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Ne perenni cremer igni

Also ist aus dem koningk ein monstrum und schouwspel geworden.

Zeitgenössischer Bericht.

Zu bemerken aber ist, daß dieser Einzug des Bischofs wegen der von den zahllosen Kadavern drohenden Ansteckungsgefahr erst nach vier Tagen stattfindet, und daß in dieser Zeit Münster so ziemlich alles über sich ergehen lassen muß, was nach langer und verlustreicher Belagerung damals das Los so ziemlich jeder eroberten Stadt war: Haussuchungen, Denunziationen, Mord im Überfluß und nicht zuletzt eine recht ausgiebige Plünderung.

›Es werden noch täglich gefunden und erstochen‹, schreibt nach Frankfurt Holtzhausen, und so manchen Wiedertäufer, der sich tagelang auf dem Dachboden und im Keller versteckt hat, treibt allmählich Hunger und peinigender Durst ans Tageslicht und somit auch in die Spieße und Hellebarden der mordenden Soldateska. Wer solchen Dingen fernsteht, mag die Stirn runzeln. Wer die Zeitumstände berücksichtigt und jemals ähnliche Stunden erlebte, der berücksichtigt ja wohl, daß ein Heer ein Massenwesen ist und nach verlustreichem Straßenkampf nur zu leicht die Anspannung seiner Nerven abreagiert. Immerhin ...

›Die gewunnen statt was erschröcklich anzusehen / in allen gassen lagen tödten / das weyber geschrey schallt auf allen orten. Es lagen in vielen heusern die von hunger gestorbenen noch auff einander unbegraben. Und ist ein übler großer gestank und sonst vil ander unlust in der statt und ein jemmerlich wesen.‹ Was wahrlich kein Wunder ist, da nun fleißig verhaftet, hingerichtet und geplündert wird, und da man sofort, um einigermaßen die hohen Kosten der Belagerung wieder einzubringen, nicht nur die bewegliche Habe, sondern auch das unbewegliche Gut der Täufer einzieht und so den spärlichen Überlebenden alles ... aber auch alles nimmt.

Ihr Hausrat zumal, den die Landsknechte sofort aus den Häusern gerissen haben, zerstreut sich hinterher in alle Winde, und in den allerentferntesten Winkeln des Reiches, selbst in süddeutschen Ganthallen und Trödelbuden erscheinen während der nächsten Monate Sachen, die einmal in den winkligen Häusern von Münster gestanden haben. Übrigens entspricht die Beute, die vertragsmäßig zwischen dem Bischof als dem Kriegsherrn und den Landsknechten geteilt werden soll, in keiner Weise den wohl etwas zu hoch gespannten Erwartungen. In den Laufgräben vor der Stadt, da sprach man wohl von fabelhaften Goldschätzen, die im Rathaus aufgehäuft sein sollten – man hat Schulden gemacht in Erwartung dieser sagenhaften Schätze und ist nun einigermaßen enttäuscht, als man nicht einmal den zehnten Teil vom Erhofften vorfindet. Ganz rabiat aber werden die Landsknechte, als einer von ihnen, der längere Zeit Gefangener der Täufer gewesen ist, ihnen in der Trunkenheit klarmacht, er habe im Rathaus seinerzeit viel mehr gesehen und nun sei es natürlich von des Bischofs Beutemeistern unterschlagen und der Teilung entzogen worden. ›Do begunten die landsknecht tho rasen‹ und bedrohen selbst Wilkin Steding so, daß er aus der Stadt fliehen muß. Und fünfzig von ihnen brechen gar mit Gewalt in die Stadtkämmerei, wo der Goldschatz aufbewahrt wird, und werden dabei erwischt und büßen's schwer. Sieben werden hingerichtet, der Rest im Hemd aus der Stadt getrieben.

Was die Laune der übrigen natürlich nicht gerade bessert. Da sie sich allenthalben betrogen glauben, so bedrohen sie ständig ihre Offiziere, bemächtigen sich der Beutemeister und legen, um das Versteck des vorenthaltenen Goldes zu erfahren, zwei von ihnen gar auf die Folter.

Was die ersehnten Schätze leider auch nicht herbeischafft. Als sie zu randalieren fortfahren und sogar ganz Münster anzünden wollen, müssen sie mit mehr oder minder sanfter Gewalt entwaffnet und aus der Stadt getrieben werden. Sechzehn Gulden beträgt der ganze Gewinst, der sich für jeden von ihnen aus der Beute errechnet. Wirich von Dhaun hat übrigens bei dem ganzen Handel, da er nach eigenem brieflichen Bekenntnis ›gern mit gantzer haut slaffen geht‹, ein Auge zugedrückt. Der Bischof behält von dem unruhigen und verwilderten Heer schließlich nur zwei Kompanien unter den Fahnen und läßt zur besseren Beherrschung dieser unberechenbaren Stadt innerhalb der Mauern zwei Forts errichten.

Denn in einer soeben eroberten Stadt, in der man nach zwei Jahren eines heillosen Chaos Ordnung schaffen muß, gibt es natürlich allerhand zu tun für die Staatsautorität, und zu tun gibt es, wie es in der ersten Zeit auch nicht anders sein kann, leider auch für Henker und Profosen. Da sind nun vor allem, nachdem man ihnen die Männer totgeschlagen hat, diese rabiaten Täufermegären, die, wie der Bischof in diesen Tagen seinen Bundesgenossen schreibt, ›tettig und zum teil tettiger sind / als die mans personen‹, und die nun, soweit sie nicht widerrufen Der Bischof hatte sie, als er wieder in der Stadt war, zu sich rufen lassen, hatte ihnen ihre Verirrungen vorgehalten und ihre förmliche Abkehr gefordert. Der Aufforderung kamen nur wenige nach, da die meisten Armut und Verbannung der verlangten Buße vorzogen. Viele sind nach Holland ausgewandert, einige scheinen nach England und gar nach Amerika verschlagen zu sein.
Der Kommission, die den Verkauf ihrer konfiszierten Güter leiten sollte, gehörten unter anderen Johann von Merfeld, die beiden neu ernannten Bürgermeister von Münster und Coesfeld sowie der uns aus der ominösen Februarnacht 1534 bekannte Rotger Schmising an.
wollen, mit Gewalt aus der Stadt entfernt werden müssen ...

Da sind vor allem schwere und vordringliche Fälle. Da ist, nachdem die andern königlichen Damen ja wirklich entkommen zu sein scheinen, die schöne Königin Divara, da ist Knipperdollings Weib, da ist des toten Tilbecks Schwester und eine Reihe von andern fanatischen Weibern, die man um der eigenen Sicherheit willen nun wirklich nicht begnadigen kann und die in den ersten Julitagen hingerichtet werden ... da sitzen vor allem nun auch noch in festem Gewahrsam die drei armen Sünder, die einst in diesem närrischen Zion König, Statthalter und Königslieutenant waren und nun wieder Bockelson und Knipperdolling und Krechting Bernt heißen und die doch, weil man zuvor aus ihrem Munde noch viel Wissenswertes hören muß, als allerletzte im langen münsterischen Todesreigen tanzen sollen ...

Denn vorerst ist anderes zu tun, und viel Sorgen lasten vom ersten Tag an auf diesem Bischof, dem die Täufer in ihrem Grimme, wie vielleicht noch erinnerlich, ›ein Haarseil durch den Hintern ziehn‹ wollten, und der doch im Grunde ein weicher, ein etwas bequemer und vielleicht gar mit dem Protestantismus ein wenig kokettierender Grandseigneur war. Schwer lasten auf ihm fortan die Schulden, die er um dieser närrischen Stadt willen hat machen müssen, schwer auch alle die Aufgaben, die sich aus der Neuordnung der Dinge ergeben. Da ist zum Beispiel dieses Überwasserkloster, das Franz von Waldeck, weil seine Insassinnen ja ›nach unkeuschen Kerls rasten‹, nicht wieder erstanden wissen will, obwohl es doch ein Refugium für westfälische Edelfrauen ist und die ganze Ritterschaft gegen den bischöflichen Entschluß protestiert ... da sind die Emigranten, die wieder zu dem Ihren kommen wollen, da sind die vertriebenen Kleriker, die kein Obdach haben, die Pfründener und die Rentner, denen man doch alle Schuldbriefe und geschriebenen Rechtstitel verbrannt hat ...

Der Reichstag, der vier Monate nach der Eroberung der Stadt abermals in Worms zusammentritt, regelt die Fragen recht radikal. Der Erzbischof von Köln und der fanatisch katholische klevische Herzog sorgen dafür, daß sie den tief verschuldeten Franz von Waldeck, der ihnen viel zu tolerant und viel zu lässig verfahren ist, wirtschaftlich in der Hand behalten. Im übrigen werden alle Emigranten, die je mit dem Täufertum kokettiert oder es gar unterstützt haben, enteignet und alle, die treu geblieben sind – Grundeigentümer, Kleriker, Rentner – in ihre alten Rechte wieder eingesetzt: eine Kommission mag in Zweifelsfällen entscheiden, wer als Verräter und wer untadelig aus diesem Handel hervorgegangen ist. Und der Protestantismus? Die Reichsstädte, Philipp von Hessen und Kursachsen legen für ihn mehr als ein gutes Wort ein, der Reichstag aber geht über alle Proteste hinweg. Der Protestantismus hat, das ist die Meinung der katholischen Majorität, in seinen allerletzten Auswirkungen alle diese schrecklichen Verirrungen verschuldet, es ist mithin für ihn in Münster bis auf weiteres kein Platz. Täuscht nicht alles, so hat es bis zum Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts in Münster keinen protestantischen Gottesdienst gegeben. Der Tag der Befreiung von der Täuferherrschaft aber wird wohl noch heute feierlich im Dom begangen.

Das alles aber wird erst im November verhandelt und entschieden werden, und vordringlich haben wir es ja wohl zunächst mit den drei Rädelsführern zu tun, die nun so jäh Zions Herrlichkeit versinken sahen und die vor unseren Augen in jener Blutnacht so plötzlich verschwanden. Was Knipperdolling angeht, so dürfen wir wohl annehmen, daß er nach dem Zeugnis fast aller zeitgenössischen Berichte am Endkampf auf dem Markte teilgenommen hat, und wir werden sehr bald sehen, wie sein weiteres Schicksal sich gestaltete. Was aber diesen König angeht, der sein Gottesgnadentum und seine göttliche Sendung so oft betont hatte, so durfte von ihm ja wohl nun auch die Bewährung seiner Königswürde, der Kampf bis aufs Messer, der Abgang mit Donner und Blitz erwartet werden, da doch nun einmal, um es auch bei dieser Gelegenheit festzustellen, erst die unmittelbare Gefahr und die Todesnähe erweisen, ob ein Gekrönter ein wirklicher König oder nur der zufällige Träger eines Krone genannten Goldreifes ist ...

Was wir von diesem Abgang aus den Aufzeichnungen des – später als Küster am Münsterer Dom geendeten – Landsknechtes Röchell erfahren, ist eigentlich niederschmetternd und klärt schon jetzt alle Zweifel, die über den wirklichen Charakter dieses von der Geschichtsschreibung so oft und so liebevoll entschuldigten Mannes noch obwalten könnten. Da also flüchtet sich mit der Hellebarde in der Hand – wahrscheinlich um die Zeit, da das Einrücken des feindlichen Gros sich bemerkbar machte – Bockelson in seinen verlassenen Palast und wird von Röchell verfolgt. Der König retiriert in eine im Obergeschoß gelegene Kammer und wirft hinter sich die Tür zu, der Landsknecht aber rennt wie ein Berserker diese Tür ein, rennt mitten ins Zimmer, übersieht es zunächst, daß hinter ihm der König, der sich im ersten Augenblick hinter der aufgesprungenen Tür verborgen hat, entwischt.

Vom Obergeschoß nach unten führt eine enge gotische Wendeltreppe, und hier, in der Todesangst, wirft Bockelson seine Hellebarde hinter sich, versperrt damit dem Landsknecht den Weg, entwischt, von Röchell verfolgt, mit einigem Vorsprung über den Ägidikirchhof nach dem gleichnamigen Tor, wo er sich abermals versteckt. Hier aber wird er gefangengenommen Tagelang hatte man ihn vergeblich, wie Rothmann, unter den Gefallenen gesucht und dann Viertel auf Viertel der hermetisch abgesperrten Stadt nach ihm durchforscht. Er hatte sich, vom Kampf gänzlich erschöpft, im Hause der Frau Katharina Hobbels versteckt, die dann nach Tagen den kompromittierenden Gast an die Truppenführung verriet. Angeblich hat sie Sicherheit für Leben und Besitz mit diesem Verrat erkauft.. Ein Gewährsmann berichtet von dieser Gefangennahme, es habe Bockelson dabei, wohl etwas großmäulig und wohl gar unter Berufung auf die gesalbte Heiligkeit seiner Person, die Landsknechte davor gewarnt, Hand an ihn zu legen. Als man seiner sich trotzdem bemächtigt, liefern die Knechte ihn zunächst an Herrn Wirich von Dhaun aus, dem er aber sehr bald, wie der Feldhauptmann klagt, von den Stedingschen Truppen ›wieder abgerungen wird‹. Woraus übrigens ja wohl hervorgeht, daß man ihn von vornherein wie ein seltenes Menagerietier als Schauobjekt betrachtete.

Rund einen Monat sitzen die drei Gefangenen Bockelson, Knipperdolling und der gleichfalls dingfest gemachte ›Königslieutenant‹ Bernhard Krechting in münsterischem Gewahrsam, und fast scheint es, als habe man sie mit den Einzelheiten jenes Strafgerichtes, das in diesen Tagen auf ihr Königreich niederging, nicht vertraut gemacht Aus dem weiter unten behandelten Gespräch, das später die beiden hessischen Prediger Corvinus und Kymäus mit Bockelson kurz vor dessen Tode im Januar 1536 führten, geht wohl hervor, daß Bockelson scheinbar selbst damals noch nicht einmal um die doch bereits im Juli, also vor rund sechs Monaten, erfolgte Hinrichtung der Divara gewußt hat.. Den gefangenen König persönlich aufzusuchen, läßt der Bischof sich freilich nicht nehmen, trägt aber von diesem Besuch im Kotter keineswegs angenehme Eindrücke heim, da der vom Thron gefallene Schneider allen Wert darauf legt, durchaus als ein nur durch mißliche Zufälligkeiten am Regieren behinderter Souverän behandelt zu werden, der Waldeck es aber aus seiner bischöflichen und reichsfürstlichen Perspektive nicht über sich gewinnt, in ihm mehr als eben einen politischen Gangster zu sehen. ›Bist du ein König?‹ fragt, wohl mehr erstaunt als hochmütig in diesem Aspekt der Bischof, und ›Bist du ein Bischof?‹ fragt prompt das ehemalige Mitglied des Leydener Rhetorikerklubs zurück. Eine nähere Aussprache, die die beiden Herren diesem strittigen Thema widmen, ergibt, daß Se. Gnaden nur durch Kaiser und Papst, Se. Majestät aber durch Gott persönlich und durch seine Propheten bestellt worden ist, und als der Bischof ihm die ungeheuerlichen, dem Lande durch die münsterischen Wirren erwachsenen Kosten vorhält, hört er aus des Königs Munde den Bescheid, er, Bockelson, wolle ihn wieder reich machen ... der Bischof brauche ihn ja nur in einem eisernen Käfig als Schaustück durch die Lande fahren und Eintrittsgeld erheben zu lassen. Wer mit den psychologischen und soziologischen Voraussetzungen solch zündender Worte nicht vertraut ist, wird die damit verbundene Zungenfertigkeit bestaunen. Was dahinter sich verbirgt, ist aber nicht jene stolze Todesverachtung, mit der vor dem Revolutionstribunal Marie Antoinette den Jakobiner Hébert abfertigte, es ist auch nicht jener die beamtete Mittelmäßigkeit verspottende Hochmut, mit dem vor dem gleichen Forum der angeklagte und todgeweihte Danton dem protokollierenden und nach seinem Namen fragenden Geschichtsschreiber antwortete: ›Danton, ein Name, der in der Revolutionsgeschichte ziemlich bekannt geworden ist.‹

Es ist heute, bei genügend zeitlichem Abstand von der Hinrichtung, ein bißchen Zynismus und ein gutes Stück Unverschämtheit. Wer jemals gefangene Bravos oder gar politische Unterweltler verhört hat, weiß Bescheid und wird mir recht geben.

Dem Wunsch aber, als Schauobjekt durch die Lande geführt zu werden, soll nun baldige Erfüllung winken. In Neuß, wo im Juli die Alliierten tagen, haben Köln und Kleve, als die unversöhnlichsten unter Münsters ehemaligen Gegnern, die baldige Überführung der drei Gefangenen an einen sicheren Ort und ihre sofortige Vernehmung verlangt, und am 22. Juli werden sie in Erfüllung dieser Forderung nach Dülmen geschafft. Und zwar unter Umständen, die Bockelsons oben angedeutetem Wunsche durchaus entgegenkommen. Der zeitgenössische Bericht, man habe ihn an den Schwanz eines Pferdes gebunden und dieses in beständigem Trab erhalten, mag, obwohl solch Verfahren den Gepflogenheiten der Zeit durchaus entsprochen hätte, übertreiben – sicherer erscheint, daß man ihnen die eigens zu diesem Zwecke geschmiedeten Halseisen anlegte und sie an Leitseilen wie Jagdhunde davonführte. Übrigens jeden für sich, da der Bischof angeordnet hatte, daß sie miteinander nicht sprechen dürften. Herr Christian Kerkerinck aber, den man als vierten dieser Koppel zweibeiniger Rüden beigesellte, hätte das sowieso nicht lange tun können, da man ihn unterwegs ›in loco amoeno et herbido‹ – also immerhin auf einer anmutigen Wiese – von seinen Fesseln befreite und köpfte. So also schafft man sie nach Dülmen.

Den Erzbischof von Köln haben in bezug auf Bockelson jedenfalls die freundlichsten Absichten geleitet, da er in einer Instruktion für seinen Gesandten in Münster den Wunsch ausspricht, ›den vermeintlichen Koningk nit alsbalde umzubringen / sondern zum spiegell der welt ein zeit lanck / als ungeverlich ein viertheil oder halb jar / in einem weitheren oder gerumen korbe / darinnen er sich legen mocht / mit gekurzter Zunge ufzuhangen / doch kummerlich zu erneren und zu erhalten‹. Und tatsächlich hat, um dem Ablauf der Dinge ein wenig vorzugreifen, der Waldeck den entthronten König zumindest dem klevischen Herzog zur Ergötzung nach Schloß Sparenburg bei Bielefeld geschickt, ohne daß leider überliefert worden wäre, wie dieses Zusammentreffen zwischen dem fanatischen Katholiken und dem zungenfertigen Häretiker abgelaufen ist.

Das alles aber ereignet sich erst viel später im Herbst, und vorderhand, Ende Juli, langen die drei Gefangenen in Dülmen an, und hier, von der Menge umgafft, leistet Bockelson sich den billigen und zu seinem bisherigen Gesamtbilde nicht übel passenden Scherz, daß er auf die Frage, ob er denn wirklich soviel Weiber genommen, antwortet, er habe ›keineswegs Weiber, sondern Mädchen genommen und sie zu Weibern gemacht‹. Ja, auch dieses war Bockelson. –

Wohlgemerkt jener zynische, von Geltungsbedürfnis und Glück hoch emporgehobene Abenteurer, und nicht so dieser arme Schächer, der nun, jämmerlich frierend im kalten Herbst 1535, in seiner Zelle sitzt und eigentlich schon ein Sterbender ist. Wir aber wissen vom Tode doch wenigstens dies eine, daß er, vom Sterbenden, richtig als der Herold eines fernhin leuchtenden Orplid empfangen, am Menschen sub finem vitae tiefgreifende seelische Veränderungen vornimmt und daß er vor allem das Unwesentliche fortmeißelt und daß das, was wir hinterher als Totenmaske in der Hand halten, ein getreues Abbild des übriggelassenen ›Wesentlichen‹ ist ...

Es hat natürlich von diesem seltsamsten aller Könige niemand die Totenmaske gegossen, und selbst die Berichte über seine Todesstunde decken sich nicht in allen Linien. Was er von Kindesbeinen an war – ein heilloser Sohn des Chaos – ist hier oft genug gezeigt worden; was aus ihm die Gewißheit des Sterbens machte, ersieht man wohl am besten aus den mit ihm aufgenommenen Protokollen, und vielleicht noch besser aus den letzten Gesprächen, die er mit den ihn besuchenden Geistlichen führte.

Für ein Verhör der verbliebenen drei Rädelsführer aber hat der Kurfürst von Köln eine lange Reihe von Fragen zusammengestellt, die man nun in Dülmen den Gefangenen vorlegen wird. Wissen will das Gericht also, wie solch seltsames Wesen wie dieser Bockelson aufgewachsen ist, wie er mit der Schrift, wie er mit der Wiedertäuferei in Berührung kam, und ob er etwa leugnen wolle, daß er allein für die Vielweiberei und alle daraus entstandene Verwirrung verantwortlich ist.

Vor allem aber, ob ›nyt anfangs allzyt syne Meinunge gewesen, Ehre / Herrlichkeyt und Wollust dieser werlt zu erlangen und zich zum grossen Hern uff zu werffen‹ ... mit anderen Worten, ob nicht am Ende alles, sein Sektierertum, sein Zug nach Münster, die Königswürde nebst allem Drum und Dran nur seinem ungeheuerlichen Geltungsbedürfnis entsprochen habe.

Dies werden wir Bockelson fragen. Von dir aber, Bernt Knipperdolling, wollen wir erfahren, wieviel du mit eigener Hand geköpft, warum du alle Urkunden vernichtet hast, ob man in Münster wirklich die Kinder gefressen und ob der König nicht bei währender Hungersnot selbst einen reichbesetzten Tisch gehabt hat ...

Endlich aber: ob du ›nyth aus bloissem Haiss – Haß – und boshaftigem Gemute / so du van wegen zyner vorigen gefencknisse widder den Biskof zo Munster zu dieser ufrür verursacht seyst‹ ... ob also nicht alles, wie bei Bockelson aus Eitelkeit und Geltungshunger, so bei dir aus Rachsucht Knipperdolling hatte sich im Jahre 1527 an der gewaltsamen Befreiung eines vom Vorgänger des Bischofs Franz v. Waldeck in Haft gesetzten Bürgers beteiligt und hatte dafür selbst eine Gefängnisstrafe von einem Jahr abbüßen und seine Freilassung mit einer beträchtlichen Summe erkaufen müssen. und gänzlichem Unvermögen zum Vergessen empfangener Kränkung gekommen ist.

Das alles wollen wir von euch erfahren. Und so, wenn wir beide euch zunächst nach dem ›Woher‹ und ›Warum‹ befragt haben, so sollt ihr uns noch Rede und Antwort stehen in ein paar kitzlichen Angelegenheiten, und ihr wißt ja wohl, welche Apparatur wir bereithalten, um die Antwort von euch gegebenenfalls zu erzwingen ...

Wissen also wollen wir, wo die ganze Bewegung wurzelte, wohin Münsters unterirdische Verbindungen führten, welche Gesinnungsgenossen und Freunde ihr in Amsterdam, Wesel, Mastrich, Aachen, Essen und Hamm ... in Soest und Lippe und natürlich auch in unserer Stadt Köln hattet ...

Und endlich richten wir an dich, Bernt Knipperdolling, den immerhin von guten Eltern gezeugten Bürger, die Frage, die du zusammen mit diesem Krechting beantworten magst, und die uns, die Reichsfürsten, natürlich am meisten interessiert ...

›Wo es komen zy / dat Johan von Leiden / so doch ein uisslendiger junger / lichtfertiger bube geweset / vor Knipperdolling / Rothmann oder den anderen im koningklichen Regiment furgesetzt zy ...‹

Diese Fragen also sollen den Gefangenen vorgelegt werden, und so stehen sie denn nun endlich den von ihnen so lange geschmähten ›Großen Hansen‹ gegenüber und haben nicht viel mehr zu tun, als jene Würde zu wahren, die zu wahren so schwer ist: die Würde des überwundenen Mannes.

Würde aber ist in solcher Stunde ja wohl gleichbedeutend mit Mut zur Wahrhaftigkeit, und erst dann werden wir uns von einem Verbrecher innerlich abkehren, wenn der Mann auf der Anklagebank nicht mehr zu dem Mann der Freiheit von gestern passen will, wenn der brutale Wüterich von gestern sentimental, der Lästerer bigott, der scheinbar Kühne, der gestern noch die ganze menschliche Gesellschaft herausforderte, feig vor dem Richter zu zittern beginnt. Liest man in diesem Aspekt die vom Kölner Bischof zusammengestellten Fragen, so sieht man sehr bald, daß es in diesem Verhör für jeden der drei Gefangenen mindestens eine Stelle gab, wo er sich unverhüllt zu zeigen und Farbe zu bekennen hatte; liest man hierzu aber die Antworten, so wird man sehr bald zu dem Ergebnis kommen, daß Knipperdolling menschlich besser abschnitt als der König.

Was nämlich Knipperdolling angeht, so mag er getrost die Zahl der von ihm geköpften Opfer als zu niedrig, seine eigene im Königreich gespielte Rolle als zu subaltern angeben: er bleibt immerhin der, als den wir ihn kennen ...

Der eigensinnige, schwerblütige und verstockte Sektierer, der Mann, ›den ein fremd bister – düsteres – wisen – Wesen – angekommen sy / also / dat hy niet woeste, wat hy dede‹. Ein wirkliches Ausplaudern der auswärtigen Verbindungen und der auswärtigen Gesinnungsgenossen findet sich in keinem seiner Protokolle – weder in diesem noch in den beiden späteren, die unmittelbar vor seiner Hinrichtung gewonnen wurden und von denen das letzte ›in peinen‹ – will sagen auf der Folterbank – zustande kam. Nichts derlei, weder bei ihm noch bei Krechting. Wohl aber gibt Knipperdolling auf die eine prekäre Frage, ob bei ihm nicht alles aus Rachsucht gekommen sei, diese eine gute und gerade Antwort: ›er sei nicht um seiner verbüßten Gefängnisstrafe ein Anhänger des Bockelsonschen Regimes gewesen und habe sich, obwohl er doch dazu die Macht gehabt, weder am Bischof noch an der Ritterschaft rächen wollen ...‹

Das ist der Verzicht ›auf mildernde Umstände‹, und wir werden sehen, daß dieser Knipperdolling nur um so halsstarriger wurde, je näher der Tod kam. Bockelson aber?

Der erzählt von vornherein weit redseliger, erwähnt die so seltsam zueinander gekommenen Eltern, die Schulzeit, die Wanderschaft in England, Flandern, Lübeck und wie seine Frau in Leyden gegen weiteres Vergeuden von Geld protestiert habe. Er verschweigt den Rhetorikerklub, erzählt nichts von der Literatenzeit und noch weniger von der Gastwirtschaft zur ›Silbernen Lilie‹ und ist eigentlich auch über den Ursprung seines Täufertums und seiner Berufung zu einer ergiebigen Auskunft nicht zu bewegen. Er erzählt lediglich, wie er gegen den Willen der ersten Frau nach Münster gegangen, weil er gehört, ›datt dappere praedicanten bynnen Munster seyn‹ ... spricht ein wenig von seinem ersten Aufenthalt in der Stadt, von seiner Heimkehr, von Matthys von Leyden und Melchior Hofmann und von dessen Befehl, zum zweiten Male nach Münster zu gehen ...

Und dann folgt alles, was wir schon wissen – der Ausbruch der Münsterer Orgien und Knipperdollings Visionen und jene von ihm selbst gesehene, in der sich Matthys' schrecklicher Tod angekündigt hat ... ja, aber hatte denn der Bischof von Köln ihn nicht ausdrücklich fragen lassen, ob er nicht am Ende nur aus purer Eitelkeit gehandelt habe, und hat dieser Bischof ihm, dem Inkulpaten, damit nicht am Ende das Stichwort gegeben für eine große zündende Apologie, wie Savonarola sie hielt, wie der todgeweihte Danton sie den Richtern entgegenbrüllen wird, wie sie jüngst Luther gelang, als er in zehn herrlich gestammelten Worten sagte, ›daß er da sei und daß Gott ihm nun helfen möge?‹

So war es doch mit anderen Angeklagten. Bockelson aber ... ist er denn nicht ein König, der über das Leben der Untertanen verfügte, Blut vergoß, von Gott die aus beschlagnahmtem Dukatengold geschmiedete Krone und von Gott selbst auch jedweden Rat empfing ... ja, ist es nicht Gott selbst, der nun aus Bockelson sprechen wird?

Nichts von alledem in diesen Stunden der Prüfung! Gott spricht nicht, Gott hilft zu keinem großen Wort. Keine Apologie, keine fulminante Rede, und nicht einmal würdevolles Schweigen. Mit zynischen Redensarten sticht er später, wenn man ihn im Lande als gefesseltes Menagerietier herumschickt, noch des öfteren um sich und gibt damit doch nur jene Zungenfertigkeit zu erkennen, um die der geborene Literat nie verlegen sein wird. Ein Wort aber, wie man's wohl erwartete, ein Wort, das durch die Gewichte der Wahrhaftigkeit auf die Knie zwingt, es wird nicht gesprochen. Und alles – auch diese ewigen und allmählich ermüdenden Berufungen auf die inneren Gesichte – all das war ja doch nur ein Theaterfeuer, über dem die Kessel des Massenwahns sich erhitzen konnten. Seht, es steht nun wirklich ein Nichts vor den Schranken. Ein Bastard mit dem ewigen Bastardressentiment und dem unstillbaren Geltungsbedürfnis der Mißratenen. Ein mundfertiger Literat, der mit dem Terror regierte und in der Zeit des Hungers seine Vorratskammern füllte und in der Stunde der Entscheidung sich versteckte ...

Ein hemmungsloser Psychopath, den die Geschichte eine Weile an den Hebeln ihrer großen Maschinerie herumspielen und viel groben Unfug anrichten ließ und den sie nun unbarmherzig zerfleischen lassen wird. Ich aber sagte schon eingangs, daß nicht der Mann selbst so interessant ist, sondern das, was er anrichten konnte in dem behäbigsten und besonnensten Winkel Deutschlands.

Im Herbst trennt man die Gefangenen, schafft Knipperdolling und Krechting nach Horstmar, Bockelson aber nach der festen Burg Bevergern, deren Garnison man für alle Fälle verstärkt hat. Später, auf das Ende zu, verhört man sie ein zweites und am Tage vor ihrem Tode in Münster ein drittes Mal, und schon hier seien, obwohl ich damit den Ereignissen abermals vorauseile, aus diesen Vernehmungen ein paar Einzelheiten vermerkt. Nein, sie wissen nichts von dem Gerücht, das man sich zuraunte – daß sie, um die lästigen Esser loszuwerden, am Ende der Belagerung Gift in das Mehl getan hätten, sie wissen auch nichts von der vielberedeten Menschenfresserei im belagerten Königreich. Bockelson hat sich keineswegs selbst zum König gemacht, sondern ist dazu berufen worden; Knipperdolling, finsterer und trotziger denn je, hat keineswegs die Zerstörung der Kirchen selbst angeordnet, allenfalls nur dazu geholfen. ›Dan – denn – die Babilonische hoer – Hure – moest umgesturzt sin.‹ Und unter ›Babylonischer Hure‹ versteht Knipperdolling alles, was zum Katholizismus gehört. ›Het hie die pabstische und christliche ordnung vur ufrecht und gut geacht / er het die widerdoef und den nihen geloeven nit angenommen. Ist ock gefragt / war – wofür – hier die andern Christen halte. Sagt / er hielt sie dar fur / dar Got sie fur halt / und er wil by sinen geloeven leven und sterven.‹ Vorher war er noch gefragt worden, ob er nicht am Ende alle diese münsterischen Gesichte und Prophezeiungen für eine ›angerichte bovery‹ ... für aufgelegte Büberei und Schwindel gehalten habe. Worauf er antwortet, er hätte diesen Gesichten und Visionen kaum gehorcht, wofern er sie für Schwindel gehalten hätte. Alle diese Antworten werden wohlgemerkt auf der Folter gegeben, es gehörte zu ihnen also wohl einiger Mut und einige Verachtung von Quälerei und körperlicher Bedrängnis. Auf jeden Fall blieb er auch in dieser Stunde das, was er immer war. Verbohrt und käuzisch bis zur Schwelle der Psychose, im Grunde aber wohl ehrlicher als alles, was von Täufern in jenem Jahre in Münster zugezogen war. Daß er von jenem Typ war, der in Zeiten allgemeiner Unruhe immer schwere Erschütterungen über ein Gemeinwesen bringen wird, ist richtig. Verächtlich aber wird man ihn beim besten Willen nicht nennen können. Und die Geschichte wird von ihm ein helleres Bild zeichnen als von all den Prädikanten, die, wie jener liebe Rothmann, hinter der Fassade der Entrücktheit immer nur recht unvollkommen ihre pastorale Eitelkeit verbergen können.

Alle diese zuletzt wiedergegebenen Aussagen werden erst im Januar 1536, unmittelbar vor der Hinrichtung und teilweise sogar erst nach der drei Tage zuvor erfolgten Überführung nach Münster, erhoben. Vorher aber, also noch in Bevergern und in Horstmar, haben andere Protokollanten die Gefangenen besucht, und sie kommen freilich nicht, um ›in peinen‹ zu verhören, sie kommen vielmehr, um mit verirrten Menschen menschlich zu reden und sie, im Sinne der Zeit, aus den Irrgärten ihrer Seelen wieder in das helle Licht des Luthertums zu führen ...

Es sind die schon erwähnten Prediger Corvinus und Kymäus, die, wohl vom ›lieben Lips‹ hierher gesandt, sich den König vorführen lassen und dann auf ihre Weise mit ihm reden. Da also setzt Bockelson sich zu ihnen am Feuer nieder, klagt über die grimmige Kälte seines Kerkers und über seine Herzbeschwerden, will dies alles ›nach Gottes Willen mit Pazienz‹ ertragen, begegnet aber den beiden geistlichen Herren, die ihn sofort in ein theologisches Gespräch verwickeln und nachher ›beinahe Wort für Wort‹ an Georg Spalatinus berichten, nicht gerade in der rosigsten Laune ...

›Was mich betrifft und Kymäus, so haben wir es unternommen, den Überführten mit solcher Milde auf den Weg zurückzuführen, daß, wenn wir leibliche Brüder gewesen wären, wir es nicht liebevoller vermocht hätten. Mit dem Könige kamen wir zusammen in einer Unterredung über das Reich Christi, über die Obrigkeit, über die Rechtfertigung und die Taufe, über das Abendmahl, über die menschliche Natur Christi und über die Ehe. Schon über das irdische Reich Christi, welche Dinge, guter Gott, schwatzte er! Wie verdrehte er zugunsten seiner Träume die Schrift und wie erfüllte er die Räume mit seinen Worten. Du würdest es das dodonäische Becken nennen ...‹

Und so weiter in jener schon vom anhebenden Barock geformten bilderreichen Sprache, der wir ja auch bei Kerssenbroch begegnet sind. Und was ist geschehen? Die überspitzte, heute uns so schwer verständliche Dialektik der damaligen Theologen ist auf die ein wenig trübe, ein wenig von nebulosen Wunschbildern erfüllte Welt des Leydener Rhetorikers gestoßen, und auf das eleganteste reden beide Teile aneinander vorüber ...

In der Frage der Vielweiberei beruft er sich zum Ärger der beiden Pastoren auf die Erzväter, und ›mit der gleichen Unwissenheit schwatzte er von der Obrigkeit, und obgleich er sie als eine Ordnung Gottes anerkannte, so billigte er doch die Auflehnung, wenn sie irgend etwas anderes befehle als Christus lehrt – gestützt auf jenen Ausspruch des Petrus, man müsse Gott mehr gehorchen denn den Menschen. Als wir ihm antworteten, Gehorsam sei man zwar nicht schuldig der Obrigkeit, wenn sie wage, uns Christi Lehre zu nehmen, daß es aber deswegen Privatpersonen doch noch nicht erlaubt sei, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, da antwortete er ... ich weiß nicht was ... über die Tyrannei derer, die ihnen Anlaß zum Widerstand gegeben hätten.‹

Und mit der gleichen Zungenfertigkeit hätte ja wohl um 1900 ein in den Rednerkursen der Sozialdemokratie geschulter Versammlungsredner aufgewartet.

In der Frage der Kindertaufe bleibt er unbelehrbar, und als man gar auf das heikle Kapitel des Abendmahles kommt und in einer beinahe bewunderungswürdigen Technik die beiden Prediger auf ihn mit den Florettklingen ihrer theologischen Dialektik einstechen, da geht der Disput vorerst zu Bruch. ›Der König antwortete jedenfalls: Wie es von meiner Seite euch freisteht, dieses oder jenes zu meinen, so duldet es auch, daß ich glücklich bin bei meiner Meinung.‹

Womit im wesentlichen die erste Unterredung, die unter keinem glücklichen Gestirn stattgefunden hat, zu Ende gegangen ist. Bei Knipperdolling und Krechting vollends, zu denen die beiden geistlichen Herren sich begeben, machen sie noch schlimmere Erfahrungen und müssen verzeichnen, ›daß beide recht ungeschickte Antworten geben und keine Besserung zeigen‹, und ›daß dieser Knipperdolling sich weit eher zu einem Gladiatorenkampf denn zu einer theologischen Disputation eigne‹. Was wir nach allem, was wir von diesem streitbaren Tuchhändler wissen, gern glauben wollen. ›An Schlauheit und Gewandtheit der Rede kamen sie dem Könige nicht gleich, flößten uns aber noch größeren Ekel und Widerwillen ein. Wenn jemand eine Beschreibung dieses Knipperdolling wünscht – Sallust hat über den Katilina nichts geschrieben, was nicht aufs genaueste auf ihn paßte. Seine Bösartigkeit und Verwegenheit tadelt selbst der König ...‹

Mit Krechting aber, der die Kenntnis der Schreibkunst mit der Wiedertäuferei für unvereinbar befunden und sich daher bewußt zum Analphabeten zurückentwickelt hat ... mit diesem Krechting geht es keineswegs besser. ›An Trotz und Unruhe hat er offenbar einen gleichartigen Nachbarn gefunden. Diesen Ungeheuern überliefert ... guter Gott, welchen Unsinn, welch lächerliches Zeug, welche Widersprüche gegen die Schrift haben wir vernommen!‹

So also mißglückt auch bei Knipperdolling und bei Krechting der geistliche Bekehrungsversuch, und die beiden Herren wären wohl wieder nach Hessen abgereist, wenn nicht in letzter Stunde sie ein Ruf Bockelsons erreicht hätte. Der aber will, wie er nunmehr verspricht, jetzt zugänglicher sein als das erste Mal, und sehr bald wird es auch offenbar, was ihn nun so gefügig macht.

Denn siehe, nun pocht an die Kerkertür schon jener unerbittliche Prediger, der da Tod heißt, und es ist der unbändige Lebenswille, der sich im Gefangenen regt, und die nackte Angst, die aus ihm schreit. Kam es aber in dieser zweiten Unterredung zur wirklichen Umkehr, zu jener ›Kathairesis‹ der antiken Tragödie?

›Wenn man ihn wollte in Gnade annehmen, wolle er mit Melchior Hoffmanns und seiner Königin Man sieht, daß Bockelson damals noch nichts von dem sechs Monate zuvor erfolgten Tode der Divara wußte. alle Täufer, deren denn in Holland, Brabant, Engelland und Friesland überaus viele seien, bereden zum Stillschweigen und Gehorsam, also daß sie hinfort keinen Aufruhr erweckten, sondern still und gehorsam seien und ihre Kinder taufen ließen‹, und dies ist ja wohl, wenn nicht alles täuscht, angesichts des Schafotts der schmähliche Abfall von der eigenen Sache, das Dementi der eigenen Persönlichkeit, der Sturz in die Kloake der Schande.

Hier und in allen übrigen Punkten dieser zweiten Unterredung: ›Und wiewohl wir uns in Sachen des leiblichen Regimentes Christi, das nach seiner Meinung tausend Jahre währen soll, nicht haben vergleichen können, so hat er dennoch bekannt, daß das angefangene Reich zu Münster nur ein eitel tot Bild gewesen sei. Von der Obrigkeit aber hat der König bekannt, daß er sich unbilligerweise ihr widersetzt habe, und wenn er solchen Verstand zur selben Zeit gehabt, wie Gott ihm jetzt gegeben, wolle er es nicht getan haben. Von der Obrigkeit bekennt er, daß sie Gottes Ordnung sei, der man um Gottes willen gehorsam sein müsse, wenn sie gleich Türken und Buben wären.‹

Soweit ist es nun mit Bockelson ...

›Er sagt auch, er wisse die Täufer zu überzeugen, daß sie nie recht getauft haben und deshalb schuldig seien, ihren Glauben im Herzen zu haben und ihre Kinder zu taufen.‹ Und dies ist vielleicht der jämmerlichste Satz, und von Rechts wegen hätten ja nun wohl alle die Münsterer Toten ... der Schmied Rüscher und mit seiner blutigen Schar der Waffenmeister Mollenhecke, Jan Matthys und Hille Feicken und alle diese verbrannten und geköpften Apostel in diese Zelle kommen und ihn fragen müssen, zu was ihr Leiden und Sterben eigentlich gut gewesen, nun sie der König, das Haupt der Gemeinde und der Höchste auf dem Berge Zion, verleugne. ›Und wiewohl wir größeren Glimpf denn vorhin bei ihm gefunden, so haben wir doch nichts anderes bei ihm vermerken können, denn daß er Errettung seines Lebens suchte.‹ Das berichten von dieser Unterredung die beiden Prediger, die der Vorsicht halber – für die Behörden – alle diese Erklärungen von Bockelson haben protokollieren lassen. ›Ick Johan von Leiden mit mynder eighene hand ondertekent.‹ Was leider nicht mehr hilft. Vor der Tür stand schon der Henker.

Es ist beinahe schon ein Wunder, daß bei dem ungeduldigen Drängen von Kleve und Köln die Hinrichtung erst jetzt, in der zweiten Januarhälfte, stattfindet und dem unglücklichen König noch Gelegenheit zu den eben geschilderten Gesprächen gegeben worden ist. Nun aber ist die Galgenfrist vorüber, und am 19. Januar werden die Gefangenen nach Münster übergeführt. Die Tage, die noch bis zum Schicksalsmorgen des 22. Januar verstreichen, werden noch ausgenutzt zu dem oben schon erwähnten Schlußverhör, wobei zu bemerken ist, daß Knipperdolling, von dem man scheinbar mehr über die auswärtigen Verbindungen der Stadt erfahren will, im Gegensatz zu Bockelson und auch zu Krechting in der Folter befragt wird.

Wozu des Tuchhändlers störrisches und wortkarges Wesen nicht wenig beigetragen haben mag, während den König wohl seine Zungenfertigkeit und Wendigkeit vor der Marter bewahrten. Was Bockelson angeht, so bejaht er auch freudig die Frage, ob man ihm einen katholischen Priester schicken solle, und empfängt am Tag vor seinem Tode den bischöflichen Kaplan Johann von Syburg, der ziemlich lange bei dem Verurteilten weilt. Kerssenbroch, der dem armen Schächer bis zum Schluß nicht wohl will, behauptet, der König habe bei dieser Gelegenheit dem Kaplan für die – nach Bockelsons Meinung ja noch immer lebende! – Divara einen mehr als seltsamen Auftrag mitgegeben ... einen durchaus obszönen und für die Ohren eines geistlichen Herrn kaum geeigneten Auftrag, den man auch nach vierhundert Jahren nicht gut dem Papier anvertrauen kann. Wir wollen lieber im ungewissen lassen, ob es wirklich so war. Kerssenbroch war auf die armen Sünder nicht gut zu sprechen und hat manchmal die Farben allzu dick aufgetragen. Und der geistliche Herr wird wohl so spezielle Dinge aus dem letzten Bekenntnisse eines Sterbenden nicht weitererzählt haben. Wir wissen, daß er tief erschüttert die Zelle verlassen hat. Tief erschüttert über die Reue dessen, der vor ein paar Monaten in Münster noch Herr über Leben und Tod gewesen war. Die anderen Delinquenten haben übrigens mürrisch den geistlichen Zuspruch abgelehnt und im Tenor guten Protestantentums erwidern lassen, ›es sei Gott sowieso bei ihnen in der Zelle, und eines anderen brauche es nicht‹. Der König dagegen hat seinem besonderen Kummer darüber Ausdruck gegeben, daß er des Landgrafen von Hessen wohlgemeinten Rat – er denkt wohl an den zur Jahreswende 1534/35 gepflogenen Notenwechsel – so leichtfertig ausgeschlagen habe: wäre der Landgraf nun persönlich zur Stelle, er wollte ihn wohl kniefällig um Verzeihung bitten. Seine Meinung über die Kindertaufe und über die menschliche Natur Christi dagegen widerruft er nicht. Man sieht, daß er sich in der unmittelbaren Nähe des Todes endlich zu einer schlichten und geraden Haltung durchgerungen hatte.

Die Hinrichtung, der ja die eigentliche Verurteilung unmittelbar vorausgehen mußte, findet am 22. Januar, morgens um acht Uhr, statt. Vorher ist mit einer Kavalkade von dreihundert Reitern und mit den Kommissaren von Jülich und Köln der Bischof in die Stadt eingezogen, hinter ihm aber haben sich für die Dauer der Aburteilung die Tore hermetisch geschlossen, die Mauern werden doppelt scharf bewacht. Auf dem Markt tagt das Gericht, die Anklage lautet auf Verbrechen wider Gott und die Staatsbehörden, auf Verbrechen gegen Leben und Eigentum, auf Kirchenschändung, auf Zusammenrottung, auf Anmaßung der königlichen Würde. Da steht Bockelson, sieht drüben im Holthusschen Hause seinen alten Gegner, den Bischof, am Fenster thronen, sieht auch die beiden Feldöfen, auf deren Kohlenfeuer die Henker nun die Zangen glühend machen. Dem Richter gibt er zu, gegen die Obrigkeit sich vergangen zu haben – ein Vergehen gegen Gott leugnet er. Die beiden anderen gestehen mürrisch ihre Schuld ein. Wenn diese armen Schächer nun ihre Augen erheben, sehen sie wohl auch schon die in Dortmund geschmiedeten und nach Münster geschafften eisernen Käfige, in denen man ihre zerfetzten Leiber noch an diesem Tag an den Lambertiturm hängen wird.

Den mittelalterlichen Strafvollzug belastet der moderne Mensch gern mit dem Vorwurf des Grausamen und Barbarischen, ohne sich, wie es wohl am Platze wäre, zu fragen, ob denn wirklich die sozialen Verhältnisse, wie in seiner Blütezeit sie der Kapitalismus herangebildet hatte, ob ein Leben in den Slums von Chicago oder das Erdulden einer Pressehetze von gestern wirklich von dem so oft behaupteten ›Fortschritt der Humanität und der Zivilisation‹ zeugen. Im vorliegenden Fall wird als erster Scheinbar hat man die Hinrichtungen zeitlich getrennt vorgenommen, so daß Bockelson als erster starb, die beiden anderen aber nicht Augenzeugen seiner Marterung und seines Todes waren. Bockelson an den Pfahl gebunden und dreimal mit den glühenden Zangen der Henker angefaßt. So, daß die Flammen aus dem Fleisch aufzucken und die gaffende Menge vor dem entsetzlichen Geruch zurückstiebt. Täuscht nicht alles, so hat Bockelson diese Marter, die nach einigen Berichten eine Stunde währte, ziemlich standhaft ertragen. ›Und derweil‹, heißt es in einem zeitgenössischen Flugblatt, ›man den König also gemartert / hat er nichts geredt oder geschrihen / darnach aber stetigs mit solchen worten zu Gott gerufft: ›Vatter erbarm dich mein!‹ Täuscht nicht alles, so hat dann, wie später bei den übrigen Delinquenten, ein Dolchstoß in die Brust dem Jammer ein Ende gemacht. ›Do er aber seins lebens nit lang zu sein empfunden, riefft er: Vatter in dein Hend bevehl ich meinen geist! Und also sein ende genommen.‹ Als Knipperdolling auf die eigentliche Richtstatt geführt wird und die Vorbereitungen für die Tortur sieht, sucht er sich mit dem Halseisen, das man jedem von ihnen angelegt hatte, zu erdrosseln, wird aber von den Henkern an einem so raschen Abgang gehindert. Ein zeitgenössischer Berichterstatter hat den Eindruck, daß er sowohl wie Krechting, vermutlich wegen seiner Halsstarrigkeit bei den letzten Verhören ›swarer und dapperer mit den gloningen – glühenden – tangen angetastet worden / als de Koningk‹. Knipperdolling stirbt nach Corvinus, der ja Augenzeuge der ganzen Prozedur gewesen ist, mit den Worten: ›Gott sei mir Sünder gnädig‹, nur Krechting stöhnt und schreit: ›O Vater, o Vater!‹ Wie Corvinus giftig behauptet ›ganz gewiß unter großem Beifall und Vergnügen der Priester, an denen Münster immer sehr reich gewesen ist. Diesen fehlte zur vollen Freude nichts, als daß nicht auch die Lutheraner durch dieselbe Strafe hinweggeräumt wurden‹. Das mag übertrieben gewesen sein, weil zumindest der Bischof Franz selbst dem Luthertum innerlich nicht ganz fern stand. Die verbrannten und zerrissenen Leiber werden in den drei bereitstehenden Käfigen aufrecht stehend an der Westseite des Lambertiturmes aufgehängt. Der König, wie es für einen König sich wohl ziemt, in einem etwas größeren in der Mitte. Der Gestank verpestet monatelang die Straßen der Stadt. Erst nach Jahr und Tag scheint man die Überreste entfernt und auf dem Schindanger verscharrt zu haben. Zangen und Käfige haben sich bis in unsere Tage gerettet. Dies ist das Ende des allerseltsamsten Königtums, das es je auf deutschem Boden gegeben hat.

Es ist auch das Ende der Massenpsychose, von der hier die Rede war, und was später in den Niederlanden, in England, ja im fernen Amerika auftaucht, was später der sanfte Menno Simons organisiert – was hat das alles noch zu tun mit dem schwarzbärtigen Propheten Matthys und seiner gewalttätigen Häresie und seinem Erben Bockelson, der nun zerschunden und zerrissen und verbrannt am Lambertiturm hängt?

Es ist richtig, daß dieser auf Münster niedersausende Schlag nicht in allen seinen Schlupfwinkeln das streitbare Täufertum zertrat, es ist richtig, daß es in den Sekten des Jan Batheburg Die Batheburgische Sekte war nichts anderes als die geradlinige Fortsetzung der Bockelsonschen Gemeinde. Sie war die einzige, die, in Matthys' und Bockelsons Spuren wandelnd, das Prinzip des Terrors und der Gewalttätigkeit vertrat. Batheburg wurde 1537 hingerichtet. Die übrigen Sekten waren durch Melchior Hoffmanns sanftmütigere Lehren bestimmt und warteten geduldig auf den automatischen Einsturz aller weltlichen Gewalten, die dem erträumten Gottesreich sich widersetzten., der Jorris und Ubbe in Friesland, Holland und auch in Westfalen unterirdisch noch eine Weile weiterlebte, und daß es so die Akten des Bistums Münster noch für ein volles Jahrhundert füllt. Mit Protokollen über die Terrorakte der Batheburgschen Rotte, mit Urteilen über spät ergriffene Teilnehmer der münsterischen Wirren, mit bischöflichen Mahnschreiben an die unterschiedlichen Magistrate des Bistums, es möge die Beamtenschaft haarscharf achtgeben auf Leute, die in Tracht und Gruß und geheimen Abzeichen als Täufer sich verrieten, und es mögen die Behörden auf der Hut sein vor Überraschungen im Stile des Jahres 1534 ...

Erst nach einem runden Jahrzehnt erhält Münster die ihm natürlich genommenen Privilegien zurück, der Kaiser schreibt inzwischen ungnädige Briefe, weil die Wiederherstellung der katholischen Religion nicht genügende Fortschritte macht. Ein Kaplan wird gemaßregelt, weil er von der Kanzel aus Zweifel am Dogma vom Fegefeuer äußert, und noch 1625, fast volle hundert Jahre nach Bockelson, erinnert der Generalvikar von Münster die Stadt daran, daß unter keinen Umständen den noch immer auftauchenden Wiedertäufern Wohnrecht zu gewähren sei.

Das alles ist richtig. So wie es richtig ist, daß es in Frankreich nach dem Thermidor noch eine Verschwörung des Gracchus Baboeuf gab, so wie Carlyle behauptet, es habe der Pariser Jakobinerklub insgeheim noch bis ins vierte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts und darüber hinaus weitergelebt. Was will das alles denn noch bedeuten? Die Verschwörung des Baboeuf war eine Angelegenheit von wenigen Tagen, der Bürger Tallien war, als ihn im Dezember 1812 die Pariser Polizei gelegentlich einer Razzia in einer Dachkammer aufspürte, ein verkommenes und gebrochenes Individuum, und die Jakobiner von 1835, von denen Carlyle spricht, werden wohl einen geruhigen Stammtisch von behäbigen alten Herren mit stattlichen Bäuchen und stattlichen Bankkonten und großen Erinnerungen an alte glanzvolle Zeiten gebildet haben ...

So geht es mit den seelischen Massenerkrankungen. Wie Individuen haben sie ihre Jugend, wo sie die ganze Welt aus den Angeln zu heben scheinen und unwiderstehlich sind wie zürnende Erzengel ...

Und sie haben ihre Zeit, wo der Ansteckungsstoff stumpf wird und wo in den Halluzinationen wieder die ersten Pfosten der Wirklichkeit auftauchen und die Befallenen langsam sich zurücktasten in die Welt nüchterner und gesunder Realitäten.

Sie gleichen auch darin körperlichen Erkrankungen, daß ihr Abwehrfieber um so höher klettert, je jünger und kräftiger der befallene Organismus ist und daß es im Anfang immer so scheint, als wolle das Fieber den ganzen Leib des Kranken verbrennen. Ist die Krise überstanden, so sind die Wahnbilder und Delirien dem Kranken selbst unverständlich und achselzuckend geht er daran, sie hinter sich zu werfen. Wo aber sich ein so junges Volk wie das deutsche des späten Mittelalters so schwer mit dem ihm fremden Gedankenvirus der Renaissance, der Entgottung, der ›Versachlichung‹ des Denkens und des anhebenden Kapitalismus infizierte: wie konnte es da wohl abgehen ohne die beiden großen seelischen Fieberkrisen, die da Bauernkrieg und münsterisches Zion heißen?

Wir werden vielleicht überhaupt guttun, die Keime der ganzen Bewegung nicht so in den religiösen, wie eben in den antikapitalistischen Problemen, nicht so in den umstrittenen theologischen Fragen, wie in den trüben sozialen Wünschen der spätmittelalterlichen Massen und in ihrer Erfüllung durch den münsterischen Kommunismus zu suchen. Nicht der religiöse Monomane Knipperdolling hat die Vorgänge bestimmt, sondern der der Unterwelt entstiegene Bockelson, der ja, wie wir sahen, noch in seinen letzten Lebensstunden für sein Leben bereitwillig die Kalmierung des ganzen Täufertums anbot. Nicht die religiösen Gesichte und Halluzinationen waren die Motive dieser ersten Räterepublik, sondern es kam auch zu diesen Produkten der Massenhysterie nur, weil die Zeit in ihrem gesamten sozialen und ständischen Gefüge außer Rand und Band geraten war. Daß unter diesem Hexenkessel ein großer politischer Gangster seine Feuer schürte, war das unselige Schicksal dieser Stadt, die das alles schwer genug hat bezahlen müssen.

Wir stehen heute, genesend vom neunzehnten Jahrhundert, dem Ding, das man gemeinhin ›Renaissance‹ nennt, anders gegenüber als noch unsere fortschrittsgläubigen Väter, wir beginnen uns zurückzufinden zu der Weisheit, daß die Landschaft gleichbedeutend mit dem Schicksal eines Volkes ist und daß die tödlich sich auswirkenden Eiterabszesse sich nur dort entwickeln, wo ein Volk ›gegen die Geographie‹ zu leben versucht.

Mit all ihren großartigen Fanalen war die Renaissance für Deutschland ja doch gleichbedeutend mit dem Einbruch eines fremden Lebensgefühles, sie hat dieses münsterische Teilgewitter ausgelöst und in ihrer gesamten Auswirkung vier Jahrhunderte deutscher Geschichte wo nicht verfälscht, so doch getrübt und verwirrt.

An den feinsten Barometern der Zeit heute ihr mähliches Abebben ablesen zu dürfen, bedeutet jene große Hoffnung, die die Hoffnung einer leidensbereiten und genesenden Generation sein mag.


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