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Herr v. Saint Potern benutzte unterdessen die Zeit dazu, sich über sich selbst zu wundern. Es war ihm einmal wieder gegangen, wie hundert Male in seinem Leben, die Einwirkung eines Frauenwillens hatte seine ganze Weisheit über den Haufen geworfen und ihn zu Entschlüssen gebracht, die seinen Vorsätzen gänzlich entgegenliefen. Etwas verdrießlich lehnte er sich in seinen bequemen Wagen zurück und ließ seine Gedanken planlos über die letzten Scenen mit ihren erfolgreichen Erfahrungen hinweggleiten. Sein ironisches Lächeln verrieth das Urtheil seines Verstandes über die Verirrung einer Dame, die ihm früherhin als ein Stern erster Größe erschienen war.
»Eine Betrügerin!« murmelte er. »Und ich muß ihr helfen! Ist das wirklich nothwendig?«
Er schüttelte, verdrießlicher werdend, sein Haupt und träumte mit wachenden Augen weiter. Zuletzt kam er auf seinen ursprünglichen Plan zurück, mit dem erworbenen Reichthume nach Frankreich zurückzukehren und dort eine Rolle unter dem Consuln Bonaparte zu versuchen. Dort war es gewiß ein Leichtes, mit fürstlichen Mitteln eine fürstliche Stellung zu erreichen. Allein der royalistische Sinn Saint Potern's lehnte sich gegen diesen Entschluß auf. Er, der Emporkömmling, liebte das Königthum mit seinem Gepränge, er haßte die Herrschaft des Volkes und wollte lieber unter der absoluten Regierung eines Souverains leben, als unter dem Schutze eines Mannes wie Napoleon, der, gleich ihm, ein Emporkömmling war.
Er näherte sich mittlerweile dem Jagdschlosse immer mehr. Dadurch trat die Nothwendigkeit der Ueberlegung auch näher an ihn heran. Was wollte er der Baronin sagen? Sollte er ihr mit der offenen Erklärung vor Augen treten: »Du bist eine Betrügerin und man hat Deine Entlarvung beschlossen?«
Das ging nicht! Dagegen stemmte sich sein chevalereskes Wesen.
Plötzlich flog wieder jener Funke durch sein Inneres, den er vorhin unbeachtet hatte versprühen lassen. Jetzt heftete er seine ganze Aufmerksamkeit darauf und es bedurfte nur weniger Minuten schlauer Berechnung, um ein vollständiges Gewebe höchst gelungener Intriguenpläne in seinem Geiste zu entwickeln.
Ja, er wollte den Willen seiner Tochter erfüllen. Dieser Befehl aus seines Kindes Munde sollte ihm aber nicht allein zum Vortheile, sondern auch zur Wiedervergeltung dienen. Die Baronin sollte düpirt werden zu ihrem Schaden. Er hatte ein Mittel in der Hand, sie schmählich hinter's Licht zu führen, zur Strafe für die Schlauheit, mit der sie ihre Manöver auf seine Casse ausgeführt hatte.
Der Wagen hielt. Im Fluge hatte Herr von Saint Potern ihn verlassen, unter wichtiger Miene die sofortige Anmeldung bei der Baronin angeordnet und winkte dann seinem Diener, der mit deutschem Phlegma am Wagenschlage lehnte.
Lorenz folgte dem Winke. Herr und Diener traten zur Seite, der Herr mit strengem Ernste – der Diener unterwürfig, aber schlau lächelnd, sein fuchsrothes Haar von der Stirn streichend.
»Du bist ein Fuchs, Lorenz, ein echter veritabler Fuchs –« begann Saint Potern.
»Aber treu wie ein Hund, gnädiger Herr!« betheuerte Lorenz.
»Es wird Dein eigner Vortheil sein, wenn Du Dich als treu bewährst!«
»Stellen Sie mich auf die Probe, gnädiger Herr.«
»Eh bien! Du hast beim Grafen Sonnenfels gedient?«
»Vorigen Sommer, während der Saison auf dem Lande.«
»Du kennst sein Schloß?«
»Wie mein eigen Geburtshaus!«
»Weißt, wo die Zimmer der Gräfin sind?«
»Gewiß weiß ich das!«
»Bist Du unter freundlichen Verhältnissen von ihm geschieden?«
»Ja wohl. Er konnte mich in Berlin nicht gebrauchen. Sein Dienstpersonal dort war vollzählig.«
»Dein Erscheinen im Schlosse würde also gar nichts Befremdendes haben?«
»Im Gegentheil. Ich habe versprochen, die alten Kameraden aufzusuchen.«
»Gut! Restaurire Dich. Laß Dir das Frühstück gut schmecken, das man Dir vorsetzen wird. Du mußt noch vor Beginn des Festins im Sonnenfels'schen Schlosse sein. Ist das möglich zu machen?«
»Ganz gut möglich, wenn man die Richtwege über den Bergkamm kennt, wie ich!« sprach Lorenz vergnügt.
»Das Weitere nachher. Für jetzt schweigst Du über Dein Vorhaben!«
Saint Potern winkte mit der Hand; Lorenz betrachtete die Conferenz als beendet und schritt hinweg.
Oben in demselben Zimmer, wo Tags zuvor die Gräfin Hoym mit grämlicher Unzufriedenheit von der Baronin Lotta erwartet worden war, sah auch heute diese Dame dem angemeldeten Herrn in höchst ungnädiger Laune entgegen. Sie war eben im Begriff gewesen, ihre Toilette zu beginnen und ganz erfüllt von der bezaubernden Aussicht, den Prinzen Louis durch ihre reizende Erscheinung beglücken zu können, fiel der arme Saint Potern so bedeutend im Preise, daß sie sich nicht einmal bemühte, ihrem Gesichte eine erheuchelte Freundlichkeit zu verleihen.
»Was führt Sie denn so früh hierher, Freund Saint Potern?« rief sie, sich ungeduldig in ihren Frisirmantel wickelnd, den sie mit diplomatischer Klugheit als Herold ihrer Toilettenthätigkeit benutzt und übergeworfen hatte.
»Ihr Wohl!« antwortete Saint Potern kurz und ernst, indem er ihr die Hand küßte.
»Kommen Sie als Arzt?« spottete sie verdrießlich. »Ich bin gottlob gesund!«
»Ihr Gewissen auch?« fragte er ironisch zu ihr aufblickend.
»Ah – Sie wollen meinen Beichtvater, meinen Seelsorger vorstellen!« meinte sie nachlässig. »Setzen Sie sich und sprechen Sie rasch aus, wohin Sie zu steuern gedenken. Ich habe Eile. Um 2 Uhr bin ich zum Grafen Sonnenfels befohlen. Die Prinzeß Solms und Prinz Louis sind angekommen.«
»Das weiß ich! Aber Sie wissen vielleicht nicht, weswegen das Zauberfest dort angestellt wird?«
»Nun? Des Amusements wegen!« sprach sie sichtlich gelangweilt.
»Nein! Man will Strafgericht über ein unerhörtes Vergehen halten!«
Die Baronin lachte.
»Vielleicht ein Liebeshof? Das wäre ja allerliebst!«
»Lachen Sie nicht! Sie sind als Sonnenpriesterin mit Diadem und Schleier befohlen worden?«
»Ja wohl!« sagte sie gedehnt. Ihr Auge richtete sich unruhig in die Weite, denn Saint Potern hatte das »Diadem« merkwürdig betont. Das war innerhalb der letzten vier und zwanzig Stunden das zweite Mal, daß diese Bemerkung ihr Ohr traf. Sie versuchte eine spöttisch gleichgültige Miene zu machen, indem sie hinzufügte: »Wenn Sie fürchten sollten, daß mir ein Diadem fehle, so beruhigen Sie sich nur!«
»Leichtsinnige Sterbliche!« rief Saint Potern mit erheucheltem Pathos.
Die Baronin erhob sich und machte eine heftige, abwehrende Bewegung.
»O, still, bester Freund! Bleiben Sie mir mit den Maximen der fatalen Visionaire fern. Ich habe bis jetzt noch nicht geahnet, daß Sie zu dem Orden der Illuminaten gehörten. Bleiben Sie weg mit Ihren mysteriösen Bußpredigten – ich bin keine Gläubige und habe den verrückten Gaukeleien, womit man den seligen König mystificirte, stets verächtlich zugeschaut!«
»Es fällt mir gar nicht ein, Sie unserm heiligen Orden geneigt machen zu wollen,« entgegnete Saint Potern mit mühsam unterdrücktem Lächeln. »Aber Sie sollen seine Unfehlbarkeit erkennen lernen, schöne Frau! Sie sollen überzeugt werden, daß seine Macht durch alle Geister der Erde dringt, daß der Geweihte des Ordens die Herzen der Menschen bis in die tiefsten Falten ergründet und das Gewissen in den kleinsten Regungen erforscht.«
»Diese Redensarten kennen wir, Herr v. Saint Potern,« rief die Dame, ungestüm in dem Zimmer hin- und herschreitend. Sie war, wie alle leichtsinnigen Frauen, etwas abergläubisch, fürchtete sich im Grunde vor den phantastischen Hellsehereien des früherhin unter dem höchsten Schutze stehenden Ordens und hatte namentlich jetzt gar keine Sehnsucht, die Allwissenheit desselben zu prüfen.
Um sich zu überzeugen, ob nur Spott und Scherz die Hindeutungen ihres Freundes erweckt hatte, die sie um so überraschender trafen, als sie nie davon gehört hatte, daß er dem Orden, der unter der Herrschaft des jetzigen Königs gewaltig in Mißcredit gekommen war, anhinge, suchte die Baronin ihre ganze Fassung zu erringen, überwand den Schauder, der ihren ganzen Körper electrisch durchzitterte und trat muthig vor Saint Potern hin.
»Nun, Sie hoher Abgeordneter des weisen Chrysophyron, beginnen Sie ihre drohende Strafrede – beschwören Sie die Geister herauf, die meine sündige Seele peinigen sollen – voilà, – das Opfer der gestrengen Brüderschaft steht bereit! Aber, wenn ich bitten darf, keine Spiegelfechtereien – ertappe ich Sie bei dergleichen Experimenten, so mache ich Sie öffentlich lächerlich, denn Sie wissen, die schützende Macht des Generals Bischofswerder und des großmächtigen Wöllner hat nun aufgehört!«
Saint Potern hatte während ihrer Rede eine traurige Miene angenommen. Ihm war nicht entgangen, daß es weniger unheimlicher Worte bedürfe, um ihr Wesen auf diesem Felde in Aufruhr zu bringen. Eine so dreiste Stirn sie der Welt entgegenzutragen pflegte, den Verkehr mit Geistern schien sie zu fürchten. Saint Potern schritt also muthig auf dem Wege fort, den er eigentlich nur versuchsweise eingeschlagen hatte. Er legte zwei Finger an seine Stirn, hob die Augen gen Himmel und drückte zwei Finger der andern Hand fest gegen sein eigenes Herz. So verblieb er eine volle Minute.
Die Baronin betrachtete ihn unter fürchterlichem Herzklopfen. Vor ihren Augen flirrte es, als wenn Schneeflocken fielen und sie erwartete jeden Augenblick, daß sich irgendwo die Wand öffnen und ein zahlloses Heer von verkörperten Seelen aus der Unterwelt einlassen würde. Hundertmal hatte sie der Fictionen gespottet, womit man den vorigen König in Angst und Schrecken gesetzt; hundertmal gelacht, wenn er den Geisterbeschwörungen Glauben geschenkt, aber jetzt, in diesem kritischen Momente, wo sie allein, schutzlos und zitternd solchen Erscheinungen aus der Geisterwelt entgegenblicken mußte, jetzt erwachte die bigotte Grundlage ihrer Religionswissenschaft.
Starr, wie eine Bildsäule, stand sie da. Ihr Blick irrte furchtsam, unter den tiefgesenkten Augenlidern hervorblitzend, von Saint Potern zur Thür und sie würde am liebsten entflohen sein, wenn sie sich nicht ihrer abergläubischen Furchtsamkeit geschämt hätte. Doch konnte sie nicht verhindern, daß die Blässe der innern Angst über ihr sonst so frischrothes Gesicht schlich und dem lauernden Blicke des Herrn von Saint Potern Kunde von ihrem innerlichen Zustande gab.
Noch einmal raffte sie die letzte Kraft ihrer Leichtfertigkeit zusammen und stammelte:
»Thorheit, lieber Freund – Thorheit, nichts als Thorheit! Sparen Sie nur Ihre albernen Grimassen, die Sie dem berüchtigten Mahr nachahmen, um mir zu imponiren. Bitte, sagen Sie mir doch, welchem Orden Sie angehören, damit ich meine Erwartungen darnach einrichte. Sie sind wohl Großmeister der Freimaurer?«
Ein strafender Blick aus Saint Potern's schwarzen, sprechenden Augen war die Antwort. Erst nach geraumer Zeit sagte er eintönig und ganz leise:
»Sie sind in Gefahr, auf ewig unglücklich zu werden. Ich habe die Macht erhalten, Sie zu retten, aber eine gewaltigere Kraft will mich daran hindern! Mag es indeß meine ewige Seligkeit kosten – ich werde Sie nicht untergehen lassen!«
Die echt menschlichen Ausdrücke beruhigten die Baronin etwas. Von ihrer Angst sogleich curirt, sprach sie etwas unwillig:
»Ich bin in keiner Gefahr! Mag Ihre gewaltige Macht Ihnen sagen, was sie will!«
Saint Potern erhob sich, streckte seine beiden Arme gegen sie aus und öffnete die Hände, alle zehn Finger ausgespreizt gegen ihre Brust richtend. Dabei heftete er mit heiliger Inbrunst seinen Blick fest auf ihr unstätes Auge und begann in demselben Tone:
»Der Genius der Freundschaft muß siegen! Für die Wesen, die wir lieben, hat uns die ewige Allgewalt eine Enthüllung der Zukunft durch die Kraft des Traumes verliehen. Um Sie zu retten, ließen sich die Genien des Schlafes flatternd auf mich herab und entrollten die Bilder des heutigen Tages!«
»Wie poetisch Sie reden können!« unterbrach ihn die Baronin. Es sollte spöttisch herauskommen, klang jedoch ganz anders.
»In dieser Nacht, in der Stunde, wo die Geister ihre Grüfte verlassen, sah ich Sie –«
»Sehr obligirt,« warf die Baronin mit gepreßtem Athem ein. »Das Vergnügen konnten Sie auch ohne Schlaf haben.«
Saint Potern achtete gar nicht darauf, sondern fuhr im Tone eines Träumenden fort:
»Ich sah Sie – Jugend und Anmuth – Schönheit und Glanz woben einen Heiligenschein um Ihre Erscheinung – mein Herz pochte vor Entzücken – ich wollte zu Ihnen eilen, um zu Ihren Füßen meine Freude ausströmen zu lassen! Ein Diadem schmückte Ihre Stirn! Die Lichtflammen spiegelten sich in den Brillanten dieses Schmuckes und gossen eine neue verklärende Schönheit über Ihr schönes Antlitz. Plötzlich umhüllte Dämmerung mein Auge – die schauerliche Welt des Todes umgab mich – hohe Gestalten von aristokratischem Wesen reiheten sich aneinander und ihre finstern Mienen deuteten darauf hin, daß sie Gericht über einen Sterblichen zu halten gesonnen waren.«
Die Baronin rückte unwillkürlich näher an Saint Potern und verfolgte, gefesselt, gebannt und von Ahnungen durchzittert, aufmerksam seinem Vortrag.
»Immer dichter wurde die Finsterniß um mich. Je dunkler aber der Raum, wo die drohenden Ahnen des Stammes Sonnenfels sich versammelten, wurde, desto heller traten die bleichen, grimmigen Gesichter hervor. Eine dumpfe Stimme tönte endlich aus dem enggeschlossenen Kreise dieser Titanen der Unterwelt: ›Ein Frevel ist geschehen – unser Stamm erhebt Klage und ruft nach Rache.‹ Leises Murmeln folgte dieser Anklage. Trauervoll und feierlich klangen die Worte, aber ich konnte sie nicht verstehen! Während ich mich leidenschaftlich aufgeregt bemühte, der Geisterverhandlung ein Verständniß abzugewinnen, schlug eine Glocke an – ›Rache! Rache! Rache!‹ heulte und schrie es um mich – ein Strahl, wie fernes Wetterleuchten, schoß empor, der Strahl breitete sich zu einem Gluthstrome aus – er stieg höher und immer höher, bis er sich mit den funkelnden Sternen am Firmamente vereinte, die in seinem Feuergolde wie blitzende Silberfunken tanzten. ›Rache –Rache!‹ klang es immerfort und mein Herz erzitterte in namenlosem Mitleiden für Die, welche der Rache der Unterwelt verfallen war. Nochmals schlug die Glocke an – Eiseskälte durchrieselte mich – der Hauch der Verachtung durchströmte das Reich des Schattens – die Gräber, die von heiliger Hand geöffnet waren, füllten sich wieder mit den luftigen Geistergestalten, denen nur allnächtlich eine kurze Stunde zum schauerlichen und geheimnißvollen Treiben gestattet ist – zum dritten Male klang der volle, mahnende Glockenton durch den unabsehbaren Raum, in den zu blicken mir vergönnt war – ein Hahn krähte – ich erwachte und vom Elisabeththurme herab ertönte der helle Schlag der ersten Stunde! ›Wer? O sagt es mir, ihr gottgleichen Mächte – wer verfiel der Rache des stolzen Geschlechtes Derer v. Sonnenfels?‹ stöhnte ich beklommen. Still blieb es um mich –keine Antwort besänftigte das Weh meines Herzens. Ich schlief wieder ein. – Bald führte mich der Genius des Traumes wieder zurück in die magischen Gebilde, denen ich durch mein Erwachen entrückt worden war. Ein großes Gemach, erhellt von dem Lichte irdischer Wachskerzen, öffnete sich vor meinen Blicken. Reichgekleidete Damen von irdischem Wesen weheten sich mit Fächern Kühlung zu und ließen die Blicke verlockend über den Rand des Fächers umherschweifen. Schöne Männer durchstrichen den Saal, unsicher, wem sie den Preis der Schönheit ertheilen sollten. Ich erkannte die Herren – ich erkannte die Damen. Aber sie interessirten mich nicht, denn die, welche mein Herz jetzt gefangen hält, war nicht unter ihnen. Da rauschte es, da flüsterte es – ich sah mit meinem geheiligten Geisterblick die Tapeten des Saales weichen und sah dessen Leichengewänder sich drapiren, aus denen hohnlachend Todtenköpfe grinsten! Starr vor Entsetzen blickte ich um mich. Die Damen und Herren kokettirten weiter, denn ihnen fehlte der Zauberblick und sie erkannten gar nicht, wie nahe ihnen der Tod mit seiner eklen Grausenhaftigkeit war. O, wie es mein Herz zerriß, als ich ein junges Weib sich schäkernd an die Wand lehnen sah und sie gerade in den Arm eines Henkerknechtes, mit blutigem Beile bewaffnet, zu ruhen kam. In der Mitte des Salons stand ein Altar, dem Sonnengotte geweiht. Nicht lange, so öffnete sich eine Thür, und ein Zug Sonnenpriesterinnen erschien, an ihrer Spitze Sie – Sie, Baronin! Mein Blick wurzelte an Ihrer himmlischen Erscheinung und ich sah nicht, daß vom Altare, hinter der Statue des Sonnengottes, zwei Gestalten hervorgetreten waren, um sich zu Ihnen zu begeben. Der Mann, der Ihnen rasch entgegentrat, zeigte sich in einer ganz irdischen Kleidung. Schooßweste, Kniehosen, weiße Strümpfe, hellblauer Frack, gepuderter und bezopfter Kopf – ich strengte meine Augen an, um ihn zu erkennen, es war aber nicht möglich. Er reckte sich empor und wurde immer größer. Das Licht erlosch bis zum Dämmerscheine und heilige Stille war nach dem fröhlichen Gesumme eingetreten. Der kleine, dicke, irdische Mann aber war zum Dämon herangewachsen – er nahm die Steine aus dem Diadem, welches den Isisschleier von Ihrer Stirn fern hielt, hielt sie an eine Flamme, die aus einem Gefäße hervorloderte und preßte Ihnen die Steine auf die Wangen, auf die Stirn, auf die Lippen und auf das himmlische Grübchen des Kinnes. Ihr Angesicht gewann ein scheußliches Ansehen, gegen welches die Entstellung durch Blattern ein Kinderspiel ist –«
Ein Schrei der Baronin unterbrach ihn. Die Dame fuhr unter den Zeichen des höchsten Schreckens mit beiden Händen über ihr Gesicht, gleichsam prüfend, ob diese schauderhafte Veränderung eingetreten sei. Saint Potern sprach weiter:
»Dann trat die zweite Gestalt näher. Es war ein spindeldürrer Mann im Costüme der französischen Revolutionsmänner, die es sich erlaubten, unfrisirt vor dem armen hingeopferten König Ludwig zu erscheinen.«
Die Baronin riß ihre Augen weit auf und starrte den Erzähler so unverhohlen verwundert an, daß dieser nur mühsam ein Lächeln des Triumphes verbergen konnte.
Saint Potern hatte, da er den Juwelier, welcher die Copie des echten Diadems anfertigen mußte, nicht zu schildern wußte, auf's Gerathewohl einen jungen, erst kürzlich etablirten Goldschmied in der Residenz zum Muster seiner allegorischen Figur genommen und damit wirklich den Rechten getroffen. Daß dieser Zufall den Eindruck seiner Fiction bedeutend verstärkte, war augenscheinlich und er hoffte jetzt mit Bestimmtheit die beabsichtigte Wirkung zu erreichen. Etwas rascher, scheinbar belebter und bewegter fuhr er fort:
»Meine Traumgestalten wurden immer deutlicher. Wenn der ältere Mann, als Dämon, mit raffinirter Bosheit Stein für Stein in Ihr holdes, weiches Gesicht gepreßt hatte, so nahm der jüngere, gleich einem Magier gekleidete Mann, einen Tropfen von einer unsichtbar bleibenden Flüssigkeit und spritzte sie Ihnen dergestalt ins Antlitz, daß jeder Brillant eine Flamme wurde, die Ihr Gesicht und somit Ihr ganzes holdes Wesen vernichtete. Ich stand Höllenqualen aus! Eine unermeßliche Kluft schien mich von Ihnen zu trennen und doch war ich Ihnen so nahe, daß ich Sie greifen und die gräßliche Zerstörung Ihres Ich's fast nicht näher vor Augen haben konnte. Ich wollte Sie retten. – eine höllische Macht verlachte mich bei meiner Anstrengung – ›zu spät! zu spät!‹ hallte es von den Wänden, wo die Leichen in schamloser Frechheit ihre Leichentücher zu einem Shawltanze drapirten. Ich rief die Heiligen unseres Bundes an – ich beschwor sie, mir beizustehen, mir Mittel und Wege zu zeigen, um Sie, die ich anbete, dem furchtbaren Verhängnisse zu entziehen. Da drangen himmlische Melodieen in mein Ohr.«
Er hielt inne, denn er gedachte seiner Tochter, die als barmherziger Engel dieser Frau zu Hülfe kommen wollte. Die Liebe zu seinem engelreinen, lieblichen Kinde war das Einzige in ihm, was edel und wahr blieb und sie verlieh seinen beflügelten Worten eine Art frommer Begeisterung, als er mit bewegter Stimme schloß:
»Ein Engelschor senkte sich nieder – aus der Mitte dieser Genien schwebte ein Kind, das seinen unentweihten Lilienstab gegen meine Stirn neigte. ›Gehe hin und nimm das Kästchen, welches eine der Seligen in unserem Reiche Dir hinterließ, damit kannst Du Deine Freundin retten.‹ Ein leiser Accord, wie auf einer Aeolsharfe, schloß sich an diese Offenbarung. Ich erwachte. Noch lag die Nacht auf der Erde, aber ich bestieg meinen Wagen, um nicht ›zu spät‹ zu kommen.«
Er knieete nieder vor der Dame, die, augenscheinlich von seiner phantastischen Schilderung aufgeregt, ihr sonst sehr gesundes Urtheilsvermögen eingebüßt zu haben schien.
»Sie dürfen Ihr Diadem nicht tragen!« rief er mit übernatürlich verstärkter Stimme, »Sie müssen diesen unseligen Schmuck in meine Hände liefern, denn er vernichtet Ihr zeitliches und ewiges Wohl! Hier« – er zog Evelinens Kästchen aus der Brusttasche, – »hier – eine höhere Fügung bietet Ihnen Rettung aus dem Labyrinthe einer unerklärlichen Gefahr – tauschen wir die Kästchen – wenn auch nur für heute, für wenige Stunden – verschmähen Sie die Warnung des Himmels und die Güte eines Engels nicht!«
Die Baronin athmete beklommen, aber doch noch nicht überwältigt von der Allegorie, womit Saint Potern ihr die Entdeckung ihres Betrugs vorgeführt hatte. Sie war noch im Stande zu überlegen, ob nicht zu rasches Eingehen in seinen Plan ein Eingeständniß ihrer Schuld sei. Nachdem sie sich hinlänglich gefaßt hatte, um ihrer Stimme Herr zu werden, affectirte sie ein sorgloses Lächeln und sagte mit bezaubernder Hingebung:
»Ihre Traumgestalten haben irrthümlich ein Rächeramt an mir vollzogen – aber Ihre Freundschaft, die Sie in eine qualvolle Unruhe geworfen, bezaubert mich. Wozu ein Tausch des Schmuckes? Ich besitze ein Perlendiadem – hoffentlich wird das von Ihren Rachegöttern respectirt werden und mir kein Unglück bringen.«
Saint Potern durchschaute den Grund dieser Weigerung.
»Ich bestehe auf meinem Willen!« rief er energisch. »Was die Heiligen unseres Bundes uns erwirkt haben, muß vollzogen werden! Hier, schöne Freundin, nehmen Sie das Stirnband – es brennt in meiner Hand!«
»Sie sind ein unverbesserlicher Schwärmer!« sprach sie gütig und griff eilig nach dem Etui, das er ihr hinhielt.
»Nicht eher lege ich es in Ihre Hand, bis ich das Ihrige erhalten habe!« sagte Saint Potern feierlich. »Ich muß sicher sein, daß keine Verwechselung stattfindet.«
»Wenig Vertrauen! Wer bürgt mir dafür, daß Sie mich nicht betrügen wollen,« schäkerte die schöne Dame.
»Mein Name bürgt dafür!« erwiederte er eben so pathetisch, wie vorhin. »Aber nicht Mißtrauen, sondern der Befehl einer höhern Macht zwingt mich zu dieser Bedingung.«
Die Baronin zögerte noch immer, den Tausch vorzunehmen.
»Wenn mir nun Ihr Diadem nicht gefällt?« meinte sie. »Ich bin capriciös in der Wahl meines Geschmeides!«
»Es ist dem Ihrigen so ähnlich, wie ein Ei dem andern!«
»Wer sagte Ihnen denn das?«
»Eine höhere Macht!«
Die Absicht Saint Potern's trat der Baronin immer deutlicher vor Augen. Es war sicher – sie stand auf vulcanischem Boden – sie war verrathen!
»Ich habe wahrlich nicht länger Zeit, mit Ihnen zu streiten, bester Freund,« sagte sie plötzlich, entschlossen zu einer Reise-Schatulle tretend und ein Etui herausnehmend, das allerdings accurat so aussah, wie dasjenige, was Saint Potern in der Hand hielt und in demselben Momente öffnete, wo die Baronin sich ihm wieder näherte.
»Vergleichen Sie!« sprach er, triumphirend auf den Mittelstein zeigend, der in ungewöhnlichem Glanze strahlte.
Ein Ausruf der Bewunderung entfuhr den Lippen der Baronin und sie reichte schnell ihr Etui hin, das Saint Potern auch öffnete.
»Sehr schön! Sehr schön,« erklärte er, beifällig die Brillanten prüfend. »Allein meine Steine sind um zweitausend Thaler werthvoller. Sie riskiren also nichts, meine schöne Frau!«
»Mir gefällt Ihr Schmuck so gut, daß ich gegen einen Tausch nichts einwenden würde,« antwortete die Dame gleichgültig. »Sie haben mir die Freude an dem meinigen durch Ihre Hirngespinnste verleidet. Machen wir den Tausch fest –«
»Nein, meine Gnädige! So weit reichen die Instructionen meiner Mission nicht,« erwiederte Saint Potern mit verändertem Tone. » Sie erhalten Ihren Schmuck zurück!«
»Mir auch angenehm!« sprach die Baronin lachend. »Ich bin nur neugierig, wie sich die Urahnen Derer von Sonnenfels mit ihren Rachegöttern aus der Klemme ziehen werden!«
»Lachen Sie nicht, schöne Frau!« warnte Saint Potern. »Sie werden bald beten müssen!«
»Doch nicht eher, bis die Reize der Jugend vernichtet sind! Auf Wiedersehen, mein Freund!«
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