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Vierzehntes Kapitel

Wolfgang Granach war seit einigen Tagen wieder in der Heimat angekommen.

Der Alte, sein Vater, hatte ihn, wie es sich erwarten ließ, nicht eben freundlich, ja eigentlich gar nicht empfangen, denn als der heimkehrende Sohn, gegen Abend in den Hof tretend, sagte: »Gott grüß Euch, Vater«, lüftete dieser, als wäre es noch recht schwül um diese Stunde, seinen Hut, sah unter das Dach hinauf, welches beim letzten Gewitterregen so viel Wasser durchgelassen, brummte etwas wie: »Hm, – hmhm – trala – rrdum« – stopfte sich, dem Sohne aus dem Wege gehend, eine Pfeife, die er aus seiner Brusttasche zog, zündete sie an und ging, seinen Gedanken blauen Dunst vormachend, schweigsam nach dem Garten.

Nicht so die Mutter Granach.

Sie stand eben, da Abendessen kochend, an dem Herde, als sie die Stimme und die Schritte ihres Sohnes hörte; sogleich ließ sie Essen Essen sein, legte den großen Kochlöffel weg, trat leuchtenden Auges in die große Stube, streckte dem Sohne die Hand entgegen und sagte:

»Bist du da? Bist du da? O, dass du uns nicht länger verlassen hast, das wollen wir dem Himmel danken!«

Sie drängte hierauf, dass Wolfgang Kleider und Wäsche wechsle, dass er sich ins Stübchen zurückziehe und da bleibe, bis sie ihm ein nahrhaftes Essen bringe, und fügte leise hinzu:

»Dann erzählst du mir, Wolfgang, was du gesehen und gehört und ausgerichtet hast.«

Wolfgang drückte der Mutter die Hand für so viel Freundlichkeit, tat, wie ihm geheißen, und blieb im Stübchen, bis die Mutter kam und das Essen brachte.

»Nun jetzt, lieber Wolfgang, sag', erzähl', was vorgefallen ist? Was macht Schön-Minnele, es wär' doch tausend schade, wenn dieses Kind daneben gekommen wär'.«

Wolfgang vermochte kaum zu essen, indem er seiner Mutter erzählte, was er erfahren; es trübte sich sein Auge, es bebte seine Hand.

Doch schloss er mit den Worten, die er mit fester Stimme sagte, seinen Bericht:

»Ich glaub' an Minnele, es ist brav geblieben, aber die Welt ist schlecht und führt bis jetzt das große Wort.«

Mutter Granach blickte eine Weile nachdenklich zu Boden und sagte dann:

»Ja, Wolfgang, ich schlag' mich auf deine Seite. Minneles Mutter und Erdlein dazu gerechnet, sind wir dann schon unser vier, die da Vertrauen haben.«

»Nun, Mutter«, fragte Wolfgang nach einer Pause, »Wie hat sich denn der Vater seither gehalten? Ist er recht aus dem Häusle gewest, weil ich so bei Nacht und Nebel davon bin?«

Die Mutter winkte mit der Hand, als wolle sie andeuten: Ach, reden wir nicht davon – sind das ein paar Sturm- und Nebeltage gewesen!

Denn aber sagte sie: »Etwas hat die ganze Geschichte doch gefruchtet. Aus lauter Ärger hat der Alte seinen Hut einmal hinter's Kehrloch an die Tür geworfen und gesagt: Ich wollt' schon lieber, sie hätten sich zu Nutz' und Frommen ihres Seelenheils, als dass mir dieser Sausewind alle paar Wochen Schlaf und Appetit verdirbt!«

»Wie, Mutter? Also meint Ihr, der Vater wäre jetzt im Stand, sich zufrieden zu geben, wenn ich« ...

»Net, mein Sohn, so was steht noch im weiten Feld. Da ist noch vieles wegzuräumen. Da wird noch viel Wasser durch die Donau laufen.«

»Ja, ja; ich sorg'. Der Vater hat mich nicht zum Besten aufgenommen.«

»Nun, das hast du fürs Erste nicht besser erwarten dürfen. Ei, wenn ein Sohn so mir nichts dir nichts ins Blaue läuft, da kann's so glatt nicht abgehen! Aber trag' das jetzt, verhalte dich still und klug; was nicht ist, das kann noch werden.«

»Wird mir der Vater noch ein Jahr Bedenkzeit lassen?«

»Ja. Soweit hab' ich schon gewonnen. Seh' dich nur vor; in einem Jahr gibt's keine Gnad' und Barmherzigkeit mehr. Du heiratest, wie der Vater will, oder Haus und Hof ist dir verloren!«

»Gut, Mutter. Seht mir nur, dass Ihr den Vater ruhig haltet; ich will mein Jahr in Ernst und Stille leben, im anderen vertraue ich auf Gott.«

Nun hatte Wolfgang vor Nachts noch einen wichtigen Weg vor.

Er hielt es für seine Pflicht, wenigstens so viel Trost, als er selber aus seiner Reise geschöpft, auch der Mutter Schön-Minneles zu überbringen.

Der alte Granach aber ließ sich in der Nacht, wo es niemand hören konnte, von seinem Weibe Bericht erstatten über den Bericht seines Sohnes.

Seine Bemerkungen hierüber waren sehr einfach; er sagte keine Silbe.

Erst lag er regungslos eine Weile in seinem Bett da und blickte gerade vor sich in die Luft, dann kehrte er sich gegen die rechte Seite, stieß seinen Kopf einige Male heftig gegen das Kissen, begrub sein halbes Angesicht darin, holte einmal ungewöhnlich heftig Atem und schlief ein... 

Die nächsten Tage gingen ruhig hin.

Man habe bis auf Weiteres Waffenstillstand abgeschlossen, und weder Vater Granach, noch die Mutter, noch der Sohn schienen besonders Eile zu haben, den provisorischen Frieden aufzuheben.

Es war gegen Ende August, wo die Ernte selbst im Gebirge zum größten Teil vorüber zu sein pflegte und wo der Landmann, nach schweißvollen Tagen der Mühe, wieder einige Stunden des Behagens findet.

Die letzten drei Monate hatten schwer gelastet auf allen, welche den Segen ihrer Felder den Launen der Elemente ausgesetzt sahen. Endlose Gewitter: Brand und Hagelschauer, Wasserfluten und Orkane auf die bebenden Länder schleudernd, zogen, verwilderten Heerscharen gleich, beinahe täglich an den Bergen hin oder stürzten sich dumpf brausend in die Täler und weiter über Ebenen dahin.

Eine Wahlstatt hingewürgten Segens blieben leider zu oft hinter solchen Wetterzügen der Weiler und das Dorf, das Fruchtfeld und die Rebenpflanzungen an den Hügeln.

Nun, an der Schwelle des Herbstes, waren die Elemente ruhiger geworden, und die Hände, bisher stehend um Schutz vor Unheil gehoben, sanken; die lauten Gebete um Bewahrung der Früchte fingen an zu verstummen.

Wohl denjenigen, denen die Verwüstungen an Hab und Gut nur gerüchteweise zu Ohr gekommen, welche zu ihren leer gewordenen Feldern sagen konnten: unsere eigenen Hände haben euch geplündert, und zu ihren Scheunen: kein leerer Raum ist zwischen euern Wänden!

Zu diesen Glücklichen gehörte Vater Granach; denn sein Haus und seine Fluren, das Dorf, welches er bewohnte und die Gegend, welche er seine Heimat nannte, waren von allem Unheil glücklich bewahrt geblieben!

Eines Sonnabends, nach vollbrachtem Tageswerke, schritt Vater Granach, die Hände feiernd über den Rücken gelegt, zwischen seinen Feldern hin und bedachte die glücklich überstandenen Gefahren.

Granach war lange nicht so tief und wahrhaft froh gewesen.

Sein Weib ging neben ihm, und sooft des Mannes Grundgedanke anschlug, tönte es im Herzen seines Weibes leise und zustimmend nach –

»So viel Glück und Segen dieses Jahr – und mein Sohn nicht besser nach meinem Sinne!« dachte Vater Granach einmal, verschwieg jedoch diesen abirrenden Gedanken.

Man gelangte bis ans Birkenwäldchen, und der alte Granach sagte:

»Montag lass' ich hier die zweite Mahd beginnen; der Bach, der Waldesschatten haben wohl voran geholfen.«

»Hör', Granach, hör'!« fiel ihm jetzt sein Weib ins Wort.

»Martha ... Ja – was war das wohl?«

»Wer singt und jubelt, wer ächzt doch so?«

»Wer ruft nach Hilfe und ist doch toll vor Glück?«

In diesem Augenblick trat aus dem Dunkel des Wäldchens eine Erscheinung, deren Anblick wohl geeignet war, die Pulse des Beschauers stocken, das Herz erstarren zu machen.

Ein Mädchen, schön wie ein Engel, doch verstört zum Bild des Jammers, lächelnd wie in süßer Vision und mit heller Glockenstimme Trauerlieder singend, trat aus dem Wäldchen und eilte über das weiche Gras der Wiese hin, durch die Welle des Baches, den steinigen Flurweg hinauf und die Furche des Feldes weiter.

Ihr dunkelblondes Haar war aufgelöst, ihr schwarzes Seidenkleid zerrissen; ein Schuh war ihr verloren gegangen. So eilte sie hin und sang verworrene Lieder und scherzte in unverständlichen Reden und bat die Menschen um Nachsicht und klagten den Engeln ihr Leid.

Alle Glorie der Schönheit floss noch um die Mienen, aber aus den Augen sah der süße Geist verstört, und die Klänge der Brust kamen von verstimmtem Saitenspiel der Seele.

Gott! ... Schön-Minnele – einst so hold und noch so hold; aber einst an Leib nicht schöner als an Geist, im Ton des Wortes nicht reiner als im Inhalt dessen, was sie sprach – Minnele, was ist aus dir geworden?

Granach und sein Weib standen eine Weile wie versteinert da und ließen ihre Augen der Erscheinung folgen; kein Laut kam über ihre Lippen, bis Minnele beinahe schon verschwunden war.

»Martha, Martha«, sagte Granach endlich mit der Stimme namenlosen Mitleids: »Martha, hast du dies gesehen?«

»Ist das nicht Minnele gewesen«, erwiderte sein Weib – »O Gott, Allgütiger, beschirm' und schütz' uns dann und steh' uns allen bei!«

»Minnele«, fuhr nach einer Weile der alte Granach fort und ließ sein Haupt bekümmert sinken – »hat sich das ereignet – wer ist schuld daran; o wer?...«

»Ich hoffe, Granach, hoff' es zu Gott, dass nicht uns, nicht uns in diesem Unglück eine Anklag' treffe!«

»So hoff' ich auch ... Doch komm'; das Kind ist nicht dem Dorfe zugelaufen, lass uns folgen, lass uns helfen!«

Granach und sein Weib waren noch nicht weit gegangen, als sie durch eine neue, ungewöhnliche Erscheinung aufmerksam gemacht wurden.

Ein Mann im langen, blauen Rocke, einen Wanderstock in der Hand, ohne Hut auf dem Kopfe, kam querfeldein aus allen Kräften nach dem Dorf gerannt.

Bald war er Granachs bis auf wenige Schritte nah gekommen; diese hörten das Keuchen seines Atems, sie erkannten Tracht und Angesicht, und sie riefen wie aus einem Munde:

»Erdlein! Justus Erdlein! Was ist das? Wo kommt Ihr her?«

Aber Erdlein schien außer dem Verstande auch das Gehör verloren zu haben.

Er eilte weiter, strauchelte, fiel hin, und wollte eben wieder auf und weiter eilen, als ihm Granach näher kam und heftig rief:

»Erdlein! Wollt Ihr Euch zu Tode rennen? Woher kommt Ihr? Und was gibt's?«

Erdlein sah jetzt auf, und da er Granach und sein Weib erkannte, blieb er im Versuch, empor zu kommen, auf den Knien liegen, hob die Hände auf und rief:

»Granach, ist sie heimgekommen, ist sie da – o habt Ihr sie gesehen?«

Sein Gesicht war dunkelrot, seine Pulse flogen.

»Wen gesehen, Erdlein? Meint Ihr Minnele, die schöne Büchler?« fragte Granach.

»O Erdlein, welch ein Unglück, Erdlein! Das arme Kind – so hat es den Verstand verloren?«

»Wo ist sie hin?« rief Erdlein in Verzweiflung.

»Dort hinüber!« sagte Granach, »wir sind ihr eben auf dem Wege!«

»Ihr nach, ihr nach!« rief Erdlein, sprang auf und wollte weiter.

»Tut sacht, Erdlein, lasst mich mit«, sagte Granach, »wie ich's bedenk', wär's besser, ihr machtet euch mit meinem Weib und schicktet Leut' heraus, die suchen; Ihr aber legtet Euch aufs Ohr, wenn Euch das Leben noch lieb und wert ist.«

»Was ich! Was ich! Aber Minnele ist fort – ist um den Verstand – ist verloren, ist mehr als tot – o kommt, was ist an mir gelegen!«

Und nach diesen Worten ließ e sich nicht länger halten und eilte in der Richtung weiter, welche Granach ihm bezeichnet hatte.

»Martha«, sagte Granach zu seinem Weibe, »geh' schleunigst in das Dorf; ruf' Leute auf und schick' sie aus. Ich folg' dem Erdlein; ich will nicht ruhen noch rasten, bis das arme, arme Kind gefunden ist!«

Die Granach ging, und ihr Mann rief ihr nach:

»Geh' du zur Büchler, bring' ihr alles sänftlich bei und weiche nicht von ihrer Seite!...«

Erdlein war bald eingeholt.

Granach brauchte Gewalt, indem er Erdleins Arm fest unter den seinen nahm und stützte; so führte er den müden Alten dem Buchenwalde zu.

Aus Erdleins Antworten auf die Frage, was geschehen sei, war in Kürze zu entnehmen, dass sich Justus mit Minnele und einer anderen Landsmännin seit gestern auf der Flucht befänden, dass sie von der Hauptstadt kämen, streckenweise gegangen und gefahren seien, dass Minnele bis vor einer Stunde noch immer bei Vernunft gewesen und erst bei Reichersheim plötzlich zum Jammer aller Reisenden irre geworden sei.

»Bei Reichersheim«, sagte Erdlein, »geht die Straße eine Weile scharf hinan, Ihr wisst's ja, Granach; alles stand noch gut, war guter Dinge; auf einmal fährt ein Rot wie glühend Eisen über Minneles Stirn und Wangen und gleich darauf solches Totenblass, dass alles ausruft: Was ist das? Minnele neigt den Kopf, als sehe sie Wunderliches, ihre Brust fängt an zu klingen – dann ein Schrei – ein Schluchzen, Weinen, Lachen, das uns Ohr und Herz zerreißt – einmal wirft Schön-Minnele die Hände vor sich hin, schaut groß und schreckhaft drein – gibt ein Zeichen mit den Händen, klatscht, ruft: Auf! Davon! Sie kommen – hat mit einem Ruck den Wagenschlag geöffnet, fliegt hinaus und eilig wie das flinkste Reh von dannen. Aber schon bin ich ihr auf den Fersen, und die Landsmännin mit mir. Ach Granach, Granach, wie sie nicht zu haschen war in ihrer Tugend, so war sie nicht zu haschen auf ihrer Flucht! Bald nah, bald fern, bald frei im Felde, bald versteckt im Waldesdunkel war sie vor mir her bis Ihr mich selbst gesehen – O, dass sie Gott beschütze, ihr zu Sinnen helfe.«

Das Dorf war bald in Alarm.

Aus jedem Hause kamen Neugierige und Bestürzte, welche sich bereit erklärten, die Verlorenen zu suchen.

Schön-Minnele, auf einmal aus der Hauptstadt heimgekommen, zu Fuß, in Seide gekleidet, dem Wahnsinn verfallen – kein Herz blieb ungerührt.

Also eilte man in Scharen nach dem Walde, und Sendboten gingen nach allen Richtungen, um Minnele, wo sie sich zeige, freundlich festzunehmen und ihrer Mutter heimzubringen.

Indessen sollte diese Mühe und Vorsicht doch vergebens sein; Minnele wurde nicht gefunden; es schien, als sei sie plötzlich von der Erde verschwunden.

Mit Einbruch der Nacht kehrten die meisten Dorfbewohner wieder heim, beklagend, dass man unverrichteter Sache heimkehren müsse. Auch Erdlein wurde fast mit Gewalt ins Dorf zurückgebracht, damit er sich einige Ruhe gönne. Wolfgang Granach aber und eine Anzahl rüstiger, junger Männer ließen sich Laternen bringen und beschlossen, unter Feuerzeichen und Zuruf die Nacht im Walde zuzubringen.

Vater Granach ging erst gegen Mitternacht nach Hause.

Er war lange im Walde geblieben, hatte sich dann vor das Haus der Büchler unter die Leute gestellt, mehr zuhörend als sprechend; als er aber einige Male das dumpfe, schmerzhafte Schluchzen der Mutter Büchler vernahm – da vermochte er's nicht länger auszuhalten, er ging und begab sich heim.

Da sein Weib bei der Büchler blieb und sein Sohn im Walde suchte, so war er jetzt allein daheim und konnte seinen Gedanken nachhängen; sein Herz war an vielen Stellen wund.

Er kniete hin und verrichtete sein Nachtgebet.

Es klang nicht recht gesammelt. Einmal wollte er gar dem Himmel gestehen: »Hätte ich gewusst, dass solche Dinge kommen, ich hätte dann wohl Minnele ...«; allein er ließ es wieder sein.

Konnte er wissen, was an der Zerrüttung Minneles die Schuld gewesen?

Er schloss sein Nachtgebet, stand auf und ging zu Bette.

Es dauerte lange, bis er einschlief, und als er eingeschlafen, war er mit dem ersten Hahnenrufe wieder wach.

Sein Weib war um diese Zeit noch nicht zurück; auch sein Sohn noch nicht.

Er stand auf, ging dann eine Weile wieder in der Stube auf und nieder, weckte seine Knechte und Mägde und beschloss, vor das Haus zu treten, frische Luft zu schöpfen.

Er schob den großen Riegel der Haustüre zurück, drückte an der Klinke, öffnete die Türe und wollte auf die Schwelle treten – als er tief ergriffen stehen blieb, seine ganze Fassung verlor und starren, umflorten Auges vor sich nieder blickte.

Eine holdselige Gestalt, in schwarze Seide gekleidet, das dunkelblonde Haar um Hals und Schultern fallend – lag Schön-Minnele vor Granachs Türe da, schlummernd, regungslos, den rechten Arm über den großen Trittstein vor der Schwelle und auf den Arm das schöne, süße Haupt gelegt –

O, unbewusstes, süßes Herzenseingeständnis, dass hierher Minnele, die Sehnsucht deiner Seele und die Liebe deines Herzens ziele! Da schläfst du jetzt – schläfst und genießest seit Langem die ersten süßen Atemzüge der Erquickung und des Friedens wieder, weil dein Herz vor der Schwelle des Geliebten lagert! O Minnele, wie hat er dich gesucht und nicht gefunden, diese Nacht! Wie hat er gerufen und gefleht nach dir, o Minnele, doch deine Antwort nicht vernommen! Hätte er ahnen können, das du kämest vor die Schwelle seines Elternhauses, wie würde er dein Lager auf dem harten, kalten Steine verhindert, dich bebend aufgefangen und seinen Eltern zugeführt haben als ihr neues, holdes Kind! So aber irrt er bleich und müde durch den Wald – und du, o Minnele – und du liegst her! ...

Granach fühlte das Ergreifende des Falles.

Er gedachte jenes Morgens, da Minnele nach der Hauptstadt ging, damals, dachte Granach, hätte es ihre Winks bedurft, und ich und mein Sohn wären vielleicht beide nicht mehr da; aber sie hat ihre Liebe vermauert im Herzen, hat sie nicht gezeigt und hat uns beide errettet ... Und jetzt – jetzt liegt sie da zu meinen Füßen, selbst ein Opferlamm, ja selbst ein Opferlamm ... und ahnt nicht, was sie mir dadurch verraten ...

»Minnele«, sagte er dann, traurig über die Schlafende gebeugt, »Minnele, mein Kind – o sag' mir, schläfst du? Vernimmst du, was ich sage? Wie kommst du her? Ei, Minnele – hast du die Nacht in dieses Haus verlangt? Hast du Hilfe, Trost gesucht vor dieser Türe? Bist du gekommen, eine Ruhestatt zu finden, eine Bitte vorzubringen?«

Minnele regte sich nicht, nur ein tiefes Atmen ließ entnehmen, dass sie lebe.

»Sie schläft«, sagte Granach zu sich selber, und eine Träne drängte sich durch seine Wimpern – »sie schläft – aber sie soll nicht länger auf dem kalten Steine liegen.«

Er rief die Knechte; sie mussten eine Trage bringen. Er rief die Mägde; sie mussten das weichste Bett darüber breiten und Minnele sachte vom kalten, harten Lager auf das Bett heben.

So wurde sie sanft und geräuschlos nach der großen Stube getragen, wo sie bleiben sollte, bis die Mutter vorbereitet war, ihr Kind zum ersten Male seit der Heimkehr – also wieder zu sehen!

Das Gerücht, Minnele sei gefunden, verbreitete sich schnell im Orte, und als man die Unglückliche zu ihrer Mutter durch das Dorf trug, stürmte Klein und Groß herbei, um starrend, sprachlos dem stillwehmütigen Zug zu folgen.

Als Boten nach dem Walde liefen, um Wolfgang und die treuen Kameraden zurückzurufen, folgte ihnen der Granach bis zum Saum des Waldes und, seines Sohnes ansichtig, rief er aus:

»Noch eins hat du zu tun, mein Sohn; dies Geschäft vertrau' ich keinem anderen: Komm heim, und meine beiden Pferde spann' vors Wägelchen, fahr', was du kannst, den besten Doktor zu holen! Wer sich um dieses arme Kind bemüht, den will ich selbst belohnen – wird Minnele gerettet, dir selber soll's zu Gute kommen! ...«


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