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Auf Culebra

Im Nothafen. – Unheimliche Erinnerungen. – Die Bewohner der Schlangeninsel. – Der Anschlag auf den »Egmont«. – Der Unterhändler. – Eine Kriegslist. – Minierkünste vor dreihundert Jahren.

 

Es war kein freundliches Bild, das nun vor ihnen ausgebreitet lag: die bleigraue Wasserfläche, die kahlen, von keinem einzigen Baum gekrönten Uferhöhen, der Sumpf davor mit seinem fauligen Fieberhauch und darüber das melancholische Licht des Abends. Die Aussicht, tage-, wochenlang vielleicht hier eingeschlossen zu werden, war nicht gerade verlockend. Würde Morgan, der mit dem übrigen Teil der Flotte hatte folgen sollen, sie hier aufsuchen? Und was würde hier, wo sie von einer feindlichen Übermacht blockiert wurden, geschehen, wenn jener Mann wirklich ein Verräter war? Jetzt erst fiel ihnen wieder der unaufgeklärte Vorfall ein, der die beiden Buggeschütze im entscheidenden Augenblick außer Gefecht gesetzt hatte. Sie wollten jetzt, wo die Back zugänglich schien, dorthin gehen, um den Schaden sich näher zu betrachten. Aber am Zugang streckten sich ihnen die Piken der dort stehenden Posten entgegen; de Graff hatte bis auf weiteres jedem, wer es auch sein mochte, den Zutritt verbieten lassen.

Übrigens waren die Flibustier schon in emsiger Tätigkeit. Boote setzten an Land, Lebensmittelvorräte wurden auf die Sandfläche jenseits des Sumpfes gebracht, Späher besetzten die Höhen und stellten die Verbindung mit dem an der Einfahrt zurückgebliebenen Posten her.

Abend war es, und das Schiff lag schon in tiefem Dunkel, als sich gespenstisch der Schatten des »Ulenspeegel« neben den »Egmont« schob. Was mit dem Schiff geschehen war, ließ sich im Dunkel nicht erkennen. Doch dauerte es nicht lange, und das Gig Langes, schmales Ruderboot für den Kommandanten und Ersten Offizier. des »Ulenspeegel« hielt neben dem »Egmont«.

Lussan, die Stirn mit einer blutigen Binde umwunden, betrat das Deck, um gleich darauf mit de Graff in dessen Kajüte zu verschwinden. Sodann erhielten mit der übrigen Besatzung auch die beiden Brüder den Befehl, das Schiff zu verlassen und an Land zu gehen. An Bord blieb außer den beiden Befehlshabern nur eine Wache zurück.

Mit dem Arzt zusammen schritten sie über den schmalen Brettersteg, den man über den Sumpf gelegt hatte. Fackelträger schwenkten dabei ihre Leuchten hin und her. »Nehmt euch in acht!« sagte der Arzt; »es wimmelt hier von Schlangen wie nirgends auf der Welt. Haltet euch dicht bei den Feuern, vor denen das Gewürm einige Achtung hat.«

In der Tat, kleine Feuer, sorgfältig unterhalten, waren ringsum in weitem Kreise entzündet, und auch in der Mitte des Kreises brannte ein mächtiger Holzstoß, der seine düsteren Flammen seltsam genug auf den wilden, bärtigen Gesellen ringsum und auf den Waffen spielen ließ. Schaurig ging drüben auf dem Wasser der Vollmond auf und machte dieses Bild noch phantastischer und grausiger.

Sie mochten eine kleine Weile am Feuer gelegen haben, als von der bei der Einfahrt gebliebenen Wache ein Posten kam, der gleich darauf von dem diensttuenden Offizier zu de Graff an Bord geschickt wurde. Dann lief die Kunde im Lager um, der Feind hätte mit allen am Tage gesichteten fünf Schiffen dicht vor der Einfahrt Anker geworfen. Die drei, die noch beieinander saßen, schlichen sich, die Fackeln in der Hand, die Höhen hinan. Da lag nun dicht vor der Einfahrt die feindliche Flotte, jedes Schiff voll beleuchtet, als hätten die Spanier nichts mehr von der beschädigten Flibustierflottille zu befürchten. Feldmusik tönte herüber, und nur das Fahrzeug des spanischen Admirals, das dem Kanal zunächst vor der Linie lag, streckte seine Geschütze stumm und drohend gegen die Einfahrt.

»Sie sind verdammt sorglos«, sagte der Alte; »sie haben nicht einmal Patrouillenboote zu Wasser gebracht und scheinen! sich gegen einen Überfall überhaupt nicht zu sichern. Wir werden ja sehen!«

»Und glaubt Ihr nicht«, sagte Justus besorgt, »daß sie uns hier zu Lande überfallen?« Er sah auf die dünne Postenkette, die hier oben Wacht hielt.

»Da seid unbesorgt! Sie werden warten wollen, bis wir hier am Fieber sterben, in diesem verfluchten Pfuhl! Ein höllisches Land!« Er atmete schwer den heißen Brodem ein, der von den Sümpfen kam.

Als sie die Höhen hinabschritten, begegnete ihnen eine Schar Flibustier, die mühsam mit Stricken und Hebebäumen Geschütze den Hang hinaufbrachten. Es waren die Kanonen der Kuff, die man hier in Stellung schaffte. Eine mühevolle Arbeit war es, die wohl die ganze Nacht dauern mochte. Aber diese kleinen Geschütze mußten, ohne daß die tiefer liegende spanische Artillerie sie erreichen konnte, die Einfahrt beherrschen und die Boote zerschmettern, die sich dem offenen Seeufer nähern sollten. Es schien also, daß de Graff sich auf einen längeren Aufenthalt an diesem unfreundlichen Platze vorbereitete.

Gedankenvoll schritten die drei den Hang hinab. »Ihr seid unserer Sache so gewiß«, sagte Georg gedankenvoll, »und spracht doch, wie mich dünkt, von einem Unglück, das sich hier zugetragen hätte!«

Der Alte blieb plötzlich stehen und sah eine Weile über die Sandhänge hin, auf denen nun der Silberschein des vollen Mondes lag. Dann schritt er, jetzt von der Richtung aus das Lager zu abbiegend, den Brüdern wieder voran. »Kommt, ich erkenne die Stelle schon wieder; aber zündet die Fackeln wieder an, der Schlangen wegen, ihr wißt!«

Eine Weile schritten sie so durch das Halbdunkel der Nacht, bis sie, fast eine Seemeile vom Lager entfernt, an einer Stelle haltmachten, wo ein einsamer, verkrüppelter Baumstumpf seine toten Äste wie die Arme eines Gerippes in die Luft reckte. Die Holzkohlen eines längst erkalteten Lagerfeuers hatte der Sand halb verweht, und einmal stieß Georgs Fuß auf einen harten Gegenstand; es war das rostzerfressene Blatt einer zerbrochenen Hellebarde, das hier von längst vergessenen Kämpfen zeugte. Etwas unerklärlich Grauenvolles lag über dem Ort, als gingen die Schatten einer blutigen Vergangenheit hier um, und unwillkürlich drängten sich die beiden Brüder näher aneinander, als der Alte zu erzählen begann.

»Es ist nun schon zwanzig Jahre her, und L'Olonois, der Franzose, war damals Kommodore aller Flibustier. Ein anderer Mann, sage ich euch, als unser milder Herr, ein blutdürstiges Ungeheuer, von dem man sagte, seine herkulische Kraft und sein Übermut rührten daher, daß er einst zur Zeit des großen Krieges in Deutschland das Herz eines getöteten Feindes am Spieß gebraten und verzehrt habe. Diese Begebenheit aus dem Leben des Flibustierführers L'Olonois ist ebenso geschichtlich wie die geschilderte Einnahme Maracaibos und das Ende des Seeräubers. Wir hatten damals die Stadt Maracaibo erobert, die unten im Süden liegt, wo die Spanier ihre großen Tabakpflanzungen haben. Nun, ich sage euch, es ging damals anders zu, als es heute geschehen würde, wenn wir auf unserem Zuge eine solche Stadt erobern sollten! Was die Waffen gegen uns getragen hatte, wurde getötet; was nicht verraten wollte, wo es sein Gold und die sonstige Habe verborgen hatte, wurde so abscheulich gefoltert, daß die ganze brennende Stadt voller Jammern und Kreischen war. Ich sage: Glücklich die, die dieser L'Olonois zum Scheiterhaufen begnadigte; es gab andere, denen man die Haut vom Leibe riß oder Schlimmeres antat, dergleichen ich euch nicht einmal berichten möchte. Ich sage euch, das Blut stand damals in Lachen auf den Straßen, und zwei große Barken Drei-, vier- oder fünfmastiges Segelschiff, dessen letzter Mast Besanmast heißt und keine Rahen, sondern nur Gaffel und Baum hat. fuhren am Abend unseres Sieges in die See hinaus, bis an den Rand mit den Toten beladen. Und ein Schwelgen und Prassen inmitten all dieses Jammerns! Es konnte nicht anders kommen, als daß die Vorsehung dem allen eine furchtbare Vergeltung schickte.

Wir hatten reichere Beute damals, als wir sie je gemacht haben. Auf dem Rückwege nach Tortuga aber, als wir eben diese Insel hier anlaufen wollten, wurde unsere Flotte vom Sturm zerstreut, und unser Schiff erreichte Culebra erst mehrere Tage später als das Kommodoreschiff. Als wir hier einliefen, stand an der Einfahrt ein schreiender, zerlumpter Mensch, der uns heftig zuwinkte. Es dauerte eine Weile, bis wir in dem irre Redenden, der da vor uns stand, den Ersten Offizier des Kommodoreschiffs erkannten. Nun, wir wußten sofort, daß etwas Schreckliches geschehen war. An diesen Platz, auf dem wir jetzt stehen, führte er uns. Das Kommodoreschiff lag als rauchendes, ausgebranntes Wrack daneben. Ihn aber hatten an dieser Stelle samt seiner Mannschaft Eingeborene überfallen, ein wilder, verkommener Stamm, der auf diesen Inseln haust, ebenso vertiert, wie dieser L'Olonois es war. Ich glaube nicht, daß dieser Wahnsinnige, der dem Blutbade entkommen war, die Unwahrheit gesprochen hat, als er berichtete, diese wilden Bestien hätten sich nicht begnügt, die überwältigten zu töten, sie hätten vielmehr ihre Leiber gefressen. Wir haben keinen Leichnam hier gefunden, wohl aber schauervolle Beweise dafür, daß er wahr redete. Das ist die Geschichte dieses Ortes, und unsere Leute behaupten, daß sie jedesmal, wenn sie hier rasten, rings um die Lagerfeuer es schreien und toben hören und dann wiederum das Jammern von Menschen in höchster Todesangst vernehmen. Ich sage euch, er war ein Scheusal, und er verdiente kein besseres Schicksal!«

Der Alte schwieg und grub gedankenvoll mit der Fußspitze im Sand. Ein großer Sumpfvogel erhob sich unten am Ufer und kreiste mit widerlichem Krächzen um den Ort mit seinen grauenvollen Erinnerungen. Schweigend gingen die drei von dannen, dem Lager zu. Sie mochten den halben Weg zurückgelegt haben, als Georg den Bruder plötzlich auf einen ekelhaften Brodem aufmerksam machte, der vom Lagunenwind mit dem fauligen Dunst des Sumpfes hergeweht wurde. Es war ein widerlicher Moschusgeruch, wie manche Insekten ihn an sich haben. Als sie den Alten darauf aufmerksam machten, lauschte er eine Weile aufmerksam in die Nacht hinaus. Aus dem Dunkel vor ihnen kam ein Schlürfen und Schaben, wie man es wohl hört, wenn man lebende Krebse in ein Blechgefäß gebracht hat.

»Gebt acht«, sagte der Alte, »ihr sollt mit den Bewohnern dieser Insel Bekanntschaft machen! Kriecht an der Erde wie ich und folgt mir!«

Sie schoben sich eine Weile vorsichtig über den Sandboden, bis sie hundert Fuß vor einem mäßig hohen Sandkegel haltmachten, der sich unmittelbar aus dem Sumpf erhob. Und hier hatten sie einen Anblick, der noch oft genug in ihrem späteren Leben schauervoll aus den Erinnerungen an diese seltsamen Tage auftauchte: Schlangen waren es, deren Leiber sich im Mondlicht über den Sand schoben, Hunderte von Schlangen, ungezählte Mengen, alle von der gleichen Scheußlichkeit, mächtige Reptilien mit dreieckigem Kopf, jedes wohl zehn Fuß lang, in greulichen Klumpen sich durcheinanderwindend und wieder sich voneinander lösend. Jenes Rasseln und Schaben aber, das sie vernommen hatten, kam von diesen Schlangenleibern, deren Schuppen sich in trägem Gleiten über den Sand schoben.

»Die Surukuku, wie die Eingeborenen sie hier nennen, sagte der Arzt. »Ich erkannte ihre Anwesenheit sofort an diesem Moschusduft, den sie absondert. Jede ist giftgeschwollen genug, in einer Viertelstunde zehn Menschen umzubringen. Sie ist die Herrin dieser Inseln hier, die Surukuku. Schießt eine Pistolenkugel in jene Haufen, stört sie nur durch einen Schrei, und die Klumpen lösen sich, und die Bestien jagen wütend über den Sand, bis sie den Störenfried erreicht haben.«

Vorsichtig, um die widerlichen Tiere nicht aufzuscheuchen, zogen sie sich wieder zurück, höher hinauf auf die Sandhänge, wo sie vor solcher Begegnung einigermaßen sicher waren. Aber noch als sie todmüde von den Abenteuern dieses Tages an dem großen Feuer inmitten des Lagers ruhten, noch da standen ihnen die Schrecken dieses weltverlassenen Ortes vor Augen, an den sie durch ein so wechselvolles Geschick verschlagen waren. –

Die Sonne stand hoch am Himmel, als die Brüder andern Tags erwachten. Nun war es ein freundlicheres Bild, das sie umgab. Verflogen waren die Bilder der Nacht, die Sonne schien heiß und hell und trocknete ihre gestern vom Seegang durchnäßten Kleider. Große, wunderliche Blumen, die sie gestern nicht bemerkt hatten, schwammen mit ihren gelben Blüten auf den trüben Lachen des Sumpfes, und der Bullokfrosch brüllte sein Lied in das ungewohnte Treiben der Menschen ringsum.

Die Flibustier waren bereits emsig am Werk. Drüben in den zerfetzten Segeln des »Ulenspeegel«, der sich ziemlich weit vom Land vor seinem Anker drehte, schwärmte schon ein Heer von Rothemden, und von der noch weiter bei der Ausfahrt vertäuten Kuff klang der regelmäßige Takt der Äxte. Dem Lande zunächst, von der eben ihrem Höhepunkt sich nähernden Ebbe auf den schlammigen Grund gesetzt, lag der »Egmont«. Ganz schräg stand sein Deck, nun das Wasser ihn nicht mehr trug; vorn aber, dicht am Vordersteven, sahen sie das mächtige Leck, so groß, daß ein Mann hindurchschreiten konnte, ohne den Kopf zu neigen. Eifrig wurde an der Ausbesserung des Schadens gearbeitet.

Lussan stand plötzlich vor den beiden Deutschen, als sie auf dieses bewegte Treiben sahen; er trug die Binde noch immer um die Stirn, war aber fröhlich und guter Dinge. »Es war ein lustiger Tanz gestern«, erzählte er; »ich kam ihnen ähnlich wie der ›Egmont‹ gerade vor ihre Kanonen gelaufen. Sie scheinen Glück zu haben dieses Mal, die Spanier. Aber ich vergesse die Hauptsache: ihr sollt mich sofort zum Admiral begleiten!«

Sie fanden de Graff auf der Back vor den gestern aus ihren Lafetten geworfenen Rohren, die noch immer notdürftig verankert am Boden lagen. Während die Zimmerleute den Schaden untersuchten, mußte der Geschützführer genau berichten, wie der Unfall sich zugetragen hatte. Justus, der darauf noch einmal den Welschen und auch seine nächtliche Begegnung mit ihm beschreiben sollte, kam nicht zu Ende; die bei den Geschützen arbeitenden Leute schrien plötzlich erregt durcheinander, und dann trat einer von ihnen vor de Graff, triumphierend einen Eisennagel in die Höhe haltend. Den, so berichtete er, hätten sie soeben in der Backbordlafette gefunden; in der andern stecke ein zweiter, gleich großer, man werde ihn sofort herausgezogen haben.

De Graff trat mit seinen Begleitern an die Geschütze. Der Boden der Gleitbahn war an einigen Stellen von Löchern durchbohrt, um dem Seewasser, das mit seinen Spritzern auf die Geschütze fallen konnte, ein Abfließen zu gestatten, und in einem dieser fingerdicken Löcher steckte noch jetzt einer jener fast fußlangen Schiffsnägel, die der unentdeckte Verräter hier angebracht hatte. Es hatte dann eben kommen müssen, wie es gekommen war: beim Zurückgleiten waren die Rohre auf die Köpfe dieser Nägel gestoßen, hatten bei der ungeheuren Wucht des Rückstoßes die Führungsleisten der Gleitbahn zerbrochen und diese selbst verlassen.

»Ein gut Stück Arbeit!« sagte der Zimmermann, auf die zerstörten Lafetten blickend. »Wir werden uns verdammt dranhalten müssen, wenn wir's bis zum Abend fertig haben sollen!«

De Graff hielt eine Weile in tiefem Sinnen das Eisenstück in der Hand. Aber noch ehe er sich an die beiden Bruder wenden konnte, um ihnen das mitzuteilen, was er ihnen hatte sagen wollen, kam von unten, wo das Leck ausgebessert wurde, erregtes Schreien und Rufen; gleich darauf stürzte der dort die Aussicht führende Bootsmann mit der Meldung herauf, man habe eben das in den Raum eingedrungene Wasser ausgeschöpft und dabei zwischen den beiden Bugankerwinden einen Toten gefunden. Als de Graff mit den beiden Brüdern und Lussan unten angekommen war, hatte man gerade den Körper mit einiger Mühe befreit und ins Freie getragen.

»Wir wissen nicht, wer er ist, Herr«, sagte der Bootsmann und beugte sich zu dem Toten nieder. »Aber so viel ist gewiß, daß er mehr Wasser getrunken hat, als ihm gut war.« Als nun der Mann das Tuch hob, das über das Antlitz des Toten gebreitet lag, fuhr Justus zusammen. Wohl hatte der Todeskampf das Haupt krampfhaft in den Nacken zurückgebogen und die Züge verzerrt, aber dieser massige Unterkiefer, diese fliehende Stirn – es konnte kein anderer sein als dieser Italiener, den sie in der Nacht vorher gesehen und den man so lange vergebens gesucht hatte.

De Graff beugte sich über den Toten und hob die bunte Jacke, unter der auch jetzt noch ein feiner Blutbach hervorquoll. »Das hat der spanische Treffer geschlagen«, sagte er, als die Todeswunde in der Brust zutage lag. »Es ist, wie Ihr gesagt habt, Herr von Owelglas; der Bursche hatte sich versteckt und wurde hier getroffen – von denen, an die er uns verraten wollte.«

Er wühlte in den Taschen des Toten. »Schade, er hat sein wertvollstes Geheimnis mit in den Tod genommen, und über denjenigen, in dessen Auftrag er handelte, werden wir vorerst nichts erfahren. Aber hier, seht her ...« Er zog die beiden Brüder ein wenig beiseite und zeigte ihnen ein kleines Fläschchen mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit darin. »Das Einzige, was ich bei ihm fand. Mohnsaft, wie Kellermann sagte. Der Schlaftrunk, den der Mann benützte. Es bedarf nun keines weiteren Zeugen, Herr von Owelglas, daß Ihr die Wahrheit spracht, und ich muß Euch und Euern Bruder wohl oder übel um Verzeihung bitten. Gewiß, es wollte mir nicht in den Kopf, daß Ihr für mich eintreten wolltet in jener Nacht, für mich, den Ihr doch am Ende für einen Seeräuber haltet wie alle in Europa.«

Der Admiral hatte die letzten Worte mit einer Bitterkeit gesprochen, die trotz seiner gedämpften Stimme unverkennbar war. Und Justus wollte leidenschaftlich, wie es seiner Jugend nahelag, erwidern, daß niemand in Europa de Grass für einen gemeinen Räuber halten würde, niemand, der einmal seine Gastfreundschaft auf Tortuga genossen hätte; und er wollte auch versichern, daß sie beide, da sie nun einmal Teilnehmer dieses abenteuerlichen Zuges seien, auch ihr Leben für den Führer in die Schanze schlagen wollten. Aber in eben diesem Augenblick ließ sich ein Offizier von den Vorposten sehen, und seine Miene verriet, daß er den Admiral in einer wichtigen Angelegenheit sprechen müsse. Und so kam es denn, daß die Augen dieses seltsamen Mannes, der mit seiner Menschenkenntnis wohl erriet, was in dem Gesicht des jungen Menschen da vor sich ging, nur eine kurze Weile mit freundlichem und wohl gar dankbarem Blick auf den beiden Deutschen ruhten.

In der Tat, der Offizier kam in allerwichtigster Angelegenheit. Hinter ihm wurde von zwei Flibustiern ein schwarzgeharnischter Spanier mit verbundenen Augen geführt, ein Unterhändler, der de Graff eben im Auftrag des feindlichen Admirals hatte aufsuchen wollen.

Während de Graff mit dem blassen, hochgewachsenen Manne in seiner Kajüte verschwand, blieben die Brüder mit Lussan, der Zeuge der vorhergehenden Unterredung gewesen war, allein.

»Sie sind verdammt sicher, die da draußen; sie wissen, daß wir uns nicht allzulange in diesem Fieberloch halten werden. Möglich auch, daß sie den Verrat wittern. Deshalb hoffen sie, sich einen Kampf ersparen und unterhandeln zu können.«

»Und glaubt Ihr nicht, daß Morgans Flotte uns über kurz oder lang hier befreien muß?« fragte Justus.

Lussans Gesicht wurde düster. »Sprecht von Morgan nicht in de Graffs Gegenwart, wenn ich bitten darf«, antwortete er rasch. »Gewiß, Morgan müßte bei dem günstigen Wind, den wir gestern hatten, schon hier sein. Ich schaute bereits seit dem frühen Morgen nach ihm aus. Kein Segel in Sicht, sage ich Euch!« Er schaute ein wenig um sich, ob niemand das Gespräch belausche. »Nein«, fuhr er dann fort, »sprecht nicht von Morgan in de Graffs Gegenwart. Daß er es ist, der hinter diesem Anschlag von gestern steckt, ist heute dem Admiral ebensowenig zweifelhaft wie mir. De Graff hat mir gestern in nächtlicher Stunde alle Eure Beobachtungen mitgeteilt. Die Beschreibung des Menschen, den Ihr da in der Pulverkammer saht, soweit Ihr ihn eben sehen konntet, die Schilderung der Bastion, durch die Ihr Euren Rückweg nahmt, und zu der der Unbekannte doch auch scheinbar zurückgekehrt ist, alles weist auf Morgan und seine Spießgesellen. Aber wie gesagt, so sehr de Graff heute selbst von Morgans Verräterei überzeugt ist, er mag es doch nicht aus eines andern Munde hören.«

»Und weswegen nicht?« wandte Georg ein.

»Weil er selbst es ist, der diesem Morgan gegen meinen ausdrücklichen Rat den Befehl über den andern Teil der Flotte anvertraute. Weil heute drei Viertel aller Flibustier auf diesen machthungrigen, beutegierigen Engländer schwören. Weil er sie dem Admiral abtrünnig gemacht hat mit seinen geheimen Wühlereien. Er ist heute so mächtig, daß de Graff es nicht mehr wagen kann, ernstlich gegen ihn aufzutreten. Das alles weiß der Admiral, ohne es ändern zu können. Kein Wunder, daß er es vor anderen nicht wahr haben will! Aber seht, der Spanier hat uns nur für kurze Zeit die Ehre erwiesen; wir werden wohl bald Neues zu hören bekommen.«

Mit verbundenen Augen, wie er gekommen war, wurde der Offizier zu den Vorposten geleitet. Gleich darauf erschien de Graff wieder. »Gute Neuigkeiten!« rief er spöttisch lachend. »Don Alfonso, der die da draußen befehligt, ist großmütig genug, uns die Übergabe anzutragen. Sie geben uns Zeit bis zum nächsten Sonnenaufgang. Bis dahin sollen wir Schiffe und Waffen ausliefern und als Gefangene an Bord ihrer Flotte übersiedeln, die uns dann auf die spanischen Pflanzungen nach Mexiko bringen wird. Gehen wir darauf nicht ein, so wollen sie morgen höchstselbst mit ihren Schiffen hier in der Lagune erscheinen und uns den Garaus machen.«

»Hier?« fragte Lussan erstaunt. »Mit ihren tiefgehenden Schiffen?«

»Gewiß!« sagte de Graff. »Der Admiral läßt mir nämlich mitteilen, daß er in der letzten Nacht in der Fahrrinne gelotet habe. Er versichert, sie sei durchaus nicht zu flach für seine Schiffe.«

»Hölle und Teufel!« rief Lussan. »So haben unsere Wachen geschlafen!«

»Die Nacht war neblig, und so war es weiter nicht so schwer, dort unbemerkt zu loten. Übrigens fiel mir schon gestern auf, daß das Fahrwasser tiefer geworden ist, seit ich das letztemal hier war. Die Strömung mag es verändert haben. Sagt mir doch Herr von Owelglas, wißt Ihr wohl noch, wie tief die ›Santa Maria‹ lief?«

»Zehn Fuß«, antwortete Justus, »keinen mehr, keinen weniger. Aus dem Munde des Kapitäns selbst weiß ich es.«

»Zehn Fuß! Dann hat der Spanier recht; seine Schiffe sind vom selben Typ. Er kann uns also hier überraschen. Saht Ihr von Morgan etwas?« fragte er Lussan, und seine Stirne umwölkte sich unmerklich. »Gut, so muß es also ohne ihn gehen!« fuhr er auf des jungen Offiziers Kopfschütteln fort. Der ›Egmont‹ wird heute nacht fertig, Euer ›Ulenspeegel‹ dürfte schon am Abend kampffähig sein. Und die Kuff?«

Lussan zuckte die Achseln. »Ein schlimm Ding! Sie ist schwer beschädigt, und solange wir ihre Geschütze auf dem Hange lassen müssen, ist sie wehrlos!«

»Bleiben also fünf gegen zwei! Ein schlimmes Spiel, selbst für uns Flibustier!« sagte de Graff. »Aber was habt Ihr, Herr von Owelglas? Ihr scheint mir etwas sagen zu wollen?« Er hatte die letzten Worte an Georg gerichtet, der mit einiger Erregung dem Gespräche gefolgt war.

»Freilich habe ich Euch etwas zu sagen«, antwortete der Deutsche, »wenn ich es wagen darf, Euch einen Vorschlag zu machen. Die Kuff, höre ich, ist wertlos im Gefecht?«

»Vorderhand.«

»Und Ihr wollt die feindliche Linie, die uns hier einschließt, durchbrechen?«

»Gewiß!«

»So könnte Euch die Kuff unschätzbare Dienste leisten.«

De Graff, der seine Antworten diesem scheinbar doch in allen den Seekrieg angehenden Dingen unerfahrenen Deutschen etwas zerstreut gegeben hatte, horchte auf. »Wie das?« fragte er erstaunt.

»Indem Ihr mir einen Brander Ein brennendes, mit Explosivstoffen beladenes Schiff, welches abgelassen wird, um andere Schiffe in Brand zu stecken. daraus machen laßt.«

»Euch?«

»Gewiß, Herr, mir! Erstaunt nicht zu sehr darüber. Mein Bruder Justus wäre Euch gewiß von größerem Nutzen, wo es gälte, mit dem Schwerte dreinzufahren; ich aber habe nicht umsonst in Utrecht diese Künste studiert und habe genug von den Kriegsmaschinen erfahren, durch die einst Meister Gianibelli bei der Belagerung Antwerpens der Spanier Herr wurde. Gianibelli war ein berühmter Ingenieur in den Tagen des Befreiungskrieges, den die Niederlande gegen Philipp II. von Spanien führten. Gianibelli baute während der Belagerung von Antwerpen durch die Spanier mehrere höchst kunstvoll angelegte Brandschiffe, die eine von den Spaniern über die Schelde für den geplanten Sturm gebaute Brücke durch ihre Explosion zerstörten. Ich bitte Euch nur um fünf Stunden Zeit, um einige Leute und um ein paar Säcke Pulver. Ist Euch die Kuff wirklich nichts mehr wert, so solltet Ihr es doch versuchen.«

De Graff überlegte. »Ihr wart noch vor einigen Wochen Gast der Spanier. Und Ihr wollt sie heute bekämpfen helfen?«

»Weil ich weiß, daß sie mich ebenso hängen werden wie Euch, wenn sie mich in Eurer Gesellschaft fangen.«

»In der Tat«, sagte de Graff, »darauf könnt Ihr Euch verlassen. Don Alfonso befehligt sie, derselbe, der einst in Peru fünfhundert Eingeborene in eine Kirche sperren und verbrennen ließ. Ihr könnt in der Tat daraus ersehen, was Euer wartet. Gut denn, Herr von Owelglas, Ihr sollt fünf Stunden Zeit, und Ihr sollt auch die nötigen Leute haben. Ich muß sagen, daß wir Flibustier uns mehr auf den offenen Kampf verstehen als auf den mit solchen Maschinen. Aber wenn Ihr meint, uns helfen zu können, ich will's Euch danken. Ich gebe Euch meinen Feuerwerker mit, der sonst unsere Brandkugeln an Bord füllt. Zimmerleute findet Ihr wohl drüben. Gehabt Euch denn wohl! Ich will jetzt die Posten abschreiten. Nach genau fünf Stunden bin ich bei Euch. Herr de Lussan begleitet mich. Und wenn Euer Bruder sich mir anschließen mag, er ist mir willkommen. Wir brauchen nachgerade jeden Arm, der einen Degen führen kann. Gehabt Euch denn wohl bis auf weiteres!«

Eine halbe Stunde später schon stand Georg mit Snyders, dem ihm von de Graff mitgegebenen Feuerwerker, an Bord der Kuff. Wüst genug sah es hier aus, und ein Blick auf die Trümmerhaufen und die zerschossene Takelung zeigte deutlich genug, daß das Schiff von den wenigen zur Verfügung stehenden Leuten bis zum nächsten Morgen nicht kampffähig gemacht werden konnte.

»Wir haben noch vier und eine halbe Stunde Zeit«, sagte Georg nach der Sonne schauend, die die Mittagshöhe längst überschritten hatte. »Vorwärts also! Das erste, was ich brauche, sind Ziegel und Lehm.« Er stieg in das Batteriedeck mit seinen leeren Geschützständen hinab. Unmittelbar vor der Stelle, wo der Großmast es durchbohrte, blieb er stehen und zog mit Kreide geheimnisvolle Linien auf den Boden.

Inzwischen war Snyders mit ein paar Flibustiern, die auf langen Brettern aufgestapelte Ziegel trugen, zur Stelle. »Wir haben den Herd der Kambüse abgebrochen«, berichtete er. »Der Lehm freilich dürfte länger auf sich warten lassen.«

»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte Georg. »Wieviel Leute habe ich eigentlich zur Verfügung?«

»Zwanzig, Herr, mehr werden sich nicht auftreiben lassen.«

»Gut, so sollen sie alle zu tun bekommen! Ihr laßt mir so viel Teer auf Deck bereitstellen, als ich von den übrigen Schiffen erhalten kann. Zehn Mann gehen in die Wanten und streichen alles, was sich erreichen läßt, Segel und Taue, mit Teer an. Halt, wartet!« rief er dem Feuerwerker zu, der sich schon zum Gehen wandte. »Ich habe Arbeit auch für die übrigen, seht her.« Er zog auf einer der Deckplanken mit der Kreide den Umriß eines etwa fünf Fuß langen Rechteckes, auf dessen einer Schmalseite eine runde Scheibe von Kopfgröße saß. »Laßt einen der Zimmerleute aus irgendeinem dünnen Brett zunächst eine solche Figur ausschneiden. Ich bin gleich wieder da.«

Georg ging nach dem Mannschaftsraum, um nach einer Weile, als der Zimmermann seine Arbeit beendet hatte, mit einigen roten Hemden, Südwestern und Öljacken wiederzukehren. Dann nahm er das zugerichtete Brett, zog lachend ein rotes Hemd darüber, stopfte Werg in die leeren Ärmel und lehnte es dann gegen den Großmast. Zuletzt wurde ein Südwester über die runde Scheibe am Ende gestülpt. In einiger Entfernung und bei ungewissem Licht mußte man diese Vogelscheuche für einen wirklichen Menschen halten.

»Fünf von den Leuten werden mir in den nächsten Stunden mindestens fünfzig solche Bretter sägen und die nötigen Kleidungsstücke dafür beschaffen, wies er den Feuerwerker an. »Die Scheiben werden auf dem Vorschiff aufgestellt, und zwar so, daß sie fest stehen, das Gesicht nach vorn, versteht Ihr mich?«

Inzwischen war der Lehm gekommen. Mit den fünf ihm noch verbliebenen Leuten ging Georg in das Batteriedeck zurück und ließ zunächst in der Größe des Rechteckes, das er dort mit Kreide auf die Planken gezeichnet hatte, einen Ziegelboden legen. Auf diesem Boden, der wohl zehn Fuß lang und fünf Fuß breit sein mochte, wurden senkrecht stehende, wohl halbmannshohe Wände errichtet, so daß jetzt ein gemauerter Ziegelkasten zustandegekommen war, dem nur der Deckel fehlte. Alle Fugen waren sorgfältig mit Lehm verstrichen; nur an der einen Wand sparte Georg ein paar Löcher aus, jedes so groß wie ein Pistolenkaliber. Dann ließ er brennende Kohlenbecken um das Ganze herumstellen, damit es rascher trockne.

Befriedigt sah Georg, als er auf Deck zurückkehrte, daß die Arbeiten inzwischen rüstig fortgeschritten waren. Die Fockmasttakelung war so mit Teer getränkt, daß sie bei der geringsten Berührung mit Feuer lichterloh aufflammen mußte, und aus dem Vordeck reihten sich jetzt immer dichter die rotgekleideten Figuren, dichtgedrängt alle, als stünde dort die Mannschaft zum Entern angetreten. »Ihr werdet mir«, sagte er zu den Zimmerleuten, »noch ein paar Kanonen für mein Batteriedeck unten fertigmachen, das heißt, ihr nehmt den ersten besten Gaffelbaum In der Längsrichtung des Schiffes am Mast nach hinten und schräg oben stehende Stange, an der mit dem Segelbaum unten das Segel ausgezogen wird. Auf Dampfern dienen die Gaffeln zum Setzen der Flagge, Signalisieren oder Anbringen von Lösch- und Ladebäumen., zersägt ihn, streicht ihn mit gelber Farbe und befestigt ihn unten auf einer der Lafetten. Ich will nicht ohne Geschütze morgen gegen die Spanier fahren! Und nun, Snyders, sagt mir, ob ich hier an Bord eine Uhr finde.«

»Gewiß, da hing noch in der Kapitänskajüte die Uhr, ein ganz neues Werk, wie sie damals soeben in Holland erfunden waren: nicht, wie die bisherigen Wanduhren, von Steingewichten, sondern von einer Feder getrieben. Dieses Werk trug Georg sorglich neben den Ziegelkasten in das Batteriedeck. Den großen Hammer, der zur Angabe der Stunden auf eine Glocke von Stahl fiel, ließ er von dem Feuerwerker mit einem großen Feuerstein versehen. Er selbst schraubte die Glockenschale ab und befestigte sie dann wieder umgekehrt auf der Uhr, so daß die jetzt wie ein tiefer Teller von oben zugänglich war. In diesen Teller nun schüttete er ein wenig Pulver, das nach der Entfernung der Kohlenbecken in den Raum geschafft worden war, und ließ das Werk anlaufen. Siehe da, es ging alles just so, wie er es sich gedacht hatte: der Feuerstein des aufschlagenden Hammers ließ ein Strahlenbündel von Funken in den Teller fallen, dessen Pulver sofort aufzischte.

»Es ist ganz einfach«, sagte Georg befriedigt, nachdem er diese Vorrichtung noch einige Male auf ihre Zuverlässigkeit geprüft hatte, »ich leite von dieser Glocke in einer Hohlrinne einen Pulverstreifen hierher.« Er wies nach den Öffnungen, die er in der Wand des Ziegelkastens ausgespart hatte. »Seht her, die Pulverexplosion in der Glocke teilt sich dann sofort dem Pulver mit, das ich in den Kasten schaffen lassen werde. Ich aber kann vorher durch dieses Uhrwerk auf die Minute genau den Zeitpunkt der Sprengung bestimmen, ohne daß ich selbst an Bord bin.«

Der Feuerwerker schüttelte den Kopf. »Ausgezeichnet, Herr, ausgezeichnet! Aber Ihr werdet keine gute Wirkung erzielen, wenn Ihr das Pulver da in den festen Kasten sperrt. Wenigstens scheinen mir die Wände allzufest gemauert, als daß die Sprengung noch eine große Kraft entfalten könnte.«

»Im Gegenteil«, sagte Georg, »je enger ich das Pulver einsperre, desto furchtbarer ist die Kraft, mit der es die Wände zerreißt. Ihr sollt mir sogar noch alles herbeischaffen, was an Steinen und altem Eisen aufzutreiben ist. Je mehr wir davon auf das Pulver häufen, um so schrecklicher wird dieser Vulkan, den wir hier für die Spanier bereithalten.«

Eine Stunde verging, und die Mine war mit Pulver in zwei Drittel ihrer Höhe angefüllt. Alte Harpunen, Balkenklammern, rostige Nägel und Steine bildeten die oberste Schicht. Zum Schluß wurde der Kasten mit mehreren Lagen dicker Eichenbohlen bedeckt, und diese beschwerte man wiederum mit einer Schicht großer, aus dem Ballastraum geholter Sandsäcke.

Georg hatte so eifrig gearbeitet, daß er alles andere darüber vergessen hatte. So war er einigermaßen überrascht, als er plötzlich Schritte über sich auf dem Deck hörte und dann de Graff nebst seinen Begleitern neben sich sah.

»Ausgezeichnet!« lachte der Admiral. »Ich habe Eure Scheiben da oben wirklich für Menschen gehalten. Ich verstehe, Ihr wollt den Eindruck erwecken, als sei oben alles zum Entern angetreten, damit der Spanier seine Leute ebenfalls zum Entern bereithält und sie nicht an die Geschütze gehen läßt.«

Der junge Deutsche nickte. »Gewiß, der Brander darf erst in unmittelbarer Nähe des Spaniers auffliegen. Seht her!« Er zeigte den Offizieren die Vorrichtung, durch die dieser furchtbare Höllenschlund zum Aufflammen gebracht werden konnte.

De Graff war verblüfft. »In der Tat, Herr von Owelglas, das übertrifft meine Erwartungen. Aber Ihr habt außerdem die Takelung mit Teer bestreichen lassen; wie wollt Ihr sie vorher in Brand setzen?«

»Die Masten geraten in Brand, sowie die Mine auffliegt. Sie fallen aber außerdem von selbst vornüber, sobald der Brander auf den Spanier stößt. Ich gedenke sie nämlich hinten ansägen zu lassen, so daß sie eben beim Anprall brechen müssen.«

»Immer besser. Und wer fährt den Brander gegen den Feind?«

»Ich. Und wenn mein Bruder die Fahrt mitmachen will, ist er willkommen. Ich muß unter allen Umständen an Bord sein. Die Vorrichtung ist immerhin empfindlich und könnte eine Störung erleiden.«

Der Admiral wiegte nachdenklich das Haupt. »Herr von Owelglas, es scheint mir genug zu sein, daß Ihr mir diesen Brander bautet. Ich will nicht, daß Ihr Euer Leben für mich, einen Fremden und Gleichgültigen, aufs Spiel setzt.«

Georg sprang auf und seine Augen leuchteten. »Ein schlechter Ingenieur, der von seinen eigenen Maschinen umgebracht wird! Ich setze mein Leben für Euch gar nicht aufs Spiel. Hört mich an!« Und er bewies ihnen unwiderleglich, daß ihm sein Unternehmen nach menschlicher Voraussicht nicht gefährlich werden konnte. Er wolle nur einen zuverlässigen Mann am Steuerruder wissen, der den Brander gut durch die Fahrrinne steuern sollte. Wenn er selbst, was sich ja leicht anstellen ließe, mit der Uhr in der Hand genau die Zeit feststellte, die der in der Strömung treibende Brander für eine bestimmte Strecke benötigte, so müsse es ihm auch gelingen, das Uhrwerk der Mine genau auf die richtige Zeit einzustellen. Voraussetzung für seinen Plan sei freilich die Ebbe, denn nur bei auslaufendem Strom lasse sich das Schiff ohne Segel vor den Feind bringen.

»Ausgezeichnet!« rief de Graff. »Die Ebbe beginnt morgen wenige Minuten vor sechs Uhr, also kurz vor Sonnenaufgang. Ich muß übrigens gestehen, Herr von Owelglas, Ihr habt mich überzeugt. Und ich werde Euch diesen Dienst selbst dann danken, wenn Euer Unternehmen durch irgendeinen Zufall unglücklich enden sollte. Verfügt inzwischen über alles, was Ihr noch brauchen solltet. Ich selbst will noch nach den beiden andern Schiffen hinüber, um dort meine Weisungen für morgen zu geben. Euer Bruder bleibt übrigens bei Euch, wie mir scheint.«

Justus, der unter keinen Umständen Georg bei diesem Unternehmen allein lassen wollte, nickte stumm.

»So gehabt euch denn wohl für heute und erwartet mich morgen in aller Frühe. Ich gebe euch dann alle genaueren Weisungen.« Der Admiral drückte beiden die Hand und stieg dann mit Lussan die Schiffstreppe zu den dort wartenden Booten hinab.

Es war völlig dunkel geworden, und vom Lande her flammten die Biwakfeuer des Flibustierlagers durch die Nacht. Die Arbeiter Georgs waren längst zur Ruhe gegangen, und so lag das ganze Schiff öde und verlassen da. Die beiden Brüder lehnten stumm an der Reling und sahen gedankenvoll in das Dunkel der heißen Tropennacht, die ihnen einen so schicksalsschweren Tag heraufführen sollte.


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