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Etwas von meiner Wärterin. Ein ängstlicher Auftritt in der Familie. Eine Heirat. Auch mein Vater denkt mit dem Beifalle meiner Großmutter an eine dritte Heirat.
In meinem jungen Herzen und Köpfchen sah es sehr wunderlich aus. Keine nützliche Idee beschäftigte mich, aber desto mehr Eitelkeit, Unwille gegen Kleistens Familie und romanhafte Ideen wälzten sich in meinem noch nicht zwölfjährigen Kopfe. Mit Vergnügen trat ich immer ins Gesellschaftszimmer – das » qu'elle devient belle« der jungen Herren, und das »täglich wird sie schöner« der alten Matronen, war mir ein Genuß, an dem meine Eitelkeit sich weidete. Der freundliche Blick meiner Großmutter, die verstellte Freundlichkeit der Tante Kleist und ihrer Töchter, wenn dies in Gegenwart meiner Großmutter gesagt wurde, bewegte mich auf mancherlei Art und entschädigte mich durch Schadenfreude für den Schmerz, daß ich auf Tante Kleist ihre Veranlassung mehrenteils den ganzen Tag im hintersten Zimmer sitzen und immer etwas abschreiben mußte.
Meine gute Wärterin, die es bemerkte, daß der Spiegel mein Abgott wurde, sagte mir oft: meine verstorbene Mutter sei schöner als ich gewesen, habe sich aber nichts aus ihrer Schönheit gemacht; gut sein sei ihre beste Freude und Zierde gewesen. Eben diese Wärterin, der ich manchen guten Eindruck seit frühester Kindheit zu danken hatte, nährte meinen Hang zu Näschereien und gab meiner jungen Seele, die früh alle Familienintriguen kannte, noch mehr Nahrung zu romanhaften Ideen. – Ich bekam äußerst wenig zu essen, weil meine Großmutter mir einen schlanken Wuchs, eine seine Haut und blühende Gesichtsfarbe erhalten wollte. Meine Wärterin, die nun mein Ankleidemädchen war, hatte immer, wenn sie mich zur Abendruhe gebracht hatte, Wurst, Schinken, saure Gurken, aus dem Salze gekochte Erbsen, gesalzen Rindfleisch in Bereitschaft, dazu ein großes Stück unsres vaterländischen, schwarz-sauren Brotes, und so konnte ich im Verborgenen meinen Geschmack und Hunger befriedigen; aber Geist und Körper hätten leicht auf diesem Wege ganz zugrunde gerichtet werden können.
Meine Wärterin war eine Leibeigene und hatte einen deutschen Jäger zum Liebhaber, sie konnte nicht schreiben, wollte aber dennoch mit ihm einen Briefwechsel unterhalten. Mich noch nicht zwölfjähriges Kind machte dies sonst so gute Mädchen zu ihrer Vertrauten und bat mich, ihr die Briefe ihres Geliebten, der eine schöne Hand schrieb, vorzulesen und für sie die Antworten zu schreiben. Ich konnte nur mit Mühe lesen und so auch schreiben, – auch war ich den ganzen Tag so beobachtet, daß ich keiner Minute Herr war. Ich und Großschwester schliefen im Zimmer meiner Großmutter: im Nebenzimmer war meine Wärterin die einzige Person, die dort schlief. Die Türe des Zimmers stand immer offen, weil die Nachtlampe im Zimmer meiner Wärterin stand. Diese machte also den Plan, daß sie, wenn sie meine Großmutter, die einen sehr festen Schlaf hatte, schnarchen hören würde, leise an mein Bette kommen, mich wecken und nach ihrem Zimmer führen wolle; dort sollte ich Tinte, Feder und Papier finden, und dann würde sie mir die Briefe diktieren. Großschwester hatte auch einen sehr festen Schlaf, das war zur Absicht meiner Wärterin nötig. Aber die Festigkeit meines Schlafes übertraf alles, und dies war keine geringe Furcht meiner Wärterin; doch ich versprach, meine Liebe zu ihr sollte Herr meines Schlafes werden; auch wollte ich mich, wenn wir ertappt würden, gerne strafen lassen und so lange alles leugnen, bis meine Handschrift gegen mich zeugen würde. Zu der Absicht hatte meine Wärterin immer einen Topf mit saurer Milch neben sich, – der, wenn wir wären ertappt worden, als Veranlassung dessen dargestellt werden sollte, daß ich mein Bett verlassen hatte. So glaubte die gute Sappe Lettische Form des Namens Sophie. C das Geheimnis ihrer Liebe im ärgsten Falle vor Entdeckung gesichert zu haben. Auf harte Strafe waren wir beide auch in diesem Fall gefaßt. Nach der Mitternachtsstunde trat die Wärterin an mein Bette. Ihre leiseste Stimme, das Berühren ihrer Hand machte mich, meinem Versprechen gemäß, sogleich wach. Liebe zu meiner Sappe gab mir Mut, Vorsicht und Wachsamkeit. Ohne Zufall kam ich in das Zimmer meiner Wärterin; dort stand offenbar der Milchtopf; aus einem heimlichen Winkel zog sie den Brief ihres Geliebten und die Schreibmaterialien hervor. Nun ging es mühevoll ans Lesen und Schreiben. Mein erster Versuch dauerte volle drei Stunden. Als der Brief versiegelt, die Aufschrift gemacht war, aß ich in Ruhe die Milch und schlich zu meinem Bette. – Ein volles Jahr verwaltete ich so das Amt des geheimen Sekretärs, ohne daß es entdeckt wurde. Wie dies alles mich nicht an Leib und Seele verdorben hat, begreife ich auch jetzt noch kaum. Daß ich durch diesen Schritt für meine Sappe nichts Böses, sondern etwas Gutes tat, glaubte ich gewiß; denn im Herzen schalt ich meine Großmutter eine Tyrannin, daß sie diese Heirat nicht zugeben wollte: und mein klein-stolzes Herz freute sich sogar dessen, daß ich mich aus Liebe für meine Wärterin einer gewiß harten Behandlung aussetzte, falls diese Intrigue entdeckt würde.
Gerade in dieser Epoche fiel eine Familienszene vor, die einen sehr lebhaften Eindruck auf meine junge Seele machte. Mein geliebter Mutterbruder aus Nerft wollte zur zweiten Ehe schreiten; er liebte ein armes, aber sehr wohlerzogenes und liebenswürdiges Mädchen, ein Fräulein von Hahn aus Podhaitschen. Meine Großmutter aber hatte den Wunsch gehabt, daß er ihre geliebte Constanzia Kleist heiraten möchte. Mein Oheim schützte die Nähe der Blutsverwandtschaft vor, – mein Vater hatte bei einem ähnlichen Antrage das nämliche getan, – und nun wurde der Enkel Korff dem schönen Constanzchen Kleist bestimmt, und meine Großmutter äußerte den Wunsch, daß mein Mutterbruder die reiche, durch ihren Verstand so berühmte, verwitwete Oberstin von der Recke heiraten möchte. Mein Oheim weigerte sich dessen und sagte, daß er als reicher Mann und dreiundvierzigjähriger Witwer keine fünfzigjährige Frau haben wolle, vorzüglich da er Fräulein Hahn liebe und auch ihrer Gegenliebe gewiß sei. Meine Großmutter suchte zuerst durch liebevolle Vorstellungen meinen Oheim von dieser Heirat abzuhalten; da er aber unwankend blieb, – so sprang meine Großmutter von ihrem Sitze auf, trat ans Fenster, zeigte ihrem Sohne ein am Himmel aufsteigendes Gewitter und sagte mit fürchterlicher Majestät und donnernder Stimme: »Fritz! du bist mein Liebling! Willst du aber das verdammte Hahnengekräh in meine Familie bringen, so bitte ich Gott, daß er dich durch dies aufsteigende Donnerwetter tot zu meinen Füßen niederstürzen möge; und wenn Gottes Rache dich nicht gleich tritt, nun so verfluche ich alle Kinder, die aus dieser Ehe kommen!« – Der Wagen meines Oheims stand eben vor der Türe, denn er war im Begriff, nach Hause zu reisen. Mit Unwillen, doch zärtlicher Ehrfurcht, ergriff dieser sehr schöne, lange Mann die Hand seiner noch im Alter schönen Mutter und sagte bittend: »Mutter, Mutter, nehmen Sie Ihren harten Fluch zurück!« – »Nein,« erwiderte sie mit lauter Stimme, »Gott! höre du auf das Flehen der beleidigtsten Mutter! Gibt seine Seele diese verhaßte Liebe nicht auf, so treffe der aufsteigende Donner ihn, und ist deine Huld zu langmutsvoll, um den widerspenstigen Sohn sogleich zu strafen, so züchtige ihn in den Kindeskindern, die aus dieser verfluchten Ehe kommen!« – Mein Oheim ließ die Hand meiner Großmutter los, machte ein Gesicht voll Würde und sagte: »Gott! du bist gerecht! Du wirst nicht als Worte achten, die von erzürnten Lippen kamen. Bin ich strafbar, so treffe mich dein Donner! segne aber die Kinder, die meine künftige Frau mir gibt. Der Segen ihrer frommen Eltern wird meine Ehe beglücken.« – Nun stieß meine Großmutter noch fürchterlichere Flüche aus. Mein Oheim sah seine Mutter mit feurigem Ernste an, sagte dann: »Soll diese Nacht die letzte sein in diesem Jammertal, so führ mich, Herr, zum Himmel ein, zur auserwählten Schar! Es geht fort nach Podhaitschen zur Hochzeit, falls dies aufsteigende Gewitter mich nicht durch den Fluch meiner Mutter trifft.« – So stieg mein Oheim in den Wagen, – es donnerte fürchterlich – er rief seinem Kutscher zu: »Fahr schnell, es geht zur Hochzeit nach Podhaitschen!«
Mein Oheim heiratete seine Geliebte. Über ein Jahr verging, ehe er durch Vermittelung der Oberstin von der Recke vor meiner Großmutter erscheinen und ihr seine Frau vorstellen durfte.
Nun suchte meine Großmutter, meinen Vater dahin zu bestimmen, die reiche Frau von der Recke zu heiraten. Mein Vater war auch wenigstens sieben Jahre jünger, als sie, aber ihr Verstand hatte ihn angezogen, und er warb um ihre Hand. Mich freute die Aussicht, wieder eine Mutter zu bekommen, und wenn die Oberstin von der Recke wieder bei meiner Großmutter war, so schmiegte ich mich sehr an sie an und bemerkte mit Freuden, daß sie Wohlgefallen an mir hatte.