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10. Riesen und Räuber

Die Riesen oder Hünen unterscheiden sich von all den Wesen des vorigen Hauptteils dadurch, daß sie für den heutigen Volksglauben einer längst vergangenen Vorzeit angehören. Denn wenn es auch von den Zwergen immer wieder heißt, sie seien ausgewandert und verschwunden, die Furcht vor ihnen und ihren Wechselbälgen kann doch jederzeit wieder ausleben und lebt in der Tat noch in vielen Gegenden, der Kobold klopft und wirtschaftet noch heute in den Bauernhöfen, vor dem Wassermann und den Korntieren warnt man zum mindesten noch die Kinder; sie alle sind aus einer Vereinigung von Phantasie und Erlebnis hervorgegangen. Die Vorstellung von den Riesen dagegen entstammt dem nach rückwärts gewandten Nachsinnen über die Herkunft einzelner greifbarer Dinge in der uns umgebenden Welt, für deren Erklärung menschliche Kräfte oder unpersönliche Naturgewalten nicht auszureichen scheinen. Immer wieder wird die naive Logik des nachdenklichen Weltbetrachters zur Annahme solcher riesischer Urheber gedrängt. – Da ragt in auffallender Vereinzelung mitten aus der Ebene ein Berg oder Hügel auf: ein Riese hat ihn vor unausdenklicher Zeit dorthin geschafft; den mächtigen Findling, der seit den Tagen vorgeschichtlicher Vergletscherung einsam auf freiem Felde liegt, hat ein Riese dorthin geschleudert; wo sich im Gebirg die Felstrümmer in regelmäßigen Schichten türmen, so daß eine zufällige Entstehung ausgeschlossen scheint, da haben die Riesen ihre Mauer gebaut; der ungewöhnlich große Balken in der Decke eines Burgzimmers, die uralte Kirche, deren Fundament noch aus ganz roh behauenen Feldsteinen besteht, sind Zeugnisse der Riesenbaukunst; und unter den »Hünengräbern« Norddeutschlands, den Grabhügeln aus vorgeschichtlicher Zeit, deren gewaltige Steinkammern und -Deckel in jedem Beschauer die Vorstellung übermenschlicher Kräfte wachrufen, schlafen die Könige des Riesenvolkes ihren letzten Schlaf.

Da die Riesen, zum mindesten heute, nicht erlebt, sondern nur aus ihren Werken erschlossen werden können, weiß man auch über ihr Aussehen nichts weiter, als was sich aus ihren Werken erschließen läßt, nämlich daß sie unendlich viel größer und stärker gewesen sein müssen als das heute lebende Menschengeschlecht. Ihre Größe und Kraft zu schildern, werden die Sagen nicht müde; auf nähere Angaben über ihr Aussehen lassen sie sich dagegen fast nirgends ein.

Was man sich in der Oberpfalz von den Riesen erzählt. 1. Als die Erde neu geschaffen und noch weich war, machten die Riesen, wenn sie darauf umhergingen, mit ihren Fußtritten die Täler und Berge, so groß und schwer waren sie.

2. Zuerst war der Himmel ganz ohne Sterne; nur die Sonne und der Mond schienen. Da warfen die Riesen mit Kugeln nach der Sonnenscheibe und durchlöcherten dabei den Himmel. Aus diesen Löchern sieht nun das Licht des innern Himmels. Die Löcher sind die Sterne.

Von der Größe der Riesen. 1. Auf dem Barberg bei Dassel ragt eine Kuppe empor, die nennt das Volk den Königsstuhl. Auf diesem Königsstuhl saßen früher die Riesen, wenn sie sich unten in der Ilme die Füße wuschen. Von der Kuppe bis zur Ilme sinds mehr als hundert Fuß.

2. Südwestlich von Golmbach in Braunschweig liegt eine Anhöhe, die Huneburg. Da sollen einst Riesen gewohnt haben. Wenn die sich einmal in dem Bach waschen wollten, der dort durch die Wiesen fließt, standen sie mit dem einen Fuß auf ihrer Huneburg und mit dem andern auf dem Weinberg von Amelunxborn. Dann war ihnen das Wasser bequem zur Hand.

3. Ein Riese, der bei Langenberg im Voigtland hauste, war so groß, daß er einmal den besonders spitzen Turm dort als Zahnstocher benutzt hat.

4. Zwischen Ahlhorn und Sage bei Regente in Oldenburg liegt im Chausseegraben ein großer Stein. Da hat sich mal der Riesenkönig Och, als er müde war, hingelegt und gegessen. Während des Essens merkte er etwas Hartes zwischen den Zähnen und spie es aus. Das war dieser Stein.

5. Am Solling bei Uslar liegen ein paar große Feldsteine, sechzehn bis zwanzig Schuh lang und sechs bis acht Zoll dick. Vor undenklichen Jahren gingen zwei Riesen über das Land. Da sagte der eine zum andern: »Es drückt mich was im Schuh; es müssen wohl Grandkörnchen sein.« Damit zog er den Schuh ab und schüttelte die Steine heraus.

6. Bei Evesen am Elm liegt ein Berg, der stammt von einem Hünen her. Denn der war einmal bei Regenwetter eine lange Strecke in dem schweren Erdreich am Elm gegangen und da konnte er zuletzt kaum mehr von der Stelle. Darum strich er sich den Lehm von der Sohle, und das ist der Berg bei Evesen.

7. An dem Eckhause des Molkenmarkts und der Bollengasse zu Berlin hangen ein paar gewaltige Knochen; das ist das Schulterblatt und die Rippe eines Riesen, und deshalb nennt man das Haus schlechthin »die Rippe«. Dieser Riese soll hier von einem Erdwurm, so nannten die Riesen in ihrem Übermut die Menschen, erschlagen und so groß gewesen sein, daß sein Leib nicht aus einem Kirchhof Platz hatte, sondern man hat ihn zerstückeln und auf allen Kirchhöfen begraben müssen.

Von der Kraft der Riesen. 1. In der Domkirche zu Innichen im Pustertal hängt eine ungeheure Rippe, die soll von einem Riesen sein. Der hat die acht Kirchenpfeiler, von denen einer ungefähr zwei Klafter im Umfang hat, aus Sexten nach Innichen getragen. Er soll täglich ein Kalb und ein Star Bohnen gegessen haben.

2. Als die Riesen den Brocken bauen wollten, holten sie die Bausteine dazu vom Strand der Nordsee; das kleine Gerümpel packten sie zu unterst und darüber rollten sie die Felsblöcke. Aber der Boden ihrer Schubböcke hielt nicht dicht. Wie sie vom Meer nach der Baustätte fuhren, rieselte der Meerkies und das dünne Steingeröll durch die Ritzen; und als sie den Brocken fertig hatten, da waren durch den unterwegs verlorenen Grand auch die Weserberge entstanden.

3. Als noch die Riesen hierzulande waren (in der Mark), da war der Trebelsee noch nicht, denn den haben sie erst ausgegraben, und die Erde, die sie herausholten, das ist der Eikeberg. Als sie beinahe fertig waren, kam noch einer mit einer Schürze voll Erde an, und wie er an die Stelle kam, wo jetzt der Springberg liegt, ging ihm der Schnippel an seiner Schürze auf, so daß ihm etwas zu Boden fiel, und das ist der Springberg. Da tat er noch einen Schritt und dann konnte er den Rest auch nicht mehr halten – das ist nun der Flachsberg bei Deetz.

 

Es ist begreiflich, daß es die Volksphantasie gereizt hat, diese Ungestalten nun auch dem Menschengeschlecht gegenüberzustellen. Das gab erst den richtigen Begriff von der Größe der Riesen, denen die Menschen geradeso winzig erscheinen, wie den Menschen wieder die Zwerge. Doch fällt ein solcher Vergleich nicht immer zuungunsten des Kleineren aus; denn in alle Furcht der Menschen vor den Riesen und in alle Verachtung der Riesen gegen die erbärmlichen kleinen »Mücken« oder »Erdwürmer« mischt sich doch immer wieder ein Gefühl für die Überlegenheit des Menschengeschlechts, vor allem des Menschenfleißes und Geistes über die faule und dumme Natur der großen Riesentölpel, die ja zuletzt vor den Kleinen doch haben weichen müssen.

Riesen und Menschen. 1. Um Treffelstein in der Oberpfalz haben sonst die Riesen auf den Bergen gewohnt. Sie haben die Menschen auf ihren Zeigefinger gestellt und gesagt: »Ach die kleinen Erdwürmer, wie müssen sie sich plagen, um ihr Maul fortzubringen.«

2. Eine Riesin bei Dingstede in Oldenburg fand einst auf dem Feld einen Bauern, der mit vier Pferden und einem Jungen pflügte. Sie packte alles zusammen in ihre Schürze und zeigte es, Bauern, Jungen, Pferde und Pflug, durcheinander und in die Taue verstrickt, ihrem Manne. »Sieh, was da krabbelt,« sagte sie. Aber der Mann sagte: »Laß die zufrieden; die müssen uns alle ernähren,« und nahm die Dinger sorgfältig auseinander und brachte sie an ihre Stelle zurück.

3. In Rietz bei Brandenburg war einmal eine Hüne, der waren die Schweine auf der Weide auseinander gelaufen und alles Rufen half nichts, sie konnte sie nicht wieder zusammenbringen. Da riß sie endlich einen gewaltigen Eichbaum aus und kam damit hergestürmt und trieb sie glücklich zusammen und dann kehrte sie nach Hause zurück. Unterwegs sah sie einen Menschen, der pflügte, und nahm ihn ganz verwundert auf und packte ihn samt Ochsen und Pflug in ihre Schürze. Damit kam sie nun zu ihrer Mutter gelaufen und sagte: »Sieh Mutter, was ich da für Erdwürmer gefunden habe!« Aber die Mutter sagte: »Geh schnell zurück, mein Kind, und trag alles an seinen Ort; denn das sind unsere Vertreiber, die nach uns kommen.« Da packte das Hünenmädchen alles wieder zusammen und ging zurück nach der Gegend von Brandenburg zu, wo sie den Pflüger gefunden hatte, und setzte alles wieder an seinen Ort. Dann schüttete sie noch den Rietzer Berg auf, damit die Vertreiber nicht allzu schnell nach Rietz kommen könnten. Und der Berg liegt da noch bis auf den heutigen Tag.

 

Die geistige Überlegenheit hat die Menschen dann auch zu Herren und Dienstgebern der Riesen werden lassen; die vorhin schon erwähnten Riesenbauten, Burgen und Kirchen, sind von den Riesen meistens im Dienst der Menschen errichtet. – Auf der andern Seite sind die Riesen aber auch als uralte Heiden von tödlichem Haß gegen das Christentum beseelt, und von manchem Felsblock, den ein Riese an seinen heutigen Platz schleuderte, heißt es, der Wurf habe eigentlich einer Kirche gegolten.

Der Riesenbalken im Spangenberger Schloß. Ein mächtiger Herr ließ zu Spangenberg in Hessen ein Schloß bauen und hatte einen Riesen zum Baumeister genommen. Als das Schloß nun fertig war, kam eines Tages der Herr, um es zu besehen. Da merkte er, daß in einem Zimmer noch ein Balken fehlte und schalt seinen Baumeister darum. Da lief der Riese nach dem Bromsberge und riß einen Baum aus und trug ihn auf der Schulter nach dem Schloß und stieß ihn durch die Mauer gerade dahin, wo der Balken fehlte. Da liegt er noch immer, an der Decke des sogenannten Rittersaales.

Riesenkirchen. 1. Vor alten Zeiten lebten in Tirol zwei Riesen. Der eine hauste auf dem Tscheggelberg und baute die Kirche St. Katharina in der Scharte, der andere wohnte auf dem Vigilijoch und baute die Kirche dort auf dem Hügel. Sie hatten aber mitsammen nur einen Hammer, mit dem sie täglich abwechselten. Hatte der eine den einen Tag mit dem Hammer gearbeitet, so warf er ihn abends über das Etschtal hinüber seinem Genossen zu. Beide Riesen sollen auf dem St. Vigilijoch gestorben sein, wo man ihre Gebeine noch zeigt.

2. Die drei uralten kleinen Kirchen von Gaurettersheim, Oberwittighausen und Grünsfeldhausen in Unterfranken wurden von den Riesen erbaut. Sie trugen die großen schweren Steine dazu in ihren Schürzen herbei. Als die erste von den Kirchen fertig war, warf der Riesenbaumeister seinen Hammer in die Luft und wollte da, wo er hinflöge, eine zweite Kirche bauen. Zwei Stunden weit ist der Hammer geflogen und dort wurde dann die zweite Kirche gebaut. Und als die fertig war, warf er seinen Hammer wieder in die Luft und hat dann da, wo er hinfiel, die dritte Kirche gebaut, und das war wieder zwei Stunden entfernt. In der Kirche zu Gaurettersheim wird eine Rippe von dem Baumeister aufbewahrt und in den beiden anderen Kirchen je ein Hemdärmel von einem Riesen.

Die Kirchenfeinde. 1. Der Turm von Zethlingen unweit Kalbe in Anhalt hat keine Spitze. Die hat nämlich einmal ein Riese mit einem großen Stein, der noch auf der Feldmark liegt, vom Zethlingenschen Mühlenwerk aus abgeworfen. Ebenso hat er es mit dem Güssefeldschen Turm machen wollen, da hat er aber nicht hinwerfen können; der Stein ist vor dem Dorf hingefallen und da liegt er noch heutigentags. Man sieht noch ganz deutlich, wie er zugepackt hat, denn oben haben sich seine fünf Finger in den Stein eingedrückt.

2. Auf der Feldmark in Tramm in Mecklenburg liegt ein ziemlich großer Stein; in dem ist eine Rinne, so daß es aussieht, als wäre früher mal ein Strick um den Stein herumgegangen und hätte in ihn hineingeschnitten. Um diesen Stein haben einst die Riesen, die auf dem Berg bei Bahlenhüschen wohnten, einen Strick gebunden und ihn nach dem Kirchturm zu Kladrum geschleudert. Sie haben aber ihr Ziel verfehlt und der Stein ist auf das Trammer Feld gefallen. – Ein Förster von Bahlenhüschen hat einst den Stein nach seinem Hause bringen lassen; aber er hat Tag und Nacht keine Ruhe gehabt, bis er ihn wieder an seinen Ort schaffen ließ.

 

Alles, was bisher von den Riesen erzählt wurde, konnte ohne Schwierigkeit im oben angedeuteten Sinn aus den steinernen Spuren ihres Tuns erschlossen oder von da aus durch freie Phantasietätigkeit weitergedichtet werden. Nur eins war auffallend und nicht recht zu verstehen: die Nachricht, es hätten zwei nur einen Hammer gehabt und den einander übers Tal hin zugeworfen. Hat auch sie etwa nur den Zweck, die Kraft der Riesen anschaulich zu machen? Aber gerade diese Angabe wiederholt sich durch ganz Deutschland mit so überraschender Gleichförmigkeit, daß man ihr gern irgendeine verborgene Bedeutung beilegen möchte. Wenn wir nun von den Hannoverschen Riesen hören, daß sie von ihren zwei Bergen aus bei Zechgelagen über das Tal hinüber mit ihren Gläsern anstießen und daß dabei einmal ein Glas zerbrach und deswegen ein großer Riesenkampf entstand; und von den beiden Pyrmonter Riesen, daß sie sich ihre Löffel mit dampfendem Brei von einem Berg zum andern übers Tal hinüberreichten, so sieht das aus wie die mythische Auffassung eines Gewittervorganges: die dicken runden Wolken kommen von zwei Bergen her aufeinander zu und treffen sich über dem Fluß in Blitz und Krachen, oder sie schweben dampfend über das Tal von einer Seite zur andern. Dann wären diese Sagen von einem Geschlecht zuerst erzählt worden, das die Riesen noch als gegenwärtig erlebte. – Der von den Riesen geschleuderte Hammer entstammt dann gewiß einer verwandten Vorstellung und auch die oft wiederholte Erzählung von dem einen gemeinsamen Backtrog zweier Riesen wird auf Ähnliches zurückgehen. Deutlicher wieder liegt das gleiche Motiv den Sagen vom Riesenstreit zugrunde, in dem die Felsblöcke, von wilder Wut geschleudert, über das Tal hin und wieder fliegen.

Zechende Riesen. Bei Wulften auf dem Duttberge wohnte einst ein Riese und ein anderer auf dem Klingenberg, der anderthalb Stunden davon entfernt liegt. Diese Riesen waren so groß: wenn sie auf ihren Bergen zechten, stießen sie über das Tal herüber mit ihren Gläsern zusammen an. Dabei ist dem einen einmal sein Glas zerbrochen. Da meinte er, der andere hätte das mit Absicht getan, und davon gab es einen heftigen Streit und zuletzt wurde der eine erschlagen. Noch heute soll an der Stelle, wo der erschlagene Riese liegt, ein Denkmal stehn.

Kochende Riesen. Als die Hünen aus dem Lande vertrieben waren, blieben zuletzt noch zwei alte übrig, an die wagte sich niemand. Der eine hauste auf dem Schilde, der andere auf dem Osterberg, die beide im Pyrmonter Tal liegen. Und wenn sie nun mittags Brei gekocht hatten, so reichten sie ihn sich in gewaltig großen Löffeln über das Tal herüber und hinüber, so daß die Leute, die im Grunde wohnten, immer ein Schrecken ankam.

Die Backgenossen. Im Sauerland am hohen Lemberg bei Saalhausen hat einmal ein Hüne gewohnt, und auf dem Wilzenbergs beim Kloster Grafschaft ein anderer, die haben zusammen nur einen Backtrog gehabt und haben einander immer ein Zeichen gegeben, wenns zum Backen gegangen ist. Da hat einmal der Wilzenberger eines Morgens gehört, wie der Lemberger den Backtrog ausgekratzt hat, und ist gleich bei ihm erschienen und hat backen wollen; aber der Lemberger hat gesagt, er habe sich nur ein bißchen am Bauch geschrapt.

Ein Riesenstreit. Bei Barneize jenseits der Aller liegt der Lericken- oder Lerchenberg, und etwa drei Stunden davon bei Brelingen liegt ebenfalls ein Berg; auf denen standen einmal zwei Riesen, die waren miteinander in Streit geraten und schimpften sich aus. Da nahm der eine im Zorn sein Beil und schleuderte es nach dem andern, daß es dem ins Bein fuhr. Darüber wurde der andere gewaltig zornig und nahm alle Steine, die auf dem Lerickenberg lagen und schleuderte sie nach dem Riesen auf dem Brelinger Berg, und das sind die gewaltigen Steinhaufen, die da noch heute liegen.

 

Ist die Deutung richtig – und gerade auf das blitzende Beil und die polternden Steinblöcke der letzten Sage paßt sie gut –, so haben frühere Geschlechter das Treiben der Riesen im Spiel der Wolken und Wetter zu beobachten geglaubt. Verwandte Vorstellungen finden sich noch heute in Tirol. Dort hat sich nämlich in den Sagen von den riesigen wilden Waldleuten allerlei erhalten, was an uralte Wetterriesen erinnert: ihre Stimme ist der Donner, Bergsturz und Föhnsturm sind die Zeichen ihres Daseins. In Tirol könnte es am ehesten noch heute zu einem Riesen»erlebnis« kommen.

Von den Riesen in Tirol. 1. Die Stimme der Riesen war so laut: wenn einer schrie, so bebten die Burgen und die Felsen stürzten zusammen oder spalteten sich und auf den Bergen wurden Lawinen los. Darum mußten die Riesen fürchten, mit ihrer Stimme einmal ihre eigenen Häuser zu zerstören, und darum waren sie immer sehr schweigsam; manche glaubten, sie wären gänzlich stumm.

2. In einer Höhle ob dem Gnadenwald wohnte der furchtbare Walder Riese. Einmal schlief er im Wald und schnarchte, daß die Bäume weit und breit zitterten. Da fuhr ein Bauer des Weges daher und dachte sich: das ist heute doch ein Sturmwind, daß die Bäume so sausen! Endlich kam er zu dem schlafenden Riesen. Er dachte, es wäre ein Hügel und fuhr hinan. Als er zur Nase kam, dachte er sich: da gibts zwei Wege, ich fahre rechts; und fuhr in das rechte Nasenloch. Aber das Fuhrwerk kitzelte den Riesen und er nieste so stark, daß das Fuhrwerk bis in die Gegend von Lans heraufflog. Später verschwand der Riese; niemand weiß warum und wohin.

3. Ein Bauer von Kaunersberg, ein rechter Raufbold, wollte einmal mit dem Riesen anbinden, der im Tscheierstal hauste, und machte sich auch auf den Weg, ihn zu suchen. Aber wie er in das Tscheierstal trat, hörte er ein Getöse, als wenn in der Ferne ein Wasserfall brauste oder ferner Donner rollte, und dann spürte er ein Wehen, und je weiter er vorwärts schritt, desto stärker wurde das Wehen, bis es fast war wie ein Sturm. Und dann sah er von weitem, wie die Bäume sich bogen und wieder aufschnellten wie in einem Orkan; und zuletzt sah er, daß dort der Tscheierstaler Riese lag und schlief und schnarchte und solchen Wind aus der Nase blies, daß die Bäume sich bogen. Da blieb der Kaunersberger stehen. »Man muß die Leute nicht im Schlafe stören,« sagte er, und schlich sich sachte wieder heim.

Alte Naturbeobachtung lebt endlich noch in den Sagen von begrabenen Riesen, die in ihrem Grab keine Ruhe geben. In den Erdbebengebieten Südeuropas wird zur Erklärung der furchtbaren Erschütterungen gerne erzählt, drunten im Erdinnern liege ein Riese begraben oder gefesselt und recke von Zeit zu Zeit die Glieder, und etwas Ähnliches weiß auch die deutsche Volksüberlieferung.

Der begrabene Riese. 1. Unter dem Kopf des großen Hohenack im Elsaß liegt ein ungeheurer Riese begraben, dessen Atmen und Stöhnen hört man oft weithin über die Berge und in die Täler hinab. Darum heißt der Gipfel des Berges auch das Riesengrab.

2. Vor Zeiten, als es noch Riesen gab, wohnten ein paar davon in der Gegend bei Reichenbach in Hessen, der eine auf dem Felsberg, der andere auf dem Hohenstein. Einmal hatten sie Streit miteinander bekommen und warfen sich in ihrer Wut mit Felsblöcken. Damals lagen auf dem Felsberg noch ziemlich wenig Blöcke, aber auf dem Hohenstein um so mehr, und darum war der Hohensteiner Riese im Vorteil. Er warf auch so heftig auf den Felsberger los, daß der in kurzer Zeit unter den Blöcken begraben war. Wenn man jetzt noch hart auf den Boden des Felsbergs auftritt, dann brüllt der ungeschlachte Riese drunten. – Daher kommt es auch, daß es auf dem Hohenstein so kahl ist an Felsblöcken. Das einzige, was man da noch sieht, ist eine Wand vom Haus des Riesen.

Meistens handelt es sich jedoch, wo von begrabenen Riesen die Rede ist, nur um die phantasievolle Erklärung der hohen Grabhügel einer längst vergessenen Kulturperiode.

Das Grab des Riesenkönigs. Etwa eine halbe Stunde von Pritzwalk in der Mark liegt das Dorf Kemnitz, dessen Feldmark mit großen Steinmassen bedeckt ist, die zum Teil in größeren oder kleineren Hügeln zusammengetragen sind, aber so regelmäßig, daß immer unten die großen und oben die kleineren Steine liegen. Einer dieser Hügel ist wohl über zwanzig Fuß hoch und hat hundertzwanzig Schritt im Umkreis, das ist aber auch bei weitem der höchste. Er besteht durchweg aus Feldsteinen, zwischen denen sich nur wenig Erde angesetzt hat. Unter diesem Hügel, sagt man, ist der Riesenkönig begraben, und zwar in einem goldenen Sarg, und der goldene steht in einem silbernen Sarge und der wieder in einem eisernen. – Das ist aber alles nicht wahr, denn die Kemnitzer hätten schon längst gern den silbernen und den goldenen Sarg haben mögen und haben vor einigen Jahren drei Tage lang die Steine weggeräumt; sie haben aber nur ein paar tönerne Urnen mit Asche und verbrannten Knochen gefunden.

 

Von einem Riesen ganz anderer Art als alle die bisherigen, einem richtigen Märchenriesen und Menschenfresser, meldet die Oldenburger Sage. Rapel hieß er und hauste in einer Höhle im Rapelsberg und machte die ganze Umgegend als Räuber unsicher. Wen er fing, den fraß er auf; nur ein Mädchen aus Varel ließ er leben und nahm sie zum Weib. Aber die Kinder, die sie ihm gebar, fraß er gleich nach der Geburt. Endlich erlaubte er einmal seiner Frau, nach Varel zu gehen, ließ sie aber schwören, keinem Menschen zu verraten, wo sie sei und wie es ihr gehe, und noch am gleichen Tag zurückzukommen. Da streute die Frau Erbsen auf ihren Weg und erzählte der Kirchenmauer ihre ganze Geschichte, so daß die Kirchgänger sie hören konnten; da sind sie nachher hingegangen und haben dem Riesen in dem Augenblick, wo er aus seiner Höhle hervorkam, einen Kessel voll heißen Wassers ins Gesicht gegossen, daß ihm Hören und Sehen verging, und haben ihn dann getötet. »Die Höhle im Rapelsberg ist eingestürzt, aber der Stein, der sie verschloß, soll noch dort liegen.« – Diese Oldenburger Fassung der weitverbreiteten Sage ist darum besonders wertvoll, weil ihr Träger ein Riese ist; das ist sicher das Ursprüngliche; die ganze an Motiven reiche Sage sieht aus wie ein knapper und realistischer Niederschlag eines alten Riesenmärchens. In ganz Norddeutschland dagegen, aber auch in der Schweiz, erzählt man die gleiche Geschichte von einfachen Räubern, die sich für das Volk in nichts von den »geschichtlichen« Raubrittern und Wegelagerern unterscheiden.

Räuber Danneil. Im Huy beim Kloster Huyseburg bei Halberstadt hat vor langen Jahren ein grausamer Räuber gehaust, der hieß Danneil. Er hatte sich dort mit seinem Bruder eine Höhle gebaut, und weil er selber ein Schmied, sein Bruder aber ein Steinhauer war, so ist die Höhle auch schnell fertig gewesen. Da hat Danneil zum Dank seinen Bruder totgeschlagen, und nun raubte er von seiner sicheren Höhle aus in der ganzen Umgegend. Dazu hat er namentlich weithin durchs Holz bis nach der Landstraße Bindfäden gezogen, die führten in seine Höhle und dort waren Glocken daran befestigt. Stieß nun jemand auf der Landstraße an so einen Bindfaden, so läutete es in der Höhle, und dann stürzte Danneil rasch zu Pferd hervor und brachte den Raub in seine Höhle. Und damit man seine Spur nicht finden konnte, hatte er seinem Pferde die Hufe verkehrt aufgeschlagen; so führten die Spuren hinunter, wenn er oben in seiner Höhle war, und führten hinauf, wenn er ausgeritten war. Namentlich stellte er den Mädchen nach; die schleppte er in seine Höhle, und wenn sie dann Kinder gebaren, hängte er die Kinder in den Bäumen auf, daß es gräßlich anzusehen war. – So hatte er auch einmal eine gefangen, die ist volle sieben Jahre bei ihm gewesen und hat ihm die Wirtschaft führen müssen. Aber zuletzt hat sies nicht mehr mit ansehen können, wie er so ihre Kinder eins nach dem andern aufhängte, und da ist sie ihm entflohen. Danneil legte nämlich nach Tisch immer seinen Kopf in ihren Schoß, da mußte sie ihn lausen und darüber schlief er gewöhnlich ein. Da hat sie sich eines Tages die Taschen voll Erbsen gesteckt, und als er eingeschlafen war, hat sie seinen Kopf ganz sanft auf den Boden gelegt und ist fortgelaufen auf Huyseburg zu und hat während ihrer Flucht den ganzen Weg entlang die Erbsen verstreut. Als sie nun schon eine Weile fort war, ist Danneil aufgewacht und sieht sie eben ins Kloster gehen; da wirft er wütend sein Messer hinter ihr her und hätte sie auch getroffen, aber sie ist gerade in die Klosterpforte eingetreten; so fuhr das Messer in die Tür, und die Spuren hat man noch lange sehen können. – Durch die Erbsen hat man dann Danneils Höhle gefunden und da hat er sich in seiner Höhle eingeschlossen. Er war so gut eingerichtet und mit allem versehen, daß man ihm lange nichts anhaben konnte. Da hat man oben ein Loch gehauen und dadurch heißes Wasser in die Höhle gegossen, aber das hat Danneil abgezapft. Schließlich hat man aus heißem Wasser und Erde einen Dreckbrei gemacht und den hineingeschüttet und so wurde der Räuber endlich zum Tode gebracht.


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