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Natursohn und Bastard.

Zum Verständnis des folgenden möge uns der Leser einen Augenblick nach dem dritten Bande des Kreuzes von Savoyen und in das Kapitel: »Der Sturm bricht los« zurückbegleiten. Dort sahen wir den wackeren Giudice Simone Moretto sich in die Wogen des Turiner Aufstandes stürzen und, infolge dieses Wagnisses, nicht bloß sein geliebtes Weib Ginevra, sondern auch seinen getreuen Diener Jankal, den Madagassen, in die Hände uns bekannter Banditen geraten. Es war die Osteria della gazza ladra, die in dem verrufensten Winkel Turins gelegene Weinschenke zur »diebischen Elster«, wo sich eine der tragischsten Szenen dieses Romans mit noch völlig ungelöster Dissonanz abspielte.

Wie der Leser sich jetzt erinnern wird, hatte Il Bieco, der Schielende, seinen Todfeind, den Richter Moretto, in den Straßen der piemontesischen Hauptstadt bemerkt, und diese Entdeckung war dann die Ursache geworden, daß sich Morettos brauner Leibwächter, Jankal, an die Fersen jenes Halunken heftete und auf diese Weise in genanntes Wirtshaus geriet. Hier lauschte er, versteckt im Kellergeschoß, nicht bloß einer Verschwörung gegen das Leben seines neuen Herrn, sondern wurde obenein noch Zeuge der Intrigen des Jesuitenpaters Anselmo, dessen klerikalpolitisches Laboratorium, wie berichtet, die zweite Etage der in Rede stehenden Banditenhöhle bildete.

Dort sah er, wie sich die würdigen Sprossen Lord Duncombes und Carlo Beruttis, der rothaarige Galgenvogel Zerbinotto und der Held des Tavoliere di Puglia, Il Bieco, um des Ostieres schöne Pflegetochter, Violetta, mit Messern zuleibe gingen, und eben daselbst war es auch, wo eine ihr Ziel verfehlende Kugel seines eigenen Revolvers die als Signore Marietta verkleidete, hübsche Lausitzerin Marianne, die Geliebte Heribert Hilgards, tödlich zu Boden streckte.

Wir ließen den getreuen Madagassen, gefesselt durch die Schergen des Paters Anselmo, die Banditen Zerbinotto und Il Bieco, nebst ihrem Helfershelfer, den Osterienwirt Filippo Martino und anderen Kumpanen, in der diebischen Elster zurück und beobachteten nur noch eine Weile, was der schönen Violetta, bei der Beförderung des Testaments der verstorbenen Marianne an deren Geliebten Heribert, auf den Straßen Turins noch weiter begegnete.

Pater Anselmos Plan und Auftrag ging, wie dem freundlichen Leser jetzt wieder deutlich vor der Seele stehen wird, dahin, daß Il Bieco den Richter Moretto in dem Trubel des Aufruhrs abfangen und, womöglich unversehrt zur diebischen Elster schaffen sollte, währenddem Zerbinotto die Ginevra, des Richters Gattin, mittels eines gefälschten Briefes aus ihrer Wohnung lockte und ebenfalls nach der Osteria della gazza ladra dirigierte.

Beide Aufträge sahen wir in der Tat, wenn auch nicht ohne Hindernisse, ausgeführt werden. Die Gunst des Schicksals fügte es nämlich, daß Violetta den Schielenden an der Beiseiteschaffung seines, im Rücken verwundeten Opfers verhinderte, daß, mit anderen Worten, Simone Moretto, statt in die diebische Elster, nach seiner Wohnung, der Cosa Ginevra auf der Strada Bianca gelangte, um hier allerdings nur noch ein kurz zuvor geplündertes, ganz leeres Nest zu finden.

Anselmos fingierter, im Namen des Dr. Giovanni Feraglio geschriebener und durch Zerbinotto überbrachter Brief hatte hier wirklich seine beabsichtigte Wirkung getan. Die arglose Ginevra schenkte den Worten jenes ihr unbekannten Arztes: »daß ihr geliebter Mann während des Turiner Aufruhrs durch einen Steinwurf am Kopf verletzt und in seine (des Schreibers) nahegelegene Behausung geschafft worden sei, von wo aus er dringend nach ihr verlange«, nach einigem Besinnen Vertrauen und folgte dem Bastard Lord Duncombes in die uns genugsam bekannte Verbrecherhöhle, nahe der Piazza del Castello.

Zurzeit aber, wo die unglückliche, weil so schändlich betrogene Padrona Morettos das Gefängnis ihres Dieners Jankal teilte, fanden wir die schöne Violetta im Begriff, ihr, dem beraubten Richter gegebenes tröstliches Versprechen zu erfüllen und Signora Ginevra aus den sauberen Händen der Kämpfer für Altar und Thron zu retten.

Sie hatte den, der Gefangenen entfallenen fingierten Brief Anselmos gelesen und wußte demzufolge, wo allein sie des schwer verwundeten Moretto entführte Gemahlin suchen mußte. Nach der Osteria zur diebischen Elster zurück sahen wir sie schließlich ihre Schritte lenken, und an diesem unheimlichen Orte spielte sich naturgemäß auch unser hiermit eingeleitetes, neuestes Kapitel ab.

Als Violetta die mit eklem Qualm gefüllte Schenke ihres Pflegevaters wieder betrat, war sie über die Mittel und Wege, Ginevra zu Befreien, bereits vollständig im klaren. Ihre erheuchelte endliche Bereitwilligkeit, den Zerbinotto zu heiraten, sollte Filippo Martino – dem an dieser Verbindung, des Geldes wegen, das er dabei verdiente, viel gelegen schien – zunächst zur Entfesselung Jankals bestimmen, und dieser letztere, kalkulierte sie weiter, werde dann selbst dafür sorgen, daß Ginevra, seine Herrin, ebenfalls frei komme und Anselmo samt seinen verruchten Gendarmen die gerechte Strafe treffe.

Violettas Vermutung, daß sie ihren Pflegevater – dem übrigens die Banditenwirtschaft der diebischen Elster selbst zuwider war und der darum schon lange nach einer Gelegenheit suchte, die ihn aus den Klauen seines pfäffischen Despoten im oberen Stock erlöste – mit Azucena, der alten Köchin, allein zu Hause treffe, bestätigte sich. Zerbinotto hatte, gleich nachdem er die Signora Ginevra eingeliefert, von diesem Befehl erhalten, sofort den Schielenden, welcher von seiner Spezialmission, Simone Moretto betreffend merkwürdigerweise immer noch nicht wieder heimgekehrt war, aufzusuchen und eventuell zu unterstützen.

Mit diesen beiden Hauptspitzbuben waren zugleich auch ihre Kumpane zweiten und dritten Grades ausgeflogen, und zwar auf Zureden Filippo Martinos, der sich nach der voraufgegangenen Mordszene zwischen Jankal und Anselmos Gensdarmen, namentlich aber durch die lautschallenden Revolversalven dieses Kampfes, mit Recht auf eine Haussuchung der Turiner Polizei, und zumal an diesem Revolutionstage, gefaßt halten konnte. Pater Anselmo dagegen war ruhig im Hause geblieben. Sein geistliches Gewand, noch mehr aber sein gutes Gewissen fürchtete die Schergen Victor Emanuels nicht. Wer suchte auch fromme Diener der Kirche in der diebischen Elster und den ehemaligen Tanzräumen der Demi-monde Turins. Außerdem hatte Anselmo, Marianos begabtester Vertreter in Piemonts Hauptstadt gerade an diesem Tage besonders viel zu tun. Noch nämlich lag die Leiche Mariannens in den Mauern der diebischen Elster, ohne daß man recht wußte, wo man dieselbe ohne Aufsehen verscharren könnte, und schon wieder nahm eine schöne Dame, die soeben durch Zerbinotto eingelieferte Signora Ginevra, des Paters ganzes Interesse in Anspruch.

Spione, welche der Straßenszene zwischen Il Bieco und Violetta gelauscht, hatten ihm inzwischen heimlich hinterbracht, daß Signore Moretto in der Tat, und zwar ziemlich schwer, wenn auch nicht am Kopfe und durch einen Steinwurf, so doch im Rücken, durch des Schielenden Dolchmesser verwundet worden, und dieser Umstand erleichterte ihm die Fortspinnung seiner Brieflüge mittels einiger Varianten ungemein. Mit der unbefangensten Miene von der Welt eröffnete Anselmo seiner neuen Schutzbefohlenen, als diese, ängstlich werdend, nach dem Doktor Feraglio, der sie zu sich beschieden, fragte, daß die Sache in so weit ihre Nichtigkeit habe, als ihr Gemahl wirklich verwundet sei und von ihr gesehen und gesprochen werden könne, sobald dessen augenblicklicher Fieberzustand derartige aufregende Besuche ohne nachhaltigen Schaden zulasse, und als ferner, der ihren Gatten behandelnde Arzt eben jener Dr. Giovanni Feraglio, der ihr den Brief geschrieben, sei. Allein Signora Moretto möge verzeihen, man habe sie aus reiner Schonung vorerst nicht zu dem bewußten Doktor, sondern zu dessen intimen Freunde geführt, damit Padrona Ginevra in so trauriger Lage auch nicht des geistlichen Trostes ermangle.

In Wahrheit lag die Sache freilich anders. Jene Spione, welche die Nachricht von Morettos Verwundung und Il Biecos Flucht vor Violetta hinterbrachten, waren von Anselmo sofort wieder ausgeschickt worden, den Schielenden zu suchen und dann mit ihm gemeinsam sich der Person des kranken Richters in dessen auszukundschaftender Wohnung zu bemächtigen. Inzwischen hoffte Auftraggeber mit seiner Beichte, Ginevra betreffend, fertig zu sein, so daß letztere, noch ehe ihr Gemahl in der diebischen Elster anlangte, bereits als ein fetter Lösegeldköder im Klostergefängnis des heiligen Ignatius, das damals natürlich noch nicht abgebrannt war, schmachtete.

Arme und doch glückliche Ginevra! Glücklich im Vergleich mit Madame Montal, die jahrelang hinter jenen düsteren Mauern eingekerkert saß, während sie, die Padrona Simone Morettos, sozusagen mit einem blauen Auge davonkam. Wie Pater Mariano später, so hatte nämlich Pater Anselmo schon jetzt seine Rechnung ohne den Wirt gemacht; den Wirt zur diebischen Elster sowohl, als unser aller Herbergsvater über den Sternen. Den Jankal gefesselt im Keller, dünkte er sich in der neuesten Affäre, die er angezettelt, so sicher, wie ein Fuchs in seinem Bau.

Doch lassen wir unseren ehrwürdigen Beichtvater mit seinem unfreiwilligen Beichtkinde einstweilen allein, um vorerst zu erfahren, wie die schöne Violetta des stummen Madagassen Befreiung als nächste Rettungstat ins Werk setzte.

Martino, ihr Pflegevater, war natürlich aufs höchste erstaunt, aber auch zugleich erfreut, als sie ihm die plötzliche Änderung ihres bisherigen Sinnes, resp. ihre endliche Einwilligung zu der ehelichen Verbindung mit Zerbinotto ins Ohr flüsterte. Er hörte schon die 1000 Lire, welche ihm jener Schurke versprochen, in seiner Tasche klimpern, und drückte daher die Bekehrte mit wahrhaft väterlicher Inbrunst an sein Herz. Es befremdete ihn in diesem Freudenrausche auch nicht im geringsten, daß Violetta an ihr Heiratsversprechen die sehr bedenkliche Bedingung knüpfte, der gebundene Jankal müsse bei dieser Gelegenheit frei werden, und das um so weniger, als das schlaue Mädchen, in dem Augenblick, wo es diese Bedingung stellte, mit einem Geheimnis prahlte, welches de facto nur eine leere Ausrede war, dessen in Aussicht gestellte Entschleierung den geldgierigen Martino jedoch vollkommen zufrieden stellte.

Noch glücklicher aber gebärdete sich der Ostiere zur diebischen Elster, als Violetta ihm schließlich mitteilte, er selbst solle aller persönlichen Verantwortung, die strenge Überwachung Jankals betreffend, überhoben sein, da er bei der Sache nichts zu tun habe, als die Schlüssel zum Souterrän, wo der Madagasse eingekerkert saß, an ihren gewohnten Ort zu hängen und dann unter Vorschützung irgendwelcher unaufschiebbarer Geschäfte die Osteria auf kurze Zeit zu verlassen.

Die 1000 Lire beseitigten im Handumdrehen alle Skrupel Martinos, dem Pater Anselmo gegenüber, und so geschah es, daß Violetta mit der alten Azucena bald allein im Hause war.

Letztere, die dem jungen Mädchen überhaupt von jeher sehr zugetan gewesen, gelobte über alles, was sie sehen und hören würde, unverbrüchliches Schweigen, und so konnte sich denn Violetta, von allen Seiten gut gedeckt, sofort an ihre Arbeit machen.

Die bewußten Schlüssel zum Keller und eine kleine Laterne in der Hand, stieg sie, mit dem Bewußtsein, eine edle Tat zu vollbringen, ohne jede Furcht zum finsteren Souterrän hinab. Schon nach den ersten Schritten zu diesem heute doppelt unheimlichen Raume bemerkte sie, daß sich der auf dem Boden liegende und gefesselte Madagasse auf die andere Seite herumwarf und auf das Geräusch, das ihre Tritte verursachten, zu lauschen schien.

»Fürchte nichts, Jankal!« rief sie halblaut und nochmals sich vergewissernd, daß niemand ihr folgte, »fürchte nichts, ich nahe zu deiner Befreiung!«

Ein freudiges Grinsen und Stöhnen des halbwilden Natursohnes, der mit seinen leuchtenden Katzenaugen Violetta, trotz der Finsternis in seinem Behälter, sogleich erkannte, war die Antwort.

»Ich komme von Signore Moretto, deinem Herrn,« flüsterte die Retterin weiter, »und habe ihm versprochen, deine Fesseln zu lösen, wenn du deine Herrin Ginevra, die, dank der Schurkerei des Pater Anselmo, auch bereits in diesem selben Hause, nämlich im zweiten Stock der diebischen Elster, so gut wie gefangen ist, aus den Händen des genannten Jesuiten befreist. Die Gelegenheit ist günstig, denn das ganze Banditennest ist ausgeflogen und selbst mein Pflegevater für den Augenblick nicht zur Stelle!«

Mit gierigen Blicken, als wolle er jedes ihrer Worte verschlingen, lauschte der stumme Jankal der frohen Mär. Flehend, als begriffe er vollkommen, daß jede Minute kostbar sei, streckte er seine gefesselten Hände der Engelserscheinung entgegen, und in seinen Freude und Rache glühenden Augen war zu lesen: »Wie geht es meinem guten, geliebten Herrn, Signore Moretto?«

Auch diese berechtigte Neugier, die den braven Natursohn für den Augenblick noch mehr zu quälen schien, als das, sein Staunen erweckende Schicksal der Herrin, wußte Violetta, während sie sich jetzt an die Lösung der Bein- und Handfesseln Jankals machte, nach Gebühr zu befriedigen.

Zum Glück waren die beiden Schellen, ihrem Hauptbestandteile nach, nur aus starkem Rindsleder gefertigt, so daß, wie die Befreierin schon bei der Überwältigung des Madagassen gewahrte, ein scharfes Dolchmesser, das sie wohlweislich zu sich gesteckt, zur Befreiung der zusammengeschnürten Glieder Jankals genügte.

Mit diesem Dolchmesser und einem sechsläufigen, elfenbeingeschnitzten Revolver, den ihr die sterbende Marianne heimlich anvertraut, bewaffnete sie den, sich nun dankbar vom Boden erhebenden und durch gewaltsame Entwaffnung völlig wehrlos gemachten Natursohn, der Violetta von diesem Augenblicke an wirklich als eine überirdische Erscheinung anstarrte.

»Du hast aus Versehen eine reuige Sünderin zum Tode verwundet,« erwiderte die Retterin mit einer gewissen Feierlichkeit, als Jankal mehrmals seine Knie vor ihr beugte und seine Dankestränen des schönen Mädchens Hände netzten, »jetzt, wo du wieder frei bist, packe mit Bewußtsein einen verstockten Sünder, der sich erfrecht hat, deine gute Herrin zu entführen. Schieß oder stich den Schurken tot; er hat kein besseres Los verdient, nur rette die Padrona Ginevra aus seinen Satanskrallen.«

Es bedurfte dieser Anfeuerung nicht; kaum, daß Jankal Dolch und Revolver in Empfang genommen und seine vom Liegen steif gewordenen Glieder ein paarmal tüchtig gereckt hatte, so strebte er auch schon derart hastig aus dem Keller heraus und der im zweiten Stock gelegenen geheimen Wohnung Anselmos zu, daß Violetta Mühe aufwenden mußte, seinen Rettungs- und Racheeifer zu zügeln.

»Eile mit Weile!« rief diese jetzt leise, indem sie ihn besorgt beim Arm packte, »sieh dich vor, denn auch der Pater ist stets und nur zu gut bewaffnet! Hülle dich in diese Verkleidung Zerbinottos, diese Mönchskutte, und laß dich durch Azucena als eiligen Boten Il Biecos anmelden, so gelangst du sicherer, und ohne Argwohn zu erwecken, in das Innere des Eulennestes da oben!«

Zustimmend und anscheinend sehr befriedigt über diese Weiberlist nickte der Stumme mit seinem mächtigen Stierhaupte, und im Nu hatte ihm Violetta auch schon die bezeichnete weite Tarnkappe ihres banditischen Anbeters über die Arme geschoben. Die bereits hereingebrochene Abenddämmerung begünstigte diesen Mummenschanz vollends, so daß die jetzt herbeigerufene Azucena wirklich einen Mönch unter besagter Kutte vermutete und daher die ihr aufgetragene Anmeldung in arglosester Weise ausführte.

Als Jankal bald darauf, die Kapuze seines Mönchsgewandes über den Kopf gezogen, in Anselmos Geheimkabinet trat, glaubte er im Nebenzimmer ein leises, unterdrücktes Schluchzen zu vernehmen und erkannte bei näherem Horchen sofort die Stimme seiner Herrin. Offenbar hatte sein Kommen den frommen Pater bei Ausübung der langen Ohrenbeichte gestört, der sich Ginevra nolens volens unterwerfen mußte, bevor sich die Pforten des Ignatiusklosters für sie öffneten.

Neugierde und Verdruß über die Störung seiner gesegneten Tätigkeit spiegelte sich nämlich zugleich in dem biederen Antlitz des Jesuiten, als er, wenige Sekunden nach Jankals Erscheinen, dem angeblichen Eilboten Zerbinottos gegenübertrat. Schließlich aber überwog doch die Neugierde in seiner schwarzen Seele, und in dieser Stimmung herrschte er den vermummten Madagassen an: » Diavoletto! Was treibt Euch in dieser Stunde zu mir? – Ist dem Schielenden etwa ein Unglück zugestoßen oder aber braucht er Geld zur Ausführung seines Planes?«

Jankal, dessen Geduldsfaden schon bei der Entdeckung der Stimme seiner Herrin zerrissen schien, zog in diesem Moment seine Kapuze vom Kopfe, und diese blitzschnelle Metamorphose hatte zur Wirkung, daß der Pater, von Schreck überwältigt, jählings zur Erde taumelte. Trotz des Dämmerlichtes im Zimmer hatten seine Eulenaugen den Rachedämon vor sich im Nu an seinem wolligen Haar erkannt, und, angesichts dieser furchtbaren Entdeckung verlor er seine ganze Geistesgegenwart.

Ein Jaguar kann nicht geschwinder von dem Geäst eines Urwaldbaumes herunter sich auf die belauerte Beute stürzen, als Jankal nach diesem fast berechneten, günstigen Vorgange sich auf den entsetzten Pater warf. Gleichzeitig blitzte auch jenes Dolchmesser, womit Violetta seine Fesseln gelöst, unheimlich in der Luft, und ehe noch der Jesuit Anstrengungen, sich vom Boden zu erheben, versuchen konnte, empfing derselbe einen wohlgezielten Todesstoß mitten ins Herz. Mit der Gewalt einer Fontaine entfuhr ein Blutstrahl der linken Seite des Bösewichts, in demselben Moment aber ertönte auch der durch den engen Zimmerraum verstärkte Krach eines Schusses. In seiner Todesangst hatte Anselmo mehr instinktiv als bewußter Weise nach seinem Revolver unter der Soutane gegriffen, und so war es ihm möglich geworden, jenen Schuß auf den stummen, wutschnaubenden Madagassen abzugeben, bevor es diesem gelang, des Gegners beide Hände unschädlich zu machen.

Dieser eine Schuß ging glücklicherweise fehl, doch war er das Signal zu einem zweiten, furchtbaren Kampfe auf Leben und Tod.

Der rothaarige Zerbinotto nämlich hatte seinen würdigen Kumpan Il Bieco in dem Menschengewühl der Straßen nicht finden können und war aus diesem Grunde schleunigst nach der diebischen Elster zurückgeeilt. Vielleicht hatte er seinen Auftrag auch nicht ausrichten wollen, denn die Abwesenheit der übrigen Banditen von ihrer sauberen Herberge erschien ihm zu einem, wenn auch gewaltsamen Kosestündchen mit Violetta besonders geeignet. Zufall oder besser, Schicksal, Verhängnis wollten es aber, daß er just in demselben Augenblicke seinen verbrecherischen Fuß über die Schwelle der berüchtigten Osteria setzte, als Anselmos Schuß aus dem oberen Stock derselben ertönte.

Mit wenigen Sätzen seiner langen Beine stand er vor der heimlichen Offizin seines schwarzen Despoten. Lord Duncombes edler Sprößling brauchte um Einlaß zu des Paters Gemächern heute in keiner Weise verlegen zu sein. Noch ehe er die Entreetür mit seinen Fäusten einschlug, öffnete sich diese wie von selber, und der braune Jankal, die befreite, aber vor Schrecken ohnmächtige Signora Ginevra wie ein Kind auf seinen Armen tragend, stand, gleichsam aus der Erde gewachsen, vor ihm. Zerbinotto erkannte die schöne Padrona Morettos freilich nicht, desto besser jedoch war ihm der stumme Madagasse im Gedächtnis geblieben, und so durchschaute er auch ohne besondere Information sofort die Situation.

Im ersten Augenblick prallte natürlich auch er vor dem vermeintlichen Schreckensgespenst entsetzt zurück, doch ebenso schnell erholte er sich von seinem jähen Schrecken und raffte nun alles, was er an Mut und Geistesgegenwart besaß, zur Bewältigung Jankals zusammen.

Aber was konnte ein so ausgemergelter Spitzbube einem Athleten gegenüber, wie der Madagasse nach Gestalt und Körperkraft war, anfangen, wenn er sein Heil nicht in der Waffe suchte.

So griff denn auch Zerbinetto zunächst und so rasch zum Revolver, daß Jankal, weil er seine Herrin mit dem rechten Arme umschlungen hielt, an entsprechender Gegenwehr für den Augenblick gehindert war. Aber Aufregung und Sorge, die dem Pater Anselmo doch jedenfalls sehr werte, unbekannte Dame mit zu töten, bewirkten, daß der rothaarige Bandit höchst unsicher schoß, daß, genauer gesagt, seine erste Kugel, die für Jankals linke Brust berechnet war, nur dessen Kutte streifte, während die zweite und letzte, für des Gegners Kopf bestimmte, diesem nur einen Zopf Schläfenwolle kostete. In jenem kritischen Momente geschah etwas, das den immerhin zweifelhaften Ausgang dieses Kampfes schließlich auch zugunsten Jankals entschied.

Während nämlich jener Natursohn, bei seiner Last auf den Armen unfähig nach Messer oder Revolver zu greifen, mit seiner linken Faust den Bastard beim Schopfe zu fassen suchte, erschien nämlich Violetta plötzlich im Rücken des Bösewichtes, ohne daß dieser es bemerkte, entriß mit kühnem Griff dem Schurken sein Mordinstrument und reichte es ebenso geschickt und schnell dem Madagassen zur Verteidigung dar. Von neuem Entsetzen ob dieser meuchlings erfolgten, plötzlichen Entwaffnung gepackt, wollte Zerbinotto sich jetzt seitwärts drehen und nach seinem hinterrücks agierenden zweiten Feinde spähen, da kracht auch schon die ihm so jäh entrissene eigene Waffe in Jankals linker Hand, und wie Pater Anselmo zum Tode getroffen, stürzt der unglücklichen Angelika mißratener Sohn Violetta zu Füßen.

Was Filippo Martino gefürchtet, geschah jetzt. Die vielen Schüsse, welche im obersten Stockwerk der diebischen Elster kurz hinter einander gefallen waren, hatten natürlich die ganze Nachbarschaft alarmiert, so daß schon wenige Minuten nach dem letzten Knall, und noch ehe der Madagasse imstande gewesen, die Signora Ginevra aus jenem verrufenen Hause zu schaffen und ihrem Gemahl zuzuführen, heftig redende und gestikulierende Menschengruppen alle Ein- und Ausgänge der Gazza ladra, neugierig der Dinge wartend, die noch kommen würden, besetzt hielten.

Ja, noch mehr, eine starke Patrouille Carabinieri, welche nach dem, an selbigem Tage seitens der Mazzinisten versuchten, aber glücklich niedergeworfenen Straßenputsch, als der Abend dieses schrecklichen Aufruhrtages herniederdunkelte, die entlegensten Winkel Turins durchstöberte, war jetzt, unter anderem auch und besonders herbeigelockt durch das von dort her tönende Geschrei: » Ajuto, omicidio!«, das ist »Hilfe, Mord!«, vor der diebischen Elster aufgezogen.

Merkwürdigerweise hatte sich gerade dieser Patrouille Paolini, der ebenfalls längst bekannte Privatdetektiv und Leibspion Victor Emanuels, welchem, wie der Leser sich jetzt erinnern wird, der königliche Auftrag geworden war, nach einem gewissen schönen Liebespfande seines Herrn zu forschen, attachiert.

In demselben Augenblick nun, wo Jankal, seiner Feinde ledig und die befreite Padrona Moretto am Arm führend, die diebische Elster verlassen wollte, an diesem Vorhaben jedoch durch die Menge, welche sich vor der Gazza ladra gestaut hatte, verhindert wurde, so daß schließlich Violetta auf der Türschwelle erscheinen und sich zum beredten Dolmetsch des leider stummen Madagassen aufwerfen mußte: – in diesem kritischen Momente, wiederholen wir, traf der gleichfalls infolge des Straßenlärms herbeigeeilte Osterienwirt Martino mit dem Polizei-Inspektor Paolini vor derselben Höllenpforte zusammen.

Addomine Filippo, wie wir Violettas Pflegevater an anderer Stelle nannten, zitterte vor Angst und Aufregung am ganzen Leibe. »Ich war in Geschäften abwesend und weiß daher von allem, was hier in meiner Behausung inzwischen vorgefallen, nicht ein Sterbenswort!« beteuerte er dem ihm wohlbekannten Geheimagenten des Königs. » Corpo di Bacco, ich ließe mir meinen Schmerbauch mit glühenden Bolzen so eben wie einen Marmortisch plätten, wenn ich von der Ursache des Mordskandals da oben in der Osteria auch nur eine blasse Ahnung hätte.«

Paolini seinerseits hörte gar nicht auf die Lamentationen des verschmitzten Herbergsvaters, all seine Sinne hingen augenscheinlich an der lieblichen Gestalt Violettas, des ihm im Hotel de l'Europe begegneten und jetzt glücklich wiedergefundenen Mädchens, auf das er eben in allerhöchstem Auftrage Jagd machte. Sein Ohr verschlang förmlich jedes der Worte, die Violetta, noch ohne ihren Pflegevater in der Menge bemerkt zu haben, jetzt auf Jankal und Ginevra weisend, sprach:

»Laßt diesen stummen Sohn der Wildnis ruhig seines Weges ziehen! Die halb ohnmächtige Signora, welche er am Arme mit sich führt, ist seine Herrin und zugleich die Padrona Simone Morettos, jenes Mannes, dem Turin es allein zu danken hat, daß heute nicht noch mehr Blut auf seinen Straßen vergossen wurde. Was hier in der Gazza ladra geschehen, ist nicht das Werk jenes Madagassen, sondern Pater Anselmos Tat, der, um Martino und seine Freunde zu verderben, als Wolf im Schafspelz sich hier oben eingeschlichen.

»Anselmo, dem Morettos loyales und patriotisches Treiben schon längst ein Dorn im Auge war, hat nämlich dessen Frau vor wenigen Stunden hierher entführen lassen, mit der Absicht, auf diese Weise sich bequemer auch der Person des gefürchteten Gemahles bemächtigen zu können. Zwei der berüchtigsten Turiner Spitzbuben, der Abruzzensprößling Il Bieco, und dessen sauberer Kumpan, Zerbinotto, seine besten Helfershelfer, haben ihm bei diesem Teufelswerke Beistand leisten sollen. Während der letztere die Signora Moretto unter falschen Vorspiegelungen hierher lockte, schickte Anselmo den Schielenden nach Moretto selbst aus. Mit eigenen Augen war ich Zeuge, wie Il Bieco sein Opfer von Straße zu Straße verfolgte und ihm schließlich meuchlings einen Dolch in den Rücken stieß. Wäre ich nicht herzugesprungen und hätte, Alarm schlagend, dem Mörder seine Beute entrissen, wer weiß, wo der unglückliche Moretto inzwischen sein Leben ausgehaucht? So aber sorgte ich, daß der Schwerverwundete nach Hause gebracht wurde, freilich nur, um dort die furchtbare Entdeckung zu machen, daß es seiner Frau inzwischen fast noch schlimmer ergangen als ihm, daß es Pater Anselmos anderem Helfershelfer, dem Zerbinotto, mittlerweile gelungen war, die gute Signora Moretto wirklich nach hier zu entführen.

»Sofort nahm ich mir vor, dieselbe zu befreien, und dies letztere sollte mir mit Hilfe jenes stummen Madagassen, Gott sei Dank, auch glücken. Dieser braune Natursohn, Jankal ist sein Name, war nämlich in dem treuen Bestreben, seinen Herrn zu beschützen, Ohrenzeuge des ganzen Anselmoschen Teufelsplanes, Moretto und seine Gemahlin betreffend, geworden. Il Bieco, dem Schielenden, heimlich auf dem Fuße folgend, war er in die diebische Elster geraten, hatte hier, in einem Versteck, den Abmachungen der Verbrecher gelauscht und war dann, im Begriff sich wieder zu entfernen, leider in die Hände der letzteren gefallen.

»Ich gestehe es offen, ich, die dem Gespräche jener Spitzbuben ebenfalls gelauscht und also wußte, wo Jankal geblieben war, ich löste des stummen Madagassen Fesseln und feuerte ihn an, ein Gleiches mit seiner Herrin geistlichen Banden zu tun. Nur in diesem gerechten Bemühen, nur seiner dienstlichen Pflicht gegen die Herrschaft gehorchend, ist er darauf in Anselmos Wohnung gedrungen und hat diesen wie seinen Helfershelfer Zerbinotto, die beide ohne weiteres sein Leben bedrohten, in ihm aufgezwungener Gegenwehr getötet. Flucht also nicht diesem braven Sohne der Wildnis, der mutig sein Leben für seine Herrschaft gewagt; flucht vielmehr dem Jesuitenteufel Anselmo mit seinen Höllenkumpanen, welche diese einst so wohl renommierte Osteria in eine wahre Diebeshöhle und Mördergrube verwandelt haben.

»Ja, ihr Wächter des Gesetzes und Hüter der Ordnung, hört es und meldet es eueren Vorgesetzten, laßt es, wenn möglich, selbst zu des Königs Ohren dringen: Mein Pflegevater Martino ist schuldlos an dem Verruf der diebischen Elster, wie Jankal, der Madagasse, an dem Tode der hier oben niedergestreckten Verbrecher! Er seufzt seit Jahren als ein willenloses Werkzeug unter dem Despotismus des Jesuitenordens und folgte nur Pater Anselmos zermalmendem Gebote, wenn er vorwiegend schlechte Gesellschaft bei sich duldete!

»Könnt ihr aber meinen Worten trotzdem nicht Glauben schenken, wohlan, so hört zum Schlusse noch dieses: Ich selbst, an deren Wiege andere Engel wachten, als die Genien gewisser Schenkmädchen, die Verbrechern als Lockvögel gelten sollen, ich selbst bin ein Opfer des Jesuitismus und speziell durch Pater Anselmo, den Gott durch einen Stummen jetzt gerichtet, in diesen Ort der Schmach hineingezogen!«

» Evviva Signorina! Evviva bella Violetta!« scholl es nach dieser Rede in einem wahren Beifallssturm aus der Menge. »Laßt Filippo Martino und den Madagassen frei und verfolgt statt ihrer die Rabenbrut der Kämpfer für Altar und Thron, die Feinde unseres Königs und Vaterlandes! Abasso, abasso alle Jesuiten!«

Das war natürlich Pulver auf Paolinis Pfanne. Sich als Polizeichef legitimierend, schaffte er dem ohnehin schon von der Menge freigegebenen Jankal vollends Bahn und wandte sich sodann an Violetta.

»Signorina!« sagte er lächelnd, »fürchtet nichts, wenn ich Euch bitte, mir zu folgen. Euch, wie Eurem Pflegevater soll kein Haar gekrümmt werden, denn Wahrheit hört' ich von der Unschuld Lippen! Glaubt mir vielmehr, wenn ich Euch prophezeie, daß eine Art himmlischer Vergeltung für all die Leiden, die Ihr ausgestanden, jetzt Eurer wartet! Ebbene, folgt mir nach dem Palazzo reale!«

* * *

Doch überlassen wir die mutige Violetta einstweilen ihrem Schicksale, um zunächst zu erfahren, wie es dem im Rücken verwundeten und fast trostlos in seiner Wohnung zurückgebliebenen Richter Moretto noch selbigen Tages erging.

Letzterer hatte, gleich nachdem Violetta ihn mit dem Versprechen, sowohl seine Frau Ginevra, als auch seinen treuen Diener Jankal zu befreien, verlassen, seine Köchin Maddalena eiligst zu seinem bewährten Freunde und Landsmann, dem von den Banditenstreichen im Tavoliere di Puglia uns wohlbekannten Meierhofpächter Taddeo Martini – der sich zur Zeit, wie dem Leser jetzt erinnerlich sein wird, bei seinem Schwager, dem Maurermeister Carlo in Turin, aufhielt und dem Giudice Moretto bereits am Morgen dieses Revolutionstages auf der Straße begegnet war – mit der Bitte um raschen persönlichen Beistand geschickt. Dieser unerschrockene Gutspächter von Il Prugnolo ließ denn auch nicht lange auf sich warten und traf wohl bewaffnet, wie es der blutige Charakter des Tages erheischte, in der Casa Ginevra, auf der Strada Bianca, ein. Selbstverständlich hatte ihm Maddalena, trotz ihrer Eile, umständlich berichten müssen, was ihrem Herrn denn Außerordentliches passiert sei, und diese Darstellung des Geschehenen hatte seinen kräftigen Beinen natürlich Flügelschuhe verliehen.

Fast atemlos trat Taddeo Martini, nicht zu verwechseln mit dem Osterienwirt Filippo Martino, bei Simone Moretto ein; die neue Bubentat des Schielenden hatte sein Blut derartig in Wallung gebracht, daß es des Anblicks seines verwundeten Freundes kaum noch bedurfte, um alle seine Rachegeister wach zu rufen und wild in den Chorus: » Abbasso il Bieco!« einstimmen zu lassen.

Gelegenheit zur Betätigung dieser Wutstimmung sollte ihm, früher, als er dachte, geboten werden. Der Schlauheit des letzterwähnten Halunken war es nämlich keineswegs schwer gefallen, die Wohnung des Richters, welche ihm von Zerbinotto, der ihn, wie gemeldet, verfehlt, nicht hatte mitgeteilt werden können, in Bälde zu erkunden. Nichts einfacher als das.

Der Schielende war auf kleinen Umwegen und in Distanzen, die Violettas Wachsamkeit ihm anriet, dem Transporte des von ihm verwundeten Todfeindes gefolgt und auf diese Weise ohne langes Umherirren und Fragen an die richtige Pforte gelangt. Daß Taddeo Martini, sein zweiter Erzfeind, kurz vorher, als er selbst sich mit wenigen Kumpanen, die Schmiere stehen sollten, unter dem Schutze der Dämmerung in das Haus des Richters schlich, die Casa Ginevra bereits betreten hatte, konnte er natürlich ebenso wenig ahnen, als das inzwischen erfolgte Gottesgericht über Pater Anselmo und Zerbinotto.

Im Gegenteil, dadurch, daß er die Ausführung seiner mörderischen Absicht so lange aufschob, bis Violetta und ein schleunigst herbeigerufener Arzt den Verwundeten einstweilen wieder verlassen, glaubte er alle weitere Vorsicht überflüssig. Konnte er doch den Pächter Martini mit Recht weit von Turin, in der Einsamkeit des Tavoliere wähnen und, was die Frauenzimmer besagter Casa, die Signora Ginevra – falls diese durch Zerbinotto noch nicht entführt sein sollte – und deren Köchin Maddalena betraf, so hoffte er mit diesen Weiberkreaturen vollends leichtes Spiel zu haben. Gerade die Maddalena nämlich hatte er zwar aus des Richters, von diesem allein bewohnten Gartenhäuschen hinwegeilen, aber noch nicht – weil dieselbe von Martinis Wohnung aus zunächst einen ziemlich entlegenen Weg zu einem berühmten Chirurgen eingeschlagen, – dahin zurückkehren sehen, und eben diesen, seinem Mordplan günstigen Umstand betrachtete der Bösewicht als Signal zum Beginn seines Verbrechens.

Sobald er den Richter überfallen und diesmal an todesgewisserer Stelle von vorne getroffen, wollte er dem Gemordeten das Haus über dem Kopfe anstecken und so, mittels des roten Hahnes auf dem Dache, jede etwa auf seine eigene Person lenkende Spur dieser schändlichen Bluttat für immer verwischen.

Morettos verhältnismäßig kleines, aber massives und zweistöckiges Gartenhaus hatte, da seine hintere Seite unmittelbar an das linke Poufer grenzte, als Ein- und Ausgang nach dem Lande, resp. nach der Strada Bianca zu, nur eine einzige Pforte. Eine zweite, fast winzige Tür, welche nach dem Strome hinausführte und nur bei Gondelfahrten zum Ein- und Aussteigen diente, war fast das ganze Jahr hindurch mittels einer eisernen Querstange fest verrammelt und verriegelt. Auf die den Einbrechern so bequeme Chance, nach hinten zu entweichen, wenn vorne Gefahr im Verzuge, mußte also Bieco des fatalen Po wegen verzichten.

Weil er wußte, daß die Köchin noch nicht wieder daheim war, schlich er sich durch die nur angelehnte Haustür zunächst in die gleich links gelegene Küche. Hier gedachte er unter dem Schutze der bereits eingetretenen Dunkelheit nur einen Augenblick zu verweilen, um, wenn auf der Straße und im Hause alles ruhig, dann sofort nach dem zweiten Stockwerk, wo bereits Licht brannte und man, wie er ganz richtig vermutet, den verwundeten Richter hingebettet, aufzubrechen.

Indes auch dieser Spezialplan sollte, wie sein ganzes verbrecherisches Vorhaben überhaupt, gründlich vereitelt werden. Kaum nämlich hatte der Schielende jenen Küchenraum betreten, als seine »Schmieresteher« auf der Straße einen eigentümlichen Pfiff, welcher bedeutete, daß große Gefahr im Verzuge, ertönen ließen.

Aus dem Hause wieder zu entwischen ging nicht mehr an, denn vor der Tür desselben stand bereits Jankal, Morettos treuer und gewaltiger Diener, vor dessen Augen, weil Il Bieco ihn noch gefesselt in der diebischen Elster wähnte, er sich ebenso sicher geglaubt, als vor Martinis Blicken und Armen.

Unser braver Madagasse also war es, der gerade jetzt mit seiner immer noch halb ohnmächtigen Herrin vor der Casa Ginevra anlangte und auf diese Weise dem Mörder zuerst den Weg verlegte.

Da mit diesem seltsamen Paare auch zugleich zwei Carabinieri, welche Paolini der Signora Moretto zum Schutze beigegeben, sowie ein ganzer Haufen neugieriger Menschen vor der Casa anlangten, so war an eine Flucht des Schielenden nicht im entferntesten zu denken. Unter diesen Umständen, und weil die Küche wahrscheinlich der erste Raum war, den, wie Il Bieco annehmen konnte, die so unerwartet Zurückgekehrten, namentlich der halb ohnmächtigen Padrona wegen, betreten würden, so riet ihm sein Verbrecherinstinkt, den Rauchfang über dem Feuerherde als nächst sicheren Schlupfwinkel aufzusuchen.

Gedacht und getan! Im Nu und noch ehe Ginevra und Jankal den Flur des Hauses betraten, war er ein gut Stück in dem nach oben sich leider verengenden rußigen Schlote hinaufgekrochen. Die langen Bankeisen, welche die Schornsteinfeger zu eigenem, bequemeren Aufklimmen allenthalben eingeschlagen, hatten ihm seinen nach oben führenden schwarzen Maulwurfspfad ganz wesentlich erleichtert.

Nach oben – der Luft und dem Lichte, dem Dache und damit der Freiheit zu! – Ja, wenn der fatale Rauchfang ein breiter deutscher Schornstein gewesen wäre! So aber endete der Schlot in einer engen, russischen Röhre, durch die emporzukommen absolut unmöglich war.

Traurig für den Schielenden, überaus glücklich aber für Morettos Rettung und Martinis Rache.

In der Tat betrat Jankal, um seiner Herrin von neuem die Stirn zu kühlen, zunächst den Küchenraum, begab sich dann jedoch und sogleich mit der Signora die Treppe hinauf ins zweite Stockwerk. Einer der Soldaten war inzwischen vorausgeeilt, dem kranken Richter die Rückkunft seiner geliebten Padrona zu melden und dabei natürlich auf Martini gestoßen. Dieser war dann schnell herbeigeeilt, um der schwachen Signora beim Treppensteigen zu helfen: – kurz und gut, dem Mörder hätte sich, während dies geschah, vielleicht noch Gelegenheit geboten, aus seinem dunklen Versteck hinabzuhuschen und die Tür zu erreichen, zumal ja auch die Carabinieri sich jetzt zum Verlassen der Casa anschickten, wenn nur nicht, einerseits, der endlich abgelöste Madagasse sich zu eben dieser Zeit in seiner gleich rechts von der Küche gelegenen Portierstube zu schaffen gemacht hätte und, anderseits, nicht in demselben Augenblicke die Maddalena mit dem bewußten Wundarzt angekommen wäre. So aber wurde dem schielenden Spitzbuben zum zweiten Male der Weg zur Flucht verlegt.

Kaum nämlich hatte der berühmte Chirurg das Krankenzimmer betreten, so eilte Martini schon wieder die Treppe hinunter. »Gut, daß du da bist,« rief er der noch schweißtriefenden Köchin entgegen, »so rasch, als möglich, warmes Wasser zu einem Bade für Signore und Tee für die Signora! Jankal, damit alles schnell geht, soll helfen Feuer zu machen!«

Während der um seinen Freund besorgte Pächter wieder nach oben eilte, machten sich Maddalena und der treue Madagasse, der von den Aufregungen und Anstrengungen der jüngsten Stunden ebenfalls noch stark transpirierte, sofort an die Arbeit.

Noch nicht zehn Minuten waren vergangen, da prasselte schon ein mächtiges Herd- und Kesselfeuer den, einen Mörder bergenden Schlot hinauf; ein Rache- und Fegefeuer, dem, weil das dicke Klobenholz, welches Jankal vom Hofe herbeigeschafft, durch einen Platzregen ein wenig feucht geworden, ein erstickender, furchtbarer Rauch vorherging, aus dem dann schließlich, und zwar mit einem Kanonenschuß ähnlichen Krach, die züngelnde Lohe emporschlug.

Wer beschreibt nun aber das Entsetzen Maddalenas und Jankals, als mit einem Male aus der Mitte des Rauchfanges heraus ein Gepolter und Getöse sich hören ließ, als ritten St. Walpurgis zwölf deutsche Teufel zugleich auf Besen und Feuerzangen den Schlot hinauf, um, bei der Firste des Daches angekommen, ihren Höllenabstecher nach dem Blocksberg einzuschlagen.

Mit furchtbarer Gewalt und mit einem Spektakel, wie wenn ein Orkan die Kronen tausendjähriger Eichen zerknickt, kollerte Il Bieco, zum Grausen Maddalenas und Jankals, die beide eher des Himmels Einsturz vermutet hätten, vom Qualm des Herdfeuers betäubt, plötzlich aus dem Innern des Schornsteins herunter und mitten in das noch kalte Powasser des kupfernen, mächtigen Waschkessels hinein.

Natürlich war ein furchtbarer Aufschrei das erste, womit Maddalena ihrem von Angst und Entsetzen gefolterten Herzen Luft schaffte. Ja selbst der stumme Madagasse schien auf einen Augenblick seine Stimmmittel wieder erlangt zu haben, denn auch er schrie, von Schreck gelähmt, wie ein krepierender Elefant.

Aber das Entsetzen währte bei ihm nur einen Augenblick. Als die Köchin, halb ohnmächtig, die Küche hinaustaumelte, um Taddeo Martini herbeizukreischen, war der Madagasse schon wieder im Besitze seiner vollen Geistesgegenwart.

Und dies war auch die höchste Zeit, denn das unfreiwillige, kühle Bad, welches trotz seiner Frische doch nicht verhinderte, daß sich der aus seinem Sicherheitshimmel gestürzte Verbrecher die Füße gründlich verbrannte, hatte den Schielenden ebenso rasch aus seiner Betäubung geweckt.

Doch das Wasser und Feuer brachte den stammelnden Schurken Il Bieco schnell wieder zur Besinnung.

Der Schielende war nämlich, entsprechend seiner unbequemen Schlotlage und just wie ein Ladestock, den man aus einem umgekehrten Pistol fallen läßt, mit den Beinen zuerst in den Herdkessel gefahren und hatte natürlich, vermöge der Wucht seines Körpers, den Boden des dünnen kupfernen Gefäßes sofort durchgeschlagen. Auf diese höchst originelle Weise stand er plötzlich im Feuer und Wasser zugleich, denn während seine Sohlen auf glühenden Kohlen tanzten, wurden seine Beine von kühlenden Fluten umrauscht.

Doch der Leser begreift, daß sich unter diesen Umständen der nasse Inhalt des Kessels kraft seiner urplötzlichen Verquickung mit dem Feuer sogleich in Wasserdampf verwandelte, und eben diese so gewaltsame Metamorphose verlieh dem wirklich tragischen Rachegeschicke Il Biecos einen wahrhaft grausigen Höllenzauber.

Einen Moment natürlich mußte selbst Jankal jener höllischen Verschmelzung zwei sich hassender Elemente weichen; als der Höllenzauber aber dann gebrochen war und der Schielende mitten im wieder freigewordenen Raum der Küche dastand, als der Nebelmantel fiel: – in diesem Augenblicke eben begann die Rachearbeit des Madagassen, der in der Tat durch den Schreck seine, im Jünglingsalter, aus Ursache einer Erkältung verlorene Sprache plötzlich wieder erlangt hatte.

»Schurke, wir kennen uns!« brüllte er, einem wütenden Stiere gleich, den Schielenden an, »aber auch deine Uhr ist abgelaufen! Die Stunde der Vergeltung für all das Elend, das du im Tavoliere angerichtet, hat geschlagen!«

Mit diesen Worten packte Jankal den mit den Beinen festgeklemmten Bastard Carlo Beruttis bei den Schultern, in der Absicht, ihn vollends in den Kessel niederzudrücken und dort im eigenen Fette schmoren zu lassen, als Taddeo Martini, der Rächer par excellence, in der Küche erschien und dem Gedanken des Madagassen eine, von der Todesart Marianos ganz abweichende Gestalt verlieh.

Maddalene, welche wir zitternd nach oben flüchten sahen, hatte den Freund ihres Herrn natürlich über alles, was in der Küche geschehen, wenn auch nur mit fliegendem Atem, unterrichtet, so daß Martini, als er den Schielenden in Jankals Händen erblickte, sofort ahnte, was jener Schurke im Schilde geführt.

»Dies Scheusal zu schmoren, wäre das Holz zu schade; auch ist der Kessel dazu entzwei!« sagte der Pächter fast trockenen Tones, indem er ganz nahe an Jankals Gefangenen herantrat und ihm Revolver und Dolch abnahm. »Nein, es gibt noch Kreaturen, denen wir eine Freude mit solchem Teufelsbraten machen können.

»Drüben am Po liegt ein alter Schweinekoben, der, wie mir Signore Moretto erzählt hat, von hungrigen Wasserratten wimmelt; jene Bestien mögen sich an ihresgleichen delektieren! Darum heraus, Jankal; heraus mit dem Mordbrenner aus dem Feuer und in besagten Schweinekoben hinein! Ich selbst will dem Schurken Hände und Füße mit Ketten binden und ihn so – er hat sich diesen Tod redlich verdient – unter die gefräßigen Ratten werfen.«

Gesagt und getan. Im Nu brachte Martini eine dem Rattenbiß unzugängliche Wagenkette vom Hofe angeschleppt und ebenso schnell war Il Bieco damit an allen Gliedern geknebelt. Wie er auch heulte und lamentierte, um Gnade flehte und Besserung gelobte: Martini hörte nicht darauf, denn vor ihm standen die Greuel des Schielenden im Tavoliere di Puglia, und oben im Hause krümmte sich in unsagbaren Schmerzen der schwer im Rücken verwundete Landsmann und Freund.

Jankal mußte den gefesselten Delinquenten bis dicht vor den dach- aber nicht fachlosen Koben tragen, dann packte ihn Martini selbst erbarmungslos bei seinen zusammengekoppelten Händen und Füßen und warf ihn den unten wimmelnden, unzähligen, gierigen Ratten zum Fraße hin, wie er daheim sein Borstenvieh zu füttern pflegte.

So waltete am Ufer des Po die rächende Nemesis, und befreite die Welt von einem Scheusal, das so viele Schandtaten auf sein Gewissen geladen hatte.


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