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XVII.

»Wir wollen jetzt einmal verschiedene kleinere Fragen erledigen«, sagte Eisler. »Wie steht es mit der Grundriß-Skizze und den Plänen vom Haus? Dann müßte der Inhalt von Safe und Schreibtisch festgestellt werden. Wahrscheinlich sind die Leute schon dabei. Wir wollen uns in die Arbeit teilen. Sie übernehmen den Safe und den Schreibtisch, Mansfeld, ich die Skizzen.«

Die beiden Kommissare gingen ins Arbeitszimmer.

Der Arzt kam ihnen entgegen.

»Nun, wie geht es mit Perqueda?«

Dr. Berger zuckte die Schultern.

»Bis jetzt hat sich noch nicht viel geändert. Ich fürchte nur, er wird sterben, ohne das Bewußtsein noch einmal erlangt zu haben.«

»Das müssen wir unter allen Umständen verhindern. Wenn irgend möglich, wollen wir von ihm die Aufklärung erfahren. Tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht.«

»Geben Sie ihm doch eine Kampferspritze«, schlug Mansfeld vor. »Vielleicht gelingt es dadurch, ihn wenigstens auf kurze Zeit zu sich zu bringen.«

»Ich möchte lieber noch abwarten.«

»Wie ist es – können wir seine Kleider durchsuchen?«

»Nein, Herr Kommissar, das würde ich jetzt nicht tun. Jede Bewegung ist schädlich und gefährlich.«

»Nun gut, wir überlassen es natürlich Ihrem Urteil. Aber Sie lassen uns sofort rufen.«

»Dafür werde ich sorgen – ich weiß ja, wie wichtig es ist.«

»Freimann soll hierbleiben.«

Eisler ging zur Diele zurück und winkte Feurig zu sich.

»Wie weit sind die Pläne vom Haus gediehen?«

Feurig stieg die Treppe hinauf und kam bald wieder.

»Hier ist der Lageplan des Gartens und des Hauses, hier der Grundriß des ersten Stocks. Sie sind gerade dabei, das zweite Obergeschoß zu vermessen.«

Eisler betrachtete die Zeichnungen und nickte befriedigt.

»Sehen Sie einmal her, Feurig. Hier ist an der hinteren Mauer ein Durchgang vom Schlafzimmer zum Salon eingezeichnet. Sie besinnen sich doch noch darauf, daß die beiden Türen, die dahin führten, verriegelt waren?«

»Sie sind inzwischen geöffnet worden. Das Fenster nach draußen stand offen.«

»Das ist äußerst wichtig. Darauf müssen wir später noch zurückkommen.«

»Ich dachte zuerst, daß es vielleicht eine Klosettanlage wäre, aber die ist ja, wie ich sehe, in der anderen Ecke eingebaut.«

Kommissar Mansfeld trat aus dem Arbeitszimmer zu ihnen.

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür vom Wohnzimmer, und Marianne Körber trat heraus. Ihr Fuß hatte sich bedeutend gebessert, und da ihr Dr. Berger einen sachgemäßen Verband angelegt hatte, konnte sie sich besser bewegen.

»Ach, erlauben Sie mir doch, daß ich an Perquedas Bett sitzen darf. Es wäre doch möglich, daß –«

Sie konnte nicht weitersprechen.

Mansfeld schüttelte den Kopf, aber Eisler legte freundlich die Hand auf ihre Schulter.

»Wenn Sie mir versprechen, sich ganz ruhig zu verhalten, will ich es gestatten. Aber Sie müssen allen Anweisungen des Arztes sofort Folge leisten.«

Sie nickte unter Tränen, und Eisler brachte sie selbst ins Schlafzimmer.

»Nun, wie steht es mit dem Inhalt von Schreibtisch und Safe?« fragte er Mansfeld, als er wieder in die Diele zurückkam.

»Den Safe haben wir noch nicht öffnen können, aber Schreibtisch und Bücherschrank sind gründlich durchsucht worden.«

Sie gingen wieder in den Salon und ließen sich am Tisch nieder.

»Schauen Sie einmal her. Hier haben sie ein paar zerknitterte Blätter aus dem Schreibtisch geholt, die sich hinter eine Schublade geklemmt hatten«, erklärte Mansfeld.

»Das ist ja eine Geheimschrift!«

»Ja. Morgen kann sie von unserer Spezialabteilung für Dechiffrierung entziffert werden. Was die Leute aber in der Bibliothek gefunden haben, spottet jeder Beschreibung. Fast nur Privatdrucke mit so obszönen Illustrationen, wie ich es kaum für möglich gehalten hätte. Da zeigt sich Perquedas wahrer Charakter in seiner ganzen Gemeinheit!«

»Hm. Bei solchen Menschen ist das ja nicht ungewöhnlich.«

Plötzlich hörten sie heftige, laute Rufe aus dem Garten.

Kommissar Eisler trat schnell ans Fenster.

»Feurig, sehen Sie doch einmal nach, was es da gibt.«

Der Oberwachtmeister eilte hinaus.

»Herr Kommissar, es ist eben jemand aufs Dach geklettert!« rief er kurze Zeit später vom Garten nach oben.

»Wo?«

»An der hinteren Seite!«

»Der kann nur durch eine Dachluke hinausgekommen sein. Wollen Sie einmal oben auf dem Dachboden nachsehen?« wandte sich Eisler an seinen Kollegen.

Mansfeld nickte, und Eisler ging, so schnell er konnte, die Treppen hinunter in den Garten. Feurig trat zu ihm.

»Wo ist er?« fragte Eisler den Beamten Marwitz, der hier Wache hielt.

»Dort – über dem rechten Fenster muß eine Luke sein, durch die er herausgekrochen ist. Ich habe es deutlich beobachtet.«

»Im Augenblick ist er nicht zu entdecken. Feurig, Sie sehen doch die Dachluke? Gehen Sie nach oben auf den Dachboden und sagen Sie es Kommissar Mansfeld. Vielleicht kann man den Mann von dort aus fassen.«

Feurig folgte sofort der Aufforderung.

»Haben Sie nicht gesehen, wohin er sich gewandt hat?« fragte Eisler den Beamten.

»Nein. Auf dem dunklen Schieferdach kann man nicht viel erkennen. Der Mond scheint nicht – schade, daß hier kein Licht ist.«

»Aber dahinter liegt doch eine Garage, die müßte doch Außenbeleuchtung haben. Sehen Sie einmal nach.«

Eisler urteilte, daß das Schieferdach nicht allzu steil war und in einem Winkel von etwa dreißig Grad anstieg. Es war daher leicht möglich, daß sich der Betreffende flach aufs Dach gelegt hatte.

Gleich darauf leuchtete das Licht vor der Garage auf, und Marwitz kam zurück.

»An der Gartenmauer hängt eine Leiter, die sicher bis zum Dach hinaufreicht«, sagte er.

»Holen Sie das Ding her.«

»Für mich allein wird sie zu schwer sein.«

»Dann werde ich Ihnen helfen.«

Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die lange Leiter herbeizuschleppen. Aber das Aufrichten machte große Schwierigkeiten.

Eisler sah, daß sich auf dem Dach etwas bewegte.

»Hallo, wer ist dort?« rief Mansfeld von der Luke aus.

Keine Antwort.

»Er richtet sich auf und will zum Schornstein!« rief Marwitz.

Die Lampe an der Garage verbreitete wenigstens etwas Helligkeit. Mansfeld kletterte nun aufs Dach.

Plötzlich hörte man ein Poltern und Fallen – der Verfolgte schien abzustürzen. An der Dachtraufe konnte er sich noch einmal fangen, aber dann verlor er das Gleichgewicht und mußte sich an der Dachrinne halten. Inzwischen war es den beiden Beamten unten gelungen, die Leiter aufzurichten und vorsichtig gegen die Hauswand zu lehnen. Sie reichte aber nicht ganz bis zum Dach.

»Halten Sie sich fest!« rief Eisler nach oben.

Mit vereinten Anstrengungen gelang es, die Leiter mehr zur Seite zu schieben, bis sie dicht an der Stelle stand, an der sich der Mann krampfhaft an der Dachkante festhielt. Sie hörten ihn stöhnen und fluchen,

Marwitz kletterte hinauf, da aber der Dachvorsprung verhältnismäßig groß war, kostete es ihn noch viel Mühe, den anderen aus seiner lebensgefährlichen Lage zu befreien.

Am Fuß der Leiter wartete Eisler und nahm die beiden in Empfang.

Der mittelgroße Mann leistete keinen Widerstand und ließ sich von den beiden zum Haus führen. Er war gut gekleidet, hatte lebhafte, dunkle Augen, dunklen Teint und krauses, schwarzes Haar.

»Wer sind Sie denn? Was machen Sie hier?« fragte Eisler, als sie in der Diele angekommen waren.

»Ich bin ein Bekannter von Fräulein Körber.«

»Das wird ja immer besser.« Eisler schüttelte den Kopf. »Bringen Sie ihn ins Wohnzimmer, Marwitz. Ich will ihn nachher gleich vernehmen.«

Er stieg zum Dachgeschoß hinauf. Mansfeld begegnete ihm auf dem Treppenabsatz.

»Unsere Leute scheinen ihn oben aufgestöbert zu haben, als sie die Lage der Zimmer einzeichneten«, sagte er. »Hier ist übrigens der Grundriß vom obersten Geschoß.«

»Beinahe wäre er abgestürzt und hätte sich das Genick gebrochen.«

Die beiden Kommissare gingen wieder in den Salon. Marwitz hatte den Gefangenen inzwischen Oberwachtmeister Feurig übergeben.

Mansfeld betrachtete den Mann neugierig, der ein anziehendes Äußeres und hübsche Gesichtszüge hatte und gerade nicht schlank, aber auch nicht untersetzt war.

»Wie heißen Sie?« fragte Eisler.

Der andere zögerte.

»Es liegt in Ihrem eigenen Interesse, meine Fragen zu beantworten. Sie können Ihre Lage dadurch nur erleichtern.«

Der Mann schwieg noch immer.

»Wenn Sie nicht reden, machen Sie sich noch verdächtig«, sagte Mansfeld. »Sie sind nun doch einmal in der Gewalt der Polizei – also nennen Sie jetzt Ihren Namen.«

»Fritz Rohmer«, erwiderte der Mann zögernd und leise, aber dann richtete er sich plötzlich auf. Er schien entschlossen zu sein, zu antworten.

»Ach, sind Sie etwa der Personalchef der Firma« – Eisler blätterte in den Protokollen – »Herkomer & Harrelt?«

»Ja.«

Auf eine weitere Frage nannte Rohmer seine Adresse in der Motzstraße.

»Wie kommen Sie denn hierher?«

»Ich erfuhr, daß Fräulein Körber entführt werden sollte, und das wollte ich im letzten Augenblick noch verhindern.«

»Woher wußten Sie das?«

»Genau wußte ich es nicht, ich habe es aber aus allen möglichen Anhaltspunkten geschlossen. In der letzten Zeit habe ich sie oft mit Perqueda beobachtet.«

»Hielten Sie Perqueda denn für einen gefährlichen Menschen?«

»Ja.«

»Aber wie kamen Sie hierher?«

»Ich hörte im Granada-Palast, daß Perqueda mit Fräulein Körber nach Paris reisen wollte, und das sagte mir genug.«

»Sie kennen auch Herrn Peters?«

»Ja, er ist ein guter Bekannter von mir. Außerdem sind wir bei derselben Firma beschäftigt.«

Kommissar Eisler staunte mehr und mehr.

»In welchen Beziehungen stehen Sie denn zu Fräulein Körber? Wollten Sie sich vielleicht auch mit ihr verloben?«

Ein melancholisches Lächeln zeigte sich auf Rohmers glattrasiertem Gesicht.

»Nein. Aber ich wußte, daß Herr Peters sich sehr für sie interessierte. Gestern noch ist es zwischen ihm und Perqueda in der Vorhalle des Tanzpalastes Granada zu einem Zusammenstoß gekommen. Ich habe nachher Peters beruhigt und ihm gut zugeredet.«

»Erzählen Sie doch einmal, wie Sie ins Haus kamen. Das klingt alles so sonderbar und verworren.«

»Ich ging heute nachmittag zum Tanztee ins Granada und erfuhr dort Verschiedenes über Perquedas Absichten, so daß ich Verdacht schöpfte.«

»Verkehren Sie häufiger im Granada?«

»Ja. Ich bin Junggeselle und tanze gern. Es gefällt mir dort, weil ich Anschluß an nette Gesellschaft gefunden habe.«

»Fahren Sie fort«, sagte Eisler, als Rohmer schwieg.

»Ich versuchte, Fräulein Körber zu treffen, und rief sie mehrmals an, aber sie war nicht zu Hause. Schließlich fuhr ich zu Perquedas Wohnung, um nach dem Rechten zu sehen. Es wäre ja möglich gewesen, daß ich mich täuschte.«

»Und dann?«

»Als ich ankam, waren alle Fenster im ersten Stock hellerleuchtet. Ich ging durch den Garten, kam zur Haustür und wollte klingeln, aber dann sah ich, daß sie nur angelehnt war. Ich hatte ein sonderbares Gefühl, als ich die Treppe hinaufstieg. Ich klopfte an die Tür rechts, aber es antwortete niemand. Als sich auch kein Mensch meldete, als ich an die gegenüberliegende Tür klopfte, machte ich auf und erschrak heftig, denn Perqueda lag tot am Boden. Ich stand erst wie vom Schlag gerührt, aber plötzlich hörte ich Schritte auf dem Kiesweg, der zur Haustür führt. Ich verlor die Nerven und eilte die Treppe hinauf ins obere Geschoß.«

»Sind Sie denn so ängstlich?«

»Ich weiß selbst nicht, wie es kam, aber im Augenblick wußte ich nicht, was ich sonst tun sollte.«

»Wenn Sie den Mord nicht begangen haben, konnten Sie doch ruhig abwarten, wer kam. Außerdem mußten Sie die Sache sofort der Polizei melden!«

»Ich habe mir nachher auch gesagt, daß es sehr töricht von mir war, einfach davonzulaufen.«

»Und was haben Sie dann getan?«

»Die Person, die hinter mir ins Haus kam, stieg die Treppe zum ersten Stock herauf. Dem Gang nach mußte es eine Frau sein. Ich versteckte mich hinter einem leeren Schrank, weil ich fürchtete, daß sie auch nach oben kommen würde.«

»Und wie ging es weiter?«

»Schließlich bin ich in die Dachkammer geklettert. Ich hörte die Signale der Polizeiwagen, und als die Beamten immer näherkamen, fürchtete ich, sie würden mich entdecken. Deshalb kroch ich aufs Dach hinaus. Ich wollte so lange dort bleiben, bis die Leute aus dem oberen Geschoß wieder hinuntergingen.«

»Aber Sie mußten sich doch sagen, daß Sie auf jeden Fall entdeckt würden – warum haben Sie sich denn nicht freiwillig gemeldet?«

Rohmer schwieg eine Weile.

»Das hätte ich natürlich tun sollen«, sagte er dann und schaute zu Boden.

»Wann sind Sie denn zum Haus gekommen?«

»Das kann ich nicht genau sagen.«

»War es vor oder nach sieben Uhr?«

»Ich weiß es wirklich nicht.«

»Stand Perquedas Mercedes-Wagen vor der Tür? Den kennen Sie doch sicher auch?«

»Ja. Aber ich habe ihn nicht gesehen, als ich kam.«

Mansfeld bemerkte, daß Rohmer ein Taschentuch auf seine linke Hand drückte.

»Was haben Sie denn da?«

»Eine kleine Verletzung.«

Eisler sah, daß die Wunde stark blutete.

»Feurig, verbinden Sie die Hand, bevor wir die Vernehmung fortsetzen. Unten im Wagen haben wir ja das nötige Material.«

»Könnte das nicht besser Dr. Berger machen?« meinte Mansfeld.

»Nein, den dürfen wir in diesen kritischen Augenblicken nicht stören.«


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