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Das Bedauern

Also, es ist abgemacht, Herr Carlozzi. Sie schicken den Gegenstand an die von mir aufgegebene Adresse ...«

Bei diesen letzten Worten der Unterhaltung zwischen Herrn de Mauléon und Signore Carlozzi schwankte die Gondel, in der ich auf den schwarzen Lederkissen ausgestreckt lag, auf den Wellen, die das Vorüberziehen eines kleinen Dampfers auf dem Canale grande erzeugt hatte. Das Wasser schlug gegen das Ufer. Eine der Treppenstufen, die die Flut wieder bedeckt hatte, rieselte von kleinen feuchten Algen ... In der Umrahmung der Tür, die zu dem Kanal herunterführte, standen Herr de Mauléon und der Antiquar Carlozzi. Von der Gondel aus gesehen, hatte man den Eindruck, als ob sie tanzten. Hinter ihnen ahmten zwei mythologische Statuen, eine Flora und eine Pomona, ihren Rhythmus nach. Auf dem Hinterteil der Barke schien der Gondelführer mit seinem Ruder den Takt zu schlagen, während er das Fahrzeug geschickt auf einem Fleck festzuhalten wußte.

Das Geschäft des Signore Carlozzi gehört zu denen in Venedig, die mit Antiquitäten und Merkwürdigkeiten aller Art am besten versehen sind. In den geräumigen Sälen des Palastes, den Signore Carlozzi in San Staè bewohnt, sind die verschiedenartigsten Dinge aufgehäuft. Sicherlich sind nicht alle Antiquitäten, die der ehrenwerte Carlozzi als solche zeigt, ganz echt, und man muß vorsichtig in der Wahl sein; aber berücksichtigt man diesen Punkt, kann man bei ihm zuweilen etwas Gutes finden. Häufig entdeckte ich schöne alte Stoffe bei ihm, Glassachen, die wirklich antik und wertvoll waren. Ich kaufte dort einige weiße Fayencevasen von Bassano oder Udine, in denen Sträuße so hübsch wirken. Auch Gemälde, Zeichnungen und Gravüren findet man bei Carlozzi, sowie tausend nette Kinkerlitzchen, Lackkästen und Lacktabletts, mit chinesischen Figuren bedeckt, wie sie von den Venezianern im achtzehnten Jahrhundert verfertigt wurden. Carlozzi interessierte sich besonders für diese lackierten Möbel, die in ihrem entzückend schlechten Geschmack so dekorativ wirken und etwas Barockes, exotisch Anziehendes haben. Deshalb würde ich um keinen Preis der Welt bei einem Aufenthalt in Venedig versäumen, Carlozzi einen Besuch abzustatten, weil ich hoffe, einige dieser chinesischen Kunstgegenstände zu entdecken, und nie kann ich der Versuchung widerstehen, sie zu kaufen.

So war ich wieder bei Carlozzi auf der Suche nach einem neuen Fund. Es waren noch nicht viel Fremde in Venedig und die Geschäftsräume des Antiquars waren ziemlich leer. Hier und dort hatte ich schon herumgestöbert, als Herr de Mauléon mir plötzlich gegenüberstand. Wir waren uns in Gesellschaften schon öfters begegnet, neulich hatte ich ihn im Palast des Prokurators getroffen. Wir hatten uns bis jetzt nur gegrüßt, aber hier fügte es der Zufall, daß wir einige Worte miteinander wechseln mußten. Übrigens war mir Herr de Mauléon sympathisch. Er war ein vornehm aussehender Vierziger mit eleganten Manieren, doch lag in seiner Haltung etwas Nachlässiges, Enttäuschtes.

Nachdem wir einige Minuten miteinander geplaudert hatten, gingen wir zusammen durch die Säle des guten Carlozzi. Ich hatte noch nichts nach meinem Geschmack gefunden, als ich plötzlich in einem Winkel eines jener Lackmöbelstücke sah, die sich meiner Vorliebe erfreuten. Es war eine rot lackierte Vitrine, die ganz mit eigentümlich gezeichneten goldenen Chinesen bemalt war. Ich hatte mich zu Carlozzi gewendet, um nach dem Preise zu fragen, als ich mich jäh von Herrn de Mauléon beim Arm gepackt fühlte. Diese plötzliche Vertraulichkeit erregte meine Verwunderung, die sich noch verstärkte, als ich Herrn de Mauléon betrachtete, der leichenblaß geworden war. Seine Stimme zitterte, als er mich fragte, ob es mir sehr unangenehm wäre, ihm diese Vitrine zum Kauf zu überlassen. Aus seiner Bitte klang so viel Angst, daß meine Antwort dadurch bestimmt wurde, übrigens hatte ich gar nicht ernstlich daran gedacht, das Schränkchen zu kaufen, ich kannte Carlozzis Preise, und meine augenblicklichen Mittel gestatteten mir eine solche Tollheit nicht.

Ich hatte mich auch nicht in meiner Annahme des Preises geirrt, aber Herr de Mauléon erhob bei der übertriebenen Forderung des Antiquars keine Einwendung. Nach abgeschlossenem Kaufe näherte sich Mauléon mir und sagte: »Ich schulde Ihnen über meine soeben begangene Inkorrektheit eine Erklärung. Ich will sie Ihnen geben, wenn Sie Platz in meiner Gondel nehmen wollen, die Sie dahin führen wird, wohin Sie zu fahren wünschen.«

Herr de Mauléon setzte sich neben mich. Der Gondoliere machte seine Barke von den » pali« los, und wir entfernten uns von der Treppe, von der uns Carlozzi noch zuwinkte. Mauléon blieb eine Weile stumm. Hatte er sein Versprechen vergessen? Suchte er nach einem Anfang? Plötzlich entschloß er sich:

»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen meine Geschichte anderswo als in Venedig anvertrauen könnte, aber hier wage ich es, weil ich die Empfindung habe, daß man in dieser phantastischen, ungewöhnlichen Stadt ein wenig außerhalb der gewohnten Formen und Förmlichkeiten steht. Meine Handlungsweise von vorhin hat es Ihnen auch bewiesen. Ich bin aber sicher, daß Sie mich verstehen und entschuldigen werden.«

Ich machte eine zustimmende Bewegung, und Mauléon fuhr fort:

»Es kommt ein Augenblick im Leben, in dem gewisse Ereignisse unserer Vergangenheit uns ihre wirklichen Folgen zeigen. Lange glaubten wir ihnen entgangen zu sein, bis wir eines Tages bemerken, daß sie etwas schufen, was nie wieder gutzumachen ist. Ein solches Gefühl führte mich nach fünfzehn Jahren nach Venedig zurück. Hier hat sich jene Begebenheit abgespielt, die ich Ihnen erzählen will und an die ich durch meinen Besuch bei Carlozzi bitter erinnert worden bin.

Es sind fünfzehn Jahre her, ich war ein junger Mann, und zwar gehörte ich zu denen, die zum erstenmal ihre Freiheit genießen. Ich war von meinem Vater streng erzogen worden, und durch seinen Tod gelangte ich in den Besitz meines Vermögens. Ich war jetzt frei, ich konnte nach Belieben schalten und walten, und als erstes unternahm ich eine Reise nach Italien. Natürlich war auch Venedig in meinem Reiseplan verzeichnet, und zwar aus dem besonderen Grunde, weil eine alte Freundin meiner Familie, Lady Ebbington, dort seit langer Zeit wohnte und mich zu sich berief. Wir werden an dem Palast Alvenigo, in dem sie ihr Heim aufgeschlagen hatte, gleich vorbeikommen.«

Mauléon betrachtete einen Augenblick die Ufer des Canale grande und erzählte weiter:

»Ich kam mir bei meiner Ankunft wie in einem Zauberlande vor, es ist etwas Wundervolles, in Venedig an einem Frühlingsabend anzulangen und anstatt in einem Hotel, in einer der reichsten venezianischen Behausungen, dem Palast Alvenigo, aufgenommen zu werden. Lady Ebbington hatte den Palast restaurieren und schön möblieren lassen. Es war eine herrliche Wohnung. Alles entzückte mich, ich kam mir wie in einem ganz besonders bevorzugten Ort vor. Von all dem Seltsamen, der Freiheit, dem Licht, war ich wie berauscht. Es kam noch hinzu, daß eine sehr angenehme Gesellschaft sich bei Lady Ebbington zusammenfand. Der Palast Alvenigo hallte von hellem Lachen wider. Die Nichte Lady Ebbingtons, Lady Herward, und ihre drei Töchter brachten eine reizende Fröhlichkeit ins Haus.

Besonders entzückend fand ich die zweite Tochter Lady Herwards, die neunzehnjährige Mary. Wir waren bald die allerbesten Freunde. Miß Mary hatte gleichzeitig etwas Lebhaftes und Schmachtendes. Die seine dunkle Schönheit konnte leidenschaftlich und dann wieder sanft nachgiebig sein. Sie war die Seele der häufigen von uns veranstalteten Vergnügungspartien, wir führten eine wirkliche Dekameronexistenz. Gondelfahrten auf den Lagunen wechselten mit Ausflügen auf dem festen Lande oder, wenn wir irgendeine Sehenswürdigkeit der Stadt betrachtet hatten, blieben wir in dem schönen Garten, den Lady Ebbington auf der Insel Guidecca besaß, um dort den Nachmittagstee einzunehmen. Eines Abends, als wir bei Mondenschein durch die große Zypressenallee des Gartens gingen, wurde mir klar, daß ich Miß Mary liebte.

Diese Entdeckung verstärkte um so mehr meine Lebensfreude, weil ich schnell bemerkte, daß Miß Mary meine Gefühle teilte. Das Schicksal überhäufte mich wirklich mit Glück. Ich brauchte nur ein Wort zu sagen, damit Miß Mary ihr Leben mit dem meinen verband und es durch ihre entzückende Gegenwart verschönte. Kein Hindernis stellte sich meinem Glück entgegen. Ich brauchte nur die Hand auszustrecken, um es zu ergreifen. Weshalb zögerte ich, die entscheidenden Worte auszusprechen und weshalb ließ ich die Tage verstreichen, ohne ein Geständnis zu machen, das ich im voraus gut aufgenommen wußte? Vielleicht lag in allem diesem ein wenig jener Albernheit, die den Männern eigen ist? Vielleicht war es mir ein geheimes Vergnügen, Miß Mary in der Erwartung eines Ereignisses zu lassen, dessen Vollziehung von mir abhing?

Ich war jedoch entschlossen, Venedig nicht zu verlassen, ohne die Gewißheit, die ich erhoffte, mitzunehmen, aber ich schob den Moment, Miß Mary mein Geständnis zu machen, bis zu dem Abend vor meiner Abreise auf. An jenem Abend wurde im Palast Alvenigo musiziert. Lady Herward war eine vollendete Mozartspielerin. Und während die Töne ihrer Lieblingssonate erklangen, führte ich Miß Mary in einen kleinen Salon nebenan, unter dem Vorwand, ihr ein altes venezianisches Glas zu zeigen, das Lady Ebbington nachmittags gekauft hatte. Dieses Glas befand sich in einer mit goldenen Chinesen bemalten roten Lackvitrine. Mary und ich standen nebeneinander davor. Ich war bewegt und sie verwirrt. Ich hätte nur ihre Hand zu nehmen brauchen, um sie an die Lippen zu führen. Sie würde verstanden haben.

Weshalb habe ich es nicht getan? Weshalb kam mir plötzlich der Gedanke, daß es besser wäre, an Miß Mary von unterwegs zu schreiben? Noch heute kann ich mir den Grund dieses überflüssigen Stimmungswechsels nicht erklären. War es eine unbewußte Schüchternheit, war es eine Wirkung jener Albernheit junger Leute, die ich schon erwähnte?

Sicher ist aber, daß ich am nächsten Morgen Venedig verließ, und Miß Mary nur noch in Gegenwart von Lady Ebbington, ihrer Mutter und ihrer Schwestern im Augenblick des Adieusagens sah. Kaum war ich in Rom angekommen, als ich dem jungen Mädchen einen Brief schrieb, in dem ich ihr meine Liebe gestand. Ich bekam keine Antwort. In Neapel wurde ich krank, und als ich nach Paris zurückkehrte erfuhr ich, daß Miß Mary sich mit dem Grafen Contarini verlobt hatte, der einer der eifrigsten Teilnehmer unserer Gondelfahrten und unserer Teenachmittage in der Guidecca gewesen war. Später hörte ich von Lady Ebbington, daß mein Brief aus Rom niemals an seine Adresse gelangt war.«

Herr de Mauléon schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:

»Viel Zeit ist seit all diesen Begebenheiten verstrichen. Ich habe gelebt, und ich bin gealtert. Ich habe kein Recht, mich über meine Existenz zu beklagen. Ich kann sogar sagen, daß ich glücklich gewesen bin, und doch hat meinem Leben etwas gefehlt. Ich habe nicht das geheimnisvolle Glück gekannt, das die Liebe eines jungen, reizenden Wesens gibt! – Ich habe nie eine andere Miß Mary wiedergefunden. Meine Lippen haben niemals den schönen, durchsichtigen und frischen Liebesbecher berührt, gleich jenem zarten Glase, das in der roten Vitrine stand, die ich soeben bei Carlozzi gekauft habe, denn es ist dieselbe, die einst den kleinen Salon des Palastes Alvenigo schmückte. Man hat sie vor fünf Jahren, nach dem Tode Lady Ebbingtons mit dem ganzen Mobiliar und den Sammlungen verkauft. Wem der Palast jetzt gehört, weiß ich nicht ...«

Der heisere, melancholische Schrei des Gondelfahrers unterbrach Herrn de Mauléon. Die Gondel verließ den Canale grande, um an der Ecke einer kleinen » rio« umzuwenden und in ihrem langen Schatten zu verschwinden.


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