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In Glanz und Frieden sank der Abend eines Frühlingstages auf die Fluren hernieder. Die Sonne war schon geschieden. Schwache Lichtreflexe zitterten noch auf den Gipfeln der hohen Linden, welche spielend ihre Blätter im sanften Lufthauche flüstern ließen. Dunkle schwere Wolken lagerten am Horizonte, aber es waren Thauwolken, die segnend die Fluren im nächtlichen Fluge netzen wollten.
Wunderschön bestrahlt vom rosigen Abendscheine lag ein Haus am Rande des Waldes. Seine großen Spiegelfenster reflectirten den rothen Glanz, so daß es dem Wanderer schien, als entzünde sich Feuergluth in denselben. Das Haus war ein Jagdschlößchen, wie es Fürsten und Könige sich früherhin zurecht hielten, um der Jagd nach Belieben und mit Bequemlichkeit obliegen zu können. Dies Jagdschloß, umgeben von einem künstlich dahin geführten Bache, machte den Eindruck einer kleinen Burg, unzugänglich für den, der zur Zeit, wo es unbewohnt stand, vergeblich nach einer Uebergangsbrücke suchte. Castellartig hoben sich die Mauern zweistöckig in die Höhe und ein flaches Dach, mit Kupferblech gedeckt, schloß diese Mauern ohne allen Zierrath ab. Zur Zeit, wo wir dies Jagdschloß im Geiste aufsuchen, war es bewohnt. Seine breite Fallbrücke regelte die Communication mit der Umgebung desselben. Der Thorweg, welcher eine hallenförmige Einfahrt zu verschließen bestimmt war, stand weit offen, gleichsam einladend die zierliche Einrichtung des Flures zur Schau stellend.
In einem der Zimmer, die nach der Landstraße zu gerichtet lagen, finden wir einen ältlichen Herrn von besonders feinem, vornehmen Wesen, der rastlos hin und herschritt, kämpfend mit einer unruhigen Erwartung und dennoch die hofmäßige Haltung und das leise Auftreten selbst in seiner Aufregung berücksichtigend. Ein knapper, schwarzer Hausanzug, reich mit Sammet verziert, umschloß die schmale, hagere Gestalt, und sein etwas hochaufgerichtetes Haupt zeigte, nach der Mode, das Haar fest zurückgekämmt, gepudert und im Nacken den nothwendigen, zierlichen Haarbeutel.
Wenn dieser Herr – ein hoher Staatsbeamter aus dem Regime des Preußenkönigs, den das Volk mit dem Beinamen »der Dicke« beehrte – sich dem Fenster näherte, so blieb er stehen, schaute wehmüthigen Blickes in die dichten Wollen des Abendhimmels, die sich schadlos zu zerstreuen begannen, und überließ sich einige kurze Momente der Beschwichtigung, die in der Stille und Ruhe der Natur lag; allein der Einfluß derselben zeigte sich nicht haltbar, denn rastlos fortgetrieben begann er seine Wanderung von Neuem.
Endlich riß seine Geduld. Er durchmaß plötzlich das Zimmer, welches in einer verblichenen Pracht das ci-devant der Zeit aufwies, mit festern, hallendern Schritten, trat an einen künstlich geknüpften Klingelzug und zog heftig daran.
»Warum zögert mein Sohn?« fragte er dann unwillig den eintretenden Diener.
»Baron Burkhard war sehr erschöpft vom schnellen Ritte,« berichtete der Laquai mit tiefer Reverenz, »er hat deshalb ein Bad genommen und ist jetzt beschäftigt, eine kleine Erfrischung zu genießen.«
»Bei meiner Frau?« fuhr der Herr dazwischen. Der Diener verbeugte sich abermals.
»Nein, Excellenz!« entgegnete er fest. »Ihres Befehles eingedenk, habe ich die gnädige Frau noch gar nicht von dem Eintreffen des Herrn Rittmeisters unterrichtet. Er verweilt in seinem Zimmer!«
»So geh' Er hinauf und sage Er meinem Sohne ›ich wartete‹,« entschied der Herr, indem er seinen Spaziergang wieder begann.
Nicht zwei Minuten später sprang die Thür vom raschen Drucke einer festen, männlichen Hand auf und eine Gestalt, ganz das Gegentheil des im Zimmer weilenden Herrn, trat hastig herein.
»Bon soir, bester Papa!« rief der Eintretende, gemüthlich die Hand ausstreckend, die sein Vater eben so herzlich ergriff und still einen Augenblick in das Gesicht des Barons Burkhard blickte.
»Willkommen hier,« entgegnete er dann sehr ernst und hob sich etwas auf die Fußspitzen, um seinen viel größern Sohn zu küssen.
Burkhard neigte mit liebevollem Lächeln seine stattliche Gestalt und erwiederte die Liebkosung des Vaters mit herzlichem Eifer.
»Ja – hier! Was soll das heißen, daß ich hierher beordert wurde?« fragte er heiter. »Wie kommst Du jetzt hierher? Wenn es Herbst wäre, so würde ich glauben, eine alte Jagdpassion sei erwacht und habe Se. Excellenz vom Bureau in die freie Luft getrieben – aber jetzt – hier? Ich hätte eher des Himmels Einfall vermuthet, mein bester Vater. Oder sollte es wahr sein, was die Leute sagen, daß der Graf Hochberg der schönen Königin Louise ein Ritterschauspiel vorführen will?«
»Allerdings, das ist der Wahrheit gemäß, allein um deswegen bin ich nicht hierher gekommen, Burkhard,« sprach sein Vater langsam und trübe. »Ich bin vor meinen Gläubigern geflohen, mein Sohn – ich bin ruinirt!«
Der junge Mann zuckte heftig zusammen bei diesen Worten, aber seine Mienen verriethen dabei mehr Schmerz als Ueberraschung.
»Endlich also!« murmelte er kaum hörbar, faßte jedoch theilnehmend seines Vaters Hand.
»Es wird so arg nicht sein, Papa,« erwiederte er beschwichtigend. »Du hast wahrscheinlich über irgend eine Gläubigermaßregel den Kopf verloren und nicht daran gedacht, daß Dir, dem Baron v. Mallzow, noch mächtige Hülfsquellen zu Gebote stehen.«
»Nein, Burkhard, täusche Dich nicht – ich bin verloren, unrettbar verloren, hörst Du wohl, mein lieber Sohn, unrettbar verloren, wenn Du mir nicht hilfst.«
»O, Papa, dann bist Du gerettet, denn ich schwöre Dir, daß ich meinen Vater nicht untergehen lassen werde!« rief der junge Mann lebhaft und heiter. »Deshalb also dies Rendezvous im Jagdhause, das Du seit Jahren – seit meiner Mutter Tode – nicht besucht hast.«
Ein unbehagliches Gefühl überlief den Baron Mallzow bei dieser gewiß nur zufälligen Citation. Er richtete die Augen zu Boden und ließ eine kleine Weile vergehen, ehe er eine Antwort gab, die sich keineswegs an die Erinnerung knüpfte, welche Burkhard heraufbeschworen hatte.
»Es ist Dein alter Leichtsinn, der Dir das eben ausgesprochene Gelöbniß ›mich zu retten‹ eingab, Burkhard,« begann er wieder. »Erst höre, was ich für Pläne entworfen habe. Es ist ein Nothanker, ein Rettungsmittel für mich – für Dich jedoch ein schwerer Schritt, ein Entschluß, eine Subordination unter den väterlichen Willen, wie ich sie bei der Erziehung meiner Kinder stets verworfen habe, darum sollst Du frei entscheiden, sollst mich unter Einwirkung Deines freien Willens retten!«
Baron Mallzow athmete lebhaft und tief mehrere Male, ehe er fortfuhr: »Du kennst Fräulein von Saint Potern?«
Burkhard blickte ganz verwundert auf. Ein Lächeln der Nichtachtung überflog sein schönes, männliches Gesicht.
»Die Enkelin des französischen Accisepächters, dieses Blutigels, der vom Schweiße unserer preußischen Kaufherren ein Krösus geworden ist? Nein, gottlob, nein, die kenne ich nicht!«
»Doch, lieber Burkhard, doch! Du mußt sie kennen! Ihr Vater behauptet es. Du muß ihr in irgend einer Beziehung sehr nahe getreten sein,« sprach der Baron ängstlich. »Erinnere Dich nur! Erinnere Dich!«
»Nein! Ich kenne die junge Dame nicht und trage auch kein Verlangen darnach, sie kennen zu lernen. So lange ich in Berlin stand, war sie nicht dort. Als ich nach Posen ging, hörte ich zum ersten Male ihren Namen nennen und ihre glänzenden Vermögensverhältnisse erwähnen und zwar vom Herrn von Buchholz, der in Posen einen prächtigen Hof-Cirkel hielt. Da ich aber grundsätzlich die Clique des Ministerpräsidenten von Buchholz vermied, weil sie eine zu intriguante Färbung hatte, so habe ich nicht die Ehre gehabt, die junge Dame bei ihrer dortigen Anwesenheit zu sehen.«
Verlegen wendete der Baron sein Auge von dem gutmüthigen Gesichte seines Sohnes ab und begann wieder umherzugehen. Burkhard, etwas ermüdet vom langen Ritt, lehnte sich in einen Sessel, ruhig abwartend, was sein Vater, den er von Herzen lieb hatte, weiter von seinen Verhältnissen erörtern werde.
Plötzlich blieb dieser vor ihm stehen und sagte mit einiger Aufregung:
»Nun, es bleibt sich gleich. Ich habe geglaubt, das Fräulein sei Dir bekannt, da ihr Vater, der seit einigen Monaten mit seiner geschmeidigen Franzosennatur Anknüpfungspunkte in unserer gemeinschaftlichen Geselligkeit suchte, mir mittheilte, daß der Name Mallzow für seine Töchter ein ganz besonderes Interesse habe. Er ließ deutlich durchblicken, daß er gar nichts dagegen haben würde, wenn dies Interesse gegenseitig wäre – darauf fußend trat ich ihm in meiner unglücklichen Vermögenszerrüttung näher und wir verabredeten eine Heirath zwischen Dir und dem Fräulein v. Saint Potern.«
Burkhard richtete sich langsam aus seiner halb liegenden Stellung auf und sah seinen Vater starr an.
»Mache mir keine Vorwürfe, Burkhard,« bat dieser. »Die Noth ist groß – keine andere Hülfe in der Nähe – das Mädchen ist reizend, engelsgut, sehr beliebt, selbst bei Hofe spricht man von ihr mit großer Auszeichnung und die Königin Louise beehrt sie mit ihrer Aufmerksamkeit bei jeder Gelegenheit –«
»Löscht das Alles ihre Herkunft aus?« fragte Burkhard kalt und gemessen.
»O, man beginnt über diesen Punkt sehr demokratisch zu denken,« fiel der Baron ein. »Selbst bei Hofe, selbst die Königin belächelt die Ueberhebung des ›alten Blutes‹.«
»Dem Lächeln schließe ich mich gern an, aber wenn sich das ›alte Blut‹ so weit erniedrigt, seiner persönlichen pecuniären Verhältnisse wegen Verbindungen zu schließen, die ihn des Gewerbes wegen entehren, so verachte ich –«
»Burkhard – schone Deinen Vater!« schrie der Baron dazwischen. Der junge Mann schwieg und legte die Hand über die Augen. Es entstand eine unheimliche Stille, die der Baron, muthiger als vorhin, mit dem Ausrufe unterbrach:
»Du versprachst mich zu retten! Diese Heirath allein kann mich vom Abgrunde zurückreißen, denn in der Hand des Herrn v. Saint Potern liegt es, mich schmählich in den Staub zu treten.«
»Und er würde es thun, wenn ich mich weigern sollte, sein Schwiegersohn zu werden?« fragte Burkhard verächtlich.
»Nein, das glaube ich nicht! Aber ich würde in diesem Falle meinem Leben ein Ende machen müssen, denn die Sache ist eine Ehrenschuld geworden, die mir die Pistole in die Hand drückt.«
»So weit ist es schon gekommen – so weit?« murmelte Burkhard wehmüthig.
Er verschränkte seine Arme und schaute in die feurigen Wolken, die am Horizonte aufwärts schwammen. Ein schmerzliches Sinnen wurde der Vorläufer eines Entschlusses, der von ihm gefordert worden war. Es gehörte wahrlich eine gewisse Kühnheit dazu, über die Schicksalsbrücke zu schreiten, die seines Vaters Willen für ihn gebaut hatte, denn diese brach hinter ihm zusammen und machte eine Umkehr schwierig. Sein Blick hing sich in den Wolken fest, die ihm eine eben so unbekannte Welt verhüllten, als die war, welche sein Vater ihm eröffnen wollte. Dorthin, in das erträumte Reich der Ewigkeit, ging jeder Mensch ohne die mindeste Garantie auf Glück, nur die Güte Gottes war der Stab und die Stütze des zagenden Menschenherzens – wohl, so konnte er auch mit diesem Troste in ein Reich der Erde treten, das gleich dem Himmel und gleich der Hölle sich gestalten würde, je nachdem Gott es bestimmt hatte.
Da stand sein Vater, den er liebte, trotz aller Schwächen; sein Auge bewachte ängstlich, bittend den Kampf in seiner Brust. Er konnte ihn retten! Ja, aber mit welchen Opfern retten? Ein ganzes Leben mußte er ihm opfern, des schnöden Mammons wegen! Und wer, wer trug die Schuld an dem Verderben, welchem er als Opfer verfiel? Eine Stiefmutter! Eine Frau voller Liebenswürdigkeit und reizend wie eine Hebe, die mit toller Laune Capitale verschwendete, um ihrer Putzsucht zu genügen; die bis zur Narrheit Neigung zum Luxus zeigte, wenn sie ihre schöne Persönlichkeit heben und ihr ein neues Lüstre geben wollte. Konnte sein Entschluß von Einfluß auf sie sein – konnte sein Opfer auch hier nützen? Gewiß nicht! Er rettete jetzt seinen Vater damit, um dann als lebenslängliches Opferlamm zu bluten, wenn des Vaters Casse in Verlegenheit war.
Sein Vater stand aber da und zitterte vor dem Augenblicke, wo er Nein sagen würde, und ein Lächeln, so gut und mild, wie eines Märtyrers Lächeln, der Gott zu dienen meint mit seinen herben Schmerzen, verklärte Burkhard's Züge, als er seinem Vater die Hand reichte und sprach:
»Gut, Vater, ich will Dich retten. Glücklicherweise liebe ich kein anderes Mädchen, und kann mit freier, stolzer Stirn vor Der erscheinen, der ich um ihres Geldes willen huldigen soll. Wenn Dein stolzes Blut sich nicht auflehnt wider die Heirath mit der Tochter eines stark mißachteten Parvenus, so verliere ich das Recht, mich diesem, von Dir gewünschten Bündnisse verächtlich zu widersetzen. Vielleicht ist es zu meinem Glücke, oder wenigstens zu meinem Besten, daß ich gleichgültig der Frau mich weihe, die meines Lebens Sonne sein soll. Bei meiner furchtbar leidenschaftlichen Natur, die ich von Dir ererbt habe, war es vorauszusehen, daß ich, eben so wie Du, der Sclave einer leidenschaftlich geliebten Gattin werden würde. Eine Frage erlaube mir noch. Hast Du bei meinen Schwestern und ihren Männern nicht Hülfe in Deiner Noth gesucht?«
»Nein. Sie würden meine Gattin mit Schmähungen überhäuft haben, da ihre eigene Mutter noch Ersparungen von meiner Einnahme bewirkt hatte. Meine beiden Töchter sind nicht so gütig gegen des Vaters Schwächen, wie Du. Sie können nicht begreifen, woher meine Nachsicht gegen die zweite Gattin stammt,« entgegnete der Baron ziemlich kleinlaut.
Burkhard, nun er seinen Entschluß von sich gegeben, wieder frohsinnig wie ein Knabe, lachte hell auf.
»Das kann ich freilich besser begreifen, wie meine Schwestern, bester Papa, denn ich habe die Macht von Mama's Reizen erprobt und Dich vierundzwanzig Stunden, bodenlos traurig, beneidet, als Gräfin Charlotte Dohnawett die Liebe Sr. Excellenz den Huldigungen seines armen Sohnes, der noch Lieutenant spielte, vorzog und Baronin v. Mallzow wurde. Damals war ich erbost auf des Schicksals Tücke und auf das Glück meines cher papa – allein jetzt finde ich den Gang des Geschickes ausgezeichnet weise und bin herzlich froh, daß sie meine Mama und nicht meine Gattin geworden ist. Ich bin durch dieses Vorspiel Deiner Ehe befähigt, lieber Vater, am besten zu beurtheilen, wie Dein Herz gegen die Gattin gefügig ist, die Du wirklich leidenschaftlich zu lieben scheinst.«
»Leider, sag' ›leider‹, mein Sohn, leider lieb' ich sie! Ich hätte mich dieser Thorheit mit meinen 58 Jahren gar nicht fähig gehalten – ich schäme mich meiner Leidenschaft für dies schöne Weib, bin aber nicht im Stande, mich dieser späten Liebe zu entziehen. Und, glaube mir, Burkhard – sie liebt mich eben so innig!«
»Es ist möglich, Papa! Wenn es aber nur ein Traum von Dir sein sollte, so bewahre Dich Gott davor, daß er Dir zerstört werde. Was sagt sie zu Deinen Geldverlegenheiten? Was sagt sie zu der Heirath, die Du wünschest?«
»Sie weiß von beiden Sachen nichts!« gestand Se. Excellenz beschämt. »Ich hoffe ich? meine mißliche Lage verbergen zu können, wenn Deine Heirath gelingt.«
Burkhard hob mit eigenthümlichem Blicke den Kopf etwas höher bei diesen Worten. Seine Gedanken von vorhin kehrten wieder. Er sollte also ihr, der Verschwenderin, das Opfer bringen? Um ihrer Ruhe willen mußte er seine Hand verkaufen? Ein Strom von Widerwillen füllte plötzlich seine Brust und der Haß war gewiß nicht weit von dem kecken Vorsatze entfernt, diese Illusion seines schwachen Vaters zu zerstören.
»Sie soll es bald genug erfahren!« dachte er, indem er sich schnell von seinem Sitze erhob. Er hatte genug gehört, um zu wissen, was ihm oblag.
»Ich wünsche von Herzen, daß es weder Dir, noch mir gereuen möge, was wir jetzt beschlossen haben. Heuchelei und Lüge sind meinem Charakter fremde Gäste, Vater. Ich will Fräulein von Saint Potern so bald als möglich meinen Besuch machen.«
»Darum möchte ich Dich sogar bitten,« unterbrach ihn der Baron. »Das Fräulein ist hier in der Nähe.«
Burkhard fuhr erschreckt zurück. So nahe hatte er die Entscheidung seines Schicksals nicht geglaubt.
Der Baron sprach weiter, als hätte er die innerliche Regung seines Sohnes, die an Grausen grenzte, nicht bemerkt.
»Sie hält sich bei der Gräfin Hoym auf und wird dort bis zu dem beabsichtigten Ritterspiele auf Fürstenstein verweilen. Am gerathensten scheint es mir, wenn wir morgen zusammen nach dem Garten der Gräfin Hoym fahren und dem Zufalle eine Begegnung anheimgeben.«
»Mit Nichten, Papa. Ich werde morgen, da Du Eile hast, schon morgen dem Fräulein offen entgegentreten und ihr meinen Wunsch zu erkennen geben, sie erst näher mit meinem Charakter bekannt zu machen, bevor sie von meiner Bewerbung behelligt würde.«
Der Baron machte durch eine sprechende Pantomime deutlich, daß er diesem Plane abhold sei. Dieses Mal kehrte sich jedoch der Sohn nicht an die innerliche Regung des Vaters, die an Furcht grenzte, sondern schloß sehr bestimmt das Gespräch mit den Worten:
»Für alle Opfer, die ich zu bringen geneigt bin, muß ich mindestens die Ueberzeugung eintauschen, daß ich kein unedles Wesen mit mir vereine, denn ich soll mein ganzes Leben an ihrer Seite durchwandern. Vorläufig will ich meiner gnädigen Mama die Aufwartung machen – alles Andere findet sich späterhin von selbst.«
Burkhard verließ das Zimmer, nicht ohne seinem Vater herzlich die Hand geschüttelt zu haben.
Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, als sich eine schmale, ganz unsichtbare Tapetenthür im Hintergrunde öffnete und eine Dame von überraschender Schönheit, welche noch durch einen höchst prachtvollen und koketten Anzug gehoben wurde, mehr herein hüpfte als schritt und sich an die Brust des Barons warf.
»Du hast vortrefflich gespielt, mon chéri, tausend Küsse dafür! Mit welcher Wahrheit Du auffuhrst, um den dummen Diener glauben zu machen, daß ich von nichts wissen dürfe – mit welcher Ehrlichkeit Du kleinlaut sprachest und beschämt thatest – mon chéri, ich liebe Dich seitdem inniger, ich liebe Dich mehr als je – Du machst mich täglich stolzer auf die Wahl meines Herzens, die mich in den Augen Deines Sohnes einer zweifelhaften Beurtheilung aussetzt.«
Der Baron sah nicht sehr entzückt bei diesem, in voller Heiterkeit gegebenen Lobspruche aus, aber er überließ sich mit Behagen den schmeichelnden Liebkosungen seiner schönen, jungen Frau und erwiederte ihre Küsse leidenschaftlich aufgeregt.
»Und der arme Kauz, der Burkhard,« fuhr die Dame lachend fort, »diese ehrliche Seele! Es rührte mich ordentlich, als er von seiner Liebe zu mir sprach. Freilich, er hat sich schnell genug getröstet und rühmt sich dessen – aber meinst Du nicht, mon chéri, daß diese philosophische Ruhe Lug und Trug ist, daß sie vor meinem Willen verschwinden, vor einer gelegentlichen Versuchung zusammenstürzen würde? Soll ich, zu unserm Plaisir, ihn strafen? Soll ich ihn wieder entflammen und im kalten Bade des lachenden Spottes demüthigen?«
Ihr Blick zeigte nichts von der Heiterkeit, womit sie diesen Vorschlag machte. Der alte Herr merkte nichts davon. Er hielt das Ganze wirklich nur für einen Ausbruch neckischen Muthwillens.
»Nicht doch, theuere Lotta, nicht doch!« begütigte er sie halb scherzhaft, halb ernst. »Es würde mich, auch als Spiel, lebhaft beunruhigen, sähe ich Dich mit meinem schönen Jungen kokett beschäftigt. Verzeihe ihm nur seine handfeste Offenherzigkeit, denn er meint es im Grunde nicht böse. So weit wären wir nun, Lotta, aber er kennt Evelinen nicht – das ist ein Irrthum von Deiner Seite gewesen.«
»Dann liegt der Irrthum in der Gräfin Hoym, die mir betheuerte, daß Eveline jedes Mal glühend erröthe, wenn der Name Mallzow genannt werde. Nun aber ganz geschwind noch einen Kuß, geliebtes Herz, und dann – husch – die geheime Treppe hinauf, damit mich Burkhard oben findet.«
Der Baron umfaßte sie fester, als sie fort wollte und sah ihr besorgt ins Auge.
»Du wirst weder ihn noch Dich in Versuchung führen, während Ihr allein seid, nicht wahr, Lotta, mein theures Leben? Es wäre mein Tod, müßte ich eine Untreue von Dir erleben!«
»Lieber Engel,« entgegnete die Dame lebhaft, »welche beleidigende Befürchtungen! Was mache ich mir aus Burkhard's Liebe und Huldigung! Aber ehe ich's vergesse – halte zwei Boten bereit! Ich muß noch heute an die Gräfin Hoym schreiben und auch dem Herrn v. Saint Potern Nachricht ertheilen, der in Liegnitz auf der Lauer liegt. Von Letzterm werde ich mir, in Anbetracht der höchst gelungenen Präliminarien, einen Vorschuß von dem mir versprochenen Capitale ausbitten, vielleicht 1000 Thaler, um auf dem Ritterfeste des Grafen Hochberg die Schönste und Prächtigste zugleich sein zu können!«
Der Baron seufzte hörbar.
»Die Schönste bist Du stets auch ohne Pracht!« sagte er bittend.
»Nur nicht, wenn die Königin Louise da ist,« meinte die Baronin, mit schelmischem Augenblinzeln in sein gefurcht Gesicht schauend.
»Nein,« erwiederte ihr Gatte ehrlich. »Die Königin ist schöner, als Du und auch jünger!«
»So?« war die pikirte Antwort.
Sie wandte sich rasch, um zu gehen.
»Lotta,« bat der Baron, »stehe ab von dem Vorhaben, Saint Potern um Geld anzugehen. Ich beschwöre Dich, es nicht zu thun. Du erniedrigst mich mit dem Verlangen, mich – den Minister des Königs von Preußen.«
Die schöne Dame unterbrach ihn lachend, indem sie ihm muthwillig einen Knix machte.
»Der Minister des Königs von Preußen, der seiner Gemahlin nicht einmal den nöthigen Schmuck und die standesmäßige Kleidung kaufen kann!«
»Das weiß Gott!« sprach der Baron ein klein wenig gereizt.
»Nun gut, wenn Du das einsiehst, mon chéri, so überlaß mir doch die Sorge, diesem Uebelstande abzuhelfen,« hohnlachte die Dame, mit reizendem Muthwillen ihm Kußfinger zuwerfend. Dann verschwand sie.
Baron Mallzow sah eine ziemlich lange Zeit starr und abwesenden Geistes auf die Stelle der Wand, wo seine schöne Gattin verschwunden war. Als er wieder zu sich kam, rang er, mit sich selbst sprechend, heftig die schmalen, magern Hände:
»Großer Gott, walte über ihn, den ich achten und ehren muß seiner Bravheit wegen! Meine Töchter haben Recht, mich wegen meiner Schwäche zu mißachten – es liegt aber, wie ein böser Zauber, um meine Seele, und ich habe nicht die Kraft, dies Zaubernetz zu zerreißen. Nichts als Lüge, nichts als Trug –. Mein Burkhard hat die junge Dame nie gesehen und Lotta schwor es mir zu, daß er Interesse genug an dem Fräulein v. Saint Potern nähme, um unter den glänzenden Umständen einen Vorschlag zur Heirath mit Freuden zu ergreifen. Wenn ich nur wüßte, ob sie wirklich meines Sohnes werth sei? Ich muß hinüber – ich muß sie kennen lernen, bevor ich Burkhard zu ihr hinüber lasse. Meine alte Freundschaft mit der Gräfin und die blühenden Rosen des schönen Stiftsgartens werden einen frühen Morgenbesuch entschuldigen.«
Ein helles, fröhliches Gelächter von oben her störte ihn in seinen ängstlichen Gedanken. Er horchte an der Tapetenthür. Er vernahm deutlich die helle klangreiche Stimme seiner Gemahlin, die lärmend und lachend sich zu vertheidigen schien, während sein Sohn Burkhard scherzhaft Beschuldigungen auf sie häufte. Gedankenvoll trat er zurück.
»Ob es sein Ernst gewesen ist, als er sagte, daß es ihm lieber sei, Lotta als Mama zu haben? Sollte ihre Schönheit denn nur mich bethören?«
Der alte Herr sann und sann, bis er es für heilsam fand, seinen Sohn in die Arme eines andern schönen Weibes zu liefern, damit er seines eigenen Glückes sicherer würde. Nun schwieg sein Gewissen, das ihm Vorwürfe über seine Handlungsweise hatte machen wollen, nun schwang sich der Egoismus siegreich so hoch empor, daß er das Wallen der Vaterliebe gänzlich zurücktrieb bis auf den tiefsten Grund seines Herzens. Wie viele Eltern hatten schon ihres eigenen Vortheils wegen die Verheirathung der Kinder beschlossen, und es war glücklich abgelaufen. Warum sollte er von diesem Elternrechte denn keinen Gebrauch machen?
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