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Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiter Besuch von Recke. Ein Antrag. Rückkehr nach Altautz. Besuch der Gräfin Kettler und ihres Sohnes. Wirkung dieses Besuches auf mich.

Nach einigen Tagen besuchte mein Vater Recke auf seiner alten Ritterburg und wurde von ihm mit Freuden aufgenommen und in seiner Wirtschaft umhergeführt. Mein Vater erklärte Recke für einen der besten Landwirte, die er kenne, und meine Stiefmutter dachte mit rührender Freude der glücklichen Tage, die sie als Schwiegertochter in diesem alten, durch hohe dicke Mauern ehrwürdigen Schlosse genossen hatte. Die ersten Tage der Liebe zwischen ihr und ihrem verstorbenen Manne wurden ihr gegenwärtig; sie erzählte mir viel von den herrlichen Spaziergängen um Neuenburg und bedauerte, daß meine Schwester noch zu jung sei, um den Schwiegersohn anzulocken. Diese versicherte, daß sie nie einen Mann heiraten würde, der den Haarzopf so hoch im Nacken trüge. Indessen wurde die Rückreise nach Altautz festgesetzt, und mein Vater unterhielt uns von der Freude der Gräfin, welche sie bei dem Gedanken empfände, daß ich ihre Schwiegertochter werden würde, falls ihr Sohn mir gefiele. Dann beschrieb mein Vater uns Essern als ein kleines Paradies, und ich wünschte herzlich, daß der junge Graf mir gefallen möge; denn der mögliche Fall, daß ich ihm nicht gefiele, kam meinem eitlen Kopfe gar nicht in den Sinn. Zwei Tage vor unserer Abreise erhielten wir zum Erstaunen meiner Eltern wieder einen Besuch von Recke und seinem Freunde Lieven, grade als wir nach Tisch Kaffee tranken. Nun war Recke minder schlecht, aber doch immer sehr sonderbar gekleidet. Er hatte zwar zwei steife Locken, aber der Haarzopf war sogar zum Ärger aller Stubenmädchen hoch im Nacken gebunden. Ein grünlederner, platter Hut deckte, als er angeritten kam, seinen Kopf. Das tuchene, eng am Leibe passende Kamisol war wie der Hut mit einer goldenen Tresse eingefaßt; schwarzsammetne Beinkleider und besser gemachte Halbstiefel, auch mit einer goldenen Tresse eingefaßt, und obendrein mit einer kleinen, goldenen Troddel, waren sein Putz, über den meine Geschwister sich im Stillen lustig machten und der auch mir bis auf ein blau grobleinwandenes Schnupftuch unangenehm auffiel. Meine Stiefmutter hingegen sah in dieser veränderten Toilette, daß Recke gefallen wollte, daß er noch zu erziehen sei und eine rüstige Figur habe, die viel Körperkraft verspricht und nie unter die eleganten, wohl aber unter die martialischen Schönheiten gerechnet werden könnte, wenn sein Äußeres Politur bekäme. Ich widersprach meiner Stiefmutter nun nicht, aber nie war mir das Äußere eines Menschen so zuwider gewesen. Taube und Medem aus Tittelmünde waren, gegen Recke gestellt, unparteiisch betrachtet, häßliche Männer, und doch verweilten meine Blicke auf ihren Gestalten und auf ihren ausdrucksvollen Gesichtern oft mit zutraulichem Vergnügen. Aber Recke konnte ich nicht ansehen, ohne mich zurückgeschreckt zu fühlen. Seine starke, doch nicht feste Stimme, sein oftes, aber laut und zitterndes Lachen war meinen Ohren so unangenehm als seine Figur und sein ganzes Wesen mir zuwider war. Die beständige Bewegung, in welcher dieser große, starke, doch zusammengedrängte Körper sich befand, machte immer einen höchst unangenehmen Eindruck auf mich. Doch fühlte ich, daß es nicht recht sei, mich durchs Äußere so gegen irgend jemand einnehmen zu lassen, und zwang mich, Recke zu unterhalten, sprach von seiner letzten Bärenhetze und hörte geduldig zu, als er die Heldentaten aller seiner verschiedenen Jagdhunde erzählte. Doch freute ich mich, als mein Vater mit dem Antrage kam, ob Recke nicht seinen Stall besehen und mit ihm ein Stündchen in der Wirtschaft umherreiten wolle. Recke nahm den Vorschlag an, und Lieven blieb bei uns; mir wurde wohler ums Herz, als der Neffe meiner Stiefmutter fort war. Lieven spazierte mit uns im Garten, fuhr mit uns auf dem See, die Unterhaltung stockte keine Minute, ich wußte nicht, daß Lieven von seinem Freunde beordert war, mich scharf zu beobachten und Erkundigung einzuziehen, ob ich auch den sanften Charakter habe, den mein Äußeres verspräche. Hätte ich so etwas ahnen können, ich wäre gewiß nicht so artig gegen Lieven gewesen. Nun aber beschrieb mich Lieven seinem Freunde als ein sanftes, äußerst unterhaltendes Geschöpf, das ihm durch alle Äußerungen gefallen habe. Die Erkundigungen des Kammerdieners waren auch zu meinem Lobe ausgefallen, denn in meinem väterlichen Hause liebte mich das Gesinde durchaus. Recke blieb auf die Bitte seiner Tante mit seinem Freunde die Nacht bei uns; an der Tafel saß Recke bei meiner Stiefmutter, Lieven bei mir.

Es wurden nur wirtschaftliche Gespräche geführt von zu ziehenden Gräben, anzulegenden Teichen, und einigen Vorteilen bei der Karpfenzucht. Meine Stiefmutter wollte beobachtet haben, daß Reckes feurige Augen noch glühendere Blicke bekommen hätten, sobald er mich angesehen habe. Ich konnte mich nicht enthalten, darauf zu antworten: »Gebe nur Gott, daß Kettler mir nicht so mißfalle als Recke!« Des anderen Morgens atmete ich freier, als unsere Gäste fort waren.

Den Tag vor unserer Abreise nach Altautz kam ein alter Nachbar von Recke, der auch unser guter Bekannter war, zu meinen Eltern, vertraute es diesen an, daß Recke sich ihm offenbart habe und sterblich in mich verliebt sei; daß mein erster Blick ihm sein ganzes Serail zuwider gemacht und den Vorsatz gegeben hat, um mich zu werben; daß er, der sich nie in das Joch der Ehe habe schmiegen wollen, seit er mich zum zweiten Male gesehen hat, ohne mich nicht mehr leben könne. Es sei, als wäre seine ganze Natur verändert; tiefsinnig säße er da und horche nur auf, wenn Lieven von mir spräche. – Mein Vater antwortete dem alten Herrn von Karp, er bedauere, daß er soeben mit der Kettlerschen Familie in Heiratstraktaten stünde, doch da der junge Graf und ich einander noch nicht gesehen hätten, so sei es möglich, daß wir uns nicht gefallen, und dann würde mein Vater sich freuen, wann ich ihm Recke zum Schwiegersohn gebe. Als mein Vater mir dies in Gegenwart meiner Stiefmutter sagte, stürzte ich zu den Füßen meiner Eltern und bat um Gotteswillen, sie möchten mir es doch erlauben, Igelströhm zu heiraten, falls Kettler mir nicht gefallen sollte. Ich wisse, ein Mädchen müsse heiraten, und Igelströhm sei ja auch sehr reich, den hielt' ich herrlich lieb, nur an Recke möge man niemals für mich denken. Auch wollt ich Rönne oder Grotthuß heiraten, welchen meine Eltern wollten, falls sie ihre Einwilligung dazu nicht geben, daß ich meinen guten, lieben, alten Igelströhm nehme. Meine Stiefmutter sagte mit einem ihr nicht gewöhnlichen Unwillen: »Niemand wird dich zwingen, Recke zu heiraten, aber ebensowenig können wir deiner albernen Grille nachgeben, einen so alten Mann zu heiraten. Alle Menschen würden mit Fingern auf uns weisen, daß wir schwach genug waren, einem Kinde Gehör zu geben, das sich an eine alte wandelnde Leiche binden lassen wollte. Nein! Da nimm denn lieber deinen Totenkopf Brinck, begrabe dich mit ihm achtzehn Meilen weit von uns, bis daß du, bloß von seinem Verstande genährt, selbst zur Leiche wirst. Es ist begreiflich, daß ein junges Mädchen sich in einen interessanten, jungen, kränklichen Mann verlieben kann, aber in einen Greis, das ist Unsinn!« – »Mutterchen, ich bin wahrhaftig in keinen verliebt! Am liebsten blieb' ich ungeheiratet!« So schloß sich das Gespräch, und ich war froh, als wir in den Wagen stiegen, um nach Altautz zu reisen. Remten war mir nun durch die Nähe von Neuenburg fatal; ich wünschte nur, daß Kettler mir besser, als Recke gefallen möchte, denn ich war entschlossen, Kettler auf diesen Fall aus Furcht vor Recke zu nehmen.

Acht Tage gingen hin, ehe die Gräfin mit ihrem Sohne kam. Mit nie empfundenen Schlägen pochte mein Herz, als der Wagen vorfuhr, in welchem die Gräfin mit ihrem Sohne saß. Hoffnung, Furcht und Erwartung regten sich in mir, als es uns angekündiget wurde, daß die Gräfin mit ihrem ganzen Gefolge komme, denn sie hatte gewissermaßen einen Hofstaat um sich. Zuerst fuhr der Wagen mit ihrem Gesellschaftsfräulein und Gesellschaftskavaliere vor, dann folgte der Kammerwagen, und endlich kam der Wagen, welcher den Mann einschloß, dem ich angehören sollte. Der junge Graf stieg zuerst aus, aber mir war so ängstlich ums Herz, daß ich nicht recht sah, nicht recht hörte, was um mich her geschah; nur als ich mich vom Arme der guten Gräfin umschlossen und liebevoll unter freudigen Ausrufungen ans Herz gedrückt fühlte und sie immer wiederholte, daß ich in dem Jahre recht gewachsen und noch schöner geworden sei, so suchte ich mich zu fassen, und allmählich verließ mich meine nie gefühlte Verlegenheit. Der erste Abend ging hin, ohne daß der Graf mir durch irgend etwas besonderes mißfallen oder gefallen hätte. Die Bemerkung war mir lieb, daß er wenigstens den widrigen Eindruck nicht auf mich gemacht hatte, der sich für Recke lebhaft in mir erhielt. Drei Dinge mißfielen mir am Grafen; er trug eine Perücke, hatte ein etwas ausgeschlagenes Gesicht und die Wiener Aussprache, die ich noch nie gehört hatte, denn die Aussprache seiner Mutter war durch ihren langen Aufenthalt in Kurland sanfter geworden, obzwar sie sich immer von der unsrigen noch sehr unterschied. Die Gräfin war eine geborene Wienerin, eine Gräfin Wallenstein; sie war Hof- und Kreuzdame bei Maria Theresia gewesen. Im ganzen hatte der Graf ein angenehmes Äußere; er war etwas unter mittler Größe, hatte einen feinen Wuchs, guten Anstand, ein hageres, bleiches Gesicht, die Form war gut. Schöne, blaue, große, sanfte Augen, schön gezeichnete schwarze Augenbrauen, eine gute Stirne, eine römische Nase, die für das Gesicht zu groß schien, ein gebogenes, aber hübsches Kinn, einen lieblichen Mund, seine Lippen, Wohlwollen und Gutmütigkeit im Ausdruck. – Meine Stiefmutter fragte mich, als wir den Abend allein waren, wie der Graf mir gefalle. Ich sagte, sein Äußeres mißfalle mir nicht, und ob sein Umgang angenehm sei, könne man nicht wissen. Meine Stiefmutter sagte, er tue entsetzlich vornehm, er habe sogar die Insolenz gehabt, ihr zu sagen, er freue sich, daß ich so hübsch und wohlerzogen sei, man würde mich ohne Scheu in Wien vorstellen können. Er sei entschlossen gewesen, mich zu heiraten, auch wenn ich ihm minder gefallen hätte, denn große Häuser heirateten oft aus Konvenienz; nun aber fühle er sich glücklich, da, wie es scheine, Neigung und Konvenienz bei ihm zusammentreffen würden. Meine Stiefmutter sagte, sie habe ihm darauf geantwortet, die Konvenienz meiner Eltern sei, mich glücklich zu verheiraten und meinem Herzen durchaus keinen Zwang anzutun, und es würde also noch ganz von mir abhängen, ob ich ihn selbst dann wählen würde, wenn die Traktate beider Familien unterschrieben wären. Nur die Achtung und Freundschaft, die man für seine Mutter habe, hätte meinen Vater vermocht, sich in diese Verbindung einzulassen, und meine Mutter hoffe, er würde sich mir und uns allen lieb und wert zu machen suchen. Auch mir mißfiel dieser stolze Ton des Grafen, aber der Gedanke, Wien zu sehen, wurde wieder eine Anlockung für mich. Des anderen Morgens frühstückten wir im Negligé bei einander, doch war der Graf schon angekleidet. In seiner Kleidung herrschte der einfache, englische Geschmack. Doch verriet er bald eine beinahe kindische Liebhaberei für Uhren aller Art, die uns auffiel und die seine Mutter liebevoll mit dem Scherze rügte, er habe wohl so viel Uhren angelegt, weil er es empfunden hätte, daß in unserem Hause Stunden zu Minuten würden; um auch den richtigeren Lauf der Zeit berechnen zu können, so nehme sie die eine Uhr von seinem Finger, die andere Uhr im Ringe sollte er ihrer Gesellschaftsdame, den Stock mit der Uhr ihrem Gesellschaftskavalier geben und sich an seinen Taschenuhren genügen. Mit vieler Artigkeit verschenkte der Graf die drei Uhren, so wie die Mutter es eingeteilt hatte, hielt vorzüglich der Uhr, die er der Mutter gab, einen Lobspruch, und obzwar der erste Anblick aller dieser Uhren auf meine Eltern und mich einen unangenehmen Eindruck gemacht hatte, so gewann der Graf durch seine kindische Gutmütigkeit, dadurch, daß er den lauten Tadel seiner Mutter so liebevoll ertragen hatte. Ich schenkte gerade in diesem Augenblick Tee und Kaffee ein, war bei dieser Szene blutrot geworden; dies bemerkte die Gräfin und überhäufte mich mit Liebkosungen, dann nahm sie den Krummkamm aus meinen langen, starken Haaren, flocht diese auseinander und ließ sie gleich einem Mantel über meinen Rücken fallen, streichelte darauf meine Hand sofort bis zum Ellenbogen hinauf; dann freute sie sich dessen, daß ich so rot wurde, drückte mich an ihr Herz und sagte: »Ja, du mußt meine Tochter werden, ich liebe dich so herzinnig!« – Der Graf sah mich mit Wohlgefallen an, aber sagte kein Wort; ich schlug die Augen beschämt nieder und schwieg. Meine Stiefmutter sagte darauf, daß sie mich nicht vor dem zwanzigsten Jahre verheiraten würde. Die Gräfin erwiderte, sie liebe mich zu sehr, als daß sie vor meinem achtzehnten Jahre die Hochzeit wünschen sollte, denn mein Körper müsse nicht durch frühe Heirat geschwächt und am vollen Wuchse gehindert werden; sie wolle eine gesunde Schwiegertochter und kraftvolle Enkel haben. Ihr Sohn wäre ja auch nur erst dreiundzwanzig Jahre alt. Noch könne auch er recht gut vier Jahre warten, aber dann ließe sie mich auch keine Stunde mehr in meinem väterlichen Hause, falls ihr Sohn das Glück hätte, mir zu gefallen.

Acht Tage blieb die Gräfin mit ihrem Sohne dort, täglich wurde mir die Mutter lieber; der Graf sagte oft scherzend, daß er über mich doppelt eifersüchtig werden könnte, denn auch die Gräfin zog mich beinahe ihrem Sohne vor. Oft hielt sie mich in ihrem Arme und sagte: »Und wenn ich das Mädchen selbst geboren hätte, so könnte sie mir nicht lieber sein.« Täglich wurde getanzt, Musik gemacht, und bisweilen spielten wir auch auf unserem Theater und tanzten dann pantomimische Ballette. Der Graf liebte die Musik leidenschaftlich und spielte die Baßgeige ganz artig. Er tanzte gut, aber nicht gerne, auch war ihm der Gedanke einmal entfallen, Männer vom ersten Rang müssen nie leidenschaftlich tanzen. Die Gräfin sah in meinem Tanz, in meinem Spiel auf dem Theater, kurz in allem, was ich tat und sagte, himmlische Anmut. Wenn wir untereinander tanzten, so setzte sich der junge Graf oft zu seiner Baßgeige und vermehrte die Musik. Spielte der Graf zu lange auf der Baßgeige, ohne mitzutanzen, so trat die Mutter zu ihm und sagte: »Du bekömmst mein Lottchen nicht, wenn du so den alten Mann machst! Komm, tanze mit mir einen Teutschentanz!« und im leichten, raschen Wirbel walzte die noch schöne Frau dann eine Viertelstunde mit ihrem Sohne umher.

Schnell entflohen diese acht Tage, und obzwar der Graf hie und da etwas sagte, das mir mißfiel, so vergaß ich das alles gleich, sobald ich um seine Mutter war. Vorzüglich plagte der Graf mich oft, daß ich Klavier spielen sollte, und bisweilen gab er mir sein Mißfallen zu erkennen, daß ich dies Talent so wenig übe. Im ganzen maßte er sich den Ton eines Herrschers an. Wenn die Mutter gegenwärtig war, nie, aber wenn wir jungen Leute unter uns waren und nur meinen Vater in unserer Mitte hatten, dann hofmeisterte er mich immer, und immer gab mein Vater ihm Recht. Wenn wir Schach miteinander spielten und weder seine, noch meine Mutter gegenwärtig waren, so spielte er auch den Herrn über mich, aber bisweilen sah er mich dann wieder mit einem schmelzenden Blicke der Liebe an, nahm meinen kleinen Finger zwischen seine Lippen, drückte meine Hand, schmiß alle Schachsteine untereinander, sah mich an, seufzte, sagte: »Ach, ich kann, ich mag nicht mit Ihnen Schach spielen!« Dann sprang er auf, lief zu seiner Baßgeige, präludierte, rief meine Schwester, daß sie ihm was vorspielen sollte, akkompagnierte und war nun ganz in seine Musik vertieft. – Ich begriff dies sonderbare Betragen nicht, hatte auch nicht das Herz, meiner Mutter dies zu sagen, denn ich fürchtete mich, daß sie auf den Grafen böse werden könne, daß er sich bisweilen so närrisch anstelle; denn oft sagte sie mir: »Der liebe künftige Herr Schwiegersohn ist noch ein ganzes Kind. Da waren mir doch Rönne und Grotthuß ein paar andere Männer; das mußt du mir doch eingestehen! Aber freilich, keine Esserschen Güter und kein Grafentitel war dort!« – »Liebes Mütterchen, der Graf ist noch jung, Sie können ihn noch ziehen, und dann, was ist seine Mutter für eine liebe, gute Frau!« – »Du heiratest den Sohn, nicht die Mutter!« – »Jawohl heirate ich die Mutter mit, denn ich werde bei der Mutter leben!« – Meine Stiefmutter lachte und sagte: »Du bist doch noch ein rechtes Kind!« – Sie hatte dies Gespräch mit einigen Abänderungen der Gräfin wieder erzählt, die in ihrer Seele über diese Äußerung zufrieden war. Ich sagte der Gräfin mit aller Wahrheit, daß, wenn ich ihren Sohn einst heiraten sollte, so würde dies gewiß mehrenteils nur darum geschehen, weil ich sie so lieb hätte und gerne immer bei ihr leben möchte. Sie drückte mich an ihre Brust und sagte: »Gehe, Kindskopf; daß du jetzt so denkst, ist natürlich, aber wärst du schon achtzehn Jahre alt und wäre dir dann die Mutter lieber, als der Sohn, so wüßt ich nicht, ob ich dich zu meiner Schwiegertochter wünschen sollte, so lieb du mir auch bist! Nur Geduld, ich werde auch schon die Freude haben, daß mein Sohn dir besser, als ich, gefallen wird. Aber er muß auch noch gehobelt werden, er hat noch manche scharfen Ecken!« – »O, machen Sie ihn, wie Sie sind, dann will ich ihn recht lieb halten!« – Es wurde gescherzt, gelacht, der Graf kam hinzu, die Mutter sagte es ihm in einem artigen Säftchen, daß ich sie lieber, als ihn, heiraten wolle. Der Graf suchte seinen Mißmut zu verbergen. Meine Stiefmutter neckte ihn über seine Perücke und versicherte, daß mir Perücken zuwider wären; die Gräfin sagte: »Die würde Franz gleich beiseite schaffen, wenn er es nur seiner Kopfschmerzen wegen dürfte.« – »Nein, nein, rief ich aus, die Perücke muß bleiben!« – Mit einem forschenden und zärtlichen Tone fragte er mich: »Hat denn wirklich meine Gesundheit für Sie Wert?« – »Sind Sie denn nicht der einzige Sohn meiner lieben Gräfin?« – »Wieder nur Sohn,« sagte er verdrießlich. Nun sagte die Mutter zu ihm: »Der Sohn ist schon eine schöne, sichere Brücke zu ihrem Herzen, suche du als solcher diesem Herzen näher zu kommen.«

Des anderen Tages reiste die Gräfin mit ihrem Sohne und dem ganzen Gefolge ab. Wir begleiteten die Gräfin bis auf unsere Grenze. Meine Stiefmutter, die Gräfin, der Graf, meine Schwester und ich saßen in einem Wagen. Der Graf saß zwischen meiner Schwester und mir; er schien bewegt, griff ein paarmal nach meiner Hand, ließ sie wieder los. – Die Mutter sah meine Stiefmutter an und fragte: »Darf ich meinem Sohne Lottchens Hand geben?« – Meine Stiefmutter sagte: »O ja!« Die Gräfin legte meine Hand in die ihres Sohnes; er nahm sie, drückte sie an sein Herz, sah mich zärtlich an; ich fühlte die heftigen Schläge seines Herzens nicht ohne Bewegung; er sagte stammelnd: »Hier, hier bleibt Ihr Bild haften! O wäre ich Ihnen doch mehr, als meiner Mutter einziger Sohn!« – Der Wagen hielt still, wir waren an unserer Grenze; mein Vater und meine Brüder stiegen von ihren Pferden. Wir nahmen von einander Abschied, die Gräfin küßte und herzte mich, sagte, sie würde ihren Sohn bald zu uns schicken; er sagte mit einigem Mißmute: »Wer weiß, ob ich allein auch willkommen sein würde?« Und so trennten wir uns.

Als wir zurückkamen, fühlte ich eine Leere, aber im Grunde sehnte ich mich mehr nach der Mutter, als nach dem Sohne. Doch war auch er mir durch die stärkeren Schlage seines Herzens, durch seinen zärtlichen Blick und die Worte werter geworden: »Hier, hier bleibt Ihr Bild haften! O, wäre ich Ihnen doch mehr, als meiner Mutter einziger Sohn!«


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