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Das Ende der Schwarzen Flagge

Der Unionjack über Tortuga – Wie die Engländer die Insel eroberten. – Zu spät! – Lussans Tod. – Der Untergang des Flibustierbundes. – Die Brüder Owelglas.

 

So bleibt denn noch zu erzählen, wie das Häuflein, das Lussan nach dem blutigen Tage von Panama heimwärtsführte, Tortuga erreicht hatte. In den Tagebüchern des Justus von Owelglas, von denen ja hier schon die Rede war, wird berichtet, daß sie das bei Colon wartende Schiff glücklich erreichten, daß kein spanischer Angriff ihren Marsch über den Isthmus z« stören wagte. Die Fahrt nach Tortuga aber durch die Karaibische See war stürmisch und schwer, und während langer Wochen wurde ihr Schiff, das so vielen Menschen kaum Platz bot, durch langwieriges Kreuzen aufgehalten. Es war ein düsterer, schwüler Märzabend, derselbe fast, an dem die Brüder vor einem Jahr Europa verlassen hatten, als sie Tortugas zackige Berggipfel aus dem bleigrau vor ihnen liegenden Meer auftauchen sahen. Lussan stand vorn auf der Back und spähte aufmerksam nach den Zinnen der Festung drüben, auf deren höchstem Wachtturm eine Flagge im leisen Abendwinde träge hin und her schlug.

»Was habt Ihr?« fragte Georg, der neben Lussan stand, verwundert.

Erregt reichte Lussan dem Fragenden das Glas: »Seht selbst! Das ist nicht unsere Flagge.« Doch Georg konnte nichts erkennen, da der Wind inzwischen noch mehr abgeflaut war und das Flaggentuch nur müde an der Stange hing.

»Was soll es denn für eine Fahne sein, die Ihr glaubt gesehen zu haben?« erkundigte sich Georg beunruhigt, indem er das Glas wieder seinem Begleiter reichte.

Lussan zuckte die Achsel». »Ich weiß es nicht, nur schien es mir, als hätte ich einen Augenblick, als sich das Tuch da drüben für eine Sekunde entfaltete, den Unionjack Unionjack ist die bekannte Bezeichnung für die englische Flagge. erkannt.«

»Ihr meint, die Engländer könnten in unserer Abwesenheit Besitz von Tortuga ergriffen haben?« fragte Georg erschrocken.

Es war mittlerweile dunkel geworden. Weil die Anker hier keinen Grund faßten, so ließ Lussan, der die Nacht hier in der Nähe des Landes nicht zubringen mochte, Leuchtkugeln aufsteigen, um durch dieses Signal sich Schleppboote für die Einfahrt zu erbitten. Aber soviel von diesen Signalen auch mit ihren bunten Bogen den nächtlichen Himmel durchfurchten, es blieb alles still dort drüben auf den dunklen Wällen, und nur einmal schien es, als leuchte ein schwacher Lichtschein am Kai des Hafens auf. Lussan verharrte in finsterem Schweigen, aber deutlich sahen die Brüder im Schein der Kompaßlaterne, daß sein Antlitz blaß und seine Stirn voller Sorgen war. »Still!« Er gebot den beiden, die gleich ihm unruhig die Brücke auf und ab wanderten, plötzlich Schweigen. »Vernahmt Ihr nichts?«

Durch die Stille der Nacht klang jetzt ganz deutlich der schnelle Takt eines Ruderbootes, und gleich darauf hörte man den Anruf der am Fallreep stehenden Wachen. Bewegung entstand unten auf dem Deck, Schritte kamen die Treppe zur Brücke herauf, und gleich darauf trat eine wohlbekannte Gestalt in den Schein der Laterne. Der Chevalier de Latour war es, der auch den beiden Brüdern von Tortuga her noch bekannte Befehlshaber von de Graffs Hellebardiergarde. Er trat, erschöpft vom raschen Rudern, auf Lussan zu. »Der Kommodore ... wo ist Seine Exzellenz?« fragte er atemlos.

»De Graff ist tot. Wir ließen ihn in Panama.«

Der andere bedeckte einen Augenblick das Antlitz mit seinen Händen. »Tot? Oh, so bricht denn alles zusammen! Ihr befehligt an seiner Stelle, Lussan? Ja? So flieht, sage ich Euch, sie sind dicht hinter mir!«

Lussan zog die Brauen zusammen. »Ihr gebt mir Rätsel zu raten, Latour, vor wem soll ich denn fliehen? Wer ist hinter Euch?«

»Die Engländer! Die Engländer sitzen seit vier Wochen in Tortuga!«

»Alle Mann an Deck!« donnerte Lussans Stimme über das nächtliche Schiff. »Enterwache, Kanoniere an die Gefechtsposten!« Schrill gellten die Pfiffe der Bootsleute über das Deck, durch dessen Luken die Leute aus dem Raum emporeilten.

»Großsegel los! Bramsegel los!« rief Lussan. »Verwünschte Flaute! Wir werden nicht von der Stelle kommen.« Er hatte, während über ihm die dunklen Wände der Untersegel herabrauschten, den Zeigefinger prüfend erhoben. Aber kaum ein Luftzug kam über das stille Wasser, und müde schlugen oben die Segel wie Trauerfahnen hin und her. »Latour! Latour!« schluchzte Lussan, übermannt von seinem Schmerz, auf. »Wie hat das geschehen können?«

Der andere stand fassungslos da. »Sie kamen mit falscher Flagge und hatten ihre Schiffe den unsern täuschend ähnlich gemacht. Wir glaubten, de Graff käme zurück, und haben keinen Schuß auf sie abgefeuert.« Er fuhr zusammen. »Still, ich höre sie kommen.« An ihm vorbei, den Degen aus der Scheide reißend, stürzte Lussan auf Deck. Wohl standen die Kanoniere an den Geschützen feuerbereit, wohl war die übrige Mannschaft auf ihren Posten. Dennoch war es zu spät: die dicht bemannten Boote, die da drüben aus dem Dunkel in den Lichtschein des spärlich erleuchteten Flibustierschiffes schossen, hielten sich geschickt in nächster Nähe des Rumpfes, und die Kanonenläufe ließen sich trotz aller verzweifelten Maßnahmen nicht so tief niederdrücken, daß sie die so rasch aus dem Dunkel gekommenen Boote hätten erreichen können. Verwirrt und gänzlich überrascht, ließen es die Flibustier geschehen, daß Enterhaken in die Reling griffen und allenthalben wohlbewaffnete britische Seesoldaten den Rumpf hinankletterten. So schnell und überraschend war dieser Überfall erfolgt, daß Lussan vergebens seine sonst so todesmutigen Leute zum Kampf anfeuerte. Völlig überrumpelt warfen die Männer, die eben noch ruhig in ihren Kojen geschlafen hatten, ihre Waffen fort. Das letzte der Flibustierschiffe war in der Gewalt des listigen Gegners.

Bleich vor Zorn lief Lussan dem baumlangen Offizier entgegen, der langsam die Fallreeptreppe emporstieg. »Wer seid Ihr?« rief er. »Was sucht Ihr bei mir an Bord?«

»Mein Herr ...« Der Engländer konnte seinen Satz nicht vollenden.

»Zieht!« rief Lussan, in dem das heiße welsche Blut zu wallen begann. »Zieht, sage ich Euch!« Und blitzend im trüben Schein der Bordlaternen kreuzte sich des Wallonen geschmeidiger Damaszenerstahl mit dem schweren Säbel des englischen Offiziers, bis dieser dem schwächeren Gegner mit mächtigem, brutalem Hieb die leichte Waffe aus der Hand schlug. Ein zweiter Hieb – ein schwacher Aufschrei – die beiden Brüder und Latour konnten gerade noch den jungen Wallonen auffangen, der für die Waffenehre der Flibustier bis zum letzten Augenblick fechtend gefallen war.

Unter Deck waren sehr bald die wenigen Offiziere und Leute, die noch einen Widerstand wagten, überwunden und gefesselt. Ruderboote spannten sich vor den Vordersteven, und in die Bucht von Tortuga glitt das Fahrzeug ein, an dessen Großmast nun nicht mehr die Flibustierflagge wehte. Der britische Offizier, der sich im übrigen als ruhiger und gesitteter Mann erwies, saß lange in dieser Nacht in Lussans Kajüte den beiden Brüdern gegenüber, mehr als einmal mit Ausrufen ehrlicher Bewunderung ihren Bericht über die Einzelheiten dieses kühnsten und größten aller Flibustierzüge unterbrechend. Es war ein grauer Morgen, als sie den Raum verließen und auf Deck traten. Ein dichter Nebel verhüllte die Umrisse der Festung und die edlen Linien des Kommodoreschlosses, wo vergebens ein Weib und ein unmündiges Kind der Rückkehr de Graffs harren mochten. Ein feiner Sprühregen fiel und durchnäßte die auf Halbmast gesetzte britische Flagge und machte, daß alles ringsumher unendlich trübselig erschien. Auf Deck, da, wo er gestern mit seinem Blut die Planken gerötet, lag Lussan, eingehüllt in das schwarze Banner des Flibustierbundes. Die Mannschaft des Schiffes war ohne Waffen vollzählig angetreten und sah traurig auf den toten Führer. Ihr gegenüber standen, das Gewehr präsentiert, in ihren roten Röcken die britischen Seesoldaten. Die Trommeln rollten ihre Totenwirbel, und vor dem überwundenen Gegner senkten sich die Degen der englischen Offiziere.

Als die kurze englische Ehrenbezeugung für den Toten beendigt war, trat der englische Befehlshaber, der am Abend zuvor Lussan getötet, vor und verlas die folgende, mit vielen Siegeln behängte, pergamentene Urkunde:

Dieweilen Wir beschlossen haben, uns zu ewigem Frieden und Einverständnis mit Seiner Majestät von Großbritannien über alle Kolonien, Pflanzungen und Städte zu einigen, so Wir in überseeischen Landen bisher erworben, gepflegt und maintiendrieret haben / dieweilen Wir ferner auch Ursach genommen haben uns zu befremden über der Flibustier ungebührlichen Stolz und anmaßend Wesen, so aus Unserer Insel Tortuga ein selbständig Reich und Staatswesen hat machen wollen / so geben Wir, der holländischen Generalstaaten erwählter Statthalter, Seiner Majestät von Großbritannien Vollmacht und Erlaubnis, die erwähnten Flibustier, wo sie auch immer zu treffen seien, mit Gewalt zu überwältigen / insbesondere auch deren Feste und Schloß Tortuga zu besetzen, sämbtliche Schiffe zu entwaffnen und besagte Flibustier nach Europa, oder wo es Seiner Majestät sonsten beliebt, fortzuführen und anzusiedeln, auf daß sie ehrliche Leute würden.

Gleichzeitig erklären Wir alle Kaperbriefe und Patente, so Wir ihnen zum Krieg gegen spanische Schiffe ausgestellt haben, für ungültig.

Was aber den besagten Flibustier Kommodore oder Gouverneur Christian de Graff anbelangt, so wollen Wir, daß derselbe in Anbetracht seiner Verdienste mit allen Ehren von Seiner Majestät Schiffen nach Unserer Residenz überführt werde, allwo sich derselbe Unserer besonderen Gunst und Clemenz gewärtig halten mag.

Gegeben im Haag, im Namen Seiner Exzellenz des Statthalters der Generalstaaten, am Januari des Jahres 1671 am ersten Tag.

Jonkher van den Rhyn, Staatssekretär.

Wieder rasselten, als er so gelesen hatte, die britischen Trommeln über das Deck, wo die aller Rechte beraubten, von ihrer Schutzmacht im Stiche gelassenen Flibustier in finsterem Schweigen den Wortlaut der Urkunde vernommen hatten.

An dem Großmast, wo sie der Ehre halber während der letzten Minuten noch einmal gehißt worden war, sank langsam die schwarze Flagge mit dem Totenkopf, die einst dieser Meere Schrecken gewesen war.

Wir wissen nur wenig Einzelheiten über die weiteren Geschicke der beiden Brüder. Wohl enthalten jene schon erwähnten, vor kurzer Zeit erst auf Schloß Papenbrook gefundenen Erinnerungen des Justus von Owelglas über seine wunderbare Reise in die Neue Welt und zu den Flibustiern oder »Küstenbrüdern« noch die Angabe, daß sie im Juni 1671, am gleichen Tage, an dem vor just einem Jahr vor Tortuga die »Santa Maria« versunken war, Holland erreichten. Wohl wissen wir auch, daß Justus sich ein Weib nahm, und daß sich von ihm jener Zweig des Geschlechtes ableitet, der heute noch auf Schloß Papenbrook sitzt; aber die übrigen Papiere der Familie sind in den napoleonischen Kriegen verlorengegangen. Und nur aus den Akten des vor dem Weltkriege in Brünn gelegenen k. u. k. Dragonerregiments »Prinz Eugen von Savoyen« wissen wir, daß am 13. August 1703 beim Sturm auf die Hochstädter Schanzen des Regiments Obrist Justus von Owelglas mit der Fahne in der Hand fiel, die Treue gegen den Kaiser mit dem Tod besiegelnd.

Nicht viel mehr wissen wir über Georg. Das Belagerungsjournal der Stadt Wien aus der Zeit der Berennung der Stadt durch die Türken erwähnt die große Minensprengung des kaiserlichen Ingenieurs Georg von Owelglas, durch die er an die tausend Türken tötete und die Stadt errettete, kurz ehe der ritterliche Polenkönig Johann Sobieski sie entsetzte. An der Südseite der alten Kirche zu Papenbrook aber steht, nach dem Geschmack der Zeit mit einem gar greulichen Skelett nebst Stundenglas und Hippe versehen, ein Grabstein. Die Inschrift ist noch immer gut zu entziffern. Der Stein führt das Wappen der Owelglas mit den drei Pfeilspitzen. Die Inschrift aber lautet:

Eintausendsiebenhundertundzwanzig am Sonntag Portiunkula starb der Kaiserliche Geheimbde Rat, Präsident des Kriegsconseils, auch Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, Herr Georg von Owelglas, dem Gott gnade.

Die Inschrift ist, wie gesagt, noch gut und deutlich zu lesen. Über dem Stein aber wuchern viel wilde Rosen und dichter Efeu.

Dieweil das alles nun schon so lange her ist.


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