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Letzte Woche Jesu.
Wirklich machte er sich auch mit seinen Jüngern auf den Weg, um die ungläubige Stadt noch einmal zu besuchen. Die Hoffnungen seiner Umgebung wurden immer maßloser. Alle glaubten, wenn sie nach Jerusalem zögen, werde dort das Reich Gottes offenbart werden. (Luk. XIX, 11.) Die Gottlosigkeit der Menschen hatte ihren Höhepunkt erreicht, und das galt als das große Zeichen, daß die Erfüllung nahe sei. Diese Überzeugung war so stark, daß bereits um den Vorrang im Reiche gestritten wurde. (Luk. XXII, 24.) Damals soll es geschehen sein, daß Saloma für ihre beiden Söhne, die Sitze zur Rechten und zur Linken des Menschensohnes erbat. (Matth. XX, 20; Mark. X, 35.) Der Meister dagegen war mit viel ernsteren Gedanken beschäftigt. Zuweilen ließ er ein düsteres Rachegefühl gegen seine Feinde durchblicken. Er erzählte das Gleichnis von einem vornehmen Manne, der auszog, um in fernen Landen ein Reich zu erobern; allein, kaum war er fort, so wollten seine Mitbürger nichts mehr von ihm wissen. Der König kehrte zurück ließ jene, die nicht gewollt hatten, daß er länger herrsche vorführen und verurteilte alle zum Tode. (Luk. XIX, 12-27) Ein anderes Mal zerstörte er den Illusionsbau seiner Jünger. Wie sie auf den steinigen Straßen Jerusalems dahinschreiten nördlich von Jerusalem, ging Jesus nachdenklich seiner Genossenschar voraus. Alle sahen ihn, im bangen Gefühle schweigend an und wagten nicht ihn zu fragen. Schon zu wiederholten Malen hatte er zu ihnen von seinen künftigen Leiden gesprochen und mit Widerstreben hatten sie ihn angehört. (Matth. XVI, 21; Mark. VIII, 31.) Jesus nahm endlich das Wort und ohne seine Ahnungen zu verbergen sprach er mit ihnen von seinem nahen Ende. Große Trauer herrschte in der kleinen Schar. Die Jünger erwarteten bald das Zeichen in den Wolken zu sehen. Der Weckruf des Gottesreiches: »Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn«, hallte bereits fröhlich durch die Schar wieder. Dieser blutige Ausblick erschreckte sie nun. Mit jedem Schritt, auf dem verhängnisvollen Wege, näherte oder entfernte sich das Gottesreich im Spiegelbild ihrer Träume. Er selbst befestigt sich in dem Gedanken, daß er sterben gehe, daß aber auch sein Tod die Welt retten werde. Das Mißverständnis zwischen ihm und seinen Jüngern wurde mit jedem Augenblick größer.
Der Brauch wollte, daß man einige Tage vor Ostern nach Jerusalem komme, um sich hier vorzubereiten. Jesus langte nach den andern an, so daß einen Moment seine Feinde schon glaubten, sich in der Hoffnung, ihn gefangen zu nehmen, getäuscht zu haben. (Joh. XI, 56.) Am sechsten Tage vor dem Feste (Samstag, am achten Nisan, gleich dem 28. März Ostern wurde am 14. Nisan gefeiert. Im Jahre 33 war der erste Nisan, gleich Samstag, den 21. März. kam er endlich in Bethanien an. Er kehrte gewohntermaßen bei Lazarus, Martha und Maria, im Hause Simons des Aussätzigen, ein. Er wurde festlich empfangen. Bei Simon den Aussätzigen war ein Festmahl, bei dem viele Personen sich versammelten, angezogen von dem Wunsche Jesum zu sehen, und auch Lazarus, von dem seit kurzem so vieles erzählt wurde. (Matth. XXVI, 16; Mark. XIV, 3; vgl. Luk. VII, 40, 43, 44.) Lazarus saß an der Tafel und schien die Blicke aller auf sich zu vereinen. Martha bediente wie gewöhnlich. Es scheint, daß man durch verdoppelte äußere Aufmerksamkeit die Kälte der Anwesenden besiegen wollte und die hohe Würde des Gastes, der empfangen wurde, besonders hervorzuheben. Das Mahl festlicher zu gestalten, kam Maria während des Essens mit einem Gefäß wohlriechenden Wassers herbei, das sie über Jesus Füße goß. Dann zerbrach sie das Gefäß, einem alten Brauche folgend, wonach das Geschirr, das zur Bedienung eines hochstehenden Gastes benutzt wird, zerschlagen werden soll. Endlich, von der Verehrung für ihn einen Beweis, in bis dahin unbekannter Übertriebenheit, bietend, kniete sie nieder und trocknete mit ihren langen Haaren des Meisters Füße. Das Haus war mit Wohlgeruch erfüllt, zur großen Freude aller, ausgenommen des geizigen Judas von Kerioth. Im Hinblick auf die Sparsamkeit der Gemeinde, war das eine wahre Verschwendung. Der geizige Säckelmeister berechnete sogleich, wie teuer das wohlriechende Wasser hätte verkauft werden können, und was es der Armenkasse eingebracht. Dieses wenig wohlwollende Gefühl, das etwas über ihn zu stellen schien, verdroß Jesum. Er liebte Ehrenbezeigungen, denn sie dienten seinem Zwecke und festigten seinen Titel Sohn Davids. Auch antwortete er, als man von den Armen sprach, lebhaft: »Arme werdet ihr immer um euch haben, mich aber werdet ihr nicht immer haben.« Und aufgeregt, verhieß er dem Weibe, das ihm in diesen kritischen Augenblick ein Unterpfand der Liebe gab, die Unsterblichkeit. (Matth. XXVI, 6; Mark. XIV, 3; Joh. XI, 2; XII, 2; vgl. Luk. XII, 36.) Am nächsten Tage, Sonntag den dritten Nisan, stieg Jesus von Bethanien nach Jerusalem hinab. (Joh. XII, 12 [unleserlich.Re]Als er bei der Wegbiegung, auf dem Gipfel des Ölberges die Stadt vor sich liegen sah, soll er über sie geweint haben und eine letzte Ansprache an sie gerichtet. (Luk. XIX, 41 [unleserlich.Re]Am Fuße des Berges, wenige Schritte vom Thor entfernt, als er das an die östliche Stadtmauer grenzende Gehöft betrat, das man Bethphage nannte – zweifellos wegen der Feigenbäume, mit welchen es bepflanzt war – wurde ihm noch eine menschliche Genugthuung zu teil. Die Kunde von seiner Ankunft hatte sich verbreitet. Die zum Feste angelangten Galiläer empfanden darob große Freude und bereiteten ihm einen kleinen Triumph. Man brachte ihm eine Eselin, der, wie es Gebrauch war, das Junge folgte. Die Galiläer breiteten ihre schönsten Kleider auf des Tieres Rücken und ließen ihn darauf setzen. Andere wieder breiteten ihre Kleider auf dem Wege aus und streuten grünes Gezweig darauf. Die vorausziehende und nachfolgende Menge trug Palmzweige in den Händen und rief aus: »Hosianna dem Sohne Davids! gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn.« (Luk. XIX, 38; Joh. XII, 13.) »Rabbi, heiß ihn schweigen«, riefen ihn die Pharisäer zu. »Wenn sie schweigen, werden Steine reden«, antwortete Jesus und zog in die Stadt ein. Die Jerusalemiten, die ihn kaum kannten fragten, wer er sei. »Das ist Jesus, der Prophet von Nazareth in Galiläa«, wurde ihnen geantwortet. Jerusalem war damals eine Stadt mit ungefähr 50 000 Seelen. Ein kleines Ereignis, wie der Einzug eines, wenn auch nur einigermaßen berühmten Fremden, oder die Ankunft einer Schar Provinzialer, oder ein Volksauflauf in der Vorstadt, konnte nicht verfehlen, unter gewöhnlichen Umstanden Aufsehen zu erregen. Doch zur Festzeit war die Verwirrung zu groß. Jerusalem gehörte in diesen Tagen den Fremden. Auch dürfte unter diesen die Erregung am lebhaftesten gewesen sein. Griechisch redende Proselyten, die zum Fest hergezogen kamen, wollten, von der Neugierde gestachelt, Jesum sehen. Sie wandten sich an seine Jünger (Joh. XII, 20); wir wissen nicht recht, was sich aus dieser Zusammenkunft ergab. Jesus aber verbrachte die Nacht in seinem lieben Dorf Bethanien. (Matth. XXI, 17; Mark. XI, 11.) Die drei folgenden Tage – Montag, Dienstag, Mittwoch – stieg er ebenfalls nach Jerusalem hinab; nach Sonnenuntergang begab er sich entweder nach Bethanien hinauf, oder nach den Landhäusern auf der Westseite des Ölberges, wo er viel Freunde hatte. (Matth. XXI, 17, 18; Mark. XI, 11, 12, 19; Luk. XXI, 37, 38.)
Eine große Trauer scheint in diesen letzten Tagen, die gewöhnlich so frohe, heitere Seele Jesu erfüllt zu haben. Alle Berichte schreiben ihm übereinstimmend, vor seiner Verhaftung, einen Moment des Zagens und Zauderns zu, eine Art vorzeitige Agonie. Nach dem einen habe er plötzlich ausgerufen: »Meine Seele ist betrübt, Vater errette mich aus dieser Stunde.« (Joh. XII, 27.) Man glaubte, in diesem Augenblicke habe sich eine Stimme vom Himmel vernehmen lassen; andere sagten, ein Engel wäre gekommen ihn zu trösten. (Luk. XXII, 43; Joh. XII, 28, 29.) Nach einer sehr verbreiteten Version, wäre das im Garten von Gethsemane geschehen. Jesus hätte sich nur ein Steinwurf weit von seinen schlafenden Jüngern entfernt, nur Kephas und die beiden Söhne des Zebedäus hätte er mit sich genommen. Dann betete er, das Antlitz der Erde zugewendet. Seine Seele war todbetrübt; eine fürchterliche Angst bedrückte ihn; aber die Resignation in den göttlichen Willen siegte. (Matth. XVIII, 36; Mark. XIV, 32; Luk. XXII, 39.) Dieser Vorgang ist von der instinktiven Kunst, die bei der Herstellung der synoptischen Evangelien sich geltend machte, und die so oft die Wahrscheinlichkeit oder Wirkung zum Maßstab wählte, in Jesu letzte Nacht verlegt worden, in den Moment seiner Verhaftung. Wäre diese Mitteilung richtig, so ließe sich nicht begreifen, warum Johannes, der ein vertrauter Zeuge dieser ergreifenden Episode gewesen wäre, in seiner ausführlichen Darstellung des Abends vom Donnerstag nichts davon erwähnt. Dies wäre um so unbegreiflicher, als Johannes besonders gern die Umstände hervorhebt, die ihn persönlich betreffen, oder deren einziger Zeuge er war: XIII, 23; XVIII, 15; XIX, 26, 35; XX, 2 XXI, 20. Gewiß ist aber, daß in diesen letzten Tagen die ungeheuere Schwere der übernommenen Mission grausam auf Jesum lasteten. Die menschliche Natur erwachte wieder für einen Augenblick. Er begann an seinem Werk zu zweifeln. Angst und Zagen bemächtigten sich seiner und warfen ihn in eine Ohnmacht, die noch schlimmer als der Tod war. Der Mensch, der einem großen Gedanken sein Ruhe und die berechtigten Ansprüche an das Leben zum Opfer bringt, fühlt stets einen Moment traurigen Rückfalls wenn sich ihm das Bild des Todes zum erstenmal zeigt und ihn zu überzeugen versucht, alles sei eitel. Vielleicht kamen ihm in diesem Augenblicke einige jener rührenden Erinnerungen in den Sinn, welche auch die stärksten Seelen bewahren, und sie zuweilen schwerterscharf durchbohren. Gedachte er der klaren Quellen Galiläas, in denen er sich erfrischen konnte? der Rebe, des Feigenbaums, unter denen er sich niedersetzen konnte? der jungen Mädchen, die ihn vielleicht gern geliebt hätten? Verwünschte er sein arges Geschick, das ihn die Freuden versagte, die allen anderen gewährt worden waren? Bedauerte er seinen hohen Geist und – ein Opfer seiner Größe – beweinte er, daß er nicht der schlichte Handwerker in Nazareth geblieben war? Wir wissen es nicht. Denn alle diese inneren Kämpfe scheinen seinen Jüngern ein Buch mit sieben Siegeln gewesen zu sein. Sie begriffen sie nicht und ergänzten durch naive Vermutungen was ihnen von des Meisters großen Seele dunkel war Sicher ist aber auch, daß seine göttliche Natur bald wieder zur Übermacht kam. Er konnte noch den Tod vermeiden er wollte es nicht. Die Liebe zu seinem Werke siegte. Er war bereit, den Kelch bis auf die Hefe zu leeren. Fortan finden wir tatsächlich ganz und ungetrübt Jesu wieder. Die Klügeleien des Polemikers, die Leichtgläubigkeit des Wunderthäters und Teufelaustreibers sind vergessen. Es bleibt nur noch der unvergleichliche Heros der Leidenszeit, der Gründer der Gewissensfreiheit, das vollkommene Vorbild, das alle leidenden Seelen betrachten werden, um sich zu kräftigen, um sich zu trösten.
Der Triumph vom Bethphage, die Kühnheit der Provinzialen, die vor den Thoren Jerusalems die Ankunft ihres König-Messias feierten, erbitterten die Pharisäer und die Tempelaristokraten aufs äußerste. Mittwoch, am 12. Nisan, wurde bei Joseph Kaiphas eine neue Beratung abgehalten. (Matth. XXVI, 1-5; Mark. XIV, 1, 2; Luk. XXII, 1, 2.) Die sofortige Haftnahme Jesu wurde beschlossen. Ein hohes Gefühl für Ordnung und konservativer Vorsicht beherrschte alle diese Maßregeln. Es handelte sich darum, jedes weitere Aufsehen zu vermeiden.
Da das Osterfest, das in diesem Jahre Freitag abends begann, große Störungen und Aufregungen mit sich führte, wurde beschlossen, diesem Tage zuvor zu kommen. Jesus war volkstümlich (Matth. XXI, 46); man befürchtete eine Emeute. Die Haftnahme wurde daher für den nächsten Tag, Donnerstag, festgesetzt. Auch wurde beschlossen, sich seiner nicht im Tempel zu bemächtigen, wohin er täglich kam (Matth. XXVI, 55), sondern seine Gewohnheiten zu erkunden und ihn dann an einem geheimen Ort zu verhaften. Die Agenten der Priester sondierten seine Jünger, hoffend, nützliche Mitteilungen aus ihrer Schwäche oder Schlichtheit zu entnehmen. Sie fanden was sie suchten bei Judas von Kerioth. Dieser Unglückliche gab aus ganz unerklärlichen Gründen alle nötigen Aufklärungen und übernahm es sogar – obgleich eine solche Überfülle von Niedertracht kaum glaublich ist – die Abteilung zu führen, welche die Verhaftung vornehmen sollte. Die Schreckenserinnerung, welche die Dummheit oder Bosheit dieses Menschens in der christlichen Überlieferung hinterlassen hat, mußte hier etwas Übertreibung hineintragen. Bis dahin war Judas Jünger wie jeder andere; er führte sogar den Titel Apostel; er hatte Wunder verübt und Dämone ausgetrieben. Die Legende, die nur grelle Farben liebt, konnte bei dem Abendmahl nur elf Heilige und einen Verworfenen gelten lassen. Die Wirklichkeit besitzt keine so absolute Kategorien. Der von den Synoptikern als Motiv dieses Verbrechens angeführte Geiz genügt nicht zu dessen Erklärung. Es wäre doch sonderbar, wenn ein Mensch, der die Kasse führte und wußte, daß er sie mit des Meisters Tod verlieren mußte, die Vorteile seines Amtes für eine kleine Summe Geldes vertauschen würde. (Joh. XII, 6. – Johannes erwähnt eine Geldbelohnung gar nicht.) Wurde vielleicht Judas durch den Verweis in seiner Eigenliebe verletzt, den er beim Festmahl in Bethanien erhielt? Auch das würde nicht genügen, Johannes will ihn von Anfang an als Dieb, als Ungläubigen gelten lassen, was jedoch nichts Wahrscheinliches hat. Man könnte vielmehr ein Gefühl der Eifersucht, eine Mißstimmung annehmen. Der ganz besondere Haß, den Johannes gegen Judas äußert, bekräftigt diese Annahme. (Joh. VI, 65, 71, 72; XII, 6; XIII, 2, 27.) Minder reinen Herzens als seine Genossen, mag Judas, ohne es selbst zu wissen, die mit seinem Amt verbundene Engherzigkeit sich angeeignet haben. Zufolge einer Verkehrtheit, wie sie bei Ämtern gewöhnlich vorkömmt, dürfte er dahin gekommen sein, die Interessen der Kasse über die des Werkes zu stellen, für das sie bestimmt war. Der Verwalter wird den Apostel totgeschlagen haben. Das Murren, das ihm in Bethanien entschlüpfte, läßt annehmen, er habe manchmal gefunden, daß der Meister seiner geistigen Familie zu viel koste. Zweifellos hat diese kleinliche Sparsamkeit noch manche andere Verdrießlichkeiten in der kleinen Gemeinde verursacht.
Ohne in Abrede stellen zu wollen, daß Judas von Kerioth zur Verhaftung seines Meisters beigetragen haben mag, glaube ich doch, es liege etwas Ungerechtes in den Flüchen, mit denen er überhäuft wird. Sein Thun war vielleicht mehr eine Folge von Ungeschicklichkeit als von Verderbtheit. Das moralische Bewußtsein des Mannes aus dem Volke ist lebendig und gerecht, aber unruhig und inkonsequent. Er kann einer momentanen Erregung nicht widerstehen. Die Geheimbünde der republikanischen Partei bargen in ihrem Schoße eine Fülle von Überzeugung und Aufrichtigkeit, und doch waren zahlreiche Angeber unter ihnen. Eine geringfügige Beleidigung genügt, um aus einem Bündler einen Verräter zu machen. Aber wenn auch die thörichte Begierde nach etlichen Geldstücken dem armen Judas den Kopf verdrehte, so scheint er doch nicht der sittlichen Empfindung bar gewesen zu sein, weil er, als er die Folgen seines Fehlers sah, Reue fühlte (Matth. XXVII, 3) und, wie man sagt, sich tötete.
Von diesem Moment an wird jeder Augenblick feierlich und hat in der Geschichte der Menschheit mehr gezählt als ganze Jahrhunderte. Wir sind bei Donnerstag, den 13. Nisan (2. April) angelangt. Am Abend des nächsten Tages begann das Osterfest mit einem Festmahl, wobei ein Lamm verzehrt wurde. Das Fest erstreckte sich auf sieben aufeinander folgende Tage, während deren ungesäuertes Brot gegessen wurde. Der erste und der letzte dieser sieben Tage hatte einen besonders feierlichen Charakter. Die Jünger waren bereits mit den Vorbereitungen zum Fest beschäftigt. (Matth. XXVI, 1; Mark. XIV, 12; Luk. XXII, 7; Joh. XIII, 29.) Was Jesus betrifft, so könnte man meinen, er habe von dem Verrate des Judas Kenntnis gehabt und das Schicksal, das seiner harrte, geahnt. Am Abend nahm er mit seinen Jüngern das letzte Mahl. Es war nicht das rituelle Ostermahl, wie man früher angenommen hat, indem man sich in der Zeitrechnung um einen Tag geirrt; Dieses System wurde von den Synoptikern befolgt. (Matth. XXVI, 17; Mark. XIV, 12; Luk. XXII, 7 ec.) Aber Johannes, dessen Darstellung just für diesen Teil eine vorwiegende Autorität besitzt, bemerkt ausdrücklich, daß Jesus an demselben Tage starb, an welchem das Lamm gegessen wurde. (XIII, 1, 2, 29; XVIII, 28; XIX, 14, 31.) Auch der Talmud läßt Jesus einen Tag vor Ostern sterben. – Talmud v. Baby. Sanh. 43 a, 67 a. aber für die Kirche der ersten Zeit war das Abendmahl von Donnerstag das wahre Osterfest, das Siegel des neuen Bundes. Jeder der Jünger führte seine teuersten Erinnerungen darauf zurück, und eine Fülle rührender Züge, die jeder von dem Meister bewahrte, wurden von diesem Mahl gesammelt, das zum Eckstein der christlichen Frömmigkeit wurde, zum Ausgangspunkt der fruchtbarsten Institutionen.
Es ist wirklich zweifellos, daß die zarte Liebe, von der Jesu Herz für die ihn umgebende kleine Kirche erfüllt war, in diesem Moment übergeströmt sei. (Joh. XIII, 1 ec.) Seine reine starke Seele fühlte sich unter der Wucht trüber Annahmen, die ihn bestürmten, erleichtert. Für jeden seiner Freunde hatte er ein gütiges Wort. Besonders zwei unter ihnen, Johannes und Petrus, waren der Gegenstand zärtlicher Zeichen der Zuneigung. Johannes – er versichert es wenigstens – lag neben Jesu auf dem Ruhebett, sein Haupt an des Meisters Brust gelehnt. Gegen Ende des Mahles entschlüpfte Jesu beinahe das Geheimnis, das sein Herz bedrückte: »Wahrlich,« sprach er, »ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten.« (Matth. XXVI, 21; Mark. XIV, 18; Luk. XX, 21; Joh. XIII, 21, XXI, 20.) Das war für die schlichten Leute ein Moment der Angst; sie sahen einander an und jeder befragte sich selbst. Judas war anwesend; vielleicht wollte Jesus, der seit einiger Zeit Gründe hatte, ihm zu mißtrauen, durch diese Worte aus Judas Blick oder verlegenen Mienen das Geständnis seiner Schuld finden. Aber der treulose Jünger verlor nicht seine Fassung. Es heißt, er wagte sogar wie die anderen alle zu fragen: »Rabbi, bin ich es?«
Indessen, die gute, ehrliche Seele des Petrus fühlte sich gefoltert. Er gab Johannes ein Zeichen, dieser möge zu erfahren suchen, wen der Meister meine. Johannes, der mit Jesu sprechen konnte, ohne von den anderen gehört zu werden, bat ihn um Lösung dieses Rätsels. Jesus, der nur Verdacht schöpfte, wollte keinen Namen nennen; er sagte zu Johannes nur, er möge auf den achten, welchem er eingetunktes Brot geben werde. Gleichzeitig tauchte er ein Brotstück ein und gab es Judas. Nur Johannes und Petrus wußten von der Sache. Jesus richtete einige Worte an Judas, die einen blutigen Vorwurf enthielten, von den anderen aber nicht verstanden wurden. Man meinte, Jesus gäbe ihm Aufträge für das Fest am nächsten Tage. Und dann ging er hinaus. (Joh. XIII, 21, was die Unwahrscheinlichkeiten in der Erzählung der Synoptiker aufhebt.)
Für den Moment hatte dieses Mahl für keinen etwas Überraschendes und es erfolgte auch nichts Besonderes, abgesehen von den Befürchtungen, die der Meister seinen Jüngern vertraute, von diesen aber nur halb verstanden wurden. Doch nach Jesu Tod wurde diesem Abendmahl eine besonders feierliche Bedeutung zugemessen und die Phantasie der Gläubigen warf darauf eine lieblich mystische Färbung. Wessen man sich von einer teuern Person am besten erinnert, das sind die letzten Augenblicke. Durch eine unvermeidliche Täuschung verleiht man den Gesprächen, die man damals mit ihr pflog, einen Sinn, den sie nur durch den Tod erhielten; man bringt die Erinnerung von Jahren zu wenigen Stunden zusammen. Die meisten der Jünger sahen ihren Meister nach dem erwähnten Abendmahl nicht wieder. Es war ein Abschiedsmahl. Hier, wie bei vielen anderen Mahlzeiten übte Jesus den mystischen Ritus des Brotbrechens. Da man früher wähnte, das hier besprochene Mahl hätte am Ostertag stattgefunden und sei das Ostermahl gewesen, so kam man natürlich auf den Gedanken, daß in diesem letzten Moment die Einsetzung des heiligen Abendmahls stattgefunden habe. Von der Hypothese ausgehend, Jesus habe den Zeitpunkt seines Todes im voraus genau gekannt, mußten die Jünger die Ansicht hegen, er habe sich für seine letzten Stunden eine Menge wichtige Handlungen vorbehalten. Da ferner ein Grundgedanke der ersten Christen war, Jesu Tod sei ein Opfer gewesen, das an die Stelle aller Opfer des alten Gesetzes getreten sei, so wurde das »Abendmahl« – von dem man annahm, es habe ein für allemal am Vorabend des Leidens stattgefunden – das Opfer par excellence, der Vollziehungsakt des neuen Bundes, das Zeichen des für das Heil aller vergossenen Blutes. (Luk. XXII, 20.) Brot und Wein, in Beziehung gebracht mit dem Tod selbst, wurden so zum Bild des Neuen Testamentes, das Jesus mit seinen Leiden besiegelt hatte, das Erinnerungszeichen der Opfer Christi bis zum Eingehen in die Herrlichkeit. (1. Korinth. XI, 26.)
Früh schon wurde dieses Mysterium in einige sogenannte Einsetzungsworte gehüllt, die wir in vier sehr ähnlichen Formen besitzen. (Matth. XXVI, 26–28; Mark. XIV, 22–24; Luk. XXII, 19–21; 1. Korinth. XI, 23–25.) Johannes, der von dem Gedanken des Abendmahls so eingenommen war (VI), der das letzte Mahl so ausführlich schildert und so viel Nebenumstände und Reden damit verbindet (XIII–XVII), Johannes, der von allen Evangelisten hier den Vorzug eines Augenzeugen hat, kennt diese Einsetzungsworte nicht. Dies gilt als Beweis, daß er die Einsetzung des heiligen Abendmahls nicht für eine Eigentümlichkeit des letzten gemeinschaftlichen Mahles hielt. Für ihn ist der Ritus des Abendmahls die Fußwaschung. Es ist wahrscheinlich, daß dieser Brauch in vielen christlichen Familien der ersten Zeit von Bedeutung war, die jedoch seither sich verwischt hat. (Joh. XIII, 14, 15. Vgl. Matth. XX, 26; Luk. XXII, 26.) Sicherlich nahm diese Fußwaschung Jesus gelegentlich vor, um seine Jünger in brüderlicher Dienstwilligkeit zu unterweisen. Man versetzte sie nach dem Vorabend seines Todes, im Streben, alle großen geistigen und ritualen Gebote Jesu um das Abendmahl zu gruppieren.
Ein hohes Gefühl echter christlicher Liebe, Eintracht und gegenseitiger Gefälligkeit beseelte übrigens diese Erinnerungen, welche man von Jesu Tod bewahrt zu haben glaubte. Joh. XIII. Die Reden, die Johannes der Schilderung des Abendmahls folgen läßt, können nicht als historisch gelten. Sie enthalten Worte und Wendungen, die Jesu Redeweise fern liegt, besser jedoch zu der des Johannes passen. So kommt der Ausdruck »liebe Kindlein« im Vokativ (33) auch in der ersten Epistel Johannes häufig vor. Jesu scheint er nicht geläufig gewesen zu sein. Immer ist die Einheit der durch ihn oder seinen Geist begründeten Kirche die Seele der Symbole und Reden, welche die christliche Überlieferung auf diesen heiligen Moment zurückführt. »Ein neues Gebot gebe ich euch,« sprach er, »daß ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr einander liebt. Ich sage hinfort nicht, daß ihr Knechte seid, denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr thut. Euch aber habe ich gesagt, daß ihr meine Freunde seid, denn alles was ich von meinem Vater gehört, habe ich euch kund gethan. Was ich euch gebiete, ist, daß ihr einander liebet.« (Joh. XIII, 33–35.) Noch in diesem letzten Moment ergaben sich Eifersüchteleien und Streitigkeiten um den Vorrang. (Luk. XXII, 24–27. Vgl. Joh. XIII, 4 ec.) Jesus machte sie aufmerksam, daß wenn er, der Meister, gleichsam der Diener seiner Jünger gewesen sei, sie sich um so mehr einander unterordnen müßten. Nach einigen hatte er, indem er Wein trank, gesagt: »Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstockes trinken, bis zum Tage, wo ich in meines Vaters Reich wieder mit euch trinken werde.« (Matth. XXVI, 29; Mark. XIV, 25; Luk. XXII, 18.) Nach anderen hatte er ihnen versprochen, bald ein himmlisches Fest zu feiern, wobei sie ihm zur Seite auf Thronstühlen sitzen würden. (Luk. XXII, 29, 30.) Es scheint, daß gegen Ende des Mahles das Bangen Jesu sich auch der Jünger bemächtigt hatte. Alle fühlten, daß eine schwere Gefahr den Meister bedrohe und eine Krisis nahe sei. Einen Augenblick dachte Jesus an Vorkehrungen und sprach von Schwertern. Es gab deren zwei in der Gesellschaft. »Es ist genug,« sprach er. (Luk. XXII, 36 bis 38.) Er ließ diese Absicht fallen, denn er erkannte wohl, daß schüchterne Provinziale der bewaffneten Macht der Behörden Jerusalems nicht widerstehen könnten. Kephas, der voll Mut und Vertrauen war, schwur, daß er mit ihm ins Gefängnis und in den Tod gehen würde. In seiner gewöhnlichen feinen Art drückte Jesus einige Zweifel darüber aus. Einer Tradition zufolge, die vielleicht auf Petrus selbst zurückzuführen ist, verwies ihn Jesus auf den Hahnenschrei. (Matth. XXVI, 31; Mark. XIV, 29; Luk. XXII, 33; Joh. XIII, 36.) Alle schwuren gleich Kephas, daß sie nicht erschwachen werden.