strich sich den Bart. »Tu, wie Du verantworten kannst; die Gerechtigkeit des Großherrn ist ein schlimmes Ding, und Stambul ist weit. Ich denke, das Paschalik von Egri-Palanka ist meinem jungen Freunde versprochen.«
»Allah möge mein Gedächtnis schärfen, ich hätte es beinahe vergessen. Tue Deine Pflicht, Kadi, diese Hunde mögen zunächst ihre Toten begraben. Aber was haben wir da? » Parbleu, Monsieur le Commandant, Sie stehen ja vor dem Graubart so selbstvergessen, als schauten Sie die Houris des Propheten, statt den Kopf eines Verbrechers! Ich habe mir sagen lassen, daß Messieurs les Russes in Polen auch wenig Umstände machen mit den gefangenen Rebellen! Aber bei allen Schönheiten der grand opéra – ich will Schinken essen wie ein Jude und Champagner trinken wie ein Großmufti – wenn das nicht das schöne Rajahmädchen ist, dem ich noch gestern den Teppich in meinem Haremlik anbot, und das sich zierte wie eine Engländerin!«
Der Russe war vom Pferde gestiegen, auch er hatte die Unglückliche erkannt, die am Fuß der Lanze kniete, welche den abgeschnittenen Kopf Iwos trug, die Sängerin der Piesmen von den Taten des Helden Wusseïn aus der Kula der Grahowen.
Das Haar des Mädchens hing wirr von ihrem Haupt, ihr Antlitz war totenbleich, nur die Augen stierten mit dem Ausdruck des Wahnwitzes dunkel aus den tiefen Höhlen.
Er sprach freundlich zu ihr, die Hand auf ihre Schultern legend. »Helene, armes Wesen, wo haben Sie Mutter und Bruder? Kann ich Ihnen beistehn?«
Mit wildem Ausdruck stieß sie die Hand von sich. »Rühre mich nicht an, ich bin eine Unreine, Geschändete! – Kennst Du den Sang nicht von den vierzehn Jungfrauen, welche die Türken nahmen?«
»Was ists mit ihr?« fragte der Mir-Alai den Aga der Bozuks, der ihm mit dem Instinkt des Verräters gefolgt war.
»Nichts besonderes, hoher Herr – der Pascha Wusseïn hatte seinen Tapferen die Weiber und Dirnen der Rajahs zur Beute gegeben. Die Schelme von Albanesen« – er selbst war ein Schipetare! – »haben sonst schlimme Gelüste, wenn sie keine Weiber finden! Sie scheint wirr geworden darüber, aber der Verstand wird ihr wiederkehren! Jawasch – was ist ein Weib!«
Der Mir-Alai drehte sein Pferd auf den Hinterfüßen und sprengte zu der Kolonne. »Wo ist der Bote des Großherrn? Hast Du den Ferman? Eile Dich! Wo ist der Pascha Wusseïn?« – – –
Die vier Männer, welche hinter den Soldaten des Nizam hergeritten waren, traten in die offene Tür des Gotteshauses – ein fünfter hatte sich ihnen beigesellt: der Mohr Abdallah, das Auge des Boten hatte ihn gleich als ebenbürtig herausgefunden und ihn zu sich gewinkt. Als sie eingetreten waren, blieb der Aga Jussuf, der ihnen gefolgt war, vor der Tür stehen.
Der Tatar des Divan trat zu dem Mann, der noch immer in stumpfem Sinnen auf den Stufen des Altars saß.
»Im Namen Gottes und des Kalifen! bist Du der Pascha Wusseïn?«
Der bosnische Held fuhr empor: »Was ists, was gibts?«
»Einen Ferman des Großherrn für Dich, o Pascha! ich hoffe. Du wirst des Boten nicht vergessen.«
Er hob das Papier demütig an seine Stirn, ehe er es dem Empfänger überreichte und streckte die andere Hand aus nach dem Backschisch. Trinkgeld.
Der Pascha griff in die Tasche seiner Beinkleider, zog eine Börse heraus und reichte sie ihm. »Geh! – Abdallah – was wollen diese Männer?«
Der Bote des Padischah hatte die Börse eingesteckt, auf welche seine Begleiter einen neidischen begehrlichen Blick geworfen, und hatte die Kirche verlassen. Als er über die Schwelle trat, zog er die Pforte hinter sich zu und blieb vor ihr stehen. Er winkte dem Jussuf Aga und beide zogen ihre Säbel und lehnten gegen die geschlossene Tür.
Einer der weißen Männer, eine hohe aber unförmlich breite und aufgeschwollene Gestalt mit verschwommenen Zügen hatte ein Päckchen aus der Tasche gezogen und schlug das seidene Tuch auseinander. »Wenn es Deiner Hoheit jetzt beliebt, oder wünschest Du, daß wir noch warten?« sagte er mit widriger kinderartiger Fistelstimme, indem er den Gegenstand, den er aus dem Päckchen genommen, dem großen Kapitano der freien Begs entgegenhielt: eine dicke grüne seidene Schnur.
Der Pascha machte eine wilde Bewegung: »Wer bist Du, Mensch?« – aber schon hatten der fremde Mohr und Abdallah, sein Scharfrichter, die Handgelenke des Paschas gefaßt.
»Ich bin Muhrad, der Tschannador Agassi Das zweite Oberhaupt der weißen Verschnittenen; Zillah (Schatten Gottes) Alem Penah (Zuflucht der Welt: Titel des Sultans.) der weißen Boten des Padischah, des Schattens Gottes, der Zuflucht der Welt, o Pascha, wenn es Dir gefällt!«
Der Held von Bosnien taumelte entsetzt nieder auf die Stufen der entweihten Kirche. – – –
In die wieder geöffnete Pforte des christlichen Gotteshauses trat der Kadi von Konjtza und hielt den Ferman des Großherrn in die Höhe. »Höret ihr Gläubigen! Das Auge des Padischah schläft nimmer, und seine Gerechtigkeit ist wie die Allahs. Der Pascha Wusseïn war ein Verräter, der das Land des Großherrn an seine Feinde, die Begs und die rebellischen Rajahs verkaufen wollte. Er ist den Tod des Verräters gestorben. Allah ist groß und Mahomed ist sein Prophet!«