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Eine Schlittenfahrt. Sonderbare Bemerkungen vom Eindrucke eines schwarzsamtenen Oberrocks. Der alte Igelströhm wäre mir der liebste Gatte. Noch ein Gespräch mit Taube. Rückkehr aufs Land.
Schlittenfahrten im Pomp zu halten, ist auch eine unserer städtischen Vergnügungen. Die elegantesten Herren haben einen einspännigen Schlitten, stehen hinter diesem und fahren ihre Damen selbst. Auch sitzen bisweilen zwei Damen in einem Kasanschen zweispännigen Fuhrmannsschlitten, hinter welchem zwei Herren auf einem dazu bestimmten Brette stehen. Oft bildet sich ein Zug von fünfzig bis achtzig solcher Winterequipagen, die alle mit klingenden Schellen behangen sind. Der Vorderzug besteht in ein paar großen Schlitten, in welchen der Pauker und die Trompeter sitzen; andere blasende Instrumente machen den Beschluß. So zieht der fröhliche Troß ein paarmal durch alle Straßen, dann geht es fort eine halbe Stunde auf dem festgefrorenen Eise der breiten Aa; die Gesellschaft hält unter klingendem Spiele den Rückzug, Damen, Herren und Pferde sind im schönsten Winterschmucke, mehrenteils hat der Anführer dieses Vergnügens dann bei sich oder irgendwo Tee, Schokolade, Wein und allerlei Erfrischungen besorgt. Da bleibt die Gesellschaft dann noch ein Stündchen versammelt, falls nicht das ganze Fest mit einem Balle schließt. Ich hatte noch nie dies Vergnügen genossen; aber es auch nur aus dem Fenster zu sehen, war mir ein Fest. Grotthuß hoffte, durch seinen Einfluß meine Stiefmutter zu bestimmen, daß sie mit ihren Töchtern die Partie mitmachen würde, und erbat sich und seinem Neffen die Ehre, uns führen zu dürfen. Aber meine Stiefmutter liebte diese Schlittenfahrten nicht, weil sie behauptete, daß dies der Gesundheit sehr schädlich werden könne. Grotthußens Beredsamkeit fruchtete nichts, und als auch ich sagte, bequemer haben es wirklich auch diejenigen, die einen solchen Zug aus dem Fenster sehen, so versprach Grotthuß, daß in einigen Tagen die prächtigste Schlittenfahrt gehalten werden solle, die man seit lange gesehen.
Eine der schönsten Frauen, die ich in meinem Leben sah, war die Gemahlin des russischen Gesandten Simolin. Wenig Männer erblickten und sprachen diese reife, aber immerfort frisch blühende Schönheit, ohne die Macht ihrer Reize zu fühlen. Grotthuß hatte sich die Ehre erbeten, diese auch durch die Gabe der Unterhaltung interessante Frau im Schlitten zu fahren. Wie Grotthuß sich als Mann durch Anmut und Geschmack voller Eleganz vor allen anderen auszeichnete, so zeichnete sich auch die Simolin unter allen Damen aus. Jede suchte sie in der Art, sich zu kleiden, nachzuahmen, keiner stand alles, was sie anlegte, so gut als ihr. Diese Dame wurde nun von Grotthuß in einer Winterequipage geführt, die seinem Geschmacke Ehre machte. Schlittenpferd und Geschirr zeigten prachtvolle Eleganz. Das reizendste Weib saß in diesem Schlitten, ihre Schönheit war durch ihren Winterputz erhöht. Ein ponceau atlassener Leibpelz, reich mit Zobeln besetzt, umschloß den üppigsten Wuchs, dessen schönes Ebenmaß er nicht verbarg. Eine ponceau atlassene Zobelmütze mit einer hohen, schönen Reiherfeder stand ihrem blühenden Gesichte wohl. Eine reiche, volle Krause der schönsten Spitzen verdeckte zwar einen schönen Hals, aber umflatterte lieblich ein schönes rundes Kinn. Grotthuß stand in Schuh und Strümpfen hinter ihrem Schlitten. Ein neumodischer, schwarzsamtener Oberrock, mit weißem Atlas gefüttert, war seinem äußerst eleganten Wüchse sehr vorteilhaft. Sein feiner schwarzer Hut, hinten rund und mit weißen krausen Federn besetzt, verschönerte sein Gesicht, wie die Zobelmütze das Gesicht seiner schönen Dame. Schlittenpferd, Geschirr, Dame und Führer machten ein wahrhaft malerisches Ganzes aus, das alle Augen ergötzte und in mir nie empfundene Gefühle erregte. Zum ersten Male hörte ich mit Freuden den Ausruf meiner Stiefmutter: »Gott, wie schön ist Grotthuß! Ich möchte ein junges Mädchen und von ihm geliebt sein!« Die Art, mit welcher Grotthuß, als er unserem Fenster langsam vorbeifuhr, den Hut abnahm, diesen, indem er uns grüßte, schwenkte, dann wieder anmutsvoll aufsetzte, und lange und schmachtend nach mir sah, war so voll einnehmender Grazie, daß dies Bild in mir haften blieb, mein Herz unruhig bewegte. Wie lang schien mir die Zeit, ehe wir von ferne die Musik und den Schellenklang hörten, welcher immer einige Minuten vorher den fröhlichen Zug der Schlittenfahrenden ankündigte. Wie schlug mein Herz bei diesen herannahenden Tönen, wie verdoppelten sich diese Schläge bei Grotthußens Anblick! Mit schmachtender Sehnsucht richtete er seine Blicke auf mich, sah dem Fenster, wo ich stand, noch lange nach, und mit nie gefühlter Unruhe bemerkte ich es nun, daß er einnehmend schön sei. Mit ängstlicher Ungeduld erwartete ich den Rückzug dieser Prunkgesellschaft oder eigentlich nur ihren Anführer, aber als der blendende Zug unser Haus zum dritten Male vorbeifuhr, war Grotthuß mit seiner schönen Dame so in Gespräch vertieft, sein Gesicht war zu ihrem schönen, nach ihm hinaufsehenden Gesichte so freundlich hinübergesenkt, daß es mir wehe tat, denn er sah nun nicht zu uns herauf und schien in ein schönes Gespräch verwickelt. Mein junges Herz pochte auf eine mir unbegreifliche Art! Ich hätte in dem Schlitten sitzen mögen, um von Grotthuß so angesehen zu werden, und der Eindruck seiner Schönheit wirkte nun noch tiefer auf mich. Schwermutsvoll erschallten die Schellen der Schlittenfahrenden in meinen Ohren, als Grotthußens Schlitten aus meinen Augen verschwand; sein Bild blieb in meiner Seele zurück, und mit diesem eine nie gefühlte Unruhe.
Unleidlich drückend wurde mir die Zeit, bis der Abend lang kam, der ihn in unsere Gesellschaft zu führen Pflegte. Mit ängstlicher Sehnsucht erwartete ich ihn. Jedesmal, wenn die Haustüre klingelte, schlug mein Herz der Hoffnung unruhig entgegen: »er wird es sein!« Aber er kam diesmal später als gewöhnlich, und ich wußte nicht, was mir solch eine nie gefühlte Unruhe gab. Endlich klingelte es wieder, die Türe ging auf, und der schöne Mann in schwarzsamtenem Oberrock trat herein; ich entfernte mich auf einige Minuten, um meine Unruhe zu verbergen. Als ich wiederkam, saß er in malerischer Stellung neben meiner Stiefmutter. Ich hatte kaum das Herz, ihn anzusehen! Hätten meine Stiefmutter und er in dieser Stunde meinen Entschluß gefordert, mit Freuden wär ich sein geworden, sogar die Art, mit welcher seine schöne Hand aus der Dose meiner Stiefmutter Schnupftabak nahm, war mir äußerst gefällig, und die schönen, feinen Points, die von seiner Hand hinab auf den schwarzen Sammet seines Ärmels fielen, hatten auch etwas Reizendes für mich. Endlich zog er den so wohllassenden schwarzsamtenen Oberrock aus, stand nun in einem hellgrauen Kleide mit schmaler Broderie in schlanker Gestalt da, aber wie weggewischt aus meiner Seele waren alle die unruhigen Gefühle, die mich einige Stunden bestürmt hatten. Nun fragte ich mich: war mein Gefühl für Grotthuß an den schwarzsamtenen Oberrock geheftet? Gaben Schneider und Kaufmann ihm den Reiz, der mich einige Stunden beunruhigte? Ich schämte mich vor mir selbst, und ungerechterweise entstand in mir gegen diesen Mann ohne seine Veranlassung ein heimlicher Widerwille, aber ich verschloß diese Erfahrung sorgfältig in meinem Herzen, denn ich schämte mich vor mir selbst.
Ich habe diesen Gang meiner Gefühle hier so weitläufig auseinandergesetzt, um junge Personen darauf aufmerksam zu machen, daß die dunkel erweckten Gefühle der Sinnlichkeit nicht Liebe sind, wie junge Personen dies so oft glauben, und ebenso oft mit der Ruhe ihres Lebens bezahlen. So oft ich Grotthuß noch in der Folge in seinem wohllassenden schwarzsamtenen Oberrock sah, so gleichgültig war er mir nun; der Zauber war, ich weiß es selbst nicht, wie, vorüber, und nur Unwille über mich und ihn haftete an der Erinnerung dieses lebhaften Eindrucks, den sein Äußeres durch ein ihm wohllassendes Kleid auf mich gemacht hatte. Diese Erfahrungen meiner frühen Jugend schützten mich in der Folge des Lebens davor, daß niemand durch ein schönes Äußere auf mein Herz wirkte. Meine Augen sahen und sehen noch jetzt das Schöne unter allen Formen gerne; aber nur die Gestalt schwebte in der Folge meines Lebens meiner Seele mit süßen, schwärmerischen Gefühlen immer vor, die sich mir durch Geist und Edelsinn geheiliget hatte. Gemeint ist offenbar Dietrich von Holtei. Vergl. S. 362 Die äußere Hülle des Menschen gewann nur nach Maßgabe dessen bei mir einen Wert, daß durch sein inneres Verdienst mein Herz für ihn Wärme hätte. Einst fühlte meine Seele für einen Mann mit einer durchaus häßlichen Gestalt hohen Enthusiasmus Graf Geßler, ein schlesischer Grundbesitzer. Elisa liebte ihn eine Zeit lang so sehr, daß sie 1790 in ihrem Tagebuche schreibt: »Und G,– , der nun in meinem Herzen den Platz einnimmt, den mein unvergeßlicher Bruder hatte ...« C. Sein mit Nähten und Pockengruben überdecktes Gesicht hatte mir diese Häßlichkeit so geheiliget, daß ich auch an anderen Pockengruben mit Wohlgefallen sah.
Igelströhm besuchte uns bald nach dieser Schlittenfahrt, die Grotthuß ohne sein Verschulden in meinem Herzen so nachteilig geworden war. Ich freute mich immer, wenn ich diesen Wohltäter meiner Kindheit sah. Er sagte mir bei diesem Besuche, daß er sein ganzes Vermögen hingeben möchte und Tag und Nacht arbeiten wollte, wenn er sich das Vergnügen und das Recht erwerben könnte, mit Rönne und Grotthuß um meinen Besitz zu wetteifern. Ich sagte, so wahr, wie ich es auch im Innern meines Herzens fühlte, daß ich auch jetzt, wenn ich heiraten müßte, lieber meines väterlichen Freundes Lebensgefährtin werden möchte, als einem dieser schönen Herren angehören; aber daß ich mich um keinen Preis in der Welt von meinen Eltern und Geschwistern trennen wolle. Entzückt rief der Alte aus: »Himmlisches Wesen, wenn Sie mein werden wollen, so trenne ich Sie von Ihren Eltern und Geschwistern nicht.« – »Wie wäre das möglich?« – »Das schöne Gut Weitenfeld, welches nur eine halbe Meile von Altautz liegt, kaufe ich für Sie und lebe so mit meiner Tochter bei Ihnen auf Ihrem Gute, und wir alle machen dann nur eine Familie aus. Darf ich mit Ihren Eltern sprechen?« Dieser Vorschlag gefiel mir, und in Unbefangenheit meiner Seele sagte ich mit Freuden: »Wenn beide meine Eltern mit diesem Vorschlage zufrieden sind, so bin ich es recht sehr, denn ich werde es nie vergessen, daß Sie sich meiner gedrückten Kindheit so herzlich annahmen; ich will Sie auch bis ins späteste Alter mit treuer Sorgfalt pflegen. Selbst jetzt erlösen Sie mich durch diesen Vorschlag von einer drückenden Plage. Meine Großmutter und mein Vater wollen, daß ich Rönnen heiraten soll, meine Mutter wünscht sich Grotthußen zum Schwiegersohn, und bei Gott, wenn ich heiraten muß, so nehme ich doch viel lieber meinen guten, alten Papa Igelströhm, als diese Herren!« Die Freude, die Entzückungen des Greises vermag ich nicht zu beschreiben; er weinte, er lachte, seufzte, küßte meine Hände, sah gen Himmel und schwur, mein dauerndes Glück solle seine beste Lebensfreude sein. So eilte er zu meinem Vater, nur bat er mich, von dieser Sache nicht eher zu sprechen, als bis alles richtig wäre. Mehrere Gesellschaft kam, ich und mein alter Freund waren herzlich froh, ich hielt ihm redlich Wort und schwieg über das, was zwischen uns vorgefallen war. Mein Vater sagte mir, nachdem er eine Stunde allein mit Igelströhm gesprochen hatte: »Denkt deine Mutter wie ich, so wirst du meine liebe Nachbarin zu Weitenfeld, falls dies wirklich dein Wunsch und Wille ist!«
– »Ja, liebster, bester Vater, es ist gewiß mein Wunsch und Wille!« – »Nun, so sage deiner Mutter heute nichts, morgen beim Frühstück wollen wir alles abmachen; ich habe Igelströhm morgen um elf Uhr zu uns beschieden, um alles zu beendigen.«
– Ich fühlte mich durch diese unerwartete Wendung meines Schicksals unsäglich froh! Ungetrennt von meinen Eltern, als Gefährtin des Wohltäters meiner Kinderjahre zu leben, durch mein Betragen gegen meinen alten Mann die Bewunderung meines Vaterlandes auf mich zu ziehen, mit seinem Reichtume viel Gutes zu tun und mich und seine Tochter unter der Leitung meiner Stiefmutter zu vervollkommenen, waren mir lachende Bilder einer glücklichen Zukunft. Weitenfeld hatte zu der Zeit den schönsten Garten im Lande, und dieser Garten lockte mich auch an. Mit Sehnsucht erwartete ich den anderen Morgen; aber wie wurden meine schönen Träume beim Frühstück verweht! Meine Stiefmutter erklärte, sie könne ihre Einwilligung nicht geben, es wäre ein kindischer Einfall eines noch nicht vierzehnjährigen Mädchens, einen Greis von sechsundsiebzig Jahren ehelichen zu wollen. Aber als zwanzigjähriges Weib, wenn alle Triebe in mir zur Reife gekommen waren, würde ich meinen Eltern bittere Vorwürfe machen, daß sie einem kindischen Einfalle Gehör gegeben und mich an eine wandelnde Leiche gebunden hätten. Meine Gesundheit und meine Moralität könnte dabei zugrunde gehen, und wenn auch ich, wie Igelströhms verstorbene Frau, nach einigen Jahren auf der Bahre liegen würde, dann müßten meine Eltern sich ewige Vorwürfe machen. Ich versicherte, ich würde nicht, wie die Verstorbene, nur meinem Vergnügen leben, sondern meine Tage sollten bloß für meinen alten Freund, dessen Tochter, für meine Eltern, meine Geschwister und für ein paar Freundinnen dahinfließen. Meine Stiefmutter blieb aber fest, daß sie vor meinem zwanzigsten Jahre in diese Heirat nie willigen werde. Sie setzte hinzu: ein Weib könne in dieser Sache besser raten und entscheiden, als ein Mann; auch glaube sie nicht, daß der russische Minister Simolin sein schönes Gut Weitenfeld verkaufen würde; dies hätte der alte Geck nur so als Lockspeise für mich hingeworfen, um mich in der Falle zu fangen. – Noch vor der elften Stunde erschien mein alter Liebhaber; mein trauriges Gesicht sagte ihm noch früher, als der Mund meiner Stiefmutter, die abschlägige Antwort. In so manchem süßen Säftchen erhielt er von meiner Stiefmutter die Entscheidung, daß sie vor meinem zwanzigsten Jahre in diese Heirat nie willigen würde, auch müsse selbst dann Weitenfeld zuerst für mich gekauft sein. Igelströhm erwiderte: In acht Tagen sollte Weitenfeld mein werden, denn er habe schon unter der Hand mit Minister Simolin über diesen Kauf gesprochen, aber ehe ich mein zwanzigstes Jahr erreichte, könne schon Gras auf seinem Grabe wachsen. Als Igelströhm sah, daß meine Stiefmutter nicht zu erweichen war, reichte er mir die Hand und sagte bewegt: »Zu jeder Zeit werde ich diese Hand nach Ihnen mit diesen Anerbietungen ausstrecken, aber versprechen Sie mir es nun auch, daß Sie nur aus wahrer Liebe heiraten werden, wenn Sie einen anderen als mich wählen. Und will man Sie verkaufen, so behalte ich mir das nähere Geltungsrecht vor. Mein Vorsatz ist wenigstens der, aufrichtig für Ihr Glück zu sorgen.« Nicht ohne Schmerz sah ich den Mißmut meines alten Igelströhms; er reiste noch nämlichen Tages aufs Land zurück, versicherte mir beim Abschiede, daß er mich noch lieber als jemals hielte. Meine Stiefmutter erzählte gleich nach Igelströhms Abreise einigen ihrer vertrauten Freunde und Freundinnen, von welchem Abgrunde sie mich zurückgezogen habe; die Matronen lobten sie darum, die alten Männer sagten, diese Heirat hätte doch wohl recht gut ablaufen können, denn wenn ich nun auch meinen alten Freund zehn Jahre gepflegt hätte, so wäre ich doch eine so junge Witwe gewesen, daß dann erst das rechte reife Alter zur wahren Ehe eingetreten wäre. Meine Stiefmutter aber behauptete, der Teufel hätte aus der Eins eine Zwei machen können und mich vor Langerweile selbst auf die Bahre bringen. Taube, dem meine Stiefmutter diese Sache anvertraute, fragte, als er allein mit mir sprach, in einem halb scherzenden, halb ernsten Tone, ob ich denn im Ernste gegen Rönne und Grotthußen solch einen Widerwillen hätte, daß ich lieber meinen Urältervater als einen dieser schönen Männer heiraten wollte? Ich möchte ihm doch den Grund sagen, warum ich den alten Igelströhm diesen Männern vorziehe. Ich sagte ihm treu und wahr, bei Grotthußen könnte ich ihm nicht so ganz deutlich sagen, was mir mißfiele, aber es wäre so manches; auch hätte ich noch kein Gespräch von ihm gehört, woran ich, wenn er abwesend sei, mit Vergnügen denken könnte. Alles, was er sage, schimmere nur einen Augenblick, gleich einer schönen Seifenblase. Und dann müsse ich offenherzig gestehen, ich könne es ihm nicht recht verzeihen, daß er so vielen Weibern Liebe gelogen habe. Doch dürfe ich gegen Mama so etwas nie äußern, denn sie wolle Grotthußen sehr wohl und behaupte, grade weil ich das erste Weib sei, das Grotthuß gefesselt hat, so müsse dies meine Erkenntlichkeit umso reger machen, ihm bei mir einen höheren Wert geben, »Nun, was haben Sie dann gegen Rönne?« fragte Taube. – »Auch nichts Bestimmtes, und ich fürchte, Sie werden über mich lachen, wenn ich Ihnen sage, wie es da so bunt in meinem Kopf zugeht! Ach, am liebsten heiratete ich gar nicht, und wenn es geheiratet sein muß, so möchte ich, daß Mama mich Igelströhm heiraten ließe, ich wollte auch wahrhaftig recht treu und gewissenhaft sein Alter pflegen.« Taube lachte herzlich und sagte, so alt als Igelströhm könnte er nicht werden, aber er wolle sich ein Bein entzwei schlagen lassen, dann könnte ich ihn ja auch pflegen, aber zuvor möchte er doch wissen, was ich gegen Rönne einzuwenden habe. Ich sagte, im Anfange ärgerte es mich, daß alle Menschen geglaubt hätten, ich müsse mich in seine schöne Figur verlieben; ich wisse nicht, warum man mir nicht einen so gesetzten Sinn zutraue, daß Verdienst und Verstand bei mir größeren Wert habe? Rönne besitze zwar auch Verstand, aber es schiene mir doch, daß er sich für einen so schönen Mann hielte, daß er überzeugt sei, man könne ihm nicht widerstehen, und schon der ferne Gedanke beleidige meinen Stolz. »Schwester, Schwester,« sagte Taube, »da tun Sie Rönne Unrecht; wie ein armer Sünder steht er da, wenn sein Oheim mit Ihnen spricht!« – »Ja, weil Grotthuß auch ein schöner Mann ist; wäre Grotthuß mit einer alltäglichen Figur so ausgezeichnet klug, als er schön ist, Rönne würde dann nicht so in Sorgen sein. Auch hatten diese beiden Herren mich kaum zweimal gesehen – gleich waren sie mit ihrer Liebe da. Sie lieben nicht mich, sie lieben meine Larve. Mein alter Igelströhm liebt mich seit meiner Wiege, und er wünscht mich glücklich zu machen.« – »Schwester, aufrichtig: wen nehmen Sie lieber, Igelströhm oder Brinck, wenn dieser Ihren Besitz wünschte?« Ich wurde blutrot und sagte ganz bewegt: »Ach Taube, es bleibt unter uns; wenn Mama nicht immer sagte: Brinck ist kränklich, er wird seine Frau durch Hypochondrie quälen; er ist zu ihrem Schwiegersohne nicht reich genug, seine Güter liegen zu weit von den Gütern meiner Eltern! Ja dann, wenn nur seine Güter näher bei Altautz wären! Warum muß man denn reich sein? quälen wird Brinck gewiß niemand! Er ist so gut, so unterhaltend. Aber Taube, vergessen Sie das alles, und denken Sie nicht daran. Nicht der Schlippenbach, nicht Lisetten habe ich so viel gesagt!« Taube sah mich sehr bewegt und ernsthaft an, drückte meine Hand und sagte: »Schwester, das haben Sie nur mir gesagt, und ich, ich mußte es wissen; bauen Sie auf mich fürs Leben, ich bleibe gewiß Ihr treuer Freund!« Er ging fort, ich begriff da seinen feierlichen Ton nicht. Zwei Tage vergingen, ohne daß wir uns sahen; am dritten kam er wieder, nicht so munter und fröhlich, als er sonst zu sein pflegte. Er sagte, er sei unpaß gewesen und leide noch heftige Kopfschmerzen. Erst in der Folge des Lebens, nachdem er schon Familienvater war, erfuhr ich es, daß er mich leidenschaftlich geliebt, meinen Besitz gewünscht habe, daß er mich aber durchaus von meinem eigenen Herzen, nicht durch meine Stiefmutter zu erhalten gewünscht hat. Da er reich war, meine Stiefmutter ihm wohlwollte, so sei er überzeugt gewesen, meine Eltern würden diese Heirat wünschen, und ich würde als gute Tochter ihre Wünsche befolgen; auch wäre die Überzeugung sein gewesen, daß sein Umgang mir angenehm sei; aber das hätte ihm nicht genügt, er habe durchaus in meinem Herzen den Vorzug vor allen Männern haben wollen, weil er dann nur in der Folge der Geliebte zu werden gehofft hätte. Aus Furcht vor meinem Gehorsam habe er meinen Eltern nie seine Wünsche entdeckt, und oft mit seinen Eltern, die mich zur Schwiegertochter wünschten, einen harten Stand gehabt, wenn er diesen es abgeschlagen habe, um mich anzuhalten. Als ich seine Frage wegen Brinck so offen beantwortet hätte, wäre sein Herz schmerzhaft bewegt worden, seine Liebe zu mir sei da gestiegen, aber unerschütterlich fest habe er den Vorsatz gefaßt, sie zu besiegen und in allen Verhältnissen als mein Freund zu handeln. Treu hat dieser mir unvergeßliche Freund seinen edlen Vorsatz gehalten. –
Die letzte Zeit unseres Aufenthalts in Mitau schloß sich Taube mehr an Brinck an, schaffte mir so unvermerkt Gelegenheit, Brinck öfterer zu sprechen, und wo er Gelegenheit fand, suchte er Brinckens Wert bei meinen Eltern zu erheben. Brinck hielt meinen Eltern Wort und sprach von seiner Liebe nie zu mir. Nur kurz vor unserer Abreise sagte Brinck einmal, als ich zwischen ihm und Taube saß: »Was glauben Sie, Freund? wird unsere Freundin nicht am Ende den Wünschen ihrer Verwandten nachgeben und einen dieser schönen, liebenswerten Männer wählen?« – »Als Bruder sage ich: nein, gewiß nicht; auch wünsche ich meiner lieben Schwester die Kraft, nur ihrem Herzen zu folgen; dies wird gewiß einen verdienstvollen Mann wählen. Ich habe gegen Grotthuß und Rönne nichts, ich würde mich vielleicht, wenn ich ein Mädchen wäre, in beide verlieben, aber das ist nicht der Geschmack unserer lieben Nachbarin, die wird einst nur lieben. Aber wie?« Brinck sah mich mit einem Blick an, der mir noch gegenwärtig ist, sagte nichts, als mit sanft forschendem Tone das einzelne Wort: Lieben! Er seufzte, ich schwieg, auch Taube schlug die Blicke gedankenvoll nieder. Eine feierliche Stille herrschte unter uns. Wir verließen nach einer Weile unsere Plätze, aber dies war auch so ein Moment des Lebens, der sich in der Seele nie verwischt.
Bald nachher verließen wir Mitau, kehrten nach Altautz heim. So gern ich auch in Mitau war, so verleideten die unangenehmen Auftritte, die ich oft bei meiner Großmutter hatte, mir meinen Aufenthalt. Sie verlangte durchaus, daß meine Eltern mich zwingen sollten, Rönne oder Grotthuß zu wählen, und sie behauptete, Rönne passe besser zu meinen Jahren, und ein junges Mädchen sei verrückt, wenn ein junger, schöner, liebenswerter, reicher Mann ihr nicht gefalle. Meine Stiefmutter nahm sich freilich meiner an, aber meine Großmutter war äußerst heftig. Rönne selbst hatte flehentlich gebeten, es der Zeit zu überlassen, und nicht durch ungestümes Zureden mein Herz gegen ihn zu erbittern; aber dies reizte meine Großmutter, die an Widerspruch nicht gewohnt war, nur noch mehr gegen mich zum Zorne. Ich hatte keine gute Stunde, wenn ich bei ihr zum Besuch kam, und so segnete ich den Tag unserer Abreise.