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Die Warnerin

Glauben Sie mir nur,« sagte Luc de Lérin eines Tages zu mir, »ich lasse mich bei Hugues Darnet weder aus Hochmut porträtieren, noch habe ich die Absicht, mich als Mäzen aufzuspielen, übrigens hat Darnet weder meine Protektion noch meine Kundschaft nötig. Er ist berühmt genug, um beides entbehren zu können, und die Nachwelt wird auch auf mein Bildnis verzichten. Es war ein bescheidneres Gefühl, das mich leitete, Darnet zu bitten, mich zu malen, dann mischte sich auch etwas Eitelkeit hinein. Jeder hat eben seine schwache Seite, und ich kann Ihnen sagen, welches die meine ist. Sie ist auf einem väterlichen Gefühl begründet, daß Sie zweifellos verstehen werden.«

Bei den letzten Worten zündete sich Luc de Lérin eine Zigarre an, als in diesem Augenblick die Tür des Rauchzimmers geöffnet wurde. Seine Tochter Jeanne kam vor dem Spazierengehen herein, um sich von ihrem Vater zu verabschieden. Die Kleine mit der blumengeschmückten Kapotte bot ihm ihr rosiges Gesichtchen zum Kusse dar, gab mir höflich ihre Patschhand und verschwand unter fröhlichem Lachen. Als das Kind gegangen war, sagte Luc de Lérin achselzuckend: »Ja, lieber Freund, dieses kleinen Fräuleins wegen habe ich Darnet einen Monat lang dreimal wöchentlich gesessen. Ich hätte ohne mein Töchterchen nicht daran gedacht, mich malen zu lassen. In meinem Alter wird man nicht mehr von solchen Gelüsten geplagt, denn ich bin nicht mehr jung, aber gerade diese Konstatierung veranlagte mich, Hugues Darnet zu bitten, mein unwichtiges Gesicht jetzt, da ich noch präsentabel bin, auf der Leinewand festzuhalten. In einigen Jahren werde ich definitiv zum alten Eisen gelegt, und ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß später, wenn ich nicht mehr sein werde, Jeanne mich als ein altes verkrümmtes Männchen in der Erinnerung haben wird.«

»Dank dem Porträt, das Sie dort hängen sehen, werde ich meinem Kinde ein noch erträgliches Bild von mir hinterlassen, und so wird sie es in ihrem Gedächtnis bewahren. Ich setzte Darnet ganz offen den Zweck auseinander, weshalb ich mich malen lassen wollte und bat ihn, mich so vorteilhaft wie möglich wiederzugeben. Er hat es auch gern getan, denn der gute Mann weiß selbst, welches Unglück es bedeutet, alt zu werden.«

Luc de Lérin seufzte tief auf. Ich hätte aus Höflichkeit protestieren müssen und es auch, ohne falsch zu sein, tun können, denn der breitschultrige kräftige ehemalige Kavallerieoffizier mit dem regelmäßigen, liebenswürdigen Gesicht, den eleganten, einfachen Manieren war trotz seiner fünfzig Jahre noch ein fast schöner Mann zu nennen. Jedoch ließ er mir keine Zeit, ihm zu antworten, daß Darnet bei ihm wohl fände, was sich des Malens verlohnte.

»Übrigens, lieber Freund, hat dies Porträt nicht nur den Zweck, den ich zuerst namhaft gemacht habe, ich habe auch durch die häufigen Sitzungen Darnet gut kennengelernt. Wir sind sozusagen Freunde geworden. In der ersten Zeit unserer Bekanntschaft war es zuweilen peinlich, wir suchten nach einem Gesprächsstoff. Bald jedoch wurden wir vertraut miteinander, wir verstanden uns ausgezeichnet in einem Punkt: wir hatten dieselbe Furcht vor dem Alter. Wir verabscheuten beide gleich die unvermeidlichen Gebrechen, die es brachte. Sie kennen seit langem meine Meinung darüber. Der Gedanke, allmählich des Lebens Abhang hinuntersteigen zu müssen, war mir entsetzlich. Nicht, daß ich den Tod fürchtete, aber das Alter, das traurige Alter! Darnet hegte dieselbe Ansicht. Ich möchte hinzufügen, daß Darnet in seiner Jugend ein Schwerenöter gewesen sein muß. Der sehr hübsche Mann gefiel den Frauen und ist leidenschaftlich von ihnen geliebt worden. Man bemerkte es an seiner Art, von ihnen zu sprechen und seiner Auffassung, sie zu malen. Seine Frauenporträts sind das Beste, was er geschaffen hat. Es wird Ihnen aber aufgefallen sein, daß Darnet seit etwa zehn Jahren nur Porträts von Männern macht, und dadurch ist sein Erfolg beim Publikum sehr verringert. Das Publikum ist in der Kunst weiblich. Als wir eines Tages über die Kunst sprachen, fragte ich ihn, weshalb er ein Fach, in dem er Meister gewesen, vollständig vernachlässigte. Bei dieser Frage glitt ein trauriges Lächeln über sein Gesicht. Er strich sich mit einer brüsken Bewegung eine Strähne weißer Haare aus der Stirn und kam auf ein anderes Gesprächsthema.

Zwei Tage darauf führte der Diener mich in das Atelier. Darnet war noch nicht anwesend und ließ mir sagen, daß ich mich einige Minuten gedulden möchte. Ich ging in dem großen Raum, den ich sehr genau kannte, auf und ab, als plötzlich meine Aufmerksamkeit auf eine große Leinewand, die auf einer Staffelei stand, gelenkt wurde. Ich trat heran und sah die ziemlich vorgeschrittene Skizze eines herrlichen Frauenporträts vor mir, das sicher eins der schönsten Werke des Malers geworden wäre, wenn er es vollendet hätte. Leider waren einzelne Partien des Bildes nur angedeutet und das Ganze zeigte die unterbrochene Arbeit.

Ich stand bewundernd vor dem bezaubernden Gesicht, dessen lebendige Augen in meine zu blicken schienen. Die Augen waren übrigens die hauptsächliche Schönheit dieses eigenartig ausdrucksvollen, zart unregelmäßigen Gesichts. Waren auch die Züge nicht ganz tadellos, so entzückten sie durch ihre Harmonie. Man hätte die ein wenig zu kurze Nase, den ein wenig zu dicken Mund gar nicht anders haben mögen. Der leuchtende Teint, das üppige Haar dienten noch dazu, die Anziehungskraft des nachdenklichen und doch schelmischen Gesichts zu erhöhen. Das Bildnis der Unbekannten ging bis zur Taille und das unmoderne Kleid zeigte, daß die Dame vor ungefähr zehn Jahren gemalt sein mußte. Wer konnte sie sein und weshalb war das Bild in Darnets Besitz geblieben? Weshalb hatte er es heute in sein Atelier gestellt?

Als ich diese Fragen an mich richtete, trat Darnet ein. Er entschuldigte sich, mich warten gelassen zu haben, nahm seine Palette und malte. Ich saß ihm so gut es ging, aber ich war zerstreut. Darnet arbeitete schweigend. Plötzlich warf er seine Palette auf den Diwan und ließ sich schwer darauf niederfallen. Ich setzte mich neben ihn, und vor uns stand das Bildnis der Unbekannten, die uns mit verwunderten Blicken zu betrachten schien. Plötzlich berührte Darnet meinen Arm und sagte: »Sie fragten mich vorgestern, lieber Lérin, weshalb ich nur noch Männerporträts male. Jener hübschen Frau dort verdanke ich den Entschluß, den ich vor zehn Jahren faßte und auch hielt. Sie sind verwundert, aber Sie werden mich begreifen, wenn ich Ihnen die Szene schildere, die an dem Tage stattfand, an dem Frau d'Arancy dies Atelier zum letzten Male betrat.«

Als Darnet Frau d'Arancy kennenlernte, war er auf der Höhe seiner Berühmtheit. Er hatte sich, nachdem er zuerst zu kämpfen hatte, eine glänzende Stellung in der Kunst geschaffen. Er war damals einundfünfzig Jahre alt, aber seine hohe Figur war weder gebeugt, noch zeigten sich in dem vollen Haarwuchs graue Fäden. Der kräftige, tätige Darnet konnte sich noch jung glauben. Jedenfalls hatte er sich aber ein junges Herz bewahrt, das so jung war, daß, als er auf einem Gartenfeste bei der Marquise de Jonze Frau d'Arancy vorgestellt wurde, er sich wie ein Jüngling maßlos in sie verliebte. Darnet kam dann mit Frau d'Arancy gesellschaftlich öfters zusammen, und es machte der intelligenten und koketten Frau Vergnügen, sich von dem Maler huldigen zu lassen. Dieser bot ihr an, sie zu porträtieren; sie nahm den Vorschlag an, und die Sitzungen begannen. Darnet hatte jetzt eine Gelegenheit, Frau d'Arancy den Hof zu machen, sie lauschte seinen Erklärungen mit Interesse, und Darnet wurde von Tag zu Tag verliebter. In dieser wachsenden Leidenschaft fand er das ganze Feuer seiner Jugend wieder. Er wußte so eindringlich zu reden, daß es schien, daß Frau d'Arancy von seiner Liebe gerührt wäre, und er glauben konnte, ihr Herz bald allein zu besitzen. Bei diesem Gedanken zitterte er vor Jubel. Das Leben war herrlich, und er wäre überrascht gewesen, hätte man ihn an seine Jahre erinnert, in denen solche Siege seltener werden ...

Als Darnet eines Tages wieder Frau d'Arancy malte und ihr von seinen Gefühlen für sie sprach, wurde dem Maler von dem Diener eine Visitenkarte überreicht. Der Sohn eines alten Freundes bat ihn, ihm einen Moment Gehör zu schenken, weil es sich um eine eilige Mitteilung handelte. Obgleich der Besucher eine sehr lebhafte Unterhaltung störte, bat Darnet Frau d'Arancy um die Erlaubnis, den Störenfried einige Augenblicke sprechen zu dürfen. Er erinnerte sich nur unklar an den jungen Mann, Marcel Prothon. Aber wie groß war sein Erstaunen, als anstatt des schwächlichen, linkischen Jünglings ein kräftiger eleganter junger Mann hereintrat, der in nichts mehr an den verlegenen, schlottrigen Burschen von einst mahnte.

Denn schön war der junge Prothon, so schön wie die Statue der Jugend selbst. Durch welche Zauberkunst war Marcel Prothon so in einen Antonius verwandelt? Wie war diese plötzliche Schönheit über ihn gekommen? Wenn aber Marcel Prothon vollendet schön geworden war, so war er vollständig dumm geblieben. Man brauchte nicht lange, um sich über seine fürchterliche Dummheit klar zu werden. Sie zeigte sich, sobald er den Mund öffnete. Als er gerade etwas abnorm Dummes gesagt hatte, wollte Darnet Frau d'Arancy einen verständnisvollen Blick zuwerfen, aber er sah, daß ihre Blicke wie gebannt an Marcel Prothon hingen. In ihrer Art, ihn anzusehen, lag ein solches Geständnis des Eindrucks, den er auf sie ausübte, daß Darnet sich schmerzlich betroffen abwandte. Er fühlte, daß er beiseite geschoben war, und er verstand, weshalb es geschehen war.

Er fühlte, wie ein geheimnisvolles plötzliches Fluidum von den beiden ausging, um sie zueinander zu ziehen: die Jugend. Ja, wenn Marcel Prothon dumm war und blöd auf die von dem Maler gestellten Fragen antwortete, so war er doch jung und schön, und dieser doppelte Nimbus verschaffte ihm Frau d'Arancys bewundernde Aufmerksamkeit. Darnet wurde sich klar, daß, wenn auch Frau d'Arancy von seiner Liebe überzeugt war und sie ihm aus Koketterie und Mitleid ihre Gunst gewährte, sie ihn nie so beseligt ansehen würde wie den jungen Dummkopf. Da hörte Darnet eine Warnung: seine fünfzig Jahre mahnten ihn, und er wurde sich plötzlich seines Alters bewußt. Schmerzliche Schande, in die sich Zorn und Bedauern mischten, ergriff ihn.

Deshalb hatte er Frau d'Arancys Bild nicht beendet, und deshalb war es das letzte Frauenporträt geblieben, das er malte. Das ist die Geschichte, die er mir erzählte, und die ich weiter berichte. Es kommt immer ein Augenblick, da man seine Frau d'Arancy trifft, und dieser Augenblick ist immer hart. Er war es so sehr für Darnet, daß er unter einem Vorwande die Sitzungen hinausschob und die beleidigte Frau nicht mehr in sein Atelier kam. Er bewahrte das Porträt derer, die seine Warnerin gewesen. Als er es mir zeigte, hatte er Tränen in den Augen ... Manchen Menschen wird es schwer zu altern! ...«

Durch den Zigarrenrauch hindurch betrachtete Luc de Lérin mit Melancholie den Lérin, der aus seinem Rahmen herausblickte und den Angriffen der Zeit zu trotzen schien.


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