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Juan Perqueda saß in seinem elegant eingerichteten Arbeitszimmer. Er zählte fünfundvierzig Jahre, aber seine Erscheinung wirkte jugendlich und geschmeidig. Nur die leicht angegrauten Schläfen mochten sein Alter verraten, aber gerade sie gaben seinem kühngeschnittenen Gesicht einen eigenartigen Reiz, dem viele Frauen nicht widerstehen konnten. Nur selten trotzte jemand seinem feurigen, siegessicheren Auge, und doch verbarg sich kalte Berechnung in seinem Blick.
Der Raum war mit viel Geschmack, aber etwas zu luxuriös ausgestattet. Nachdenklich schaute Perqueda auf die prachtvolle Marmorstatue einer Venus, die in einer Wandnische aufgestellt war. Davor erstrahlte ein elektrisch betriebener Springbrunnen in farbiger Beleuchtung. Wie flüssiges rotes und grünes Gold fielen die Wasserperlen in das Becken zurück. Aber er dachte im Augenblick nicht an Frauenschönheit, sondern überlegte angestrengt, was jetzt geschehen mußte.
Den unangenehmen Auftritt mit Hans Peters hatte er fast vergessen, denn solche Szenen hatte er schon mehrfach erlebt, und bisher hatte er es stets verstanden, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen.
Aber irgendwie beunruhigte ihn die Situation. Er runzelte die Stirn und nahm in Gedanken das große Dolchmesser in die Hand, das als Brieföffner auf dem Schreibtisch lag. Er versuchte die Schärfe der Klinge an seinem Fingernagel, schauderte zusammen und legte es wieder beiseite.
Das Code-Telegramm, das am vergangenen Abend von seinem Hauptagenten in Paris angekommen war, machte ihm weitere Sorgen. Als Madame Perault es mit ihm entzifferte, ergab sich aus dem Text, daß Fanny Schmidthals aus Brasilien geflohen war. Wohin mochte sie sich gewandt haben? – Hoffentlich nicht nach Deutschland. Die Nachricht besagte auch, daß Fanny schon seit einiger Zeit verschwunden war.
Unter allen Umständen hätte diese Flucht verhindert werden müssen. Schliefen denn die Leute in Rio? Paßten sie nicht mehr ordentlich auf? Keins der jungen Mädchen war bisher zurückgekommen!
Auf jeden Fall war es gut, wenn er jetzt Berlin auf einige Zeit verließ und die Entwicklung der Dinge vom Ausland beobachtete. Man konnte nie wissen ...
Wo mochte sich diese Fanny augenblicklich aufhalten?
Telephonklingeln schreckte ihn aus seinen Grübeleien auf.
»Hier José«, meldete sich eine aufgeregte Stimme, als Perqueda den Hörer abhob.
José war einer der zuverlässigsten Helfer in Berlin.
»Was gibt es denn?«
»Wir müssen unbedingt etwas unternehmen, Juan – Fanny ist in Berlin!«
»Mache doch keine dummen Witze!« erwiderte Perqueda, der heftig erschrak.
»Die Sache ist viel zu ernst dazu. Ich habe heute vormittag jemand zum Lehrter Bahnhof begleitet. Es war gerade ein Zug von Hamburg eingelaufen, und plötzlich sehe ich, daß Fanny Schmidthals mit einem Pappkarton durch die Sperre geht. Ich glaubte zuerst, ich hätte mich geirrt, aber später habe ich sie genau erkannt. Ich bin vorsichtig nähergegangen und habe sie unauffällig beobachtet.«
Perqueda fluchte.
»Wann war das?«
»Um halb zwölf. Es ist kaum ein paar Minuten her, daß ich sie gesehen habe. Ich muß dich unbedingt sofort sprechen.«
»Zum Donnerwetter, ich habe meine Dispositionen für den Tag schon getroffen – ich kann doch jetzt nicht plötzlich alles über den Haufen werfen! So ein Blödsinn ist mir überhaupt noch nicht vorgekommen! Wo hast du denn deinen Verstand gelassen? Warum bist du ihr nicht sofort gefolgt? Du mußt doch vor allem feststellen, was sie vorhat!«
»Ich hielt es für wichtiger, dich gleich zu verständigen. Unter diesen Umständen müssen wir doch unsere Berliner Zentrale schließen.«
»Halt den Mund! Das können wir später persönlich besprechen.«
»Wann kann ich dich sehen?«
Perqueda überlegte kurz.
»Um vier Uhr – im Zoo, Wartesaal erster Klasse.«
Perqueda legte den Hörer heftig zurück, sprang auf, steckte sich eine Zigarette an und ging in dem Zimmer auf und ab.
Er mußte sofort handeln. Sollte er mit dem Auto zum Flugplatz hinausfahren und nach London fliegen? Oder nach Madrid?
Aber bald legte sich die erste Aufregung. Durch einen so voreiligen Schritt würde er sich höchstens verdächtig machen. Vielleicht war es besser, erst nach Fanny zu suchen und abzuwarten, ob sie überhaupt eine Gefahr bedeutete. Er hatte die besten Verbindungen zur Unterwelt – auf jeden Fall mußte versucht werden, sie unschädlich zu machen. Feige war er nicht, und er wollte auch nicht ohne weiteres alles im Stich lassen.
Er hatte ohnehin die Absicht, mit Marianne nach Paris zu reisen – diesen Plan durfte er unter keinen Umständen aufgeben. Nur mußten sie schon heute fahren, nicht erst in einigen Tagen.
Nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte, nahm er ein Kursbuch zur Hand. Die Verbindungen über Saarbrücken und Straßburg waren zu langweilig, die Vormittagszüge über Köln schon fort – der beste Zug blieb noch immer der Nordexpreß – 21,00 ab Zoo. Aber nein, er wollte den neuen Fernschnelltriebwagen bis Köln nehmen. In nicht ganz fünf Stunden konnte er schon dort sein – glänzend! Das Weitere würde sich dann finden.
Er telephonierte mit seinem Chauffeur Janowski und ließ das Auto vorfahren. Dann nahm er den Bleistift zur Hand, setzte sich an seinen Schreibtisch und rechnete. Darauf machte er rasch einen Überschlag, wieviel Devisen er augenblicklich in seinen Stahlfächern bei verschiedenen Banken zur Verfügung hatte. Das Ergebnis befriedigte ihn.
Was sollte inzwischen aus dem Tanzpalast werden? Schließen durfte man ihn nicht. Der Geschäftsführer war tüchtig und würde auch allein durchhalten. Größere Gelder brauchte man ihm nicht zurückzulassen, denn das Unternehmen war ein glänzendes Geschäft.
Madame Perault? Mit ihr mußte er sich auf jeden Fall aussprechen. Es war wohl am besten, wenn sie auch auf einige Zeit aus Deutschland verschwand. Später wollte er sie anrufen. Sie kannte ja das Telegramm aus Paris und war vorbereitet.
Janowski meldete, daß der Wagen bereitstände.
»Es ist gut. Ich fahre selbst, Sie können hierbleiben. Warten Sie aber unten beim Auto, bis ich komme.«
Nun mußte er vor allem mit Marianne telephonieren. Er nahm den Hörer ab und ließ sich mit ihrer Pension verbinden.
»Nun, Liebling, wie hast du den ersten Morgen nach der Kündigung verbracht?«
Sie lachte vergnügt.
»Oh, es war herrlich! Ich habe mich einmal richtig ausschlafen können und bin erst vor kurzem aufgestanden.«
»Denkst du auch an unsere Reise, kleine Tanzfee?«
»Aber selbstverständlich! Ich habe dauernd davon geträumt – es wird wunderschön werden!«
»Wie wäre es, wenn ich dich um halb zwei zum Essen abholte?«
»Entzückend! Kommst du bestimmt?«
»Habe ich dich jemals schon warten lassen?«
»Also, abgemacht, ich erwarte dich hier.«
Gleich darauf trat Perqueda aus dem Haus. Janowski grüßte und sah ihm nach, als er in schnellem Tempo davonfuhr.
Perqueda hatte seinen Plan fertig. Zunächst fuhr er zu einem Reisebüro Unter den Linden. Bevor er eintrat, warf er einen Blick auf das Schaufenster und sah ein Modell des Riesendampfers ›Normandie‹. Außerdem waren bestechende Photos von den luxuriösen Innenräumen ausgestellt. Wie wäre es, wenn er mit Marianne eine Reise auf diesem Schiff machte? Eigentlich war er ja schon bei seinem Agenten in Paris mit ihr angemeldet, wo er sie abliefern sollte. Aber unter den jetzigen Umständen würde es doch einige Monate dauern, bevor er wieder nach Berlin zurückkehren durfte, wenn man ihm auch direkt nichts nachweisen konnte.
Diese Zeit ließ sich mit einer Vergnügungsfahrt ausfüllen. Marianne war wirklich eine entzückende Frau, und warum sollte er nicht eine längere Hochzeitsreise mit ihr machen? Bis jetzt hatten ihn Frauen nie lange fesseln können, aber sie machte eine Ausnahme. Zum Glück drängte sie nicht auf Heirat, er konnte sie also bei sich behalten, solange es ihm gefiel. Außerdem war sie eine begabte Tänzerin. Vielleicht lohnte es sich, sie durch Reklame großzumachen. Hatte sie Erfolg, dann konnte er als ihr Impresario viel mehr verdienen, als wenn er sie an ein Tingeltangel in Brasilien verschacherte.
Auch seine Eitelkeit spielte bei diesem Plan eine Rolle. Während er die hübschen Aquarelle betrachtete, in denen das Leben an Bord in den schönsten Farben geschildert wurde, stellte er sich vor, wie er mit Marianne am Arm auf dem Promenadendeck auf und ab gehen würde, verfolgt von neidischen Blicken. Und wie dankbar sie sein würde, wenn er sie in die große Welt einführte?
Entschlossen trat er ein.
»Geben Sie mir zwei Fahrscheinhefte erster Klasse für den Fernschnelltriebwagen nach Köln 19.21. Und von dort weiter nach Paris. Ich möchte heute abend fahren.«
»Verzeihen Sie eine Bemerkung – der Fernschnellzug hat nur zweiter Klasse.«
»Macht auch nichts.«
»Vielleicht nehmen Sie besser den Nordexpreß? Mit dem Fernschnellzug haben Sie später in Köln keinen günstigen Anschluß.«
»Stellen Sie die Sache zusammen, wie Sie es für gut halten, aber ich möchte den Fernschnelltriebwagen benutzen – er fährt die beste Zeit und ist bedeutend schneller als der Nordexpreß.«
Wenn Perqueda auch äußerlich ruhig und sicher auftrat, so wurde er doch von dem Wunsch getrieben, Berlin möglichst schnell zu verlassen.
»Ich habe übrigens eben gesehen, daß die Normandie in drei Tagen fährt – geben Sie also Anschlußfahrkarte nach Le Havre oder dem sonstigen Hafen.«
»Es wird schwierig sein, jetzt noch Plätze zu bekommen. Ich glaube nicht, daß wir so schnell Auskunft von der Zentrale in Paris erhalten, selbst wenn wir telephonieren.«
»Wozu gibt es denn Blitzgespräche?«
Der Vertreter, mit dem Perqueda verhandelte, sah ihn fast ehrfürchtig an.
»Haben Sie schon Durchgangsvisum für Frankreich und Einreiseerlaubnis für Nordamerika? Sie bekommen für eine Reise nach den Vereinigten Staaten nur dann die Genehmigung, wenn Sie auf dem Konsulat die Rückfahrkarte vorlegen.«
»Gut, dann nehme ich Rundreisebilletts. Veranlassen Sie bitte sofort, daß ein Blitzgespräch nach Paris angemeldet wird.«
»Wollen Sie bitte inzwischen drüben Platz nehmen?«
»Danke, ich habe noch einige Besorgungen zu machen. Wann haben Sie alles fertig? Es ist jetzt Viertel nach zwölf.«
»Wenn wir die Sache sehr beschleunigen, und wenn alles klappt – in etwa anderthalb Stunden.«
»Dann komme ich um die Zeit wieder.«
Perqueda zog ein Scheckbuch der American Expreß Company heraus.
»Welchen Betrag soll ich anzahlen?«
Der Vertreter entschuldigte sich einen Augenblick und sprach mit dem Direktor des Reisebüros. Dann kam er zurück und nannte eine beträchtliche Summe.
Perqueda füllte das Formular aus und gab noch den genauen Namen und die Adresse an. Dann sprach er von der Telephonzelle aus mit Marianne.
»Hallo, Liebling, wie steht es mit deinem Reisepaß?«
»Der ist in Ordnung – warum fragst du danach?«
»Ich möchte heute schon mit dir abfahren, und für die Reise brauchen wir verschiedene Visa. Mache dich fertig und warte schon unten vor dem Haus. Wir müssen uns beeilen, damit die Konsulate noch offen sind.«
Er hörte einen Freudenruf, hängte aber ein, ohne auf weitere Antwort zu warten.
Sieben Minuten später hielt er vor Mariannes Haus. Sie eilte auf ihn zu, und im nächsten Augenblick schwang sie sich auf den Sitz an seiner Seite.
Die Fahrt ging weiter. In schnellstem Tempo steuerte Perqueda den Wagen geschickt durch den lebhaften Verkehr. Manche Kurven nahm er so gewagt, daß sich Marianne unwillkürlich an ihn anklammerte.
»Du bist also damit einverstanden, daß wir schon heute unseren Ausflug in die Welt machen?«
»Du glaubst nicht, wie glücklich ich darüber bin, Juan. Ich wünschte nur, wir wären schon unterwegs.«
»Und was würdest du sagen, wenn wir nicht in Paris blieben, sondern nach den Vereinigten Staaten weiterführen?«
Sie war so begeistert, daß sie ihn an sich zog und auf offener Straße küßte. Für sie war die geplante Reise wie eine Fahrt ins Märchen. Beinahe hätte es einen Zusammenstoß gegeben, aber Perqueda gelang es noch im letzten Augenblick, haarscharf einem Autobus auszubiegen, der um die Ecke kam und Vorfahrtrecht hatte.
Beim amerikanischen Konsulat war die Sache nicht so einfach, wie er es sich gedacht hatte. Der Konsul wollte wissen, ob Perqueda Grundbesitz hätte. Das war nicht der Fall, aber er nannte ihm sofort Grundstücke in Paris und Buenos Aires, ja, er konnte sogar indirekte Beweise dafür vorlegen.
Schließlich wurde er auf den Nachmittag wiederbestellt, denn der Konsul wollte erst die bezahlten Rundfahrkarten nach New York sehen.
Schneller ging es auf dem französischen Konsulat, wo er anstandslos das Visa erhielt. Inzwischen war es hohe Zeit geworden, das Reisebüro aufzusuchen. Der Direktor kam ihm selbst entgegen und war ausnehmend liebenswürdig. Er hatte noch zwei nebeneinander liegende Luxuskabinen auf der Normandie beschaffen können.
»Die Schiffskarten kann ich Ihnen natürlich noch nicht aushändigen, sondern Ihnen nur eine Anweisung darauf geben. Sie bekommen sie dann später von der Generalagentur in Paris.«
Perqueda mußte sich sehr beeilen, um das schwierige Programm noch vor drei Uhr, vor Bankenschluß, abzuwickeln, aber seiner ungewöhnlichen Tatkraft und Gewandtheit gelang es.
Kurz nach drei Uhr fuhren sie beim Hotel Adlon vor. Sie waren sehr hungrig geworden, und Perqueda stellte ein ausgezeichnetes Essen zusammen.
Marianne schwelgte im Vorgefühl der Reise, und Perqueda zeigte sich von seiner gewinnendsten Seite.
Als er nach einer Weile auf die Uhr sah, unterdrückte er allerdings einen Fluch, denn es fiel ihm plötzlich ein, daß er José zu vier Uhr auf den Bahnhof Zoo bestellt hatte, und jetzt war es kurz vor vier.
Schnell erklärte er Marianne, worum es sich handelte, und einige Minuten nach vier hielt er vor ihrem Haus am Kaiser-Wilhelm-Platz.
»Also, packe schnell deine Sachen, Liebling.«
»Aber ich muß erst noch Einkäufe machen! Ich kann doch nicht ohne weiteres nach Paris und New York mitfahren, wenn ich nichts anzuziehen habe!«
Er lachte. In diesem Punkt waren die Frauen doch alle gleich.
»Du bist ein eitler Fratz! In Paris gibt es viel schönere Dinge als in Berlin. Aber gut, wenn du unbedingt noch Einkäufe machen mußt –« Er zog seine Brieftasche heraus und reichte ihr einige Banknoten.
»Auf jeden Fall sei aber pünktlich um Viertel vor sechs im Wartesaal erster Klasse, Bahnhof Zoo.«
Der Abschied war für Marianne viel zu schnell und flüchtig, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie ja nun bald immer mit Perqueda zusammen sein würde.