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Kaum eine Meile von dem Jagdschlosse, worin wir den Minister Baron von Mallzow aufgesucht haben, entfernt, lag ein kleines Gut, das augenscheinlich von Alters her zum Wittwensitze einer Edeldame eingerichtet worden war.
Auch jetzt diente es dazu, einer Gräfin Hoym eine zwar nicht luxuriöse, aber doch ausreichende Subsistenz zu verschaffen.
Das Haus, welches zum Gute gehörte, glich keineswegs einem Schlosse, sondern mehr einem guten Pfarrhause und war an der Vorderfront mit einem Laubengitter verziert, woran zur Zeit die schönsten Rosen blühten.
Die letzten Besitzerinnen waren zwei alte Stiftsdamen gewesen, deren ganze irdische Leidenschaft sich auf die Blumenzucht beschränkt hatte. Sie waren im Lauf ihres Lebens, ohne ihr Zuthun, berühmt dadurch geworden und ihre prächtigen Gartenanlagen hatten dem kleinen Edelsitze den Namen: »der Stiftsgarten«, zugezogen.
Da die jetzige Besitzerin nichts verabsäumte, um den Ruhm des Gartens zu erhalten, so erhielt sie oftmals Besuche von fremden, vornehmen Herrschaften, die lediglich ihres Blumenflores wegen einen Umweg von mehren Meilen sich nicht verdrießen ließen. Im Winter residirte die Gräfin in Breslau, wo sie durch ihre ferne Verwandtschaft mit dem Minister-Residenten Graf Hoym ein sehr angenehm belebtes Leben führte. Hier hatte sie im verflossenen Winter die Bekanntschaft des reichen Herrn v. Saint Potern und seiner Tochter gemacht und da sie zu den Damen gehörte, die eine angenehme Beschäftigung darin finden, »Heirathen zu schließen«, so ging sie rasch und gern auf die Bitte ihres neuen Freundes Saint Potern ein, als er sie um ihre Vermittelung bei der beabsichtigten Verheirathung seiner Tochter mit einem der edelsten Männer aus dem edelsten Hause ihres Vaterlandes, mit dem Rittmeister Burkhard von Mallzow, ansprach.
Die Gräfin war nicht bösartig – sie hatte ihren Ruf in der schlimmen Zeit, wo vom Königsthrone Preußens ein heißer Strom leidenschaftlicher Ungebundenheit durch die höhern Gesellschaftsschichten sich ergoß, bewahrt und war durch ihr solides Auftreten schnell in der Gunst des neuen Königspaars gestiegen, als der Tod des dicken Wilhelm von Preußen dem Unwesen ein Ende machte. Leider raffte ein Schlagfluß ihren Gatten zu derselben Zeit hinweg und sie zog sich, verwittwet und kinderlos, sogleich in die Einsamkeit ihres Landsitzes zurück, um hier mit der Schwäche des beginnenden Alters ein Vergnügen in Vertrauenssachen zu suchen, die immerhin für eine allein stehende Dame etwas Gewagtes in sich trugen. Da sie nichts weniger als scharfsinnig war und dennoch sich einbildete es zu sein, so ließ sich erwarten, daß sie bittere Erfahrungen machen und erst durch Schaden klug werden würde.
Hierzu war alle Hoffnung vorhanden, als sie sich mit der Baronin v. Mallzow verbündete, um Eveline v. Saint Potern zur Gattin des Rittmeisters Burkhard v. Mallzow zu machen, lediglich aus dem Grunde, der schlauen, verschwenderischen Baronin eine sehr bedeutende Summe Geldes in die Hände zu liefern, die ihr der Vater der jungen Dame zugesichert hatte.
Die Gräfin Hoym, stolz darauf, daß sie von beiden Theilen benutzt wurde, leistete auch ihr ein Versprechen und lud den Herrn v. Saint Potern mit seiner Tochter ein, sie in Schlesien zu besuchen. Sie hatte nun seit einigen Tagen das Vergnügen, die junge Dame bei sich zu sehen.
Die Gräfin, eine Dame, auf der Höhe des Lebens angelangt, von wo es rasend schnell bergab zum Altwerden geht, saß schon eine halbe Stunde am Frühstückstisch und hatte zum dritten Male geklingelt, um zu fragen, ob Fräulein Eveline noch immer nicht von ihrem Spazierritte zurück sei. Eine leichte Wolke des Verdrusses schattete ihre sonst heitere Stirn und sie überlas ungeduldig einen Zettel, den sie in der Hand verborgen hielt, um sich dessen Inhalt noch schärfer einzuprägen. Dieser Zettel war eben erst abgegeben. Ein Bote hatte ihn vom Jagdschlosse spät in der Nacht gebracht; da aber die Frau Gräfin nichts mehr haßte, als im Schlafe gestört zu werden, so blieb die Epistel, welche einen Rapport der ersten Scene in ihrem Drama enthielt, bis zum Frühstücke liegen.
Fräulein Eveline, eine passionirte Reiterin, pflegte jedoch jeden Morgen in die frische Waldesluft hinauszureiten, um das Erwachen der Natur, den Morgensang der Vögel und die Krystalltropfen des Thaues zu bewundern.
Die Gräfin wußte dies und so gelegen es ihr sonst gewesen, an diesem Morgen, wo sie ein systematisches Verhör über das verrätherische Rothwerden beim Namen Mallzow anstellen wollte, machte es sie verdrießlich.
Eben faltete sie das Blatt wieder zusammen und verbarg es in ihrer Tasche, als sich die Thür leise öffnete und statt der abgesendeten Dienerin die junge Dame selbst erschien.
»Verzeihen Sie,« rief sie mit kindlich silberheller Stimme, indem sie vorwärts eilte und die Hand der Gräfin an ihre Lippen führte. »Ich habe mich wohl verspätet?«
Die Gräfin ließ wohlwollend den Blick auf dem unbeschreiblich sanften und lieblichen Gesicht Evelinen's ruhen, und entgegnete einige gütige Worte, die errathen ließen, daß sie nur ungeduldig gewesen sei. Dabei rückte sie einen Sessel zurecht und lud das Fräulein zum Sitzen ein. Es war ihr Hauptwerk, jede leise Regung in dem reizenden Mienenspiel des halb kindlichen Wesens zu belauschen, deshalb richtete sie ihr Augenmerk darauf, daß das junge Tageslicht scharf und voll in Evelinen's Gesicht fiel. Gehorsam setzte sich diese und richtete ihr blaues Augenpaar, in welchem eine sinnige Heiterkeit glänzte, vertrauensvoll zu ihrer ältern Freundin auf. Diese glaubte ihren Schützling noch nie so reizend gesehen zu haben, als in diesem Augenblick, und wenn Burkhard von Mallzow nicht ein notorisch guter Mensch gewesen wäre, so würde sie, gerührt von der Unschuld dieses Lächelns, gewiß ihre Hand aus dem Intriguenspiele zurückgezogen haben.
»Sie haben ja schon Toilette gemacht, Eveline,« begann die Gräfin, gleichmüthig mit der Hand über den Kopf des Mädchens streifend, der ringsum mit kurzen, hellblonden Locken umgeben war. Dabei flog ihr Auge musternd über die feine, aber vollkommen füllreiche Gestalt, die in züchtiger, reizender Manier, welche der Mode des eben begonnenen Jahrhunderts gänzlich widersprach, von einem leichten Stoffe umhüllt wurde. »Haben Sie gewußt, daß wir Besuch erwarten können?«
Das Mädchen schärfte ihre Aufmerksamkeit und ein helles Roth überflog ihr Gesicht.
»Besuch? Ach, wie schade!« flüsterte sie. »Ich hatte die Absicht, Sie zu bitten, mit mir nach Adersbach zu fahren. Es ergriff mich eine krankhafte Sehnsucht nach dem Felsenlabyrinthe, als ich heute früh im Morgengrauen eine ähnliche Steingruppe vor mir erblickte.«
»Eine ähnliche Steingruppe, wie in Adersbach?« wiederholte die Gräfin befremdet. »Was wissen Sie denn von dem Adersbacher Felsenlabyrinthe, daß Sie von ähnlichen Steingruppen reden, liebe Eveline.«
Das Fräulein machte eine wichtige Miene.
»O, Sie irren, ich bin schon mehrmals dort gewesen, Frau Gräfin. Adersbach ist mir keinesweges fremd. Meine Mutter war aus der Gegend von Landshut gebürtig und wenn wir meinen Großvater besuchten, so war es jedes Mal der erste Ausflug, den wir machten. Meine Mutter liebte diese Partie über Alles. Das letzte Mal war ich vor drei Jahren dort,« schloß sie wehmüthig, »seitdem habe ich meinen Großvater und auch meine liebe Mutter durch den Tod verloren.«
»Dann möchte ich Ihnen kaum rathen, Adersbach für jetzt aufzusuchen, liebe Eveline. Wozu traurige Erinnerungen wecken? Mindestens schlage ich Ihnen eine fröhlichere Gesellschaft vor, als ich alte Frau abgeben würde. Für mich hat dies Naturgebilde gar kein Interesse. Im Gegentheil, mir zwingt diese Steinwüste mit der kärglichen Vegetation ein Grauen auf.«
Evelinens Blicke strahlten heller, als sie sehr lebhaft erwiederte:
»O Frau Gräfin, giebt es wohl noch etwas Großartigeres, etwas Bewunderungswertheres als diese Einöde mitten in der fruchtbarsten Gegend, als diese Sandfelsen, die sich wie Kegel aneinander reihen, die ein colossales Denkmal vergangener Zeiten sind, entstanden von der Einwirkung tausendjähriger Elemente?«
»Kind, Sie schwärmen!« rief die Gräfin lachend. »Ist Ihre Mama eben so begeistert von dieser Steinwildniß gewesen, so ist es Ihnen angeboren, davon entzückt zu sein. Mir ist die Wanderung in diesem Labyrinthe stets zu gefährlich erschienen, um mich rein dem Vergnügen daran hingeben zu können.«
»Das gebe ich zu, denn wir selbst, meine Mutter und ich, waren das letzte Mal stark in Gefahr, darin umzukommen.«
»Wie,« fragte die Dame interessirt, »wart Ihr denn Beide allein?«
»Ganz allein! Mama liebte das. Sie wollte in ihrer romantischen Andacht nicht gestört sein. Uebrigens kannte sie jeden Tritt und Schritt, darin lag also keine Gefahr, daß wir uns für die Länge hätten verirren können. Aber es stieg ein Gewitter auf, als wir hinten am Quek lagerten und aus unserm Körbchen ein Frühstück verzehrten.«
»Ihre Frau Mutter scheint das frühe Herumstreifen eben so geliebt zu haben, wie Sie,« scherzte die Gräfin.
»Freilich,« lachte Eveline. »Von ihr habe ich's gelernt, auf meinem Pferdchen durch Wald und Au zu jagen. Sie war eines Soldaten Tochter, hatte ihre Mutter nie gekannt und mußte den Großpapa stets zu Pferde begleiten. Ach, es ist auch herrlich, gnädigste Frau, so durch die Welt zu reiten!«
Die alte Dame hob neckend den Finger und sagte bedeutungsvoll:
»Noch dazu an der Seite eines Gatten, der ebenfalls auf dem Pferde zu Hause ist!«
Eveline erröthete und senkte das Auge. Sie kannte ihres Vaters Wünsche, ja, sie wußte sogar, daß diese Wünsche ein Erbtheil, ein Vermächtniß ihrer seligen Mutter waren.
»Wissen Sie, daß Minister Mallzow's hier in der Gegend sind?« setzte die Gräfin schnell hinzu. Eveline blickte verwundert in die Höhe, aber nicht gerade überrascht.
»Seit wann, gnädigste Frau?«
»Seit einigen Tagen. Gestern ist der Rittmeister auch angelangt!«
Eveline glühte wie vom Purpurscheine der Frühsonne beleuchtet.
»Sonderbar!« flüsterte sie, scheu zur Seite blickend.
»Was ist sonderbar, Kleine? Kennen Sie denn den Rittmeister? Ich dächte nicht. Er steht in der Nähe von Posen mit seiner Schwadron und zwar schon seit drei Jahren. Kennen Sie den jungen Offizier? Nein – Sie schütteln mit dem Kopfe und doch erröthen Sie immer tiefer – dennoch athmen Sie, als poche Ihr Herz bei diesem Namen? Erklären Sie mir doch diese seltsame Aufregung!«
Eveline hob rasch ihr Gesicht, sie schien eine Erklärung auf den Lippen zu haben. Sie schaute mit lächelndem Vertrauen in die fragenden Blicke ihrer mütterlichen Freundin. Aber sie zögerte in verzeihlicher Schüchternheit, schüttelte nochmals den Kopf und senkte dann schweigend ihr Gesicht wieder nieder.
»Sie kennen ihn nicht. – Sie kennen ihn wirklich nicht?« rief die Gräfin etwas barsch. »Und ich war so thöricht, aus Ihrem Benehmen bei Nennung seines Namens auf ein gewisses Interesse zu schließen.«
»Das leugne ich auch nicht ab,« flüsterte Eveline verwirrt. »Mein Vater schätzt ihn sehr hoch, meine Mutter verehrte ihn, ist es da nicht natürlich, daß ich –«
»Eben eine solche angeborne Begeisterung für ihn habe, wie für die Adersbacher Felsen,« unterbrach sie die Gräfin sehr heiter. »Sie sind ein Kind, meine liebe Eveline, trotz ihrer siebzehn Jahre, ein pures, unschuldiges Kind –«
Eveline blickte bei diesen Worten so fest, so energisch und klug auf, daß die Gräfin ihre Rede unvollendet ließ und nachdenklich schwieg.
»Dahinter steckt etwas,« dachte sie während der Pause, die eintrat. »Dahinter steckt etwas, aber ich müßte nicht ich sein, wenn mir das lange ein Geheimniß bleiben sollte.«
Inzwischen war das Frühstück verzehrt und die alte Dame schickte sich eben an, darüber nachzudenken, wie sie es anfangen müßte, eine leise Andeutung des wichtigen Besuchs, den die Baronin Mallzow angezeigt hatte, einfließen zu lassen, als ein leichtes, kleines Cabriolet die Dorfstraße heraufrollte, und gleich darauf am Eingange des Stiftsgartens, der einige hundert Schritt vom Hause entfernt war, anhielt.
Ganz erstaunt, denn von diesem Frühbesuch war nicht die Rede im Briefe, blickte die Gräfin aus dem Fenster, weil sie dies kleine Fuhrwerk zu kennen meinte, und fuhr dann mit dem lauten Ruf: »Mallzow – liebes Fräulein – Mallzow – am Gartenportale – dahinter steckt etwas!« zurück.
Eveline schreckte zusammen und griff instinctmäßig nach der Lehne des Sessels, als gebrauche sie eine Stütze. Ihr Gesicht zeigte sich gänzlich entfärbt und ihre Haltung verrieth offenbar eine tiefe, mächtige Schüchternheit.
Mißbilligend betrachtete sie die Gräfin und sprach tadelnd:
»Aber Eveline, solche Wallungen müssen Sie zu beherrschen suchen! Wenn Sie beim bloßen Namen Sr. Excellenz schon in Ohnmacht zu fallen drohen, was soll dann werden, wenn Ihnen einmal am Hofe eine königliche Huldbezeigung erwiesen wird. Da blamiren Sie sich ja!«
Evelinen's Farbe kehrte schnell wieder und ihr Nacken hob sich so stolz, als sei sie bereit, selbst Königin zu spielen.
»Se. Excellenz?« wiederholte sie leise – »der Vater, nicht der Sohn?«
Die Gräfin verstand nicht, was sie sagte. Sie hielt die schnelle Veränderung in des jungen Mädchens Benehmen für eine Folge ihrer guten Lehren.
»So ist's recht, meine Liebe! Immer die Dehors vor Augen! Wer von Furcht und Schrecken den Esprit verliert, kann nie bei Hofe sein Glück machen. Wie wäre es, Beste – könnten Sie sich wohl entschließen, hinaus zu gehen und so lange bei Sr. Excellenz die Honneurs zu machen, bis ich meine Toilette etwas vervollständigt habe?«
»Warum nicht?« antwortete Eveline ganz gegen ihre Erwartung mit stolzer Unbefangenheit und schritt ohne Weiteres hinaus.
»Eine sonderbare Wechselstimmung – worin das liegt, werde ich noch vor Abend entdecken oder ich müßte nicht ich sein!«
Mit dieser liebenswürdigen Selbstüberschätzung begann sie eiligst das Werk ihres Umkleidens, wozu ihre alte Kammerfrau schon Alles bereit hielt.
Eveline aber war hinausgeeilt und hatte sich dem Minister, welcher geflissentlich mit dem Aussteigen aus dem Wagen gezögert, in allerliebster Manier selbst vorgestellt. Sie begrüßte ihn mit jener wahrhaft ehrerbietigen Freundlichkeit, die das Herz des alternden Menschen stets wohlthätig berührt, und auf's Angenehmste überrascht fixirte der Baron das reizende Wesen, welches aus eigennützigen Absichten in seinen Lebenskreis gezogen worden war. Darüber war er auf der Stelle mit sich einig, wenn Eveline seinem Sohne nur halb so gefiel, wie ihm, so war weiter keine Anstrengung nöthig, um eine Verbindung zu Stande zu bringen, die für alle Fälle vortheilhaft werden konnte.
Um den Schein des Zufalls zu bewahren, sagte der Baron, daß er der Neugier nicht habe widerstehen können, beim Vorüberfahren einen Blick in den berühmten Blumengarten zu werfen und daß er absonderlich der weißen Centifolie wegen diese Frühstunde benutzt habe, da sie im Morgensonnenlichte am zartesten aussähe.
Eveline ließ sich glücklich täuschen. Sie führte ihn diensteifrig sogleich durch die prachtvollen Blumen-Rabatten bis zu der seltenen Blume, durchstrich unter sorglosem Plaudern flüchtig mit ihm die schönsten Partieen des Gartens und ahnte durchaus nichts von der Geflissentlichkeit, womit der Baron ihr Inneres prüfte.
Im höchsten Grade zufriedengestellt, verabschiedete er sich, ohne die Dame des Hauses abzuwarten.
Diese auffallende Eile verdarb der hochgebornen Gräfin die Laune total. Sie fand es unter den obwaltenden Verhältnissen maliciös von dem Baron, ihre Blumen und ihren Schützling zu besichtigen und sie rücksichtslos hintenan zu stellen. Nach der Art empfindlicher Frauen ließ sie sich durch diese kleine Vernachlässigung gegen ein Vorhaben erkalten, das noch vor wenigen Minuten ihr ganzes Interesse in Anspruch genommen hatte. Sie nannte das Beleidigung, was nur Eingebung des Momentes war und begann, unter der Einwirkung ihrer bösen Laune, Reflexionen zu machen, die weder Evelinen noch dem Minister Mallzow günstig waren. Doch zeigte sie sich viel zu gern als Weltdame, um ihren veränderten Gesinnungen sogleich Ausdruck zu geben. Sie nahm sich nur vor, die erste Gelegenheit zu benutzen, die ein unbemerktes Zurückziehen aus dieser Affaire, wo sie als Nebenperson gebraucht wurde, möglich machte.
In dieser Gemüthsverfassung befand sie sich, als endlich einige Stunden später Herr Baron Burkhard höchst etiquettenmäßig anlangte und so formenvoll, wie möglich, seinen Besuch anmelden und um die Vergünstigung bitten ließ, den Damen aufwarten zu dürfen. Die Gräfin fühlte ihre gute Laune merklich wiederkehren. Sie war im Grunde gutmüthig genug, um nicht dem Sohne die Insolenzen des Vaters nachzutragen, und der Empfang, den sie dem jungen Manne angedeihen ließ, versprach eine gänzliche Umkehr ihrer schwankenden Gemüthsverfassung.
Leider lag es aber in Burkhards Absicht, eine offene Erklärung gegen die junge Dame, die man zu seiner Gattin ausersehen hatte, zum Hauptzweck seines Besuches zu machen, und er befand sich noch nicht eine Minute auf dem Sessel neben dem Divan der Gräfin Hoym, so forderte er diese auf, ihn dem Fräulein von Saint Potern vorzustellen.
Sprachlos vor Erstaunen über diese vollständig kriegerische Attaque zog sie die Klingel und ließ Eveline um ihre Gesellschaft bitten.
Gespannt hing Burkhard's Blick an der Thür, durch welche das Mädchen eintreten mußte. Er beantwortete sichtlich zerstreut die conventionellen Fragen der Gräfin und reizte diese dadurch, fast noch mehr als sein Vater, durch sein beleidigendes Uebersehen.
»Will man diese Heirath auf eigene Hand schließen,« dachte sie empört, »nun gut, was belästigt man dann mein Haus damit? Cousine Lotta scheint mit mir Comödie spielen zu wollen. Sie mag sich hüten, mich zu beleidigen. Was soll ich davon denken? Sie bittet mich um meinen Beistand in der Sache und weder der alte, noch der junge Herr halten es für nothwendig, meine Protection in Anspruch zu nehmen.«
Während dieses Gedankenmonologes erschien Eveline in der ganzen Holdseligkeit ihres Wesens und, da sie wußte, weshalb sie berufen worden war, in der lieblichen Schüchternheit eines jungfräulichen Kindes. Sie blieb, ergriffen von der Wichtigkeit des Augenblickes, nach der anmuthigen Begrüßung regungslos stehen und wagte das Augenpaar, das eine Zierde ihres Gesichts war, nicht emporzuheben.
Baron Burkhard, der ihr einige Schritte entgegengegangen war, ließ seinen Blick prüfend auf ihr ruhen. Daß sie blond, hellblond, wie eine echte Deutsche, war, besiegte alsbald seinen Widerwillen, den er gegen die Tochter des französischen Parvenü aufrecht erhalten hatte. Außerdem sprach ihn etwas aus diesen Zügen an, was er »bekannt« zu benennen Lust hatte, ohne daß er im Stande gewesen wäre, zu sagen, wo er dies weiße, zarte Gesicht mit dem Heiligenschein von blonden Locken gesehen haben könne. Sein offener Blick verrieth augenscheinlich Wohlwollen und dieser Abglanz seines Innern traf Eveline, als sie endlich so viel Muth errang, ihre Augen aufzuschlagen.
Er wendete sich nach dieser stummen Betrachtung, die eine Pause von einigen Secunden bewerkstelligt hatte, schnell zu der Gräfin Hoym und sagte mit ehrerbietiger Höflichkeit:
»Sie sind eingeweiht in die Pläne meines Vaters, gnädigste Gräfin, sind also im Stande, sich meinen Besuch zu erklären und werden gnädigst gestatten, daß ich meine Erklärungen in Ihrer Gegenwart, offen und frei, wie es einem Manne geziemt, abgebe.«
»Allerdings bin ich im Geheimniß,« erwiederte die Gräfin etwas pikirt, »aber ich bin nicht autorisirt vom Vaters des Fräuleins, Bewerbungen zu begünstigen, die im Sturm beginnen.«
Eveline erröthete ein klein wenig, hob aber ihre Stirn noch höher, als sonst, indem sie Burkhard fast herausfordernd ansah.
»Von Bewerbung kann gar keine Rede sein, so lange das Fräulein mich nicht kennt,« antwortete Burkhard sehr ernsthaft und kalt. »Es thut mir leid, wenn Frau Gräfin dergleichen gefürchtet haben sollte, denn es verriethe einen Zweifel an meiner Ehrenhaftigkeit.«
Eveline lächelte und trat ganz unwillkürlich einen kleinen Schritt näher zu ihm heran. Ihre freie, feste Haltung entlockte der Gräfin einen Ausruf der Verwunderung. Wie verschieden konnte dies Mädchen sein! Welches war ihre wahre Natur? Dieser Muth – diese Energie in Blick und Geberden, oder die zitternde Schüchternheit, die sie bisweilen ganz unterjochte.
»Sie sind zu jung, mein gnädiges Fräulein,« sprach unterdessen Burkhard, ganz zu Eveline gewendet, »um das böse Princip im Menschen, das dem goldenen Kalbe fröhnt, zu kennen. Ich selbst muß Ihnen gestehen, daß meine Verhältnisse es heischen, entweder eine Gattin zu wählen, die Geld hat, oder unverheirathet zu bleiben. Ich würde das Letztere gewählt haben. Aber mein Vater wünscht, daß ich mich um Ihre Hand bewerben soll. Sie sind sehr reich, wie man sagt, und Ihr Herr Vater hat nichts gegen ein Bündniß mit mir armen Soldaten einzuwenden. So weit ist die Sache also gut eingeleitet. Ich stelle mich Ihnen zur Prüfung, allein auch Sie müssen es sich gefallen lassen, daß ich Ihre Eigentümlichkeiten studire, daß ich mich als ernsten Bewerber Ihnen gegenüber betrage.«
Eveline trat leuchtenden Blickes noch einen kleinen Schritt näher. Es war ersichtlich, daß Burkhard mit jedem Worte, welches er sprach, in ihrer Achtung stieg. Die Gräfin hatte sich indignirt von ihrem Sitze erhoben. Sie fand diese Erklärung eines Edelmannes unwürdig und wollte fernerhin nichts mehr mit der Sache, die in ihren Händen subtil erledigt worden wäre, zu thun haben.
Sie schwieg, aber ihr Geberdenspiel verrieth, was sie dachte. Leider hatte weder Eveline noch Burkhard Zeit, darauf zu achten.
»Sie können sich darauf verlassen, mein gnädiges Fräulein,« fuhr Burkhard nach einem momentanen Schweigen fort, »daß ich nur dann, wenn ich Sie hinreichend achte, ehre und liebe, mein Wort der Werbung anbringen und daß ich, nach meinem Gelöbniß der Treue, Sie ehrenhaft und liebevoll durch's Leben bis an die Grenze der Ewigkeit geleiten werde.«
Eveline reichte ihm unaufgefordert ihre Rechte und ein so zärtliches Vertrauen, als hätte sie schon Beweise seiner edlen Kraft, glühete in ihren schönen, tiefblauen Augen.
»Der Segen meiner Mutter wird Ihnen das lohnen, was Sie mir thun!« sprach sie mit fester, klangvoller Stimme. »Ich vertraue Ihnen, Herr Baron, und ich gebe Ihnen Zeit, so lange Sie wollen, mich und sich zu prüfen!«
»Werden Sie aber mein Geständniß ohne Groll hören, wenn ich eines Tages einsehe, daß wir nicht für einander passen?«
»Bei Gott im Himmel – ohne Groll!« sagte das Mädchen feierlich.
Burkhard verbeugte sich und wendete sich nun zur Gräfin.
»Sie sind Zeugin unsers Vertrages, Frau Gräfin. Ich hoffe, Sie werden mir gestatten, Ihr Haus als das Ziel meiner Wanderungen zu betrachten.«
»Doch nur für kurze Zeit,« unterbrach ihn die Dame. »Ich bin genöthigt, in wenigen Wochen zu meiner Freundin, der Gräfin Hochberg auf Fürstenstein zu gehen, um ihr in den Vorbereitungen beizustehen, die zu dem Ritterfeste am Geburtstage unsers gnädigsten Herrn und Königs nöthig sind.«
»Dann nehmen Sie Fräulein v. Saint Potern mit!« rief Burkhard mit fröhlicher Offenheit. »Ich bin auch zur Berathung gewünscht und werde, obwohl mein Papa eigentlich kein Grundbesitzer der Provinz ist, thätig am Turnier theilnehmen.«
Die Gräfin warf empfindlich die Lippe auf.
»Dorthin kann ich nur mitnehmen, wer geladen ist.«
»Dann besuche ich Sie bei Ihrem Vater,« erklärte Burkhard schnell entschlossen. »Wo haben Sie sich niedergelassen, mein Fräulein?«
»Für den Sommer in Breslau – später in Potsdam, wo wir ein Haus besitzen,« entgegnete Eveline so zutraulich, als spräche sie mit einem Bruder.
»Sie reiten gern?« fragte Burkhard, abspringend von diesem Gegenstande. »Ich habe gehört, daß die Königin von Preußen erklärt hat, noch nie eine Dame mit so viel Sicherheit und Anmuth zu Pferde gesehen zu haben.«
»Außer Ihrer Majestät selbst möchte man dies auch behaupten können,« sprach die Gräfin, sich lau ins Gespräch mischend. »Die Königin reitet aber noch graciöser, als Eveline.«
»Aber gewiß zaghafter,« lachte das junge Mädchen, »und nicht halb so ausdauernd!«
»Sie können ja mit dem Baron einen Ritt nach Adersbach unternehmen,« schlug die Gräfin vor.
Eveline wurde ängstlich und stand auf. Burkhard ergriff den Vorschlag mit einer verrätherischen Eile.
»Jetzt nicht – später vielleicht,« flüsterte Eveline. Sie wendete sich unter einem Vorwande zur Thür.
»Nun, Sie hatten heute früh eine so schmerzliche Sehnsucht nach Adersbach –«
»Nach Adersbach?« fragte der junge Mann sichtlich frappirt.
»Eveline liebt dies scheußliche Felsenlabyrinth,« berichtete die Gräfin.
»Adersbach –« wiederholte Burkhard, wie träumend. Eveline war eben bei der Thür angelangt.
»Des Fräuleins Mutter scheint ihr diese Schwärmerei anerzogen zu haben,« spöttelte die Gräfin in fortwährend steigender böser Laune. »Wenn sie nach ihrer Heimath gekommen, so ist es ihr Erstes gewesen, nach Adersbach zu reiten. Erzählen Sie doch einmal, Eveline, was Sie vor drei Jahren, wo Sie das letzte Mal dort gewesen, für Gefahren bestanden haben.«
Burkhard strich fest über seine Stirn, als wolle er dadurch ein Erwachen aus dem Traume befördern. Mechanisch richtete er den Blick nach Eveline – diese verschwand durch die Thür.
»Ja – in Adersbach – in Adersbach,« murmelte der junge Mann, langsam aufstehend. »Ist die Mutter des Fräuleins eine v. d. Horst gewesen?«
»Allerdings!« antwortete die Gräfin neugierig. »Sie haben sie gekannt?«
»Eigentlich nicht,« war seine lakonische Antwort. »Hat Ihnen das Fräulein von der letzten Gefahr in Adersbach ein Näheres mitgetheilt?«
»Nein. Sie erwähnte nur eines Gewitters, wurde jedoch verlegen bei dieser Erwähnung und brach ab.«
Ein Lächeln, wie es selten des Mannes Züge überstiegt, durchzuckte Burkhards Mienen. Solch' ein Lächeln erinnert an die Knabenjahre des Mannes, wo er in den reinsten Träumen des Liebesglückes schwelgt.
Die Gräfin bemerkte dies Lächeln. »Es steckt etwas dahinter,« dachte sie ergrimmt, indem sie durch eine Pantomime andeutete, daß sie diese Audienz für beendet halte. Burkhard verneigte sich auf's Verbindlichste, bat wiederkommen zu dürfen und erwähnte Evelinen's mit keiner Sylbe weiter. Er verließ das Zimmer mit hastigen Schritten und gleich darauf hörte man ihn fortgaloppiren.
Sinnend blieb die Gräfin mitten im Zimmer stehen. Der erneuete Schall von Pferdehufen weckte sie aus ihrer Versunkenheit, in der sich ihre beliebte Phrase: »Es steckt etwas dahinter«, wie ein Feuerrad in ihrem Gehirne drehete, ohne ihr Aufklärung zu gewähren. Erfaßt von dem Gedanken, daß Burkhard wiederkehren könne, richtete sie ihr Auge auf die Dorfstraße hinaus und sah einen Reiter vorbeisausen. Selbst im Fluge erkannte sie den Herrn und hob bestürzt ihre Hände hoch auf. »Lord Charlestone – Lord Charlestone! Dahinter steckt aber ganz gewiß etwas,« sprach sie in zorniger Aufwallung.
»Lord Charlestone hier in Schlesien – kaum daß die Baronin v. Mallzow hier angekommen ist? Nein« – rief sie entrüstet, »das ist kein Zufall und ich müßte nicht ich sein, wenn ich ihr dies nicht noch vor Abend in aller Freundschaft insinuirt hätte. Warum verhehlte sie mir diesen Besuch? Trauet sie meiner Freundschaft nicht? Gut, so brechen wir die Bande, die uns verknüpften. Eine zweite Rolle übernehme ich niemals; will mir Lotta nicht die Hauptpartie ihres Vertrauens überlassen, so refüsire ich.«
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