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›Aber der viller weiber lust wegen / dargegen weren alle Predicanten in Münster mit der gantzen gemeinden. Aber der Kuningk bewiese ihnen das mit der schriften und zwange sie darzu / dass sie solches halten mussten.‹
Aus dem Folterbekenntnis des Prädikanten Klopriss.
Die Rechtsprechung eines Volkes ergibt sich, wie sein gesamter staatlicher Bau samt seinem Brauchtum, seiner Erkenntnismethode und seinem Schatz an Ausdrucksmitteln aus seiner Landschaft. Wird also nach dem alten Sachsenspiegel einem Hofhunde, der beim Überfall eines Einödhofes das Nahen der Diebe nicht durch pflichtgemäßes Bellen anzeigte, öffentlich der Prozeß gemacht und wird dieser Hund nach Vernehmung von Zeugen und Plaidoyers von Ankläger und Verteidiger getötet: so hängt das mit der dämonenreichen Landschaft nördlich des Limes romanus und ihren mannigfachen Funktionen ebenso innig zusammen wie etwa die Tatsache, daß erstmalig die nordische Mathematik hinausstrebte über die doch noch körperlich vorstellbare Funktion a3, und daß sie erstmalig mit der unvorstellbaren Irrationalen a4 zu rechnen begann.
Man wird das Ziel dieser scheinbaren Abschweifung bald begreifen. Viele der in Münster geschehenen Dinge, und nicht zuletzt das Auftauchen der Polygamie in diesem sonst beinahe prüden Lande, erscheinen uns schier unfaßbar, und immer wieder fragen wir uns, wie dies alles wohl geschehen konnte. Löst sich aber ein Volk, wie die Deutschen um 1500 doch taten, von seiner Landschaft, so verfällt mit dem landschaftsgebundenen Recht naturgemäß auch die landschaftsgebundene Soziologie und das landschaftsgebundene Brauchtum. Der Zusammenbruch der alten Vorstellungen aber erzeugt dann zunächst immer eine tiefe Ratlosigkeit und schwere Erschütterungen, und folgerichtig sehen wir die Massenpsychosen der Völker immer in ihren ›Wechseljahren‹ und etwa den Pugatschowschen Aufstand in Rußland als Quittung auf die zwangsmäßige Europäisierung unter Peter dem Großen erscheinen. Wird nicht die ganze Täuferei, samt Zion, Bockelsonschem Königtum und Polygamie, so beinahe selbstverständlich?
Der Gedanke der Polygamie, die doch die ›Peinliche Halsgerichtsordnung‹ des alten Reiches noch mit dem Tode bestrafte, wird um 1520 beinahe Mode in Deutschland. Gibt es aber etwas Rätselhafteres als den Ursprung einer, sei es auch gedanklichen, ›Mode‹, und stehen wir vor den Kleidern, die wir 1900 sehr schön fanden, nicht ebenso fassungslos wie vor der Tatsache, daß damals zu gut und gern drei Vierteilen die deutsche Geistigkeit etwa auf die Häckelschen Welträtsel hineingefallen ist? Der Gedanke an die Polygamie also lag um 1530 in der Zeit. Wir wissen, daß unter nachdrücklichem Hinweis auf die Schrift nicht wenige Luther-Jünger an den Meister mit dem Ansinnen herangetreten sind, er möge die Vielehe sanktionieren, wir wissen, daß Luther damals, geschmeidig ausweichend, mit einem achselzuckenden Hinweis auf die gültigen Landesgesetze antwortete, und wir wissen, daß er selbst, was seinem Freunde Melanchthon schier das sensiblere Herz brechen wollte, sechs Jahre nach den münsterischen Wirren die Doppelehe eines deutschen Reichsfürsten sozusagen gesegnet hat: die Doppelehe eben jenes Philipp von Hessen, der für die Belagerung Münsters seine beiden schweren Kartaunen ›de duiwel‹ und ›sin mar‹ hergeliehen hatte.
Kerssenbroch, immer aus der Perspektive der beleidigten patrizischen Wohlanständigkeit, erzählt uns über die Uranfänge der münsterischen Polygamie eine Schauergeschichte, und wenn man ihm glauben wollte, so hätte ein übergelaufener Landsknecht, den man als Katecheten der Täuferei in Knipperdollings Haus gebracht hatte, dortselbst den offiziellen Staatspropheten Bockelson nachts dabei ertappt, wie der Mann Gottes sich in die Kammer der Knipperdollingschen Magd schlich, obwohl er doch so etwas wie ein Heiland war, und, was in Münster jeder wußte, in Leyden ja bereits eine legitime Ehefrau sitzen hatte.
Item, der Landsknecht sei an der Heiligkeit des Mannes irre geworden und habe die Sache weitererzählt. Der Prophet habe ihn wohl mit schönen Worten zum Schweigen gebracht, doch sei der Vorfall ruchbar geworden, und Bockelson habe daraufhin mit den Prädikanten, die selbst einem lockeren Lebenswandel sich nicht verschlossen, Rat gepflogen. Und es sei dann von diesen theologisch geschulten Männern beschlossen worden, zur Bemäntelung des Skandals die Vielweiberei aus der Schrift öffentlich herzuleiten und sie de jure et de lege als Bestand der städtischen Gesetzgebung zu verkünden. Drei Tage lang hätten daraufhin die Prädikanten über das heikle Thema gepredigt, hätten dargelegt, daß der Mann sowieso polygam sei und hätten daraus und aus dem ›Seid fruchtbar und mehret euch‹ der Genesis die Polygamie als Gottesgebot erwiesen und vor der gesamten Gemeinde am 23. Juni auch als solches in aller Form verkündet.
So Kerssenbroch. Der aber hat neben mancherlei wertvollen Einzelheiten auch manche erfundene Greuelnachricht in seine Chronik übernommen. Wie er denn ja auch bei diesem an sich schon recht trüben Kapitel uns glauben machen will, es sei später, in den Blütezeiten dieser münsterischen Insel der Seligen, in Bockelsons Wohnung vor einem größeren Menschenkreis Genesis I verlesen worden, und es seien dann bei dem Worte ›Seid fruchtbar und mehret euch‹ die Lichter verlöscht und es habe sich alles weitere dann in einer doch vielleicht übertrieben wortgetreuen und auch übertrieben beschleunigten Befolgung dieses höheren Befehls vollzogen ...
So also Kerssenbroch. Das aber, was in Münster tatsächlich passiert ist, ist, innerhalb dieses schwerblütigen niederdeutschen Menschenschlages, auch ohne ergänzende Ausschmückung schon ein starkes Stück, und wir wollen uns lieber befleißigen, die Dinge auf ihre heute bekannte Substanz zu beschränken. Mit seiner Ehe aber hatte es schon der selige und unselige Matthys nicht so genau genommen, da wir doch von ihm wissen, daß auch er in Leyden, von wo er zuletzt kam, ein rechtmäßig angetrautes Eheweib sitzen hatte, während wir ihn in Münster ja an der Seite einer ganz anderen Frau, der hier noch öfter zu erwähnenden Divara, antreffen. Was aber seinen Schüler und Nachfolger Bockelson angeht, so haben wir ja schon gehört, daß er aus höherem Munde die Aufforderung erhalten habe, Matthys' Nachfolge anzutreten und sofort die – damals schwangere Divara zu heiraten ...
Was denn Bockelson auch notgedrungen und als gehorsamer Befolger all seiner inneren Stimmen und Gesichte sofort getan hatte, und schon eingangs habe ich festgestellt, daß diese damals in Münster gehörten ›inneren Stimmen‹ die angenehme Eigenschaft hatten, all den unterschiedlichen Propheten immer nur das jeweils Gewünschte und Begehrte, nie aber das Widrige und Unwillkommene aufzutragen ...
Mit einem Worte: die Vielweiberei in Münster ist aus der leider ja etwas zu sinnenfroh geratenen Wunschwelt des Mannes gekommen, der zudem zur Verwirklichung seiner mannigfachen Pläne den Terror bereithielt und Bockelson hieß und ein hergelaufener Schneider und Kneipenwirt aus Leyden war. Sieht man aber wohl, wie weit die Massenpsychose gediehen sein mußte, wenn eine so behäbige und vernünftige und bislang doch jedenfalls nicht gerade nach den Klubregeln des Venusberges regierte Stadt sich den Wünschen eines solchen Mannes beugte und auf dem intimsten Lebensgebiet sozusagen über Nacht alle ihre gewohnten Begriffe und Normen vernichten ließ?
So einfach, wie Kerssenbroch sich es vorstellt, ist es bei der Einführung der Vielweiberei nun keineswegs zugegangen. Wir wissen aus den Folterbekenntnissen gefangener Wiedertäufer, daß anfangs der Widerstand der Prädikanten heftig war, und wir haben keinen Grund, an den Bekenntnissen dieser Männer, die auch auf der Folter standhaft geblieben sind, zu zweifeln Vergleiche auch das am Anfang dieses Kapitels zitierte Bekenntnis des Prädikanten Klopriss. Allerdings findet er, ebenso wie sein Amtsbruder Vinne, auch Verteidigungsworte für die Polygamie. Dies immer unter Berufung auf das ›Seid fruchtbar und mehret euch‹ der Schrift.. Hält man sich an Dorp, der ja gewissermaßen einen für Luther selbst bestimmten Bericht über die Vorgänge gegeben hat, so haben die Prädikanten durch volle acht Tage Bockelson, als der die Vielweiberei ernsthaft in Vorschlag gebracht hatte, heftig opponiert, und Knipperdolling behauptet später bei einem Verhör sogar, daß sie ›ehm fenglich setten wolden‹, und einen Umschlag gibt es erst, als Bockelson die berühmten zwölf Ältesten zitiert und, wieder einmal, von einer göttlichen Aufforderung zum Einführen der Vielweiberei redet. Es gehört wohl zu den gewichtigsten Symptomen dieser Massenpsychose von Münster, daß der Hinweis auf die angeblich aus Gottes Mund erteilte Weisung jeden Widerstand auch bei den tollsten Verrücktheiten zu brechen pflegte und daß diese Männer bei solchem Hinweis auch den Versuch gemacht hätten, auf den Mond zu klettern.
Item, nach dieser Mitteilung Bockelsons gibt es im Ältestenrat ein Halten nicht mehr, sondern man wirft sich auf das Neue hinfort mit einer Inbrunst, deren vielleicht nur diese niederdeutschen Menschen, wenn ihre angeborene Bedächtigkeit einmal erst schweigt, fähig sind. Drei Tage predigen auf dem Domplatz über das heikle Thema die Prädikanten vor der ganzen münsterischen Gemeinde, und als diese Missionspredigten beendet sind, da ist die Stadt denn wirklich reif für alle die Unfaßlichkeiten, mit denen sie bis zum Niederbruche Zions die kommenden zwölf Monate anfüllt.
Die klare Formulierung der neu entstehenden Ehegesetze geht bei allen Zeitgenossen, die darüber berichten, naturgemäß unter in den ausführlichen Schilderungen der Folgen und der sonstigen Begleitumstände. Schält man sich das, was damals in Münster ›Staatsgesetz‹ wurde, heraus, so ergibt sich folgendes:
1. Sämtliche vorher geschlossenen Ehen sind behangen mit der Sündenlast der alten Zustände und mithin ungültig.
2. Alle Frauen sind verpflichtet, Männer zu nehmen, auf Verweigerung der Ehe steht die Todesstrafe. Diese Bestimmung gilt auch für die Frauen von Männern, die gerade für längere Zeit abwesend sind, so daß der rückkehrende Mann vor gänzlich unerwartete Tatsachen gestellt werden dürfte. Die Bestimmung gilt, wie wir sehen werden, selbst für alte und nicht mehr gebärfähige Frauen insofern, als sie fortan sich einen ›Schutzpatron‹ zu küren haben, der die Fürsorge für sie übernimmt. Wovon noch zu reden sein wird.
3. Ist eine Ehe unfruchtbar, so wird sie ohne Rücksicht auf eine etwaige Neigung der beiden Eheleute geschieden, ›die Frau wird dann zu einem anderen Manne gelegt‹.
4. Wird eine Frau schwanger und ist damit der Zweck der Eheschließung erreicht, so ist der Mann berechtigt, eine zweite Frau, und wenn auch sie sich gesegneten Leibes fühlt, eine dritte und vierte zu nehmen ... die Zahl ist theoretisch unbegrenzt.
5. Eine Scheidung ist möglich, sowie der eine Ehegatte diesen Willen behördlich protokollieren läßt. Was es damit auf sich hat, werden wir später sehen.
6. Diesen Bestimmungen unterliegen auch die gerade zufällig in der Stadt sich aufhaltenden Auswärtigen, Männer wie Frauen.
7. Über etwaige Streitigkeiten unter den Ehegatten entscheidet das aus Prädikanten und Ältesten sich zusammensetzende Ehegericht.
8. Widerstand gegen diese Gesetze wird, ebenso wie die ›hartnäckige Verweigerung der ehelichen Pflicht‹ durch die Frau, nach vorheriger Verwarnung mit dem Tode bestraft, desgleichen jeder Ungehorsam der Frau gegen den Willen des Ehemannes.
Das heißt in praxi:
1. Daß alte Ehen auseinandergerissen werden.
2. Daß etwa eine Frau, deren Mann – langwährend bei den damaligen Verkehrsmitteln! – abwesend ist, urplötzlich von Haus und Kind fort in das Haus und zu Tisch und Bett eines anderen wildfremden Mannes muß.
3. Daß in den Ehen, wo wegen der Schwangerschaft der ersten Frau nun urplötzlich eine zweite, dritte und vierte erscheint, Mord und Totschlag herrscht.
4. Daß die barbarischen Strafen, die immer auf Knipperdollings Richtschwert hinauslaufen, es dem Ehemann äußerst leicht machen, sich einer lästigen Frau zu entledigen.
5. Daß die Schirmherren der ›alten Frauen‹, die von heute auf morgen sich zum Unterhalt eines gebrechlichen alten Wesens gezwungen sehen, erst recht nach einer Gelegenheit suchen, sich dieser Bürde zu entledigen.
6. Daß alle diese erzwungenen Ehen zur Tragödie werden.
So ist das. Im einzelnen werden wir noch sehen, wie die weiteren Folgen gewesen sind. Und da diese ungeheuerlichen Gesetze alle Rechtsbegriffe, alle bisherigen bürgerlichen Normen umwerfen, da sie den Familienbestand in praxi auflösen und in ihren letzten Konsequenzen naturgemäß auch allen Wohlstand, alle Dispositionen der Familie und des Familienoberhauptes bedrohen, so setzt frühzeitig der Widerstand ein.
So nämlich, wie in Münster die Prophetengabe und der täuferische Paroxysmus sich an das Schneidergewerbe hängt, so scheint mit dem Schmiedehandwerk aller Geist des Aufruhrs und der Widersetzlichkeit verbunden zu sein, und wiederum, wie im Frühling, ist's ein Schmied, der dieses Mal zu einem ernsthaften, höchst gefährlichen Widerstand gegen die prophetische Oligarchie oder besser gesagt Autokratie seine Gesinnungsgenossen sammelt. Wir sind dem Schmiede Mollenhecke flüchtig schon begegnet, als die Ältesten ihn zum Waffenmeister über das Geschütz und die Arkebusen beriefen, und es mag diese Verfügung über die städtischen Arsenale gewesen sein, die ihm die nötigen Waffen lieferte. Der Mann hat hinter sich zweihundert Bürger, die, empört über die neuen Gesetze und verstärkt durch die von Münster grimmig enttäuschten Überläufer des Bischofs, sich nachts versammeln und das ganze Propheten- und Prädikantennest, Bockelson, Knipperdolling, Rothmann, Schlachtschaf, Klopriss, Vinne und die übrigen, gefangen nehmen und im Rathause festsetzen. So steht es kurz und nur einer kommentiert höchst ergötzlich die eine dieser Verhaftungen. Der Prädikant Schlachtschaf nämlich wird von den Aufrührern in einer recht heiklen Situation erwischt, und als man ihn in den Kotter des Rathauses gesperrt hat, erscheinen vor den Gittern die empörten Weiber, bewerfen den geistlichen Herrn mit Steinen und Straßenkot, speien ihn an und fragen ihn, ›ob hei och noch mehr frowen wollte hebben / were hei nicht genoich hedde an einer‹.
So ergeht es dem armen Schlachtschaf, den man im tête-à-tête gleich mit zwei Damen erwischt hat, und leider fehlt uns jede Nachricht darüber, wie es sonst bei dieser Verhaftung zuging und wie bei dieser Gelegenheit sich die anderen Herren benahmen, die, sonst doch an schrankenlose Willkür gewöhnt, urplötzlich mit sehr, sehr üblen Möglichkeiten sich vertraut machen mußten.
Denn Mollenhecke und seine Leute haben einen perfiden Plan. Sie wollen als Reiniger des ganzen Augiasstalles und Beseitiger von unerträglich gewordenen Zuständen den Bischof in die Stadt rufen, sie wollen ihm das Ludgeritor öffnen und so dem Terror, dem Tschekistenregime, dem Wüten einer biblisch maskierten Henkeroligarchie ein Ende machen. Das wollen sie und könnten's auch ausführen. Ich aber wüßte nicht, in welcher Revolution dieses ›Beinahe‹ und ›Hätte‹ und ›Wenn nicht‹ und jene berühmten ›beiden Kompagnien‹ fehlen, mit denen man die ganze Revolution ›hätte‹ zum Teufel jagen können. Es war so beim Bastillesturm und beim Sturm auf die Tuilerien, es kehrte wieder im Berliner März 1848, und immer vergaßen die rückwärts schauenden Betrachter, daß Revolutionen in der Geschichte die gleiche Rolle spielen wie in der Geologie die Vulkane: daß diese für den Überdruck der Lavamassen, jene aber für den Innendruck des angestauten sozialen und seelischen Eiters die Sicherheitsventile bilden und daß ihre Ausbrüche brechbar sind erst nach Wiederherstellung des inneren Gleichgewichtes. Daß Ludwig XVI. auf seiner Flucht nach Varennes die Vedetten des zu seiner Aufnahme aufgestellten Regimentes Royal allemand nicht erreichte, ist scheinbar das Produkt einer Reihe von Zufällen, ist aber im Plane der Geschichte, wie leider immer erst dem Enkel klar wird, so notwendig wie die Tatsache, daß hier der Schmied Mollenhecke, der noch in dieser Nacht Herr der Stadt ist, mit seinem Putsch scheitert.
Täuscht nicht alles, so scheiterte er, weil die Herren, die übergelaufenen Landsknechte an der Spitze, sich zunächst in den Schatzkammern des Rathauses, wo die beschlagnahmten Vermögenswerte und Gelder lagen, gehörig die Taschen füllten, dann aber an den Weinvorräten sich toll und voll soffen und darüber das Wichtigste vergaßen: dem Bischof die Tore zu öffnen.
Als es Tag wird, ist es damit zu spät. Als sie mit dröhnenden Schädeln und verklebten Augen auf dem Markt erscheinen, um den Putsch der Gemeinde mundgerecht zu machen, hat es dort bereits einigen Krawall gegeben, und im entscheidenden Augenblick kommt unser alter Freund Redeker Nach Gresbeck war es der Exbürgermeister Tilbeck, auf den G. freilich besonders schlecht zu sprechen ist. und schreit in die Menge hinein, daß, was diese Menge scheinbar noch nicht weiß, daß die ganze Gemeinde der Heiligen gefangen ist, Bockelson und Knipperdolling und der liebe Rothmann und alle die übrigen Männer des Glaubens. Da unter der Menge doch auch zahlreiche überzeugte Täufer sind, wird die Stimmung plötzlich unsicher, und plötzlich – irgend jemand muß den Plan wohl verraten haben – kommt auch die Nachricht, daß Wälle und Tore besetzt sind und daß es für ein gemeinsames Operieren mit dem Bischof zu spät ist. Die Stimmung schlägt vollends um, die Menge schiebt sich murrend vor, sie drängt die Mollenheckschen ins Rathaus, wo sie sich im Obergeschoß verbarrikadieren. Nicht alle Damen Münsters aber sind gar so unzufrieden mit der pikanten neuen Gesetzgebung, und da es nicht wenige unter ihnen gibt, die sich im heiligen Venusberg eigentlich ganz wohl fühlen, so spannen sie sich als Vorläuferinnen der Théroigne de Méricourt ex 1789 vor die im Arsenal stehenden Kanonen, schleppen das Geschütz auf den Markt, wo man aus Handwaffen das Feuer auf die Rathausfenster inzwischen auch schon eröffnet hat. So bricht die wieder völlig umgestimmte und plötzlich wieder gut täuferisch gesinnte Menge die Rathaustüren auf, befreit die gefesselt im Keller liegenden heiligen Männer, schießt mit Arkebusen durch die Decke nach den Putschisten, bringt draußen grob Geschütz in Stellung und zündet die Lunten an.
Worauf die Mollenheckschen auf ihrem Dachboden zum Zeichen der Kapitulation einen alten Hut aus dem Fenster stecken und endgültig sich ergeben. Gnade aber fänden sie hier, wo inzwischen durch ein paar bange Stunden die Gebietiger der Stadt über die Möglichkeit eines Höllensturzes haben nachdenken müssen, wohl eher bei einer Kobra. Gegen hundertundzwanzig – denn der Rest hat sich verlaufen – holt man vom Dachboden herab, gegen vierzig werden begnadigt, gegen achtzig erbarmungslos hingerichtet. Nicht gar so rasch und mit dem simplen Willen zum Auslöschen des Gegners. Sondern es tagen die heiligen Männer lange und beraten wie Siouxindianer über die Martern. Es geht damit noch glimpflich ab, und das Schlimmste, was man ihnen antut, ist die seelische Qual des Wartens. Auf dem Domplatz wird zunächst ganz gemächlich eine große Grube ausgehoben, darin sie verscharrt werden sollen. Einen, der sich hierbei befreit und sich daheim bei Weib und Kind versteckt, reißt man aus den Armen der Seinen, zerhackt ihn mit Hellebarden, und die Stücke trägt der Pöbel, genau wie er es 1792 mit der schönen Prinzessin Lamballe tat, auf seinen Piken durch die Gassen. Von den übrigen holt sich der Staatsscharfrichter Knipperdolling nach Belieben heute zehn und morgen sieben heraus und köpft sie sozusagen zum Frühstück. Er ist aber der einzige Henker in diesen Tagen nicht. ›Wer lusten hedde / einen doid zu schlain‹, berichtet der Augenzeuge Gresbeck, ›der moichte einen nemmen und schlain den doit.‹ Vier Tage hört die Stadt das Wehegeheul der Delinquenten, und draußen hört es das bischöfliche Heer, und ein paar Tage darauf berichten die klevischen Kriegskommissare ihrem Landesherrn, wie sie ›groiss rumor und zwitracht in der stadt auch buissen gehört‹. Der Anschlag auf die Stadt gelingt ein Jahr später fast auf ähnliche Weise, wie er hier geplant war. Augenblicklich war die Zeit eben noch nicht reif.
Sie ist so wenig reif wie in Paris vier Monate vor dem Thermidor, und ähnlich wie das Frankreich von 1794 vor dem tugendhaften Advokaten von Arras, so duckt Münster sich vor dem Schneidermeister aus Leyden. Einen Widerstand gibt's nach dem Abenteuer des Schmiedes Mollenhecke nicht mehr, und die zwei ›Erbmänner‹ Heinrich v. Arnheim und Hermann Bisping, die, wenn auch nur ideologisch, hinterher noch zu opponieren wagen, machen sehr bald mit Knipperdollings Zweihänder sich bekannt. ›Sie hebben dat volck in groten dwanck gehat und na der tiet dorfte niematz dairtegen seggen, dat der ehestant unrecht were / und al dat sie deden / dat moiste recht sein.‹
Es mußte recht sein, es war nur eben nicht recht. Die Stadt, die nicht laut klagen darf, windet und krümmt sich, und hinter den schönen gotischen Fassaden am Prinzipalmarkt spielen sich Trauerspiele ab. Dem, der zur täuferischen gentry gehört und sein Herz siebenfach gepanzert trägt gegen Tränen und Kummer – ihm geht's freilich gut. ›So hebben die Hollanders / Freesen un all die rechte wederdoepers ock mehr frowen genommen to der irsten frowen‹, berichtet Gresbeck, und da, nach seinem Bericht, die Herrschaften viel zu bequem und zu paschahaft sind, um sich die zweite, dritte, vierte und fünfte selbst zu suchen, ›so hebben sie ir erste fraw dartho gezwungen / dat sie moste gain und hollen dem man ein ander fraw‹. Sie kommen auf diese Weise zu einem stattlichen Harem, und der Bockelsons umfaßt gegen Ende der Täuferherrlichkeit sechzehn Damen, der liebe Rothmann bringt es nach und nach immerhin auf neun, Knipperdolling, der düstere Mann, der hinter dem Prophetenthron steht, begnügt sich samt den Prädikanten mit zweien oder dreien, während ein Jahr später der zwölfjährige Sohn des hingeschlachteten Mollenhecke ihnen noch mehr zuschreibt, und am Schluß seiner von den bischöflichen Räten protokollierten Aussage heißt es vielsagend: ›Viel mehr sein irer / dan ich war irer aller zu schreiben verdrossen.‹ Was verständlich ist, da unter diesen Frauen sich ja Trägerinnen alter und klingender Namen, Edelfrauen und Patrizierinnen und nicht zuletzt die Nonnen des Überwasserklosters befinden. Das Seltsame ist, daß diese im Wege der Hundehochzeit zustande gekommenen Ehen ziemlich unfruchtbar bleiben. Im Frauenhause Bockelsons werden im Laufe eines vollen Jahres, wie wir noch sehen werden, nur zwei Kinder geboren, von denen das eine, da Dame Divara, des seligen Matthys' Witwe, ja in gesegnetem Zustande geheiratet wurde, nicht einmal Bockelsons leiblich Kind ist. Gresbeck, zu schlagkräftigen und probaten Kommentaren immer bereit, findet die Erklärung hierzu auf seine Weise. ›Dieselven wiederdoepers / die viel frowen hedden / sie kriegen aldermindest kinder. Up dat leste sint sie dem fleisch abgestorven und sie weren nicht anders / denn huit – Haut – und beine so weren sie verschmachtet / dat sie do alle wiever verlietten.‹
Noch aber sind die Speisekammern leidlich gefüllt, noch ist kein Hunger in Zion, noch sind die Männer in ihrer Mehrzahl zufrieden mit dem neuen Ehestand. Eine Heirat vollzieht sich nun in ihren Formalitäten ziemlich rasch, und da sich Vater Gresbecks Schilderung der neuen Trauungszeremonie in allzuviel verschollenen Worten bewegt, wollen wir's übersetzen: ›Wenn ein Paar sich wollte zusammengeben lassen, die gaben sie keineswegs wie früher durch die Prediger zusammen. Sondern wer mit dem andern eine Ehe schloß, der brachte einen oder auch zwei Freunde mit, und sie hielten dann Umzug miteinander und hielten dabei einander bei der Hand. Damit waren sie Mann und Frau.‹ Man sieht, es kommt im wesentlichen, wie übrigens auch die Scheidung, auf die standesamtliche Protokollierung im kürzesten Wege, ohne Ausbietung und ohne jede Feierlichkeit und ohne Prüfung der beiden Ehegatten hinaus – just so wie heute in einem osteuropäischen Staate, der ja nicht wenig Ähnlichkeiten aufweist mit Münster, der Heiligen Stadt Zion.
So steht es. Für die Männer, wie gesagt, ziemlich bequem, weniger ersprießlich für die Frauen. Für die Frauen mit ihrer Sehnsucht, ihre Gefühle zu verewigen, mit ihrem horror vor dem Fortwischen und Fortgewischtwerden. ›Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich wohl ein Kind, kriegten aber keines.‹ Was aber gelten uns hier noch die Märchen mit den alten frommen Worten der verklungenen Zeit? Fühlst du dich also gesegneten Leibes, so verheimliche es, sonst zieht die zweite und nach ihr die dritte und die vierte Frau ein in deiner doch von dir so treulich gehüteten kleinen Welt, und wenn du dann nicht mehr die Herrin bist im eigenen Hause und du begehrst auf, dann wirft man dich bis zu deiner Einkehr in den düsteren Rosentaler Turm, und wenn du den Widerstand auch dann nicht aufgibst, kommst du vor das Prädikantengericht, und das Prädikantengericht kennt nur den einen Spruch, der sich mit dem Namen Knipperdolling und seinem Richtschwert verbindet. Und wie dir, so geht es den Frauen, deren rechtmäßiger Gatte in der Fremde ist und die nun durch eine neue Verbindung ihr Leben retten können, und so wie dir, so geht es denen, denen der Mann mit seinen Nebenfrauen nun verekelt ist. Und es geht nicht anders den Mädchen, die in eine unerwünschte Ehe gezwungen werden. Es gibt aus jener Zeit ein böses Wort, die Chronisten berichten es, und draußen die bischöflichen Landsknechte rufen es, wie wir ja schon hörten, höhnend den auf der Mauer stehenden Täufern zu, und es heißt: ›Mein Geist begehrt deines Fleisches.‹ Es ist das Sesamwort, das jeden weiblichen Willen brechen soll, wir wollens hoffen, daß es Erfindung ist und daß es nicht so war, wie die Chronisten es behaupten. Daß nämlich dieses Zauberwort jedes weibliche Wesen, soweit es nicht schon gebunden war, herbeizwang in den Willen des Mannes ...
Wir wollens nicht hoffen, daß die Form so zynisch war. Die Praxis aber war so, und so, wie gesagt, bedroht der Richttod die, die sich dem Manne entziehn. So geht es den Ungehorsamen, so geht es denen, die die alleinige Herrin im Hause bleiben, so geht es denen, die gegebenes Treuewort halten wollen. Ja selbst den armen Weibern, die von der gesetzlichen Möglichkeit der Scheidung Gebrauch machen wollen, geht es so, da ihr Scheidungswille wohl zu Protokoll genommen, ihnen aber hinterher von den Prädikanten erklärt wird, ›sie seien verflucht an Leib und Seele‹ und weil auch hinter diesem Wort der Henker steht. Ja sogar den alten Weiblein, die mit ihrem ›Schirmherrn‹, dem erwähnten Schutzpatron, unzufrieden sind, geht es nicht anders, und auch sie bekommen nötigenfalls um den Hals den roten Schmuck, nicht breiter als eines Messers Schneide.
Der Geist des Selbstmordes geht um unter diesen armen Weibern, die Aa schwemmt ihre Leichen an, die man eilends verscharrt. Und da die Gier der Männer auch vor Kindern nicht haltmacht und selbst die Zwölfjährige dem Ehegesetze untersteht, so muß die Heilige Stadt die ›Meestersche Knuppers‹, eine Ärztin nach damaligem Begriff, bereitstellen, um die an Leib und Seele Verdorbenen zu kurieren. So ist es. Und um diesen Zustand zu erhalten und den Terror nicht erkalten zu lassen, wird neben all den Selbstmorden fleißig hingerichtet, und auch Bockelson selbst verschmäht es nicht mehr, das Richtschwert selbst zu schwingen. ›So haben Johann von Leyden und Knipperdolling mit ihren eigenen Händen manchen frommen Mann und manche fromme Frau zu Tode gebracht und manchen zu Tode schmachten lassen und ihm das Seine genommen und jämmerlich ihn von den Seinen gejagt und manchen arm und elend gemacht, daß es Gott erbarme. Und alles, was sie taten, das mußte also geschehen, und alles war Gottes Wille.‹ Ja gewiß, Meister Gresbeck, es ist manchmal so Gottes Wille, daß er die Augen schließt und Satan walten läßt, und es scheiden sich in solchen Zeiten nach seinem Willen die, die sich zu Gott, und die, die sich zum Satan bekennen.
Der Satan aber, Meister Gresbeck, ist ein Herr von ungeheurer Realität, und wenn er von der Kette kommt, verfaulen über Nacht die Stützen der Menschenhäuser, und es verfaulen die Menschenherzen. Und es verrät das Weib den Mann, und es verrät, wenn nur ein bescheidener Vorteil winkt, die Tochter an die Tscheka von Münster den eigenen Vater. Und es herrscht, was aus Müll und Kehricht gemacht ist und Jauche in den Adern hat, und es leidet und stirbt, was die Kraft hat, den Tod zu überwinden, und behält, da nichts so siebenfach Erz bricht als der Getreuen Leiden und Sterben: siehe da, es behält recht, Meister Gresbeck. Komme nur, Tod. Komme doch nur, du Knecht Gottes.
Hier aber verhandeln wir ein irdisch Ding und verhandeln eine Zeit, da war der Teufel wirklich von der Kette gekommen, und ungewiß waren in seinem Zeichen der Menschen Herzen geworden.
Es war eben eine herrliche Zeit, es ging uns gut, und die Propheten und Heiligen Münsters ›hedden al dat gelt wech / sülver und golt / und setten in ire huiser of oer güder und wolden datho hebben tehen oder twelf frowen‹. So war das. Und dann kommt ein weiterer Satz, und der Satz soll dir unvergessen bleiben:
›Do hebben sie iren willen gehat, und da hat der duvel gelacht.‹
Es war noch ein volles Jahr in Münster zu hören, dieses Lachen.