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Viertes Kapitel.
Einkehr nach Jahren

Aus der Türe des Dasselhofes sprang um diese Stunde ein Knabe und rief mit pieperlrotem Gesicht:

»Vater, die Mutter hat gesagt, ich soll nur sagen, dass sie gesagt hat, der Vater mag sagen, was er will, er hat Augen- und Stiefelmaß verloren!«

Nach dieser Anstrengung blieb der Kleine mit gespreizten Beinen stehen und wartete ab, was der Vater dazu sagen würde; dieser aber hatte seine Arbeit im Hofraum schon verlassen und war nach dem Garten gegangen. Was blieb dem kleinen Rufer also übrig, als sich ein Häuslein weiter zu bemühen, um seine Botschaft anzubringen; kurz resolviert schlug er mit den Händen gegen seine Hüften und spranng dem Vater nach.

Kaum war er fort, so trat ein älterer Knabe aus der Türe und sagte, rot vor Zorn und Weinen:

»Nein, ich tu's nicht! Nein, ich tu's nicht!«

Und ohne Verweilen ging er weiter durch den Hof, erkletterte eine Holzschar in der Nähe des Taubenschlags und ließ sich häuslich daselbst nieder. Es half so gut als nichts, dass die Mutter zürnend seinen Namen rief und ihm befahl, eine Auftrag auszuführen. Tonerl regte sich nicht, er antwortete nicht.

Da war die Mutter gezwungen, ihr sechsjähriges Susle mit einer Botschaft fortzuschicken.

»Geh' und tu's«, sagte sei, auf die Haustürschwelle tretend, »die Buben sollen an mich denken! Der Zimmermann soll bleiben, wo er ist, morgen geht's nicht, sag'; es geh' nicht, sagte die Mutter!«

Susle zog ein bitteres Gesicht und ging, die Mutter aber, eine schöne, beleibte Frau von energischer Haltung, umfasste entschiedener den Stiel eines Kochlöffels und blickte nach ihrem entsprungenen Knaben.

Hat jemals einer Unglück in der Stunde gehabt, so war's der Zimmermann, der eben in den Hofraum trat. Ohne zu ahnen, wie unwillkommen er gerade jetzt erscheine, sagte er, eine Axt von der Schulter nehmend:

»Nun, da bin ich, Frau Luzia; besser ich schlafe gleich in Euerm Haus, so geht es morgen früher an die Arbeit!«

Die junge Dasselherrin drehte sich dem Kommenden entgegen und sagte:

»Heinzer, ich wollte eben zu Euch schicken; mir kommt zu viel zusammen, morgen; wir haben Schnitter und Mähder, es geht nicht, dass wir auch noch Zimmerleute haben!«

»Das tut mir leid«, erwiderte der Zimmermann betroffen, »jetzt hab' ich meine Ordnung einmal gemacht, hab' für morgen dem Felber abgesagt und bin doch herzitiert von Euerm Mann!«

»Herzitiert oder nicht, Ihr hört, es geht nicht morgen, also geht es nicht!«

Hiermit ging die Dasselherrin nach der Küche und ließ den verdrossenen Zimmermann stehen, der noch keineswegs das Feld zu räumen dachte, sondern beschloss, mit Gotthard erst noch abzureden, was zu tun sei.

Zu diesem Ende ging er nach dem Garten, wo er den jungen Dasselherrn zuvor erblickt und fand ihn wunderlich gestimmt.

Denn er hatte eben folgenden Fall erlebt. Sein jüngster Knabe war gekommen und hatte, an der Scheuerecke stehend, seinen Ruf erneuert: »Vater, die Mutter hat gesagt, ich soll nur sagen, dass sie gesagt hat, der Vater mag sagen, was er will, er hat Augen- und Stiefelmaß verloren!«

Er zählte eben an der Gartenwand der Scheune eine Bretterschichte, sagte für sich: »einundzwanzig, zweiundzwanzig«, schrieb mit einem keilförmig geschnittenen Blei auf das nächste Brett: Nummer 24, und hob sodann den Kopf, um zu sehen, wer gerufen habe.

Als er niemand als sein Knäblein sah, fuhr er ruhig fort zu zählen und zu nummerieren.

Des war der Kleine bass verwundert. Er legte die Arme über'n Rücken und zog die Brauen ernst zusammen, als gewähre er zu einer Antwort nur ungern Bedenkzeit; da er aber sah, er warte doch vergebens, schlug er mit den Handflächen wider gegen seine Hüften, griff wie ein englischer Renner aus und sprengte bis knapp vor den Vater hin, wo er wieder eine trotzige Stellung nahm.

So rief er, nicht ohne seine besten Stimmmittel aufzubieten, die obigen Worte.

Ein Lächeln zuckte über Gotthards Gesicht. Doch zählte er ruhig seine Bretterschichte zu Ende, schrieb die letzte Nummer auf ein Stück Papier und sagte: »Sechzig!«

Nun erhob er sich aus der gebeugten Haltung, blickte eine Weile, in Gedanken einen Überschlag machend, über den Knaben hinweg und wiegte bedeutungsvoll den Kopf, was ihm der Knabe, ohne es zu wissen, ernst und obachtsam nachmachte.

Unvermutet senkte sich jetzt das freundliche Auge des Vaters zu dem Knaben, er sagte: »Kannst Du rechnen, Steffele?«

Diesen überraschte die Frage mächtig. Seine stolze Haltung löste sich auf, seine Hände sanken ihm von dem Rücken an die Hüften nieder. Verlegen zum Vater aufblickend, sagte er:

»Was?«

Dieser fragte: »Wie viel ist viermal vier?«

Der Knabe erwiderte mit umschleierter Stimme, und den Schenkel verlegen reibend:

»Die Mutter hat gesagt – eh – viermal vier? – Viermal vier ist fünf – nein, elf – nein, viermal vier it sechzehn!«

Er erblasste und errötete nacheinander, ungewiss, wie nahezu seine Antwort das Rechte getroffen habe.

Der Vater legte ihm aber lächelnd die Hand auf die Locken, bog ihm den Kopf ein wenig zurück und sagte:

»Wacker, Steffele; sechzehn, das ist mitten ins Schwarze getroffen. So bist Du ja gar fleißig in der Schule?«

Rührung und Freude wechselten im Angesicht des Knaben. Gotthard wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass der Kleine sich ein lobendes Zeugnis selber gebe, setzt also gleich hinzu:

»Ich weiß Dir eine Arbeit, verricht' auch die mir fleißig. Es wird Abend werden, und sieh, dort laufen des Nachbarn Enten noch herum, geh', treib' sie Du ihm in die Stallung!«

Das ließ sich Steffele nicht zweimal sagen; jubelnd sprang er davon. Die Ehrfurcht und Liebe zum Vater war wieder hergestellt, der unbedachte Auftrag der Mutter vergessen.

Das war die Absicht Gotthards gewesen, ernsthaft folgte er dem Knaben mit den Augen und sagte vor sich hin:

»Mütter! Mütter! Wie bedenkt ihr nicht, dass ihr alles Ansehen zum Tor hinaus jagt, wenn ihr euern Männern selbst so wenig Ehr' erweist! Muss man ein Kind auch so im Zorn an den Vater schicken? Da hab' ich ihr die Treppenstufe nicht recht gefugt, und sie schickt mir den Knaben so über den Hals! Was müsste werden, wenn ich Gleiches täte? Verwilderung der Kinder, Missachtung der Eltern wär' das Nächste! … Luzia … Müssen wieder Kohlen über deinem Haupt sich sammeln?«

In diesen Gedanken unterbrach ihn der Zimmermann, der jetzt in den Garten trat.

»Gotthard«, sagte er, die Hand in die Tasche des Lederschurzes steckend und wieder herausziehend, »ich dächte, ich käme recht, wie ich komme, aber die Gestrenge, Eure Frau, ist anderer Meinung!«

»Anderer Meinung, Heinzer?« sagte Gotthard und sah ihn scharf an.

»Nun ja«, fuhr der Zimmermann fort, »Ihr bestellt mich, Euch den Fruchtboden neu zu bühnen, und Eure Gestrenge meint, es geh' nicht morgen, geh' durchaus nicht! Nun möchte' ich wissen, wem ich folgen soll?«

Gotthard hatte angefangen, das Papier mit den Notizen zu falten, und fuhr in dieser Beschäftigung fort, indem er eine Weile schwieg.

»Zimmermann«, sagte er dann, »da muss ein Irrtum walten; auf jeden Fall können nicht ihrer zwei recht haben, die ganz Verschiedenes wollen. Bleibt, ich bitt' Euch, ein wenig hier im Garten, beseht die Bretter, ob sie dick und trocken genug sind, Ihr sollt bald wissen, was geschehen soll; seid aber jedenfalls gewiss, dass Ihr bleiben und den Fruchtboden bühnen sollt!«

Mit diesen Worten ging er zwischen Scheuer und Vorratshaus hindurch nach dem Hofe und traf hier einen neuen befremdlichen Auftritt.

Der jüdische Händler hatte ein paar wohlbeschaffene Kühe in den Hof getrieben und mit den Worten in den Stall tun lassen, dass der Dasselherr zum Kauf sie herbefohlen. Dies hatte Luzia gehört, war gleich herzugekommen, und obwohl ihr die Tiere gefielen, so bestand sie doch darauf, dass dieselben nicht in den Stall geführt, sondern so lange, bis der Kauf geschlossen wäre, vor der Stalltüre angebunden werden sollten. Dies geschah denn unter heftigem Widerspruch des Händlers, der behauptete, dass der Kauf so gut als abgetan sei.

»Der Kauf ist nicht abgetan, Moses, ein paar Kühe kauft man nicht so ohne Wissen der Hausfrau!« rief Luzia und stemmte die Hände gegen die Hüften.

Der Händler wagte es nochmals zu widersprechen, worauf Luzia aufbrausend befahl, die Tiere zu loszuknüpfen, aus dem Hofe zu führen und gar nicht mehr zur Besichtigung hereinzulassen!

Dieser Befehl sollte eben unter wütigem Protest des Händlers ausgeführt werden, als sich Gotthard näherte, fragte, was es gebe, eine Weile nachsann und dann zu seinem Weibe sagte:

»Ich hab' den Mann bestellt, Luzia; ich habe die Tiere geprüft und gut befunden, doch solltest Du sie auch erst sehen. Bestehst Du darauf, dass Moses aus dem Hofe gehe? Ich wünsche, dass es nicht geschehe!«

»Nur fort, nur fort mit ihm! Ich will auch nichts mehr von den Tieren wissen«, rief Luzia und wendete sich zu gehen.

»Gut« sagte Gotthard mit einer Stimme, die beinahe heiter klang: »Moses – die Tiere sind gekauft – doch führt sie vor den Hof, bis ich sie holen lasse.«

Der Händler führte diesen Wunsch mit froher Behändigkeit aus und blickte triumphierend nach der Dasselherrin, welche, über die Worte ihres Mannes betroffen, inne hielt und besorg zu werden anfing. Sie wendete sich, um Gotthard einige Worte der Erklärung zu geben, allein dieser ging ruhig an ihr vorüber dem Wohnhause zu.

An der Türe drückte sich sein ältester Knabe mit schutzflehender Miene an ihn und ließ durch seine Blicke wohl erraten, dass er vor dem Zorn der Mutter flüchte.

Gotthard fragte ihn, was er zu befürchten habe, nahm ihn an der Hand, führte ihn durch das große Wohnzimmer nach der Kammer und stellte ihn neben das Fenster mit den Worten: »Hier bleib', bis ich Dich zu mir rufe!« Dann trat er in das Hinterstübchen und vor einem Kleiderschrank, öffnete ihn, nahm Feiertagsweste, Rock und Hut heraus, dazu einen knorrigen Wanderstock, der in der Ecke des Schrankes lehnte.

Indem Gotthard mit einiger Hast sich, wie es schien, zu einem weiten Gange rüstete, nahm sein Gesicht eine Spannung an, die nichts Geringes sagte, sein Auge sah scharf und blitzend vor sich hin, und in der gewölbten, vortretenden Stirne arbeitete sein Geist mit der Energie eines entscheidenden Augenblickes.

So steht ein königlicher Feldherr vor der Schlacht, die über Leben und Reich entscheidet, in dem Zelte, Stück für Stück von seiner Rüstung wird ihm angetan, Adjutanten drängen ab und zu, Befehle werden mit Blitzeseile, doch fast tonlos erteilt, der Geist schaut über den nächsten Moment hinweg auf das kommende Große und Ganze, ein düsterer Ingrimm fasst ihn an und führt ihn der Entscheidung zu.

Gotthard hatte eben seinen Anzug vollendet und den Knotenstock ergriffen, als die Kammertüre leise aufgedrückt wurde und Luzia stille und sehr verändert hereintrat.

An der Türe blieb sie stehen und blickte betroffen und verlegen Gotthard an.

»Wo willst Du hin?« fragte sie nach einer Pause und gesenkter Stimme.

»Wo ich schon einmal war; in die Stadt; vor Gericht wird's wieder lebhaft werden, Geschäfte sind abzumachen, Luft muss ich schöpfen!«

Diese schroff und heftig gesprochenen Worte Gotthards brachen ein überwältigende Wirkung hervor.

Luzia wand das Schürzenband mit einer Gewalt um ihren linken Daumen, dass das Blut um den Nagel anschwoll, dann sagte sie mit zager Stimme:

»Gotthard!«

»Hinaus, hinaus«, rief dieser, sich drehend und den Schrank zuschließend: »Hat man je ein solches Weib und solches Betragen gesehen?«

Luzia trat jetzt vor, legte die linke Hand, als habe sie Schwindel, flach gegen die Stirne und reichte die rechte Hand ihrem Mann entgegen.

»Gotthard«, sagte sie, »verlangst Du mehr, als dass ich um Verzeihung bitte?«

»Mehr als um Verzeihung bitte? Und im Garten steht der gekränkte Zimmermann; und vor dem Hoftor steht der beleidigte Händler; und den Kindern surren ehrenrührige Befehle in den Ohren! Mehr als um Verzeihung bitten? Fort will ich und diesmal soll's ein schlimmes Ende haben!«

Luzia stürzte dem heftig Redenden bewegt an den Hals und sagte:

»Du wirst mich nicht verlassen, Du wirst noch einmal Nachsicht mit mir haben; hilf mir, alles wieder ins Gleiche zu bringen!«

Eine Pause entstand.

Dann legte Gotthard seinen rechten Arm um Luziens Schultern, senkte seine Stirne sachte gegen die ihre und sagte milder als zuvor:

»Luzia … Ich weiß, Du hast es schwerer als andere, mit Deinem Blut zurecht zu kommen … Aber soll das nie ein Ende haben? Soll ich immer von Zeit zu Zeit ein Strafgericht ergehen lassen? … Luzia, wenn Du Monate lang ein Muster von Hausfrau sein kannst, warum immer wieder einmal so ausarten?«

»Hab' Nachsicht, Gotthard – diesmal nur noch, Gotthard – ich will mich künftig besser überwachen!«

Gotthard drückte einen Kuss auf ihre Stirne, bog ihr den Kopf zurück und sah ihr freundlich und milde in das schöne große Auge. »Nun gut«, bemerkte er, »ist die Hauptgefahr beschworen, so wär' es schlimm, wenn wir zusammen nicht auch Frieden stiften könnten!«

Jetzt rief er seinen ältesten Knaben herein und sagte:

»Da! Du hast der Mutter nicht gefolgt, bitt' um Verzeihung; Gehorsam ist die erste Kinderpflicht!«

Tonerl näherte sich zögernd und noch immer furchtsam und reichte der Mutter die Hand, die aber wehmütig sagte:

»Es ist gut jetzt, merk' Dir, was der Vater sagt!«

Der Knabe sprang glückselig davon, und Gotthard trat mit seinem Weibe vor das Hus, worauf der Zimmermann und Händler gerufen und beruhigt wurden; denn ein wohlbedachtes »Missverständnis« wurde ausersonnen und mit guter Art von beiden vorgebracht …

Dies war der Augenblick, wo Gotthard, eben dem Nebenbau des Hofes zugewandt, die Uniform Blasis, seines Bruders, erblickte, welche eben vor der Türe erschien.

Blasi war eben im Begriffe, begleitet von der Mutter, sich seinem Bruder Gotthard vorzustellen und ihn militärisch selbstbewusst, vielleicht ein wenig von oben herab zu begrüßen …


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