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Wir bitten den Leser nunmehr, uns aus dem Palazzo reale zu Turin in das schon öfter erwähnte und eben daselbst gelegene Hotel d'Europe begleiten zu wollen.
Dort fanden wir den mazzinistischen Propagandisten Heribert Hilgard eingenistet und dorthin hatte, wie früher umständlich berichtet worden, die durch den Madagassen Jankal tödlich verwundete und bald darauf in Violettas Armen gestorbene schöne Lausitzerin Marianne ihren uns bekannten Warnungs- und Reuebrief gerichtet.
Heribert war von dem, durch Violetta überbrachten letzten Vermächtnis seiner Geliebten tief erschüttert und nahe daran gewesen, sich ein Leides anzutun, hätte nicht gerade das Geständnis der entschlafenen Renegatin ihn von einem solchen Schritte zurückgehalten und aufs neue an seine, dem Geheimbunde der Carbonari geschworene Eide und Pflichten erinnert.
Den Verrat Mariannens wieder gut zu machen, erhielt er sich am Leben und wurde ein nun doppelt eifriger Mazzinist, der es als seine erste Aufgabe betrachtete, die Doppelgefahr, welche seinen Bundesgenossen von seiten Victor Emanuels wie aus den Kreisen der Jesuiten drohte, von ihren Häuptern – und zwar die Versammlungen im Keller des Bäckers Asti besonders betreffend – so geschickt als möglich abzuwenden.
Von Pater Anselmo und der diebischen Elster hatte seine Partei freilich nichts mehr zu befürchten, desto schärfer jedoch paßten Paolini und seine Schergen den roten Brüdern auf der Strada di Giovanni von jetzt ab auf die Finger.
Aber auch nachdem das Mazzinistennest beim Bäcker Asti als solches längst leer geworden war, ließ Victor Emanuel diesen seinen roten Feinden, weil er keine besseren gegen die schwarzen wußte, einen gewissen Spielraum, und so kam es, daß das Hotel d'Europe zu Turin, je länger, desto mehr, der Tummelplatz für Heribert und seine Leute wurde.
Dieser Ärmste! – Er ahnte nicht, daß die dem Könige und seinem Geheimagenten Paolini seit dem Abende des Aufruhrtages mit Leib und Seele ergebene Violetta für ihn eine Art Leimrute werden sollte, an welcher ein lockerer Zeisig seines Kalibers schließlich zugrunde gehen mußte; ihm schwante, da Violetta ihm Mariannens Testament überbrachte, noch weniger, daß seine tiefe Neigung zu der Entschlafenen sich allmählich auf deren Freundin Violetta übertragen und auf diese Weise zu einer Schlinge werden könnte, die ihn schließlich erdrosselte.
Es ist eine oft beobachtete Erscheinung, daß Männer, welche der Parteileidenschaft frönen, die Liebe eines Weibes am allerwenigsten zu entbehren vermögen. Je öder sich nämlich ihr Herz durch den stetigen Kampf um abstrakte Dinge und leere Theorien gestaltet, desto mehr sehnt es sich nach konkreteren Anschlüssen, nach dem Busen einer Geliebten.
Ein paar Wochen fand er sich schwer in den Verlust seiner schönen Marianne, dann aber fing er an zu versuchen, ob nicht ein zweites Liebesverhältnis den Schmerz um das zerstörte einigermaßen zu lindern vermöge.
Kaum drei Monate waren vergangen, da hatte er seine Marianne fast vergessen und sich dermaßen in ihre Testamentsüberbringerin verliebt, daß er keinen Tag verstreichen lassen konnte, ohne dieselbe wenigstens aus der Ferne gesehen zu haben, denn anders war es einstweilen nicht möglich, da nämlich Violetta seit Eröffnung ihrer intimen Beziehungen zu dem hohen, angeblichen Freunde ihres Vaters und seit Antritt ihrer reichen Erbschaft aus des letzteren vermeintlicher Hinterlassenschaft mit einem Schlage, was man so nennt, eine vornehme Person geworden war, die sich natürlich sowohl von dem Publikum aus der diebischen Elster als aus dem Keller des Bäckers Asti fernhielt.
Mehr als ehemals mied Violetta seit jenem Glückstage beim Könige zweideutigen und niederen Umgang, und schloß sich, weniger aus Hochmut, denn aus anderen, edleren Motiven, von Tag zu Tage enger an Simone Moretto, den uns bekannten Richter, und dessen Familie an.
Nicht allein nämlich, daß der König jenen wackeren Neuroyalisten zu sich beschieden und für sein Verhalten während des Turiner Aufstandes öffentlich ausgezeichnet hatte, sondern, fast noch angenehmer berührt durch die Kunde von den bisherigen Beziehungen seiner natürlichen Tochter zu besagtem Giudice, hatte Victor Emanuel den letzteren in jüngster Audienz sogar beauftragt, die Violetta fortan als Pflegetochter zu betrachten und seines königlichen Dankes dafür gewiß zu sein.
Eines weiblichen und wirtschaftlichen Beistandes, der gleich einer eigenen Tochter in seinem Hause schaltete und waltete, war der kinderlose Moretto schon ohnehin dringend benötigt gewesen, seit Il Bieco, der Schielende – traurigen Angedenkens ihn so schwer im Rücken verwundet hatte, und seine Frau Ginevra noch schwerer an den Folgen jener Aufregungen darnieder lag, welche ihre durch den Schurken Zerbinotto ins Werk gesetzte Entführung nach dem geistlichen Schlupfwinkel der diebischen Elster unausbleiblich hervorrufen mußte.
Auf diese Weise hatte die, nach Verlassen der Gazza ladra tatsächlich obdachlose Violetta im Hause der von ihr geretteten Leute selbst ein Unterkommen gefunden, wie es beiden Teilen erwünscht und zuträglich schien.
Violetta liebte den Richter und seine Gattin, wie der Leser sich erinnern wird, schon lange vor den oben erwähnten Katastrophen, und eben diese von jedem Eigennutz freie Wahlverwandtschaft sollte am Krankenbette Morettos und Ginevras die schönsten Blüten jungfräulicher Hingebung treiben.
Alles das wäre ja auch recht gut und schön gewesen, und Friede und Eintracht hätten Morettos Familienheim, trotz Heriberts wachsender Neigung zu Violetta sicher, je länger, desto mehr, gekrönt, wenn nicht das Unglück es gewollt gehabt, daß außer Heribert Jankal, der braune Madagasse, sie zugleich als Weib begehren zu können glaubte, und diese neue Nebenbuhlerschaft gestaltete sich selbstverständlich zu einer neuen Quelle schwerer Kämpfe.
Jankal, der Sohn der Wildnis, ein Liebhaber Violettas! – Wem fiele bei dieser Zusammenstellung nicht unwillkürlich Othello, der Mohr von Venedig und seine bekannte Eifersuchtstragödie ein!
Und, in der Tat entzündete sich des braunen Madagassen Liebe zu dem schönen Mädchen, das ihm Freiheit und Leben zurückgegeben, in eben der unbeugsamen Leidenschaftlichkeit, mit welcher Othello, der Mohr, seine Desdemona anbetet und schließlich, im Glauben an ihre Untreue, erwürgt.
Violetta, in deren Herzen auch, wie in Desdemonas Seele, feurige Gegenliebe zu einem Sohne der Wildnis zu keinem begann, wäre infolgedessen aus ein Haar demselben tragischen Schicksale, wie die Tochter des venetianischen Senators Brabantio verfallen gewesen, hätte nicht Morettos väterliche Neigung sie noch im rechten Augenblick gerettet.
Bei Jankal kam noch, das Gefühl der Dankbarkeit für seine Lebensrettung hinzu, während Violetta, ihrerseits, den Madagassen schon wegen seiner wahrhaft strotzenden Körperkraft, mehr aber noch auf Grund jenes unwiderstehlichen Reizes liebte, den fremde Haut- und Rassenfarbe gleich buntem Soldatenzeug gerade bei Damen unseres europäischen Kontinents in fast erschreckender Weise ausübt.
Heribert, der Mazzinist, der, wie gesagt, die Violetta, seit sie ihn im Hotel d'Europe aufgesucht, auf Schritt und Tritt verfolgte, hatte mit der allen Liebenden eigenen Spürkraft von Jankals Neigung zu seiner Angebeteten bald Witterung bekommen und sann natürlich von dem Augenblicke an, wo diese furchtbare Entdeckung seine Seele erstarren machte, auf glühende Rache gegen den von Violetta begünstigten Nebenbuhler.
Daß ihn die Angebetete nicht wieder liebte und höchstens die wenigen Male, wo er mit ihr zusammen getroffen, kokettiert hatte, darüber war sich Heribert vollständig klar. Aber gerade diese Erkenntnis vermehrte seinen Haß wider Jankal, und der Gedanke, ja die Tatsache, sich von einem in Herrendiensten stehenden Sohne der Wildnis überflügelt zu sehen, stachelte seine Eifersucht oder vielmehr den von letzterer unzertrennlichen Rachegeist zu ungeahnter Beserkerwut.
Und genau so erging es Jankal. Von der Minute an, wo derselbe dahinter gekommen war, daß Heribert ebenfalls seine Augen auf Violetta geworfen und täglich, wie ein Marder am Taubenschlage, um seines Herrn und dessen Pflegetochters Haus strich, gebärdete er sich wie ein Rasender in der Gummizelle.
Und an Gelegenheit, den gegenseitigen Höllenhaß zu stillen, sollte es nicht fehlen.
Es war an einem überheißen Augusttage, wo selbst der Norditaliener das Heil der Kühlung entweder in einem Kellergeschoß oder aber im Wasser sucht. Über Piemonts schöner Hauptstadt Turin lagerte die Glut eines Schirokko und die Wellen des Po luden zu erquickendem Bade.
Den verliebten Heribert hatte es an diesem Tage gelüstet, weit über die letzte Badeanstalt hinaus zu schwimmen und seine Glieder durch Taucherkunststücke einmal ordentlich auszurecken.
Das Schicksal wollte, daß der noch viel mehr liebelüsterne Jankal am gleichen Orte auf denselben Sport verfiel. Kaum aber hatte der am Ufer flanierende Madagasse den todverhaßten Nebenbuhler im Wasser bemerkt, als er mit einem Ruck seine Kleidung buchstäblich vom Leibe riß und sich kopfüber in den Po auf Heribert losstürzte.
Jetzt begann ein furchtbares Ringen im nassen Element. Die Kühle des Stromes verminderte keineswegs die Hitze des Kampfes. Im Gegenteile, wie zwei Hyänen des Meeres, wie zahngewappnete Haie, gingen die Rivalen, wutschnaubend, auf einander los.
Nach schrecklichem Kampfe hatte einer den anderen der Fähigkeit beraubt, ferner irgendein Mädchen glücklich zu machen, und darum suchten beide im dritten Waffengange den Tod. Im nächsten Augenblick rollten beide Kämpfer, fest umschlungen, in den Wellen und drehten sich wie zwei Schlangen vier, fünfmal um sich selbst, die Gesichter dicht aufeinander gepreßt, die Augen ineinander gebohrt; dann wurde es plötzlich still und die Wellen brachten keinen wieder.
Violetta aber, die sich bald zu trösten wußte, bekam trotzdem noch einen Gemahl. In dem Maße nämlich, als sich Morettos Gesundheitszustand besserte, verschlechterte sich der seiner Frau, und ehe der Winter ins Land kam, trug man Ginevra zur ewigen Ruhe hinaus.
Was Wunder, daß sich der brave Richter selbst nach abgelaufenem Trauerjahr in seiner Lebensretterin Violetta einen Ersatz suchte, zumal auch sein König diese Verbindung wünschte.