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Drittes Kapitel

Das Krankenzimmer war groß und keineswegs ein gewöhnliches Schlafzimmer, sondern seiner ganzen Einrichtung und Anordnung nach ein Salon, der nur zum Zweck der bevorstehenden Feierlichkeit einem andern als geselligen Zweck eingeräumt war.

Ein kostbarer Teppich bedeckte den Boden des Gelasses und war von der Glastür bis zu jener Ecke, in welcher das kunstvoll geschnitzte und mit Spitzenvorhängen reich drapierte Bett des Grafen stand, noch mit kostbaren Tierfellen überbreitet, wahrscheinlich um das Gehen bis ans Lager des hohen Kranken unhörbar zu machen.

Nicht weit vom Bette des Kranken stand ein runder Tisch, auf welchem die Heiratspapiere, dann ein Buch in Goldschnitt und die Stola des Priesters zu sehen waren.

Der »hohe Kranke« lag auf blendend weißen Kissen, eine purpurrote Seidendecke mit Spitzengrund darüber bedeckte ihn von der Brust abwärts; die Arme hatte er frei und legte sie schlaff und zitternd über die Decke, aber sein Haupt war von oben bis beinahe über die Augen so verhüllt, und künstlicher Schatten breitete sich so dicht darüber, dass es unmöglich war, einen Zug des Angesichts deutlich zu sehen.

Die bange Stille im Gemache, das feierliche Rauschen der Damenkleider, das fahl hereindringende, geschwächte Tageslicht und der über dem Bette flackernde, gelbe Schimmer eines Lämpchens gaben der ganzen Szene in der Tat etwas Ergreifendes und Schauerliches.

Als die Baronin an der Spitze der übrigen Gäste, Minnele an der Hand führend, in das Zimmer des Kranken trat, hörte man denselben einen lange, bebenden Schmerzenston ausstoßen, welcher den Doktor veranlasste, erschrocken an das Bett zu eilen; die Baronin schien von dem Schmerzenston sehr durchdrungen, so dass sie stehen blieb, Minneles Finger krampfhaft presste und, zu deren Ohr geneigt, jammernd stöhnte:

»O, mein Kind, mein Kind, sein Übel ist im Wiederkehren!«

Der Priester ging indessen auch bis ans Bett vor, ergriff sein Buch in Goldschnitt, legte sich die Stola um den Nacken und blieb so für die Zeremonie gerüstet stehen.

Da erneuerte sich der Schmerzenston des Kranken.

Der Doktor ergriff dessen Hand und prüfte den Puls, in dem er ehrfurchtsvoll sein Ohr hinneigte und fragte:

»Was meinen Euer Exzellenz? Wieder mehr Unruhe? Wieder mehr Schmerz?«

Der Kranke erwiderte mit einem noch schmerzlicheren Tone als zuvor; dann hob er die linke Hand ein weinig, als ob er gegen die Türe des Zimmers zeigen wolle, erneuerte denselben Schmerzenston und sagte dann matten, bebenden Lautes:

»Ist sie da?«

»Wer? Wer, Exzellenz? Die Braut?« fragte der Doktor.

»Ist sie da?« wiederholte der Kranke in demselben Tone, »ach – ach – ach – Hermine, Hermine!«

Die Baronin ließ Minneles Hand los und trat an das Krankenlager:

»Was wünschen, was befehlen Sie, teuerster Onkel, hier bin ich«, sagte sie.

»O, gut – gut, Hermine – hier bist du. Ich werde sterben, Herminchen, sterben, Herminchen – O! O! Dass ich dich verlassen muss!«

»Geduld, Ergebung, lieber Onkel. Sie werden noch nicht sterben. Sie werden mir noch lange erhalten bleiben«, sagte die Baronin, sich über sein Haupt hinbeugend.

»Ach ... Noch nicht sterben ... Was hilft es hoffen, immer hoffen ... Ja, ich werde sterben und werde ruhig sterben, wenn ihr mir die eine – die eine Freude machen wolltet ...«

»Welche Freude – welche Freude, lieber Onkel?«

»Nun, wo ist sie? Wo ist meine himmlische Braut? O, ihr scheint keine Eile zu haben – ihr zögert immer – ihr werdet zögern und zögern ... bis es zu spät sein wird ...«

Der Kranke hob mich Hilfe des Doktors sein Haupt ein wenig und rief auf einmal verzückten Tones, dass es nicht ohne Erschütterung zu hören war:

»Ah! Seht hin – seht hin ... Ist sie nicht das? ...«

»Wen meinen Sie, süßer Onkel?« fragte die Baronin.

»O! O! Mein sterbendes Herz sagt mir: Sie ist es! Geht mir alle von dannen – lasset nur sie zu mir – o, sie ist es«, rief der Kranke noch heftiger und erhob sich wie einer, der von einer Vision verzückt ist, noch etwas mehr aus seiner Lage, ohne sein Gesicht zu enthüllen.

»Teuerster Onkel, wen meinen Sie, was sehen Sie?« fragte die Baronin noch einmal im Tone großer Besorgnis.

»Sie dort! Sie dort! Wen kann ich meinen? Wenn soll ich sehen als sie – sie dort, meine holdselige, himmlische Braut«, rief er mit starren Augen auf Minnele deutend, dann sank er scheinbar schwächer als zuvor auf sein Lager zurück und stieß jenen langen, unheimlichen Schmerzenston wieder aus, den die Gäste beim Eintritt in das Zimmer schon vernommen hatten.

Die Baronin kam verwirrten, ängstlichen Blickes auf Minnele zu, nahm sie wieder zitternd an der Hand und sagte:

»Mein Kind, er hat dich gesehen und für seine holde Braut gehalten, o komm und trete näher und gelte dafür, bis die wirkliche Braut erscheint, dies zarte Werk der Barmherzigkeit wirst du nicht unterlassen, mein süßes Kind, o mit zu Liebe nicht, o deiner Mutter zu Liebe nicht« –

Und ohne Minneles Antwort abzuwarten, zog sie dieselbe an das Bett und legte ihre Hand in die bebende Hand des Kranken.

Dieser schien in eine Pause tiefer Abspannung zurückgesunken, hielt aber Minneles Hand so fest und krampfhaft, dass es nicht ohne große Anstrengung möglich gewesen wäre, sie wieder los zu bringen.

In diesem Augenblicke drängte sich der Doktor neben Minnele, beugte sich erschrocken über das Gesicht des Kranken und sagte leise und rasch zu Baronin:

»Er stirbt!«

Mit den Gebärden vollendeter Verzweiflung wendete sich die Baronin nach der Türe und rief:

»Die Braut – die Braut noch nicht da? O Götter und Götterscharen!«

»Fräulein, Fräulein«, sagte der Priester hinzutretend zu Minnele – »ich bitte und beschwöre Sie um Ihres zeitlichen und ewigen Wohles willen, ziehen Sie Ihre Hand nicht aus der Hand des Kranken, der im frommen Glauben stirbt, er halte die Hand seiner wahren und wirklichen Braut – sehen Sie, sehen Sie, wie er lächelt, wie er verzückt ist in dem Gedanken, dass er vermählt und als Gatte sterben werde?«

Die Baronin sank vor Minnele mit aufgehobenen Händen auf die Knie und rief:

»Zerstöre den seligen Traum eines Sterbenden nicht, versage uns dies Werk der Barmherzigkeit nicht – die Braut ist noch nicht da – sie wird zu spät erscheinen – hier – und sie schob ein Aktenstück des nahestehenden Tischchens zurecht – mache mit der linken Hand ein Kreuz darunter – Priester, Priester, Ihr Amt! Ihr Amt! ...«

Der Kranke stieß geschlossenen Auges und bebend einen Ton der Freude aus und sagte:

»Euer Amt, o teurer Kirchenmann – ich sterbe – aber segnet, segnet meine überlebende Gattin ...«

Und mit einer Schnelligkeit, die noch keine Trauung ersehen, sprach der Priester sein Gebet und seine Formel bis zu der Frage er ewigen Treue.

Seiner Exzellenz zitterte ein recht vernehmbares »Ja« über die sterbenden Lippen; Minnele – durch die kniende und verzweiflungsvoll die Hände ringende Baronin, wie durch Priester und Doktor und die Baroness gedrängt, stieß betäubt und schwindelnd auch ein Wörtlein aus, das wie »Ja« erklang – und fiel ohnmächtig nieder ...

In diesem Augenblick ging die Glastür nach dem Saale angelweit auf, und auf der Schwelle erschien der Herr Anwalt, triumphierenden Gesichtes über sein meisterhaft gespieltes Zuspätkommen; – hinter ihm stand seine Frau mit einem Mädchen, das man zum Schein in Brautkostüm gesteckt hatte.

Als Schön-Minnele wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, sah sie sich in den Armen der Baroness auf einer Bank des Parkes sitzen, umringt von der Baronin und der übrigen Gesellschaft.

Die ersten Worte, die sie hörte, kamen aus dem Munde der Baronin:

»Der Onkel hat vollendet!«


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