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Achtes Capitel.

Eveline hatte den ganzen Tag in peinlicher Unruhe verbracht, die sich noch bedeutend steigerte, als die Gräfin nach dem Jagdschlosse fuhr, ohne sie zur Begleitung aufzufordern. Ihr Verdacht, den sie bis dahin kräftig abgewehrt hatte, wuchs dadurch. Sollte es wirklich diese schöne, geistvolle Dame sein, die sich eines so schweren Vergehens schuldig gemacht hatte?

O wie entsetzlich mußte diese Schmach auf Burkhard, den ehrenfesten, wahrheitsliebenden Mann wirken! Und der Gatte der Baronin? Dieser sanfte, weichlich gütige Herr, der mit jedem Worte sein schwankendes Gemüth, die Milde seines Wesens verrieth!

Noch sträubte sich ihr Gefühl, an die Schuld der Frau Baronin zu glauben, aber beklommen durchstreifte sie den Garten, warf sich auf ihr Pferd, durchritt die Fluren und begegnete schließlich wieder dem Lord Charlestone, der, tief eingehüllt, an ihr vorüberjagte.

»Sein Araber ist's,« dachte das junge Mädchen, ihm aufmerksam nachschauend. »Ob er es aber ist, der das edle Thier so rasend spornt, das weiß ich doch nicht gewiß. Wohin konnte er so geheimnißvoll eilen, wenn nicht zu der Baronin? Ob Burkhard davon weiß? In Berlin erzählte es sich der Pöbel sogar, daß er wahnsinnig vor Liebe sei.«

Sie versank bei dieser Reflexion in tiefes Sinnen. Worin mochte es liegen, daß alle Männer diese Frau mit solcher Gluth liebten? War es ein Glück, so geliebt zu werden? Ihre Mutter hatte freilich nichts davon wissen wollen, allein im Busen des unschuldigen Mädchens regte sich auf kurze, flüchtige Momente der Wunsch, daß sie einmal im Leben wohl so feurig bewundert werden möchte, wie die Baronin Lotta. Wäre sie diesem stillen Wunsche bis zum Grunde der Entstehung gefolgt, so würde sie zu ihrem Erstaunen Burkhard's Bild dort vorgefunden haben. Allein sie stellte keine Nachforschungen darüber an und sprengte wohlgemuth nach Hause, als sie annehmen konnte, daß die Gräfin zurück sein werde.

Noch war die Dame nicht zurück von ihrer Visite und Eveline, im Antriebe ihrer schmerzlichen Neugierde, wählte sich im Wohnzimmer einen Platz, wo sie das Gespräch derselben mit ihrer alten, tauben Kammerfrau belauschen konnte.

Es währte auch nicht lange, so rollte die alte, schwere Voiture geräuschvoll in den Hof und die gute Müller trippelte eiligst zum Empfange ihrer Gönnerin herbei. Eveline barg sich, hochklopfenden Herzens, hinter der seidenen Gardine der Fensterwölbung und lauschte mit angestrengtem Sinne auf jedes Wort, um daraus irgend eine Gewißheit, sei sie zu Gunsten oder zu Ungunsten der Baronin, zu ziehen.

Zuerst bewegte sich die Unterhaltung auf dem Boden gleichgültiger Erkundigungen und uninteressanter Berichte, dann aber warf sich die Gräfin hoch aufathmend in einen Sessel, befahl der Müller, sie auszukleiden und rief im Tone tiefer Erbitterung:

»Nein, liebe Seele, Du glaubst doch nicht, was diese Lotta für eine insolente Person ist, eine Person sans égard wie sie in Kreisen unseres Standes gottlob nicht oft vorkommt. Aber sie wird es büßen, so wahr ich die Gräfin Hoym bin.«

»Haben Ihro Gnaden gar kein Wort der Warnung fallen lassen?« fragte die Dienerin.

Die Gräfin lachte lieblos.

»Bestärkt habe ich meine liebe Cousine in ihrer Eitelkeit, damit der Eclat um so größer werde. Die Geschichte ist großartig angelegt, liebe Seele. Graf Sonnenfels ist aufs Höchste erzürnt über die Infamie, die hier ausgeübt zu sein scheint. Er hat den Zufall benutzt, der den Prinzen Louis hierher geführt, und hat ein Zauberfest improvisirt, wozu er natürlich ›alte Damen‹ nicht brauchen konnte. Ich werde also nicht Ohren- und Augenzeuge des Scandals sein, aber ich bin Willens, Dich, liebe Seele, unter dem Vorwande hinzuschicken, daß Du den Damen bei der Toilette behülflich sein könntest.«

Die alte Kammerfrau faltete die Hände und sah ihre Gebieterin beweglich an.

»Gnädigste Gräfin,« bat sie, »lassen Sie mich davon, Sie sind wahrhaftig nicht sicher, daß ich die arme Dame warne!«

»Du bist eine Närrin, liebe Seele,« sprach die Gräfin ärgerlich, »und zu Nichts zu gebrauchen. Wo ist das, Fräulein?« fügte sie barsch hinzu. »Ist Herr von Saint Potern angekommen? Nun? er wollte doch schon heute zurück sein. Ich gratulire der jungen Dame zu solcher Schwiegermama! Wer weiß, was Saint Potern thut, wenn er diesen spectacle effroyable erlebt!«

»Und wer weiß, was Baron Burkhard thut!« wagte die Kammerfrau zu sagen.

»Der zieht sich in seine Garnison zurück, aber der Minister? Der ist ferner unmöglich im Cabinete! Es geschieht ihm recht! Seine Töchter sind schon wegen dieser thörichten Heirath mit ihm zerfallen – Burkhard ist gutmüthig genug gewesen, sie ihm zu verzeihen. Wenn der alte Thor noch einmal heirathen mußte, so gab es ja ehrbare Wittwen genug, die zu seinem Alter paßten – aber die Welt liegt im Argen, liebe Seele – denke Dir nur, daß der Prinz Louis die alten Damen verabscheut! Ist das nicht eine Sünde? Aber es soll mich freuen, wenn er, als alter Herr, einstmals der Gegenstand gründlicher Verachtung wird. Nun geh', alte Seele. Ich will ein wenig ruhen – laß etwas Delicates zum Nachtmahl anrichten und rufe mir später das Fräulein zum Souper.«

Es wurde still im Nebenzimmer. Eveline verließ ihren Platz und setzte sich an das Fenster, wo sie gewöhnlich zu sitzen pflegte. Sie fühlte sich wie vernichtet von dem Gehörten. Ihre Seele empörte sich ebenso stark über den Fehltritt der Baronin Lotta, als über die Gefühllosigkeit und Heimtücke der Gräfin. Ihr grauete vor der fernern Gemeinschaft mit Damen, die zu der Elite der Gesellschaft gerechnet wurden. Und dennoch regte sich der Wunsch, die Baronin vor der vorbereiteten Beschimpfung zu bewahren, immer leidenschaftlicher.

Sehnend blickte sie die Landstraßen hinab, nach ihrem Vater, der allerdings seine Wiederkehr von Breslau zu beschleunigen versprochen hatte. Er kam nicht! Die Schatten der Dämmerung verschleierten nach und nach das Thal – die heilige Stille der Nacht trat ein – die Blumen des Stiftsgartens hauchten berauschende Düfte aus. –

Eveline lag noch lange im Fenster, als sie ziemlich schweigsam ihr Souper mit der Gräfin verzehrt hatte. Frieden überall, nur in ihrem Innern nicht.

Verworren trieben sich die Entwürfe zu einer Rettung in ihrem Kopfe herum – nirgends hafteten sie, denn ihre Pläne hatten keinen Halt. Wäre Burkhard zur Stelle gewesen, so würde sie ihm offen vertraut haben, was der Zufall zu ihrer Kenntniß gebracht, aber Burkhard war von einem tückischen Ungefähr im kritischen Momente entfernt und irgend eine schriftliche Mittheilung zu machen, war bedenklich.

Wenn sie freilich bedachte, welche Gerüchte über den Lebenswandel dieser Dame coursirten, so mußte sie sich zugestehen, daß sie selbst wenig zu verlieren hatte und daß sie die Frau war, mit eherner Stirn einer schmachvollen Demüthigung zu trotzen; allein wenn ihr Gedanke hinüberschweifte zu den beiden Männern, welche in diese Scene mit hineingezogen wurden ohne ihr Verschulden, so schwoll ihr Herz hoch auf vor Erbarmen. Sie hatte beide Männer werthschätzen gelernt, darin glaubte sie die Gründe zu ihrer lebhaften Mitempfindung suchen zu müssen. Was tiefer in ihr lag, das war ihr noch verborgen und unklar.

Die Nacht verging. Der Morgen begann so hell und sonnig, als wäre nicht ein Atom Böses mehr in der Welt geblieben, als schwebe in der Reinheit des Aethers eine beschwichtigende und versöhnende Macht. Eveline erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlummer. Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen hatte ihr ein Rettungsmittel gezeigt. Aber zur Ausführung dieses Planes gehörte ihr Vater. Wenn der ausblieb, so war jede Hoffnung verloren. Oder sollte sie eigenmächtig handeln? Sollte sie sich zur Vertrauten einer Dame machen, die sie, entkleidet aller weiblichen Sittlichkeit, zu mißachten begann?

»Nein!« sagte das junge Mädchen energisch, indem sie sich leise von ihrem Lager erhob und ihre Toilette zu einem Frühritte ordnete. Sie setzte sich aber, nachdenklich und aufmerksam durchs Fenster spähend, wieder nieder, nachdem sie ein Kästchen aus ihrem Reisenecessaire genommen und neben sich gestellt hatte.

Sie erwartete mit Zuversicht ihren Vater, seine Vorliebe für nächtliche Reisen, in heller, duftiger Sommernacht, kennend. Sie erwartete ihn, um ihn zum Leiter ihres Planes zu machen. Sie wollte die Rettung der Baronin mit einem Opfer erkaufen, aber sie wollte keinen Theil haben an dieser Rettung.

Eveline saß still und regungslos. Ihr scharfer Blick hing fest am Horizont, um jede Bewegung auf der Heerstraße beobachten zu können. Stunde an Stunde verstrich. Es wurde geräuschvoll im Hause. Die Gräfin, die sonst sehr spät aufstand, hatte sich frühzeitig erhoben, um zu ihrer Freundin Werbach, die gleich ihr eine Zurücksetzung zu beklagen hatte, zu fahren.

Eveline wurde nicht ungeduldig. Sie saß, vergessen von den Hausgenossen, unbeweglich am Fenster und hütete mit ihren Blicken die Landstraße. Einmal nur öffnete sie das Kästchen neben sich, und legte ihre Lippen heiß und wehmüthig auf den Gegenstand, der darin verborgen war; dann kehrte die Starrheit ihres Wesens zurück, und sie beobachtete streng den Weg, den ihr Vater kommen mußte.

Die Gräfin fuhr noch vor dem Frühstück fort, rücksichtslos ihren Pflegling seinem Schicksale überlassend. Dem jungen Mädchen kam dies sehr gelegen. Sie hatte das mißtrauisch beobachtende Auge der Gräfin gefürchtet. Von dem Dienstpersonale hatte sie nichts zu besorgen, da ihr eigenthümliches Sichgehenlassen längst nicht mehr von demselben beachtet wurde.

Endlich schlug die Stunde der Erlösung für Eveline. Ihr scharfes Auge entdeckte weit ab am Abhange eines Hügels die isabellfarbigen Pferde ihres Vaters, und nun setzte sie sich auf ihr bereit stehendes Pferdchen und ritt ihm entgegen.

Nicht zehn Minuten später wurde sie von ihrem Vater mit allen Zeichen lebhafter und freudiger Bewunderung begrüßt. Sie stieg vom Pferde, übergab es dem Diener, der neben dem Kutscher thronte, und setzte sich eiligst in die Kutsche zu ihrem Vater, der etwas erstaunt ihrem Treiben zuschaute.

»Rechts ab, nach dem Jagdschlosse,« befahl sie beim Einsteigen mit gleichgültiger Stimme, während doch ihr Herz vor innerer Aufregung bebte.

»Was soll das heißen, meine Kleine?« fragte Saint Potern mit strahlendem Lächeln. Er fand seine Tochter entzückend schön an diesem Morgen; ihr Lächeln weit süßer, ihr Auge weit tiefer bewegt, weit zärtlicher und träumerischer.

Hatte bis dahin schon jeder Blick seiner Eveline Einfluß auf sein Herz gehabt, so steigerte sich diese Einwirkung mächtig unter der Veränderung, die er sogleich bemerkte.

»Du hast mich lieb, mein Vater,« begann das Mädchen, die sein entzücktes Lächeln sehr wohl bemerkte, leise und schmeichelnd.

»Mehr, als alles in der Welt, angebetetes Kind!« flüsterte Saint Potern, indem er die Stirn und Augen Evelinens küßte.

Sie blickte ihn himmlisch freundlich an.

»Du kannst es mir beweisen, Papa!« sprach sie zögernd.

»Sprich nur, sprich! Ich schwöre Dir Gewährung jedes Wunsches!«

Eveline lehnte ihren Kopf an seine Wange und umklammerte mit beiden Händen seinen Hals. Er erwiederte lebhaft die etwas verfänglichen Zärtlichkeiten derselben, und in ihrer Stellung verharrend, begann sie Wort für Wort die Erfahrungen der beiden letzten Tage zu erzählen. Mit weit aufgerissenen Augen hörte Saint Potern zu. Er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können und fragte, gemartert von einer Empfindung, die zwischen brennender Neugier und dem Wunsche schwankte, nicht recht gehört zu haben, wohl zehnmal, ehe er sich darüber beruhigte.

»In welche Höllengrube habe ich Dich da gestürzt, mein theures Kind,« stammelte er dann, von widerstreitenden Gefühlen ziemlich bewegt. »Ich glaubte es mit der haute volée des Königreichs zu thun zu haben und muß nun die Erfahrung machen, daß Betrug und Gemeinheit statt der geträumten Noblesse dort vorwalten. Allmächtiger Gott, die Damen sind ja in ihrer Gehässigkeit schlimmer, als unsere Damen der Halle in Paris, die doch wenigstens einem edlern Principe huldigten. Und welche Opfer habe ich diesen hochgestellten Frauen schon gebracht, welche enorme Opfer an Geld und Geldeswerth!«

»Du mußt noch mehr Opfer bringen, Papa,« antwortete Eveline mit bedrückter Stimme, indem sie das Kästchen aus der Tasche ihres Reitkleides zog. »Du mußt diese unselige Frau retten um meinetwillen!«

Saint Potern sah, aufmerksam werdend, auf das ihm wohlbekannte Kästchen hin. Eveline drückte an ein Knöpfchen, der Deckel sprang auf und ein prachtvoll blitzendes Diadem wurde sichtbar.

Unbehaglichkeit in allen Mienen, rückte Saint Potern in die entgegengesetzte Ecke des Fonds, gleichsam als wolle er sich dem Feuer von Evelinens Beredtsamkeit entziehen. Es half ihm nichts. Sie sprach lebhaft und sichtlich schmerzlich bewegt weiter:

»Kennst Du das Diadem der Gräfin Sonnenfels, Papa?«

»Ja wohl! Dies ist danach gefertigt, weil es das geschmackvollste Dessin hatte.«

»Es ahnte mir doch!« flüsterte sie, während ihr Vater fortfuhr:

»Ich ließ es für Deine Mama nacharbeiten – ihr bescheidener Sinn fand es zu prachtvoll.«

»Diese Brillanten sind echt!« forschte Eveline.

»Ganz echt!« betheuerte er.

»Vater, Du mußt unverzüglich nach dem Jagdschlosse und dies Diadem der Baronin schenken, um ihre Lüge zur Wahrheit zu erheben.«

»Bist Du von Sinnen, meine theure Kleine? Du weißt nicht, was Du verschenken willst!«

»O ja, mein Vater! Ich will ein Erbstück meiner geliebten Mutter fortgeben, welches sie mit ihren lieben Händen ein einzig Mal in meine Locken gedrückt, welches sie mit dem frommen Wunsche für mein künftiges Glück geheiligt hat. Sie flehete zu Gott, daß er mich, gesegnet mit den Reichthümern der Erde, an die Brust eines edlen Mannes retten möge – Vater, auch ohne diesen strahlenden Schmuck wird ein edler, stolzer Mann mich als Gattin wählen – nimm dies Kleinod, es brennt in meiner Hand, nimm es und rette dadurch die Familie des Mannes, der durch Wahrheit mein Vertrauen errang, vor Schimpf und Demüthigung.«

»Nimmermehr, meine Kleine! Nur Deine edle, reine Stirn ist werth, von diesen reinen und edlen Steinen geschmückt zu werden!« unterbrach er seine Tochter aufgeregt.

»Höre mich, mein Vater!« bat sie schmerzlich lächelnd. »Denke, es sei das Opfer, das Du der allwaltenden Vorsehung schuldig bist, um mein Glück zu erkaufen!«

»Nur ein Kind, ein unerfahrenes Kind kann so phantastische Forderungen machen.«

»Gut! So gebe ich die Anwartschaft auf mein keimendes Glück auf!« sprach Eveline entschlossen und ihr Auge blitzte gleich den edlen Steinen. Fest und kühn schaute sie in des Vaters Auge. »Laß den Wagen wenden! Ich fliehe von dieser Stätte – ich will nicht in einer Familie leben, die in den Staub getreten ist. Betrug schändet gleich dem Diebstahl! Kann ich den Schimpf nicht abwenden, so entsage ich dem Verkehre mit dieser Familie.«

Saint Potern betrachtete mit lebhafter Freude seine Tochter.

»Wird Dir dieser Entschluß nie leid werden, meine Kleine? Mir kommt er sehr gelegen! Ich habe nur den Wünschen Deiner Mutter Folge geleistet, als ich eine Verbindung mit dem Minister Mallzow anknüpfte. Deine Hand ist eine so reich gesegnete, daß Du unter Grafen und Fürsten wählen kannst. Deine Schönheit und Grazie hat den Prinzen Louis bezaubert, seine Finanzen stehen fürchterlich schlecht; ein Wort von mir und Du wirst seine Gebieterin, vielleicht seine Gemahlin, wenn Du klug zu Werke gehst!«

Eine düstere Wolke legte sich auf Evelinens Stirn. Das war es, was ihre Mutter für sie gefürchtet hatte. Die maßlose Eitelkeit des Vaters würde sie verkaufen!

»Nein, mein Vater,« sprach sie streng, »solchen Chimären entsage bei Zeiten. Ich habe meine Seele dem Manne gelobt, der mir edel entgegengetreten ist, und werde mich nach dieser Erfahrung in ein Kloster zurückziehen. So lautet der Schwur, den ich meiner Mama in jene Welt mitgegeben habe!«

»Eveline!« schrie Saint Potern erschrocken und griff hastig nach dem Kästchen. »Du, ins Kloster? Diese goldenen Locken vernichtet; diese himmlische Anmuth vom Schleier verhüllt?«

Er schloß sie leidenschaftlich in die Arme und ergoß seinen Schmerz in höchst überschwenglichen Tiraden.

Eveline strich gerührt über sein heißes Gesicht und seufzte.

»Schworst Du mir nicht Gewährung jedes Wunsches, Papachen,« flüsterte sie nach einer Weile.

»Ah, es ist Scherz von Dir gewesen! Scherz, nur Scherz!« meinte er, schnell von seinem Schrecken genesend. »Böses Kind, mich so zu peinigen.«

» Du peinigst mich, Papa,« entgegnete sie mit verändertem Tone. »Ich möchte so gern glücklich werden, aber Du stellst Dich kriegsfertig gegen mich auf.«

»Eveline, liebst Du den Baron Burkhard?« fragte er, ganz unvorbereitet.

Sie erglühte und blieb die Antwort schuldig.

»Würde Dich eine Trennung von ihm elend machen?«

»Es würde meinem Leben die Sonne fehlen,« sprach sie ganz leise.

»Dann thue mir den Gefallen, Kleine, und versuche, ob Du ihn vergessen kannst. Ich verlange nicht, daß Du des elenden Geldes wegen, das durch den Verlust dieses Geschmeides uns entzogen wird, unglücklich werden sollst, aber ich glaube annehmen zu können, daß selbst Deine Mama um diesen Preis ihren Lieblingsplan aufgegeben haben würde. Hundert ehrenhafte Verbindungen werden sich uns bieten, wo es solcher Opfer nicht bedarf.«

»Papa, die Zeit drängt!« antwortete das junge Mädchen entschieden. »Hättest Du mir diese Verbindung vor acht Tagen in das richtige Licht gestellt, so würde ich mich Deiner Ansicht gefügt haben. Jetzt, nachdem ich durch Burkhards Vertrauen gefesselt bin, jetzt ist es zu spät.«

»Eveline, zu spät ist es nicht!« sprach Saint Potern bittend. »Es überläuft mich eiskalt, wenn ich Alles überblicke, was für diese Heirath, die wahrlich nur eine fixe Idee Deiner seligen Mama war, schon geschehen ist.«

»Der Preis ist Dir zu hoch?« fragte Eveline sanft. »Es giebt also für Dich ein Gut, das mein Glück aufwiegt?«

Saint Potern sah sie prüfend an.

»Dein Glück aufwiegt?« wiederholte er lächelnd. Seine heitere Natur ließ sich nie lange in Bann legen. »Wenn ich freilich wüßte, daß Du Burkhard liebtest –« fügte er zögernd hinzu.

»Nimm es an, mein herzlicher Papa; nimm es an, daß ich den Mann, den ersten, der mir an der Grenze der Kindheit begegnete, und der mir den Eindruck eines echten Cavaliers machte, nie vergessen werde, daß der Contrast zwischen seinen Grundsätzen und den seichten erbärmlichen Maximen der übrigen Noblesse mich jeder anderen Heirath abhold machen würde und daß ich, ganz absonderlich, keine Lust verspüre, durch meine ›reich gesegnete‹ Hand die Schuldenlast eines heruntergekommenen Fürsten zu tilgen.«

»In der That, Du liebst ihn!« unterbrach sie der Vater. »Woher sonst diese unerschütterliche Festigkeit Deines Sinnes.«

Eveline erröthete wieder, schlug jedoch ihr Auge nicht nieder, sondern schaute träumerisch durch's Wagenfenster in die Ferne. Sie überlegte, ob sie nicht klug thäte, eine Liebe einzuräumen, die sie aber noch gar nicht als Liebe anerkannte.

Saint Potern sann auch nach. Eine Idee durchflog seinen speculativen Sinn. Eine Idee, flüchtig wie der Funke, der vom sprühenden Eisen emporfährt, ohne zu zünden.

Dann wendeten sie sich Beide wieder einander zu und Zärtlichkeit leuchtete aus ihren Blicken. Ganz ohne Uebergang begann der Vater:

»Sieh, mein theures Kind, ich spiele nicht den Sonderling, der die Freuden, der die Gebräuche der sogenannten großen Welt zu verachten vorgiebt, der seine Herkunft mit stolzer und behaglicher Selbstgenügsamkeit zur Zielscheibe der Aufmerksamkeit zu machen strebt. Ich verhehle meine Geburt nicht, aber ich strebe vorwärts und stelle mich gern neben Diejenigen, denen ich durch Vorliebe mehr angehöre, als meinen eigenen Standesgenossen. In mir wühlt der Neid, wenn ich die Stände bevorzugt sehe, die mich nur neben sich dulden. Mein Geschäft, mein Amt als Intendant führt mich eben so oft in die Räume der reichen Bürger, die in Ueberladung und Gespreiztheit den Mangel der Bildung zu verstecken suchen, als in die Salons der Noblesse; aber je länger ich lebe, desto mehr erkenne ich, daß ich eigentlich in den letztern mein Lebenselement finde. Schon als Knabe, wenn mein Vater mir die Taschen voll Geld steckte und mich anwies, mir lustige Gesellschaft zu suchen, schon damals blieb ich vor jedem Palaste stehen, sehnsüchtig hineinschauend, um die Junker zu erspähen, die mich ihres Umganges nicht würdig hielten. Späterhin habe ich mit hochathmender Brust stundenlang vor den erleuchteten Fenstern der fürstlichen und gräflichen Paläste gestanden und schmerzlicher Sehnsucht voll mich in die Lust hineingeträumt, dort als ebenbürtig weilen zu dürfen. Von Stufe zu Stufe stieg mein Verlangen und von Stufe zu Stufe errang ich mir das Recht, dort Platz zu greifen. Deine Mama liebte die Lustbarkeiten der Welt nicht, daran scheiterte mein Plan, hier in Schlesien mich anzukaufen und ein Haus zu machen. Die zweideutige Stellung, welche mir mein Vater hinterlassen hatte, brachte mich zur Verzweiflung, namentlich als der alte Murrkopf, Friedrich der Große genannt, uns den Adel verweigerte und ich zog es vor, lieber meinen festen Wohnsitz in Berlin, wo jedes Kind meinen Vater gekannt, aufzugeben und mich heimathlos im Lande herumzutreiben.«

Eveline hörte gespannt zu. Als ihr Vater jetzt eine Pause machte, legte sie in kindlicher Zärtlichkeit ihre Arme um seinen Hals, drückte seinen Kopf sanft an sich und sagte:

»Aber das hat ein Ende, mein Papa! Wir werden uns eine Häuslichkeit schaffen – hast Du dafür gesorgt?«

»Mit allem Eifer. Glänzend genug wird es werden, aber mich überschlich ein Grauen, als ich mich in den großen Sälen umsah und daran dachte, daß ich eines Tages diese Salons geschmückt haben könne, ohne daß man den Parvenu der Ehre würdigte, ihn zu besuchen! Sieh, das ist der plagende Gedanke, der von meiner Herkunft ausgeht. Ich bin zu kraftlos, um mich durch eigene Macht zu heben!«

»Und ich bin zu stolz, Papa, um mich durch die Künste der Welt heben zu lassen!«

»Du bestehst also trotz meines Eingeständnisses darauf, Dein Glück in Baron Burkhard's Besitz zu suchen, obwohl er nur aus pecuniairen Rücksichten zu einer Bewerbung um Deine Hand getrieben ist? Gut! Der Wille Deiner Mutter soll meine Scrupel überwinden und Dein Glück soll in Deiner Hand liegen, aber die Bedingung, die Du machst, theure Kleine, die muß ich nach meiner Einsicht regeln.«

»Nein, mein Papa!« sprach Eveline gemüthlich befehlend. »Es giebt keinen Ausweg! Du mußt Dich entschließen, dies Diadem der Baronin als Geschenk zu Füßen zu legen, um die üble Nachrede der Gräfin Sonnenfels mit einem Schlage zu vernichten. Aber Du mußt Dir das Diadem der Baronin dafür einfordern, damit wir es, auf irgend eine schlaue Weise, der Gräfin geheim zustellen lassen können. Sie muß noch vor dem Ritterfeste im Besitz ihres Eigenthumes sein. Von diesen Bedingungen gehe ich nicht ab. Das tiefste Geheimniß muß diese Geschichte verschleiern. Nur ich und Du wissen davon – spricht mein Papa darüber, so macht es mich zeitlebens unglücklich!«

Saint Potern lachte und liebkosete sie.

»Sei ruhig, theure Kleine. Mein eigenes Renommée erfordert, daß ich schweige. Die Welt würde mich für einen Thoren erklären, wenn sie erführe, welche enorme Summen mich die Verheirathung meiner schönen und liebenswürdigen Tochter kostete. Ich habe mich von den guten Sitten in Deutschland hinter's Licht führen lassen. Meine Ehrerbietung gegen die Tugend der Frauen hat mir eine Falle gestellt. Wäre ich nicht zu feige vor den Versuchungen geflohen, die man über mein Herz verhängte, so würde ich längst dahinter gekommen sein, von welchem Caliber die Damen der haute volée sind. Sie gehören zum Wuchergeschlechte, sie beuten die Liebe und Freundschaft zu ihrem Vortheile aus und bleiben dennoch auf ihrer sonnenverklärten Höhe stehen. Voilà tout!«

»Da ist das Jagdschloß!« rief Eveline, ihren philosophirenden Vater unterbrechend.

»Also ich muß Deinem Despotismus unterliegen?« fragte er neckend.

»Du hattest mir Gewährung jedes Wunsches gelobt!« erwiederte sie eben so heiter.

»Aber Du hoffst doch nicht, daß ich Dir jemals diesen Verlust ersetzen soll?«

»Nein!« betheuerte sie freudig.

»Ich habe kein zweites Stirnband zu verschenken!«

»Dann trage ich keins.«

»Oder mindestens ein halb echtes!« scherzte er, das Kästchen einsteckend.

»Etwa das, was sich die Baronin hat nachmachen lassen?« fragte das junge Mädchen mit erhabenem Lächeln.

Ihr Vater strich sanft über ihr Gesicht, küßte sie und gab das Zeichen zu halten.

Eveline stieg aus, ließ sich eilig auf ihr Pferd heben und ritt nach flüchtigem Gruße den Weg wieder zurück.

In ihrem Geiste wogte der Eindruck des eben gehabten Gespräches mit ihrem Vater fort. Sie verglich seine offene Erklärung mit den Andeutungen, die ihre Mutter für nöthig gehalten hatte, um sie vor einem Abgrunde zu bewahren, an dessen Rande sie, von der Eigenthümlichkeit des Vaters gedrängt, wandeln mußte.

Sie erkannte nun die Wichtigkeit einer Erziehungsmethode, die ihr die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines Knaben sicherte. Von früh an vertraut mit den Gefahren eines Alleinstehens gemacht, hatte ihre Mutter in dem sanften Kinde eine gewisse Kühnheit, allem Weltglanz gegenüber, geweckt und ihrer Seele eine phantastische Schwärmerei für die Natur eingeflößt. Ohne die Zärtlichkeit für ihren Vater zu beeinträchtigen, war sie beflissen gewesen, die fehlerhafte Ueberschätzung der höchsten Stände in einen Enthusiasmus für ritterliche Eigenschaften eines einzelnen Individuums umzuwandeln.

Eveline durchschauete jetzt das Gewebe mütterlicher Besorgniß. Allerdings, es war ihr geglückt, das Gemüth ihrer Tochter vor den Fehlern des Vaters zu bewahren, aber hatte sie dieselbe nicht einer traurigen Isolirung überantwortet, die bis zum Elende eines verschlagenen Schiffbrüchigen steigen konnte, wenn Der, den die Mutter zum Ideal ihrer Träume verkörpert hatte, den Ansprüchen sich entzog, welche sie an ihn zu machen zur Zeit berechtigt war?

Eveline verglich die Charakter beider Männer, die ihr am nächsten standen. Hier die Offenheit des Parvenu's, der nichts von Achtung preisgab, wenn er seine schwachen Seiten aufdeckte – dort die Erklärung des stolzen Edelmannes, der über einen Wall von Vorurtheilen zur Wahrheit geschritten war, um ihr Vertrauen zu erwecken.

Eveline lächelte zufriedengestellt und ritt ruhig nach Hause

*


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