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Mit diesen Worten ließ die Baronin ihren Schleider über ihr Gesicht fallen und befahl auch Minnele und Eleonoren, das Gleiche zu tun.
Das Wetter war für einen Morgenspaziergang äußerst günstig; wer das Freie und namentlich die schattige Umgebung der Konversationshalle aufsuchen konnte, versäumte es gewiss nicht.
Eine treffliche Musik unterhielt das Ohr, und den Augen war eine lebhafte Szene geboten, indem sich dicht geschart die Badewelt hier auf und ab bewegte.
Eine Gruppe armer Leute hatte sich, zum nicht geringen Gegensatze, der vornehmen Badewelt gegenüber in eine kurze, schattige Allee zusammengestellt und blickte mit kranken, starren Zügen auf die flunkernden Reihen schön gekleideter Damen; auch schien es, dass die Musik einigen Eindruck auf die armen Ebenbilder Gottes machte.
Minnele hatte hinter ihrem Schleier hervor schon einige Male die Gruppe der Armen betrachtet, jetzt bekümmerte sich seltsamer Weise auch die Baronin um die verlassenen Wesen und fragte einen vorüberkommenden Kellner:
»Was ist denn das für eine Erscheinung dort?«
»Das ist eine Anzahl armer Kranker, die hier auf Kosten des Grafen von Guttenhof Kost, Wohnung und Bäder genießen«, sagte der Kellner höflich, verneigte sich und ging weiter.
Minnele durchströmte ein Wohlbehagen ohne Gleichen.
Diese Gruppe Elender starrte also nicht so ganz verlassen auf die glänzende Badewelt, der Schutzengel menschlicher Hilfe stand hinter ihnen und ließ ihnen das Herz nicht allzu schwer werden bei dem Blick auf so viele Menschen, die an Gütern und Freuden dieser Erde so viel, ja alles zu haben schienen.
Minnele dachte zum ersten Male mit einem versöhnlicheren Gedanken an ihre jüngsten Erlebnisse – als reiche Witwe: wie viel Herrliches an Wohltätigkeit zu üben, sollte ihr künftig möglich werden.
»O Mutter daheim, Mutter«, dachte sie, »du sollst Tage erleben, wie du keine zu träumen gewagt hast; ihr Armen der Heimat, wie sollt ihr meine helfende Hand empfingen!«
Der Graf von Guttenhof hätte bei Schön-Minnele sich nicht besser empfehlen können.
Ein günstiges Vorurteil für einen so menschenfreundlichen Mann schlug Wurzel in Minneles Herzen, und sie verbarg diese Empfindung keineswegs vor der Baronin.
Auf eine so günstige Stimmung schien die Baronin aber nur gewartet zu haben.
Sogleich begann sie ihres Onkels Wohltätigkeitssinn eifervoll in gleiche Linie zu stellen mit jenem des Grafen von Guttenhof und wusste eine solche Liste von ausgezeichneten Wohltaten der beiden Männer herzuzählen, dass es n der Tat schien, sie müssten einen großen Teil ihres Einkommens den Armen und Kranken gewidmet haben.
»O, das er sterben musste«, schloss sie ihr Loben und Preisen – »dass er sterben musste, dieser herrliche Mann, dieser große Wohltäter, dieses erste Herz des Landes! Minnele, wäre er nicht gestorben, lebte er noch, Minnele ... O du würdest einen Gatten an ihm gefunden haben, Minnele, wie kein Zweiter, die Welt auf und ab, wieder zu finden ist!«
Minnele erschauerte, als wollte sie sich denn doch verwahrt haben, einen Wohltäter und einen Gatten mit denselben Augen zu sehen und mit demselben Herzen zu lieben.
Gegen ein Uhr waren die Damen wieder auf dem Zimmer ihres Hotels und hatten bald darauf das Vergnügen, die Molodie:
Reich' mir die Hand, mein Leben,
Komm in mein Schloss mit mir –
auf der Spieluhr des Grafen von Guttenhof abermals zu hören; aus einem Billete desselben erfuhren sie zugleich, dass Seine Exzellenz sich die Freiheit nehmen wolle, vom nächsten Morgen an den Damen, die er als verwaist und in geselliger Weise hilfsbedürftig betrachte, soviel nur irgend in seinen Kräften stehe, einige angenehme Tage zu bereiten.
Die Baronin nahm die Nachricht mit theatralischem Entzücken auf, und es schien, als wolle sie von diesem Tage an eine neue Ära ihres Lebens datieren.
Während des Mittagstisches (die Frau Baronin ließ das Essen auf ihr Zimmer bringen) erschien der blaue Kammerdiener mit einigen Flaschen des kostbaren Champagners von seinem Herrn; er meldete zugleich, dass die Equipage des Grafen den Damen jede Stunde zur Verfügung stehe, die Frau Baronin möchte nur bestimmen, ob sie schon nach Tisch von dem Wagen Gebrauch machen wolle.
Sie bejahte; auch bedachte sich die Baronin nicht lange, das Champagnergeschenk Seiner Exzellenz in Empfang zu nehmen.
Alsbald knallte auch eine Flasche um die andere, und die Korkpfropfen flogen an die Decke.
Zum ersten Male vergaß sich die vorsichtige Baronin bei Tische, und in weniger als einer halben Stunde hatte Schön-Minnele zu ihrem Entsetzen die neue Entdeckung gemacht, dass die Baronin mit unweiblicher Hast und Gier zu trinken und – sich zu betrinken im Stande sei; einige Zeit schien die Baronin wegen ihrer Unvorsicht noch einigen Bedenken Gehör zu geben, dass aber verlor ihre durchbrechende wilde Natur alle Sorge und Rücksicht, die Champagnerfluten schienen in einen glühenden, bodenlosen Schlund zu fahren, und aus der Brust stiegen, gleichsam dankbar für die von oben kommenden süßen Ströme, in unheimlicher Nebelgestalt Gedanken und gelallte Liedertexte, welche Minneles Herz mit ebenso großer Betrübnis als Bestürzung erfüllten.
Baroness Eleonora, welche im Zechen wacker Schritt gehalten, machte zwar einige Male bedenklich Halt, um an die Zukunft des Tages zu denken, allein die schrankenlose Freude der Baronin riss sie endlich auch mit sich fort, und so lagen denn nach einer Stunde zwei zarte Opfer des Weines in den doppelten Armen der Lehnstühle und des Schlafes.
Es war darauf abgesehen gewesen, Minnele heute zum ersten Male in die süßen Mysterien eines Champagnerrausches einzuweihen; allein die Schülerin, zu langsamen Kopfes, um die Notwendigkeit einzusehen und zu spröder Kehle, um die Liebkosungen des flüssigen Feines ohne Weiteres anzunehmen, hatte so lange ungelehrig zu sein verstanden, bis ihre Meisterinnen im Eifer des Unterrichts sich selber hals- und kopfüber in die Tiefen ihrer Lehre versenkt und darin versunken waren.
Minnele stand auf und sah mit stillem Schauder auf das Ungeheuerliche dieser Szene.
Dann, leise dem Tisch wegschreitend, aber ihr Auge immer starr und traurig auf die beiden Betrunkenen heftend, wollte Minnele nach der Türe gehen, um sie zu schließen und so die Szene vor unberufenen Augen zu sichern – als plötzlich an die Tür geklopft wurde und auf Minneles unwillkürliches »Herein!« der blaue Kammerdiener eintrat.
Er meldete, dass der Wagen vor dem Hotel stehe und fragte, ob es den Damen jetzt gefällig sei, von demselben Gebrauch zu machen.
Minnele war im höchsten Grade verlegen; sie war sprachlos.
Von der Baronin und der Baroness zu sagen, sie schlummerten eben, das wäre übel genug angebracht gewesen, denn beide lallten, lachten und sangen noch immer von Zeit zu Zeit aus der wüsten Tiefe des Traumes herauf.
Der Kammerdiener, durch einen Blick auf den Tisch und auf die Damen schnell über die Lage der Dinge belehrt, hatte Takt genug, eine gefällige Lüge auf sich zu nehmen, und sagte mit einem Gesichte, als glaubte er wirklich, was er sage:
»Ach, die Damen halten ihr Mittagsschläfchen (dabei legte er den Zeigefinger über ihre Lippen zum Zeichen, dass man leise reden solle); ich will also den Wagen auf später bestellen und später noch einmal anfragen.«
Damit ging er.
Minnele sperrte hinter ihm schnell die Tür ab, blickte noch einmal niedergeschlagen auf die »Schlummernden« und ging dann, ihre Hände schweigsam ringend, auf ihr Zimmer, um der Baronin, wenn sie erwachen würde, wenigstens etwas von ihrer Verwirrung und Scham zu ersparen.
Der Kammerdiener sprang mit einem ganz anderen Gesichte, als er Minnele zeigte, in die »Kaiserkrone« hinüber und eine Treppe hinauf, dort klopfte er an eine Türe im ersten Stock und trat ein.
Graf von Guttenhof – oder, wie wir aufrichtiger sagen wollen – Seine Exzellent, stand, als der Kammerdiener eintrat, mitten in einem großen, prachtvoll möblierten Zimmer, war auf das Feinste und offenbar für eine Visite schwarz gekleidet und fragte lebhaft:
»Nun, nun, was machen die Damen? Wie hast Du sie gefunden?«
»Exzellenz«, sagte der Gefragte bestürzt und fast atemlos – »Exzellenz, die Frau Baronin und die Baroness sind betrunken; – aber das Fräulein – wie heißt es? – Minnele ist nüchtern wie ein Glas Wasser.«
Seine Geister-Exzellenz erblasste noch tiefer als die scharfen marmornen Züge es schon waren, und fragte noch einmal:
»Wie? Wie hast Du die Damen gefunden?«
»Zwei davon sternhagelvoll betrunken, die andere nüchtern wie ein Glas Wasser«, erwiderte der Kammerdiener noch einmal.
Nach einer Pause völligen Erstarrens gab Seine Exzellenz einen Wink mit der Hand; der Kammerdiener trat ab.
Hierauf ging Seine Exzellenz mit großen Schritten auf und nieder und suchte aus einem Gewirre ärgerlicher Empfindungen wieder Fassung zu gewinnen.
»Hermine betrunken! Eleonora betrunken! Und Minnele klar und bewusst wie ein reiner Geist von oben!« sagte er bald gehend, bald stehen bleibend: »War es so gemeint mit meinem Geschenke, dass gerade sie das Bewusstsein behielt, die es verlieren sollte? Wie ist das zugegangen? Wie? Ich kann noch fragen! ... Den zwei Personen hat der Teufel stets zwei Gläser statt einem gereicht – dem süßen Kinde hat ein Engel sein einziges Glas noch von den Lippen gezogen und unsichtbar zu Boden gegossen ... Ja, dieses Kind ist geschützt, getragen, umringt von guten Geistern, welche die schönste Seele auf Erden retten wollen – aber sie mögen helfen und wehren, wie sie wollen: in meinen Netzen ist das Kind bereits, und meine Hände werden es erreichen; das ist beschlossen, und eher will ich nicht leben, als dieses kostbare Wild mir entgehen lassen!«
Es klopfte wieder.
»Herein!«
Der Kammerdiener kam zurück und sagte, es wäre soeben angefragt worden, ob sich Seine Exzellent schon entschieden hab, wie lange die Armen auf sein Rechnung Kost, Wohnung und Bäder genießen sollten.
Seine Exzellenz erwiderte rasch und verdrießlich:
»Ende dieser Woche hört meine Zahlung auf; ich will nichts Weiteres davon wissen.«
Der Kammerdiener war schon an der Türe, als Seine Exzellenz noch hinzufügte:
»Georg!«
»Euer Exzellenz?«
»Komme in einer Stunde wieder und hole ein Billet für die Baronin; Du wirst ihr dasselbe alsogleich überreichen, wenn sie erwacht und wieder bei Vernunft ist.«
»Sehr wohl, Exzellenz« – und der Kammerdiener ging ...