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Sie saß in tiefen Gedanken auf dem Divan, verschiedene Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigt zu haben schien, lagen auf dem Tisch vor ihr – unbedeutende Kleinigkeiten – verwelkte Blumen, ein kleines Album mit Photographien, ein anderes mit eingeschriebenen Versen und Sinnsprüchen, ein altes Band, dazwischen ein grober Männerhandschuh. Einige Gegenstände hatte sie von dem bunten Kram zurückgelegt, sie sollten sie begleiten, sie allein von all' den Jugenderinnerungen, unter denen sie eben Musterung gehalten, und von denen sie Abschied genommen hatte, denn draußen im Salon standen zwei wohlgepackte Koffer und das braunseidene Reisekleid lag neben der glänzenden Brautrobe von weißem Atlas mit den kostbaren Spitzen, sie sollte ja beide morgen tragen: die Brautrobe und das Reisekleid.
Ja wohl, sie hatte Abschied genommen von all den Erinnerungen ihres Mädchenlebens, es hatte Mühe gekostet, sich all' den Besuchen und Freundschaftsbeweisen zu entziehen, die sie noch bis zur späten Abendzeit bestürmt hatten, um endlich sich in ihr Schlafzimmer zurückziehen und noch eine Stunde sich selbst und jenen Erinnerungen widmen zu können. Es waren ja so viele, die sie für sich in Anspruch genommen, oder ihr kleine Gaben bringen wollten zum Andenken. Keiner schien sie vergessen zu haben, mit dem sie hier in der fremden Weltstadt in Berührung gekommen war; hatte doch selbst die schöne Kaiserin von Frankreich ihrer gedacht, die ihr doch nur so flüchtig genaht, und einen prächtigen Zweig von Orangeblüten geschickt, auf dessen dunkeln saftgrünen Blättern zwei Tautropfen funkelten, und diese Tautropfen waren Diamanten.
Dort unter dem Spiegel funkelte anderes Geschmeide, das Perlen-Collier, mit großen Türkisen eingefaßt, das ihr der Bräutigam am Nachmittag überbracht, und ein schweres Bracelet von den gleichen Steinen und Perlen, das der Konferenzrat hinzugefügt hatte.
Ja, sie war sehr glücklich, die junge Braut, – so hatte wenigstens die kleine Josephine gesagt, die morgen ihre liebste Edda zum Altar geleiten sollte, und vor Vergnügen über all die Trousseau-Pracht den ganzen Nachmittag wie närrisch im Salon umhergetanzt und wohl zehn Mal den Orangezweig sich selbst vor dem Spiegel aufprobiert hatte.
Nur Madame Margaritta Santarez hatte ihr ernst und still beim Scheiden die Hand gedrückt und ihr in die Augen gesehn und gesagt: Schlafen Sie diese Nacht noch recht glücklich – es ist die letzte ohne Sorgen und Schmerzen!
Ja – gewiß – sie war sehr glücklich! Als der Vater sie beim »Gute Nacht« auf die Stirn geküßt und sie umarmt, hatte sie zum ersten Mal Tränen in seinen sonst so kalten Augen gesehn, und er hatte ihr gesagt, daß es Tränen der Zufriedenheit mit seinem einzigen Kinde wären.
Ja, auch der barsche, wackere Kapitän Lautrec hatte ihr Glück gebracht; denn als er am Nachmittag, direkt vom Bahnhof kommend, in das Boudoir polterte und sich beinahe auf das prächtige faltenreiche Brautkleid in seiner Ermüdung geworfen hätte, hatte er ihr da nicht schon unter der Tür zugerufen: »Abgemacht! Ich müßte den alten Lautrec nicht kennen, wenn er seinen Willen und Auftrag nicht hätte durchsetzen sollen. Bei allen sechsundneunzig Kompaßstrichen, habe sie gut zusammengeritten, die Landhaifische und Advokaten! Die »Josephine« ist unser, prächtig aufgetakelt; wie Sie selber morgen nur sein werden mit all dem Plunder da! Kein Nagel fehlt vom obersten Flaggenknopf bis zum Kiel – eine wahre Herrlichkeit der ganze Schooner, und es muß eine Lust sein, mit ihm durch die Wellen zu streichen. Beim großen Monkbar, ich ginge am liebsten selbst mit dem wackern Jungen und dem schönen Schiff, wenn ich das Wettermädel, die andere Josephine da, die keinem soliden Steuer gehorchen will, nicht erst unter gehörige Segel und Schiffskommando bringen müßte. Donnerstag, wenn der Wind stehen bleibt und die Passagiere an Bord sind, gehts unter Segel. Alle Donnerwetter sollen drein schlagen, wenn unsere gute Freundin Madame Santarez nicht eine Kajüte hat, wie eine Kaiserin von Frankreich!«
Dann hatte er ihr die Abschrift des Kaufkontrakts des Schiffes und seines Scheinvertrages mit dem neuen Besitzer und Kapitän der schönen Josephine gegeben, an der Herr Hansen nichts zu ändern gefunden als den Namen, und die kleine Kreolin hatte sie durchaus überreden wollen, sich noch am Abend von Monsieur Alexandre, dem ersten Haarkünstler von Paris frisieren zu lassen und lieber die ganze Nacht mit dem Lockenbau in steifer Haltung sitzen zu bleiben, als eine so geschickte Hand an dem Ehren- und Glückstage entbehren zu müssen.
Ja – sie war sehr glücklich! Gewiß! Darum hatte sie auch eben das silberne Filigran-Kreuz an die Lippen gedrückt, das letzte Geschenk ihrer längst verstorbenen Mutter, als diese aus dem wunderbaren »Zitronenlande« von der sonnigen Reviera zurückgekehrt war, wo sie Heilung gesucht für die kranke Brust, und wohin sie morgen auf den Flügeln des Dampfes ziehen sollte, nicht mit kranker, heilbedürftiger Brust, sondern frisch und kräftig zu den Wonnen der Liebe! Gewiß, darum hatte sie auch eben in so tiefen Gedanken das kleine weiße Täfelchen von Bananenseide so achtlos um die Finger geschlungen, dessen Spinnengewebe sie doppelt durch den Ring hätte ziehen können, den ihr morgen der Bräutigam an den schlanken Goldfinger der rechten Hand stecken sollte, und das ihr der Kapitän eines Tages geschenkt hatte aus den kleinen Raritäten, die er aus Indien mitgebracht hatte, der Kapitän, den der alte Lautrec so glücklich mystifiziert hatte und der morgen ihr Schwager sein sollte! …
»Wer hat Dir den Brief gegeben? Keine Unwahrheit,« fragte sie hart und scharf. »Sie selbst?«
»Ja Missus – sie selber! Es sein noch keine Stunde her! Missus Adda haben aber kleinem Malacca Mann befohlen, bösen Brief nicht eher abzugeben, als bis Missus ganz allein sein, und haben Sucky gehorchen müssen, da Missus Adda kommandieren über große, schwarze Schlange, die armen Indier das Gehirn aus seinem Schädel saugen können.«
Sie hatte den Brief geöffnet und gelesen, während der Malaye sie verstohlen mit ängstlichen Blicken bewachte. In tiefen Gedanken las sie den Brief und las ihn immer wieder von neuem, ehe sie zu einem Entschluß kommen konnte, während große Tränen auf das kleine Tuch in ihrer Hand fielen.
»Sucky,« sagte der Laskare und zog sich an der Schläfelocke, die er nach Art der Matrosen bei der Scheerung seines Schädels sorgfältig reserviert hatte, als wolle er sich den Kopf damit abreißen, »Sucky sein schlechter Kerl, nicht besser als dummes Meerschwein. Haben Sahib Kapitän versprochen, mit seinem Leben zu wachen über Missus Edda, und haben nicht einmal Mut gehabt, sich lieber von schwarzer Schlange die Augen ausbeißen zu lassen, als Missus Edda Tränen in die Augen zu bringen, die doch hunderttausendmal mehr wert sein, als die seinen. Bei Mahomed, Sucky sein elender Bursch, wie soll Sucky wagen mögen, zu treten vor Massa Kapitän, da er nicht mal kann machen unschuldige Lüge, wenn Sahib Kapitän ihn so ansehen mit sein großen Augen!«
»Tröste Dich, armer Bursch; nicht Du bist es, der mich weinen macht. Du tatest nur Deine Pflicht, mir diesen Brief zu bringen, und es ist gut und klug von Dir, daß Du damit gewartet, bis sie mich endlich alle allein gelassen. Ich weiß. Du bist treu!«
Der Malaye legte die Hände gekreuzt über die Brust. »O, Missis, Sucky gehn für Missis durch das höllische Feuer, springen in die See, wenn Haifisch rings um Schiff schwimmen.«
»Nein, Sucky, ich habe keineswegs die Absicht, Deine Treue auf so schlimme Proben zu stellen,« sagte sie lächelnd. »Du sollst mir nur einen weniger gefährlichen Dienst leisten. Bleibt das Hotel die ganze Nacht geöffnet?«
»Sein das Tor immer offen und Portier immer in sein Logement, damit Herrschaften nicht gestört werden in Nachtruh' durch Glocke.«
»Man kann also, ohne daß es auffällt, das Hotel zu jeder Zeit verlassen?«
»Jeden Stunden, Tag und Nacht, Missis.«
»Auch eine Dame?«
»Gehen viele Missus ein und aus, jeden Augenblick. Haben Frauenzimmer hier große Freiheit, mehr als in andern Ländern.«
»Und Du weißt die Wohnung von mei … von Miß Adda!«
»Sein nur mal dort gewesen, aber sehr leicht zu finden, brauchen nur Fiakre zu sagen: Da – da … o, Missis, vortreffliche Einrichtung. Wissen Fiakre so genau Bescheid in diese große Stadt, wie Hochbootmanns Maat in jede Winkel von Schiff.«
»Gut denn! Rue Saint Georges! Rue de la Victoire! – ein kleines spanisches Hotel. Du sollst mich auf einem Ausgang begleiten, wenn unsere Leute alle schlafen. Es darf niemand darum wissen, weder mein Vater, noch mein Bräutigam – niemand, außer Dir!«
» Yes – yes! – Sucky verstehen sehr gut!«
»Dann geh' und komme wieder, sobald alles ruhig ist!«
Der Laskare schlich auf den Fußspitzen hinaus, man hörte kaum, daß er die Tür öffnete.
Edda legte einige passende Kleidungsstücke zurecht: einen dunklen Mantel, einen unscheinbaren schwarzen Hut und großen Schleier. Dann ordnete sie vollends die kleinen Gegenstände auf dem Tisch, legte die eine Hälfte in das Schubfach einer Kommode, die andere kleine, sehr kleine in eine Schachtel, oben darauf das Genueser Kreuz von Silber-Filigran, das Geschenk ihrer Mutter. Als sie das Bananentuch in die Hand nahm, schwankte sie lange, wohin sie es legen solle – endlich drückte sie es an das Herz und die Lippen und legte es in die Schachtel, die sie sogleich schloß und umschnürte.
»Warum soll ich es nicht bewahren, ist es denn überhaupt dem Herzen möglich, auch die Erinnerung zu vernichten? Und weiter will ich ja nichts!«
Die Türe öffnete sich leise, das Bronzegesicht des Laskaren schaute herein.
»Ist sich alles still, ganz still, Missis Edda – rühren sich keine Maus mehr in Korridor!«
»Komm herein, Sucky! und hilf mir den Mantel umnehmen. So, nun bin ich fertig! Lösche die Kerzen aus und komm.«
Sie huschte hinaus und drehte den Schlüssel der Tür, nachdem der Laskare ihr gefolgt war. Es war, wie dieser ihr gesagt, alles still in dem nur matt erleuchteten Korridor. Der Malaye ging voran, trat, wie sie ihn instruiert, an die Glasloge des Portiers, ihn in seinem Kauderwälsch verständigend, daß er noch einmal ausgehen müsse, und während dessen huschte Edda Halsteen aus dem Portal und wandte sich nach dem Platz des Palais Royal, auf dem es die ganze Nacht über nicht an harrenden Fiakern fehlt.
Sobald sie dem Kutscher den Ort bezeichnet, stieg sie mit Sucky ein, und der Wagen rollte fort.
Das erwähnte kleine Hotel ward seit langen Jahren von einer Spanierin gehalten. Es hat etwas Heimliches, Vertrauliches, was vielleicht grade darin liegt, daß der Verkehr ein nur spärlicher ist. Man steigt einige Stufen hinauf zur Tür, die man durch einen Zug an dem Selbstportier öffnet, rechts und links vom Flur sind im Hochparterre Stube und Kabinet. Nachdem er einmal das Haus in dem Gewirr der Straßen gefunden, schien der Malaye vollkommen Bescheid zu wissen, denn er öffnete sogleich die Tür, zündete eins der auf dem Tisch im Entree stehenden Lichter an und führte seine Herrin durch einen kleinen Gang zu einer Tür, vor der er stehen blieb.
»Hier sein Wohnung von Missus Adda,« sagte er auf die Tür deutend, »Sucky bleiben hier draußen auf Flur, gleich da, wenn Missis Edda rufen.«
Sie schüttelte mit dem Kopf, dann klopfte sie.
» Entrez!«
Als sie in das Zimmer trat, das hell erleuchtet war, befand sie sich Adda gegenüber, die hinter einem Tisch auf dem Sofa saß, in ihrer gewöhnlichen dunklen Kleidung.
Wäre ein Dritter zugegen gewesen, er hätte sicher gestaunt über dieses Spiel der Natur. Jetzt, wo das Antlitz Eddas die Spuren eines Seelenleidens und stillgetragenen Grams zeigte und dadurch angegriffen, schärfer als in der früheren Frische und Fülle aussah, jetzt, wo sie fast dieselbe schwarze Kleidung und den dunklen Schleier um Kinn und Wangen trug, aus dem heraus das blasse Antlitz wie aus einem Rahmen hervorblickte, war diese Ähnlichkeit, ja diese Gleichheit der beiden Frauen wirklich zum Erschrecken und hatte etwas Dämonisches.
Fräulein Halsteen ging auf die Tochter der Lappin zu und bot ihr die Hand.
»Sei gegrüßt, Schwester Adda,« sagte sie milde. »Wir haben uns lange nicht gesehen, ich ahnte nicht, daß Du in Paris seist!«
»So wenig wie Du ahntest, daß ich in London in Deiner und seiner Nähe war. Ich habe Dich nie aus den Augen verloren.«
»Du siehst, daß ich Deinem Wunsche sofort entsprochen habe. Es sind ja die letzten Stunden, die ich mein eigen nennen kann, und ich widme sie gern Dir. Glaube mir, daß ich seit jener verhängnisvollen Nacht, und als ich Dich in meinem Schlafzimmer zu Kopenhagen zurücklassen mußte, oft und nur in Liebe an Dich gedacht und immer gehofft habe. Du würdest mich von Dir hören lassen.«
»Es hat alles seine Zeit, Edda, und diese Zeit ist jetzt da.«
Fräulein Halsteen trat freundlich an ihre Seite, und obschon jene ihre Hand nicht genommen hatte, legte sie doch die ihre liebevoll auf die Schulter der Schwarzen, die bei dieser Berührung zu erbeben schien.
»Hast Du Dich ganz wieder erholt von jener furchtbaren, mir noch immer unerklärlichen Szene? Ich weiß es jetzt, Schwester Edda, ich weiß durch eine zufällige Begegnung, daß, ich will sagen, Dein Geist, Deine Seele in eine Art von Somnambulismus in jener verhängnisvollen Stunde über weite Fernen gewandelt ist!«
»Können Geister, können Seelen – körperliche Dinge tragen, – einen Brief?«
»Ich begreife es nicht, ich ordne meine Gedanken, meine Vernunft in Demut den Wundern Gottes unter. Wir Menschen begreifen ja so vieles nicht, nicht das geringste seiner Wunder, die wir doch täglich um uns sehen; das ist eben der Glauben, daß wir glauben, ohne erklären zu können. Ich weiß, Adda, daß Du dort warst, weit über dem Ozean, und ihm das Leben gerettet hast, ihm, den wir – ja, ich scheue mich nicht, es auszusprechen in dieser letzten Stunde, den wir beide lieben!«
»Sein Leben hat einen Teil des meinen gekostet, Edda,« sagte die andere dagegen. »Adda ist nicht mehr dieselbe, die sie war – meine Lebenskraft hat einen harten Stoß erhalten, den sie nie verwinden kann. Aber was tut das – etwas eher, etwas später! Ist doch das ganze Leben bloß eine Komödie, Trauerspiel oder Posse – ich glaube das Letztere.«
»Warum so bitter, Adda! Kann ich Dir irgend einen Dienst leisten, so sprich! Du weißt nach Deinem Briefe, der mich im Namen unseres Vaters aufforderte, zu Dir zu kommen, daß ich morgen Paris verlasse.«
»Mit Hansen?«
»Mit meinem Bräutigam!«
»Mit dem Manne, den Du nicht liebst!«
»Er hat mein Wort!«
»Und Du willst Dich wirklich opfern – nicht Dich allein, auch ihn! Du willst einem Manne am Altare die Hand reichen, den Dein Herz betrügt? Denn Du weißt es, Dein Herz gehört einem anderen.«
»Ich werde meine Pflichten treu erfüllen, mehr kann er von mir nicht verlangen! Ich werde mit allen Kräften mich bemühen, zu vergessen.«
»Frage Dich selbst, ob dies möglich ist! Frage Dich, ob Du selbst bei diesem festen Entschluß nicht einen Meineid begehst!«
»Ich habe meinem Bräutigam offen gesagt, daß ich ihn achte und schätze, daß ich bereit sei, mein gegebenes Wort zu erfüllen, obschon ich nicht glaube, ihn so lieben zu können, wie ich gedacht habe, daß die Jungfrau den Mann lieben müsse, dem sie sich als Gattin gibt.«
»Und er?«
»Er erklärt sich mit meiner Freundschaft zufrieden; die Liebe der Frau werde sich finden in der Ehe, wenn ich erst sehen werde, wie stark die seine sei.«
Die Schwarze lachte bitter auf. »Und diese schönen Redensarten können Edda Halsteen genügen?«
»Es muß sein! Ich hoffe, wenigstens nicht unglücklich mit ihm zu werden. Der Segen und die Zufriedenheit meines Vaters sind mit mir.«
»Aber er – er, hat er kein Recht an Dich?«
»Ich habe ihm niemals ein solches gegeben. Klaus Hansen ist ein Ehrenmann, er würde nie etwas gesagt oder getan haben, was die Rechte seines Bruders hätte verletzen können?«
»Und dieser Bruder, von dessen Ehre Du sprichst, hat er auch so gedacht, hat er dem Bruder die Hand gereicht, um ihn, den Schuldlosen, von Kerker und Schaffott zu retten? Ja – hat er nicht gegen Recht und Billigkeit ihn seiner Habe, seines Vermögens zu berauben gesucht, sein Erbrecht durch trügerische Auslegungen an sich zu reißen gesucht?«
»Sprich – ist es so oder nicht?«
»Du gibst den Absichten meines Bräutigams eine zu scharfe Deutung. Johannes Hansen glaubt sich wirklich in seinem Recht und streng nach den Gesetzen zu handeln. Auch mein Vater ist dieser Meinung.«
Wieder lachte die Schwarze. »Und Du?«
Edda wandte sich ab. »Klaus Hansen soll nicht dadurch zu Schaden kommen.«
»Weil Deine Güte ihm einen Teil von seinem Recht erstattet hat. Leugne es nicht; ich weiß, daß Du es warst, welche den Bruder gezwungen hat, das Geld zum Ankauf des Schiffes zu geben; der Mann, den Du damit beauftragt hast, war nicht schlau genug, es vor mir zu verbergen.«
»Wenn Du es denn weißt – ja, ich mag nicht leugnen, was ich getan. Ich glaubte, daß dem jüngeren Bruder Unrecht getan wurde, und darum habe ich die Erstattung seines Erbrechts in dieser Weise als Bedingung für die Erfüllung meines Wortes gestellt. So wird ihm sein Recht, ohne daß er je erfahren soll, welchen Anteil ich daran gehabt habe! Du siehst, daß dies eine neue Pflicht ist, mein gegebenes Wort zu halten.«
»Und glaubst Du wirklich, daß Du ihm damit Gutes getan, daß er es Dir Dank wissen kann, Dich für ihn, für schnödes Geld, für seinen Vorteil geopfert zu haben? Glaubst Du nicht, daß Klaus Hansen hundertmal willig sein Erbe hingeworfen hätte für Deine Freiheit, daß er nicht willig lieber als niederster Matrose mit der Arbeit seiner Hände das trockene Brot gewinnen würde, als Reichtum und Wohlleben mit der Opferung des Weibes erkaufen, das er liebt! Geh', Edda Halsteen, Du denkst niedrig von dem Manne, dem Du Dein Herz geschenkt.«
Das Mädchen wandte sich verwirrt und beschämt ab bei dem schweren Vorwurf. »Ich denke nicht niedrig von Klaus Hansen, und niemals werde ich an ihm zweifeln. Aber Du selbst irrst, Adda, Klaus Hansen trägt eine andere Liebe in der Brust, die sein ganzes Herz erfüllt, sodaß kein Raum mehr für mich oder eine andere darin übrig bleibt.«
»Und wer ist diese Liebe?«
»Schleswig-Holstein, sein Vaterland! Dem allein gehören seine Gedanken, seine Manneskraft! Einem Mann wie Klaus Hansen kann Frauenliebe nie das hohe Ideal ersetzen, das seine Seele erfüllt, und glaube mir, ich, die Dänin, die gleichfalls ihr Vaterland liebt, ich sage Dir, er wird sein Ziel erreichen.«
Adda sah gedankenvoll vor sich nieder; jetzt zum erstenmal hatte sie ihre Hand auf die der jungen Aristokratin gelegt.
»Sei es so, wie Du sagst, Schwester Edda. Aber, Edda, das Herz des Mannes, selbst seine Gedanken, haben immer noch Raum für die Frauen, die sie lieben oder begehrenswert finden, und die Leidenschaft zu ihnen ist oft grade das Mittel, welches sie stärkt und antreibt, ein anderes Ziel zu erreichen, sei es ein hohes geistiges, oder das eines niederen Ehrgeizes und Gewinns, die Frauen haben im politischen Leben und in den Freiheitskämpfen der Völker immer eine Rolle gespielt, sei es zur Begeisterung, sei es zur Erniedrigung und Verräterei – denke an den Ort, an dem wir uns befinden. Warum willst Du nicht die anregende, die begeisternde Kraft sein für den Mann, der Dich liebt?«
»Ich habe Dir schon gesagt, Adda, Klaus fühlt wohl Freundschaft, vielleicht Dankbarkeit, doch nicht Liebe für mich.«
»Du selbst glaubst anders in Deinem Herzen, und ich, ich weiß es anders. Hab' ich Dir nicht gesagt, als meine Seele zurückgekehrt von der großen Wanderung – ich wollte, Du hättest jenen Sang unterbrochen und meine Seele wäre weiter geirrt im unermeßlichen Raum, ohne den kleinen Punkt wieder finden zu können, wo Addas Erdenhülle ruhte? Deine Stimme war es, die mich zurückrief, und als ich wieder sah und hörte, und Addas Leib wieder eine Seele hatte zum Fühlen und Denken, da wußte diese Seele, daß sie nichts mehr zu hoffen hatte in diesem Leben und allein dem großen Gang der Welt gehören und vergehen werde, ohne das zweite Ich gefunden zu haben. Und doch besteht in dessen Vereinigung und Ergänzung eben die Aufgabe, die der Schöpfer den getrennten Wesen gestellt hat, und mit deren Erfüllung sie wieder das Eine, Ungeteilte, Ganze, Vollkommene werden, das zurückkehren darf zu seinem Ausgang und aufgeht im Weltgeist.«
»Ich verstehe Dich nicht ganz, Adda!«
»Es ist die Lehre der Samelaz von der Wanderung der Geister, ehe sie gereinigt sind für das ewige Licht. Doch kümmere Dich nicht darum, was Adda spricht von der Bestimmung der Menschen und den Wegen der Geister; ich weiß jetzt, seitdem sich mein Wissen erweitert hat durch den Verkehr mit den Weisen und Auserwählten, daß der Glaube des verachteten Volkes der Samelaz auch der mächtiger und hochgebildeter Völker des Altertums ist. Wir haben Wichtigeres zu sprechen, Edda, was Dich selbst angeht. Darum setze Dich dorthin, mir gegenüber und höre zu.
Madaratja, der große Schöpfer des Weltalls, der Vater Baiwes, der Sonne, verteilt seine Gaben in Licht und Schatten. Auf dem Wege jedes seiner Kinder ist beides und niemand hat das Recht, seinem Nächsten das Licht zu verkümmern und ihm Schatten zu geben von Anfang bis zu Ende. Darum, Edda, verlange ich jetzt von Dir, die so lange im Licht gesessen, meinen Teil am Licht, am Leben.«
Die junge Dame sah erstaunt auf die Rednerin, sie verstand in der Tat nicht, was diese wollte.
»Höre weiter! Es sind lange Jahre her, fünfundzwanzig Mal hat seitdem der junge Mond gewechselt, wo die Sonne nicht untergeht, da war ein junges Lappenmädchen, die Tochter eines Nowaïden, des ersten Häuptlings meines Volkes, nach Drontheim gekommen und ihre Augen fanden Gefallen an einem vornehmen Mann, der von der großen Dänenstadt zum hohen Norden geflüchtet war, weil er beteiligt gewesen an einer Verschwörung zum Umsturz des Thrones, und ihre Ohren öffneten sich seinen Schmeichelworten und seinen Beteuerungen, daß er sie liebe. Er überredete sie, zu fliehen, und versprach ihr, sie zum Weibe zu nehmen, und meine Mutter – warum sollte ich es nicht wagen, Dir zu sagen, daß es meine Mutter war, deren Schicksal ich Dir erzähle! – sie folgte dem schlimmen Rat und ließ den Torne Kaitum, ihren Vater, seinen Fuß allein zur Heimat wenden, denn sie war mit ihrem Verführer entflohen, aber doch nicht eher, als bis er auf einer einsamen Kirche der Inseln durch den Segen eines Priesters ihr seinen Namen gegeben hatte. Und darum, Edda Halsteen, hat Adda das gleiche Recht auf den Namen Deines Vaters wie Du, die Tochter der hochgeborenen schwedischen Gräfin.«
»Ich ahnte wohl, daß Du meine Schwester wärst; aber ich wußte nicht, daß mein Vater der Gatte Deiner Mutter gewesen war.«
»Was kümmerte den vornehmen dänischen Edelmann die Lappenfrau, nachdem er seine Lust gebüßt. Er verstieß sie ins Elend, und sie bettelte sich zurück in die Heimat mit ihrem Kinde, um dort zu sterben; doch die Zelte ihres Stammes hat sie niemals wieder gesehn.
Aber ehe sie starb, ließ sie ihr Kind einen Eid schwören bei den Dolmas, den Dämonen ihres Volkes, sie zu rächen, indem sie den Elenden, der sie betrogen, zwänge, sie als seine Tochter vor der Welt anzuerkennen und dem armen Kinde der Samelaz alles das zu geben, was die andere haben sollte: Rang, Reichtum, Ehre und Liebe!
Liebe? – ja, sie kann alles das haben, und sie hat Dich darum verfolgt, Schwester Edda, bis zur heutigen Stunde, sie ist bereit Dir alles zu nehmen, – aber Liebe? Nein, Edda, die Liebe konnte sie Dir nicht nehmen, obgleich sie willig ihr Leben dafür gegeben hätte; denn die Liebe ist nicht eine Gabe der Olmaks, wie das Gold und die Schönheit, die Liebe ist eine Gabe der weißen Geister, und weil die Zeit gekommen ist zum Teilen zwischen uns beiden, und die Zeit, da ich meiner betrogenen Mutter den Eid erfülle, den ich ihr geschworen, bei Biig-Olmai, dem Donnergott, so nimm die Liebe; denn ich habe gesehen, daß Dein Herz und Leib, die ich verderben wollte, rein und gut geblieben sind, und daß Du der Liebe würdiger bist als ich!«
»Adda, Schwester, was willst Du tun?!«
»Die Tochter Deines Vaters werden, Ehre und Reichtum und den Gatten Dir nehmen! Du wirst dieses Zimmer nicht verlassen, um zu Deiner Hochzeit zu gehen!«
»Adda!« schrie entsetzt die Dänin, »sprich, sage mir – komm, laß uns vereint, Hand in Hand vor meinen Vater treten und ihm alles sagen – sein Herz ist gut – ich will alles mit Dir teilen, – ich will dieser Heirat noch im letzten Augenblick entsagen …«
»Nein«, sagte die Schwarze hart, »glaubst Du, daß die Natur uns umsonst so ähnlich gemacht? Ich bin die ältere Schwester, ich gehe Dir vor! Mein sei jener Mann – er empfängt meine Hand statt der Deinen – die Braut, die dieses Zimmer verläßt, bin ich!«
»Unmöglich!« Und sie machte eine Bewegung nach der Tür zu eilen.
Adda streckte die Hand aus. »Willst Du die Ehre Deiner Mutter im Grabe schänden?«
»Meiner Mutter?« Sie taumelte wieder auf den Sitz und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
»Ja, Deiner Mutter, der stolzen Gräfin, die ihre Hand einem Elenden gab, der noch nicht berechtigt war, sie zu nehmen; denn Edda, als Du geboren wurdest, lebte meine Mutter noch, zwar fern von Kopenhagen im Elend, dort wo die Natur mit eisiger Kälte alles Leben erstarrt, aber Jaime-Akko, die Göttin des Todes hatte noch nicht die kalte Hand auf ihre Stirn gedrückt – geh', ich kann es beweisen mit den Zeugnissen der Christen. Und ich schwöre Dir: fügst Du Dich nicht meinem Willen, so trete ich morgen vor den Altar Deiner Kirche, ehe der Priester Deines Glaubens den Segen gesprochen hat über Dich und den Mann, den Du in Deinem Herzen mehr täuschen würdest, als ich es tue, indem ich an Deine Stelle trete, und rufe Deines Vaters Verbrechen aus, die Schmach Deiner Mutter und die Strafe des Gesetzes auf sein schuldig Haupt!«
»O, Adda, erbarme Dich meiner – seiner!«
»Des Mannes, der Dich zur Frau begehrt, um die Stufen seines ehrgeizigen Strebens zu erklimmen, indem er sein Vaterland verrät und sich zum Schergen der Tyrannei macht! Er hat so wenig ein Herz, wie der Mann, den wir Vater nennen, und der uns verspotten würde, wenn wir, wie Du willst, Hand in Hand zu ihm träten und sagen wollten: wir sind Schwestern, gib uns gleiche Rechte! – Nein, Edda, ich frage Dich nochmals – was entgeht jenem Mann, den Du zum Gatten gewählt? Bin ich nicht schön wie Du? Bin ich nicht dasselbe Weib, das seine Sinne begehren, und das er lieben mag, so viel er will! Frage einen Monat nach der Hochzeit, ob er den Tausch bereut, den Tausch des Eises gegen die Lava des Aetna – denn ich will ihn berauschen, entzücken, ihn töten in Liebesglut, wenn es ihm darauf ankommt, nicht auf die bloße Erreichung seines ehrgeizigen Ziels.«
»Adda, ich habe mich ihm verkauft – meine Ehre verpfändet für jene Teilung der Erbschaft …«
»Törin! Er soll nicht einen Sous seines Geldes einbüßen – ich bin reich – ich hätte zehn Mal das Geld geben können, daß Du erbetteltest, um jenes Schiff zu kaufen – und ich weiß, wo des blanken Silbers noch genug zu holen wäre, hundert, tausend Mal mehr, denn ich bin die Erbin Torne-Kaitums und weiß das Geheimnis der Silberminen jener Berge. Aber was kümmern mich all' die Schätze, wo ich seine Liebe nicht dafür kaufen kann. Dir habe ich das stolze Glück überlassen, sein Recht zu wahren, seine Zukunft zu sichern, und für all dies, für Dein eignes Glück zauderst Du, mir den ungeliebten Mann zu überlassen? Die Spanne Zeit eines Lebens voll Hohlheit und Eitelkeit?«
»Quäle mich nicht, Adda, mein Gewissen verbietet es mir, auf Dein Verlangen einzugehen! Ich darf nicht täuschen – lieber nimm jenen, – liebe ihn, wie ich ihn geliebt hätte – ich entsage ihm, selbst jedem Gedanken an ihn, – täusche ihn, wie Du den Bruder täuschen willst, – sage – sage – Du seist Edda … und sie preßte die Hände vor die Augen, bittre Tränen quollen durch ihre zarten Finger, und ein heftiges Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper.
»Wie, Adda – Adda, die Buhlerin, die Verworfene, die sollte das Weib von Klaus Hansen werden, den ich Dir, der Reinen, Würdigen gebe – und das kann Dein Ernst sein? – Edda, Schwester! Ich habe Dich gehaßt und bekämpft bis zu jenem Augenblick, da ich in der Gefahr des schimpflichen Todes von seinen Lippen Deinen Namen hörte, während ich meine Seele hingab, ihn zu retten – da, Edda, da wußte ich, daß die seine und die Deine bestimmt sind, sich zu verschmelzen in dem großen Weltall, und daß Adda verschwinden muß in das Nichts, wie der Hauch dem Winde gehört, und der Tropfen dem Meer nach dem Tode des Leibes; denn nur die Würdigen und Glücklichen sind es, denen der Schöpfer die ewige Fortdauer bewilligt hat. Sei glücklich, Schwester, und ehre die Geheimnisse der Natur, die Dir das Glück sichern hier und auf einem andern Stern!«
Sie umarmte Edda, die schluchzend an ihre Brust sank, und unter dem Kuß, den die Schwester auf ihre Stirn drückte, fühlte sie, wie ihre Sinne schwanden und es wie eine dichte Wolke aufstieg vor ihren Augen und ihren Gedanken, bis diese vergingen und verschwanden in das unfaßbare, unbegreifliche Nichts!
Es waren zwei Stunden vergangen, als die Tür sich öffnete, und die Hand seiner Herrin sich auf die Schulter des kleinen Laskaren legte, der trotz seines Vorsatzes zu wachen, auf dem Stuhl am Tisch, der die Lampe trug, eingeschlafen war.
»Komm, es ist die höchste Zeit heimzukehren; in wenigen Stunden geht der Zug nach Hâvre, der Dich zu Deinem Herrn trägt, lange bevor sie mich zur Kirche führen.«
Er taumelte rasch empor und rieb sich die Augen, neben ihm stand seine Herrin, Mantel und Schleier umhüllten bereits ihre Gestalt und ihr Gesicht. Er sah nur, wie dieselbe Hand, die ihn geweckt, einen schmalen Zettel unter die Lampe schob, während er auf den Wink der Herrin die äußere Tür öffnete, und diese hinter ihr wieder schloß.
»Nach dem Boulevard – dort stehen Wagen, aber befiehl am Platz des Palais Royal zu halten.«
Noch brannten die tausend Gasflammen, noch war die graue Morgendämmerung fern, noch zogen nächtliche Schwärme, die Gäste der Cafés und Restaurants über die breiten Trottoirs.
Die Portiers der Pariser Hotels sind zu sehr gewöhnt an das Treiben der Fremden, zu diskret, um zu forschen und zu fragen. Der Laskare Sucky hatte seine Herrin glücklich in das Hotel, nach dem Korridor, nach ihren Gemächern zurückbegleitet, er hatte schmerzlich und mit tausend Segenswünschen ihre Hand geküßt und ihr alles mögliche Gute und alles Glück gewünscht, was der Prophet und der Christengott nur seinen Kindern auf Erden bereiten könne, und war dann nach seiner Kammer geschlichen. Denn wie vorher bestimmt war, sollte er mit dem Morgenzug um 7 Uhr 25 Minuten abfahren nach Hâvre zu seinem geliebten Herrn, und Miguel, der neue Freund, wollte ihn zum Bahnhof begleiten, da er ja drei Tage später selbst mit seiner Herrin folgen sollte, um sich auf der »Josephine« nach der Havannah einzuschiffen, wozu Kapitän Lautrec bereits alles in Ordnung gebracht hatte. – – – – – – – – – –
Die lutherische Kirche ( Eglise des Carmes) befand sich im 7. Arrondissement, in der Rue des Billettes Nr. 16.
Am Nachmittag um 2 Uhr ging der Zug nach Culoz und Genf – die Glücklichen, die ihre Brautreise machen, fahren gewöhnlich bis Maçon, und von da am andern Tage, wenn sie nicht zu ermüdet sind, über Culoz zum berühmten Genfer See, oder gleich über Alix und Chambery zur Riviera.
Um 11 Uhr des Vormittags hatten die Gaffer des Viertels das Schauspiel einer vornehmen Hochzeit. Die Braut in weißem Atlas mit dem Orangenzweig, dem Geschenk der Kaiserin, geschmückt, wurde von der Gräfin Moltke, der Hofdame Fräulein von Kervague und der überaus kostbar gekleideten, mit Brillanten fast überladenen jungen Kreolin, Mademoiselle Josephine Lautrec, zum Altar geleitet; der Bräutigam vom Kammerjunker von Scheele, dem Vicomte von Bressolles und seinem künftigen Schwiegervater, der zur Anerkennung der Erfolge seiner Mission neben dem dänischen Elephantenorden zum ersten Mal das am Morgen erhaltene Kreuz der französischen Ehrenlegion trug.
Die Braut war sehr schön und sehr blaß, aber sie hatte mit fester Hand, wenn auch etwas verschnörkelten Buchstaben, aus der Mairie ihren Namen eingezeichnet, und als sie jetzt an der Hand ihres Gatten aus dem Seitenportal der Kirche trat und den Wagen bestieg, überflog ihr Auge mit einem stolzen Blick das glänzende Cortège und sie erwiderte zärtlich den Händedruck ihres Gemahls und den Kuß, den er im Wagen auf ihre Lippen drückte, während die Gamins und die Weiber, die eben ihr Bündel alter Kleider und Wäsche zum Mont de Piété Leihhaus. in der Straße de Paradies brachten, applaudierten.
Da kein Hochzeitsmahl in einem der fashionablen Restaurants gehalten werden sollte, war nur das Dejeuner in dem kleinen Saal des Hotels serviert und die schöne Braut bald verschwunden, um die Reisetoilette zu machen, denn der Wagen, der sie zum Lyoner Bahnhof führen mußte, sollte um Punkt 2 Uhr in der Auffahrt des Hotels stehen.
Er war sehr zärtlich und sehr stattlich, der Vater der Braut, der Herr Konferenzrat Kammerherr Halsteen, als er endlich die junge Frau zum Wagen führte und schien es gar nicht gemerkt zu haben, wie eisig kalt die Lippen der jungen Frau gewesen waren, als er ihr die hagere Wange zum Kuß gereicht hatte – war er doch wenig an Zärtlichkeiten seiner Tochter gewöhnt und hatte diese doch jetzt ganz andere Dinge zu küssen, als die gepuderte und geschminkte Wange eines alten Diplomaten! Er wünschte Gottes Segen hinter ihr drein und rieb sich die Hände, vergnügt, seine Tochter glücklich versorgt zu haben, und sie in drei Monaten in Kopenhagen der allmächtigen Gräfin Danner als glückliche junge Frau vorstellen zu können. – – –
Als Edda spät am Nachmittag aus dem tiefen ohnmachtähnlichen Schlaf auf dem Bett des Alkoven erwachte und nach dem dunklen Kleide auf dem Stuhle griff, lag ein Brief auf dem Tisch.
Nein, es war nicht das ihre; aber es paßte ihr doch! Sie strich erschrocken mit der Hand über die Stirn, als wolle sie ihre Gedanken sammeln – mit einem Aufschrei sprang sie empor und stürzte durch die Glastür in das vordere Gemach.
Alles leer!
Es war noch hell genug, sodaß ein Blick auf die Pendule über dem Kamin ihr die Stunde zeigen konnte – sechs Uhr! Unmöglich, das konnte nicht die Morgenstunde sein – »Schwester – wo bist Du?«
Auf dem Tisch leuchtete es weiß, – das Kouvert.
Es war überschrieben an sie, sie riß es auf:
Schwester Adda!
Denn Du bist Adda! – oder willst Du Edda, die, wenn Du diese Zeilen liesest, Stunden und Meilen von Dir entfernt an der Seite des Mannes, den das Wort des Priesters und die Schrift des Beamten zu dem ihren gemacht, auf den dämonischen Flügeln des Dampfes dahinbraust in ein fremdes Land, verfolgen, verschmähen, vernichten mit dem noch schnelleren Steckbrief des Telegraphen?
Willst Du den Mann, den Du bisher als Vater geehrt, wenn auch nicht geliebt hast, zum Verbrecher stempeln, die stolze Mutter, die Dich gebar, in ihrem Grabe zur Metze machen?
Du änderst nichts mehr, Adda, an dem, was geschehen, was geschehen mußte – ich – die Aeltere, habe nur Dir, die ich zu schützen, zu lieben von der Natur bestimmt war, die bittere Wahl, den Kampf erspart, wie die Mutter dem Kinde die Wahl erspart, in der es töricht nach dem Schädlichen greift, damit es sich selbst verletze.
Du hast einen hohen, starken Geist, Adda! So trage denn auch das, was Dein Gott Dir beschieden – steige herab aus den glänzenden Marmorsälen der Fürsten, und schmücke das hölzerne Haus des Seemanns auf dem Ozean oder der einsamen Klippe mit den Blumen, welche die Liebe bricht und die herrlicher leuchten, als Schmuck und Gold. Ich – weiß es ja nicht, aber ich denke, so muß es sein!
Nimm – ich legte es gestern bereits in Deine Hand – es ist das Passagierbillet für eine Ueberfahrt nach den Antillen an Bord der Josephine, Kapitän Hansen, von Hâvre zum 22. April für Adda Torne. Fühlst Du Dich nicht stark genug, über den Ozean zu gehen für ihn, wie ich gegangen bin in jener Nacht – wohl, so zerreiße das Blatt. Aber zuvor bedenke, daß, wo ich nur seinen Leib gerettet, Du seine Seele retten magst vor entnervendem Gram für seinen großen Zweck, für sein Vaterland.
Mach aus dem Mann einen Helden und Du wirst Edda segnen.
Ich nehme Dir Dein Eigentum – in dem dritten Schubfach des Schreibtisches zur Linken findest Du die Schlüssel und ein Portefeuille – es ist dafür das Deine! Nimm es von der Schwester, die Dich bestahl, wie Du sie bestohlen hast!
Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich Dich wiedersehn! Der Gott der Christen sei mit Dir und Ihm!
Edda Hansen.
Sie hatte die Kerzen angezündet und die Dame des Hotels rufen lassen.
Senora – Madame – Donna Felicia Gomez war erschienen, eine gewandte, kluge Frau, gegen die Gewohnheit ihrer Landsmänninnen ziemlich still und schweigsam.
»Madame,« sagte die Wirtin, »haben heute sehr lange geschlafen. Ich fand diesen Morgen Ihren Befehl, Sie nicht zu stören – und hatte dies daher verboten.«
»Ich bin erst spät ins Hotel zurückgekehrt und habe eine schlaflose Nacht gehabt, da ich vieles zu überdenken hatte.«
»Madame sehen in der Tat angegriffen aus. Kann ich Ihnen mit irgend etwas dienen?«
»Das können Sie allerdings. Erhaltene Nachrichten nötigen mich, eine Seereise anzutreten – wann gehen die Züge nach Hâvre?«
»O, – sieben Mal des Tages, Madame – Madame können fast alle Stunden abreisen. Aber Madame wollen doch nicht allein eine vielleicht weite Reise antreten – oder gehen Madame bloß nach London – verzeihen Madame meine Frage, aber es ist nicht Neugier, sondern Teilnahme, die mich sie tun läßt.«
»Eben deshalb wollte ich mit Ihnen davon sprechen und mir Ihren Beistand erbitten. Ich möchte eine zuverlässige Person als Kammerfrau engagieren, nicht ganz jung mehr, die den Mut hat, mich nach Amerika zu begleiten. Wenn sie mir gefällt, werde ich nicht karg sein in den Bedingungen, und jedenfalls für die Kosten ihrer Rückfahrt sorgen.«
Die Senora sann einige Augenblicke nach, dann fragte sie: »Sprechen Madame Spanisch?«
»Nein – obschon ich nach dem spanischen Teil von Amerika gehe.«
»Das ist schade!«
»Warum?«
»Weil ich Ihnen sonst einen Vorschlag zu machen hätte. Auch brauchten Madame die Fahrt nicht ganz ohne männlichen Schutz zu unternehmen.«
»Wie meinen Sie das?« fragte die Dame etwas kurz. »Ich bedarf dessen nicht.«
» Pardon! Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich wollte nur bemerken, daß ein Offizier der Douane, der in einem Kampf mit den Schmugglern an den Pyrenäen schwere Verwundungen erhielt, auf Verordnung der Ärzte eine stärkende Seereise unternehmen soll und daher beabsichtigt, eine Dame, die zur Erhebung einer Erbschaft nach der Havannah geht, seine Verwandte, dahin zu begleiten. Die Dame, die im Louvre-Hotel wohnt, hat Passage von Hâvre bereits genommen und geht schon in einigen Tagen dahin ab, um sich aus einem Segelschiff einzuschiffen.«
»Ja, Madame; sie heißt Madame Santarez und der Offizier heißt Monsieur Dalbond.«
»Ich danke Ihnen – vielleicht werde ich mit ihnen Zusammentreffen und mich dann Ihrer Empfehlung erinnern. Aber was war es mit Ihrem anderen Vorschlag?«
»Er entspricht freilich nicht Euer Gnaden Wünschen – denn die Person, die ich meine, ist jünger als Sie – es ist eine entfernte Verwandte von mir, aus Spanien – ihr Bruder, der ein berühmter Stierkämpfer war, hat in dem letzten Karneval bei einem Stiergefecht vor der Königin in Madrid das Unglück gehabt, von dem Stier auf seine Hörner gespießt und getötet zu werden. Die kleine Jacquinta, deren einziger Schutz ihr Bruder war, behauptet zwar, daß dieser eine hohe Summe Geldes hinterlassen habe, die kurz vorher von den Kavalieren, welche die Quadrilla veranstaltet hatten, ihm im voraus gezahlt worden sei, aber die Polizei will kein Geld bei ihm gefunden haben und hat sie einfach aus Madrid verwiesen. In ihrer Not hat sie sich daran erinnert, daß ich ihre einzige Verwandte auf der Welt bin, und hat die Gelegenheit benutzt, mit einer englischen Herrschaft, die nach Frankreich reiste, hierherzukommen und will sich hier einen Dienst suchen, obschon sie nur wenig Französisch und Englisch versteht. Heilige Madonna, als ob es hier nicht der Mädchen genug gäbe, die auf jeden guten Dienst lauern, obgleich ich gern glauben will, daß sie willig und gewandt sein würde.«
»Ich würde freilich eine ältere, gesetzte Person vorziehen.«
Die Hoteliere zuckte die Achseln.
»Wollen Sie mich das Mädchen sehen lassen? Wahrscheinlich habe ich sie schon gesehen im Hause, denn sie hat wohl mein Zimmer aufgeräumt.«
»Sehr gern, Madame!« Und sie rief aus der Tür mit schriller Stimme: »Jacquinta! Jacquinta!«
Das junge Mädchen erschien; es war in der Tat die Paxarilla, und die Erzählung ihrer würdigen Tante vollständig richtig, bis auf den kleinen Umstand, daß sie nicht mit einer englischen Familie gekommen war, sondern mit einem jungen Mitglied der Kontrabandista, das die Gesellschaft nach Frankreich geschickt, um Waren einzukaufen, und das sie in Bayonne im Stich gelassen hatte. Es ist für ein hübsches, junges Mädchen nicht allzuschwer, von Bayonne bis Paris zu kommen, auch wenn sie keinen Heller in der Tasche hat.
Obschon das frühere Blumenmädchen den Wünschen der Dame grade nicht besonders entsprach, befand sich diese doch augenblicklich zu sehr in Verlegenheit, namentlich, da sie so schnell wie möglich Paris verlassen wollte, und Paxarilla wurde deshalb engagiert, wobei ihre neue Gebieterin Madame Gomez eine Summe aushändigte, um das Mädchen so rasch wie möglich mit allen Bedürfnissen zur Reise zu versehen.
Die Paxarilla klatschte vor Freude in die Hände, und ihre naive Fröhlichkeit und Dankbarkeit söhnte ihre Gebieterin mit den andern Übelständen des Engagements aus. Da in Paris für Geld alles in wenig Zeit zu haben ist und auch Senora Gomez wünschte, daß ihrem Gast der gefaßte Entschluß nicht erst wieder leid werden möge, wurde beschlossen, daß die Abfahrt nach Havre schon am andern Mittag stattfinden sollte.
Der Kapitän Klaus Hansen stand auf dem Hinterdeck des schönen Fregatt-Schooners, der bisher denselben Namen geführt hatte, wie die Plantage des reichen Pflanzers auf Guadeloupe und den er nur aus Achtung für den Mann nicht geändert, der sich so wacker als sein Freund erwiesen, und ihm so hohes Vertrauen gezeigt hatte.
Es war am zweiten Abend nach dem Hochzeitstage Edda Halsteens mit seinem Bruder, einem Tag, an dem der junge Kapitän niemand vor sich gelassen, und selbst seinen alten vertrauten Sucky nach kurzem Willkommen von sich gewiesen hatte.
Jetzt schritt er in Liefen, schweren Gedanken auf dem Gangweg des stattlichen Schiffes auf und nieder und hörte schweigend den Erzählungen des Laskaren zu, der unverdrossen neben ihm auf und niedertrabte und nicht müde wurde, von seiner Herrin zu erzählen, obschon kein Wort der Ermunterung über die festgeschlossenen Lippen des Kapitäns kam.
Offiziere und Mannschaften hatten längst gesehen, daß sie es mit einem Kommandeur zu tun hatten, der sein Gewerbe aus dem Grunde verstand und nicht mit sich scherzen ließ. Die tiefe Falte, die seit drei Tagen auf seiner Stirn lag, hätte ohnehin nicht dazu ermuntert, und obschon Kapitän Hansen viel zu billig und gerecht dachte, um die vor der Abfahrt eines Schiffes stets gewährten Freiheiten seiner Mannschaft im Geringsten zu beschränken, hatte er doch Strenge genug gezeigt, um jede Überschreitung dieser Grenzen fernzuhalten.
Jetzt wartete das Schiff nur noch auf die Ankunft der letzten Passagiere mit dem Abend- oder Nachtzug, um am Morgen die Anker zu lichten und sich von dem Remorqueur auf die Außenrhede bugsieren zu lassen.
Es war das erste Mal, daß Kapitän Hansen ausführlich die wunderbare Erzählung von der Wanderung des verhängnisvollen Briefes über den Ozean aus dem Munde des Laskaren gehört hatte, und obschon er mehrfach ungläubig den Kopf geschüttelt, hatte er doch keine einzige weitere Frage getan, als er unter den zahlreichen Booten, welche mit hundert Gegenständen der Verproviantierung für die lange Seereise, mit Wäsche und abschiednehmenden Weibern und Kameraden der Matrosen noch an Bord kamen und gingen, in einem zum Fallreep rudernden Boot zwei Frauen bemerkte, eine, in dunklen einfachen Mantel und Schleier gehüllte Dame mit ihrer Begleiterin, einem jungen Mädchen. Kapitän Hansen gab dem wachhabenden Offizier einen Wink, die Dame, die den Koffern und Schachteln nach wahrscheinlich zu den erwarteten Passagieren gehörte, zu begrüßen, und ging dann, um der bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Bestürmung mit Fragen zu entgehen, in die allgemeine Kajüte hinab.
Aber schon nach einigen Minuten klopfte der Offizier der Wache achtungsvoll an seine Tür und meldete, daß die angekommene Dame den Kapitän zu sprechen wünsche.
»So lassen Sie sie eintreten, Monsieur Lécouville!«
Der Offizier öffnete die Tür, und die Dame in Schwarz trat allein ein.
Sie blieb einige Augenblicke schweigend vor ihm stehen. Eine eigentümliche, ihm selbst unerklärliche Bewegung überlief den starken Mann, als er auf diese Gestalt blickte, die ihm immer noch schweigend das gelöste Passagebillet hinreichte. Auch Sucky, der Laskare, der ohne eine Aufforderung abzuwarten, seinem Gebieter zur Kajüte gefolgt war und hinter ihm stand, betrachtete mit weitgeöffneten Augen die Erscheinung.
»Madame Torne,« las der Kapitän, »es scheint nach dem Namen, eine Nordländerin. Erlauben Sie mir, Madame, Sie an Bord meines Schiffes zu begrüßen und nach Ihren Befehlen zu fragen. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß ich Alles aufbieten werde, Sie die Wahl dieses Schiffes nicht bereuen zu lassen.«
»Ich hoffe es, Kapitän Hansen,« sagte eine tiefe, wohllautende Stimme, die ihn noch mehr erbeben machte. Zugleich schlug die Hand der Dame den dunklen Schleier zurück.
»Adda!«
»Missis Edda!«
Er starrte sie sprachlos an, der Laskare hob die beiden Hände hoch in die Höhe und riß den breiten Mund auf, als wolle er in ein Jubelgeschrei ausbrechen, aber ein eiskalter Blick der Dame fesselte den Laut auf seinen Lippen.
»Ich wollte nicht mit Herrn Klaus Hansen, sondern mit dem Kapitän dieses Schiffes sprechen,« sagte die Dame kalt; »was uns sonst berührt, muß vergessen sein, oder ich muß in diesem Augenblick wieder Ihr Schiff verlassen, Herr Kapitän, und den Abgang des nächsten Dampfers abwarten. Ich bitte Sie nur, als um eine persönliche Gefälligkeit für Adda Torne, mir die Erörterungen ersparen zu wollen, die eine unglückliche Ähnlichkeit vielleicht bei den mit der Gemahlin Ihres Herrn Bruders bekannten anderen Passagieren hervorrufen könnte.«
»Verzeihen Sie mein Erstaunen – ich kann noch immer kaum die Fassung gewinnen …«
»Sie werden die Güte haben, mir die Kajüte anweisen zu lassen, auf die dieses Billet lautet, und die ich mit meinem Mädchen teilen werde, für das ich die Passage noch zu entrichten habe. – Ich bitte darum.«
Der Kapitän antwortete mit einer stummen Verbeugung und ging, die Tür der Privat-Kajüte zu öffnen.