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Vor einigen Jahren trafen einige Genossen und ich uns so häufig bei denselben Antiquitätenhändlern, daß wir schließlich die Gewohnheit annahmen, uns zur Teestunde bald bei dem einen oder dem andern zu vereinen, um über uns liebgewordene Dinge zu plaudern, die, wie ich fürchte, wenig den gewöhnlichen Interessen unserer Zeitgenossen glichen. Wir waren alle sehr vernünftige Leute, die den Leidenschaften dieser verderbten Welt fast ganz abhold waren, und unsere Wißbegierde richtete sich auf alles, jedoch besonders auf Literatur und Kunstsachen. So lebte Herr Orpaquin inmitten einer herrlichen, zauberhaften Sammlung alter Spitzen, und er glich in seinem langen Gehrock mit den fliegenden Schößen und mit seiner grünen Brille einer großen Libelle, mit kurzsichtigern Blick, wenn sie über einem Bassin hin und her flattert. Herr de Sancy wiederum hatte lange in Rußland gelebt, um dort den französischen Einfluß im achtzehnten Jahrhundert zu studieren. Herr de Clairette interessierte sich nur für chinesische und japanische Kunst und erinnerte an einen heiteren, strahlenden Buddha. Außer diesen Persönlichkeiten wies unsere Vereinigung noch einige andere komische Käuze auf, die Fanatiker der Bildung und der Vergangenheit waren. Sie waren ganz in ihren altertümlichen und exotischen Traum verloren, und mehrere von ihnen, die noch nie ihre Wohnung, Quai Voltaire oder Rue de Verneuil, verlassen hatten, wußten mit dem ganzen Weltall Bescheid.
Durch ihre Eigentümlichkeit war also die von uns gebildete Gesellschaft sehr wenig entgegenkommend. Um bei uns aufgenommen zu werden, mußte man verstaubte Bücher und Raritäten verflossener Jahrhunderte vorzeigen können. Immer wieder diskutierten wir über unsere gegenseitigen Narrheiten, und schien uns einer einmal ein wenig langweilig, so trösteten sich die anderen in Gedanken, daß auch sie nicht immer amüsant waren. Dieses richtige Gefühl schuf zwischen uns eine Harmonie, die wir uns keineswegs stören lassen wollten.
Deshalb nahmen erst viele von uns nach längerem Sträuben das neue Mitglied auf, von dem ich sprechen will, das zuerst wie ein Eindringling betrachtet wurde. Schon lange Zeit hatten wir den Herrn bei unseren Antiquitätenhändlern getroffen, und trotzdem wir ihm zeigten, daß wir ihn nicht aufnehmen wollten, bestand er hartnäckig darauf, in unseren Kreis eintreten zu wollen; er ertrug unsere barsche Abweisung und unsere Geringschätzung mit so viel Resignation, daß es ihm schließlich durch seine Unterwürfigkeit gelang, die Widerstrebendsten zu besiegen.
Herr Courbarrot war durchaus kein schlechter Mensch, aber er war ziemlich gewöhnlich, sehr unwissend und schwerfällig. Wie hatte die Liebe zur Kunst und zu so einer feinen, zarten Kunst in diesen dicken Schädel hineinbringen können? Herr Courbarrot hatte sich bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahre damit begnügt, die von seinem Vater errichteten Mühlen auszunützen. Er war sehr reich, unermeßlich reich, und ich weiß nicht, ob sein gewaltiges Vermögen nicht der Grund war, daß einige unseres Kreises sich so hartnäckig dagegen wehrten, ihn bei uns aufzunehmen. Nicht ohne Mißstimmung sahen sie, wie Herr Courbarrot in der Lage war, sich alle Launen befriedigen zu können, während sie selbst wegen ihrer bescheidenen Börse auf so viele unerreichbare Herrlichkeiten verzichten mußten.
Herr Courbarrot hatte seinen Lehrgang als Sammler mit dem »gotischen Stil« begonnen, und sein elegantes Heim in der Avenue Montaigne war mit geschnitzten Truhen, Kirchenstühlen und zerstückelten Christusfiguren überfüllt. Dann hatte er aber plötzlich die allgemeine Geschmacksrichtung angenommen und sich für das achtzehnte Jahrhundert mit mehr Enthusiasmus als Urteilsfähigkeit leidenschaftlich begeistert.
»Courbarrot,« sagte eines Tages lachend Herr de Sancy, der einen bösartigen Spott hatte, »wissen Sie auch, daß ein Terrorist Courbarrot in Lyon existiert hat? Ich habe keine Ahnung, ob dieser Schuft Ihr Vorfahre war, aber er hat verteufelt daran gearbeitet, die Epoche, von der Sie jetzt so angezogen werden, zu zerstören. Ich würde an Ihrer Stelle Mißtrauen hegen. Das achtzehnte Jahrhundert wird Ihnen noch einen schlimmen Streich spielen, Courbarrot!«
Courbarrot hatte bei dieser Äußerung ein leises skeptisches Lächeln gehabt. Nachdem er nun Möbel, Büsten, Bilder und Wandteppiche aufgehäuft hatte, begann er Kleider zu kaufen. Die schönsten hing er auf Puppen und stellte sie in einem langen Saal auf. Dieser Anblick entbehrte nicht des Malerischen, sogar nicht des Phantastischen, und die entzückenden, verblichenen Gewänder schienen in ihrem vergehenden Zauber melancholisch den Besuch der Schatten, die sie einst getragen, zu erwarten. Kam nun der Abend heran und erhielten diese enthaupteten Phantome durch das elektrische Licht einen Schein von Leben, so mußte man der derbe friedliche Herr Courbarrot sein, um nicht ein ängstliches Gefühl in dieser seltsamen und fesselnden Gesellschaft zu empfinden. Aber Herr Courbarrot ging ganz in seiner Manie auf und pilgerte von einem Antiquitätengeschäft ins andere, um kostbare Gegenstände zu ergattern.
Eines Tages fanden wir ihn in besonders guter Stimmung. Er hatte bei einem Versailler Trödler ein herrliches geblümtes Kleid mit einem wunderhübschen lilafarbenen Überwurf aus der Zeit Louis XVI. aufgestöbert. Wochenlang hörte man Courbarrot von nichts anderem als von diesem Fund sprechen. Dieses Kleid gefiel ihm besser als alle anderen, und er zeigte es mit Vorliebe und Stolz. Nun lud er auch Herrn de Sancy ein, die Kostbarkeit zu bewundern. Dieser betrachtete sie mit einem bösen Lächeln.
»Ich kenne dieses Kleid, lieber Courbarrot, und ich kann Ihnen sogar sagen, woher es stammt. Es wurde aus dem Nachlaß des Grafen de X... verkauft und war ein Familienandenken, von dem er sich trotz seines Elends nie hatte trennen wollen. Es hatte seiner Urgroßmutter, der Marquise von L..., gehört, die man in Lyon durch die Guillotine tötete, und meiner Treu, es kann wohl möglich sein, daß sie auf Befehl des Courbarrot von 93 ermordet wurde ... Freund Courbarrot, nehmen Sie sich in acht, Sie gehen zu weit!«
Lächelnd verabschiedete sich Herr de Sancy, er war über die Maßen erfreut, daß er dem dicken Courbarrot, den er verabscheute, dieses Mal Angst eingeflößt zu haben schien ...
Und wirklich begann Herr Courbarrot von diesem Tage an weniger vergnügt und weniger zufrieden mit sich selbst und mit seinen Wandteppichen, Büsten, Bildern und Gewändern zu werden. Magerte auch der große, starke Mann nicht ab, so sah er trotz seines Fettes schlecht aus, und er klagte über verdächtige Geräusche in seiner Wohnung. Er wechselte die Dienstboten und sprach davon, auszuziehen.
»Ausziehen, ausziehen,« meinte spöttisch Herr de Sancy, »das wird Ihnen auch nichts nützen. Verkaufen Sie alles, Courbarrot, und leben Sie wie ein rechtschaffener Mann, der nur das besitzt, worauf er Anspruch hat.«
Ich wohnte in jener Zeit in der Avenue Montaigne. Mein bescheidenes Obdach war von dem prächtigen Hause Herrn Courbarrots nicht weit entfernt. Eines Morgens wurde mir gemeldet, daß der Diener von Herrn Courbarrot mich zu sprechen wünschte, und ich befahl ihn vorzulassen. Der Bursche sah verstört und geheimnisvoll aus. Er berichtete mir, daß er nachts einen fürchterlichen Schrei gehört und Herr Courbarrot nicht zu der gewöhnlichen Zeit geklingelt hätte. Vergebens hatte der brave Kerl an die Tür geklopft, keine Antwort war ihm zuteil geworden. Da er nun ein Unglück vermutete, war er gekommen, meinen Rat zu hören, ehe er die verschlossene Tür aufbrechen ließ. Sollte er die Polizei holen?
Es erschien mir am richtigsten, zuerst in Courbarrots Wohnung zu gehen, und so kleidete ich mich eilig an und folgte dem Diener. Heftig schlugen wir beide gegen die Schlafzimmertür Courbarrots, aber wir bekamen keine Antwort. Es war klar, daß sich irgend etwas Ungewöhnliches ereignet hatte. War Herr Courbarrot vielleicht schon sehr frühzeitig, als die Dienstboten noch schliefen, ausgegangen? Der Diener schüttelte den Kopf.
»Es bleibt uns also weiter nichts übrig, mein Junge, als die Tür gewaltsam zu öffnen.«
Ich stemmte mich gegen den Flügel, der Diener gebrauchte ebenfalls seine ganze Kraft, aber erst nach langem Widerstand sprang die Tür auf. Ich trat auf die Zimmerschwelle und rief laut:
»Courbarrot!«
Alles blieb dunkel und schweigsam. Ein merkwürdiger, unerklärlicher Geruch stieg mir in die Nase. Jedenfalls waren es die alten Sachen, die nach Staub und Moder rochen.
Ich tastete einige Schritte vorwärts und suchte den elektrischen Knopf. Als ich ihn fand und das Licht jäh das Zimmer erleuchtete, wich ich entsetzt zurück.
Fast vor meinen Füßen auf dem Teppich lag Herr Courbarrot lang ausgestreckt auf dem Rücken. Sein Antlitz war bläulich, die Augen traten ihm aus dem Kopf hervor – er war erwürgt worden oder aus Furcht gestorben. Das Gesicht war verzerrt und geschwollen, und der weit geöffnete Mund schien noch einen Schrei des Entsetzens ausstoßen zu wollen. Ich beugte mich über ihn, Herr Courbarrot war tot. Seine zusammengepreßte Hand umschloß noch ein Stück fahler geblümter Seide, die wohl von einem der alten Gewänder herrühren mußte. In diesem Augenblick stieg mir ein entsetzlicher Verdacht auf. Ich eilte schnell die zu dem Saal führende Treppe hinunter, in der die Puppen in ihrem altmodischen Staat aufgestellt waren. Mit einem Blick sah ich, daß alle, außer einer einzigen, an ihrem Platze standen. Diese lag umgestürzt, und ihres Plunders entledigt zeigte sie nur ihr klägliches Gerippe. Es war die Puppe, die das geblümte Kleid der Marquise de L... getragen hatte, von dem Herrn Courbarrots Finger noch ein Stück Seide umkrampften. Gierig hatte er es an sich gerissen, als das mitleidlose Opfer des anderen Courbarrot, des Terroristen, sich sein Eigentum aus dem Hause des Nachkommen holen wollte, das dieser ohne Berechtigung in seinem Besitz hielt und der durch sein Geld zu einem Heiligtumsschänder geworden war.
Als wir Herrn Courbarrot das letzte Geleit gegeben hatten und den Kirchhof verließen, erfaßte Herr de Sancy meinen Arm und sagte mit boshaftem, verstohlenem Lächeln:
»Nun, lieber Freund, hatte ich nicht recht, als ich Courbarrot voraussagte, daß seine Vermessenheit ihm noch einen schlimmen Streich spielen würde? Übrigens war er beschränkt und ein Schwachkopf. Nichtsdestoweniger will ich eine Messe für die Ruhe der Seele der Marquise de L... sagen lassen. Ich liebe es nicht, wenn die Phantome eingreifen und den Lebenden zeigen, was sie zu tun haben. Wohin würde das führen, nicht wahr? Fast alle in dieser Welt gleichen Courbarrot, und er hat für andere mitbezahlen müssen ...«
Und hohnlächelnd verließ mich Herr de Sancy.