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XXXI.

»Das war ein ereignis- und erfolgreicher Tag«, sagte Mansfeld am Abend müde zu seinem Kollegen. »Und Sie können zufrieden sein – Sie haben einen kolossalen Fang gemacht. Das Hauptproblem ist schon gelöst. Sicher fällt ein ganz besonderer Glanz auf die Berliner Polizei, der es gelungen ist, diese große Verbrecherbande aufzuspüren. Die Verhaftung der auswärtigen Agenten können Sie ruhig den Polizeibehörden in Wien, Warschau, Bukarest, London und den anderen Städten überlassen. – Aber ich habe immer noch keine endgültigen Beweise, wer der Täter ist.«

»Kommt Zeit, kommt Rat. Sie haben doch auch selten so schnell bei der Aufklärung eines Mordfalls arbeiten können. Sie dürfen sich nicht beklagen.«

Das Telephon läutete.

Eisler bediente den Apparat, und Mansfeld hörte mit.

»Polizeipräsidium, Kommissar Eisler.«

»Ach, wie gut, daß Sie selbst da sind – hier Elly Hirt.«

»Ach, Sie sind es?«

»Ja, Herr Kommissar. Denken Sie, Fanny ist vor kurzem wieder bei mir aufgetaucht.«

»Wie geht es ihr denn? Ist sie vernehmungsfähig?«

»Ja, ich glaube.«

»Dann bringen Sie sie doch bitte hierher. Ich schicke Ihnen Oberwachtmeister Feurig mit einem Wagen, dann geht es schneller.«

*

Eine halbe Stunde später schaute Eisler auf die Uhr.

»Jetzt müßten sie eigentlich jeden Augenblick kommen.«

Es dauerte aber noch zehn Minuten, bis sich die Tür öffnete und Oberwachtmeister Feurig die beiden Erwarteten hereinführte.

Eisler schob besorgt einen bequemen Stuhl für Fanny Schmidthals hin. Sie war sehr abgemagert, ihre Wangen zeigten eine krankhafte Röte, und ihre Augen glänzten in fieberhafter Erregung.

»Fräulein Schmidthals, wir haben von Ihrem schweren Schicksal gehört«, sagte er mitfühlend, »und wir bedauern unendlich, daß das in Berlin vorkommen konnte. Sie wissen wohl schon, daß ich das Dezernat zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels leite. Ich bitte Sie daher, uns zu unterstützen und alles zu sagen, was Sie über die Sache wissen. Heute will ich nur das Allernotwendigste fragen. Wenn Sie wieder mehr zu Kräften gekommen sind, können Sie weitere Aussagen machen.«

Fanny hatte einen schweren Hustenanfall.

»Fühlen Sie sich auch stark genug, auf meine Fragen zu antworten?«

Sie nickte, obwohl sie noch mit dem Husten kämpfte.

»Ich mache einen Vorschlag, Herr Kommissar«, warf Flora ein. »Ich werde alles erzählen und alle Fragen beantworten, soweit ich kann, und wenn ich mich irre, soll meine Freundin mich verbessern.«

»Ja, das wäre mir lieb«, sagte Fanny erleichtert.

»Es ist ihr gelungen, auf dem deutschen Dampfer ›Marcella‹ von Rio de Janeiro nach Hamburg zu entkommen –«

»Die Vorgeschichte kennen wir ja – es handelt sich jetzt hauptsächlich noch darum, ihre Erlebnisse nach der Ankunft in Berlin zu erfahren. Wir wissen bereits, daß Sie sie in Ihrer Wohnung aufgenommen haben, aus der sie sich dann entfernte.«

»Ja. Sie ist in der Nacht nicht nach Hause gekommen, sondern in den Straßen umhergeirrt. Schließlich hat sie sich bei der Bahnhofsmission am Bahnhof Friedrichstraße gemeldet und dort ein Nachtquartier erhalten.«

»Wohin ist sie denn gegangen, als sie gestern nachmittag Ihre Wohnung verließ?«

»Soll ich es sagen?« wandte sich Elly Hirt an Fanny.

»Ja, du kannst alles erzählen.«

»Meine Freundin hatte auf der Rückreise nur den einen Gedanken, nach Berlin zurückzukehren und Perqueda zur Rede zu stellen und zur Rechenschaft zu ziehen. Sie hat meine Wohnung verlassen, um ihn aufzusuchen. Zuerst ging sie zum Granada-Palast und wartete einige Zeit vor dem Eingang. Da sie aber keine Möglichkeit sah, Perqueda dort zu stellen, ging sie zu seiner Wohnung in der Hubertusallee, wo sie ihn früher oft besucht hatte. Sie durfte nicht klingeln, weil sie sonst abgewiesen worden wäre, aber sie wußte von früher her, daß seitlich in der Wand ein Knopf angebracht war, durch den man sich selbst einlassen konnte. Sie stieg die Treppe hinauf und öffnete vorsichtig die Tür zum Arbeitszimmer –«

»Nein, das stimmt nicht, Elly«, warf Fanny ein.

»Vielleicht fühlen Sie sich jetzt stark genug, selbst die Erzählung fortzuführen?« forderte der Kommissar sie freundlich auf.

»Ja, ich will es versuchen. Ich kenne von früher her das Haus und die Wohnung sehr genau. Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Wohnzimmer, und da ich niemand dort fand, schlich ich mich durch den Salon in den hinteren Verbindungsgang zum Schlafzimmer. Ich lauschte einige Zeit, aber es regte sich nichts. Nun machte ich die Tür auf und stellte fest, daß auch das Schlaf- und das Arbeitszimmer leer waren. Es war vollkommen dunkel im Haus, aber die Vorhänge waren nicht zugezogen, und das Licht der Straßenlaternen fiel durch die Fenster, so daß ich genügend sehen konnte.«

»Wann sind Sie denn bei Perquedas Haus angekommen?« unterbrach sie Eisler.

»Kurz nach sechs.«

Er trug den Zeitpunkt in die große Tabelle ein, die er angelegt hatte.

»Und was geschah dann?«

»Ich setzte mich auf einen Stuhl im Schlafzimmer. Vorher hatte ich mich hinter die große Portiere an der Tür zwischen Arbeits- und Schlafzimmer gestellt. Aber da mir das Stehen schwer fiel, setzte ich mich.«

Sie machte eine Pause, und Eisler drängte sie nicht, weiterzusprechen.

»Nach einiger Zeit hörte ich, daß ein Auto vor der Gartentür hielt«, begann sie nach einiger Zeit wieder. »Darauf vernahm ich Schritte auf dem Kiesweg zur Haustür, und gleich darauf wurde sie aufgemacht. Zuerst trat ich wieder hinter die Portiere, aber als dann die Schritte die Treppe heraufkamen und ich Stimmen hörte, hatte ich keinen Mut mehr und zog mich in den Verbindungsgang zurück, ließ aber die Tür zum Schlafzimmer auf.

Perqueda kam mit einem jungen Mädchen. Ich mußte die Tür zum Verbindungsgang schließen, denn er trat ins Schlafzimmer –«

Erschöpft hielt Fanny inne.

»Vielleicht ist es besser, wenn Ihre Freundin jetzt wieder ein wenig erzählt«, meinte Mansfeld, der ihrem Bericht mit größter Spannung gefolgt war.

Fanny nickte und lehnte sich zurück.

»Sie konnte nicht hören, was im einzelnen gesprochen wurde«, begann Elly Hirt wieder. »Es verging fast eine halbe Stunde, dann wurde das Licht im Schlafzimmer ausgedreht. Sofort öffnete sie, schlüpfte leise ins Schlafzimmer zurück und schlich sich im Dunkeln hinter die Portiere.

Gleich darauf trat Perqueda mit Madame Perault ins Arbeitszimmer. Sie unterhielten sich lebhaft darüber, daß Madame Perault auch nach Paris fahren wollte. Er sagte, sie sollte den Nordexpreß um einundzwanzig Uhr vom Zoo nehmen, und sie ging auch darauf ein. Dann stritten sie sich herum, wieviel Geld sie erhalten sollte. Er wollte ihr zuerst nur tausend, dann zweitausend Franken geben. Schließlich einigten sie sich auf fünftausend. Dann verlangte sie plötzlich eine Halskette mit einem gelben Diamanten von ihm. Er beruhigte sie, aber der Streit wurde immer heftiger, und sie erklärte, daß sie ihre besten und kostbarsten Schmuckstücke nicht für seine Mätressen hergäbe.«

Elly Hirt hatte hastig gesprochen, als ob sie schnell mit ihrem Bericht fertig werden wollte, und hielt nun an, um Atem zu holen. Mansfeld sah sie ungeduldig an, während Eisler besorgt auf Fanny Schmidthals schaute. Er ahnte, welche Enthüllung Floras nächste Worte bringen würden.

»Er ging währenddessen im Zimmer auf und ab«, fuhr Elly Hirt endlich fort, »und Fanny sah zwischen den Vorhängen hindurch, daß sich Madame Perault plötzlich mit einem Messer von hinten auf ihn stürzte und ihn niederstieß. Ohne einen Laut stürzte er vornüber zu Boden.

Fanny schlich sich auf Zehenspitzen in den Verbindungsgang zurück –«

»Du hast etwas vergessen«, unterbrach Fanny ihre Freundin leise. »Ich konnte mich zuerst vor Entsetzen nicht rühren, obwohl ich jeden Augenblick fürchtete, daß Madame Perault ins Schlafzimmer kommen und mich finden würde. Sie kniete nieder und wischte den Griff des Messers ab. Dann erhob sie sich schnell, nahm die Brieftasche auf, durchsuchte sie und steckte einen Teil des Inhalts in ihre Handtasche. Leise trat sie auf die Diele hinaus – im Wohnzimmer war das Radio angestellt. Ich hoffte schon, daß sie das Haus verlassen würde, aber sie kehrte zurück und machte sich am Telephon zu schaffen. Was sie dort getan hat, weiß ich nicht.

Schließlich bückte sie sich und suchte am Boden. Kurz darauf erhob sie sich, schlich sich wieder in die Diele, und wenig später hörte ich, daß sie die Haustür zudrückte.

Das Licht im Arbeitszimmer brannte. Da ich mich in der Dunkelheit fürchtete, drehte ich es auch im Schlafzimmer an.

Im selben Augenblick hörte ich, daß jemand sich der Tür näherte, die vom Salon in den Verbindungsgang führt. Rasch ging ich hin und riegelte sie von innen zu. In atemloser Spannung lauschte ich, aber das junge Mädchen entfernte sich und ging unruhig hin und her. So vergingen etwa fünf Minuten. Dann klopfte sie an die Tür und rief: ›Hallo, ist dort jemand?‹

Das Fenster, das nach draußen führte, hatte ich schon vorher geöffnet. Ich kletterte hinaus und hielt mich an den Efeuranken fest. Wie ich hinuntergekommen bin, weiß ich nicht mehr, aber plötzlich stand ich im Garten, lief zu einer Baumgruppe und versteckte mich dort. Dann hörte ich, daß durch ein anderes Fenster auch jemand herausstieg und zu Boden fiel. Ich glaubte, man hätte mich gesehen und schlich von einem Gebüsch zum anderen. In kurzer Zeit hatte ich das große Gartentor erreicht und kam auf die Straße. Ich war noch so entsetzt von dem, was ich gesehen hatte, daß ich schnell davonlief. Stundenlang irrte ich dann umher, bis ich in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße fühlte, daß ich mich nicht mehr weiterschleppen konnte ...«


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