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Eisblaues Licht durchzitterte die großen, festlichen Bogenarkaden, die den Mittelraum des Tanzpalastes »Granada« umgaben.
Das zahlreiche Sonntagspublikum spendete donnernden Beifall, aber es dauerte noch einige Zeit, bis die Tänzerin sich noch einmal zeigte. Das Klatschen flaute ab, setzte dann aber mit erneuter Gewalt ein, bis schließlich ein schlanker, eleganter Herr von anscheinend spanischem Typus Marianne Körber hereinführte.
Sofort schalteten die Beleuchter auf weißes Licht um, das nach der vorherigen Dämmerung blendete. Ein Page brachte Marianne einen großen Blumenkorb.
Die Zuschauer suchten durch stürmische Kundgebungen eine Zugabe zu erzwingen, aber sie verneigte sich nur einige Male liebenswürdig, schüttelte lächelnd den Kopf und verschwand.
Die Musik setzte wieder ein, und bald darauf war das mittlere Parkett von tanzenden Paaren belebt.
Perqueda führte Marianne zu ihrem Ankleideraum, öffnete die Tür und ließ sie eintreten, während der Page ihnen folgte und die Blumen ins Zimmer stellte. Sie entdeckte ein Briefchen, trat schnell näher und nahm die kleine Karte aus dem Umschlag.
»Ach, du hast mir die herrlichen Blumen geschenkt? Das ist aber lieb von dir, Juan«, sagte sie und wandte sich nach ihm um.
Seine Augen blitzten leidenschaftlich auf.
»Ach, Marianne, wenn du ahntest, wie ich dich verehre, wie ich dich liebe!«
Mit einem glücklichen Lächeln schaute sie ihn an.
»Das sagst du nur so, Juan. Ich kann es dir kaum glauben. Alle Frauen beten dich doch an!«
Er wollte ihre Hand nehmen, aber sie entschlüpfte ihm und trat hinter einen großen Wandschirm.
»Marianne!«
»Jetzt mußt du mich fünf Minuten in Ruhe lassen. Ich muß mich umziehen. Nachher wollen wir miteinander tanzen.«
Er ließ sich in einem Polstersessel nieder, nahm sein Etui heraus und steckte sich eine Zigarette an.
»Du hast heute wieder fabelhaft ausgesehen. Ich bin ans andere Ende des Saales gegangen und habe deinen Tanz von dort aus beobachtet. Wirklich zu schade, daß du immer noch ins Büro läufst! Du hättest deine Stellung längst aufgeben und dich energisch deinem neuen Beruf widmen müssen.«
»Ach, fang nicht wieder davon an. Darüber haben wir uns doch schon genügend ausgesprochen.«
»Nein, in deinem Interesse muß ich jetzt endlich energisch sein. Du zersplitterst dich und deine Kraft. Maschineschreiben können tausend andere auch, aber eine Künstlerin, ein Genie wie du, darf keine Sklavenarbeit leisten.«
»Du hast natürlich recht, aber –«
»Versprich mir, daß du noch heute abend einen Brief an deine Firma schreibst und den Leuten rundheraus erklärst, daß du nicht mehr dort arbeiten wirst.«
»So plötzlich geht das doch nicht! Ich kann sie doch nicht einfach im Stich lassen.«
»Selbstverständlich geht das, Liebling. Einmal mußt du den Mut dazu finden. Schwierigkeiten kann dir niemand machen. Wir haben jetzt Mitte des Monats, und die paar Mark für die beiden nächsten Wochen brauchst du nicht. Im schlimmsten Falle könnten sie die einbehalten. Verzichte also großzügig darauf, dann ist die Angelegenheit damit erledigt.«
»Wenn man dich hört, ist immer alles sehr einfach.«
Marianne schob den Wandschirm beiseite und trat in einem prachtvollen Abendkleid aus Brokatspitzen zu ihm.
Er stand auf und schaute sie befriedigt an.
»Kind, wo hast du denn dieses reizende Kleid her?«
»Gefällt es dir?« fragte sie und warf kokett den Kopf zurück.
»Ja, es ist wie für dich geschaffen.«
»Nun wollen wir aber in den Saal zurückgehen und tanzen.«
»Ist es dir denn gar nicht lieb, daß wir einmal ein wenig allein sind?« neckte er sie.
»Aber, Juan, das darfst du nicht sagen!«
Er legte den Arm um sie, zog sie an sich und küßte sie lange und leidenschaftlich.
Schließlich machte sie sich frei, und er setzte sich auf die Lehne des Sessels. Marianne strich mit der Hand zärtlich über seine schwarzen Locken.
»Was für eine hohe, kühne Stirn du hast – aber nun tanzen wir doch ein wenig?«
»Wie meine Königin befiehlt«, erwiderte er mit einem verführerischen Lächeln, reichte ihr den Arm und ging mit ihr zur Tür. »Aber eigentlich wollte ich heute abend einmal eingehend mit dir sprechen.«
»Das hat Zeit bis nachher. Erst wollen wir tanzen.«
Gleich darauf mischten sie sich unter die anderen Paare, aber sie fielen durch die Anmut und den Rhythmus ihrer Bewegungen allgemein auf, und von den Galerien und vom Saal aus folgten ihnen viele bewundernde Blicke.
»Was hast du mir denn so Wichtiges zu sagen?« fragte Marianne nach einer Weile.
»Wir müssen über die Zukunft reden – aber nicht hier im Saal.«
Perqueda fühlte, daß Marianne sich plötzlich zur Seite wandte. Erstaunt und befremdet sah er sie an, denn sie biß die Lippen aufeinander, und ihre Heiterkeit war verschwunden.
»Was hat mein Schmetterling?«
»Ach nichts. Aber wir wollen wieder nach hinten gehen.«
Er ging mit ihr durch den Saal und öffnete eine Tür in der hinteren Wand, die zu einem Privatsalon führte.
»Was ist denn passiert?« fragte er besorgt.
»Es hat keine Bedeutung – ich habe nur jemand von der Firma gesehen.«
»Aber über solche Kleinigkeiten darfst du dich doch nicht aufregen!«
Perqueda drückte auf eine elektrische Klingel, während sie sich auf einer großen, prachtvollen Couch niederließ. Er schob einen Sessel näher und setzte sich.
»Du siehst also, wie recht ich hatte, daß du von der Firma fortgehen mußt. Darüber brauchen wir uns nun wirklich nicht mehr zu unterhalten. Vielleicht ist es am besten, daß wir die unangenehme Sache gleich erledigen. Ich werde dir den Brief kurz in die Maschine diktieren.«
Bei den letzten Worten erhob er sich, trat an das polierte Paneel und öffnete eine Füllung. Der obere Teil, auf dem eine kleine Schreibmaschine befestigt war, klappte herunter und war sofort als Tisch zu benützen. Perqueda setzte einen Hocker davor und schaltete einen Wandarm ein. Dann nahm er aus einer Schublade Papier und legte es neben die Maschine.
»Fräulein Körber, bitte, nehmen Sie Platz. Jetzt bin ich der Chef.
»›Firma Herkomer & Harrelt, Kaffee- und Tee-Import.‹ Die Adresse darf ich wohl als bekannt voraussetzen. ›Sehr geehrter Herr Direktor! Da mir eine glänzende Stellung an einer der ersten Bühnen im Ausland angeboten wird, die ich annehmen möchte, sehe ich mich zu meinem unendlichen Bedauern gezwungen, meine Stellung in Ihrer geschätzten Firma aufzugeben. Da ich den Kündigungstermin nicht einhalten kann, verzichte ich auf das letzte Monatsgehalt. Mit verbindlichsten Empfehlungen Ihre –‹«
»Aber das kann ich doch nicht schreiben – das stimmt doch nicht!«
»Mehr oder weniger stimmt es schon. Darüber wollen wir nachher sprechen. Also, fertig?«
»Ja.«
»Gut. Nun kommt noch ein Briefumschlag.«
Er reichte ihr ein Kuvert, und wieder klapperte die Maschine. Dann nahm er den Umschlag heraus und gab ihr seinen Füllfederhalter.
»Komm hierher an den großen Tisch, hier hast du eine Unterlage zum Unterschreiben. Ein Page kann dann den Brief gleich einwerfen, damit die Sache erledigt ist.«
Zögernd griff sie nach der Feder, aber dann setzte sie kurz und entschlossen ihren Namen darunter.
Es klopfte an der Tür, und ein Kellner trat ein.
»Eine Flasche Sekt und zwei Gläser«, bestellte Perqueda. »Außerdem muß dieser Brief sofort besorgt werden.«
Der Mann nickte und entfernte sich wieder.
»So, nun komm und setze dich zu mir.«
Er führte sie wieder zu der Couch und nahm neben ihr Platz.
»Wir haben eigentlich noch niemals ernstlich darüber geredet, was nun werden soll. Du kannst doch nicht dein ganzes Leben hier in Berlin vertrauern.«
»Was sollte sich denn ändern? Ich weiß doch, daß du eine Frau hast, und daß wir uns nicht heiraten können –«
»Wenigstens nicht gleich. Aber deshalb brauchen wir doch nicht immer hier zu bleiben.«
»Du hast doch den Tanzpalast hier?«
»Das ist nicht das einzige Geschäft, das ich besitze. Ich führe in Paris ein ähnliches Unternehmen, das vielleicht noch zukunftsreicher ist als dieses hier.«
»Davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt!«
»Ich habe dir auch manches andere noch nicht gesagt.«
Er zog sie zärtlich an sich.
»Du weißt nicht, wie öde und trostlos mein Leben war, bevor ich dich kennenlernte. Der Zustand war wirklich unerträglich. Ich möchte mehr – ja immer – mit dir zusammensein. Warum willst du die Wohnung bei deiner Wirtin nicht aufgeben? Der Kaiser-Wilhelm-Platz ist doch keine ruhige Wohngegend. Den ganzen Tag und die halbe Nacht fahren Straßenbahnen und Autobusse vorbei.«
»Du weißt doch, daß ich mich nicht gern von Frau Nüßlein trennen möchte. Sie ist wie eine Mutter zu mir.«
»Ist sie dir denn mehr wert als ich?«
»So mußt du nicht sprechen.«
»Dann mache ich dir einen anderen Vorschlag. Wir fahren zusammen nach Paris und mieten dort in einer idyllischen Vorstadt eine kleine, ruhige Villa mit einem schönen Park. Von dort aus werde ich auch versuchen, ob ich nicht doch die Scheidung von meiner Frau durchsetzen kann.«
»Du sagtest doch früher, das wäre kaum möglich?«
»Ich habe gestern einen Brief von meinem Anwalt aus Paris erhalten. Er schreibt, daß er wahrscheinlich einen gangbaren Weg gefunden hat. Auch deshalb wollte ich hinfahren. Schriftlich kann man derartige Fragen schlecht erledigen.«
»Willst du diesen Schritt wirklich tun?«
»Du meinst, sie könnte es schmerzlich empfinden? – Nein, darüber brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.« Er seufzte und fuhr mit der Hand über die Stirn. »Sie will mich nur deshalb nicht freigeben, weil sie rachsüchtig ist. Du glaubst nicht, wie schwer ich darunter gelitten habe – ich habe sie einmal sehr geliebt.«
Bewegt nahm Marianne seinen Kopf zwischen die Hände und schaute ihn mitfühlend an.
»Du sollst nicht mehr leiden. Ich will dich so liebhaben, daß du alles andere vergißt.«
Beide fuhren erschreckt auf, als es an der Tür klopfte.
»Herein!« rief Perqueda und erhob sich.
Der Kellner brachte einen Sektkübel und ein Tablett mit zwei Kelchen, dann öffnete er die Flasche.
»Der Brief ist besorgt«, sagte er höflich und ging wieder hinaus.
Perqueda schob den Servierwagen an die Couch heran und schenkte ein. Dann reichte er Marianne ein Glas und nahm das andere in die Hand.
»Wir wollen auf unsere Reise anstoßen und darauf, daß sich alles zum Guten wendet.«
Hell klangen die Gläser aneinander.
»Wann wollen wir denn nach Paris fahren?« fragte Marianne und lehnte den Kopf an seine Schulter.
»Ich muß in den nächsten Tagen schon hinreisen, weil einige Geschäfte dort zu erledigen sind. Später können wir an die Riviera fahren. In Deutschland wird es doch bald kalt und ungemütlich.«
»Schon in ein paar Tagen?« fragte sie überrascht. »Aber ich bin doch noch gar nicht darauf vorbereitet. Ich habe nicht die nötigen Kleider –«
»Das ist nebensächlich, liebes Kind. In Paris bekommen wir alles viel besser und billiger als hier.«
»Wieviel Tage wird es denn noch dauern?«
»Ich denke, zwei bis drei. Wahrscheinlich reisen wir am Mittwoch.«
»Aber nun mußt du mir einmal im Ernst sagen, was du vorhin meintest. Ist es dir wirklich gelungen, für mich einen Vertrag an einer der ersten Bühnen im Ausland durchzusetzen?«
Er lachte.
»Liebes Kind, du mußt bei der Firma einen guten Abgang haben. Du kannst doch nicht schreiben: ›Weil ich mit meinem Freund nach Paris reisen möchte!‹«
»Ach, ich hatte schon gedacht, du hättest tatsächlich eine Anstellung für mich durchgedrückt. Wir haben doch schon darüber gesprochen.«
»Der Fall kann auch jeden Tag eintreten. Bei deiner genialen Begabung würden die Pariser dir die größten Triumphe bereiten. Die begeisterte Menge würde dir, wenn es das noch gäbe, die Pferde aus der Equipage spannen. Aber, meine kleine Libelle, ich dachte, wir beide wollten glücklich werden, und wir sind einander doch auch vollkommen genug. Wenn du jetzt einen Vertrag mit einer hervorragenden Bühne abschließt, ist es damit zu Ende. Laß uns doch erst einmal ein paar Monate still für uns leben. Was dann kommt, soll uns jetzt noch nicht kümmern.«
Sie umarmte ihn stürmisch.
»Ja, du hast recht. Aber das Leben ist lang, und ich will doch schließlich auch etwas tun und leisten – später.«
Perqueda trat wieder an die Paneelfüllung und drückte auf einen Knopf. Aus dem Geheimfach, das sich öffnete, nahm er ein Etui heraus.
»Da wir jetzt vollkommen einig sind, habe ich noch eine Überraschung für dich.«
Er öffnete das Kästchen und zeigte ihr eine handgeschmiedete Goldkette aus feinverschlungenem Rosenornament, an der als Anhänger ein haselnußgroßer Diamant von gelbem Feuer befestigt war. Dann legte er ihr das Schmuckstück behutsam an.
Marianne trat strahlend vor den Spiegel und sah berauscht auf das Bild, das ihr entgegenschaute. Perqueda drehte die beiden Wandarme neben dem großen Spiegel an, so daß der prachtvolle Stein in herrlichem Farbenspiel aufsprühte.
Plötzlich klopfte es, und Marianne zuckte zusammen. Ärgerlich drehte sich Perqueda um.
Auf sein Herein trat ein Page ein und reichte ihm ein Kuvert.
»Madame Perault schickt mich und läßt bestellen, das Telegramm wäre eben aus Paris angekommen.«
Schnell riß Perqueda das Formular heraus.
Marianne trat neben ihn und warf auch einen Blick darauf. Aber sie verstand kein Wort, denn der Text war in einem Geheimcode abgefaßt.