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Drittes Kapitel.
Ein Verschollener

Eines Sommernachmittags, sieben Jahre nach dem obigen Ereignisse, fuhr ein Lastwagen, gezogen von vier Pferden, die Bergstraße an der Bärenkapelle herauf und erreichte endlich nach lebhaftem Geiselschwingen des Fuhrmanns und schweißvoller Anstrengung der Pferde die sogenannte Hochplatte, wo ein wenig Rast gemacht wurde, um die Tiere verdampfen und verschnauben zu lassen.

Der Fuhrmann war die ganze Bergstrecke herauf ermunternd und schnalzend neben den Tieren hergegangen, während zwei Reisegesellen, die ihr Gepäck auf dem Wagen hatten, einige Schritte hinter dem hochbeladenen Wagen langsam und im Gespräche folgten.

Der eine der Wanderer war, was schon seien Uniform verriet, Unteroffizier eines Linienregiments, der auf Urlaub ging, während sein Begleiter dem ehrsamen Stande der Nähnadel angehörte, was schon seine schmale Gestalt und die zackigen Bewegungen der Ellenbogen und Knie verrieten.

Trotzdem oder vielmehr deshalb gab sich der Letztere dem Charakter nach als ein höchst sanguinischer Bursche, der um einen Gegenstand des Gespräches ebenso wenig als um einen Witz und guten Einfall verlegen war.

Das Stillestehen des Wagens und die plötzliche Schweigsamkeit des Wanderkameraden störten den lebhaften Nadelführer deshalb nicht angenehm, weil er wusste, dass hier die Marke des Abschiedes zwischen ihm und dem Feldwebel, der ihm eines gewissen Charakterschwunges und prahlerischen Pathos wegen merkwürdig geworden, unabänderlich festgesetzt war; denn der Feldwebel hatte schon am Fuße des Berges die baumlose Höhe als den Punkt bezeichnet, wo er seinen Reisepack abladen und damit nach seiner nahen Heimat weiter wandern würde.

Also trat ihm jetzt der Wandergenosse gegenüber und reichte ihm die Hand zum Abschied.

»Adjes, adjes«, sagte er mit einer schnellen Wandlung seiner Stimme, »so ist die Stunde wieder einmal da, wo zwei Menschen Abschied nehmen müssen; kommen Sie gut nach Hause, Herr Feldwebel, und denken Sie an mich!«

Seine Stimmung, eben noch heiter und wohlgemut, fiel mit einer Behändigkeit, die nur am Barometer einer Schneiderseele möglich ist, auf Trauer und Weh herunter, erhob sich zwar im nächsten Augenblicke wieder, fiel dann aber von Neuem und machte so den Vortrag merkwürdig, mit welchem der gute Nadelmann seinem Herzen Luft zu machen suchte.

»Sehen Sie«, sagte er, und seine Augen waren plötzlich eine Trauer, »ich habe zwar die Ehre einer längeren Bekanntschaft mit Ihnen nicht gehabt, wir haben uns gleichsam nur so auf der Straße gefunden und aufgelesen, aber (durch Tränen lächelnd) das können Sie mir glauben, wenn ich je einen Freund zu suchen und zu finden ausgegangen wäre, (Größe des Blicks) den Tag, wo ich Sie gefunden, müsste ich rot anstreichen in meinem Wandkalender! (Verhaltenes Schluchzen) So leben Sie denn wohl, Herr Vaterlandsverteidiger! (Lächeln) Johanna geht und nimmer kehrt sie wieder! (Klug drein schauend) Was sollte sie auch wieder kommen, (mit erstickter Stimme) wenn ihre Eltern nicht mehr leben wie die Meinen?«

»Schon gut, schon gut!« sagte der Unteroffizier, von der gutmütigen Verehrung des Jünglings angenehm berührt; er salutierte mit einer gewissen vornehmen Überhebung zum Abschied und sagte:

»Es war mir angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Fädner; im Übrigen, richt' Euch! Habt Acht! Der Fuhrmann will weiter fahren! Behüt' Sie Gott!«

Der Fuhrmann hatte des Feldwebels Reisepack von dem Wagen genommen und auf die Straße gelegt, nickte jetzt noch einmal flüchtig Lebewohl und fuhr dann unter Peitschenknallen rüstig seines Weges.

»Adjes, adjes«, rief der Schneider, dem Wagen folgend und plötzlich wieder stehen bleibend: »Grüßen Sie mit Ihre Herrn Eltern auch, wenn sie leben, (heiter) erzählen Sie ihnen die Geschichte von der großen Kanonenkugel in der letzten Schlacht, (wehmütig) die Ihren Kameraden beide Ohren weggenommen, ihn aber sonst wohlbehalten an allen Gliedern davonkommen ließ, (heiter) um ihn bald nachher in die Hände einer Bombe geraten zu lassen, (mit einem Blick zum Himmel) die ihn hin beförderte, wo wir alle ankommen werden, mit und ohne Bomben, (lächelnd) ins Reich der Seligen! Adjes, adjes – in einem besseren Leben wieder! (Vergnügt im Weitergehen)

 

Heute scheid' ich, heute wandr' ich,
Keine Seele weint um mich.
Sind's nicht diese, sind's doch andre,
Die dann trauern, wenn ich wandre,
Holder Schatz, ich denk' an Dich!

 

Der Feldwebel, obwohl er straff aufgerichtet neben seinem Reisepack stand und dem davon fahrenden Wegen nachsah, hörte doch, in lebhafte Gedanken versunken, weder die Worte noch das Lied des Wanderburschen mehr; seine Blicke suchten die westlichen Hügel und Berge auf, welche sein Heimatdorf umgaben, und als er sich an ihrem, seit sieben Jahren schwer entbehrten Anblicke erquickt hatte, machte er eine rasche, stolze Bewegung, drehte die Spitzen seines langen Schnurrbarts herausfordernd nach oben und sah nach einer Grasstelle an der Straße um, wo er Toilette zu machen beschloss.

Die Stelle war denn bald gefunden; auch ein Spiegelchen und eine Bürste waren zur Hand, um das kurz geschorene Haupt zu glätten und dem Schnurrbart den vollen Paradeschwung zu geben. Nachdem hierauf noch ein Birkenzweig die Dienste einer Staubbürste getan und die Stiefel rein gefegt hatte, erhob der Krieger sich wieder rasch und flott, bewunderte noch einmal im Handspiegelchen sein martialisches Aussehen, dachte: »Ich will Euch jetzt was weisen!« nahm seinen Wandersack und ging.

»Guten Tag, Herr Soldat!« sagte in diesem Augenblicke ein jüdischer Händler, der zwei wohlbeschaffene Kühe desselben Weges trieb.

»Guten Tag auch«, erwiderte der Feldwebel und würdigte den Händler kaum eines flüchtigen Blickes.

Doch auch dieser halbe Blick reichte hin, im Händler einen Wohlbekannten erkennen zu lassen; sogleich dachte er jetzt: »Ei, halt, der kann dir allerlei Auskunft geben, ohne dich zu kennen«, und somit beschloss er, sich mit dem Händler in ein Gespräch einzulassen und ein Weile neben ihm herzugehen.

»Schön Wetter heuer, die Fexung kann von Statten gehen«, sagte der Feldwebel freundlicher und steckte eine Dreimänner-Zigarre, die er eben angezündet, in den Mund.

»Ja, ja«, meinte der Händler, »aber zu trocken, zu trocken! Die Viehpreise steigen, das ist für Unsereinen schlimm, sehr schlimm!«

»Ihr werdet übertreiben«, sagte der Soldat, »die Gegend hat schönes Wiesental, da schadet warmes Wetter nicht so leicht … Wem treibt Ihr die schönen Tiere zu?«

»Sind für den Dasselhof in Mängelheim bestimmt; bin ein wenig spät auf dem Wege«, sagte der Händler und klopfte eine Kuh zwischen die Hörner, da sie sich nach einer Grasstelle bücken wollte.

Die Worte »Dasselhof in Mängelheim« klangen dem Soldaten offenbar nicht gleichgültig, da er die Farbe wechselte, die Zigarre aus dem Munde nahm und unbestimmt ins Weite blickte.

»Mängelheim«, sagte er dann und errötete noch mehr, »liegt dieses weit von hier?«

»Dreiviertelstunden etwa«, erwiderte der Händler und zeigte gerade vor sich hin: »Sie sehen da den zuckerhutförmigen Berg vor uns; wenn wir dem die obere Hälfte wegrasieren könnten, läge Mängelheim wie auf einem Teller da!«

»So, so«, sagte der Soldat und streifte die Asche von der Zigarre, obwohl sich kaum ein feiner Rand davon gebildet hatte. »Und ist das ein großes Wesen, der Dasselhof?«

Der Händler sah verwundert zu dem Soldaten auf, als erstaune er über solche Unwissenheit.

»Ob es ein großes Wesen ist?« sagte er und zog die Brauen in die Höhe: »Herr Soldat, Sie haben heute gewiss schon einen weiten Weg gemacht, ich glaube nicht, dass Sie an einem größeren Hofe vorübergekommen sind … Reisen Sie heute das erste Mal durch diese Gegend?«

Der Soldat blickte weg und sagte etwas verlegen:

»Das nicht. Ich bin vor sieben Jahren hier einmal durchgekommen.«

»Vor sieben Jahren?« sagte der Händler, »nun ja, wenn Sie damals nach dem Dasselhofe gefragt haben würden, wäre freilich noch wenig Gutes von ihm vernommen worden.«

»Wieso?« fragte der Feldwebel, ein Stück Tabak wegspuckend, welches sich von der Zigarre abgelöst hatte.

»Nun, damals war der gute alte Dasselherr noch am Ruder, wie man von Regierungen sagt; der hat's ein wenig leicht getrieben und den Hof an die Dachluken in Schulden gesteckt; aber sein Sohn – nicht der älteste, der, weiß Gott, wo in der Welt sein Wesen treibt – nein, der jüngste Sohn hat den Hof nicht bloß wieder im Trocknen, sondern hat auch noch reichlich sein Übriges!«

»Wieso?« fragte der Soldat erblassend, »es sind doch keine sonderlich fruchtbaren Jahre gewesen.«

»Ja, wieso?« erwiderte der Händler, »wem Gott eine reiche Frau zuführt, der kann schon einige fruchtbare Jahre entbehren!«

»Hm. Reich geheiratet hat er? Das ist freilich etwas anderes«, sagte der Soldat mit gesenkter und umflorter Stimme. Es schien, dass diese Nachricht nicht behaglich auf ihn wirkte, da er plötzlich die Zigarre, die allerdings nicht recht in Feuer geraten wollte, in den Straßengraben warf und auf einen anderen Gegenstand übergehend fragte:

»Muss nicht gleich da hinter dem Wäldchen ein Wirtshaus kommen? Ich glaube, hier vor Jahren eingekehrt zu sein.«

»Freilich, freilich!« sagte der Händler, »Zum Roten Hirschen heißt die Schenke; es ist jetzt ein neuer Pächter drauf.«

Der Soldat ließ nun den Händler über Schenke und Pächter weiter reden und war froh, einige Augenblicke Zeit zu gewinnen, um über den Inhalt des früheren Gespräches nachzusinnen.

»Der Dasselhof schuldenfrei! Und mein Bruder reich verheiratet!« dachte der Feldwebel und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirne. »Blasi, Blasi, so meintest Du die Dinge nicht zu finden, wenn Du einmal wieder kämst!«

Also er ist es – Blasi, der verschollene Erbnachfolger des Dasselhofes, der uns unerwartet auf offener Straße in die Hände geraten?

Blasi kehrt nach Jahren zum ersten Male wieder in die Heimat zurück, und zwar als Soldat, als wohlbestallter Feldwebel eines Linienregiments!

Wir haben nachzutragen, dass der schwunghafte Erbnachfolger, nachdem er seine Strafe wegen der Verwundung Eichrodts überstanden, vom Gefängnisse aus, und ohne von seinen Eltern Abschied zu nehmen, in die Fremde ging, in der Absicht, sich dem Stande des Kriegers zu widmen und in diesem Stande sein künftiges Glück zu suchen.

Der Gedanke war auch wirklich so übel nicht, da die kriegerischen Zeiten einem Burschen, wie Blasi sich darstellte, wirklich gute Aussichten eröffneten; er trat also in der nächsten Werbestation in ein Linienregiment mit dunkelroten Aufschlägen, und sein ganzer Ehrgeiz drängte bald dahin, nach Jahren, wenn man seiner kaum mehr gedenken würde – wenigstens als Unteroffizier heimzukehren und – wie seine Gedanken wörtlich lauteten – »den Leuten daheim etwas zu weisen!«

Diese Hoffnung hatte ihm der letzte Feldzug tatsächlich in Erfüllung gebracht, er hatte sich bis zum würdigen Feldwebel emporgeschwungen, konnte nun in ganzer Herrlichkeit sich in der Heimat sehen lassen und besonders seinem verachteten jüngsten Bruder stolz gegenüber treten!

Freilich war schon die erste Nachricht, die er über den Zustand seines Bruders und Elternhauses einzog, wenig geeignet, seine gehobene Erwartung und seine Freude am Triumphe ungeschwächt zu erhalten.

Zwar hatte er nicht gedacht, auch seiner Eltern wegen durchaus nicht gewünscht, dass der Dasselhof bis heute ein elendes Dasein friste oder gar bereits in die Hände des wucherischen Eichrodt übergegangen sei; allein für die durchgreifende Wirkung seiner Erscheinung war es dennoch nötig, dass der Elternhof sich nicht zu sehr von seinem Falle erhoben habe oder gar in erbötigem alten Glanze dastehe.

Denn hat der Soldat außer seinem Ruhm im Felde etwas, um das ihn der beschäftig sorgende Bürger beneiden darf, so ist es die frische, sorglose und immer schmucke Erscheinung, mit welcher namentlich der junge, unverheiratete Soldat im Frieden erscheint. Tritt hingegen der Soldat über die Schwelle eines großen, geregelten Besitztums, begegnet ihm Wohlsein, Behagen und die nützliche Regsamkeit unabhängiger Menschen, die sich rühren für ihr Wohl, die sammeln für Gegenwart und Zukunft und ein Leben erbaulicher Familiengemeinschaft, fußend auf gleicher Denkungsart und Sitte, führen, dann wird selbst der leichtfertige Diener des Mars beschlichen werden von Achtung für dies Umgebung und von Sehnsucht nach ähnlichem häuslichen Besitz und Leben.

Vor einem solchen Eindruck war auch Blasi wirklich etwas bange, und er konnte sich wohl entsinnen, welchen Eindruck ihm zur Zeit seiner Jugend, wo der Elternhof noch in vollem Glanze dastand, der Anblick einquartierter Soldaten machte. Während bei den ärmeren Nachbarn Alt und Jung die schmucken Uniformen bewunderte und das geschäftige, aber wenig beschwerliche Treiben des Soldaten gegenüber dem mit Sorgen und Beschwerden beladenen Leben ärmerer Dorfbewohne beneidenswert fand, wurde die bewaffnete Macht im Dasselhofe ziemlich nebenher behandelt, und Blasis Vater unterließ es nie, wenn Einquartierung angesagt war oder wieder abzog, dass er mit gehobenen Brauen von der Landplage stehender Heere, von geschäftigem Müßiggange und nutzlos vergeudeter Arbeitskraft lange und eindringliche Vorträge hielt.

Blasi, der jetzt eine Strecke stumm und nachdenklich neben dem geschwätzigen Händler hergegangen war, fand es aus zweierlei Gründen angenehm, als der Händler nach dem Wirtshauschilde zeigte und sagte:

»Hier ist's zum roten Hirschen, wenn Sie einkehren wollen, Herr Soldat!«

Blasi wurde, indem er nach der Schenke ging, einen Gesellschafter los, der ihm das Konzept seiner Gedanken durch Fragen und Mitteilungen unliebsam störte, und ein frischer Trunk musste seinen Lebensgeistern neuen Aufschwung geben. Also entließ er seinen Begleiter mit Gruß und wohlwollender Handbewegung, schwenkte links ab nach dem Wirtshausschilde und wollte eben die drei Stufen zur Türe hinaufsteigen, als ihm dieselben Stufen herunter ein Mann entgegentrat, den er von allen menschlichen Wesen seiner Heimat hier am wenigsten zu begegnen wünschte.

Dieser Mann war niemand anders als Eichrodt aus Deubach, seines Zeichens wohl konditionierter Geizhals und bekannte Plage verschuldeter Höfe und Familien.

Glücklicher Weise hielt der wohlbekannte und vor sieben Jahren von Blasis eigener Hand gezeichnete Mann gedankenvoll sein geisbärtiges Kinn in der Hand und ging an der Uniform, ohne auszublicken, vorüber. Er hatte vor der Türe seinem Knecht, der einen hageren Gaul vor seinem Wägelchen wässerte, einen Auftrag zuzurufen und dann einige Bewohner des Dorfes zu erwarten, weshalb er auch nicht sobald in die Schenke wieder zurückkam.

Wäre Blasi nicht schon so weit an der Schenke gewesen, er hätte es nicht über sich vermocht, da seine Einkehr zu halten, wo sich eben ein Erzfeind herumtrieb, dessen Anblick ihm die widerwärtigsten Erinnerungen aufrührte.

Allein er war bereits gesehen und von dem durch die Haustüre gehenden Wirt bewillkommnet worden, also trat er ein.

In der Wirtsstube waren allerlei Gäste versammelt, Bauern, die nur geschwinde von dem Felde her auf einen Trunk gekommen waren, Händler und Fuhrleute, die des Weges vom nahen Wochenmarkt vorüber mussten; auch der Herr Pfarrer, der auf dem Kreuzweg der Schenke die Lücken seiner Erfahrung und die Kenntnis der Weltbegebenheiten, welche das Zeitungsblatt mangelhaft ließ, zu ergänzen strebte, saß ruhig und ernst überschauend in der Ecke am Fenster da.

Der Eintritt Blasis wäre unter Umständen mehr beachtet worden, wenn nicht eben der Pfarrer das Wort ergriffen und einen Gegenstand berührt hätte, welcher ihn als Seelsorger des Ortes und die übrigen Gäste auf Gründen der Menschlichkeit nahe anging.

Es handelte sich von einer bevorstehenden Pfändung im Hause eines bedauernswerten, sehr braven Hausvaters, der durch Unglücksfälle und nicht durch eigenes Verschulden herabgekommen war. Wenn Eichrodt als erster Gläubiger auf der Pfändung bestand und die übrigen Gläubiger ebenfalls aufschreckte, so musste dieser Schritt bald auch den Verkauf der ganzen Wirtschaft nach sich ziehen und eine zahlreiche Familie brotlos auf die Straße setzen.

Aus den Worten des Pfarrers ging hervor, das man es von allen Seiten an Bitten und Verwendungen nicht habe fehlen lassen, um Eichrodt von einem so verhängnisvollen Verfahren wenigstens diesmal noch abzuhalten, ja noch eben in der Wirtsstube selbst, habe der Pfarrer mit Hilfe einiger Nachbarn dem habsüchtigen Dränger lebhaft zugesetzt, sich doch noch eines Mildern zu besinnen; aber all' diese Mühe habe nur die Folge gehabt, dass Eichrodt sich von seinem Tische erhob, vor sich hin brummend in der Stube auf und abging, bald vor dieses, bald vor jenes Fenster hintrat, um zerstreut hinauszusehen – endlich aber die Stube ganz verließ, um den Boten draußen zu erwarten, den er an den Schuldner kurz zuvor abgeschickt.

Der Gegenstand des Gespräches war also auch für Blasi anziehend genug, und er dachte, sich abgesondert an einem kleinen Seitentische niederlassend:

»Da erfahr' ich ja gleich Neues! Hat der alte Werwolf noch immer frischen Appetit? Bin ich der Letzte gewesen, der ihm einige Ecken heruntergeschlagen?«

Leider wurde das Gespräch der Gäste bald darauf durch Eichrodt selbst wieder unterbrochen, der, da sein Bote immer noch nicht zurückkehren wollte, in die Stube zurückkam.

Um nicht wieder durch unerwünschte Zureden belästigt zu werden, setzte sich Eichrodt diesmal nicht an den langen Wirtshaustisch zu den früheren Gästen, sondern trabte, in Gedanken und seinen Ziegenbart streichend, eine Weile hin und wieder und setzte sich, den Soldaten erblickend, mit seinem Glase – neben Blasi hin.

Dieser Entschluss entsprang auch noch aus einem andern Grunde: Eichrodt war Besitzer von Staats- und anderen Wertpapieren, und obwohl er über den Stand der Kurse immer ganz gut unterrichtet war, so suchte er sich doch, in Ermangelung ordentlicher Zeitungslektüre, über Krieg und Frieden, und was als schwankender Zustand zwischen beiden lag, jederzeit, auch aus unscheinbaren Umständen und Aussagen, näher zu belehren.

Hier also kam ein Soldat, ein Unteroffizier sogar, nahezu frisch vom Schlachtfelde her, er musste im Lager über Waffenstillstand und Friedensschluss, insbesondere über die Meinung der Armee, ob es lange ruhig bleiben werde, manches wichtige Wort vernommen haben: also, dachte er, immer angebunden und manches nur so beiläufig, wie im Vorübergehen ausgeforscht!

Blasi, im ersten Augenblicke überrascht und über diese Nachbarschaft des alten Widersachers sichtlich ergrimmt, ergab sich bald mit Ruhe, ja Behagen in seine Lage, da er merkte, dass Eichrodt ihn nicht erkenne und vermöge seiner Art, mit den Leuten zu reden, auch später nicht erkennen werde. Denn Eichrodt pflegte während des Gespräches bald mit einer Hand auf dem Tischen zu trommeln, bald durch Bart und über seine Glatze zu fahren und seinem Gegenüber nur manchmal flüchtig und wie zerstreut einen Blick zu widmen.

»Also gibt man Urlaub, Herr Soldat?« sagte Eichrodt bald nach der ersten Begrüßung, »und also wäre Hoffnung, dass wir eine Weile Frieden behalten werden?«

»Das ist alles noch die Frage«, erwiderte Blasi, »vorläufig geh'n nur einige Mann von jeder Kompagnie auf Urlaub, und zwar nicht länger als vier Wochen!«

»Hm, dass doch das Donnerwetter! Das ewig Treiben und Drohen! Heute Aufstand hier, morgen Krieg und Schlachten dort, übermorgen Friede und dennoch keine Ruhe!« sagte Eichrodt.

»Das ist der Lauf der Welt; es kann nicht immer Frieden geben«, bemerkte Blasi, offenbar in der Absicht, um den Geizhals, dessen Art von Friedensliebe er kannte, zu beunruhigen.

»Warum kann's nicht immer Frieden geben?« sagte Eichrodt lebhaft: »Sind denn Fleiß und Arbeit nur da, um von Krieg und Kriegsnot verschlungen zu werden? Ei, ei, Herr Soldat, wir verstehen das Leben doch ein wenig anders: wie müsste die Welt ein Ansehen haben im vollen Segen eines langen Friedens; alle Kassen voll und alle Speicher angefüllt bis an das Dach!«

»Nun«, erwiderte Blasi, »wir haben einen ziemlich langen Frieden gesehen, aber doch ist von vollen Kassen und vollgestopften Speichern nicht gar viel zu finden gewesen.«

»Woran die liederliche Wirtschafterin meist nur selber schuld sind!« fuhr Eichrodt etwas heftig heraus.

»Oder die Plagen des Menschengeschlechtes – die schlechten Jahre und – die Füchse, die Wucherer und Gantbetreiber!«

An dem langen Wirtshaustisch drüben ging ein Lächeln die Reihe der Gäste entlang, Blasi selbst warf ihnen einen schadenfrohen Blick zu, während Eichrodt vor sich niederblickte, dachte: »Woher wär' ich Dir bekannt?« und, um nicht zu zeigen, dass er getroffen sei, scheinbar ruhig sagte:

»Immer doch nicht schlimm genug, um Krieg und schlimmes Unheil anzufangen … Seh'n Sie nur, Herr Unteroffizier, der letzte Krieg …«, hier wollte Echrodt seinen Worten und Ansichten auch durch einen festen, scharfen Blick Nachdruck geben, um sein Gegenüber fühlen zu lassen, wie streng bei ihm Ausspruch und Überzeugung ein und dasselbe seien … als gerade dieser Blick es war, der ihm die Fortsetzung seiner Worte unmöglich machte; denn indem er etwas länger und bestimmter auf Blasis Mienen haftete, erkannte er plötzlich den verwegenen Gegner, der ihm einst so handgreiflich ganz absonderliche Grundsätze beigebracht hatte.

Unter solchen Umständen konnte es Eichrodt nur willkommen sein, dass der Bote, den er an seinen Schuldner abgesendet, eben zurückkam und an der Türe der Wirtsstube erschien; er erhob sich auch nach einer Pause peinlicher Überraschung, um der Nähe des gefürchteten Gegners zu entkommen und die Nachricht des Boten entgegen zu nehmen; allein Herr Eichrodt hatte eben seinen guten Tag heute nicht. Denn der Bote war kaum in die Stube getreten, als hinter ihm in der offenen Türe die ganze Familie des Schuldners erschien und Anstalt machte, das Herz des Gläubigers auf manche Weise zu rühren und zu erweichen.

Voran erschien ein altes, steifes Bäuerlein, gestützt auf einen langen Knotenstock, den breitschirmigen Hut unterm Arme und in den Mienen ein ergreifendes wahres Bild des Jammers.

Hinter ihm, an einem Türpfosten lehnend, machte sein ältester Sohn, ein riesiger und verwegen aussehender Bursche halt, der keineswegs Miene machte, als wäre viel Bitten und Beschwören seine Sache, er schien vielmehr entschlossen, nach erfolglosem Bemühen seines Vaters auf anderweitige Maßregeln zu denken, denen nicht unähnlich, welche Blasi einst, freilich zu seinem persönlichen Schaden, ergriffen hatte.

Hinter dem riesig aufgeschossenen Burschen, noch in der Vorflur, erschien die Mutter desselben mit einem Säugling auf dem Arm und umgeben von noch drei kleinen Kindern, die, höchst ärmlich gekleidet, sich furchtsam an die Mutter drängten und im Rock derselben sich zu verbergen suchten.

Die Lage des Wucherers war in diesem Augenblicke nicht beneidenswert.

Eichrodt hatte den Boten abgeschickt, um den Schuldner wissen zu lassen, dass er binnen einer halben Stunde seinen Besuch zu erwarten und die rückständigen Interessen zu zahlen oder Bürgschaft zu stellen habe, widrigenfalls die Pfändung unabwendbar eingeleitet werden würde. Nun erschien mit dem Boten zu gleicher Zeit die ganze, Mitleid erregende Familie des Schuldners an der Türe, um, woran gar nicht zu zweifeln war, ein großes Klagen und Drängen zu beginnen. Notwendiger Weise musste dieser Auftritt auch die Gäste der Schenke, namentlich den Pfarrer, zu lebhaftem Einmischen veranlassen und, von der Nähe Blasis abgesehen, die peinliche Lage Eichrodts sehr verschärfen.

Diese ganze Bedrängnis wohl einsehend und einen Augenblick ungewiss, wes zu beschließen sei, stand denn Eichrodt wirklich eine Weile unbeweglich in der Stube da und blickte nur stumm nach der Türe, wo die bedauernswerte Familie jetzt begann, ihren Tränen und Bitten vollen Lauf zu lassen.

Allein Eichrodt war denn doch bald wieder er selbst, der Mann der Tat und des Gewinnes; und so wollte er durch barsche, zornige Abweisung das weitere unliebsame Drängen seines Schuldners kurzweg abschneiden – als ein neuer Zwischenfall seine Lage verschlimmerte.

Denn plötzlich schimmerte Blasis Uniform knapp an ihm vorüber und bewegte sich in der Richtung nach der Türe zu.

Blasi hatte in dem Burschen des Schuldners eben einen ehemaligen Knecht des Dasselhofes und einen guten Freund früherer Tage erkannt und kam jetzt eines Teils, um denselben zu bewillkommnen, andern Teils, um durch sein Auftreten Eichrodt einen Wink zu geben, was ihm von Seiten des verwegenen Burschen erblühen könnte, wenn er, wie einst mit der Familie des Dasselhofes, hier wieder vorgehen wollte.

»Grüß Gott, Jakob«, sagte Blasi, dem Burschen die Hand reichend und sich etwas auffallend in die Brust werfend: »Kennst Du mich nicht mehr, Freund, den Blasi vom Dasselhof?«

»Ei, Du Gott und kein Ende!« rief der Bursche, auf einmal wie verwandelt, »Du bist's, Blasi? Ei, dass Dich alle Donnerwetter! Soldat! Feldwebel! Blasi – mit Verlaub – Du wieder da?«

»Nun ja, nun ja; man muss ja seine Heimat wieder einmal sehen – wie geht's – ha, was sag' ich? Da seh' ich ja, wie's Dir und Deinen guten Leuten geht«, sagte Blasi und reichte nach einander den Eltern des Burschen seine Hand hin.

»Nun seid getrost«, fuhr er fort, »mit dem Unglück sieht es manchmal schlimmer aus, als es ist; es gibt allerlei Mittel, um es abzutreiben, gute und schlimme, am Ende hilft doch immer eins! Jakob«, setzte er jetzt mit einem kühnen und drohenden Blicke auf Eichrodt hinzu, »Du bist groß und stark genug, um Deinen Eltern unter die Arme zu greifen und Deine Hände – (er wog die riesige Faust des Burschen) – nun, Deine Hände werden doch auch, wenn nichts andres helfen will, im Stande sein, das Hirn eines Menschen zurecht zu rücken, wie sie einen Leiterwagen herumzudrehen und den Pflug zu führen im Stande sind!«

Nach diesen Worten wendete sich Blasi mit Nachdruck, aber nicht unfreundlich zu Eichrodt und sagte:

»Lieber Herr Landsmann, lassen Sie diesmal Gnade für Recht ergehen. Wie ich höre, sind die Aussichten für den Frieden besser, als ich vorhin gesagt habe, die gute Familie wird sich wieder erholen, und Sie werden angenehmer zu Ihrer Sache kommen als durch Zwang und blinden Druck!«

Eichrodt hatte die letzten Worte Blasis nicht mehr ruhig stehend angehört, sondern begann jetzt eine heftige Wanderung durch die Wirtsstube, wobei er in regelmäßiger Abwechslung ergrimmte und wieder erschrocken zusammenfuhr; und als er nun auch den Pfarrer wieder aufsehen sah, um kräftig und salbungsvoll von der Würze einer guten Tat und von den süßen Interessen in diesem und jenem Leben zu beginnen, da wurde dem Wucherer die ganze Trostlosigkeit seiner Lage klar, und um ihr mit einem Schlage zu entgehen, blieb er plötzlich zornig und drohend vor dem alten Bäuerlein stehen und sagte:

»Nun den in des T… in des Himmels Namen, so sei Euch noch eine Galgenfrist von einem halben Jahr gegeben; zahlt Ihr aber dann nicht auf die Stunde, so – merkt Euch's wohl – verkauf' ich Euch das Haus überm Kopf weg – glaubt mir's! – so wahr ich lebe!« Und damit stürzte er knurrend aus der Stube und fuhr darauf in seinem Einspänner davon …

»Blasi, Du bist ein ganzer Kerl«, dachte dieser jetzt, innerlich nur so ein Stolz und eine Freude, »da siehst Du's jetzt, wie die Tapferkeit doch auch nach Jahren noch belohnt wird. Ich hätte jetzt predigen können wie ein Bischof oder Kardinal, und es hätte der armen Familie nichts geholfen; da ich ihn aber einmal tüchtig durchgerüttelt habe, nahm er das viel besser zu Herzen und gab nach!«

Von dieser stolzen Selbstschau eingenommen, überhörte Blasi beinahe die Danksagungen der von großer Bedrängnis befreiten Familie und nahm sie nur mit einem zerstreuten Lächeln wie etwas sich von selbst Verstehendes hin. Auch die Zurufe und dankbaren Winke der übrigen Gäste, trotzdem ein Herr Pfarrer an der Spitze der Huldigungen stand, blieben, was deren Eindruck betrifft, hinter der Wirkung weit zurück, welche das stille Selbstlob in Blasis gehobener Brust hervorbrachte. Er lüftete nur einmal flüchtig dankend sein Soldatenkäpi und rückte es dann beim Wiederaufsetzen stark nach einem Ohre hin, worauf er den Wirt herbeirief, um jetzt seine Zeche zu bezahlen.

Denn in der Summe, welche ihm jetzt den Busen schwellte, musste er sehen, den Boden der Heimat, die Räume des Elternhauses wieder zu betreten, in dieser Stimmung hielt er sich gefeit gegen alle Prüfungen, welche ihm vielleicht im Elternhause bevorstanden.

Als sich Blasi bereits vor der Türe des Wirtshauses befand und von der dankbaren Familie verabschiedet hatte, merkte er, dass Jakob, sein alter Spezial, sich noch nicht von ihm trennen, sonder ihn eine Strecke Weges begleiten wolle. Dieser Umstand schien ihm gar nicht unerwünscht, und er beschloss, den Burschen etwas näher über die Umstände seiner Heimat und seines Elternhauses auszuforschen.

Wirklich erwies der Bursche sich bald als wohlunterrichtet in vielen dieser Dinge.

Blasis Neugierde war vorwiegend dahin gerichtet, welches Namens und Vermögens denn die Hausfrau seines Bruders Gotthard sei, und die hierauf bezügliche Frage stellte er denn auch bald.

»Also, meine Eltern sind am Leben, und ich finde sie wohl, das freut mich«, sagte er und nahm wieder eine Zigarre hervor, um sie anzuzünden.

Als diese brannte, fuhr er fort:

»Mein Bruder Gotthard soll Glück gehabt haben mit seiner Heirat. Du wirst Dich wundern, dass ich sonst nichts Näheres weiß; nun, wie es geht, wenn man weit in der Welt herumgetrieben wird. Weißt Du mir was Näheres zu sagen?«

Jakob war augenscheinlich froh, ihm eine sehr wichtige, ebenso seltsame als angenehme Nachricht geben zu können, hatte eben den Namen der Arauer Luzia auf den Lippen und wollte dann der Mitgift sein Lob und seine Verwunderung zollen, als hinter den Wandernden das Geschätter eines federlosen Einspänners hörbar wurde und eine Stimme sagte:

»He da, Kamerad, guten Tag, und dürft' ich Dich um Feuer bitten?«

Blasi blickte seitwärts und sah einen Soldatenmit aufgepflanztem Bajonette herantreten, während der Einspänner mit einigen Gefesselten langsam vorüber fuhr, bewacht von noch zwei Mann Bedeckung.

Blasi erwiderte den Gruß des Soldaten artig, reichte ihm seine brennende Zigarre hin und besah erst den Wagen mit den Gefangenen genauer, als der Soldat sich wieder entfernte und dem Wagen folgte.

»Da führen sie aber ein paar Burschen in Kazofes, die nach etwas aussehen«, sagte Blasi, »Jakob, sind sie Dir bekannt?«

»Natürlich sind sie's, Blasi«, erwiderte dieser »Kennst Du denn den Barther aus Glanthal, den Robbler, nicht mehr?«

»Himmel und Erden!« rief Blasi, »aber was, um alle Welt führt denn der Bursche jetzt für ein Leben, dass man so mit ihm verfährt?«

»Ja, das tut vielen Leuten weh. Er ist doch sonst ein tüchtiger Mensch gewesen. Aber wie man's nimmt – eins gibt so dem andern die Hand – aus dem Robbler ist ein Wildschütz geworden, auf dem Wildgang hat er sich in ein Gefecht mit Jägern eingelassen, im Gefecht hat er einen Knall und Fall übern Haufen geschossen, der ist gestorben, und Barther ist auf viele Jahre verurteilt worden, heute wird er nur in ein neues Gefängnis überführt … Ei, Du Himmelwetter«, fuhr der Bursche jetzt mitten in seiner ruhigen Mitteilung auf: »Der Barther hat ja auch mit Deinem Bruder Gotthard schwere Händel gehabt – und zwar wegen der Arauer Luzia, Deines Bruders Hausfrau – dass Dich … Wenn's Dir recht ist, Blasi, will ich Dir gar Wunderliches sagen – ja, wir haben was erlebt derweile!«

»Die Luzia meines Bruders Weib? – hab' ich Dich recht verstanden?« sagte Blasi hoch erstaunt.

»Wer denn sonst, wer sonst?« sagte Jakob. »Höre nur, wie das alles so zusammenhängt!«

Jakob erzählte nun über die Freiereien um Luzien, über den berühmten Robblerkampf zwischen Barther und Gotthard, endlich über die Verwundung des Letzteren durch Barther und über den schließlichen Sieg Gotthards als Bewerber um Luziens Hand ein Langes und Breites, voll Wahrheit und Dichtung, wie sich eben alle denkwürdigen Vorfälle im Volksmunde in bunter Weise umgestalten. Mit Verwunderung, mit Staunen, zuletzt mit sichtlicher Verwirrung hörte Blasi diese Mitteilungen an, und als der Erzähler zu Ende war, suchte er durch Fragen über einzelne Umstände sich die Lücken der Begebenheiten noch zu ergänzen, namentlich um zwei Gegenstände sich recht zu vergegenwärtigen, den Charakter seines Bruders Gotthard und den Zustand des Elternhauses, wie er ihn gegenwärtig finden musste.

Dann entstand eine Pause, und da der Bursche nun weit genug das Geleit gegeben hatte, so blieb er jetzt stehen und sagte:

»Nun weißt Du ja genug, Blasi, mehr fällt mir nicht ein, das Weitere wirst Du schon daheim erfahren, behüt' Dich Gott!«

Blasi reichte ihm die Hand, blickte nachdenklich zu Boden und sagte nach einer Pause:

»Bist Du lange nicht im Dasselhof gewesen?«

»Erst vor vierzehn Tagen«, sagte Jakob, »sooft ich durch Mängelheim gehe, lässt mir's keine Ruhe, ich muss mir das herrliche Anwesen immer besehen, Du wirst Augen machen, Blasi, es ist eine helle Pracht!«

Die Farbe wechselnd, fragte Blasi wieder nach einer Pause:

»Hast Du auch meinen Bruder Gotthard jüngst gesehen? Wie sieht er aus?«

»Er ist etwas dicker, fast auch etwas größer geworden; er ist ein Preismensch, sag' ich Dir! Er ist gut und ruhig, aber wo er im Zorn hinsieht, da gibt's ein Loch!« sagte Jakob.

»Ich dank' Dir jetzt, geh' Du nur – geh' – behüt' Dich Gott«, sagte Blasi und ging nun seines Weges, ohne umzusehen.

Wieder war sein Gemütszustand in einer bedenklichen Lage, und es kam darauf an, die Strecke Weges bis zur Gemarkung Mängelheims wohl zu nützen, um in gefasster, aufrechter Haltung den heimatlichen Boden zu betreten und – »den Leuten was zu weisen!« …

Die Sonne neigte bereits zum Untergange, als im sogenannten Schlehdornhang der Mängelheimer Flur noch ein reges Ernteleben herrschte. Den ganzen Tag über hatten hochbeladene Wagen aus dem fruchtbaren Kesseltale reife Frucht geholt, und noch war der Segen des Tales nicht erschöpft.

Der letzte Wagen, von drei schweren Ackerpferden gezogen, kam erst langsam und wankend aus der Tiefe, als die Sonne bereits den Kamm des westlichen Gebirges berührte.

Um den Rest der Frucht auf einmal heimzubringen, hatte man den Wagen beinahe überladen, und es bedurfte großer Kunst und Sorgfalt im Fahren, dass die aufgetürmten Garben nicht durch allzu starke Schwingung den Wagen zum Sturze nötigten. Deshalb gingen auch auf jeder Seite des Weges zwei Männer, welche mit Heugabeln in die obere Garbenladung stachen und so die Schwingungen zu schwächen suchten.

»Nun, so sei es Gott gedankt«, sagte der eine der Männer, die Gabel aus der Ladung ziehend, als man oben auf dem glatten Wege angekommen war: »Das war ein Tag, das ist ein Segen!«

Er blieb stehen, rief dem fahrenden Knechte noch einmal: »Langsam, langsam!« nach und wendete sich dann, den Schweiß von seiner Stirne wischend, einem Nachbarn zu, der eben auch, mit einem Rechen auf der Schulter, von seinem Felde kam, wo er an den Ladungsstellen die zahlreichen Ähren gesammelt hatte, eh' die Ährenleser sie als Beute nahmen.

»Grüß Gott, Hellwieg, heute schutzst es, denk' ich; habt Ihr Euer Kornfeld auch ganz glatt geputzt?« sagte der Stehenbleibende.

»Der Tausend auch – Schweiß hat's genug gekostet, aber fertig sind wir doch!« erwiderte der Nachbar.

»Dann eine Stärkung her, ich habe Frischen«, sagte der Erstere, nahm eine landesübliche Tabakflasche aus der Tasche, schlug sich eine Prise heraus, reichte dann die Flaschen seinem Nachbarn hin und sagte:

»Da!«

Hellwieg nahm die Flasche, legte sich eine erkleckliche Prise zu, sagte Dank und gab die Flasche wieder ab – als ihm einfiel, dass er seinen Erntekrug vergessen habe. So bot er guten Abend und wandte sich feldein, den Krug zu holen.

Aber er war nicht fünf Schritte gegangen, als er von dem Feldweg her einen lauten, ergreifenden Ruf: »Bruder, Bruder, bist Du's wirklich?« hörte und zurückblickend einen Soldaten auf den jungen Mann, den er eben verlassen, zustürzen und heftig umarmen sah.

»Was ist denn das?« dachte Hellwieg und blieb stehen. »Bruder – Bruder? … Alle guten Geister, ist es möglich? Ist's am Ende Victor's Bruder Blasi? Ist der noch am Leben und kommt jetzt heim? … Nun, nun«, fügte er hinzu und hatte feuchte Augen, »es lässt sich denken, dass sich da zwei Brüder tüchtig halsen und kaum ein Wort herfürzubringen wissen!«

Blasi war schon eine Weile in der Nähe des Schlehdornhanges angekommen, hatte Victor im Gespräche mit dem Nachbarn erblickt, ihn auch sogleich erkannt und war hinzugeeilt, ihn zu umarmen, als Hellwieg sich entfernte.

Beide Brüder hielten sich nun lange wortlos in den Armen und konnten auch da noch wenig sagen, als sie auseinander traten und gerührt und neugierig einander betrachteten.

»Blasi«, sagte Victor endlich, und seine nervöse Natur war in zuckendem Aufruhr, »Du kommst wieder heim? So unerwartet, als Soldat? … Was soll ich sagen? Was wird das geben! So ein Wunder ist hier lange nicht erhört!«

»Dann mög' es den Leuten nur recht zu reden geben«, sagte Blasi, seine ganze Fassung wieder findend: »Komm, wir gehen jetzt mitsammen heim!«

Sie gingen also neben einander den Feldweg hin und betraten die Stelle, von welcher aus das Dorf vor ihren Augen lag.

Dieser Anblick brache Blasi wieder halb um seine Fassung.

Was ist doch der Mensch? Wie spielt das Schicksal oft mit seinen Wünschen und Plänen!

Der stolze, gefürchtete Erbnachfolger des Dasselhofes kommt jetzt mit einem Reisesack, etwas Wäsche und einigen Gulden, seinem ganzen Reichtum, aus der Fremde heim, und da liegt die teure heimatliche Flur, das Dorf, der große Elternhof, wo er einst Herr und Meister zu werden, zu herrschen und zu gebieten so ganz gewiss war! …

»Nun, Bruder«, sagte Blasi, als er sich wieder erholt hatte, weiter gehend: »Wie werde ich Vater und Mutter finden? Was werden sie sagen?«

»Sie sind gesund, es geht ihnen wohl, Gotthard sorgt für sie – aber tret' nicht unversehens vor sie hin, ich will sie vorbereiten, es könnte ihnen Schaden bringen«, sagte Victor.

»Und Gotthard – was wird Gotthard sagen?« fragte Blasi stockend.

»Gotthard … das kann man nie recht wissen … Doch denk' ich, wirst Du wohl zufrieden mit ihm sein!«

»Er ist was Rechtes geworden, hab' ich so vom Hörensagen!«

»Ja, ja, Bruder«, sagte Victor mit aufrichtigem Nachdruck, »er ist was Rechtes, er hat mich ganz bekehrt, und gerne steh' ich unter ihm!«

»Du dienst ein seinem Hause?« sagte Blasi sehr betroffen.

»Warum nicht, Bruder? Mancher hat's von Gott voraus; wir haben nicht gewusst, was in dem Bruder steckt, jetzt weiß ich's gut genug – zu meinem Glück!«

»Du hast Dich sehr verändert«, fuhr Blasi jetzt ironisch heraus: »Weil Gotthard unsern Hof hat, weil er durch die Heirat zu Geld gekommen ist, da kriechst Du gleich zu Kreuze?«

»Lass' solche Reden von ehedem. Die Zeiten sind jetzt anders. Gotthard hat den Elternhof gerettet, hat Grund und Boden dazu gekauft, hat den Eltern wieder gute Tage geschafft, hat der Schwester auch zu einem Örtlein verholfen – und wenn ich treulich weiter helfe, wird er es auch mir nicht fehlen lassen!«

»Was? Der Schwester hätte er auch zu Haus und Hof verholfen?«

»Der Trabert hat sie heimgeführt; sie ist seit fünfthalb Jahren seine Hausfrau«, sagte Victor.

Eine Pause entstand. Victor und Blasi gingen schweigend neben einander, dann sagte Letzterer:

»Wenn Gotthard alles glücklich macht, so ist er doch auch selbst recht glücklich?«

»Ursache hat er genug dazu«, erwiderte Victor und sah etwas verlegen zu Boden.

»Die Luzia«, fuhr Blasi fort, »hätte mancher gefürchtet wie das Fegefeuer – hält der Bruder sie im Zaum – oder sie ihn? Sag', leben sie in Frieden? Ist's bis heute ohne Hauskrieg abgegangen?«

Victor zögerte ein wenig mit der Antwort, dann bemerkte er, die Ehe mache sich gut, die Luzia führe ein etwas scharfes Kommando und … nur einmal, zwei Jahre nach der Hochzeit, habe es einen schweren, aber kurzen Hauskrieg gegeben – er sei noch glücklich abgelaufen …

»Wieso? Wieso?« fragte Blasi mit schadenfroher Hast.

Victor schien zu bereuen, dass er sich die letzte Bemerkung habe entschlüpfen lassen, und suchte durch eine Redensart der weiteren Erklärung zu entgehen; aber Blasi freute sich zu sehr, auf einen wunden Punkt im Leben des gehassten und gefürchteten Bruders zu stoßen, und drängte zur Erzählung.

Victor, so in die Enge getrieben, musste nun Blasis Neugierde befriedigen und tat es ebenso kurz als vorsichtig. Seine Erzählung etwas erweiternd, möge hier Folgendes stehen …

Nach Victors Mitteilung war das Betragen Luziens vom Tage der Hochzeit an ein musterhaftes, über jedes Lob erhabenes. Frisch, fröhlich, energisch griff sie in das große Hauswesen des Dasselhofes ein und wurde von dem Gesinde geliebt und gefürchtet zugleich. Gotthard ließ ihr in allen Dingen, welche die Hausfrau angingen, vollkommen freie Hand und behandelte sie gut, vernünftig, oft mit zärtlichem Humor. Das ging so das erste und auch das zweite Jahr, obwohl im zweiten Jahr schon allerlei Schärfen und Leidenschaften wieder zum Vorschein kamen, welche nach und nach Luziens ganzer Umgebung lästig wurden. Man hat nicht gesehen oder erfahren, ob unter vier Augen Gotthard seinem Weibe rechtzeitig Vorstellungen gemacht, sie zur Besinnung zu bringen versucht habe; vor den Leuten wenigstens nahm er Luziens, lange Zeit in einen Winkel ihres Gemütes zurückgedrängt, trat jetzt wieder unbezähmter als je hervor, und mit Sorge und Spannung blickte man auf den Hausherrn, der schon so viel Überraschendes vollführt; jetzt und jetzt hoffte man, er werde sich auch hier ins Mittel legen und das Übel beseitigen, eh' es unerträglich wurde. Aber man hoffte und wartete vergebens. Schon war der Geist des sämtlichen Gesindes in vollem Aufruhr gegen die Meisterin; schon drohte tiefer Zwist mit Nachbarn und Handwerkern wegen Kleinigkeiten, die man leicht mit einem sanften Worte hätte beilegen können, ja, als Luzia sich herausnahm, Verpflichtungen, welche ihr Mann in mancherlei Geschäften eingegangen, umzustoßen oder heftig abzuwehren, kam es, dass Prozesse anhängig gemacht wurden, welche viel Verdruss und viele Kosten zur Folge haben mussten. Mit Erstaunen sah man, dass sich Gotthard auch jetzt noch stille hielt, gelassen all den Unfug hinnahm und verdaute. Man fing an, seinen Geist und seinen Mut geringer anzuschlagen als vorher, ihn als Pantoffelhelden zu belächeln und seinem Weibe gegenüber verloren zu geben. Da rüstete er sich eines Tages, vorgebend, er müsse einiger Prozesse wegen, die Luzia selbst verschuldet, zu einem Gange in die Stadt, trat mit zerstreuter Miene vor sein Weib hin, reichte ihr die Hand zum Abschied, nahm dann sein erstgeborenes, damals noch einziges Kind auf den Arm, küsste es, hob es lächelnd in die Höhe – und entferne sich dann. Luzia, den Worten des Davongehenden vollkommen glaubend, dachte Gotthard noch am selben Tag zurückerwarten zu dürfen, ließ ihn also ruhig, ja mit einiger Unachtsamkeit von dannen gehen, als verstünde sich dieser Gang und die kurze Abwesenheit des Mannes wie von selbst. Allein der Mann erschien am selben Tage nicht wieder, auch nicht in der folgenden Nacht, ja, er kam am nächsten und zweiten Tage nicht zurück – es vergingen vier volle Tage, ohne dass Gotthard sich sehen oder von sich hören ließ. Zu der Unruhe und Bestürzung Luziens kamen jetzt noch allerlei Umstände, welche sie in eine höchst bedrängnisvolle Lage brachten. Das Gesinde fasste Mut, die Abwesenheit des Herrn zu einer offenen Empörung zu benützen, und schloss, im schlimmsten Falle sofort und in Gemeinschaft aus dem Dienste zu treten. Das Unheil wollte, dass um diese Zeit auch starke Einquartierung in das Dorf gelegt wurde, wobei der Dasselhof, was Zahl und Rohheit der Mannschaft betraf, empfindlich bedacht wurde. Luzia kam von früh bis abends aus Kampf und Streit gar nicht heraus. Dazu erschienen jetzt wie zu einem Stelldichein Zuschriften vom Amt, Zahlungen, von deren Richtigketi oder Unrichtigkeit Luzia keine Ahnung hatte, Vorladungen vor Gericht und Anfragen von Geschäftsleuten, alles so dringlich und beunruhigend, dass Luzia kaum zu raten und zu helfen wusste. Da man einmal das Haus ohne Hausherrn wusste, erschien auch mancher jetzt, welcher längst seinen Groll gegen Luzien schwer zurückgehalten hatte, um sein Herz durch bittere Worte zu erleichtern. Einige Tage hielt Luzia all den Widerwärtigkeiten tapfer Stand, allein zuletzt begriff sie wohl, dass einem solchen Unheil für die Dauer nur – ein Mann zu widerstehen vermöge – und Luzia dachte mit Wehmut und Sehnsucht ihres Mannes … Da durchzuckte eine Ahnung ihr bewegtes Herz, und sie dachte, ob nicht Gotthard fortgegangen, um sie in diese Lage voll Kampf und Not zu bringen, um sie kennen zu lehren, was ein Weib, auch das rüstigste, im rohen Streit des Lebens sei, ob er sie empfinden lassen wolle, was der Mann oft auszufechten habe, ohne dass die Frau es weiß oder des Bedenkens wert erachtet? … In der Tat sollte Luzia des andern Morgen diese Ahnung gründlich bestätigt finden. Ein Mann, der Gotthard Tags zuvor gesehen hatte, berichtete erstaunt, wie dass der Dasselherr sich gar nicht in der Stadt, sondern in einem Orte an der Grenze befinde, wo er zeche und wilden Unfug treibe, Musikanten bei sich habe, die er aufspielen lasse und denen er Lieder singe – kurz, dass er auf einem Abwege sei, den jedermann bedauere! Ferner berichtete der Mann, Gotthard habe auf die Frage, wann er heimzugehen gedenke, erwidert: »So gar bald nicht, ich habe gutes Kommando daheim, ich will mich meines Lebens freuen – mein Weibchen sorgt für alles! …« Bei dieser Nachricht wechselte Luzia die Farbe, dankte dem Manne für die Kunde, ließ den Kopf gegen die Brust sinken und trat dann in die Kammer, um sich besser anzukleiden. Sie verließ hierauf das Haus, schlug allein den Weg nach dem Grenzorte ein, hörte in der dortigen Schenke wirklich Musik, als sie näher kam, und trat nach kurzem Zögern in die Stube. Eine seltsame Szene sollte sie hier treffen … Gotthard stand soeben vor den Musikanten, sang ihnen ein lustiges Volkslied vor, drehte sich dann, wenn sie die Melodie nachspielten, nach dem Takte und schnalzte mit den Fingern dazu, so dass es eine Art hatte und den vielen Neugierigen ein rechtes Ergötzen machte … Lange stand Luzia schmerzlich schamerfüllt wie selbstvergessen an der Türe; dann trat sie langsam vor, und mitten in der Stube hinter ihrem Manne stehend, sagte sie tonlos: »Gotthard – bist Du wirklich, was ich sehe?« Gotthard, der soeben wieder ein Lied anstimmen wollte, drahte sich um, sah sein Weib eine Weile unbeweglich an, trat dann hinzu, fasste sie heiter an dem Arm und sagte: »Luzia, Du – Du kommst zu Deinem Manne?« Und sie weiter vor, zum Tisch der Musikanten führend, setzte er hinzu: »Musikanten, aufgespielt! Der besten Hausfrau Euer schönstes Stück!« Und sofort begann ein heller Tusch und dann ein Ländler, den Gotthard zu einem Tanz mit Luzien benützen wollte. Aber Luzia riss sich heftig los, und einen flammenden Blick der Empörung auf ihn werfend, standen Worte und Vorwürfe der schlimmsten Gattung zu befürchten; allein so weit kam's dennoch nicht. Die Empörung machte rasch einem tiefen Schmerze Raum und, zwei schwere Tränen in den Wimpern, sagte Luzia, an das Ohr des teuern Manns geneigt: »Gotthard, lass ab von diesem Treiben – geh' mit heim! …« Gotthard legte ihr die flache Hand auf den Wirbel, bog ihr den Kopf zurück und sagte dann, einen unbeschreiblichen Blick in ihre Auge senkend: »Ist's Dein Wille, liebes Kind? Kann ich Dir wieder nützlich sein?« Den zwei Tränen folgte jetzt eine Anzahl neuer Tränen, und Luzia wiederholte bebend: »Komm! Komm fort von hier!« Wirklich zahlte Gotthard seine Zeche jetzt, warf den Musikanten einige Münzen zu, sagte: »Aufgespielt! Gebt das Geleite!« und so bis vor das Haus von den Musikanten begleitete, ging er denn von dannen … Nach einer Strecke Weges, die von beiden Seiten mit tiefem, ergreifenden Schweigen zurückgelegt wurde, traten Gotthard und Luzia an den Saum des Waldes hinaus, und hier war es, wo Gotthard plötzlich stehen blieb und sagte: »Luzia … Ein Wort, bevor wir weiter gehen … Hast Du verstanden, was meine Aufführung bedeuten soll?« Luzia drückte die Fläche ihrer rechten Hand gegen die Stirn, sah zu Boden und sagte: »Ja, Gotthard.« Und dieser fuhr nach einer Pause fort: »Nun gut … Eine Frau, die ihrem Manne das Haus unleidlich macht, ist selber schuld, wenn er auswärts Gesellschaft und Zerstreuung sucht, täglich mit Dir zanken, Dich ermahnen und schulmeistern sollen? So tut ein Mann, der selbst erst lernen soll, sich zu bemeistern. Als Du nicht selbst erkennen wolltest, dass Du auf dem Abweg bist, da half nur eines: Dir aus dem Weg zu gehen, Dir zu zeigen, was der Mann bedeutet und was für Übel Dein Betragen zügelt … Luzia … Hör' mich jetzt. Wir kehren miteinander heim, ich habe Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, ich habe zu sorgen, dass Geschäfte wieder in Gang, dass Deine und meine Ehre wieder zu Ehren komme … Höre mich! Willst Du künftig selber Maß und Ziel Dir setzen? Willst Du Deine und meine Ehre besser in Ehren halten, tun, was Deine Sache ist und nicht verlangen, was nur mir gebührt? Luzia – diesmal hab ich nur gespielt mit meinem Betragen, ich wollte Dir zeigen, was möglich ist, wozu auch ich noch kommen könnte, wenn Du mir das eigene Haus verleiden würdest – darum, Luzia, sage hier – hier am Scheidewege, ob Du wieder werden und bleiben willst, wie Du das erste Jahr nach unserer Hochzeit warst? Davon soll's abhängen, ob ich Dir weiter folge – oder umkehre, um wirklich zu verwildern, wie ich die paar Tage nur geschienen! …« Schluchzend fiel ihm Luzia an den Hals, sagte: »Komm! Komm mit! Ich will ja werden, wie Du willst!« Bewegt und freudig kehrten beide heim, Gotthard stellte rasch die beste Ordnung wieder her, Luzia schien wie umgewandelt, und wenn auch später ihre heftige Natur sich wieder zeigte, so war dies doch nur augenblicklich und ohne Schaden vorübergehend …

So weit, nur weniger ausführlich, hatte Victor seiner Mitteilung sich entledigt, als er gewahrte, dass Blasi stehen blieb, die Farbe wechselte und, das Auge starr vor sich gerichtet, sagte:

»Dort ist der Elternhof – ich möchte nicht gleich gesehen und erkannt werden; – geh' voraus, Bruder, bereite die Eltern vor. Dort hinter dem Strauch am Rain will ich mich setzen und ein Weile warten.«

»Recht«, sagte Victor und ging selber bewegt dem Hofe zu.

»Aber die Eltern sollen mir nicht vor das Haus entgegen kommen, es gäbe Aufsehen, ich will sie in der Stube wieder sehen!« rief Blasi, da Victor schon einige Schritte gegangen war.

Victor nickte nur einmal zurück zum Zeichen, dass er verstanden habe, und trat dann hinter die Bäume des Gartens und verschwand im Nebenbau des Hofes.


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